4 Die Elektrizität in der Medizin

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Die Elektrizität in der Medizin
Ewald Konecny
4.1
Das elektrische Jahrhundert: Entwicklungen und Wirkungen der Elektrizität in der Medizin
In der Medizin ist das 20. Jahrhundert gekennzeichnet durch einen fast explosionsartigen Fortschritt in der Diagnostik und Therapie. Die mittlere Lebenserwartung
eines Mitteleuropäers ist in diesem Zeitraum von etwas über 40 zu weit über 70
Jahren gestiegen bei unbestritten höherer durchschnittlicher Lebensqualität heute.
Im Vergleich dazu hatten die „ganzheitlichen“ Lehren davor kaum Fortschritte
gebracht. Es nötigt Hochachtung ab, wie sehr z.B. die alten Chinesen vor ca. 3 000
Jahren sich um Verständnis der medizinischen Zusammenhänge bemühten oder
mit welchem Anspruch die Urväter der Homöopathie an die Heilkunst herangegangen sind, aber es erzeugt ebensoviel Unverständnis, wie wenig diese Lehren
sich selbst kritisch analysiert haben und wie gering der Fortschritt an Erkenntnis
und medizinischem Erfolg war.
Noch vor 100 Jahren war der qualitative Zustand der Medizin in Mitteleuropa
nicht wesentlich von dem Zustand im Altertum und Mittelalter unterschieden.
Diagnosen wurden pauschal gestellt und die Therapie beschränkte sich auf die
Behandlung mit Hausmitteln, deren gesamtheitliche Wirkung durch Erfahrung
überliefert war. Fortschritte waren so gut wie unmöglich. Komplexere und schwerere Krankheitsbilder wurden ihrem natürlichen Ablauf mit sehr oft tödlichem
Ausgang überlassen.
Erst um die letzte Jahrhundertwende änderte sich das Bild grundlegend durch die
Anwendung der naturwissenschaftlichen Denkungsart auch auf die Medizin, die
analysiert, nach nachweisbaren Ursache-Wirkung-Beziehungen sucht und sich auf
dem Weg nach Erweiterung des Wissens selbst beständig in Zweifel zieht. Gleichzeitig haben sich die Naturwissenschaften selbst in ihrer Eigenschaft als
Hilfswissenschaften für die Medizin enorm weiter entwickelt, in erster Linie die
Physik und Chemie und im Gefolge die verselbstständigten Disziplinen Maschinenbau und Elektrotechnik. Das vergangene Jahrhundert in der Medizin ist
dominiert von der Durchdringung der Medizin durch die Elektrotechnik.
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Dabei ist zu bemerken, dass bahnbrechende naturwissenschaftliche Methoden und
technische Ansätze bisher nicht primär für die Medizintechnik entdeckt bzw.
erfunden worden sind, sondern sie wurden eingesetzt, als sie verfügbar waren.
Eindrucksvolle Beispiele dafür aus den letzten 100 Jahren sind die Röntgenstrahlen, die Kernspintomographie, die Entwicklung der Nuklearmedizin und des
Lasers.
Das Spektrum der in der Medizin verwendeten elektrischen und magnetischen
Effekte ist weitgespannt. Ohne vollständig sein zu können, möchte ich anschließend die Entwicklung bei einigen davon näher erläutern. Das Faszinierende daran
ist, dass sich bei vielen entscheidende Quantensprünge erst in den letzten 30
Jahren vollzogen haben, dass unsere Generation also noch Zeitzeuge dieser Entwicklungen sein konnte.
Fangen wir an mit den klassischen Gebieten der Elektromedizin, zunächst mit der
Entdeckung elektrischer Körpersignale [1]:
Als erster hat der Italiener Luigi Galvani um 1760 die Wirkung elektrischer Ströme auf Muskel beschrieben, doch erst 1843 konnte in Umkehrung der italienische
Physiologe Carlo Matteucci charakteristische elektrische Erscheinungen bei
Muskelbewegung nachweisen. 1876 zeichnete der französische Physiologe Etienne
Jules Marey erstmals die elektrischen Signale am Körperherzen mit einem Elektrometer in Kurvenform auf, jedoch mit unzureichender Genauigkeit. Erst durch
Einsatz eines Saitengalvanometers gelang dem holländischen Physiologen Willem
Einthoven um 1906 die Aufzeichnung verwertbarer Herzstromkurven [2]. Seit dem
Beginn der 30er Jahre ist die Elektrokardiographie zur Beurteilung von Herzkrankheiten eingeführt. Die Signale werden durch auf den Brustkorb aufgeklebte
Elektroden abgeleitet. Die Verfügbarkeit leistungsfähiger Rechner hat inzwischen
eine rechnergestützte online Diagnose des Elektrokardiogramms (EKG) möglich
gemacht. Die Aufnahme eines EKG ist heute Routine bei der Patientenüberwachung. Sie bietet viel mehr Information als Auskunft über den Pulsschlag oder
über die Funktionseinschränkungen des Herzens nach einem abgelaufenen Infarkt.
