Bachelorarbeit Kinder und Jugendliche als Zeugen häuslicher Gewalt Lisa Geppert Kurs 2011 F Matrikelnummer 2304966 Betreuer Prof. Dr. Moch Studiengang Erziehungshilfen Bearbeitungszeitraum 06. Januar - 31. März 2014 Abgabedatum 26. März 2014 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................................... 1 Einleitung............................................................................................................................................ 4 Häusliche Gewalt ................................................................................................................................ 5 Definition „Kinder und Jugendliche“ .............................................................................................. 5 Definition Gewalt ........................................................................................................................... 5 Definition „Häusliche Gewalt“........................................................................................................ 7 Formen häuslicher Gewalt ............................................................................................................. 8 Prävalenz ........................................................................................................................................ 9 Frauen......................................................................................................................................... 9 Männer ..................................................................................................................................... 13 Kinder ....................................................................................................................................... 13 Miterleben häuslicher Gewalt .......................................................................................................... 15 Formen der Betroffenheit ............................................................................................................ 15 Zeugung durch Vergewaltigung ............................................................................................... 15 Gewalt in der Schwangerschaft ................................................................................................ 16 Direkte Betroffenheit ............................................................................................................... 16 Aufwachsen in einer gewaltbelasteten Atmosphäre ............................................................... 17 Das Erleben der Kinder und Jugendlichen.................................................................................... 17 Direktes Erleben ....................................................................................................................... 17 Physische Reaktionen ............................................................................................................... 18 Befindlichkeit ............................................................................................................................ 19 Wirkfaktoren ............................................................................................................................ 20 Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen .......................................................................... 21 Wirkfaktoren ............................................................................................................................ 21 Auswirkungen auf das Verhalten ............................................................................................. 21 Auswirkungen auf die kognitive und soziale Entwicklung........................................................ 22 Auswirkungen auf das Bindungsverhalten ............................................................................... 23 Auswirkungen in Form von Traumatisierung ........................................................................... 24 Geschlechtsspezifische Auswirkungen ..................................................................................... 26 Resilienz .................................................................................................................................... 27 Vermittlungswege ........................................................................................................................ 27 1 Vermittlung über weitere Belastungsfaktoren ........................................................................ 28 Vermittlung über geteilte genetische Merkmale ..................................................................... 28 Vermittlung über biologische Mechanismen ........................................................................... 29 Vermittlung über die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Gewalttäters.......................... 29 Vermittlung über die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Opfers .................................... 29 Vermittlung durch die direkte innerpsychische Verarbeitung des Miterlebens ...................... 30 Sonderfall: Tötungsdelikt ............................................................................................................. 30 Fallbeispiel Katja ............................................................................................................................... 33 Herkunft ....................................................................................................................................... 33 Katjas Kindheit .............................................................................................................................. 34 Katjas Leben bis zur Aufnahme in die Traumagruppe ................................................................. 35 Katjas Leben auf der Wohngruppe............................................................................................... 37 Transfer ........................................................................................................................................ 40 Kindesmisshandlung ......................................................................................................................... 43 Definition und Formen von Kindesmisshandlung ........................................................................ 43 Körperliche Misshandlung ........................................................................................................ 43 Vernachlässigung...................................................................................................................... 43 Sexueller Missbrauch ............................................................................................................... 44 Seelische Misshandlung ........................................................................................................... 44 Prävalenz .................................................................................................................................. 44 Auswirkungen ............................................................................................................................... 45 Verhaltensauffälligkeiten nach Entwicklungsstand.................................................................. 46 Kurzzeitfolgen ........................................................................................................................... 47 Langzeitfolgen .......................................................................................................................... 48 Erklärungskonzepte ...................................................................................................................... 49 Traumatheorie.......................................................................................................................... 49 Psychobiologisches Stressmodell ............................................................................................. 49 Erweitertes Prozessmodell ....................................................................................................... 50 Genetische Faktoren ................................................................................................................ 52 Miterleben häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung................................................................. 54 Begrifflichkeiten ........................................................................................................................... 54 Formen ......................................................................................................................................... 54 Prävalenz ...................................................................................................................................... 54 2 Auswirkungen ............................................................................................................................... 55 Vermittlung .................................................................................................................................. 55 Bedeutung für die Soziale Arbeit...................................................................................................... 58 Interinstitutionelle und –disziplinäre Kooperation ...................................................................... 58 Rahmenbedingungen einer gelingenden Kooperation ............................................................ 58 Kooperationspartner Frauenschutz und Frauenhaus .............................................................. 59 Kooperation mit Familiengerichten ......................................................................................... 60 Kooperation bei polizeilicher Intervention .............................................................................. 60 Kooperation mit ÄrztInnen....................................................................................................... 61 Jugendhilfe und häusliche Gewalt................................................................................................ 61 Aufgaben der Jugendhilfe ........................................................................................................ 61 Bedürfnisse betroffener Kinder und Jugendlicher ................................................................... 62 Hilfen zur Erziehung gegen häusliche Gewalt .......................................................................... 64 Modellprojekte ............................................................................................................................. 65 Beispiel BIG e.V......................................................................................................................... 65 „Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt“................................................................... 67 Inanspruchnahme von Präventions- und Interventionsmaßnahmen .......................................... 68 Fazit .................................................................................................................................................. 70 Kritische Anmerkungen ................................................................................................................ 71 Ausblick ........................................................................................................................................ 72 Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... 76 Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................................... 84 Erklärung zur selbstständigen Erarbeitung ...................................................................................... 85 3 Einleitung Eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ergab im Jahr 2004, dass jede vierte Frau in Deutschland schon einmal Gewalt durch einen Beziehungspartner erlebt hat. In mehr als der Hälfte der Fälle lebten die Kinder der betroffenen Frauen im selben Haushalt. Dass Kinder und Jugendliche ebenfalls Beteiligte in Fällen von häuslicher Gewalt sein können, wird oftmals vergessen. Im Fokus der Gesellschaft stehen die Männer als Schläger und die Frauen als Opfer. Aber was ist mit den Kindern? Mit Gewalt gegen Kinder assoziieren die meisten Menschen Kindesmisshandlung, sexuellen Missbrauch oder Eltern, die ihre Kinder schlagen. Zu Kindesmisshandlung, möglichen Auswirkungen sowie Präventions- und Interventionsmöglichkeiten liegen heutzutage vielfach Studien und Literatur vor. Das Thema des Miterlebens von häuslicher Gewalt hingegen ist, in Deutschland noch weniger als in den Vereinigten Staaten, kaum erforscht (vgl. DLUGOSCH 2010, S.9). Erst in den letzten Jahren erschienen vermehrt Studien und andere Literatur zu diesem Thema. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Kindern und Jugendlichen als Zeugen häuslicher Gewalt. Welche Auswirkungen kann das Miterleben häuslicher Gewalt auf betroffene Kinder und Jugendliche haben? Ziel der Arbeit ist herauszufinden, ob das Erleben häuslicher Gewalt andere Folgen haben kann, als Kindesmisshandlung und welche Bedeutung die Ergebnisse für die Soziale Arbeit haben können. Am Anfang werden zum Verständnis verschiedene Begriffsbestimmungen vorgenommen. Um das Ausmaß von Partnerschaftsgewalt deutlich zu machen, wird die Häufigkeit ihres Vorkommens beschrieben. Im Anschluss wird beschrieben, inwiefern Kinder und Jugendliche von häuslicher Gewalt betroffen sein können. Es folgt eine Erörterung der Erlebnisse und deren mögliche Auswirkungen auf die Betroffenen, sowie Versuche, die Vermittlung der Auswirkungen zu erklären. Die Erkenntnisse werden an einem Fallbeispiel aus der Praxis veranschaulicht. Als nächstes werden Aspekte der Kindesmisshandlung und deren Auswirkungen benannt, anschließend mit dem Miterleben häuslicher Gewalt verglichen werden zu können. Was das Miterleben häuslicher Gewalt und die Ergebnisse dieser Arbeit für die Soziale Arbeit, speziell für die Jugendhilfe bedeuten und was bisher unternommen wurde, wird im vorletzten Kapitel deutlich gemacht. Defizite des Themas und Entwicklungsmöglichkeiten bilden den Schluss der Arbeit. 4 Häusliche Gewalt Definition „Kinder und Jugendliche“ Nach §7 SGB VIII ist ein Kind, wer unter 14 und ein Jugendlicher, wer zwischen 14 und 18 Jahren alt ist. Diese Definition entspricht dem Verständnis der Begriffe in dieser Arbeit. Anders als in §7 SGB VIII wird in dieser Arbeit der Begriff „junger Mensch“ als Synonym für Kinder und Jugendliche verwendet. Definition Gewalt Um deutlich zu machen, wie der Terminus Gewalt in dieser wissenschaftlichen Arbeit verwendet wird, soll im Folgenden die Problematik der Definition aufgezeigt werden. Was ist eigentlich Gewalt? Eine allgemeingültige Definition dieses Begriffs ist nicht bekannt. Jeder Mensch hat eine eigene Vorstellung darüber, was Gewalt bedeutet und beinhaltet. „No definition of violence has ever proved completely successful. Although everyone ‘knows what violence is’ no one has ever been able to define it adequately so that every possible instance of violent behavior is included within the definition while all the excluded behavior is clearly nonviolent” (MEGARGEE 1969 in GODENZI 1994, S.34). Megargees Aussage unterstreicht die Schwierigkeit einer Definition von Gewalt. Obwohl jeder Mensch zu wissen scheint, was Gewalt ist, kann niemand konkret benennen, was dieser Begriff beinhaltet. Der Terminus erweckt den Eindruck einer zu großen Komplexität. SCHWEIKERT sagt sogar, eine Begriffsdefinition sei sowohl unmöglich als auch sinnlos (vgl. SCHWEIKERT 2011, S.377). Sie ist der Meinung, dass eine Definition von Gewalt abhängig davon ist, von wem, aus welcher Sichtweise und zu welchem Zweck der Begriff definiert wird (vgl. SCHWEIKERT 2001, S.377; WHO 2003, S.5). Einig sind sich diverse Autoren darüber, dass das Verständnis des Gewaltbegriffs abhängig von Gesellschaft, Politik, Kultur und deren historischem Wandel ist (vgl. HAGEMANNWHITE/LENZ 2011, S.177, SCHWEIKERT 2011, S.377; DLUGOSCH 2010, S.18f; WHO 2003, S.5). Aber besteht Gewalt ausschließlich darin, andere Menschen körperlich oder seelisch zu verletzen? Nein, es müssen einzelne Gewaltformen unterschieden werden. IMBUSCH unterscheidet Gewalt in ihrer Ausführung. Er benennt verschiedene Formen. Die erste ist die direkte oder individuelle Gewalt. Sie geht von einem Akteur aus und zielt auf Schädigung und Verletzung von Subjekten ab. Die institutionelle Gewalt findet, wie der 5 Name schon sagt, in und durch Institutionen statt (z.B. Staatsgewalt oder Gewalt, die durch hierarchische Verhältnisse legitimiert wird). Eine weitere Form stellt die strukturelle Gewalt durch beispielsweise Diskriminierung, Benachteiligung und Unterdrückung dar. Über diesen drei Formen von Gewalt steht die kulturelle Gewalt (vgl. IMBUSCH 2002, S.42). Wie bereits erwähnt ist es bei einer Begriffsbestimmung ausschlaggebend, wer den Begriff zu definieren versucht und aus welchen Gründen, beziehungsweise zu welchem Zweck er dies macht. Im Vorangegangen wird somit deutlich, dass es in der Wissenschaft viele verschiedenen Definitionen des Terminus gibt. Im Speziellen soll nun geschildert werden, in welcher Form der Begriff „Gewalt“ für die vorliegende Arbeit verwendet werden wird und welche Bedeutung ihm zugrunde liegt. Die folgende Arbeit bezieht sich auf die Gewalt zwischen Personen. In Zusammenhang mit der Thematik der interpersonellen Gewalt hat sich die WELTGESUNDHEITSORGANISATION (WHO) die Aufgabe gestellt, eine global anwendbare und zugleich nicht zu eng gefasste Begriffsbestimmung von Gewalt zu formulieren. Sie kam zu folgender Definition: „Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.“ (WHO 2003, S.6) Basierend auf dieser Definition spezifiziert die WHO den Terminus Gewalt noch weiter und teilt ihn in drei Kategorien: Gewalt gegen die eigene Person, zwischenmenschliche Gewalt und kollektive Gewalt. Zur Gewalt gegen die eigene Person zählen suizidales Verhalten sowie Selbstverstümmelung. Eine Art der zwischenmenschlichen Gewalt stellt Gewalt in der Familie oder zwischen Partnern dar (z.B. Kindesmisshandlung, Gewalt durch den Partner). Die zweite Art zwischenmenschlicher Gewalt geht von einer Gemeinschaft aus. Gemeint sind Menschen, die nicht verwandt und sich möglicherweise nicht mal bekannt sind. Als Beispiele hierfür werden unter anderem Gewalt unter Jugendlichen oder Gewalt im Umfeld (Schule, Arbeitsplatz etc.) genannt. Der kollektiven Gewalt liegen politisch, gesellschaftlich oder wirtschaftlich motivierte Absichten zu Grunde, die von einer Gruppe Menschen durch Gewalt gegenüber einer andere Gruppe Menschen durchgesetzt werden sollen. Dies kann in bewaffneten Auseinandersetzungen, Verletzung von Menschenrechten oder Terrorismus enden (vgl. WHO 2003, S.7). Da in 6 der vorliegenden Arbeit speziell die Thematik der „häuslichen Gewalt“ als eine Art zwischenmenschlicher Gewalt im Fokus stehen wird, wird diese im Folgenden näher beleuchtet. Definition „Häusliche Gewalt“ Der Begriff der „häuslichen Gewalt“ ist ebenso vielseitig wie die Definitionsansätze vom allgemeinen Terminus der Gewalt. Die Definitionen und Synonyme für den Begriff der „häuslichen Gewalt“ sind ebenfalls je nach Verfasser und Sichtweise verschieden. In den 1980ern rückte mit der Frauenbewegung das Thema der Gewalt gegen Frauen in den Fokus der Gesellschaft. Mit den ersten Frauenhäusern kamen Begrifflichkeiten der „Männergewalt gegen Frauen“ und ähnliche auf. Erst mit der Zeit bewegte man sich weg vom Denken, dass Gewalt nur von Männern und nur gegen Frauen ausgeübt werde. Heute werden Ausdrücke wie „häusliche Gewalt“, „Gewalt in Ehe und Partnerschaft“ oder „Gewalt im sozialen Nahraum“ verwendet. Anders als früher wird nun auch Gewalt gegen Männer und Kinder thematisiert (vgl. GLOOR/MEIER 2010, S.17). Im Englischen gibt es die Bezeichnungen „domestic violence“ und „family violence“, die mit „häuslicher Gewalt“ und „familiärer Gewalt“ übersetzt werden können (vgl. DLUGOSCH 2010, S.23). Nunmehr stellt sich die Frage, ob häusliche Gewalt aufgrund dieser Gegebenheiten Gewalt innerhalb der Familie ist. „Unter ‚Gewalt in der Familie‘ ist die Gewaltanwendung zwischen Personen zu verstehen, die in einer auf gegenseitiger Sorge und Unterstützung angelegten intimen Gemeinschaft zusammenleben.“ (GEWALTKOMMISSION 1990, S.72) In diesem Fall sind nicht nur direkte verwandtschaftliche Verhältnisse gemeint, sondern auch diese, die einer Familie ähnlich sind, zum Beispiel Lebensgemeinschaften. Gewalt in der Familie kann in Form von Partnergewalt, Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern, Gewalt zwischen Geschwistern sowie Gewalt von Kindern gegenüber ihren Eltern auftreten (vgl. GEWALTKOMMISSION 1990, S.72). SCHWEIKERT ist der Ansicht, dass „häusliche Gewalt“ grundsätzlich Gewalt zwischen Menschen beschreibe, die in Beziehung zueinander stehen. Sattfinden könne diese Gewalt beispielweise in aktuellen und auch ehemaligen Partnerschaften, zwischen Verwandten, in Wohngemeinschaften und Pflegeverhältnissen sowie in Heimen (vgl. SCHWEIKERT 2011, S.404f). 7 Die verschiedenen Versuche einer Begriffsklärung verdeutlichen, dass es sich bei „häuslicher Gewalt“, wie der Name schon erkennen lässt, um Gewalt im Privatraum handelt. Nicht klar ist aber, wer gegen wen Gewalt ausübt (vgl. DLUGOSCH 2010, S.24). Noch wichtiger als die Klärung des Täter-Opfer-Verhältnisses ist jedoch die Erkenntnis, dass Gewalt im privaten Umfeld paradox zu sein scheint. Denn Gewalt zwischen Menschen, die in irgendeiner Art in den eben genannten Beziehungsformen stehen, widerspricht dem Zweck und Verständnis ebendieser: Nämlich dem Vorhandensein von Sicherheit, Geborgenheit, Vertrauen, Fürsorge und Liebe (vgl. SCHWEIKERT 2011, S.404; DLUGOSCH 2010, S.22f). Vor allem im Kindes- und Jugendalter ist dies ein wichtiger Entwicklungsaspekt. Die Kinder und Jugendlichen blieben bisher in den Beschreibungen „häuslicher Gewalt“ meistens unerwähnt, obwohl sie in vielen Fällen mitbetroffen sind (vgl. GLOOR/MEIER 2010, S.17). RABE bedient sich der Definition der „BERLINER INITIATIVE GEGEN GEWALT AN FRAUEN (BIG E.V.)