Skript

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A. Thiede
Werkstoffe der Elektrotechnik
II. Metalle
In diesem Kapitel wollen wir uns zunächst kurz den mechanischen und elektrischen Eigenschaften der
Metalle zuwenden, danach aber insbesondere auf Legierungen eingehen. Den Abschluss bildet ein
wiederum kürzerer Abschnitt zum Thema der Supraleitung.
1. Mechanische Eigenschaften
Tabelle II.1 gibt eine Übersicht über die Gitterstrukturen der wichtigsten Metalle. Neben einer
eindeutigen Zuordnung kann es, wie z.B. beim Eisen, auch zu einem temperaturabhängigen Wechsel der
Gitterstruktur kommen. Dieser Effekt wird als allotrope Umwandlung bezeichnet.
hexagonal
kubisch flächenzentriert
kubisch raumzentriert
Be, Mg, Zn, Cd
Cu, Ag, Au, Al, Ni, Pb, Pt
Li, Na, K, Cr, Mo, Ta, W
910°C
γ-Fe
α-Fe
1390°C
gut verformbar
relativ spröde
Tabelle II.1: Gitterstrukturen wichtiger Metalle
Die Verformung der Metalle kann, wie in Bild II.1 illustriert, durch Abgleiten von Gitterebenen erklärt
werden. Dazu eignen sich insbesondere stark besetzte Ebenen wie die (1,1,1)-Ebene im kubisch
flächenzentrierten Gitter. Metalle,
die in diesem Gitter kristallisieren
sind
daher
besonders
gut
verformbar.
Sind
bestimmte
Eigenschaften
richtungsabhängig, so spricht man
von Anisotropie, andernfalls von
Bild II.1: Illustration des Gleitens von Gitterebenen
Isotropie.
2. Elektrische Eigenschaften
Wie bereits erläutert, ist die hohe elektrische Leitfähigkeit der Metalle darin begründet, dass die
Elektronen im Leitband viele freie Energiezustände vorfinden, also kinetische Energie aufnehmen und
sich somit bewegen können. Die hohe Zahl freier Energiezustände kann wiederum entweder durch
• ein unvollständig besetztes Leitband oder
• eine Überlappung von Valenz- und Leitband verursacht sein.
Ein Elektron mit der Ladung –q und der effektiven Masse meff wird im elektrischen Feld E entsprechend
dv
m eff ⋅
= −q ⋅ E
(II.1)
dt
beschleunigt. Geht man von einer mittleren Flugzeit τf aus, so erhöht sich die Geschwindigkeit des
Elektrons linear bis auf
q
v=−
⋅ E ⋅ τf
(II.2)
m eff
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A. Thiede
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bis sie aufgrund eines Zusammenstoßes wieder auf 0 absinkt. Damit ist die mittlere Geschwindigkeit der
Elektronen im elektrischen Feld, die auch als ihre Driftgeschwindigkeit bezeichnet wird
q ⋅ τf
vd = −
⋅ E = −µ n ⋅ E
(II.3)
2 ⋅ m eff
wobei die Konstanten wie in Gleichung II.3 geschehen zu der sogenannten Beweglichkeit µ
zusammengefasst werden können. Der Index bezieht sich dabei auf die Ladungsträgersorte, n also auf
Elektronen. Die Stromdichte können wir nun mit
J n = −q ⋅ n ⋅ v d = q ⋅ n ⋅ µ n ⋅ E = κ ⋅ E
(II.4)
ausdrücken und wir erhalten für die spezifische Leitfähigkeit wie schon in Gleichung I.168
1
κ = q ⋅ n ⋅ µn =
(II.5)
ρ
Es mag überraschen, dass trotz der hohen spezifischen Leitfähigkeit die Driftgeschwindigkeit der
Elektronen im Vergleich zu Halbleitern oder zu ihrer mittleren thermischen Geschwindigkeit, die etwa im
Bereich von 107 cm/s liegt, winzig klein ist. So ergibt z.B. eine Driftgeschwindigkeit von nur 0.5 mm/s in
Kupfer bereits die beachtliche Stromdichte von 1000 A/cm2 . Dies wird allerdings verständlich, wenn
man sich die große Zahl der Ladungsträger vergegenwärtigt, die in einem Metall zum Stromfluss
beitragen. Dazu wird Übungsaufgabe 5.2 dienen.