Insbesondere durch nichtlineare Methoden der Signalanalyse kann man sie zur
Frühwarnung vor kritischen Situationen, insbesondere vor dem gefürchteten
Kammerflimmern und dem Herzstillstand verwenden.
Umgekehrt hat man gelernt, mit elektrischen Signalen das kranke Herz zu steuern.
Implantierbare künstliche Impulsgeber für die Steuerung der Herzmuskelaktivität,
sog. Herzschrittmacher, wurden erstmals vom Schweden Rune Elmqvist erfunden
und von Ake Senning 1958 in Stockholm eingesetzt. Sie erfuhren seither eine
stürmische weitere Entwicklung, insbesondere bezüglich verbesserter Zuverlässigkeit und Anpassbarkeit an die Belastung. In nur einem halben Jahrhundert sind sie
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zu weit verbreiteten, routinemäßig einsetzbaren Apparaten zur Unterstützung der
lebenswichtigen Herzfunktion geworden.
Vergleichsweise spät wurde, erstmals 1924 (und erst 1929 veröffentlicht) von
Hans Berger in Jena die elektrische Aktivität der Nervenzellen im Gehirn, das
Enzephalogramm (EEG), aufgezeichnet und zur Diagnose herangezogen [3]. Dazu
werden Elektroden – ähnlich wie bei der Aufnahme des EKG über den Brustkorb –
über den Kopf verteilt. Die Details des zeitlichen Ablaufs und der örtlichen Verteilung der Gehirnströme sind sehr kompliziert und Gegenstand lebhafter Forschung.
Trotzdem ist das EEG in Ergänzung zu bildgebenden Verfahren ein aufschlussreiches Diagnosemittel für den Neurochirurgen, Neurologen und Psychiater und ist
ganz besonders wichtig bei der Feststellung des sog. „Hirntodes“ für die Beurteilung der Zulässigkeit von Organentnahmen bei Unfallopfern.
Für die richtige Phasierung der außer Takt gekommenen Herzaktivität wurden in
den 30er Jahren Defibrillatoren als Konsequenz der sich entwickelnden Kenntnisse
der physiologischen Zusammenhänge entwickelt, die über einen kurzen Stromstoss
über die Brust das Herz aktivieren sollen und die heute zu jeder Notarztausrüstung
gehören.
Die andere klassische Verwendung elektrischer Energie führt zur Ausnutzung der
Wärmewirkung teils direkt über die Durchstrahlung des Gewebes mit elektrischen
Hochfrequenzwellen oder indirekt über die elektrische Ansteuerung von piezoelektrischen Ultraschallgeneratoren.
Nachdem der englische Physiker Faraday 1831 über die Induktionselektrizität
berichtet hatte, wurden bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts elektrische Geräte zur Behandlung von Lähmungen und Neuralgien verwendet. Dass
hochfrequente Wechselfelder einen Erwärmungseffekt besitzen, wiesen zwischen
1890 und 1900 Nicole Tesla und Jacques Arsène d’Arsonval nach. Richard von
Zeyneck führte 1908 die ersten Diathermiegeräte ein. Der beabsichtigte Heileffekt
ist dabei die Verbesserung der Durchblutung im bestrahlten Körperbereich. Hochfrequenztherapie wird heute – geordnet nach aufsteigender Quantenenergie – im
Kurzwellenbereich (mit Wellenlängen um 22 und 11m), im Ultrakurzwellenbereich (7m), im Dezimeterwellenbereich (0,7m) und im Mikrowellenbereich (0; 12;
0,05; 0,013 m) durchgeführt.
Selbst einfache mechanische Vorrichtungen, wie das Skalpell des Chirurgen,
wurden - wegen der hohen Emission von Störstrahlung zur Qual für die Hersteller
von anderen elektrischen Geräten, aber durchaus zum Segen des Patienten –
teilweise durch elektrische Geräte ersetzt. Bei höheren Leistungsdichten (um 100
W/mm2) wird das Gewebe so stark erwärmt, dass es verdampft und damit chirurgische Schnitte erlaubt bei gleichzeitigem Verschluss der mit betroffenen kleinen
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