“: „Der Begriff der häuslichen Gewalt umfasst die Formen der physischen, sexuellen, psychischen, sozialen und emotionalen Gewalt, die zwischen erwachsenen Menschen stattfindet, die in nahen Beziehungen zueinander stehen oder gestanden haben. Das sind in erster Linie Erwachsene in ehelichen und nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften aber auch in anderen Verwandtschaftsbeziehungen.“ (BIG E.V. 2007, S.125) Vor diesem Hintergrund soll der Begriff der häuslichen Gewalt im Folgenden als Gewalt in der Partnerschaft verstanden werden, wenn nicht ausdrücklich auf eine andere Verwendung hingewiesen wird. Um eine konkrete Vorstellung von Gewalthandlungen im häuslichen Kontext zu bekommen, werden im nächsten Kapitel die bereits von der BIG E.V. erwähnten verschiedenen Formen häuslicher Gewalt beschrieben. Formen häuslicher Gewalt Es gibt verschiedene Arten der Kategorisierung von häuslicher Gewalt. Sie werden in physischer, psychischer, sexueller, und ökonomischer Gewalt unterschieden. Einige Autoren sind der Meinung, dass auch das Miterleben von Gewalt eine Form von Gewalt ist (vgl. LAMNEK/LUEDTKE/OTTERMANN 2012, S.133). Auf den Aspekt des Miterlebens wird jedoch in einem späteren Abschnitt detailliert eingegangen. Physische Gewalt umfasst Tätlichkeiten gegen das Opfer oder auch dessen Umfeld. Dazu gehören Handlungen wie Treten, Schlagen, Gegenstände werfen, Verprügeln oder Anwenden von Waffengewalt bis hin zum Extremfall des versuchten Mordes oder 8 tatsächlichem Mord (vgl. SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL 2006, S.414; KASELITZ/LERCHER 2002, S.11). Psychische Gewalt sei nach KASELITZ/LERCHER emotional zugefügt werde (vgl. schwer zu erkennen, da diese seelisch und KASELITZ/LERCHER 2002, S.11). Oft wird psychische Gewalt verbal angewandt, zum Beispiel in Form von (Be-)Drohung, Beleidigung, Demütigung, Einschüchterung, Angstmachen SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL 2006, S.414; und KASELITZ/LERCHER Beschimpfung (vgl. 2002, S.11). Während SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL Isolation in Form von Kontrolle und Kontaktverbot als soziale Gewalt und eigene Kategorie ansehen, zählen KASELITZ/LERCHER Isolation und Stalking zur psychischen Gewalt (vgl. SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL 2006, S.414; KASELITZ/LERCHER 2002, S.11). Sexuelle oder auch sexualisierte Gewalt beinhaltet unter anderem erzwungene sexuelle Handlungen, Missbrauch, Vergewaltigung oder auch Zwang zur Prostitution (vgl. SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL 2006, S.414; KASELITZ/LERCHER 2002, S.11). Durch Arbeitsverbot oder Zwang zur Arbeit sowie das Verweigern vom Zugang zu Geld führt ökonomische Gewalt zur finanziellen Abhängigkeit des Opfers (vgl. SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL 2006, S.414). Prävalenz Frauen Studien, Zahlen und Fakten zum Thema „Häusliche Gewalt“ in Deutschland findet man in einem Teil der Studie des BUNDESMINISTERIUMS FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (BMFSFJ) aus dem Jahr 2004. „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ stellt die erste repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland dar (vgl. BMFSFJ 2004a). Für diese Studie wurden 10.264 in Deutschland lebende Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren befragt (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.5). Die Untersuchung bestand aus einem Interview und einem Fragebogen. Beide enthielten Fragen zu den verschiedenen Gewaltformen und Erfahrungen mit diesen in Kindheit und Jugend. Außerdem gab es Fragen zu Gewalt in aktuellen, als auch in früheren Beziehungen (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.5f). Als betroffen galten Frauen, die angaben, wenigstens eine Gewalthandlung seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal erlebt zu haben. Um die Gewalthandlungen differenzieren zu können, 9 verwendeten die Forscher Itemlisten, die die unterschiedlichen Handlungen aufzählten. Zur Abschätzung des Schweregrades der einzelnen Gewalthandlungen wurde eine Itemliste zu Verletzungsfolgen, sowie Fragen zu Häufigkeit und subjektivem Empfinden benutzt (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.6). 37% der Befragten haben mindestens einmal seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens eine Handlung körperlicher Gewalt erlebt; 13% Formen sexueller Gewalt, 58% sexuelle Belästigung und 42% psychische Gewalt. Insgesamt haben 40% der Frauen unabhängig vom Täter körperliche und/oder sexuelle Gewalterfahrungen gemacht (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.7). Die Untersuchung zeigte außerdem, dass Frauen Gewalt meist durch den Beziehungspartner und im häuslichen Bereich erfahren (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.11). 25% aller befragten Frauen gaben an, Formen sexueller und/oder körperlicher Gewalt durch aktuelle und/oder ehemalige BeziehungspartnerInnen erlebt zu haben. Im Falle beider Gewaltformen war die eigene Wohnung zu circa 70% der Tatort (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.7; S.11f). In 99% der Fälle ging die Gewalt von einem männlichen Beziehungspartner aus, nur 1% hatten Gewalt durch eine weibliche Partnerin erlebt (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.7f). Deshalb wird, wie auch in der Studie, ab diesem Punkt die männliche Form für die (Ex-)Partner verwendet. Detailliertere Ergebnisse der Studie sind in dem Kapitel „Gewalt in Paarbeziehungen“ ebendieser zu finden. Die Fragen zu diesem Themenbereich wurden nur den Frauen gestellt, die vorher angegeben hatten, sich derzeit oder in der Vergangenheit in einer Beziehung zu befinden und/oder befunden zu haben (86% aller Befragten). Drei Viertel dieser Frauen leben aktuell in einer Paarbeziehung (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.221). Um genauere Aufschlüsse zu erhalten, wurden die Frauen sowohl nach Gewalt in ihren aktuellen, als auch in den früheren Beziehungen befragt. 39% der Frauen sind nach eigenen Angaben durch ihren aktuellen Partner von Gewalt in der Beziehung betroffen, 72% waren in früheren Beziehungen Opfer häuslicher Gewalt und 11% erlebten sowohl in früheren Beziehungen, als auch in ihrer aktuellen Beziehung Partnerschaftsgewalt (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.223). Auf einer Itemliste mit körperlichen und sexuellen Gewalthandlungen sollten die Frauen mit der Möglichkeit von Mehrfachnennungen ankreuzen, welche der Handlungen sie mindestens einmal durch ihren aktuellen Partner erlebt hatten. Um Schwierigkeiten in der Abgrenzung von spaßhaften Raufereien zu ernsthafter Gewaltanwendung zu vermeiden, wurden den Antwortmöglichkeiten Aussagen 10 wie beispielsweise „so dass es mir weh tat“ zugefügt (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.224). Zur Veranschaulichung: Itemliste zur Erfassung von körperlicher Gewalt und sexueller Gewalt in Paarbeziehungen im schriftlichen Fragebogen. Mein Partner hat... A mich wütend weggeschubst. B mir eine leichte Ohrfeige gegeben. C mich gebissen oder gekratzt, so dass es mir weh tat. D meinen Arm umgedreht, so dass es mir weh tat. E mich schmerzhaft getreten, gestoßen oder hart angefasst. F mich heftig weggeschleudert, so dass ich taumelte oder umgefallen bin. G mich heftig geohrfeigt oder mit der flachen Hand geschlagen. H etwas nach mir geworfen, das mich verletzen könnte. I mich mit etwas geschlagen, das mich verletzen könnte. J mir ernsthaft gedroht, mich körperlich anzugreifen oder zu verletzen. K mir ernsthaft gedroht, mich umzubringen. L mit den Fäusten auf mich eingeschlagen, so dass es mir weh tat oder ich Angst bekam. M mich verprügelt oder zusammengeschlagen. N mich gewürgt oder versucht, mich zu ersticken. O mich absichtlich verbrüht oder mit etwas Heißem gebrannt. P mich mit einer Waffe, zum Beispiel einem Messer oder einer Pistole bedroht. Q mich mit einer Waffe, zum Beispiel einem Messer oder einer Pistole verletzt. R mich auf eine andere Art körperlich angegriffen, die mir Angst machte oder weh tat. S mich zu sexuellen Handlungen gezwungen, die ich nicht wollte. T versucht, mich zu sexuellen Handlungen zu zwingen, die ich nicht wollte. (BMFSFJ 2004 b, S.225) 11 75% der Frauen wurden demnach wütend von ihrem Partner weggeschubst, 34% leicht geohrfeigt, 21% schmerzhaft getreten, gestoßen und/oder hart angefasst. Je 11-12% wurde der Arm schmerzhaft umgedreht, an den Haaren gezogen oder sie wurden heftig vom Partner weggeschleudert, geohrfeigt und mit Gegenständen beworfen. Versuchten und ausgeführten Zwang zu sexuellen Handlungen erlitten jeweils 6%. Alle anderen Handlungen wurden mit 1-8% genannt (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.225f). Im Vergleich hierzu ist auffällig, dass bei den Antworten zur Gewalt in früheren Beziehungen fast alle Angaben höher ausfielen. Schmerzhaftes Treten, Stoßen und/oder hartes Anfassen wurden von 42% der Frauen benannt. Ungefähr ein Drittel der Frauen wurde jeweils an den Haaren gezogen, heftig weggeschleudert oder ihnen wurden körperliche Verletzungen angedroht. 18% gaben an, dass ihnen mit Mord gedroht wurde. Auch körperliche Gewalttätigkeiten wie zusammengeschlagen werden, wurden hier von einem Viertel der Befragten erlebt. 15% wurden gewürgt, 10% mit einer Waffe bedroht. Den Versuch, sie zu sexuellen Handlungen zu zwingen nannten 18% der Frauen, den tatsächlichen Zwang sogar knapp 25% (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.229). Zur Häufigkeit der Gewaltsituationen konnte herausgefunden werden, dass ein Drittel der Frauen in ihren bisherigen Beziehungen nur einmal, ebenfalls ein Drittel zwei- bis zehnmal und das letzte Drittel mehr als zehn- bis hin zu über vierzigmal Opfer ihres aktuellen und/oder früheren Partners geworden waren (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.8). Während 38% der gewaltbetroffenen Frauen äußerten, in mindestens einer Gewaltsituation Angst vor ernsthaften oder lebensgefährlichen Verletzungen gehabt zu haben, hatte die Gewalt des Partners für 64% Verletzungen zur Folge. Unter Mehrfachnennung berichteten 90% dieser Frauen von blauen Flecken und Prellungen als Verletzungsfolgen, 41% hatten keine anderen Verletzungen. 26% zählten körperliche Schmerzen, jeweils 18-20% offene Wunden, Unterleibschmerzen, Verstauchungen und Kopfverletzungen als Folgen auf (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.236). Das BMFSFJ sah nach diesen Untersuchungen in 43% der Beziehungen Überschneidungen zwischen sexueller, körperlicher und psychischer Gewalt. Nach diversen Itemlisten, die die psychische Gewalt leichter messbar machen sollten, kam man zu dem Ergebnis, dass 44% der Frauen keine psychische Gewalt oder Kontrolle in ihrer aktuellen Beziehung erlebten, 39% nur leichte Formen davon, 11% mittel und 6% schwer davon betroffen sind (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.253). Wie bereits erwähnt lässt sich das Ausmaß der psychischen Gewalt schwer messen, oft liegen die verschiedenen Gewaltformen in Kombination vor (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.294). 12 Männer Da sich das Thema der häuslichen Gewalt aus der Frauenbewegung heraus entwickelt hat, gibt es zur Gewalt gegen Männer kaum Studien. 2004 veröffentlichte das BMFSFJ die Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“. Auf Grund der zu kleinen Fallanzahl ist die Studie jedoch als nicht repräsentativ anzusehen. Der Fragebogen zur häuslichen Gewalt wurde von knapp 200 Männern ausgefüllt (vgl. BMFSFJ 2004 c, S.4). Da fast alle Männer angaben, in heterosexuellen Beziehungen zu leben oder gelebt zu haben wird in diesem Abschnitt ausschließlich die weibliche Form der Täterin oder Partnerin benutzt (vgl. BMFSFJ 2004 c, S.9). 25% der Männer gaben an, mindestens einmal Formen körperlicher Gewalt durch ihre aktuelle oder frühere Partnerin erfahren zu haben. Jedoch ist die Differenzierung des Schweregrades nicht immer ernsthaften Gewaltsituationen zuzuordnen (vgl. BMFSFJ 2004 c, S.9). Als Gewalthandlungen nannten circa 18% der Männer wütendes Wegschubsen, jeweils 5-10% leichtes Ohrfeigen, schmerzhaftes Beißen und Kratzen, schmerzhafte Tritte, Stöße oder hartes Anfassen und das Werfen von Gegenständen (vgl. BMFSFJ 2004 c, S.9). Verletzungsfolgen gaben 5% der Männer an. Genauso viele sagten aus, mindestens einmal Angst vor ernsthaften oder gefährlichen Verletzungsfolgen gehabt zu haben (vgl. BMFSFJ 2004 c, S.10). Sexuelle Gewalt erschien in dieser Pilotstudie als augenscheinliches Tabuthema für Männer. Gerade mal 2,5%, das entspricht fünf Männern, wurden zu sexuellen Bedürfnissen ihrer Partnerin genötigt, drei Männer wurden nach eigenen Angaben zu ungewollten Handlungen gedrängt und ein Mann berichtete vom Zwang zu sexuellen Handlungen (vgl. BMFSFJ 2004 c, S.10). Ein größeres Gewicht scheint der psychischen Gewalt zuzukommen. Eifersucht und Kontaktverbot nannten 20% der Männer, circa 17% wurden von der Partnerin dahingehend kontrolliert, mit wem und wohin sie weggehen wollten. 5-8% nannten sowohl die Kontrolle ihrer Post, Anrufe und E-Mails durch die Partnerin, das Bestimmen über das Tun der Männer, als auch das Verbot von Treffen mit Bekannten, Freunden oder Verwandten (vgl. BMFSFJ 2004 c, S.10). Kinder Die Studie über Gewalt gegen Frauen beschäftigt sich außerdem mit dem oft vergessenen aber wichtigen Thema des Miterlebens häuslicher Gewalt von Kindern und Jugendlichen. 60% der Frauen lebten demnach während der letzten Erfahrung mit Gewalt durch den Partner mit Kindern zusammen (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.276f). Nach Angaben der Frauen konnten 57% der Kinder Gewaltsituationen hören (entspricht 277 Angaben) und 50% diese 13 auch sehen. 20% der Kinder gerieten mit hinein und 25% versuchten sogar, ihre Mutter zu verteidigen oder zu schützen. Im Gegensatz dazu versuchten lediglich 2% den Partner zu verteidigen. 10% der Kinder waren selbst Opfer der Gewalt durch den Partner der Mutter. 23% der Frauen waren der Meinung, ihr Kind habe nichts mitbekommen und 11% wussten nicht, ob und was ihre Kinder mitbekommen hatten (vgl. BMFSFJ 2004 b, S.277). Aus diese Angaben geht jedoch nicht hervor, wie viele Kinder und Jugendliche absolut betroffen sind, da nicht die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, sondern die Anzahl der befragten Frauen ausgewertet wurden. Der Versuch genauerer Angaben wird im anschließenden Kapitel vorgenommen. Zusammengefasst assoziieren die meisten Menschen ähnliche Dinge mit dem Begriff „Gewalt“, eine eindeutige Definition gibt es aber nicht. Es kommt immer darauf an, mit welchem Blick und zu welchem Zweck man das Thema behandelt. Fest steht aber, dass Gewalt ein negativ besetzter Begriff ist. Das Verständnis von Gewalt bezieht sich in dieser Arbeit auf interpersonelle Gewalt. Der Terminus der „häuslichen Gewalt“ bildete sich aus der Thematik der Gewalt gegen Frauen heraus und änderte sich abhängig vom Wandel der Gesellschaft. Im weiteren Verlauf wird „häusliche Gewalt“ als Gewalt in der Partnerschaft verstanden. Formen häuslicher Gewalt sind physische, psychische, sexuelle und ökonomische Gewalt. Laut Statistik sind Frauen am häufigsten von häuslicher Gewalt und deren Folgen betroffen. Jede vierte Frau hat nach der Studie des BMFSFJ Gewalterfahrungen in Beziehungen gemacht oder erlebt diese aktuell. Je ein Drittel der Frauen erlebt sogar mehrmals, beziehungsweise häufig Gewalt durch den Partner. 60% der Frauen lebten während Gewaltvorkommnissen mit Kindern zusammen. Zu häuslicher Gewalt gegen Männer liegt lediglich eine Pilotstudie vor. 14 Miterleben häuslicher Gewalt Über die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die von häuslicher Gewalt als Zeugen betroffen sind, können nur Schätzungen angestellt werden (vgl. KINDLER/WERNER 2005, S.104). So gab es beispielsweise Schätzungen über 45.000 Frauen, die mit ihren Kindern in Frauenhäuser flüchteten und dort zeitweilig lebten. Demnach sind pro Jahr ungefähr 49.500 bis 67.500 Kinder und Jugendliche von Partnerschaftsgewalt betroffen. Diese Angaben beziehen sich aber nur auf die Frauen, die in Frauenhäuser flüchteten und schließen die Frauen aus, die sich keine oder andere Hilfe holten (vgl. KINDLER/WERNER 2005, S.104). Im Rahmen einer Studie von ENZMANN/WETZELS gaben jeweils 7% der mehr als 16.000 befragten Kinder und Jugendlichen an selten, beziehungsweise häufig, Partnerschaftsgewalt miterlebt zu haben (vgl. ENZMANN/WETZELS 2001, S.246). Beim Vergleich verschiedener Studien kam man zu dem interessanten Schluss, dass die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die als Zeugen von häuslicher Gewalt betroffen sind, ungefähr gleich der Anzahl misshandelter oder missbrauchter Kinder und Jugendlicher war. Interessant ist dieses Ergebnis vor allem, weil das Thema Kindesmisshandlung in Öffentlichkeit und Wissenschaft einen viel größeren Platz einnimmt, als Kinder und Jugendliche, die Zeugen häuslicher Gewalt sind (vgl. KINDLER/WERNER 2005, S.105). Um einen Eindruck davon zu bekommen, inwiefern Kinder und Jugendliche von häuslicher Gewalt betroffen sein können, werden im nächsten Abschnitt verschiedene Formen der Betroffenheit vorgestellt. Formen der Betroffenheit Nach HEYNEN können Kinder und Jugendliche auf vier Arten von häuslicher Gewalt betroffen sein: wenn sie durch eine Vergewaltigung gezeugt wurden, wenn ihre Mutter in der Schwangerschaft misshandelt wurde, wenn sie direkt betroffen sind oder in einer gewaltbelasteten Atmosphäre aufwachsen (vgl. HEYNEN 2001, S.84). Zeugung durch Vergewaltigung Wird eine Frau in Folge einer Vergewaltigung schwanger, muss sie sich zusätzlich zur Verarbeitung dieses traumatischen Erlebnisses mit vielen anderen Dingen auseinandersetzen (vgl. HEYNEN 2003, S.6). Reaktionen der Frauen auf eine Zwangsschwangerschaft können Verdrängung, indirekter oder direkter Abbruch, Akzeptanz oder auch aktive Annahme sein. 15 Schwierig wird eine Entscheidung für die werdende Mutter vor allem dann, wenn sie in einer Beziehung mit dem Kindesvater bleibt. Da sie so meistens weitere Gewalt erfährt und die Gefahr besteht, dass nach der Geburt auch das Kind Opfer des Vaters werden könnte (vgl. HEYNEN 2003, S.7). Ausschlaggebend ist die Art der Mutter-Kind-Beziehung, die sich zwischen Ungeborenem und auch später dem Baby und der Mutter entwickelt. Es besteht die Möglichkeit, dass das Kind als Produkt der Vergewaltigung und als Kind des Vergewaltigers angesehen wird und die Mutter das Kind in Folge von eventuellen Retraumatisierungen ablehnt. Das spielt vor allem bei der Geburt eines Sohnes eine große Rolle (vgl. HEYNEN 2003, S.6, S.12). Eine andere Möglichkeit ist eine Identifikation mit dem Kind als eigenes Wesen und der Annahme der Mutterrolle. In diesem Fall kann die Gefahr der Kindeswohlgefährdung für die Frau einen Trennungsgrund darstellen. Die Schwangerschaft und Geburt des Kindes können eine biographische Änderung und einen neuen Lebensabschnitt mit sich bringen (vgl. HEYNEN 2003, S.6, S.16f). Die Zeugung durch Vergewaltigung hat vor allem dann Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, wenn die Mutter unter einem psychischen Trauma leidet und als Folge daraus die Entwicklung der Mutter-Kind-Beziehung gestört werden kann (MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.32). Gewalt in der Schwangerschaft Unabhängig davon, ob ein Kind durch eine Vergewaltigung gezeugt wurde oder nicht, ist die Misshandlung der Kindsmutter während der Schwangerschaft eine weitere indirekte Form der Betroffenheit häuslicher Gewalt für das Ungeborene. Vor allem Gewalthandlungen wie Vergewaltigung oder Schläge und Tritte in den Bauch stellen für die Gesundheit schwangerer Frauen und das ungeborene Kind eine besondere Gefahr dar (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.33; HEYNEN 2001, S.86). Folgen von Misshandlung während der Schwangerschaft können unter anderem Komplikationen in der Schwangerschaft und bei der Geburt, ein niedriges Geburtsgewicht des Kindes und Frühoder Fehlgeburten sein (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.33). Direkte Betroffenheit Diese Form der Betroffenheit bezieht sich im Gegensatz zu den anderen Formen nicht indirekt, sondern direkt auf die Kinder und Jugendlichen. Es kann vorkommen, dass die Gewalt gegen die Kinder und Jugendlichen mit der Gewalt gegen die Mutter einhergeht. Beispielsweise wenn Kinder oder Jugendliche sich in unmittelbarer Nähe zur Mutter befinden und so in die Gewalthandlung involviert werden (vgl. HEYNEN 2001, S.86). Die 16 Gewalt kann sich aber auch direkt gegen die Kinder und Jugendlichen richten. Sowohl Vater als auch Mutter können Täter der Misshandlungen sein (vgl. HEYNEN 2001, S.86). Diese direkte Betroffenheit durch Kindesmisshandlung wird zu einem späteren Zeitpunkt thematisiert. Aufwachsen in einer gewaltbelasteten Atmosphäre Das Aufwachsen in einer gewaltbelasteten Atmosphäre bringt weitere verschiedene Aspekte der Betroffenheit Kinder und Jugendlicher von häuslicher Gewalt mit sich. Auch wenn die Kinder und Jugendlichen nicht direkt von Misshandlungen betroffen sind, so erleben sie doch die Gewalt der Eltern gegeneinander. Wie bereits erwähnt handelt es sich meist um Gewalt eines Mannes gegen seine Partnerin (vgl. HEYNEN 2001, S.87). Was das genau für die Kinder und Jugendlichen bedeutet, was sie erleben und welche Folgen das Miterleben häuslicher Gewalt für sie haben kann, wird im anschließenden Kapitel erläutert. Kinder und Jugendliche, die in gewaltgeprägten Familien leben, erfahren außerdem oft fehlende Kompetenz und Sicherheit der Eltern (vgl. DLUGOSCH 2010, S.40). Dies kann sich zum einen in der fehlenden Sorge des Täters gegenüber seiner Partnerin und den Kindern und Jugendlichen zeigen, als auch in der daraus resultierenden Überforderung der Kindesmutter. Dadurch ergibt sich für die Kinder und Jugendlichen eine Gefahr der Vernachlässigung (vgl. HEYNEN 2001, S.87). Es kann aber auch passieren, dass die Kinder und Jugendlichen parentifiziert werden; das heißt, sie übernehmen die Rolle ihrer Mutter. Sie unterstützen und trösten diese und kümmern sich um ihre jüngeren Geschwister (vgl. DLUGOSCH 2010, S.40; vgl. HEYNEN 2001, S.87). Im Falle ökonomischer Gewalt des Täters gegen die Frau leiden diese und die Kinder und Jugendlichen zusätzlich häufig unter Armut und/oder sozialer Benachteiligung (vgl. HEYNEN 2001, S.90). Das Erleben der Kinder und Jugendlichen In dieser Arbeit wird häusliche Gewalt als Partnerschaftsgewalt verstanden, speziell als Gewalt des Mannes gegen seine Partnerin. Aus Sicht der Kinder und Jugendlichen kann der Gewalttäter sowohl der leibliche Vater, der angeheiratete Stiefvater, der soziale Vater oder lediglich der Partner der Mutter sein. Die gewählte Formulierung (Stief-)Vater beinhaltet all diese Möglichkeiten, wenn nicht anders erwähnt. Direktes Erleben In der Studie des BMFSFJ aus dem Jahr 2004 wird deutlich, welche Gewalthandlungen die befragten Frauen von aktuellen oder ehemaligen Beziehungspartnern erlitten. Aus 17 diesen Ergebnissen kann man deuten, was Kinder und Jugendliche, die in einem solchen Umfeld aufwachsen, miterleben. KAVEMANN hat beispielhaft und anschaulich zusammengefasst, was Kinder und Jugendliche erleben können oder müssen, wenn ihre Mutter misshandelt wird (vgl. KAVEMANN O.J., S.10f). Die Kinder und Jugendlichen sehen, wie der (Stief-)Vater die Mutter schlägt, stößt, boxt und tritt. Sie sehen, wie er sie mit Gegenständen schlägt oder diese nach ihr wirft, sie womöglich mit einer Waffe bedroht oder sie vergewaltigt. Sie sehen ihre Mutter zu Boden gehen, sich wehren und ihre Verletzungen (vgl. KAVEMANN o.J., S.10). Kinder und Jugendliche, die die Gewaltakte beobachten, sind meistens auch Ohrenzeugen. Manche Kinder und Jugendliche hören die Situation ausschließlich. Sie hören den (Stief-)Vater schreien und brüllen. Hören die Drohungen gegen ihre Mutter, Morddrohungen und Drohungen gegen die eigene Person. Sie hören die Beleidigungen, Beschimpfungen und Abwertungen des (Stief-)Vaters. Sie hören ihre Mutter ebenfalls schreien, den Täter beschimpfen, weinen, wimmern oder eventuell eine angsteinflößende Stille am Ende der Auseinandersetzung (vgl. KAVEMANN O.J., S.10). Außerdem spüren die Kinder und Jugendlichen den Zorn des Täters, die Angst der Mutter und der Geschwister und die bedrohliche Atmosphäre (vgl. KAVEMANN o.J., S.11). Welche Gedanken rasen durch den Kopf der Kinder und Jugendlichen, die solche Gewalttaten sehen und/oder hören müssen? Möglicherweise denken sie, der (Stief-)Vater könnte die Mutter töten. Sie denken, sie müssen sich einmischen, der Mutter helfen, die Geschwister fernhalten. Sie zweifeln an der Mutter und an ihrer eigenen persönlichen Wichtigkeit (vgl. KAVEMANN o.J., S.11). Physische Reaktionen Die direkten Reaktionen der Kinder und Jugendlichen während einer Gewaltsituation können ganz unterschiedlich ausfallen. Manche von ihnen zeigen Symptome eines Schocks, sind erstarrt, nicht ansprechbar, desorientiert und verwirrt. Eine andere passive Reaktionsmöglichkeit ist das Sich-Verstecken. Sowohl vor der Situation als auch den Beteiligten. Andere Kinder und Jugendliche reagieren aktiv auf die Situation und weinen und/oder schreien, suchen die körperliche Nähe zur Mutter oder schlagen um sich (vgl. BUSKOTTE 2007, S.99). Wie schon in der Studie des BMFSFJ erwähnt, gibt es aber auch Kinder und Jugendliche, die sich einmischen, um die Mutter zu beschützen oder den Täter zu bitten, aufzuhören. Dies betrifft zum größeren Teil die älteren Kinder und Jugendlichen (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.26; BUSKOTTE 2007, S.99; BMFSFJ 2004 b, S.277). 