Der Einfluss des Gitters auf den spezifischen Widerstand kann
• in den temperaturabhängigen Term ρT(T), der auf die Gitterschwingungen zurückzuführen ist und
• in den konzentrationsabhängigen Term ρF(NF), der auf Fehlordnungen zurückzuführen ist
separiert werden. Damit ergibt sich der in Bild II.2 über der Temperatur dargestellte spezifische
Widerstand als
ρ
ρ = ρT ( T ) + ρ F ( N F )
(II.6)
ρF
0
2
4
6
8
T/K
Bild II.2: Spezifischer Widerstand
bei tiefer Temperatur
Eine Kühlung auf etwa 4 K, die Temperatur von flüssigem
Helium, ist ausreichend, um den temperaturabhängigen Term
auf praktisch 0 zu reduzieren. Der bei dieser Temperatur
gemessene spezifische Widerstand ist also ein Maß für die
Reinheit eines – nicht supraleitenden – Metalls. Für geringe
Konzentrationen von Fehlordnungen, d.h. für weniger als etwa
2 % , steigt der dadurch verursachte Term des spezifischen
Widerstandes linear
ρF ( NF ) ∼ NF
(II.7)
Die Temperaturabhängigkeit des spezifischen
Widerstandes
wird
mit
Hilfe
des
Temperaturkoeffizienten
W / ( cm ⋅ K )
1 dρ
Cu
1.7
0.43
4.0
αρ = ⋅
(II.8)
ρ dT
Ag
1.6
0.41
4.1
ausgedrückt.
Der
spezifische
elektrische
Au
2.2
0.40
3.1
Widerstand ρ bzw. die spezifische elektrische
Al
2.7
0.43
2.3
Leitfähigkeit κ sind mit der spezifischen
Tabelle II.2: Spezifischer elektrischer Widerstand
Wärmeleitfähigkeit λ über das Wiedeman-Franz
mit Temperaturkoeffizient und
(-Lorenz)'sche Gesetz
spezifische Wärmeleitfähigkeit bei
T
Raumtemperatur
λ ∼ = κ⋅T
(II.9)
ρ
verknüpft. Diese Werte können Tabellenbüchern entnommen werden und sind beispielhaft in Tabelle II.2
für die vier wichtigsten elektrischen Leiterwerkstoffe zusammengestellt.
ρ in µΩcm
αρ in % / K
λ in
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3. Legierungen
Legierungen sind Stoffe mit metallischen Eigenschaften, die aus zwei oder mehr Elementen bestehen,
von denen mindestens eines ein Metall ist.
Unter einer Phase wollen wir in diesem Zusammenhang ein Gebiet mit
• gleicher Zusammensetzung,
• gleichem Aggregatszustand und
• gleicher Kristallstruktur verstehen.
Ein homogenes Gefüge besteht nur aus einer Phase.
Ein heterogenes Gefüge besteht aus zwei oder mehr Phasen.
Die Trennflächen von Phasen heißen Phasengrenzen.
Als Voraussetzung für die nachfolgenden Betrachtungen wollen wir nun zunächst einige Begriffe und
Zusammenhänge der Thermodynamik wiederholen. Gemäß der Definition der Entropie eines Zustandes
S = k ⋅ ln ( P )
(II.10)
wobei k wieder die Boltzmannkonstante und P die Wahrscheinlichkeit des Zustandes sind, befindet sich
ein System dann im Gleichgewicht, wenn die Gesamtentropie maximal geworden ist, d.h. wenn
Sgesamt = (S + SUmgebung ) = Smax
(II.11)
Von selbst können also nur Prozesse ablaufen, bei denen die Gesamtentropie wächst
∆S + ∆SUmgebung ≥ 0
(II.12)
Wurde das Gleichgewicht erreicht, so ist die Summe der Änderungen der Entropien
∆S + ∆SUmgebung = 0
(II.13)
Da der Entropieaustausch mit der Umgebung durch Wärme erfolgt, muss
∆Q
∆S = −∆SUmgebung =
(II.14)
T
wobei ∆Q die ausgetauschte Wärmeenergie darstellt. Nach dem 1. Hauptsatz der Wärmelehre
∆Q = ∆U − ∆E
(II.15)
ist die einem System zugeführte Wärmeenergie ∆Q aber gleich der Summe der Erhöhung der inneren
Energie ∆U und der geleisteten Arbeit –∆E . Die geleistete Arbeit ist die Volumenarbeit
∆E = − p ⋅ V
(II.16)
wobei p den Druck und V das Volumen bezeichnen. Ausgehend von Gleichung II.12 erhalten wir somit
bei konstantem Druck und sich nur langsam verändernder, also quasi-konstanter Temperatur
0 ≥ −∆S ⋅ T + ∆U + p ⋅ ∆V = ∆ ( U + p ⋅ V − T ⋅ S ) = ∆G
(II.17)
Die Größe G in Gleichung II.16 wird freie Enthalpie oder
Gibbs-Potential genannt. Das Gleichgewicht ist wiederum
gS
hergestellt, wenn die freie Enthalpie ein Minimum erreicht hat,
wenn also entsprechend Gleichung II.13
g
∆G = 0
(II.18)
gL
Bild II.3 zeigt nun mögliche Verläufe der molaren freien
Enthalpien, also der auf eine Stoffmenge von 1 mol bezogenen
freien Enthalpie, der festen (S, lat. solidus) und flüssigen (L, lat.