18 Befindlichkeit In seiner meta-analytischen Zusammenfassung über Effekte von Partnerschaftsgewalt auf die kindliche Entwicklung kommt KINDLER unter anderem zu dem Schluss, dass das Miterleben häuslicher Gewalt im Allgemeinen zu Beeinträchtigungen der Befindlichkeit der Kinder und Jugendlichen führt (vgl. KINDLER 2002, S.26). Im Blick auf die Kinder und Jugendlichen, die Beobachter häuslicher Gewalt sind, muss man sich die Bedeutung und die damit gegebenen Umstände häuslicher Gewalt ins Gedächtnis rufen (s. S. 8). Die Kinder und Jugendlichen erleben die Gewalt gegen ihre Mutter dort, wo sie am allerwenigsten stattfinden sollte: in ihrer Familie. Gewalt innerhalb der Familie steht im vollen Gegensatz zu dem, was die Familie bieten sollte; einen Platz von Unterstützung, Sicherheit, Vertrauen, Fürsorge und Liebe (vgl. DLUGOSCH 2010, S.23; SCHWEIKERT 2011, S.404). Nach JAFFE ET AL. führe dieser Umstand auch dazu, dass die Kinder und Jugendlichen sich zu Hause nicht behütet oder beschützt fühlen könnten (vgl. JAFFE ET AL. 1990 in DLUGOSCH 2010, S.54). Für die Kinder und Jugendlichen ist es des Weiteren in der Regel ein enormer Stress, die Bedrohung und/oder Verletzung einer ihrer engen Bezugspersonen miterleben zu müssen (vgl. SAUERMOST 2010, S.89; KINDLER 2013, S.45). Die Kinder und Jugendlichen sehen die Gewalt gegen ihre Bezugsperson als Bedrohung ihrer emotional sicheren Bindung zu dieser. Dadurch empfinden sie ihre eigene innere Sicherheit als verloren und die Gewaltsituationen als stark belastend, verunsichernd und überfordernd (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND, 2011, S.26). Außerhalb einer Gewaltsituation können sich Unsicherheiten beispielsweise darin zeigen, dass die Kinder und Jugendlichen versuchen, den Kontakt zum Täter zu vermeiden, indem sie sich nicht in der Wohnung bewegen. Besonders bei Kindern kann es vorkommen, dass sie nicht laut sein oder Fehler machen wollen und sich deswegen nicht trauen, zu spielen. Das wiederrum kann Auswirkungen auf ihr Explorationsverhalten haben (vgl. DLUGOSCH 2010, S.54). In den Kindern und Jugendlichen herrscht meist ein emotionales Chaos. Vor allem Angst ist ein ständiger Begeleiter. Angst vor den Gewaltausbrüchen des (Stief-)Vaters, Angst um die Mutter, Angst um Geschwister und sich selbst (vgl. DLUGOSCH 2010, S.54; BUSKOTTE 2007, S.101). Besonders der drohende Verlust der Mutter ruft in den Kindern und Jugendlichen große Angst hervor. Beispielsweise wenn die Mutter das Haus nur verlassen darf, wenn sie mindestens eines ihrer Kinder im Haushalt zurücklässt. Extrem ist die Angst der Kinder und Jugendlichen außerdem davor, dass einer der Beteiligten getötet werden oder Suizid begehen könnte (vgl. HEYNEN 2001, S.88). Auf den Sonderfall des Tötungsdeliktes als Folge häuslicher Gewalt wird später eingegangen. Weitere 19 dominierende Emotionen der Kinder und Jugendlichen sind Mitleid gegenüber der Mutter, Hilfslosigkeit, Erstarrung und Ohnmacht (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.26; KINDLER 2013, S.27). Ebenso entwickeln viele Kinder und Jugendliche ein Verantwortungs- beziehungsweise Schuldgefühl. Sie glauben, sie seien der Grund für die Gewalttätigkeit des (Stief-)Vaters (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.26; DLUGOSCH 2010, S.55; BUSKOTTE 2007, S.100). Dies kann vor allem dann verstärkt auftreten, wenn eine Situation auf Grund einer Diskussion zwischen den Erwachsenen über die Kinder und Jugendlichen eskaliert (vgl. BUSKOTTE 2007, S.100). Das Schuldgefühl kann in Verbindung mit dem Gefühl der Hilfslosigkeit auftreten. Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich schuldig, verantwortlich und hilflos, da sie oft nicht in den Konflikt eingreifen, beziehungsweise sich Vorwürfe machen, nicht eingegriffen zu haben oder die Gewalt nicht zu verhindern gewusst zu haben (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.26; DLUGOSCH 2010, S.55; BUSKOTTE 2007, S.100). Viele schämen sich auch für ihr vermeintliches Versagen (vgl. BUSKOTTE 2007, S.101). Diese Scham kann unter anderem ein Grund dafür sein, dass die Kinder und Jugendlichen sich niemandem anvertrauen, sondern das „Familiengeheimnis“ für sich behalten (vgl. DLUGOSCH 2010, S.55). Besonders in Gewaltpartnerschaften in denen der Gewalttäter auch der Kindesvater ist oder eine enge Bindung zum Partner der Mutter besteht, geraten Kinder und Jugendliche in Loyalitätskonflikte. Auf der einen Seite leiden sie mit der Mutter, empfinden Mitleid und möchten ihr helfen. Auf der anderen Seite mögen sie auch den (Stief-)Vater und haben Sehnsucht nach Harmonie (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.26; BUSKOTTE 2007, S.101). Eine andere Möglichkeit kann sein, dass die Kinder und Jugendlichen ihrer Mutter gegenüber Wut und/oder Enttäuschung empfinden, sich nicht beschützt fühlen oder den (Stief-)Vater lediglich verachten, fürchten und ihn für sein Handeln hassen (vgl. BUSKOTTE 2007, S.101). Wirkfaktoren Das Erleben, die Reaktionen und die Befindlichkeit der betroffenen Kinder und Jugendlichen sind abhängig von ihrer Sichtweise auf die Dinge. Wie sie die Gewalt zwischen den Erwachsenen erleben, wie sie darauf reagieren und wie sich dies auf ihre Befindlichkeit auswirkt, steht in Zusammenhang mit ihrem Alter, ihrem Entwicklungsstand, der Form ihrer Betroffenheit, sowie Art und Schweregrad der Gewalthandlungen, die sie miterlebt haben (vgl. DLUGOSCH 2010, S.53). Das Empfinden für das Erlebte ist umso schlimmer, je jünger die Kinder und Jugendlichen sind (vgl. 20 BUSKOTTE 2007, S.98). Psychologische Forschungen haben außerdem ergeben, dass die Kinder und Jugendlichen umso mehr leiden, je öfter sie Gewaltsituationen ausgesetzt sind. Es ist nicht möglich, dass sie sich an die Gewalt gewöhnen (vgl. BUSKOTTE 2007, S.99). Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen Immer mehr Studien über Kinder und Jugendliche als Zeugen häuslicher Gewalt belegen Zusammenhänge zwischen dem Miterleben häuslicher Gewalt und langfristiger Auswirkungen auf die Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.27; DLUGOSCH 2010, S.57). In diesem Kapitel werden Wirkfaktoren für die Auswirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche genannt, die möglichen Auswirkungen und die Art der Vermittlung erörtert. Abschließend wird als Sonderfall häuslicher Gewalt der Tötungsdelikt und dessen mögliche Folgen für alle Beteiligten vorgestellt. Wirkfaktoren Die Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sind, wie das Erleben, abhängig von diversen Faktoren. Beispiele hierfür sind Alter, Geschlecht, Entwicklungsstand, individuelles Temperament sowie Umgang mit Belastungen und Stress (vgl. HUGHES/LUKE 1998 in DLUGOSCH 2010, S.57). Auch die Häufigkeit, der Schweregrad und die Art der Gewalthandlung spielen eine Rolle (vgl. RABE/KAVEMANN 2007, S.245). So ergab die „Dunedin Längsschnittstudie“, dass Kinder und Jugendliche, die häufiger der Partnerschaftsgewalt ausgeliefert waren, stärkere Beeinträchtigungen zeigten, als Kinder und Jugendliche, die selten betroffen waren (vgl. KINDLER/DRECHSLER 2003, S.218). Durch die verschiedenen Wirkfaktoren können die Auswirkungen von Betroffenem zu Betroffenem unterschiedlich ausfallen. Es ist also zu beachten, dass nicht jede Folge miterlebter Gewalt alle Kinder und Jugendlichen betrifft, beziehungsweise im selben Ausmaß vorliegt. Auswirkungen auf das Verhalten Einer der am meisten verwendeten diagnostischen Fragebögen weltweit ist die „Child Behavior Checklist (CBCL)“. Durch die häufige Anwendung dieses Fragebogens hat man vergleichbare Daten über die Belastung von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Belastungssituationen (vgl. KINDLER 2002, S.9f). So auch zum Themenbereich von Kindern und Jugendlichen als Zeugen häuslicher Gewalt. Allerdings liefert die CBCL keine Diagnosen von Störungen, sondern unterscheidet die Belastung in Hinsicht auf zwei 21 Symptomatiken: Internalisierung und Externalisierung (vgl. KINDLER 2002, S.10). Internalisierte Störungen sind nach innen gerichtet, zum Beispiel Angststörungen, depressive Züge oder sozialer Rückzug (vgl. KINDLER 2010, S.31; KINDLER 2002, S.10). Externalisierte Störungen sind nach außen gerichtet, zum Beispiel aggressives Verhalten, Unruhe oder Verletzung von Regeln (vgl. KINDLER 2010, S.30; KINDLER 2002, S.10). Die Auswirkungen werden in der Effektstärke „d“ gemessen. Mit Hilfe dieser Maßeinheit ist es möglich, verschiedene Belastungen für Kinder und Jugendliche vergleichbar zu machen (vgl. KINDLER 2002, S.10). Demnach wirkt sich das Miterleben häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche mit einem starken ungünstigen Effekt in Form internalisierter Verhaltensauffälligkeiten und mit einem mittleren ungünstigen Effekt in Form externalisierter Verhaltensauffälligkeiten aus. Um diese Ergebnisse einordnen zu können, hilft der Vergleich mit anderen Effekten. So ergab der Vergleich, dass das Miterleben häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche den gleichen Effekt hat, als würden sie mit einem Elternteil aufwachsen, der alkoholabhängig ist oder als würden sie selbst körperlich misshandelt (vgl. KINDLER 2002, S.13). Auswirkungen auf die kognitive und soziale Entwicklung Anfängliche Vermutungen, das Miterleben von häuslicher Gewalt könne sich negativ auf die Lernbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit der betroffenen Kinder und Jugendlichen auswirken, wurden mit den Jahren von verschiedenen Studien bestätigt (vgl. KINDLER 2013, S.36; KINDLER 2005, S.113f). Eine Studie aus England konnte sogar zeigen, dass die intellektuelle Leistungsfähigkeit betroffener Kinder und Jugendlicher geringer war, je häufiger diese häusliche Gewalt miterlebt hatten (vgl. KOENEN ET AL. 2003 in KINDLER 2013, S.36). Zudem fand man heraus, dass im Durchschnitt eine Intelligenzminderung von 8 IQ-Punkten vorlag. Dies stellt eine Differenz dar, die nicht durch diverse Förderungen der Kinder und Jugendlichen ausgeglichen werden kann (vgl. KINDLER 2013, S.37). Weiter fand man heraus, dass in Folge des kognitiven Entwicklungsrückstands der betroffenen Kinder und Jugendlichen diese geringere Erfolge in der Schule erzielten und häufiger als andere Kinder und Jugendliche von Lernschwierigkeiten betroffen waren. Beispielsweise zeigten demnach ein Teil der Kinder und Jugendlichen größere Defizite beim Lesen (vgl. MATHIAS ET AL. 1991 in KINDLER 2013, S.37). Sie können sich schlecht konzentrieren, haben Probleme mit dem Lernen und schreiben dadurch schlechte Noten (vgl. BUSKOTTE 2007, S.100). 22 Studien zu Auswirkungen des Miterlebens häuslicher Gewalt auf die soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zeigten unter anderem einen negativen Einfluss auf die Beziehungsgestaltung zu Gleichaltrigen (vgl. KATZ ET AL. 2007 in KINDLER 2013, S.37). Andere Studien konnten Verbindungen zum späteren Dulden oder Ausüben von Partnerschaftsgewalt herstellen (vgl. EHRENSAFT Weitere Untersuchungen ET AL. 2003 in KINDLER 2013, S.37). (GRAHAM-BERMANN/BRESCOLL 2000; GRAHAM- BERMANN/LEVENDOSKY 1997; MOORE/PEPLER 1998; MCOOSKEY/STUEWIG 2001; BA1LIFSPANVILL ET AL. 2003 alle in KINDLER 2013, S.37f). ergaben, dass Kinder und Jugendliche, die Zeugen häuslicher Gewalt geworden waren, Stereotypen von Geschlechterrollen bildeten, eher zu Aggressivität neigten, Probleme bei der Herstellung von Freundschaften hatten und in ihrer konstruktiven Konfliktbewältigung beschränkt waren (vgl. KINDLER 2013, S.37). Die soziale Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen wird also sowohl in ihren Beziehungsfähigkeiten als auch im Umgang mit Konflikten im späteren Leben beeinträchtigt (vgl. KINDLER 2013, S.38). Auswirkungen auf das Bindungsverhalten Zum Thema Risiken der kindlichen Entwicklung schreibt HELLBRÜGGE: „Hauptgefahr: Verlust der Mutter-Kind-Bindung“ (HELLBRÜGGE 2009, S.36). Zu Anfang des Kapitels wurde bereits beschrieben, dass durch eine Zwangsschwangerschaft eine Störung der Mutter-Kind-Bindung entstehen kann. Auch die Loyalitätskonflikte, die Kinder und Jugendliche im Zusammenhang mit Partnerschaftsgewalt erleben, können die Beziehung zur Mutter und zum (Stief-)Vater beeinflussen (s. S. 20). Für Bowlby spielen Beziehungen eine sehr große Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. HOLMES 2006, S.130). Mit Hilfe des Fremde-SituationTest legten AINSWORTH vermeidende, ET AL. vier Arten von Bindungen fest: sichere, unsicher- unsicher-ambivalente und unsicher-desorganisierte Bindungen (vgl. AINSWORTH ET AL. 1987 in HOLMES 2006, S.128f). Langzeitstudien konnten zeigen, dass die Feinfühligkeit der Mütter gegenüber ihren Kindern ausschlaggebend für den Bindungstyp ist. Demnach entwickeln Kinder feinfühliger Mütter eher eine sichere Bindung, wohingegen Kinder weniger feinfühliger Mütter zur Entwicklung unsicherer Bindungen tendieren (vgl. HOLMES 2006, S.131). Die Feinfühligkeit zeigt sich unter anderem darin, als Mutter zu bemerken, wenn das Kind weint, zu erkennen wieso es weint und dann auf das Bedürfnis des Kindes einzugehen (vgl. BRISCH 2009, S.36). Ebenfalls 23 bereits erwähnt wurde, dass die von Gewalt betroffenen Frauen mit ihrer Situation überfordert sein können, die Kinder und Jugendlichen ihre Mutter unterstützen (müssen) und die Verletzung ihrer Bezugsperson als Verlust der eigenen inneren Sicherheit erleben (s. S. 19). In Angstsituationen suchen vor allem Kinder Schutz bei ihrer Bezugsperson. Ist die Bezugsperson die Mutter und diese von häuslicher Gewalt betroffen, kann sie dem Kind oder Jugendlichen als Geschwächte in der Situation keinen Schutz bieten (vgl. DLUGOSCH 2010, S.64). Der (Stief-)Vater stellt als Gewalttäter eine für die Kinder und Jugendlichen nicht einschätzbare Person dar. Sein ambivalentes Verhalten macht den Aufbau einer sicheren Bindung so gut wie unmöglich (vgl. DLUGOSCH 2010, S.65). Ein Beispiel für die Störung der Bindung zwischen Mutter und Kind ist die Parentifizierung (vgl. DLUGOSCH 2010, S.66). Dies kann sich ebenfalls auf zukünftige Beziehungen der Betroffenen auswirken. Auswirkungen in Form von Traumatisierung Das Wort „Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt „Wunde“ (vgl. WEIß 2004, S.17). Im psychologischen Zusammenhang kann ein Trauma als eine Verletzung der Seele gesehen werden (vgl. WEINBERG 2013, S.19). Den Verlauf eines Traumas teilt WEINBERG in das Trauma-Ereignis, die Trauma-Reaktion und die TraumaFolgen (vgl. WEINBERG 2012, S.23). Traumata können durch belastende Ereignisse ausgelöst werden, die bisherige Anpassungs- und Bewältigungsstrategien übersteigen und damit eine Bedrohung für die Betroffenen darstellen (vgl. ECKHARDT 2005, S.9; WEIß 2004, S.17). Man unterscheidet diese Ereignisse nach TERR zwischen einmalig vorkommenden Traumata (Typ I) und anhaltende und/oder sich wiederholende Traumata (Typ II) (vgl. TERR 1991 in JARITZ/WIESINGER/SCHMID 2008, S.267; ECKHARDT 2005, S.9). Weiter kann unterteilt werden, was die Ursache für das traumatische Erlebnis ist. Ein möglicher Auslöser können Naturkatastrophen oder schwere Schicksalsschläge sein, andere Auslöser werden „man-made“ genannt. Damit sind Ereignisse gemeint, die durch jeweils einen oder mehrere Menschen ausgeführt werden und einen oder mehrere Menschen treffen (vgl. REDDEMANN/DEHNER-RAU 2004, S.13f). Bei man-made-Traumata ist es nach WEINBERG wichtig, zu beachten, ob das Trauma von einem Fremden oder einer Bezugsperson ausgelöst wird (vgl. WEINBERG 2012, S.23). Spezifische Auslöser können zum Beispiel aktive und passive Kriegserfahrungen sein, Verkehrsunfälle, Verlust einer nahestehenden Person, Misshandlung in Form physischer, psychischer und/oder sexueller Gewalt und Vernachlässigung, das Miterleben von Gewaltanwendungen, schwere 24 Krankheiten der eigenen oder anderer Personen (vgl. ECKHARDT 2005, S.11f; . REDDEMANN/DEHNER-RAU 2004, S.17). Übliche Trauma-Reaktionen sind Kampf, Flucht, Täuschung und Erstarrung (vgl. HEINERTH 2003 in WEINBERG 2013, S.27). Der Stressreaktion in Form von Kampf steht Flucht gegenüber. Man kann sagen, dass sich die betroffene Person der Situation entweder stellt und sich wehrt, oder aber flieht. Diese Reaktionen sind auch im Tierreich zu beobachten. Sie kosten jedoch viel Kraft. Kinder und Jugendliche sind deshalb seltener als Erwachsene in der Lage, sich zu stellen oder zu fliehen (vgl. WEINBERG 2013, S.27-30; HUBER 2007, S.41f). Mit Hilfe von Täuschung wird versucht, die Vermeidung oder Schwächung von Bedrohungen herbeizuführen. Zum Beispiel kann beobachtet werden, dass misshandelte Kinder sich ihren Peinigern gegenüber nett und fröhlich verhalten, sonst aber eher Abweisung zeigen (vgl. WEINBERG 2013, S.30f). Mit dem Vortäuschen, dass alles gut sei, soll der Täter irritiert werden, beziehungsweise sehen, dass seine Taten dem Betroffenen nicht schaden können. Erstarrung kann eine Distanzierung vom Geschehen bedeuten (vgl. HUBER 2007, S.43). Betroffene scheinen in eine lähmende Schockstarre zu verfallen (vgl. WEINBERG 2013, S.34f). Die Trauma-Folgen sind vielseitig und -schichtig. Bleibt die Trauma-Reaktion erfolglos und das Trauma kann nicht bearbeitet werden, folgen meist akute Belastungsreaktionen. Diese Symptome dauern im Normalfall bis zu mehreren Tagen und klingen im Laufe von wenigen Wochen ab. Wird der Akutzustand nicht behandelt oder verarbeitet, folgt möglicherweise eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (vgl. WEINBERG 2013, S.40f; GAHLEITNER 2011, S.910). Weiter ist die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen und anderen Störungen eine mögliche Folge traumatischer Erlebnisse und deren Nicht-Verarbeitung (vgl. WEINBERG 2013, S.40f; GAHLEITNER 2011, S.910). Nach KINDLER liegt eine PTBS dann vor, „wenn ein Kind nach belastenden Erfahrungen einer tatsächlichen oder angedrohten ernsthaften Verletzung der eigenen Person oder nahestehender Personen durch sein Verhalten über längere Zeit hinweg eine hohe psychische Belastung zum Ausdruck bringt, die eine normale Bewältigung altersentsprechender Entwicklungsaufgaben behindert“ (KINDLER 2002, S.17). In der aktuellsten deutschen Version der INTERNATIONALEN STATISTISCHEN KLASSIFIKATION DER KRANKHEITEN UND VERWANDTER GESUNDHEITSPROBLEME (ICD-10GM VERSION 2014) findet man unter F43.1 die Posttraumatische Belastungsstörung. WEINBERG kritisiert, dass in dieser Klassifizierung zwar auf Symptomatiken für 25 Jugendliche und Erwachsene eingegangen wird, nicht jedoch auf spezielle Aspekte des Kindesalters (vgl. WEINBERG 2013, S.19; S.105). Aus diesem Grund stellt sie die typischen Symptome der PTBS bei Jugendlichen und Erwachsenen den Symptomen bei Kindern gegenüber (vgl. WEINBERG 2013, S.105). Merkmale des Wiedererlebens äußern sich bei Jugendlichen und Erwachsenen beispielsweise in Erinnerungen durch Trigger, in Träumen oder in nachahmendem Handeln. Kinder ahmen unter anderem Erlebnisse beim Spielen nach oder haben Albträume. Vermeidung kann bei Erwachsenen und Jugendlichen durch Vermeidung von erinnernden Gedanken, Gefühlen und/oder Handlungen stattfinden oder sich in vermindertem Interesse, eingeschränkten Affekten und Körperwahrnehmung oder in einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit äußern. Kinder zeigen Vermeidung in Form von abgeschwächter Sensibilität, sie können nicht richtig spielen, wollen keine Ruhephasen, ziehen sich zurück, leben in eigenen Phantasiewelten, fühlen sich leer und gelangweilt oder verlieren Entwicklungsfähigkeiten. Ein überhöhtes Erregungsniveau zeigt sich bei Erwachsenen und Jugendlichen in Schlafstörungen, Reizbarkeit, Schwierigkeiten bei der Konzentration oder übermäßigen Schreckreaktionen. Typische Verhaltensmerkmale bei Kindern sind zum Beispiel nachts aufzuwachen, Angst ins Bett zu gehen zu haben, hyperaktiv, ungehorsam und aggressiv zu sein oder Strafen zu provozieren (vgl. WEINBERG 2013, S.105). Geschlechtsspezifische Auswirkungen Auffälligkeiten in Folge des Miterlebens häuslicher Gewalt treten bei Jungen und Mädchen annähernd gleich häufig auf (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.28). Jedoch haben Mädchen ein stärkeres Gefühl der Verantwortlichkeit für Gewaltsituationen und zeigen externalisierte Belastungen eher im engen Sozialraum. Jungen empfinden Bedrohungen intensiver und sind gefährdeter, externalisierte Störungen langfristig beizubehalten (vgl. MINISTERIUM DER JUSTIZ SAARLAND 2011, S.28). Im Hinblick auf die verschiedenen Geschlechter wirkt sich das Miterleben häuslicher Gewalt für die Kinder und Jugendlichen außerdem auf ihre Vorstellung von Geschlechterrollen aus (vgl. DLUGOSCH 2010, S.77). Auf Grund der Gewalt des (Stief-)Vaters gegen die Mutter assoziieren die Kinder und Jugendlichen Frauen eher mit Unterwerfung und Männer mit Dominanz und Gewalt (vgl. STRASSER 2001, S.224). Die Jungen und Mädchen identifizieren sich über ihre Erfahrungen mit ihrem eigenen Geschlecht und bilden darüber die eigene Identität (vgl. HEYNEN 2001, S.91). Es besteht die Möglichkeit, dass sich Jungen eher mit dem Täter identifizieren und verinnerlichen, dass Gewalt ein wirksames 26 Mittel zur Erfüllung der eigenen Wünsche und Interessen sein kann. Über die Abwertung der Frau in ihrer Rolle als Opfer kann eine Steigerung des männlichen Selbstwertgefühls erfolgen (vgl. WETZELS 1997 in HEYNEN 2001, S.91). Identifizieren sich Mädchen über die Mutter mit der Opferrolle der Frau, kann es sein, dass sie zwar Mitleid mit der Mutter haben, die Gewalthandlungen aber auch als Normalität ansehen. Das kann im späteren Leben der Mädchen dazu führen, dass sie ebenfalls in gewalttätigen Beziehungen leben und die Autorität und Gewalt ihrer Partner akzeptieren (vgl. WETZELS 1997 in HEYNEN 2001, S.91f). Nach LAMNEK/RUEDTKE/OTTERMANN ist bei Mädchen und Jungen, die Zeugen häuslicher Gewalt wurden, außerdem die Wahrscheinlichkeit höher, später in eigenen Partnerschaften eine gewalttätige Konfliktlösung inne zu haben (vgl. LAMNEK/RUEDTKE/OTTERMANN 2012, S.99). Resilienz Langzeitstudien haben gezeigt, dass sich manche Kinder und Jugendliche trotz erschwerter Lebensumstände gesund entwickelten (vgl. WERNER 2006 in WIEGAND-GREFE 2013, S.708). Mit diesem Umstand beschäftigt sich die Resilienzforschung. Der Begriff Resilienz stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „abprallen“ (vgl. WIEGAND-GREFE 2013, S.708). Man kann die Fähigkeit zur Resilienz als seelische Widerstandskraft sehen. Sie wird nicht angeboren, sondern entwickelt sich im Laufe des Lebens (vgl. FRÖHLICHGILDOFF/RÖNNAU-BÖSE 2011, S.720). Verschiedene Studien konnten zeigen, dass eine standhafte emotionale Bindung zu einer Bezugsperson für Kinder und Jugendliche den wichtigsten Teil der Resilienzentwicklung darstellt (vgl. FRÖHLICH-GILDOFF/RÖNNAUBÖSE 2011, S.720). Andere wichtige Faktoren zur Resilienzentwicklung von Kindern und Jugendlichen sind ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung, Selbstwirksamkeit, Selbststeuerung, soziale Kompetenz, Strategien zur Problemlösung und Stressbewältigung (vgl. FRÖHLICH-GILDHOFF/DÖRNER/RÖNNAU 2007 in FRÖHLICH-GILDOFF/RÖNNAU-BÖSE 2009, S.14f). Vermittlungswege Nachdem erörtert wurde, dass das Miterleben häuslicher Gewalt Auswirkungen auf betroffene Kinder und Jugendliche haben kann, stellt sich die Frage, wie genau diese Auswirkungen zu Stande kommen können. Es gibt nach KINDLER sechs verschiedene Wege, auf denen sich das Miterleben häuslicher Gewalt auf die Entwicklung der Kinder 27 und Jugendliche auswirken kann: die Vermittlung über weitere Belastungsfaktoren, über geteilte genetische Merkmale, über biologische Mechanismen, über die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Gewalttäters, über die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Gewaltopfers oder über die direkte innerpsychische Verarbeitung des Miterlebens (vgl. KINDLER 2013, S.39f). Vermittlung über weitere Belastungsfaktoren Zusätzlich zum Erleben häuslicher Gewalt können Kinder und Jugendliche noch anderen Belastungen ausgesetzt sein, die eventuell zur Beeinträchtigung der Entwicklung beitragen. Sind die Kinder und Jugendlichen auch selbst von Gewalt in Form von Kindesmisshandlung betroffen, besteht die Möglichkeit, dass die Misshandlungen für die Beeinträchtigungen zumindest mitverantwortlich sind (vgl. KINDLER 2013, S.39). Kinder und Jugendliche die Zeugen häuslicher Gewalt sind, leben mit einem erhöhten Risiko zusätzlich Opfer von Misshandlung und/oder Vernachlässigung zu werden, einen suchtkranken Elternteil zu haben oder mehrfach Erfahrungen mit Trennungen zu machen (vgl. KINDLER 2013, S.40; KINDLER 2002, S.35). Auf der einen Seite zeigen verschiedene Studien, dass Kinder und Jugendliche, die sowohl Gewalt beobachtet als auch selbst erfahren haben, stärker belastet waren als Kinder und Jugendliche, die ausschließlich Zeugen häuslicher Gewalt waren (vgl. KINDLER 2002, S.37). Auf der anderen Seite konnte aber auch festgestellt werden, dass das Miterleben von Gewalt ohne eigene Misshandlung eine ebenso gravierende Belastung für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen darstellt (vgl. KINDLER 2013, S.40; KINDLER 2002, S.38). Vermittlung über geteilte genetische Merkmale KINDLER sieht die Vermittlung über genetische Merkmale in der Kritik, da der Beweis genetischer Ursachen einer Störung oftmals die Auffassung nach sich ziehe, pädagogische und psychologische Hilfen seien in diesen Fällen nutzlos (vgl. KINDLER 2013, S.41). Studien zu anderen Themen haben bereits bewiesen, dass es Zusammenhänge zwischen verschiedenen Bereichen der Lebens- und Erziehungsumwelt, zum Beispiel Aggressivität, und Genetik gibt (vgl. KINDLER 2002, S.41). Jedoch folgten ihnen wiederum andere Studien mit gegenteiligen Ergebnissen. Untersuchungen mit Zwillingen und die Auswirkungen häuslicher Gewalt auf deren Entwicklung zeigten, dass Auffälligkeiten auch unabhängig von genetischen Merkmalen auftraten (vgl. JAFFE ET AL. 2002 in KINDLER 2002, S.42). Eine aktuelle Studie stellte zudem fest, dass auch zwischen den Entwicklungsauffälligkeiten adoptierter Kinder und der Aggressivität zwischen den nicht28 leiblichen Eltern Zusammenhänge bestanden (vgl. STOVER ET AL. 2012 in KINDLER 2013, S.41). Genetische Merkmale sind also kein unbedingter Faktor für Verhaltensauffälligkeiten. Vermittlung über biologische Mechanismen In den letzten Jahren wurden bereits vorliegende Studien zur Vermittlung über biologische Mechanismen von neuen Untersuchungen ergänzt. Zusammengefasst konnten die Studien beispielsweise feststellen, dass das Miterleben häuslicher Gewalt auch dauerhaft Physiologie und Entwicklung des Hirns verändern kann (vgl. MCCROY ET AL. 2012 in KINDLER 2013, S.41). Vor allem frühe und wiederholte Erfahrungen können Veränderungen des Stresshormonsystems, der Selbstregulation, des autonomen Nervensystems und der Epigenetik zur Folge haben. Bei einem Teil der betroffenen Kinder und Jugendlichen können diese über längere Zeiträume hinweg fortbestehen. Jedoch konnten die Studien auch nachweisen, dass die Veränderungen auch durch elterliche Fürsorge und Unterstützung positiv beeinflusst werden können (vgl. HIBEL ET AL. 2011; KATZ/RIGTERINK 2012 beide in KINDLER 2013, S.41). Vermittlung über die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Gewalttäters Eine gelingende Erziehung und Beziehung zwischen dem gewaltausübenden (Stief-)Vater und den Kindern und Jugendlichen gestaltet sich oftmals als äußerst schwierig. Das liegt unter anderem daran, dass diese (Stief-)Väter oftmals auffallend selbstbezogen, in der Erziehung wenig konstant oder vom autoritären Erziehungsstil überzeugt sind (vgl. SCHWABE-HÖLLEIN/KINDLER 2006 in KINDLER 2013, S.42). Auch das Bindungsverhalten spielt hier eine Rolle. Im Abschnitt über Bindungsstörung wurde bereits beschrieben, dass Kinder und Jugendliche eine eher unsichere Bindung zum Gewalttäter haben. Sie erleben den (Stief-)Vater häufig weder als einschätzbar noch als fürsorglich. Keine Gewalt erscheint den Kindern und Jugendlichen dann Fürsorge genug (vgl. KINDLER 2013, S.42). Durch seine Ambivalenz trägt der (Stief-) Vater in Form seiner eingeschränkten Erziehungsfähigkeit zur Belastung der Kinder und Jugendlichen bei (vgl. KINDLER 2013, S.42f). Vermittlung über die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Opfers Ein bemerkenswertes Ergebnis verschiedener Studien zur Erziehungsfähigkeit gewalterlebender Mütter ist, dass oft keine Einschränkungen dieser vorzuliegen scheinen. Stattdessen legen viele der Frauen ein normales Erziehungsverhalten an den Tag oder 29 versuchen sogar durch ausgeprägte Fürsorge die Belastungen für die Kinder und Jugendlichen zu minimieren (vgl. TAILOR/LETOURNEAU 2012 in KINDLER 2013, S.43). Die vielfach vorkommenden unsicheren Bindungen lassen aber vermuten, dass es den Müttern nicht über einen längeren Zeitraum gelingen kann, dieses Fürsorgeverhalten aufrecht zu erhalten, da sie durch die Gewalt des Partners belastet sind (vgl. KINDLER 2013, S.43). Nach Beendigung der Gewalt können die Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit wieder neutralisiert werden. Besonders wenn sich die Mütter Unterstützung holen, zum Beispiel in Form von Hilfen zur Erziehung. Allgemein kann gesagt werden, dass die temporären Einschränkungen als Teil der Gründe für Entwicklungsbeeinträchtigungen betroffener Kinder und Jugendlicher gesehen werden kann (vgl. KINDLER 2013, S.43). Vermittlung durch die direkte innerpsychische Verarbeitung des Miterlebens Das Miterleben häuslicher Gewalt stellt für die Kinder und Jugendlichen die Verletzung ihrer Bezugsperson dar, wodurch sie enormen Stress empfinden. Sie erleben quasi den Verlust ihrer eigenen emotionalen Sicherheit durch die Gewalt gegen die Mutter (vgl. KINDLER 2013, S.46). Da sie sich, wie schon erklärt wurde, nicht an diesen Stress und die Belastungen gewöhnen können, besitzen betroffene Kinder und Jugendliche eine sensiblere Alarmbereitschaft als nicht betroffene (vgl. KINDLER 2013, S.46). Sie fühlen sich schuldig, verantwortlich und haben enorme Angst, vor allem um das eigene Wohl und das der Mutter (vgl. KINDLER 2013, S.46). Die Folgen häuslicher Gewalt wirken sich über das Erleben und die Befindlichkeit der Kinder und Jugendlichen direkt auf deren Entwicklung aus. Sonderfall: Tötungsdelikt Ein Sonderfall von Folgen häuslicher Gewalt ist der Tod einer der Beteiligten. Die aktuelle POLIZEILICHE KRIMINALSTATISTIK zeigt die Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung in Partnerschaften. So waren in 15,5% der Fälle von knapp 2000 Tötungsversuchen die aktuellen oder ehemaligen Partner des Opfers tatverdächtig. Bei tatsächlicher Tötung (578 Fälle) waren ein Fünftel der Partner tatverdächtig (vgl. BUNDESMINISTERIUM DES INNEREN 2012, S.28). Diese Statistik wird nicht weiter nach Geschlecht differenziert. Ein Artikel der SÜDDEUTSCHEN benennt für das Jahr 2011 Tötungen von 313 Frauen, wobei in 154 Fällen der aktuelle oder ehemalige Partner als tatverdächtig galt (vgl. SUEDDEUTSCHE 2012 in HEYNEN 2013, S.68). HEYNEN beschreibt als Ergebnis verschiedener Studien, dass hauptsächlich Männer und nur selten Frauen die Täter in Tötungsdelikten sind. In vielen Fällen ist die bevorstehende oder schon vollzogene Trennung Grund für den Täter, die 30 (ehemalige) Partnerin zu töten. Im Gegensatz dazu töten Frauen ihren Partner aus einer Notwehr heraus, um die Gewalt zu beenden und sich von diesem zu befreien (vgl. HEYNEN 2010, S.69; HEYNEN 2005, S.313). Die Gefahr tödlicher Gewalt richtet sich gegen jede Person im Familiengefüge. Kinder und Jugendliche können als Racheakt getötet werden, die Partnerin selbst wird Opfer der Tötung oder der Täter tötet sich selbst. Diese Formen können auch in Kombination vorkommen (vgl. HEYNEN 2005, S.314). Es wird weiterhin Gewalt eines Mannes gegen seine Partnerin angenommen. Im Falle der Tötung ihrer Mutter kommen zu den ohnehin bestehenden Auswirkungen der Partnerschaftsgewalt der schmerzliche Verlust einer engen Bindungsperson der Kinder und Jugendlichen. Der Tod der Mutter stellt für die Kinder und Jugendlichen in der Regel ein traumatisierendes Ereignis dar, welches eine große Veränderung des Lebens mit sich bringt (vgl. ECKARDT 2005, S.12; HEYNEN 2005, S.315). Erschwerend kommt hinzu, dass die Kinder und Jugendlichen den Täter als letzte, wenn auch unsichere, Bindungsperson ebenfalls verlieren. Entweder durch Selbstmord oder auf Grund einer Haftstrafe. In der Auseinandersetzung mit dem Thema kann es vorkommen, dass Kinder und Jugendliche sich mit dem Täter identifizieren und Ähnlichkeiten zwischen ihm und sich selbst sehen (vgl. HEYNEN 2005, S.315). Für die Kinder und Jugendlichen können die polizeilichen Ermittlungen und/oder eine eventuelle Aussage vor Gericht belastend sein (vgl. HEYNEN 2010, S.72). Andere Veränderungen und Belastungen im Leben der Kinder und Jugendlichen können durch ihre Unterbringung bei anderen Familienangehörigen oder möglicherweise im Heim, ein damit verbundener Schulwechsel und der Verlust ihres sozialen Umfelds sein (vgl. HEYNEN 2010, S.72). Abschließend kann gesagt werden, dass die Anzahl betroffener Kinder und Jugendlicher vom Miterleben häuslicher Gewalt bisher nur geschätzt werden kann. Kinder und Jugendliche können sowohl direkt als auch indirekt von häuslicher Gewalt betroffen sein. Die Zeugung durch eine Vergewaltigung und Gewalt in der Schwangerschaft richten sich gegen die Kindesmutter, können aber ebenfalls Auswirkungen auf die Ungeborenen haben. Direkt betroffen sind Kinder und Jugendliche von häuslicher Gewalt dann, wenn sie selbst geschlagen werden. Eine wichtige und in der Vergangenheit oft vergessene Form der Betroffenheit von häuslicher Gewalt ist das Aufwachsen in einer gewaltbelasteten Atmosphäre und das damit verbundene Miterleben der Gewalt des (Stief-)Vaters gegen die 31 Mutter. Die Kinder und Jugendlichen sehen, hören und spüren die Gewalt, was zum einen sofortige physische Reaktionen hervorrufen kann und sich zum anderen auf ihre Befindlichkeit auswirkt. Hier und auch bei den verschiedenen Auswirkungen der Gewalt auf verschiedene Bereiche spielen Wirkfaktoren eine Rolle. So können Folgen häuslicher Gewalt je nach Alter, Geschlecht und Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen vorkommen. Das Miterleben häuslicher Gewalt kann für Kinder und Jugendliche Auswirkungen auf ihr Verhalten, ihre kognitive sowie soziale Entwicklung und ihr Bindungsverhalten haben. Nicht selten stellt das Miterleben häuslicher Gewalt für Kinder und Jugendliche ein traumatisches Erlebnis dar. Dies kann dazu führen, dass die Kinder und Jugendlichen unter posttraumatischen Belastungen leiden, die zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen können. Geschlechtsspezifisch können die Gewalterfahrungen Folgen für das Rollenverständnis der Mädchen und Jungen haben und sich in zukünftigen Beziehungen niederschlagen. Es gibt aber auch Kinder und Jugendliche, die sich nach Befunden der Resilienzforschung gesund entwickeln. Wie genau die Auswirkungen zu Stande kommen können, zeigen die verschiedenen möglichen Vermittlungswege über andere Belastungsfaktoren. Ebenfalls eine Rolle spielen geteilte genetische Merkmale, biologische Mechanismen, eingeschränkte Erziehungsfähigkeit von Täter und Opfer und die direkte Verarbeitung der Kinder und Jugendlichen. Einen Sonder- und Extremfall stellt für Kinder und Jugendliche die Tötung ihrer Mutter im Kontext häuslicher Gewalt dar. Hier kommen zu den bestehenden Belastungen durch die Gewalt möglicherweise Folgen einer deutlichen Traumatisierung, in allen Fällen aber eine erhebliche Veränderung des bisher geführten Lebens dazu. 32 Fallbeispiel Katja Im Folgenden sollen die im Vorangegangen beschrieben Aspekte und Hintergründe anhand eines Fallbeispiels aus der Praxis, dem „Fallbeispiel Katja“, verdeutlicht werden. Alle Angaben wurden anonymisiert. Katja V. ist 15 Jahre und wohnt seit März 2013 in einer Wohngruppe für traumatisierte Kinder und Jugendliche. Die folgenden Informationen stammen aus Aktennotizen, Unterlagen und Gesprächen mit Katjas Tante Monika C. und ihrem Onkel Tobias C. Abbildung 1: Genogramm Katja, Stand März 2013 Herkunft Katja V. kam im Herbst 1998 als Tochter von Markus V. und Luisa V., geborene C., in einer Kleinstadt in Sachsen auf die Welt. 33 Katjas Vater Markus V. wuchs bei seinen Eltern Werner und Marianne auf. Es ist bekannt, dass Werner V. ein Alkoholproblem hatte. Markus V. hatte keine gute Beziehung zu seinem Vater. Katjas Tante, Frau C., äußerte einmal die Vermutung, dass Werner V. seiner Familie gegenüber gewalttätig war. Ob dies der Wahrheit entspricht, ist nicht bekannt. Aus den Akten geht zudem hervor, dass Markus V. seiner Mutter gegenüber ein sehr dominantes Verhalten zeigte, wie im Laufe des Fallbeispiels noch deutlich werden wird. Nach seinem Hauptschulabschluss absolvierte Markus eine Lehre zum Klempner und nahm anschließend die Arbeit in einem Betrieb in seiner Heimatstadt auf. Kurz nach dem Tod seines Vaters lernte er Katjas Mutter Luisa kennen. Tobias C. berichtete, dass seine Schwester Luisa C. (Mutter von Katja) und auch er selbst keine angenehme Kindheit hatten. Mit 18 ist er von zu Hause ausgezogen und hat seine Schwester bei sich aufgenommen, welche gerade die Realschule beendete. Zu diesem Zeitpunkt brach der Kontakt zu den leiblichen Eltern ab. Als Luisa ihre Ausbildung im Einzelhandel begann, lernte sie Markus V. kennen und lieben. Die beiden wurden Anfang 1991 ein Paar. Tobias C. zog im gleichen Frühjahr berufsbedingt nach Baden-Württemberg. Dort lernte er seine zukünftige Frau Monika kennen. Während Tobias in Baden-Württemberg lebte, hatten er und seine Schwester Luisa, so berichtete Tobias, nur gelegentlich Kontakt. Katjas Kindheit Im Frühjahr des Jahres 2000 wurde Katjas Schwester Karolin geboren. Die Familie V. lebte in einer Wohnung im Haus von Großmutter Marianne. Tobias C. erzählte, dass er durch die Geburt seiner zweiten Nichte wieder häufiger Kontakt zu seiner Schwester Luisa und ihrer Familie hatte und sie sich gegenseitig oft besuchten. Monika und Luisa wurden gute Freundinnen. Monika kann keine Kinder bekommen, umso mehr liebt sie ihre Nichten Katja und Karolin. In Gesprächen mit Luisa erfuhr Monika auch von Markus‘ Gewalttätigkeit gegenüber seiner Frau und seiner Mutter Marianne. Über Jahre hinweg habe Markus seine eigene Mutter wie eine Sklavin in der Dachgeschosswohnung des Hauses gehalten. Er habe sie alle Hausarbeit machen lassen und manchmal habe er sie sogar eingesperrt. Luisa behandelte er wie sein Eigentum, so Monika. Ihr fielen zu dieser Zeit immer wieder blaue Flecken und andere Wunden an Luisas Körper auf, doch diese wollte nicht mit Monika darüber reden. Luisa habe immer wieder beteuert, dass sie Markus liebe und dass er ein wundervoller Vater für die beiden Mädchen sei. Markus vergötterte seine Töchter wie Prinzessinnen. Während Markus seine Mutter und seine Frau unmenschlich behandelt hat, waren seine Töchter sein Ein und Alles. Er habe Katja und 34 Karolin nach Angaben des Ehepaares C. immer alle Wünsche erfüllt. An Katjas achtem Geburtstag schenkte ihr Vater ihr ein Quad, ein motorisiertes vierräderiges Gefährt, mit dem Katja im großen Garten umher fahren durfte. Trotzdem übte Markus auch auf seine Kinder eine große Kontrolle aus. Wenn Luisa aus dem Haus ging, durfte sie nur eine ihrer Töchter mitnehmen, die andere behielt ihr Mann bei sich. Er brachte seine Mädchen überall hin, lies sie aber nie allein. Beispielsweise begleitete er seine Töchter auf Kindergeburtstage. Nach Außen schien er ein toller Vater zu sein, zu Hause aber war er der gewalttätige Ehemann. Was Katja und Karolin von der Gewalt gegen ihre Mutter mitbekamen, kann Monika nicht mit Sicherheit sagen. Als Monika an einem Frühlingstag des Jahres 2007 die Familie V. besuchen wollte, erlebte sie, wie Markus V. und seine Töchter im Garten mit Plastikmunition aus Softairwaffen auf Großmutter Marianne schossen. Luisa war in der Wohnung eingeschlossen, klopfte an das Fenster. Monika erzählt, Markus habe immer wieder in Luisas Richtung gerufen, dass „die dumme Schlampe“ den Mund halten solle, sonst werde sie „was erleben“. Die zu diesem Zeitpunkt siebenjährige Karolin erklärte Monika, dass sie und ihr Schwester jedes Mal etwas Süßes bekämen, wenn sie die Oma abschossen. „Bevor Markus etwas tun konnte, bin ich weggerannt“, so Monika. Am nächsten Tag suchte sie Luisa auf, als Markus arbeiten war. Sie konnte Luisa endlich dazu überreden, sich von Markus zu trennen. Luisa und ihre Töchter zogen übergangweise zu einer Freundin. Markus reagierte auf die Trennung, indem er immer wieder versuchte, seine Töchter an sich zu nehmen, indem er sie zum Beispiel ohne Absprache vom Kindergarten abholte. Luisa fasste schließlich den Mut, sich gegen Markus zu wehren und beantragte das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder, welches ihr auch zugesprochen wurde. Sie lebte inzwischen in einer eigenen Wohnung. Markus versuchte, Revision gegen das Sorgerechtsurteil einzulegen, doch er blieb erfolglos. An einem Tag im Herbst 2007 waren Katja und Karolin bei ihrer Großmutter zu Besuch. Diesen Tag werde sie niemals vergessen, erzählt Monika. Markus war zu Luisas neuer Wohnung gefahren und erschoss die Mutter seiner Kinder mit einer Armbrust. Monika und Tobias erhielten das Sorgerecht für Katja und Karolin und Markus eine Haftstrafe von über 10 Jahren. Katjas Leben bis zur Aufnahme in die Traumagruppe Nach dem Tod ihrer Mutter lebten Katja und Karolin bei