A
B
liquidus) Phase einer Legierung bei konstantem Druck und
xB
konstanter Temperatur über der Zusammensetzung, d.h. über
dem Stoffmengengehalt der Komponente B. Für alle
Bild II.3: Molare freie Enthalpie
Zusammensetzungen ist die molare freie Enthalpie der flüssigen
als Funktion des StoffPhase hier niedriger. Bei dieser Temperatur wird die Legierung
mengengehalts der Komalso unabhängig vom Stoffmengengehalt der Komponente B
ponente B bei ausschließstets flüssig sein.
lich flüssiger Phase
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gL
g
gS
A
x SB
x LB
xB
B
Bild II.4: Molare freie Enthalpie
als Funktion des Stoffmengengehalts der Komponente B bei fester und
flüssiger Phase
Denkbar sind aber auch die in Bild II.4 skizzierten Verläufe.
Durch die Doppeltangente an die Kurven für die feste und die
flüssige Phase erhält man den Stoffmengengehalt der
Komponente B in der festen Phase x SB bzw. in der flüssigen
Phase x LB . Zwischen diesen beiden Werten treten die feste und
die flüssige Phase nebeneinander auf.
Auf dieser Grundlage basieren die in Abschnitt 3.1
einzuführenden Zustandsdiagramme. Für deren Klassifizierung
wollen wir jedoch zunächst noch den Begriff der Mischbarkeit
oder Löslichkeit erläutern. Die für den Austausch eines Atoms
der Sorte A aus einem von Atomen der Sorte A gebildeten
Gitter durch ein Atom der Sorte B aus einem von Atomen der
Sorte B gebildeten Gitter benötigte Energie ist
1
ES = ⋅ ( E AA + E BB − 2 ⋅ E AB )
(II.19)
2
Dabei bezeichnen
• EAA die für die Entfernung eines Atoms A aus dem Gitter A benötigte Energie,
• EBB die für die Entfernung eines Atoms B aus dem Gitter B benötigte Energie und
• EAB die beim Einbau eines Atoms A in das Gitter B bzw. eines Atoms B in das Gitter A frei
werdenden Energien.
Bezüglich der Energiebilanz können wir nun drei Fälle unterscheiden:
• Für ES > 0 besteht nur eine beschränkte Löslichkeit bzw. Mischbarkeit.
•
Für ES = 0 besteht eine vollständige Löslichkeit bzw. Mischbarkeit.
•
Für ES < 0 treten intermetallische Verbindungen auf, wie z.B. Mg2Sn .
3.1. Zustandsdiagramm bei vollständiger Löslichkeit
Bild II.5 zeigt eine Reihe der soeben diskutierten Darstellungen der molaren freien Enthalpie über dem
Stoffmengengehalt der Komponente B bei verschiedenen Temperaturen und Normaldruck, d.h. bei
N
1bar = 105 Pa = 105 2 .
m
T3
T2
T5
T1
T4
g
gL
L
g
gL
L
xB
gL
gS
gS
g
gL
g
g g
S
S
xB
gS
L+S
xB
L
S
xB
g
gL
gS
S
xB
Bild II.5: Molare freie Enthalpien der festen und flüssigen Phase über dem Stoffmengengehalt der
Komponente B bei verschiedenen Temperaturen und Normaldruck
Wir gehen wieder davon aus, dass die Temperatur einer Legierung so langsam reduziert wird, dass ein
Atomaustausch bis zum Erreichen der Gleichgewichtskonzentration möglich ist. Andernfalls kommt es zu
Konzentrationsunterschieden, die als Seigerungen bezeichnet werden.