ihrer Tante und ihrem Onkel in Baden-Württemberg. Monika lies die Nachnamen der Kinder in den Mädchennamen der Mutter und damit den Familiennamen von Tobias und Monika ändern. Monika gab zu, 35 dass sie jegliche Verbindung zu Markus habe einstellen wollen. Auch den Kontakt zu Großmutter Marianne verbot sie den Mädchen. Die ersten zwei Jahre nach dem Tod der Mutter schienen sich Katja und Karolin wohlzufühlen und den Umständen entsprechend gut zu entwickeln. Doch der Umgang mit Katja gestaltete sich nach Angaben des Ehepaars C. immer schwieriger. Unterlagen aus Katjas Akte belegen, dass diese sich im November 2011 selbst in Obhut nehmen ließ. Sie gab an, zwischen ihr und ihrer Tante bestünden Spannungen und Monika sei ihr gegenüber mehrmals handgreiflich geworden. Katja wurde vier Wochen später in einer Kinder- und Jugendwohngruppe in der nächstgrößeren Stadt aufgenommen. Die Hilfe wurde jedoch schon sechs Monate später beendet. Laut Hilfeplan vom Januar 2012 habe Katja sich in der Eingewöhnungsphase zurückhaltend gezeigt. Je länger sie aber in der Gruppe wohnte, desto höher wurden Ansprüche und Anforderungen an sie. Diesen hielt Katja nicht stand und verlangte die Rückführung zu Tante und Onkel. Nach Angaben von Monika C. hielt sich Katja dort kaum an Regeln und blieb wiederholt der Schule fern. Sie war selten zu Hause, stattdessen oft mit Freunden unterwegs. Sowohl an Wochenenden, als auch über Nacht, weshalb es immer wieder zu Streit zwischen ihr und Monika kam. Schließlich ließ sich Katja im September 2012 abermals in Obhut nehmen. Das zuständige Jugendamt entschied, das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Antragsrecht des SGB VIII auf einen Vormund des Jugendamtes zu übertragen. Laut schriftlicher Aussage des Jugendamtes in Katjas Akte sollte Katja dann erst mal zurück zu ihrer Tante, da eine stationäre Unterbringung zu dieser Zeit aus Platzmangel schwierig war. Katja legte Beschwerde ein. Sie forderte, dass das Jugendamt die gesamte Personensorgeberechtigung für sie übernehme. Die Beziehung zu ihrer Tante und ihrem Onkel sei gestört und ihre Wünsche würden nicht respektiert werden. Monika C. erkläre daraufhin, dass sie zu Katjas Wohl entscheide, diese das aber nicht so sehen könne. Katja sei es von früher gewohnt, ihren Willen zu bekommen und die Entscheidungen ihrer Tante seien entgegen ihrer Wunschvorstellungen. Als Katja im Januar 2013 mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sah die Tante dies als Bestätigung, dass Katja noch nicht in der Lage war, über sich selbst entscheiden zu können. Nach einer Abklärung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie bekam Katja lauft schriftlichem Befund eine leichte depressive Episode diagnostiziert. Katja wurde danach in einer Kurzzeitpflegefamilie untergerbacht. Ein Beschluss des Jugendamtes bewirkte, dass Monika C. die Personen- und Vermögenssorge für Katja behielt, die anderen Bereiche aber vom Jugendamt übernommen wurden. In den sechs Wochen bei der Kurzzeitpflegefamilie 36 verhielt Katja sich unauffällig und wurde im März 2013 schließlich in eine Wohngruppe für traumatisierte Kinder und Jugendliche im benachbarten Landkreis aufgenommen. Katjas Leben auf der Wohngruppe Die traumapädagogische Wohngruppe im Ostalbkreis bewohnten zu Katjas Ankunft sieben Kinder und Jugendliche. Drei elfjährige Jungen und drei Mädchen im Alter von 12 bis 15. Die Konzeption der Wohngruppe formuliert das Angebot eines sicheren Ortes und wertschätzender Bezugspersonen. Die Gruppe arbeitet mit einem Bezugsbetreuersystem sowie einem therapeutischen Einzelangebot durch einen Psychologen. Alle Kinder und Jugendlichen haben pro Woche eine Einzelstunde mit ihrem Bezugsbetreuer und eine Therapiestunde mit dem Psychologen. Diese Einzelkontakte beruhen auf dem oben genannten Ansatz der Resilienzförderung, der besagt, dass eine Bezugsperson einen wichtigen Faktor für Kinder und Jugendliche darstellt (s. S. 27). Zu den gleichaltrigen Mädchen konnte Katja während des kurz nach ihrer Aufnahme stattfindenden Gruppenurlaubs schnell Kontakt herstellen. Im Alltag mit den Betreuern und den Jungs zeigte sich Katja höflich, aber zurückhaltend. Auf der Realschule, die sie bis heute besucht, konnte sie ebenfalls Anschluss und neue Freunde finden. Anfangs räumte man Katja auf der Gruppe Zeit ein, um anzukommen und andersherum nutzte man die Zeit für diagnostische Einschätzungen. Von Anfang an fiel es Katja schwer, die Angebote der Bezugsbetreuung und der Therapiestunden anzunehmen. Sie war nur dann offen, wenn es um die Erfüllung ihrer Wünsche und Anliegen ging. Nach einer Eingewöhnungsphase steigerte man die Anforderungen an Katja, was ihr Schwierigkeiten zu bereiten schien. Vor allem fiel es ihr schwer, ihr Zimmer ordentlich zu halten und ihre Schulaufgaben vollständig zu erledigen. Das Betreuerteam versuchte dann, Katjas Wünsche und die an sie gestellten Anforderungen in Abhängigkeit zu setzen, das heißt, ihren Wünsche, zum Beispiel Fernsehen oder Freunde treffen, wurden dann entsprochen, wenn sie ihrerseits ihre Pflichten wie Aufräumen und Hausaufgaben machen erledigt hatte. Diese Idee funktionierte aber nur bedingt, da Katja genau abschätzte, welche Wünsche ihr wichtig genug waren, Pflichten zu erfüllen. So schaute sie lieber kein fern, als ihr Zimmer aufzuräumen. In den Einzelkontakten zeigte sie sich weiterhin verschlossen und nicht interessiert. Zu ihrer Tante, ihrem Onkel und ihrer Schwester hatte Katja unregelmäßigen Kontakt, jedoch fanden immer wieder gegenseitige Besuche statt. Mit der Zeit litt Katja nach eigenen Aussagen zunehmend unter Schlafproblemen, Kopf- und Bauchschmerzen sowie Sodbrennen und nutze diese als Grund für ein Fernbleiben von der Schule. Nach 37 ärztlichen Untersuchungen stellte man bei ihr einen Eisen- und Jodmangel fest, außerdem brauchte Katja eine Brille. Mit Tabletten und einer Brille versuchte man, ihren Beschwerden entgegenzuwirken. Katja klagte weiterhin vor allem über Bauchschmerzen und weigerte sich immer öfter, in die Schule zu gehen. Auffällig war, dass ihre Beschwerden am Nachmittag verflogen waren und sie dann Zeit mit Freunden und ihrem festen Freund verbringen wollte. In Kooperation mit ihrem Klassenlehrer stellte man fest, dass Katja meistens an den Tagen über diverse Krankheiten klagte, wenn Klassenarbeiten geschrieben wurden und sie mit dem Wissensstand hinter ihren MitschülerInnen lag. Auf die ihr gegenüber geäußerten Vermutungen, dass ihre Krankheiten nur gespielt waren, um Klassenarbeiten nicht mitschreiben zu müssen, reagierte Katja mit Trotz. Sie wies die Schuld für ihr Verhalten anderen zu. So war beispielsweise der Mathelehrer schuld an ihren schlechten Noten, weil dieser sie nicht leiden könne oder sie verpasse oft den Schulbus, da sie nicht geweckt würde. Als man ihr erklärte, dass sie das Schuljahr nicht bestehen würde, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern würde, war Katja bereit, Hilfe der MitarbeiterInnen der Wohngruppe anzunehmen. Gemeinsam mit Katja besprach man das Thema und vereinbarte, dass sie wieder regelmäßig die Schule besuchen und sich fehlende Aufschriebe und Arbeitsblätter bei MitschülerInnen besorgen würde. Dies klappte anfangs auch gut, Katja zeigte sich kooperativ und gewillt, ihre Noten zu verbessern. Ihre Hausaufgaben wurden täglich überprüft und Katja informierte die MitarbeiterInnen über anstehende Klassenarbeiten. Nach ein paar Wochen fanden Gespräche mit Katjas Tante Monika C., Katjas Bezugsbetreuerin, Katjas LehrerInnen und Katja selbst statt. Die LehrerInnen lobten Katjas Verhalten und Anstrengungen in der Schule und teilten mit, wenn sie so weiter mache, werde sie versetzt. Doch kurz nach den Gesprächen vernachlässigte Katja wieder die Schule. Sie weigerte sich, zur Schule zu gehen und es kam einige Male zu lautstarken verbalen Auseinandersetzungen mit ihr und auch den anderen Mädchen der Gruppe. Auf die MitarbeiterInnen wirkte es, als manipuliere Katja die gleichaltrigen Mädchen und versuche, das Leben auf der Wohngruppe schlecht zu reden. Auch Katjas Tante Monika C. erzählte, dass Katja beispielsweise beim Besuch über Weihnachten erzählte, wie schlecht es ihr auf der Gruppe ginge, dass die MitarbeiterInnen dumm und unfähig seien und die Kinder und Jugendlichen schlecht behandeln würden. Außerdem fiel Monika C. auf, dass Katjas Verhalten sich nach der Beschenkung veränderte. Zu Anfang des Besuchs sei sie sehr nett und zuvorkommend gewesen, doch nachdem sie ihre Geschenke bekommen hatte, widersetzte Katja sich ihrer Tante wiederholt. Auch auf der Wohngruppe legte sie solche Verhaltensweisen an den Tag. Für 38 Katja nehmen materialistische Dinge einen großen Stellenwert ein und sie legt ein ausgeprägtes Konsumverhalten an den Tag. Im Januar 2014 fand ein Hilfeplan statt, bei dem vor allem die Themen Schule und Leben auf der Wohngruppe erörtert wurden. Anwesend waren der Gruppenleiter und der psychologische Fachdienst der Wohngruppe, Katjas Tante Monika C., Katjas Vormund vom Jugendamt, eine für Katjas Gesundheitsfürsorge verantwortliche Mitarbeiterin des Jugendamts sowie Katja selbst. Ergebnisse des Hilfeplans waren unter anderem, dass Katja sich wünschte, das Schuljahr zu schaffen und auf der Realschule bleiben zu können. Dafür übernimmt sie selbst die Verantwortung und geht zukünftig regelmäßig in die Schule. Tage, an denen sie wirklich krank ist, werden von der Wohngruppe entschuldigt, für das Schwänzen bekommt sie jedoch unentschuldigte Fehltage, die Einfluss auf ihre Versetzung haben können. Als weitere Konsequenz für Schwänzen wurde festgelegt, dass Katja an Fehltagen und dem darauffolgenden Wochenende keine Freunde und auch nicht ihren festen Freund treffen darf und am jeweiligen Fehltag auch keine anderen Annehmlichkeiten wie Fernsehen zugesprochen bekommt. Weil Katjas Tante Monika C. befürchtete, dass Katja abermals die Hilfe abbricht, äußerte sie deutlich, dass sie Katja bei aller Liebe nicht mehr zu Hause aufnehmen werde. Außerdem werde sie versuchen, sich aus den Angelegenheiten der Wohngruppe zu distanzieren, sodass Katja klar werden könne, dass die Gruppe ihren Lebensraum darstellt und sie nicht immer bei Schwierigkeiten davon laufen kann. Es war außerdem Katjas eigene Vorstellung bis zu ihrem 18. Geburtstag auf der Wohngruppe zu leben. Katja sprach außerdem an, dass sie die Einzel- und Therapiestunden nicht weiterführen wolle. Das läge vor allem daran, dass sie kein Vertrauen zu den Betreuern habe, auch nicht zu ihrer Bezugsbetreuerin und ihr die Einzelkontakte unangenehm seien. Man einigte sich dann darauf, die Einzelstunden bis zu den Sommerferien auszusetzen und Katjas Bedarf dann erneut abzufragen. Bis dahin stehe es ihr aber immer offen, sich mit Problemen an einen der MitarbeiterInnen der Wohngruppe zu wenden. Die Therapiestunden hingegen würden weiterhin stattfinden. Katja akzeptierte dies. Abermals hielt Katja sich nur wenige Wochen an die Abmachungen. Dann gab es einen Vorfall mit einem Mädchen, das die gleiche Schule besuchte, wie ein anderes Mädchen der Wohngruppe. Das Mädchen, Lena, hatte angeblich abwertend über Bilder von Katja und ihrer besten Freundin auf der Wohngruppe, Sandra, geredet. Weder Katja noch Sandra kannten Lena persönlich, sondern nur durch Erzählungen des anderen Mädchens der Wohngruppe. Kurzerhand finden Katja und 39 Sandra Lena nach der Schule ab und Katja schubste sie mehrmals heftig und ohrfeigte sie. Weiter drohten die Mädchen Lena, dass sie nicht abfällig über sie (die Mädchen) reden solle. Weil ein Lehrer vorbei kam, flog die Aktion auf und die MitarbeiterInnen der Wohngruppe erfuhren davon. Katja war sich keiner Schuld bewusst, wies diese sogar von sich ab und beschuldigte Lena, die ja schließlich abfällig geredet habe. Katja und Sandra mussten sich in Form eines Briefes und eines Handschlags bei Lena entschuldigen. Ungefähr zur gleichen Zeit begann Katja wieder damit, regelmäßig die Schule zu verweigern, vor allem wenn Klassenarbeiten anstanden. Wie abgesprochen, führte ein Fehltag zu den Sanktionen, am Wochenende keinen Besuch bekommen zu dürfen. Katja machte kein Geheimnis daraus, dass sie absichtlich mehrere Tage zu Hause blieb, da die Sanktionen sich ja nicht vermehrten. Die MitarbeiterInnen der Wohngruppe verstanden dies als gezielte Provokationen und gingen nicht weiter darauf ein, da Katja nicht mit diesem Verhalten rechnen würde. Weil Katja sich immer wieder weigert, über die Situation zu reden, ist aktuell eine schriftliche Ankündigung in Zusammenarbeit mit dem psychologischen Fachdienst, den MitarbeiterInnen und Katjas Tante in Planung. Dies soll ihr deutlich machen, dass ihr Verhalten nicht akzeptabel ist, die MitarbeiterInnen der Gruppe aber trotzdem an ihrer Seite stehen und sie nicht allein lassen werden. Dies soll einen Unterschied zu den bisherigen Hilfen darstellen, die mit Katja an ihre Grenzen stießen und sie aufgaben. Transfer Bis auf wenige Situationen ist nicht bekannt, was Katja genau in ihrer Kindheit miterlebt hat. Ausgeschlossen werden kann, dass sie selbst Gewalt erfahren musste. Neben der Gewalt ihres Vaters gegen ihre Großmutter und Mutter musste sie zusätzlich den Verlust ihrer Mutter und dann auch ihres Vaters erleiden. Durch den Tod ihrer Mutter und die Inhaftierung ihres Vaters war Katja großen Veränderungen ausgesetzt. Sie musste aus ihrem gewohnten Umfeld in ein anderes Bundesland ziehen, ihre Freunde zurücklassen und die Schule wechseln. Dazu gestaltete sich die Beziehung zu ihrer Tante zunehmend als schwierig. MitarbeiterInnen der Wohngruppe auf der Katja lebt konnten seit ihrer Ankunft verschiedene Merkmale der vorher genannten Auswirkungen des Erlebens häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche beobachten. Die Diagnose einer leichten depressiven Episode ist ein Zeichen für Störungen im Bereich der Internalisierung. Auch Katjas Rückzug und Schweigen bei Auseinandersetzungen kann als solches gesehen werden. Das 40 wiederholte Verstoßen gegen Regeln und Abmachungen deutet aber auch auf externalisierte Verhaltensauffälligkeiten hin. Das Besuchen der Realschule und Katjas bewussten Handlungen zu ihrem Vorteil sprechen gegen eine Intelligenzminderung. Dafür sind Einschränkungen in der Lernbereitschaft und ihrer Konzentrationsfähigkeit bei Katja auch durch ihre schlechten Noten deutlich bemerkbar. Was Katjas soziale Entwicklung angeht sind im Zusammenhang mit der Beziehungsgestaltung zu Gleichaltrigen keine Defizite zu erkennen. Sie scheint aber die Rolle der Anführerin im Freundeskreis darstellen zu wollen und instrumentalisiert vor allem die anderen Mädchen der Wohngruppe. So erleben es die MitarbeiterInnen der Gruppe vor allem anhand von Aussagen und Verhalten in Auseinandersetzungen mit den Mädchen. Bei ihrer Konfliktbewältigung zeigt Katja eine andere Seite an sich. Scheint sie sonst schüchtern und distanziert, wirkt sie in Konflikten eher aggressiv und gewaltbereit. Auf die Lästerei eines fremden Mädchens reagierte Katja wie bereits erwähnt mit Gewalt. Im Zusammenhang von sozialen Beziehungen und Katjas Bindungsverhalten zeigt und äußert sie, dass sie nur wenig oder kein Vertrauen zu anderen Menschen, besonders Erwachsene herstellen kann. In ihrer Kindheit verlor sie ihre Eltern als Bezugspersonen, die Beziehung zu ihrer Tante gestaltete sich mit der Zeit schwierig, zu ihrer Schwester pflegt sie nur sporadischen Kontakt. Auch zu den MitarbeiterInnen auf der Wohngruppe kann und möchte sie kein Vertrauen fassen. Katja zeigt nach Meinung der MitarbeiterInnen der Wohngruppe Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). So leidet Katja beispielsweise eigenen Aussagen zu Folge unter Albträumen und Schlafstörungen. Außerdem zeigt sie teilweise Tendenzen eines erhöhten Erregungsniveaus, indem sie Regeln nicht befolgt und Sanktionen provozieren zu scheint. Was geschlechtsspezifische Auswirkungen bei Katja angeht, so sind diese nicht beobachtbar. Anzeichen dafür sind Katjas offensives Konfliktverhalten bei Gleichaltrigen sowie der Wunsch nach einer Alphaposition in ihrer Clique. Wie bereits öfter angedeutet, stehen Themen der Partnerschaftsgewalt und Kindesmisshandlung in Verbindung miteinander. Kindesmisshandlung stellt eine Art zwischenmenschlicher Gewalt in der Familie dar (s. S. 7). In einigen Definitionen häuslicher Gewalt wird diese mit Gewalt in der Familie gleichgesetzt und schließt damit auch die Gewalt der Eltern gegen Kinder und Jugendliche ein (s. S. 7). Ebenfalls wurde darauf eingegangen, dass es früher alltäglich war, dass Kinder und Jugendliche zur Erziehung gezüchtigt wurden. Heute gibt es ein Gesetz, dass allen Kindern und Jugendlichen das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung zuspricht (§1631 BGB). Was 41 Kindesmisshandlung bedeutet, welche Formen es gibt und wie viele Kinder und Jugendliche davon betroffen sind, wird im nachstehenden Kapitel erörtert. Weiter werden die Auswirkungen von Misshandlung auf die Kinder und Jugendlichen beschrieben und inwiefern das Miterleben häuslicher Gewalt und die Eigenerfahrung mit Gewalt vergleichbar sind. 42 Kindesmisshandlung Definition und Formen von Kindesmisshandlung Unter Kindesmisshandlung werden Gewalthandlungen gegen Kinder verstanden, die Verletzungen zur Folge haben, zum Beispiel schlagen oder würgen, und Handlungen, die die Entwicklung des betroffenen Kindes schädigen können (vgl. FALTERMEIER 2011, S.512). Diese Formulierung bezieht sich eher auf körperliche Gewalthandlungen. DEEGENER bedient sich einer Definition, nach welcher Kindesmisshandlung eine „nicht zufällige, gewaltsame psychische und/oder physische Beeinträchtigung oder Vernachlässigung des Kindes durch Eltern/Erziehungsberechtigte oder Dritte, die das Kind schädigt, verletzt, in seiner Entwicklung hemmt oder zu Tode bringt“ (BLUMMAURICE ET AL. 2000 in DEEGENER 2005, S.37). Hier wird deutlich, dass die Misshandlungen sich sowohl auf körperliche oder seelische Gewalt beziehen, als auch Vernachlässigung eine Rolle spielt. Formen von Kindsmisshandlung sind körperliche und seelische Misshandlung, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch (vgl. DEEGENER 2005, S.37). Körperliche Misshandlung Gewalthandlungen, die sich gegen den Köper der Kinder und Jugendlichen richten und diesen verletzen könnten, werden zu körperlicher Misshandlung gezählt (vgl. GOLDBECK 2013, S.665). Die Liste der verschiedenen Gewalthandlungen, durch die Eltern Kindern und Jugendlichen körperliche Misshandlung zufügen können, scheint endlos zu sein: Schlagen, Verbrennen, Würgen, Schütteln, Einklemmen oder Vergiften und noch viele mehr (vgl. DEEGENER 2005, S.37; GOLDBECK 2013, S.665). Affektive Handlungen sollen laut GOLDBECK nicht als Kindesmisshandlung angesehen werden (vgl. GOLDBECK 2013, S.665). Vernachlässigung Handelt es sich bei der körperlichen Gewalt um eine aktive Handlung, beinhaltet Vernachlässigung das Unterlassen verschiedener Handlungen, welche der Erziehung und Fürsorge der Kinder und Jugendlichen dienen sollen (vgl. GOLDBECK 2013, S.666). Dabei geht es in erster Linie um die Befriedigung der Grundbedürfnisse, beziehungsweise im Fall der Vernachlässigung um die Missachtung oder Nichterfüllung dieser. Dazu gehören unter anderem Ernährung, Hygiene, Gesundheit, Schutz vor Kälte und Wärme oder Aufsicht und 43 Zuwendung (vgl. DEEGENER 2005, S.37; GOLDBECK 2013, S.666). Man kann hierbei zwischen körperlicher und emotionaler Vernachlässigung differenzieren (vgl. DEEGENER 2005, S.37). Sexueller Missbrauch Sexueller Missbrauch umfasst sexuelle Handlungen, die gegen den Willen des Opfers durchgeführt werden. Gegen den Willen der Kinder und Jugendlichen bedeutet auch, dass sie ihre Einwilligung nicht abgegeben haben, zum Beispiel weil sie es auf Grund ihres kognitiven und seelischen Entwicklungsstandes nicht können (vgl. DEEGENER 2005, S.38). Weitere Aspekte sind die Absicht der sexuellen Befriedigung des Täters und der Altersunterschied zwischen Täter und Opfer. Je nach Alter der Kinder und Jugendlichen zieht man die Grenze bei einer Differenz größer als fünf bis zehn Jahre, um die sexuellen Handlungen als Missbrauch zu definieren (vgl. SCHECHTER/ROBERGE 1976 in GOLDBECK 2013, S.667). Die Formen von sexuellem Missbrauch sind ebenso vielfältig wie körperliche Gewalthandlungen. Sexueller Missbrauch umfasst Anfassen von Genitalien, Geschlechtsverkehr jeder Art, die Erstellung von Pornografie, aber auch exhibitionistische Handlungen, das Vorführen von Pornografie oder sexuelle Äußerungen (vgl. GOLDBECK 2013, S.667). In den letzten Jahren wurde auch das Internet und soziale Netzwerke häufiger ein Ort sexuellen Missbrauchs (vgl. GOLDBECK 2013, S.668). Die Täter sind in vielen Fällen Verwandte oder Personen aus dem nahen sozialen Umfeld der Kinder und Jugendlichen (vgl. FALTERMEIER 2011, S.512). Seelische Misshandlung Seelische oder auch emotionale Misshandlung erfolgt in Form von Bedrohung der Kinder und Jugendlichen, Ablehnung, Entwürdigung, Verängstigung oder Terrorisierung. Beispiele hierfür sind Beschimpfung, Überbehütung oder Nichtbeachten, Sündenbockrollenzuweisung oder Demütigung (vgl. DEEGENER 2005, S.38; GOLDBECK 2013, S.668). Da seelische Misshandlung die Psyche der Kinder und Jugendlichen angreift, sind diese Art der Misshandlung und deren Folgen nicht sichtbar. (vgl. GOLDBECK 2013, S.668). Prävalenz Eine genaue Aussage über die Anzahl misshandelter Kinder und Jugendlicher zu machen ist kaum möglich. Gründe dafür sind beispielsweise die große Dunkelziffer der Fälle oder auch die Tatsache, dass Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern keine systemische 44 Erfassung von Fällen der Kindesmisshandlung hat (vgl. GOLDBECK 2013, S.672). HÄUSER ET AL. führten deshalb 2011 eine retrospektive Querschnittsuntersuchung einer repräsentativen Zufallsstichprobe in Deutschland durch. Zur Befragung wurde eine Form des international am häufigsten verwendeten Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) genutzt (vgl. HÄUSER ET AL. 2011, S.232). Demnach waren 15% der befragten Menschen in ihrer Kindheit und Jugend von emotionalen, 12 % von körperlichem und fast 13% von sexuellem Missbrauch betroffen. Jeweils fast die Hälfte der Befragten berichtete von emotionaler, beziehungsweise körperlicher Vernachlässigung (vgl. HÄUSER ET AL. 2011, S.233). Außerdem zeigte die Untersuchung, dass zwischen den Misshandlungsformen Korrelationen bestehen. Das bedeutet, dass misshandelte Kinder und Jugendliche mit hoher Wahrscheinlichkeit von mehreren Formen der Misshandlung betroffen sind (vgl. HÄUSER ET AL. 2011, S.233). Auswirkungen Bezüglich der Auswirkungen von Kindesmisshandlung auf Kinder und Jugendliche unterscheidet man nach den Zeiträumen des Auftretens. Weiter kann zwischen Kurzzeitund Langzeitfolgen differenziert werden (vgl. MOGGI 2005, S.94). Kurzzeitfolgen treten innerhalb von ungefähr zwei Jahren nach Beginn der Kindesmisshandlung auf. Langzeitfolgen sind fortwährend und treten erst in der späteren Entwicklung der Kinder und Jugendlichen auf. In beiden Fällen sind die Ausprägungen der Folgen von verschiedenen Wirkfaktoren abhängig, zum Beispiel Art der Misshandlung, Schweregrad und Alter (vgl. MOGGI 2005, S.94f). 45 Verhaltensauffälligkeiten nach Entwicklungsstand Wie eben erwähnt hängen die Auswirkungen von Misshandlung auf Kinder und Jugendliche unter anderem von deren Alter ab. Die ARBEITSGRUPPE KINDESMISSHANDLUNG (AGKM) erstellte eine Übersicht von Symptomen und Störungen misshandelter Kinder und Jugendlicher. Die aufgezählten Symptome treten laut wissenschaftlicher Untersuchungen häufig in den jeweiligen Alterststufen auf (vgl. MOGGI 2009, S.869f). Es ist aber unbedingt zu beachten, dass die Verhaltensauffälligkeiten auch infolge anderer Belastungsereignisse auftreten können (vgl. AGKM 1992 in MOGGI 2009, S.870). Abbildung 2: Entwicklungsabhängige Verhaltensauffälligkeiten sowie psychische und psychosomatische Symptome und Störungen (MOGGI 2005 in MOGGI 2009, S.870) 46 Die Abbildung veranschaulicht, dass manche Verhaltensauffälligkeiten im späteren Alter nicht mehr aufzutreten scheinen, andere sich dafür erst später zeigen oder einige sich durch das gesamte Leben der Misshandelten ziehen. Beispielsweise kommen Auffälligkeiten bezogen auf das Bindungsverhalten nach dieser Auflistung im Vorschulalter auf, später aber nicht mehr. Auffälligkeiten des sexuellen Verhaltens treten zwar stetig auf, doch die möglichen Erscheinungsformen ändern sich. Kurzzeitfolgen Nicht bei jeder Form der Kindesmisshandlung treten dieselben Folgen auf. Manche Folgen sind abhängig von der Misshandlungsform (vgl. MOGGI 2005, S.95f). Es gibt aber auch Kurzzeitfolgen, die bei allen Formen der Kindesmisshandlung vorkommen. Man kann sie in kognitiv-emotionale Störungen, somatische und psychosomatische Störungen und Störungen des Sozialverhaltens einteilen. Zu den kognitiv-emotionalen Störungen gehören unter anderem Konzentrationsschwierigkeiten, Lernschwierigkeiten, Sprachstörungen, Angststörungen, Posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen, selbstverletzendes Verhalten und Gefühlsregulationsstörungen. Somatische und psychosomatische Störungen äußern sich in körperlichen Verletzungen, psychosomatischen Beschwerden, Schlafstörungen, Essstörungen und Einkoten und/oder –nässen. Zu den Störungen des Sozialverhaltens zählen Weglaufen, geringe Scheu vor Fremden, Schulschwänzen, abweichendes Verhalten, hyperaktives und/oder aggressives Verhalten (vgl. MOGGI 2005, S.95). Diese Störungsbilder lassen sich auch in das Auftreten in internalisierter oder externalisierter Form aufteilen (vgl. SALTER 1988 in MOGGI 2009, S.871). Folgen von körperlicher Misshandlung sind körperliche Verletzungen, zum Beispiel Schädigungen an den Organen, blaue Flecken, Beulen, Narben, Knochenbrüche, Verbrennungen und Verbrühungen, Schütteltraumata und diverse andere Verletzungen der Körperteile und/oder Organe (vgl. MOGGI 2005, S.96; GOLDBECK 2005, S.674). Seelische Misshandlung und Vernachlässigung können vor allem bei jüngeren Kindern Entwicklungsverzögerungen und/oder Bindungsstörungen hervorrufen (vgl. MOGGI 2005, S.96). Sichtbare Folgen können laut GOLDBECK ein verschmutzter und schlechter Zustand des Körpers der Kinder und Jugendlichen, Merkmale der Unterernährung und Anzeichen der unterlassenen Hygiene sein (vgl. GOLDBECK 2005, S.674). Sexueller Missbrauch führt in sehr vielen Fällen zu Verletzungen der Genitalien der Kinder und Jugendlichen, zu Infektionen mit Geschlechtskrankheiten, sexualisiertem Verhalten, das nicht altersentsprechend ist und bei älteren Kindern früher auftritt als bei anderen Kindern sowie 47 ungewollte Schwangerschaften bei Mädchen (vgl. MOGGI 2005, S.96; GOLDBECK 2005, S.674f). Langzeitfolgen Langzeitfolgen der Misshandlung von Kindern und Jugendlichen treten oft erst im Erwachsenenalter auf. Wie bei den Kurzzeitfolgen ist zu berücksichtigen, dass es sich um häufig auftretende Symptome und Auswirkungen handelt und nicht um unfehlbare Diagnosekriterien (vgl. MOGGI 2005, S.98; GOLDBECK 2005, S.677). Die Langzeitfolgen beziehen sich auf alle Formen der Kindesmisshandlung. Mögliche Langzeitfolgen können sich in Form einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) durch Wiedererleben der Misshandlung, Vermeidung ähnlicher Situationen und/oder einem erhöhten Erregungsniveau äußern (vgl. MOGGI 2005, S.99; GOLDBECK 2005, S.675). Einige der misshandelten Kinder und Jugendlichen leiden möglicherweise später unter Angststörungen und Depressionen. Diese Menschen leben in Angst und Unsicherheit, empfinden Gefühle von Schuld und/oder Scham. Außerdem können sie sich wertlos, hilflos, ohnmächtig und einsam fühlen (vgl. MOGGI 2005, S.99). Bei anderen Kindern und Jugendlichen wurden im späteren Leben verschiedene Persönlichkeitsstörungen, häufig vom Typ Borderline, festgestellt (vgl. MOGGI 2005, S.99). Viele Opfer entwickeln ein selbstschädigendes Verhalten. Dies kann sich in missbräuchlichem Konsum oder Abhängigkeit von legalen und/oder illegalen Drogen zeigen, in selbstverletzendem Verhalten, in einer allgemein erhöhten Risikobereitschaft bis hin zu Selbstmordgedanken und/oder –handlungen (vgl. MOGGI 2005, S.99). Weitere Langzeitfolgen können (psycho-)somatische Symptome sein. Dazu gehören organisch nicht nachweisbare körperliche Symptome wie Bauchschmerzen, Durchfall oder Gliederschmerzen und das damit verbundene häufige Besuchen von Ärzten (vgl. MOGGI 2005, S.99). Es können auch dissoziative Störungen, Schlaf- und Essstörungen auftreten. Bei sexueller Misshandlung kommt es häufig zu sexuellen Störungen (vgl. MOGGI 2005, S.99). Misshandelte Kinder und Jugendliche haben als Erwachsene nicht selten gestörte soziale Beziehungen. Sie misstrauen zum Beispiel den eigenen Eltern oder empfinden in ihrer Paarbeziehung keine Zufriedenheit. Mädchen, beziehungsweise Frauen fürchten sich vor Männern und tendieren dazu, Opfer gewalttätiger Partner zu werden. Jungen, beziehungsweise Männer neigen dazu, in späteren Beziehungen Gewalt auszuüben. Allgemein haben misshandelte Kinder und Jugendliche auch im Erwachsenenalter Probleme, sich anzupassen (vgl. MOGGI 2005, S.99). 48 Erklärungskonzepte Um zu erklären, auf welchen Wegen sich das Miterleben häuslicher Gewalt auf die Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen auswirkt, zog KINDLER die oben genannten sechs möglichen Vermittlungswege heran (s. S27ff). Auch für die Auswirkungen von Misshandlung auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen gibt es verschiedene Erklärungskonzepte. Traumatheorie Der Begriff des Traumas, sowie die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und deren Folgen wurden bereits erläutert (s. S. 24ff). Die Traumatheorie erklärt kurz- und langfristige Folgen traumatischer Ereignisse (vgl. MOGGI 2009, S.873). Jeder Mensch hat von Natur aus positive Annahmen über sich selbst und die Welt. JANOFF-BULMAN ist der Ansicht, diese Grundannahmen könnten durch traumatische Ereignisse angegriffen und verändert werden (vgl. JANOFF-BULMAN 1992 in MOGGI 2009, S.873). Die schlechten Erfahrungen durch traumatische Erlebnisse fügen sich sozusagen in die positiven Grundannahmen ein, was zur Bildung neuer Grundannahmen führt (vgl. JANOFF-BULMAN 1992 in MOGGI 2009, S.873). Die Veränderungen sind gemeinsam mit dem Entwicklungsstand der Betroffenen für die Art und das Ausmaß der Folgen ausschlaggebend. Durch die fehlenden positiven Erfahrungen sind Kinder und Jugendliche im Gegensatz zu Erwachsenen seltener fähig, ein Trauma zu verarbeiten und somit auch anfälliger für die Veränderungen ihrer inneren Grundannahmen (vgl. JANOFF-BULMAN 1992 in MOGGI 2009, S.873). Psychobiologisches Stressmodell Das biopsychologische Stressmodell ist ein Prozessmodell, das die Entstehung von Störungen misshandelter Kinder und Jugendlicher unter Stress erklärt (vgl. GOLDBECK 2013, S.678; MOGGI 2009, S.873). Am Anfang des Prozesses steht die Misshandlung als traumatisches Erlebnis und Stresssituation für die Kinder und Jugendlichen. Schon hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle für die eventuelle Entwicklung von Störungen. Zum einen sind dies objektive Faktoren, wie der Schweregrad der Misshandlung und zum anderen subjektive Faktoren, das heißt, wie die Kinder und Jugendlichen die Misshandlung erleben und bewerten (vgl. GOLDBECK 2013, S.678; MOGGI 2009, S.873). Es folgt eine traumatische Reaktion, die sich in Form von Gefühlen der Angst und Hilfslosigkeit zeigen kann. Für die Entwicklung von Störungen ist in dieser Phase des Prozesses von Bedeutung, wie lange diese andauern, welcher Art und wie stark sie sind (vgl. GOLDBECK 2013, S.678; 49 MOGGI 2009, S.873). Nach dieser ersten Reaktion beginnt der Prozess der Verarbeitung des Erlebten. Es gibt entweder die Möglichkeit, dass die Kinder und Jugendlichen das Erlebte nach kurzweiligen Stress- beziehungsweise. Belastungssymptomen verarbeiten oder aber sie entwickeln auf Grund der nichtstattfindenden Verarbeitung eine PTBS oder andere Störungen (vgl. GOLDBECK 2013, S.679; MOGGI 2009, S.873). Wichtig für die Verarbeitung sind Schutz- und Risikofaktoren der Kinder und Jugendlichen. Diese können aus dem Erlebten an sich, persönlichen Charakteristika der Kinder und Jugendlichen, deren Entwicklungsstand, ihrer Widerstandsfähigkeit oder ihrer Verletzlichkeit bestehen (vgl. GOLDBECK 2013, S.679; MOGGI 2009, S.873). Bleibt die Belastung bestehen, weil keine Verarbeitung stattfindet, kann dies zu dysfunktionalen Kognitionen, wie wenig Selbstwirksamkeit, negativen Emotionen, wie Schuldgefühlen und unangepassten Verhaltensmustern, wie Selbstschädigung, führen (vgl. MOGGI 2009, S.874). Die Verhaltens- und Emotionsmuster beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen (vgl. GOLDBECK 2013, S.679; MOGGI 2009, S.874). Dieses Prozessmodell verdeutlicht, dass ein traumatisches Erlebnis nicht konsequent zu einer bestimmten Reaktion führt, sondern der Umgang der Kinder und Jugendlichen mit dem stresserzeugenden Erlebnis ausschlaggebend ist. Die Kinder und Jugendlichen entwickeln abhängig von ihren persönlichen Schutz- und Risikofaktoren Bewältigungsstrategien, welche wiederum die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen beeinflusst (vgl. GOLDBECK 2013, S.679f; MOGGI 2009, S.874). Erweitertes Prozessmodell Im Zusammenhang mit Studien zum Stressmodell und den psychobiologischen Auswirkungen auf misshandelte Kinder und Jugendliche, fand man Zusammenhänge zur Hirnentwicklung der Betroffenen (vgl. GOLDBECK 2013, S.680; HEIM 2005 in MOGGI 2009, S.874). Diese Untersuchungsergebnisse verstärken und ergänzen das psychobiologische Modell (vgl. DE BELLIS 2001 in GOLDBECK 2013, S.680f). 50 Abbildung 3: Neurobiologisches Modell der psychobiologischen Misshandlungsfolgen bei Kindern (nach DE BELLIS 2001 in GOLDBECK 2013, S.681) Die Abbildung soll die neurobiologischen Prozesse vereinfacht veranschaulichen, da diese komplex sind. Demnach scheint die Misshandlung Kinder und Jugendlicher eine hormonelle Regulationsstörung in deren Hypothalamus-Hypophysen-NebennierenrindenAchse (HPA-Achse) zu verursachen. Diese Regulationsstörung erhöht die Anfälligkeit der Kinder und Jugendlichen für psychische Störungen (vgl. KIRSCH ET AL. 2011 in GOLDBECK 2013, S.680). Die hormonellen Veränderungen können dann zu Veränderungen im Hirnstoffwechsel führen, was Einfluss auf verschiedene Hirnregionen hat, zum Beispiel auf die Reaktionshemmung durch den anterioren cingularen Kortex. Weiter gibt es Hinweise darauf, dass sich traumatische Erlebnisse auf das Volumen des Gehirns 51 auswirken (vgl. GOLDBECK 2013, S.680f). Am Ende dieses Prozesses stehen schließlich Beeinträchtigungen der kognitiven und psychosozialen Funktionen. Die verschiedenen Entwicklungen können auch Ergebnis anderen Umstände im Leben der Kinder und Jugendlichen sein. Die Verknüpfung der beiden beschriebenen Prozessmodelle reicht aber nicht aus, um die Vielfältigkeit der Folgestörungen von Kindesmisshandlung zu erklären (vgl. GOLDBECK 2013, S.680). Aus diesem Grund wird im nächsten Abschnitt der Einfluss genetischer Faktoren erklärt. Genetische Faktoren Einige Untersuchungen zu Auswirkungen von Kindesmisshandlung deuten an, dass genetische Variationen für die Anfälligkeit beziehungsweise Widerstandsfähigkeit für die Misshandlung verantwortlich sind (vgl. MOFFITT ET AL. 2005 in GOLDBECK 2013, S.682). Andere Untersuchungen konnten anhand von Versuchen an Tieren Hinweise darauf finden, dass Pflege- und Umweltbedingungen Einfluss auf die Genexpression haben können, ohne Veränderungen der DNA zu bewirken (vgl. WEAVER ET AL. 2004; ROTH ET AL. 2009 beide in GOLDBECK 2013, S.682). In einem Vergleich misshandelter und nicht-misshandelter Menschen wurde herausgefunden, dass die Misshandlung mit der Veränderung eines Genrezeptors in Zusammenhang steht. Darauf könnte die Verknüpfung der Misshandlungserlebnisse der Kinder und Jugendlichen mit hormonellen Veränderungen im Gehirn und psychischen Störungen basieren (vgl. TYRKA ET AL. 2012 in GOLDBECK 2013, S.682). Abschließend kann gesagt werden, dass es nicht „die eine“ Begründung für das Entstehen psychischer Störungen als Folge von Misshandlung gibt. Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren und Bedingungen auf verschiedenen Ebenen. Zusammenfassend richtet sich Kindesmisshandlung direkt gegen Kinder und Jugendliche. Ausgeführt werden kann sie von den Eltern oder anderen meist erwachsenen Personen. Man unterscheidet Kindesmisshandlung in körperlicher und seelischer Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch. Man vermutet eine große Dunkelzahl von betroffenen Kindern und Jugendlichen. Die Auswirkungen von Kindesmisshandlung sind abhängig von Wirkfaktoren, vor allem dem Entwicklungsalter der Betroffenen. Außerdem unterscheidet man zwischen Kurzzeitfolgen, die unmittelbar nach der Misshandlung auftreten und Langzeitfolgen, die sich erst im späteren Leben der Misshandelten zeigen. 52 Die Kurzzeitfolgen von Kindesmisshandlung können sich in kognitiv-emotionalen, somatischen und psychosomatischen sowie Störungen des Sozialverhaltens äußern. Im Falle von physischen Gewaltformen sind häufig körperliche Verletzungen bei den Kindern und Jugendlichen zu finden. Posttraumatische Belastungsreaktionen oder –störungen, Persönlichkeitsstörungen, selbstschädigendes Verhalten, psychosomatische Störungen, dissoziative Störungen, Schlafstörungen und Essstörungen können langfristige Folgen von Kindesmisshandlung sein. Für die Entstehung dieser Folgestörungen gibt es verschiedene Erklärungsansätze, die sich jedoch ergänzen und erweitern. Allgemein geht man davon aus, dass Misshandlungserfahrungen traumatische stresserzeugende Erlebnisse darstellen, welche diverse neurobiologische Prozesse in Gang setzen und sich so auf die Betroffenen auswirken. 53 Miterleben häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung Nachdem die Auswirkungen des Miterlebens häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung auf Kinder und Jugendliche beschrieben wurden, wird in diesem Abschnitt versucht herauszufinden, wo eventuelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser beiden Themen liegen. Begrifflichkeiten Häusliche Gewalt wird vor dem Hintergrund der Thematik dieser Arbeit als Partnerschaftsgewalt verstanden. Es handelt sich also um Gewalt, die sich in jedem Fall zwischen Menschen abspielt, die in Beziehung zueinander und zu den beobachtenden Kindern und Jugendlichen stehen (s. S. 7f). Grundsätzlich bedeutet Miterleben, dass die Kinder und Jugendlichen passiv an der Gewalt beteiligt sind. Kindesmisshandlung hingegen richtet sich aktiv gegen die Kinder und Jugendlichen. Kindesmisshandlung muss nicht von einem Familienmitglied ausgehen, sondern kann auch durch andere Personen verübt werden (s. S. 43). Formen Beim Betrachten der Gewaltformen muss wieder bedacht werden, dass sich die häusliche Gewalt auf Grund des Aspektes des Miterlebens nicht gegen die Kinder und Jugendlichen richtet, sondern, so wird in dieser Arbeit angenommen, gegen die Mutter. Prinzipiell kann sich häusliche Gewalt aber auch gegen Kinder und Jugendliche richten (s. S. 7). Die Gewalt kann auf physischer, psychischer, sexueller oder ökonomischer Ebene stattfinden (s. S. 7f.). Kindesmisshandlung kann in Form von körperlicher oder seelischer Misshandlung, Vernachlässigung oder sexuellem Missbrauch stattfinden (s. S. 43). Nach LAMNEK/LUEDTKE/OTTERMANN könne das Miterleben häuslicher Gewalt als eine Art der seelischen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gesehen werden (vgl. LAMNEK/LUEDTKE/OTTERMANN 2012, S.133). Prävalenz Sowohl im Fall des Miterlebens häuslicher Gewalt als auch bei Kindesmisshandlung können keine konkreten Aussagen über die Anzahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen gemacht werden (s. S. 13f; S.44f). Wie bereits erwähnt deuteten verschiedene Studien jedoch an, dass die Größen der beiden Betroffenengruppen beinahe identisch sind (s. S. 22). 54 Auswirkungen Bei der Betrachtung der Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche sind immer die Wirkfaktoren zu berücksichtigen. Nicht jede Erfahrung wirkt sich auf alle Kinder und Jugendlichen auf die gleiche Art und in gleichem Ausmaß aus. Die Auswirkungen sind unter anderem abhängig vom Alter und Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen, Art und Häufigkeit der erlebten oder erfahrenen Gewalt sowie Persönlichkeitsmerkmalen (s. S. 21; S.45). Vergleicht man die Auswirkungen des Miterlebens häuslicher Gewalt und die Auswirkungen von Kindesmisshandlung auf betroffene Kinder und Jugendliche, fällt eine große Übereinstimmung auf. In beiden Fällen zeigen Kinder und Jugendliche diverse internalisierte und externalisierte Verhaltensauffälligkeiten wie Angst, Depression, soziale Isolation, Aggressivität und Probleme mit Regeleinhaltungen, Entwicklungsverzögerungen und –rückstände im kognitiven und sozialen Bereich und/oder ein gestörtes Bindungsverhalten (s. S. 21ff; S.45ff). Kinder und Jugendliche, die Gewalt miterleben oder am eigenen Leib erfahren, sind oft mit den traumatischen Erlebnissen überfordert und leiden infolge dessen unter posttraumatischen Belastungsreaktionen oder –störungen. Wie diese sich in spezifischen Störungsbildern zeigen, wurde bereits erläutert (s. S. 24ff). Beide Arten von Gewalterfahrung können Einfluss auf Geschlechterrollenvorstellungen haben (s. S. 26f; S.48). Die hohe Übereinstimmung in den Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen kann zudem durch den Vergleich von Studien zum Miterleben häuslicher Gewalt verdeutlicht werden. Demnach hat das Miterleben häuslicher Gewalt den gleichen Effekt auf Kinder und Jugendliche, wie Kindesmisshandlung (s. S. 22). Ein Unterschied zwischen Miterleben und Misshandlung besteht in den physischen Folgen von körperlicher Misshandlung und sexuellem Missbrauch. Vermittlung Als mögliche Vermittlungswege von Auswirkungen des Miterlebens häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche werden die Vermittlung über weitere Belastungsfaktoren, über geteilte genetische Merkmale, über biologische Mechanismen, über die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Gewalttäters, über die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Gewaltopfers oder über die direkte innerpsychische Verarbeitung des Miterlebens genannt (s. S. 27ff). Zwischen den Vermittlungswegen und den erläuterten Erklärungskonzepten 55 für Auswirkungen von Kindesmisshandlung (s. S. 49ff) können Zusammenhänge hergestellt werden. Sowohl im Falle des Miterlebens als auch bei Kindesmisshandlung müssen andere mögliche Belastungen für die Kinder und Jugendlichen beachtet werden. KINDLER nennt beispielsweise für Kinder und Jugendliche, die Zeugen häuslicher Gewalt werden ein erhöhtes Risiko ebenfalls Opfer von Kindesmisshandlung zu werden (vgl. KINDLER 2013, S.40). Im neurobiologischen Modell der psychobiologischen Misshandlungsfolgen werden ebenfalls mögliche Einflüsse genannt (s. S. 51). Diese können unter anderem in anderen belastenden Lebensereignissen bestehen, durch familiäre und/oder genetische Belastungen auftreten, Faktoren des sozialen Umfelds beinhalten und im Falle von innerfamiliärer Misshandlung auch von psychischen Faktoren des misshandelnden Elternteils geprägt sein. Hier können Parallelen zu den eben genannten Vermittlungsmöglichkeiten über Genetik und Eltern, beziehungsweise Opfer und Täter im Falle von häuslicher Gewalt, gezogen werden. Diese Faktoren dürfen nicht unberücksichtigt bleiben, aber eine größere Rolle nehmen wahrscheinlich die direkten Vermittlungswege und Auswirkungen über die Kinder und Jugendlichen ein. Sowohl das Miterleben als auch das Selbsterleben von verschiedenen Gewaltformen stellt wie mehrmals erwähnt Stress für die betroffenen Kinder und Jugendlichen dar (s. S. 19). Die Vermittlung über biologische Merkmale und über die innerpsychische Verarbeitung können zusammengefasst und im neurobiologischen Modell wiedergefunden werden. Deutlich wird dies außerdem dann, wenn man das Miterleben von häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung als traumatische Erlebnisse für die Kinder und Jugendlichen ansieht. Sowohl Auswirkungen als auch Vermittlungswege können dann unter Berücksichtigung der Wirkfaktoren sehr ähnlich ausfallen. Auch wenn das Miterleben häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung zuerst zwei unterschiedliche Angelegenheiten zu sein scheinen, zeigt dieser Vergleich, dass es viele Zusammenhänge und Parallelen gibt. Obwohl Kinder und Jugendliche als Zeugen häuslicher Gewalt nicht direkt von der Gewalt betroffen, sondern Beobachter sind, zeigen sie die gleichen Folgestörungen wie misshandelte Kinder und Jugendliche. Auch die ähnlich großen Betroffenenzahlen sind ein Hinweis darauf, dass das Miterleben häuslicher Gewalt und die Auswirkungen auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen im Vergleich 56 zu Kindesmisshandlung nicht unterschätzt werden sollten und dürfen. Beide Arten von Gewalterleben stellen für Kinder und Jugendliche traumatische Erlebnisse dar, die Prävention und Intervention bedürfen. 57 Bedeutung für die Soziale Arbeit Allgemein betrachtet hat die Soziale Arbeit die Aufgabe, benachteiligte Personen und/oder Personengruppen zu befähigen und zu unterstützen. Soziale Arbeit soll soziale Probleme mindern, beziehungsweise vermeiden und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen (vgl. MÜHLUM 2011 S.773; S.776). Die einzelnen Handlungsfelder wie Alten-, Behinderten-, Gesundheits-, Familien-, Sozial- und Kinder- und Jugendhilfe sollen benachteiligten Personen bei der Alltagsbewältigung helfen und sollen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen (vgl. MÜHLUM 2011, S.774f). Je nach Handlungsfeld sind gesamte Familien, Frauen, Männer oder Kinder und Jugendliche die Klienten der Sozialen Arbeit im Kontext häuslicher Gewalt (vgl. FOCKS 2013, S.241). WEBER sieht den Schutz und die Hilfe bei Gewalt als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe (vgl. WEBER 2005, S.68). Es ist also kaum möglich, dass sich lediglich ein Arbeitsfeld mit dem Schutz und der Hilfe bei Gewalt beschäftigt. Für eine erfolgreiche Intervention bei häuslicher Gewalt benötigt es die Kooperation verschiedener Institutionen (vgl. HARTWIG 2007, S.170). Da diese Arbeit von Kindern und Jugendlichen als Zeugen häuslicher Gewalt handelt, wird die Jugendhilfe im Folgenden als Hauptakteur der Prävention und Intervention bei häuslicher Gewalt gesehen. Ziel möglicher Maßnahmen der Jugendhilfe soll immer die Beendigung der Gewalt, der Schutz vor weiterer Gewalt und die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen sein. Um diese Ziele im Spannungsfeld von Elternrechten, Kindeswohl, Kinderrechten sowie Hilfe und Kontrolle erreichen zu können, bedarf es der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen (vgl. WEBER 2005, S.70f). Im Folgenden werden zuerst Rahmenbedingungen für gelingende Kooperationsverhältnisse erläutert, dann mögliche Kooperationspartner der Jugendhilfe vorgestellt. Der letzte Teil beschäftigt sich dann mit Aufgaben und Leistungen der Jugendhilfe selbst. Interinstitutionelle und –disziplinäre Kooperation Rahmenbedingungen einer gelingenden Kooperation Die Kooperation verschiedener Institutionen und/oder Disziplinen soll den Schutz vor Gewalt sichern und erleichtern. Kooperation erfordert ein gemeinsames und planvolles Handeln der beteiligten Akteure. Um die verschiedenen Interessen und Vorstellungen der Kooperationspartner zu vereinen, benötigt es gewisse Rahmenbedingungen (vgl. BUSKOTTE/KREYSSING 2013, S.266). Zum einen sind die unterschiedlichen Kompetenzen 58 und Aufgaben der Kooperationspartner wichtig für einen ganzheitlichen Blick auf das Problem, jedoch ist es ebenso wichtig, gemeinsame Kooperationsziele zu finden und festzulegen (vgl. BUSKOTTE/KREYSSING 2013, S.266). Gemeinsame Ziele und Arbeitsschritte können die Fortschritte des Hilfeprozesses deutlich machen und motivierend wirken. Eine weitere Voraussetzung für eine gelingende Kooperation ist das Vorhandensein von gegenseitiger Akzeptanz durch den offenen Austausch zwischen den Kooperationspartnern. Die jeweiligen Institutionen sollen außerdem hinter der Kooperation stehen und sich bestmöglich an der Kooperation beteiligen (vgl. BUSKOTTE/KREYSSING 2013, S.266f). Kooperationspartner Frauenschutz und Frauenhaus In den letzten Jahren ist es verschiedenen Professionen trotz aller Herausforderungen, die Kooperationsarbeit mit sich bringt, gelungen, eine gemeinsame Sichtweise auf die Problematik des Miterlebens häuslicher Gewalt und den Hilfebedarf der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu entwickeln (vgl. BUSKOTTE/KREYSSING 2013, S.270). Die Übereinstimmung profitiert von verschiedenen Grundannahmen über häusliche Gewalt; nämlich, dass Gewalt gegen Frauen auch Gewalt gegen deren Kinder und damit eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt (vgl. BUSKOTTE/KREYSSING 2013, S.270). Basierend auf diesen Festlegungen können Jugendhilfe und Frauenschutz auf Kommunalund Länderebene Konzepte und Strategien zum Schutz und zur Unterstützung aller Betroffenen formulieren (vgl. BUSKOTTE/KREYSSING 2013, S.266; STRUCK 2013, S.551). Kinder und Jugendliche, die als Folge häuslicher Gewalt mit ihrer Mutter ins Frauenhaus fliehen, brauchen dort Unterstützung. Das Frauenhaus sollte mit Einrichtungen der Jugendhilfe Kontakt aufnehmen und eine Kooperation initiieren (vgl. KAVEMANN 2002, S.27). Im Frauenhaus selbst können sofortige Hilfeangebote stattfinden. Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses können die Kinder und Jugendlichen darüber aufklären, wo sie sich befinden und aus welchem Grund sie dort sind. In einem Gespräch können die Kinder und Jugendlichen ihre Erlebnisse erzählen und gemeinsam kann ein Sicherheitsplan erarbeitet werden. Er formuliert Möglichkeiten, wie die Kinder und Jugendlichen sich zukünftig in Gewaltsituationen verhalten und schützen können. Um Verantwortungs- und Schuldgefühle zu mindern oder zu beseitigen, sollte den Kindern erklärt werden, dass sie keine Verantwortung für das Geschehene tragen und gemeinsam mit der Mutter ein offener Austausch über das Erlebte stattfinden. Die Mutter soll im weiteren Prozess unterstützt 59 werden und wenn nötig ein Kontakt zu Hilfeangeboten für die Kinder und Jugendlichen können über das Frauenhaus hergestellt werden (vgl. KAVEMANN 2002, S.27f). Kooperation mit Familiengerichten Seit 2001 gibt es das Gewaltschutzgesetz (GewSchG). Es ermöglicht Personen, deren Körper, Gesundheit oder Freiheit durch eine andere Person verletzt wird, einen Antrag auf gerichtliche Maßnahmen gegen die gewaltausführende Person zu stellen. So kann nach §1 Abs. 1 GewSchG ein Gewalttäter der Wohnung des Opfers verwiesen und jeglicher Kontakt zum Opfer verboten werden. §1 Abs. 2 GewSchG besagt unter anderem, dass dies auch gilt, wenn eine Androhung von Gewalt erfolgte. §1666 BGB ermöglicht es, eine Person einer Wohnung zu verweisen, wenn diese Person eine Gefahr für das Wohl eines Kindes darstellt. §8a SGB VIII regelt außerdem eine Kooperation zwischen Jugendamt und Familiengericht in Fällen einer akuten Kindeswohlgefährdung und/oder fehlender Mitarbeit der Erziehungsberechtigten. Nicht selten folgen einem Platzverweis Angelegenheiten des Sorge- und Umgangsrechts (vgl. WEBER 2005, S.71). Verfahren zu Sorge- und Umgangsrechtsregelungen erfordern ebenfalls eine Zusammenarbeit der Jugendämter und Gerichte. Nach §50 Abs. 1 SGB VIII ist das zuständige Jugendamt ein Beteiligter des Verfahrens und hat das Gericht zu unterstützen sowie im Prozess mitzuwirken. §50 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nennt speziell Angelegenheiten des Gewaltschutzes als Unterstützungsgrund. Das Jugendamt soll das Gericht beraten, um eine den individuellen Anforderungen und dem Wohl der Kinder und Jugendlichen entsprechende Entscheidung zu treffen (vgl. WEBER 2005, S.72). Kooperation bei polizeilicher Intervention Eine polizeiliche Intervention bei häuslicher Gewalt kann auf dem Anruf oder auf einer gerichtlichen Entscheidung nach §1 GewSchG erfolgen. Laut KAVEMANN seien nicht selten die Kinder und Jugendlichen diejenigen, die die Polizei riefen oder die Nachbarn verständigten (vgl. KAVEMANN 2002, S.28). Das Eingreifen der Polizei soll die Sicherheit der betroffenen Frauen, Kinder und Jugendlichen herstellen, eine Strafverfolgung des Täters einleiten und die Opfer durch Kooperation mit anderen Institutionen unterstützen (vgl. NÖTHEN-SCHÜRMANN 2013, S.465). Die Polizei hat die Plicht, die Opfer von Gewalt über ihre Handlungsmöglichkeiten aufzuklären, indem sie den Frauen beispielsweise Fachstellen für Hilfe oder die Möglichkeit eines Antrags auf einen Platzverweis nennen (vgl. NÖTHEN-SCHÜRMANN 2013, S.467). In einigen Regionen Deutschlands vereinbarten Polizei- und Jugendbehörden, im Falle eines Platzverweises durch die Polizei, die 60 Verständigung des Jugendamtes. In anderen Regionen sind bei Polizeieinsätzen mit Beteiligung von Kindern und Jugendlichen MitarbeiterInnen der Jugendhilfe anwesend (vgl. WEBER 2005, S.70f). Kooperation mit ÄrztInnen Häusliche Gewalt kann sich in Form von körperlichen Verletzungen und psychosomatischen Beschwerden auf die Gesundheit von betroffenen Frauen, Kindern und Jugendlichen auswirken (vgl. SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL 2006,S.414). ÄrztInnen haben den Auftrag, Gewaltopfer zu erkennen und ihnen Hilfe anzubieten. Die Frauen, die als Folge von Gewalt Verletzungen davon tragen und ärztliche Behandlungen in Anspruch nehmen, verschweigen die Gewalt (vgl. SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL 2006,S.415). Die Rechtsmedizin steht ohnehin in Verbindung mit Gerichten (vgl. SEIFERT/HEINEMANN/PÜSCHEL 2006,S.417). Bei einem Verdacht auf häusliche Gewalt sollten ÄrztInnen Informationen über mögliche Hilfen haben und wenn nötig Interventionsmaßnahmen einleiten. Jugendhilfe und häusliche Gewalt Aufgaben der Jugendhilfe §1 Abs. 1 SGB VIII spricht Kindern und Jugendlichen das Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu. Eltern haben nach §1 Abs. 2 SGB VIII das natürliche Recht und auch die Pflicht der Pflege und Erziehung ihrer Kinder inne. Der Staat überwacht dies. Da der Sachverhalt nach §1 Abs. 1 SGB VIII im Falle von häuslicher Gewalt nicht gegeben ist, ist für MEYSEN „Partnerschaftsgewalt (…) ein sicherer Indikator für Hilfebedarf nach SGB VIII.“ (MEYSEN 2004 in WEBER 2005, S.69) Die Jugendhilfe hat in erster Linie die Aufgaben, die individuelle und soziale Entwicklung von jungen Menschen zu fördern, einen Beitrag zur Vermeidung und zum Abbau von Benachteiligungen zu leisten, Eltern (und auch andere Erziehungsberechtigte) in Sachen Erziehung zu beraten und zu unterstützen, das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schützen und zur Erhaltung oder Entstehung einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt sowie positiver Lebensbedingungen für junge Menschen und deren Familien beizutragen (§1 Abs. 3 SGB VIII). 61 Auf häusliche Gewalt bezogen bedeutet das für die Jugendhilfe in erster Linie, häuslicher Gewalt vorzubeugen, bestehende Gewalt zu beenden und die Kinder und Jugendlichen zu schützen. Weiter ist es Aufgabe der Jugendhilfe, die Kinder und Jugendlichen bei der Verarbeitung und Bewältigung des Erlebten zu begleiten und zu unterstützen (vgl. WEBER 2005, S.69). Zur Erfüllung dieser Aufgaben bietet die Jugendhilfe kein speziell auf häusliche Gewalt bezogenes Angebot, was bei der Vielfältigkeit der Problemlagen auch kaum umsetzbar wäre (vgl. STRUCK 2013, S.551). Das Angebot der Jugendhilfe richtet sich an Erziehungsberechtigte und Kinder und Jugendliche. Es besteht aus den Leistungen der Hilfen zur Erziehung nach SGB VIII. Die einzelnen Leistungen können durch ihre Angebote dazu beitragen, sowohl die Eltern als auch die Kinder und Jugendlichen zu schützen und zu unterstützen. Bedürfnisse betroffener Kinder und Jugendlicher Um den Hilfebedarf der von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder und Jugendlichen abdecken zu können, müssen die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen betrachtet werden. Aus den Bedürfnissen und dem Hilfebedarf ergeben sich wiederum Erkenntnisse für den Umgang mit den Betroffenen. Kinder und Jugendliche haben die verschiedensten Gedanken und Gefühle, wenn sie Zeugen häuslicher Gewalt werden (s. S. 19f). Oft empfinden sie für das Geschehene Schuld und Verantwortung (vgl. HAFENBRAK 2013, S.453). Es ist deswegen wichtig, die Täter in die Verantwortung zu nehmen und den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass sie keine Schuld trifft. Besonders jüngeren Kindern muss erklärt werden, dass Gewalt kein angemessenes Verhalten darstellt und Strafen nach sich zieht (vgl. HAFENBRAK 2013, S.453; HEYNEN 2001, S.95). Betroffenen Kindern und Jugendlichen soll die Scham genommen werden, über das Erlebte zu reden. Sie sollen dazu animiert werden, ihre Gedanken und Gefühle zuzulassen und diese auch zu äußern (vgl. HAFENBRAK 2013, S.453; HEYNEN 2001, S.95). Das Erleben häuslicher Gewalt beeinträchtigt außerdem auch das Gefühl von Sicherheit. Hier können ein gewaltfreier Ort sowie stabile Bezugspersonen den Kindern und Jugendlichen helfen, sich wieder sicher und geborgen zu fühlen (vgl. HEYNEN 2001, S.95). Es ist also notwendig, den Lebensraum der Kinder und Jugendlichen zu schützen oder ihnen einen alternativen sicheren Ort zu bieten. Die meisten Kinder und Jugendlichen leiden unter enormen Angstzuständen. Die Angst vor wiederholtem Gewalterleben kann gemindert werden, indem gemeinsam mit SozialarbeiterInnen ein individueller Sicherheitsplan erstellt wird (vgl. HAFENBRAK 2013, S.455). Dieser Plan kann 62 den Kindern und Jugendlichen mögliche Handlungen für Gewaltsituationen aufzeigen. Kinder und Jugendliche erleben im Kontext häuslicher Gewalt oft Loyalitätskonflikte. In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen müssen diese wechselhaften Gefühle sowohl für den Täter als auch das Opfer von den Helfern akzeptiert werden (vgl. HAFENBRAK 2013, S.455). Die Arbeit mit den Eltern oder Bezugspersonen der Kinder und Jugendlichen ist auch aus diesen Gründen wichtig (vgl. HAFENBRAK 2013, S.457). Dazu gehört vor allem die Erziehungskompetenz der Mutter zu stärken und sie zu unterstützen (vgl. HEYENEN 2001, S.95). Die Arbeit mit dem (Stief-)Vater als Gewalttäter kann in einer Aufklärung über die Auswirkungen seines Handelns bestehen und/oder in Unterstützungsmaßnahmen speziell für Gewalttäter (vgl. HAFENBRAK 2013, S.458). Die Arbeit mit dem Täter ist aber abhängig von den Folgen seiner Gewalt. Eventuell wird ihm der Umgang mit den Opfern verboten oder er muss eine Haftstrafe antreten. In den letzten Jahren verstärkte sich auch die Orientierung an Ressourcen der Kinder und Jugendlichen und an Resilienzförderung. Hier sollen bestehende Ressourcen gefördert und neue aufgebaut werden (vgl. HAFENBRAK 2013, S.456). Die Hilfe bei der Bewältigung der Folgen des Miterlebens häuslicher Gewalt sollte auf die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen bezogen sein (vgl. HEYNEN 2001, S.96). Die Kinder und Jugendlichen sollen eine alternative Sichtweise auf das Thema Gewalt, Konfliktlösung sowie auf Geschlechterrollen und dem Verständnis von Familie erfahren können (vgl. HEYNEN 2001, S.95f). Die genannten Bedürfnisse sind Grundlage für den pädagogischen Umgang mit den Kindern und Jugendlichen. Hierfür benötigt es unter anderem eine ausgeprägte Selbstreflexion der helfenden SozialarbeiterInnen. Die SozialarbeiterInnen als Bezugspersonen brauchen außerdem Wissen über die Auswirkungen, die das Erleben häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche haben kann. Auch nicht professionelle Bezugspersonen wie die Mutter oder andere Verwandte brauchen Informationen und Handwerkszeug für den Umgang mit den Kindern und Jugendlichen. Dies kann im Rahmen von Familienbildung und/oder Aus- und Fortbildungen geschehen (vgl. HEYNEN 2001, S.95f). Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen gestalten sich individuell. Sie sind abhängig von Art und Ausprägung der Auswirkungen des Miterlebens häuslicher Gewalt. Je nach Bedürfnis bieten sich die einzelnen Leistungen der Jugendhilfe mehr oder weniger an. Nachstehend werden die Leistungen der Hilfen zur Erziehung sowie eine mögliche Anwendung bei häuslicher Gewalt vorgestellt. 63 Hilfen zur Erziehung gegen häusliche Gewalt Die Erziehungsberatung nach §28 SGB VIII soll allen Beteiligten bei der Klärung, Bewältigung und Lösung verschiedener Probleme helfen, z.B. bei Trennung und Scheidung. Die Erziehungsberatung kann die Erziehungskompetenz(en) der Mutter und/oder anderer Erziehungsberechtigter unterstützen (vgl. HARTWIG 2007, S.168). Soziale Gruppenarbeit soll für Kinder und Jugendliche eine Hilfe bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensproblemen sein (§29 SGB VIII). Kinder und Jugendliche können gestärkt und eventuelle Traumata aufgearbeitet werden (vgl. HARTWIG 2007, S.169). Ein Erziehungsbeistand oder Betreuungshelfer (§30 SGB VIII) soll nach Möglichkeit im sozialen Umfeld der Kinder und Jugendlichen helfen, Entwicklungsprobleme zu bewältigen. Betroffenen Kindern und Jugendlichen kann eine Bezugsperson zur Seite gestellt werden, um beispielsweise den Verlust einen Elternteils durch Trennung, Inhaftierung oder Tod als Folge häuslicher Gewalt zu kompensieren (vgl. HARTWIG 2007, S.169). Die Sozialpädagogische Familienhilfe soll laut §31 SGB VIII Familien intensiv betreuen und begleiten. Sie soll in den Bereichen von Erziehung, Alltag, Konflikt- und Krisenlösung, aber auch beim Kontakt mit verschiedenen Ämtern ansetzen und dadurch Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Der Verbleib von Kindern und Jugendlichen bei der Mutter und die Sicherstellung ihres Wohlergehens können so auf Dauer ermöglicht, begleitet und beobachtet werden (vgl. HARTWIG 2007, S.169). §32 SGB VIII beschreibt die Erziehung in Tagesgruppen. Es findet eine Förderung der individuellen und schulischen Entwicklung und des sozialen Lernens statt. Wie bei der Familienhilfe kann durch Elternarbeit ein Verbleib bei der Mutter ermöglicht werden. Die Kinder und Jugendlichen können außerdem Alltagsstrukturen kennenlernen und Mütter entlastet werden (vgl. HARTWIG 2007, S.169). Nach §33 SGB VIII soll eine Vollzeitpflege Erziehungshilfe oder eine dauerhafte Lebensform für Kinder und Jugendliche bieten. Das Angebot und die Dauer ist unter anderem abhängig von Alter und Entwicklungsstandes der Kinder und Jugendlichen sowie den Bedingungen der Herkunftsfamilie. Vor allem jüngere Betroffene können hier Bezugspersonen finden und stabile Beziehungen aufbauen (vgl. HARTWIG 2007, S.169). §34 SGB VIII beinhaltet die Heimerziehung und andere betreute Wohnformen. Dieses Angebot ist ebenfalls abhängig von Alter und Entwicklungsstandes der Kinder und Jugendlichen sowie den Bedingungen der Herkunftsfamilie. Ein strukturierter Alltag und pädagogisch-therapeutische Angebote sollen die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern. Außerdem soll entweder eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie ermöglicht und gestaltet werden, eine Überführung in eine andere 64 Familie oder ein Verbleiben in der Maßnahme und damit eine Vorbereitung auf ein selbstständiges Leben erreicht werden. Kinder und Jugendliche, die Zeugen häuslicher Gewalt wurden, können hier sowohl einen sicheren Ort als auch Bezugspersonen finden (vgl. HARTWIG 2007, S.169). Die Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung richtet sich an Jugendliche, die eine intensive und individuelle Unterstützung in den Bereichen sozialer Integration und selbstverantwortlicher Lebensführung brauchen (§35 SGB VIII). Alle Angebote bedürfen einer Abklärung der Eignung und Notwendigkeit. Sie richten sich außerdem nach dem Prinzip des mildesten Mittels. Diese Auflistung stellt lediglich eine mögliche Gestaltung der Angebote im Kontext häuslicher Gewalt dar, keine festen Regelungen. Modellprojekte Wie Intervention und/oder Prävention bei häuslicher Gewalt für Frauen, Kinder und Jugendliche gestaltet werden kann, wird anhand der nachstehenden Projektbeispiele dargestellt. Beispiel BIG e.V. Seit 1993 gibt es die „BERLINER INITIATIVE GEGEN GEWALT AN FRAUEN“ (BIG E.V.). Die BIG e.V. setzt sich für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder ein (vgl. BIG E.V. 2013, S.6). Sie besteht aus den drei Einrichtungen der BIG Koordinierung (früher BIG Interventionsprojekt), der BIG Hotline und der BIG Prävention. Das Thema der BIG Koordinierung bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen Gewalt gegen Frauen und den Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Sie soll die Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen herstellen und vorantreiben (vgl. BUSKOTTE/KREYSSING 2013, S.273). Auf die drei Beteiligtengruppen bei häuslicher Gewalt bezogen, beschäftigt sich die BIG Koordinierung mit Schutzmaßnahmen für Frauen und Kinder, Rechtsangelegenheiten und der täterorientierten Intervention. Sie handelt nach dem Schema Beobachten, Koordinieren, Handeln (vgl. BIG E.V. 2013, S.17). Das Beobachten beinhaltet die Überprüfung von Hilfe- und Unterstützungsmaßnahmen, der gelingenden Kooperation verschiedener Institutionen, dem Finden und Bearbeiten von Fehlern sowie ein Beschwerdemanagement (vgl. BIG E.V. 2013, S.17). Das Koordinieren soll die Kooperation zwischen den Institutionen vorantreiben und erweitern. Die Institutionen sind in Bereichen von Polizei, Justiz, Jugendhilfe, Migration, Soziales und Gesundheit angesiedelt. Gemeinsam mit der BIG Koordinierung werden 65 Handlungsstrategien für Situationen häuslicher Gewalt erarbeitet. Außerdem ist die BIG Koordinierung für die Vermittlung an die passenden Institutionen und die Qualitätsüberprüfung zuständig (vgl. BIG E.V. 2013, S.17). Unter Handeln versteht die BIG Koordinierung, den Schutz und die Hilfe für Opfer von häuslicher Gewalt auszubauen, indem sie sich politisch engagiert. So versucht sie beispielsweise Gesetzesänderungen zu initiieren. Weitere Aktivitäten der BIG Koordinierung bestehen in Projekten, der Veröffentlichung von Informationsmaterialien, die Ausgestaltung von Leitlinien sowie ein breites Angebot von Fortbildungen (vgl. BIG E.V. 2013, S.18). Die BIG Hotline bietet eine Rund-um-die-Uhr-Beratungsmöglichkeit per Telefon. Das Angebot kann in 50 Sprachen und auch von Männern in Anspruch genommen werden. Neben der Hotline gibt es noch die Möglichkeit einer Onlineberatung, die Mobile Intervention und das Pro-Aktive Arbeiten (vgl. BIG E.V. 2013, S.21). Die BIG Hotline bietet die Möglichkeit, sich anonym beraten zu lassen. Sie impliziert je nach Bedarf psychosoziale Krisenintervention, Klärung, seelische Entlastung, Orientierungshilfe, Informationen über Handlungsmöglichkeiten, Erstellung eines Sicherheitsplans und auch die Beratung für Personen, die die Opfer unterstützen. Die Onlineberatung funktioniert nur mit einem persönlichen Zugang für die NutzerInnen; das Angebot entspricht dem der Telefonberatung (vgl. BIG E.V. 2013, S.25). Die Mobile Intervention (MI) stellt eine individuelle Beratung vor Ort dar. Sie kann überall stattfinden, zum Beispiel auf dem Weg zu einer Unterstützungsmaßnahme, im Krankenhaus, bei der Polizei oder seit letztem Jahr auch in der Anlaufstelle der BIG Hotline. Die MI kann in Form von Gesprächen, Krisenintervention oder Begleitung zu Institutionen wie Polizei, Frauenhaus oder Gericht durchgeführt werden (vgl. BIG E.V. 2013, S.26). Die Pro-Aktive Beratung wird durch den Einsatz von Polizei eingeleitet. Die Polizei gibt mit der Erlaubnis der Betroffenen deren Daten an die BIG Hotline weiter. Eine BIG Beraterin nimmt daraufhin Kontakt mit der betroffenen Person auf, was den betroffenen Frauen den Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen ermöglicht. Das Angebot ist vor allem für Frauen gedacht, die sich vorher keine Hilfe holen konnten oder wollten, diese aber nötig hätten. Sind die Opfer männlich, werden diese an eine Kooperationsstelle für Männer weitergeleitet (vgl. BIG E.V. 2013, S.27). Die BIG Prävention beschäftigt sich mit Schulen als Kooperationspartner. Um möglichst präsent zu sein, bietet die BIG Prävention Angebote für Kinder, Eltern und Professionelle an (vgl. BIG E.V. 2013, S.28). Für SchülerInnen gibt es Projekttage, Workshops und 66 Sprechstunden, bei denen ihnen Fairness und Gewaltfreiheit nahegelegt werden. Den SchülerInnen wird ihr Recht auf Schutz und Hilfe erklärt und dass sie offen über jegliche Art von Gewalt sprechen dürfen und sollen. Sie erhalten außerdem Informationen über Hilfestellen (vgl. BIG E.V. 2013, S.28). Für Eltern bietet die BIG Prävention Elternabende an. Es werden mehrsprachige Informationsmaterialien verteilt und die Eltern sollen ein Gespür für das Thema häusliche Gewalt und die mögliche Auswirkungen bekommen. Betroffenen Eltern kann so der Zugang zu Hilfe und Unterstützung erleichtert werden (vgl. BIG E.V. 2013, S.28). Das Angebot für pädagogisches Personal an der Schule (LehrerInnen, SchulsozialarbeiterInnen usw.) besteht in Fortbildungen zu häuslicher Gewalt und Interventionsmöglichkeiten. Hier soll außerdem die Kooperation von Jugendhilfe und Schule eingerichtet und/oder verbessert werden (vgl. BIG E.V. 2013, S.28). „Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt“ Die Baden-Württemberg Stiftung führte 2004 das Pilotprogramm „Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt“ ein. Betroffene Kinder und Jugendliche wurden in ihren Problemlagen entsprechende Hilfen integriert und bei der Bewältigung ihrer Erlebnisse unterstützt (vgl. SEIT/KAVEMANN 2010, S.7). 300 Kinder und Jugendliche nahmen mit ihren Müttern an Angeboten der aufsuchenden Krisenintervention, Krisenberatung, Einzeltherapie, sozialpädagogischen oder psychologischen Gruppenarbeit teil (vgl. SEITH/KAVEMANN 2010, S.7). Die Evaluation des Programms ergab unter anderem, dass die Projekte Anteil an der Sicherung des Kindeswohls hatte und die Befindlichkeit der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen verbessert werden konnte. Die Belastungen der Kinder und Jugendlichen wurden gemindert (vgl. SEITH/KAVEMANN 2010, S.15). Die Angebote können eine Ergänzung der bisherigen Kindeswohlsicherung angesehen werden, da sie eine intensivere Betreuung der Kinder und Jugendlichen leisten kann als beispielsweise der Allgemeine Soziale Dienst. Außerdem konnten die meisten Eltern in die Angebote einbezogen werden, was sich für Einrichtungen der Jugendhilfe ebenfalls auf Grund personeller Besetzungen als schwieriger gestalten kann (vgl. SEITH/KAVEMANN 2010, S.15f). Die verschiedenen Problemlagen der Kinder und Jugendlichen bestätigten, dass Angebote für Betroffene häuslicher Gewalt individuell auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zugeschnitten werden müssen. Dies erfordert qualifiziertes Personal (vgl. SEITH/KAVEMANN 2010, S.16f). Unterstützend für ein gelingendes Maßnahmeangebot sind außerdem Rahmenbedingen der anbietenden Einrichtung, ihre Kooperationsverhältnisse 67 sowie die Möglichkeiten des Zugangs zu den Angeboten (vgl. SEITH/KAVEMANN 2010, S.17). In einem ähnlichen Zeitraum fand das Aktionsprogramm „Gemeinsam für mehr Kinderschutz bei häuslicher Gewalt“ statt, welches ebenfalls wissenschaftlich begleitet wurde (vgl. BUSKOTTE 2013, S.537; SEITH/KAVEMANN/LEHMANN 2010, S.112f). Vor allem an Grund- und Hauptschulen boten Beratungsstellen, Frauenhäuser und Fachstellen für Prävention Präventionsangebote für die SchülerInnen an. Das Projekt sollte die Kinder und Jugendlichen über Zugänge zu Hilfen im Falle häuslicher Gewalt aufklären und war in dieser Hinsicht ein Erfolg für alle Beteiligten (vgl. BUSKOTTE 2013, S.537). Inanspruchnahme von Präventions- und Interventionsmaßnahmen Konkrete Zahlen über die Inanspruchnahme von Präventions- und Interventionsangeboten bei häuslicher Gewalt sind der Autorin nicht bekannt. Eine Studie zu Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen (BMFSFJ 2012) zeigt, dass viele Frauen oftmals nicht ausreichend über solche Angebote informiert sind. Vor allem schwer betroffene Frauen wussten am wenigsten über mögliche Hilfen (vgl. BMFSFJ 2012, S.45). Jüngere und ältere Frauen sowie Migrantinnen hatten ebenfalls wenig Kenntnis über mögliche Maßnahmen. Außerdem deutete die Studie darauf hin, dass das Wissen über Prävention und Intervention bei häuslicher Gewalt in Zusammenhang mit dem Bildungsgrad der Frauen stand. Je höher der Bildungsgrad der Betroffenen war, desto mehr wussten sie über mögliche Hilfen (vgl. BMFSFJ 2012, S.45f). Die Studie zur Lebenssituation von Frauen in Deutschland (BMFSFJ 2004 a) belegte, dass von häuslicher Gewalt betroffene Frauen sich aus Angst vor dem Täter keine Hilfe holen wollten, oder es auf Grund seiner Kontrolle nicht konnten (vgl. BMFSFJ 2004 a, S.29). Hilfe durch Einsätze der Polizei beschrieben die Frauen als hochschwellige Angebote, während telefonische Beratungen und auch pro-aktive Angebote als niederschwellig und hilfreich eingeschätzt wurden (BMFSFJ 2004 a, S.31f). Die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung bei häuslicher Gewalt ist schwer nachweisbar, da sich wie erwähnt jede Leistung an der Unterstützung von Betroffenen beteiligen kann. Eine Statistik der Kinder- und Jugendhilfe des STATISTISCHEN BUNDESAMTES nennt für das Jahr 2012 den Beginn von über 190.000 Hilfen zur Erziehung auf Grund von Belastung der Kinder und Jugendlichen durch familiäre Konflikte (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 2013, S.43). Man muss hierbei aber beachten, dass auch Auswirkungen des Erlebens häuslicher Gewalt ein Indikator für Hilfen zur Erziehung sein 68 können und das Erleben selbst nicht als Hilfeanspruch gilt. So kann ein junger Mensch beispielsweise auf Grund von Verhaltensauffälligkeiten Hilfe erhalten, es ist aber nicht bekannt, dass er häusliche Gewalt erlebt hat und dies der Grund für seine Auffälligkeiten sein könnte. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Soziale Arbeit durch verschiedene Handlungsfelder einen Beitrag gegen häusliche Gewalt leisten kann. Wichtig ist in jedem Fall die Kooperation von Institutionen, die Unterstützung für Betroffene bieten. Für eine gelingende Kooperation braucht es Regeln, die gemeinsam erarbeitet werden und alle Beteiligten akzeptieren. Wichtige Akteure für Prävention- und Interventionsmaßnahmen gegen häusliche Gewalt können Frauenhäuser, Familiengerichte, Polizei, ÄrztInnen und die Jugendhilfe sein. Speziell auf die Kinder und Jugendlichen als Zeugen häuslicher Gewalt bezogen hat die Jugendhilfe die Aufgabe, die Gewalt zu beenden sowie die Opfer zu schützen und zu unterstützen. Hierbei ist es notwendig, die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu kennen und angemessen darauf zu reagieren. Betroffene Kinder und Jugendliche müssen Erfahrungen mit gewaltfreien Bezugspersonen und Umgebungen machen. Wie Präventions- und Interventionsprojekte aussehen und funktionieren könne, zeigt beispielsweise die BERLINER INITIATIVE GEGEN GEWALT AN FRAUEN (BIG E.V.). Sie besteht aus drei Einrichtungen, die sich mit Prävention, Intervention und Koordinierung beschäftigen. Speziell für Kinder und Jugendliche initiierte die Landesstiftung BadenWürttemberg Pilotprojekte für Zeugen häuslicher Gewalt. Weiter gab es Präventionsangebote an Schulen. Das Wissen über mögliche Hilfeangebote bei häuslicher Gewalt ist ausbaubar. 69 Fazit Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit Kindern und Jugendlichen als Zeugen häuslicher Gewalt und den Auswirkungen des Miterlebens auf die Entwicklung der Betroffenen. Wie bereits beschrieben, gibt es keine einheitliche Definition des Terminus „Häusliche Gewalt“. Er entwickelte sich aus der Frauenbewegung heraus, weshalb häusliche Gewalt meistens mit Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften gleichgesetzt wird, wie auch in dieser Arbeit. Ein Viertel aller Frauen hat einer Studie des BMFSFJ zu Folge Erfahrungen mit Gewalt in der Partnerschaft gemacht. Zur Betroffenheit von Männern liegt bisher lediglich eine nicht repräsentative Pilotstudie für Deutschland vor. Kinder und Jugendliche wurden im Zusammenhang mit dem Vorkommen häuslicher Gewalt lange Zeit vernachlässigt, obwohl sie als Zeugen ebenfalls Beteiligte bei Gewalthandlungen im häuslichen Bereich sind. Gewalt in der Familie bedeutet für Kinder und Jugendliche den Verlust eines sicheren Ortes und verlässlicher Bezugspersonen. Das Erleben der Gewalt gegen ihre Mutter stellt für Kinder und Jugendliche enormen Stress dar und erzeugt bei vielen Betroffenen Gefühle von Schuld, Verantwortung, Angst und Scham sowie Loyalitätskonflikte. Das Miterleben häuslicher Gewalt kann zu Verhaltensstörungen, Entwicklungsstörungen im sozialen und kognitiven Bereich, Störungen des Bindungsverhaltens, Traumatisierung und/oder Störungen des Geschlechterrollenverständnisses führen. In welcher Form und Ausprägung sich die Gewalterfahrungen auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen auswirken, ist von verschiedenen Wirkfaktoren wie Alter, Geschlecht sowie Art und Häufigkeit der Gewalt abhängig. Im Gegensatz dazu kann die Fähigkeit zur Resilienz eine gesunde Entwicklung unterstützen. Eine Sonderform häuslicher Gewalt stellen Tötungsdelikte dar. Der mögliche Verlust beider Elternteile durch Tod und/oder Inhaftierung bringt für die Kinder und Jugendlichen enorme Veränderungen mit sich. Auch die im Fallbeispiel beschriebene Katja zeigt verschiedene Störungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als Folge des Erlebens der Gewalt ihres Vaters gegen ihre Mutter und deren Tod auftreten. Im Gegensatz der indirekten Betroffenheit durch das Miterleben von Gewalt richtet sich Kindesmisshandlung direkt gegen Kinder und Jugendliche. Miterleben und Misshandlung werden sie als verschiedene Themen behandelt. Verschiedene Wirkfaktoren beeinflussen die Auswirkungen auf betroffene Kinder und Jugendliche, besonders Alter und 70 Entwicklungstand spielen hier eine Rolle. Während einige Folgen von Kindesmisshandlung sich kurzzeitig nach der Gewaltanwendung zeigen, äußern sich andere Folgen erst im späteren Leben der Betroffenen. Misshandelte Kinder und Jugendliche zeigen in vielen Fällen ähnliche und/oder identische Entwicklungsstörungen wie die Kinder und Jugendlichen, die Zeugen häuslicher Gewalt wurden. Zudem konnte eine Studie herausfinden, dass das Erleben häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche den gleichen Effekt haben kann, wie selbst misshandelt zu werden. Präventive und intervenierende Maßnahmen richten sich prinzipiell an die gewalterleidenden Frauen, zum Beispiel Frauenhäuser, Gewaltschutz, polizeiliche Interventionen und Gerichtsbeschlüsse. Um auch den Kindern und Jugendlichen Unterstützung leisten zu können, bedarf es der Kooperation verschiedener Institutionen. Für die Soziale Arbeit bedeutet dies, diese Kooperationen herzustellen und aufrecht zu erhalten. Nur wenn Institutionen wie Frauenhäuser, Polizei, Gerichte, Medizin und Jugendhilfe gemeinsam arbeiten, kann die Unterstützung aller Betroffenen gewährleistet werden. Die Jugendhilfe bietet mit den Hilfen zur Erziehung Maßnahmen für die Unterstützung und Sicherheit der Kinder und Jugendlichen. Für die SozialarbeiterInnen in der Jugendhilfe ist es wichtig, die Auswirkungen des Erlebens häuslicher Gewalt und die daraus resultierenden Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu kennen, um so pädagogisch wirksam handeln zu können. Kritische Anmerkungen Auch wenn das Thema häuslicher Gewalt in den letzten Jahren mehr in die Öffentlichkeit rückte, stellt es immer noch ein Tabuthema dar. Dass häusliche Gewalt nicht nur Auswirkungen auf die betroffenen Frauen haben kann, sondern auch Kinder und Jugendliche eine Betroffenengruppe darstellen, wurde bisher selten beachtet. Zwar gibt es inzwischen repräsentative deutsche Studien zu Gewalt gegen Frauen, jedoch stehen Kinder und Jugendliche auch hier im Hintergrund der Forschungen. Häusliche Gewalt als Tabuthema stellt die Forschung vor Schwierigkeiten bei Untersuchungen. Viele Fälle häuslicher Gewalt sind nicht bekannt, weil sich Frauen nicht trauen darüber zu reden oder sich Hilfe zu holen. Ein weiterer Grund kann sein, dass viele Frauen mangelhaft über mögliche Unterstützungsmaßnahmen informiert sind. Auf der Suche nach Studien zum Thema Kinder und Jugendliche als Mitbetroffene in Fällen häuslicher Gewalt, wurde die Autorin nur unzureichend fündig. Das erste Problem 71 stellt die Unwissenheit über die Anzahl betroffener junger Menschen dar. Nicht nur Mütter schweigen über die Gewalt in der Familie, auch die meisten Kinder und Jugendlichen trauen sich entweder nicht, darüber zu reden oder werden zum Schweigen verpflichtet. Schuld- und Verantwortungsgefühle auf Grund der Gewalt verstärken die Angst und Scham davor, sich jemandem anzuvertrauen. Die Studien, die sich mit den Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen beschäftigen, zeigen wie wichtig das Thema für die Forschung sein sollte. Denn das Miterleben wirkt sich nicht nur auf die Befindlichkeit der Kinder und Jugendlichen aus, sondern unter anderem auch auf ihre geistige und seelische Entwicklung. Viele von ihnen haben beeinträchtigte Vorstellungen von Familienbildern und Geschlechterrollen. Diese erhöht das Risiko, dass die erlebten Verhaltensweisen im späteren Leben fortgeführt beziehungsweise nachgeahmt werden. Obwohl Studien herausfanden, dass das Miterleben häuslicher Gewalt für Kinder und Jugendliche gleiche Auswirkungen wie das Erleben von Kindesmisshandlung haben kann, steht das Thema Kindesmisshandlung mehr im Fokus der Gesellschaft und Wissenschaft. Auch Ergebnisse der Resilienzforschung, die zeigen konnten, dass sich Kinder und Jugendliche trotz schlimmer Erlebnisse unter positiven Umständen beinahe gesund entwickeln können und was dafür aber nötig ist, wird zu selten berücksichtigt. Häusliche Gewalt ist ein Thema verschiedener Institutionen und Disziplinen. Sowohl Polizei und Gerichte als auch Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit müssen sich mit häuslicher Gewalt auseinandersetzen. Um wirksam gegen häusliche Gewalt vorgehen und die Betroffenen unterstützen zu können, ist eine enge Zusammenarbeit der einzelnen Institutionen notwendig. Präventions- und Interventionsmaßnahmen sind vielen Betroffenen aber auch anderen Personen weitestgehend unbekannt oder erscheinen in einigen Fällen nicht erreichbar und hilfreich. Ausblick Wissenschaft und Öffentlichkeit sollten sich in Zukunft mehr mit Kindern und Jugendlichen als Mitbetroffene bei häuslicher Gewalt beschäftigen. Erste Schritte wie das Gewaltschutzgesetz (2001) oder die erste repräsentative Studie zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004) wurden bereits gemacht. Es ist wichtig, diesen Weg weiter zu gehen, um das Schweigen über das Thema häusliche Gewalt zu brechen. Alle Menschen müssen darüber aufgeklärt werden, was häusliche Gewalt ist, wie es sich auf alle Betroffenen auswirkt und vor allem wie geholfen beziehungsweise wo Hilfe gefunden werden kann. Die „BERLINER INITIATIVE 72 GEGEN GEWALT AN FRAUEN“ (BIG e.V.) zeigt seit über 20 Jahren, wie das funktionieren kann. Es benötigt präventive Angebote, die sich zwar an alle Menschen richten sollen, vor allem aber auch an die risikogefährdeten Gruppen der Frauen und jungen Menschen. Sowohl die BIG e.V. als auch ein Aktionsprogramm der Landesstiftung BadenWürttemberg für mehr Kinderschutz beschäftigen sich mit Prävention an Schulen. Hier können und müssen sowohl LehrerInnen, SchulsozialarbeiterInnen als auch Eltern und ihre Kinder integriert und informiert werden. Diese Angebote können nicht nur von Frauenhäusern und Beratungsstellen durchgeführt werden, sondern sollten auch die Wichtigkeit von Kooperationspartnern darstellen. So könnten beispielsweise verschiedene kommunale Institutionen wie Polizei, Gericht, Medizin, Jugendhilfe und Frauenschutz das Thema von ihrem Standpunkt aus beleuchten. Gäbe es ein festes Team der Kooperationspartner, sozusagen eine Abteilung „Häusliche Gewalt“ mit festen MitarbeiterInnen der Institutionen, so könnten sich diese bei Informationsveranstaltungen vorstellen. Das könnte dazu führen, dass die Angebote für Betroffene niederschwelliger erscheinen und sie genau wüssten, an wen sie sich zu wenden haben. Sich an jemanden zu wenden, den man schon einmal gesehen hat, der einem sympathisch und vertrauensvoll erschien, ist einfacher, als sich an einen Fremden zu wenden. Auch die Erreichbarkeit ist ein ausschlaggebender Faktor, weshalb Projekte dieser Art hauptsächlich auf kommunaler Ebene durchgeführt werden sollten. Besonders für Kinder und Jugendliche könnte dies das Aufsuchen und Annehmen von Hilfe erleichtern. Wie bereits erwähnt setzt ein Angebot in dieser Form eine stabile Kooperation zwischen den Institutionen voraus. Die MitarbeiterInnen sollen sich gegenseitig bekannt sein. Deswegen wäre es auch ideal, ein festes Team für Angelegenheiten bei häuslicher Gewalt zu installieren. Auch zwischen den Helfern sind Sympathie und Vertrauen wichtig für eine gute Zusammenarbeit. Das Wissen, sich aufeinander verlassen zu können und welcher Partner welche Unterstützung leistet, erleichtert die Einleitung schneller und effektiver Hilfemaßnahmen. Auch Öffentlichkeitsarbeit spielt eine Rolle in der präventiven Arbeit gegen häusliche Gewalt. Als ein Schritt zwischen Prävention und Intervention kann die Aufklärung über mögliche Auswirkungen des Erlebens häuslicher Gewalt sein. Vor allem Professionelle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, müssen die Auswirkungen und ihre möglichen Erscheinungsbilder erkennen und darauf reagieren können. Zwar sollten auch NichtProfessionelle dieses Wissen haben, jedoch stehen beispielsweise KindergärterInnen, LehrerInnen oder SchulsozialarbeiterInnen ständig in Kontakt mit Kindern und 73 Jugendlichen. Aus diesem Grund wäre es ratsam, auch MitarbeierInnen dieser Institutionen in das Team gegen häusliche Gewalt aufzunehmen. Die PädagogInnen können bei Verdacht Hilfe anbieten und konkrete Maßnahmen einleiten. So könnte bestehende Gewalt beendet und zukünftiger Gewalt vorgebeugt werden. Die meisten Interventionsmaßnahmen richten sich bis jetzt an Frauen, zum Beispiel Frauenhäuser und Beratungsstellen. Die Hilfen für Kinder und Jugendliche begrenzen sich auf wenige Pilotprojekte, zum Beispiel „Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt“ der Landesstiftung Baden-Württemberg. Die Jugendhilfe bietet Hilfen zur Erziehung, welche sich innerhalb der einzelnen Leistungen mit dem Thema häusliche Gewalt beschäftigen. Wie schon erwähnt ist es auch hier wichtig, die Kinder und Jugendlichen ausführlich über ihre Möglichkeiten der Unterstützung zu informieren. Unterstützung kann nicht nur in Form von Hilfe zur Erziehung stattfinden, welche außerdem prinzipiell von Eltern in Anspruch genommen werden, weniger von den Kindern selbst. Den Kindern und Jugendlichen sollten ihre kommunalen Einrichtungen, beziehungsweise das Team gegen häusliche Gewalt bekannt sein. Damit sich die Kinder und Jugendlichen Hilfe holen (können), müssen die Angebote leicht und rund um die Uhr erreichbar sein. Die Angebote müssen dem gesellschaftlichen Wandel angepasst sein, das heißt, in Zeiten von Internet, Smartphones und Apps kann vermutet werden, dass Hotlines und Online-Beratungen für Kinder und Jugendliche niederschwellig erscheinen und sie durch die Anonymität Mut finden, sich Hilfe zu holen. Diese Angebote bieten im Punkt Erreichbarkeit geringere Probleme als beispielsweise Beratungsstellen, die eine gewisse Mobilität erfordern. Auch pro-aktive Maßnahmen eignen sich in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. So können auch Kinder und Jugendliche erreicht werden, denen entweder das Wissen über Angebote fehlt oder die Möglichkeiten fehlen, Angebote zu erreichen. Innerhalb einer Interventionsmaßnahme, egal welcher Art, ist es wichtig, dass die Helfer über die möglichen Auswirkungen des Erlebten im Bilde sind. Die Helfer müssen wissen, welche Bedürfnisse und Defizite die betroffenen Kinder und Jugendlichen haben können. Beispielsweise muss in Betracht gezogen werden, dass vor allem jüngeren Kindern nicht klar ist, dass Gewalttätigkeit nicht in allen Familien vorkommt und keinesfalls einen Normalzustand darstellt. Das Miterleben häuslicher Gewalt ist eine Form indirekter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, aber es ist eine Form der Gewalt. Kindesmisshandlung als Gewalt gegen Kinder und Jugendliche wird bereits lange und ausgiebig erforscht und an die 74 Öffentlichkeit gebracht. Auch ihre Auswirkungen und Unterstützungsmöglichkeiten sind weitestgehend bekannt. Dies sollte in Zukunft als Ansporn und Ziel genommen werden, Themen häuslicher Gewalt, die Betroffenheit von Kindern und Jugendlichen, die Auswirkungen der Erlebnisse sowie Präventions- und Interventionsangebote mehr zu erforschen, darüber zu informieren und gegen häusliche Gewalt vorzugehen. 75 Literaturverzeichnis BERLINER INITIATIVE GEGEN GEWALT AN FRAUEN (BIG E.V.) (Hg.) 2013: Beratung – Intervention – Gewaltprävention bei häuslicher Gewalt. 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