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T
T
T
L
T1
T2
Liquidus
S+L
T3
Solidus
T4
T5
t
t
t
Bild II.6: Zeitlicher Verlauf der Temperatur
einer erstarrenden Legierung
( Parameter Stoffmenge xB )
S
A
x SB
xB
x LB
B
Bild II.7: Zustandsdiagramm bei vollständiger
Löslichkeit
( T1-T5 entsprechend Bild II.5 )
Stellt man zunächst für verschiedene Werte von xB den Verlauf der Temperatur der Legierung über der
Zeit dar, so erkennt man wie in Bild II.6 dargestellt, für die jeweils reinen Komponenten A und B einen
ausgeprägten Haltebereich, d.h. die Temperatur bleibt beim Erreichen der Schmelztemperatur solange
konstant, bis die gesamte Schmelze erstarrt ist. Bild II.5 entnehmen wir jedoch, dass bei einem Gemisch
der Komponenten A und B über einen bestimmten Temperaturbereich Teile der Legierung fest und Teile
der Legierung flüssig sind. In Bild II.6 erkennt man dies am zwar geringeren aber noch vorhandenen
Absinken der Temperatur. Übertragen wir diese Punkte aus Bild II.6 sowie den jeweiligen
Stoffmengengehalt der flüssigen und der festen Phase aus einer Darstellung entsprechend Bild II.4 und
II.5 bei der jeweiligen Temperatur nun in eine Darstellung der Temperatur der Legierung über dem
Stoffmengengehalt der Komponente B, so erhalten wir das in Bild II.7 dargestellte Zustands- oder
Phasendiagramm. Oberhalb der auf diese Weise konstruierten Liquidus-Linie ist die Legierung flüssig,
unterhalb der Solidus-Linie ist sie fest. Es handelt sich hier also jeweils um Einphasenräume. Zwischen
beiden Linien liegen die feste und die flüssige Phase , also ein Zweiphasenraum vor.
Geht man von einer Legierung mit dem Stoffmengengehalt der Komponente B xB aus und reduziert
langsam die Temperatur, wie in Bild II.7 rot markiert, so trifft man zunächst auf die Liquidus-Linie. In
diesem Punkt ist der Stoffmengengehalt der flüssigen Phase xL gerade noch 1 und der Stoffmengengehalt
der festen Phase xS gerade noch 0.
Bei weiterer Temperaturabsenkung steigt xS langsam an und xL sinkt. Der Stoffmengengehalt der
Komponente B in der flüssigen Phase x LB ebenso wie der Stoffmengengehalt der Komponente B in der
festen Phase x SB weichen nun jedoch von dem ursprünglich in der flüssigen Legierung vorhandenen
Stoffmenge der Komponente B xB ab. Wie in blau markiert, findet man die Werte x LB und x SB für eine
bestimmte Temperatur T als die Schnittpunkte der Liquidus- bzw. Solidus-Linie mit einer waagerechten
Geraden durch den Punkt (xB,T). Qualitativ kann man sich leicht vorstellen, dass in dem in Bild II.7
gezeigten Beispiel der Stoffmengengehalt der Komponente B in der festen Phase x SB zunächst kleiner als
der Ausgangswert xB ist, da ja die Komponente B die niedrigere Schmelztemperatur hat und also verstärkt
Komponente A eingebaut wird.
Senkt man die Temperatur weiter langsam ab, so triff man schließlich auf die Solidus-Linie. Nun ist der
Stoffmengengehalt der flüssigen Phase xL=0 und der Stoffmengengehalt der festen Phase xS=1. Die
Legierung ist also vollständig erstarrt und der Stoffmengengehalt der Komponente B in der nun
ausschließlich vorhandenen festen Phase x SB stimmt wieder mit dem Ausgangswert bei ausschließlicher
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Existenz der flüssigen Phase xB überein. In unserem Beispiel ist also die zunächst verstärkt eingebaute
Komponente A nachträglich wieder ausgebaut worden.
Um hierfür eine quantitative Beschreibung abzuleiten, wollen wir zunächst feststellen, dass eine
Stoffmenge nur entweder fest oder flüssig sein kann, die Summe also
xS + x L = 1
(II.20)
sein muss. Die Multiplikation dieser Gleichung mit xB ergibt
x B ⋅ xS + x B ⋅ x L = x B
(II.21)
Gleichzeitig kann man die Stoffmenge der Komponente B aber auch als die Summe der Stoffmengen der
Komponente B in der festen und der flüssigen Phase
x B = x SB ⋅ x S + x LB ⋅ x L
(II.22)
ausdrücken. Durch Gleichsetzen der Gleichungen II.21 und II.22 erhält man schließlich den als
Hebelgesetz bezeichneten Zusammenhang
(II.23)
( x B − xSB ) ⋅ xS = ( x LB − x B ) ⋅ x L
Diese Bezeichnung wird verständlich, wenn man sich in Bild II.7 veranschaulicht, dass tatsächlich x SB
und x LB als Endpunkte eines im Punkt xB gelagerten Hebels aufgefasst werden können.
Die wichtigste Anwendung hierzu in der Halbleitertechnik ist das Zonenschmelzen, ohne dass die
Herstellung von Einkristallen in der erforderlichen Reinheit nicht möglich wäre. Dabei wird eine örtlich
begrenzte Schmelze bei einer konstanten Temperatur durch die Probe bewegt. Dies geschieht allerdings
so schnell, dass es nicht zum Konzentrationsaustausch kommen kann. Eine zunächst stärker oder
schwächer eingebaute Komponente A, die jetzt eine Verunreinigung darstellen soll, kann also nicht
wieder ausgebaut werden und reichert sich daher an den Enden des stabförmigen Kristall an. Trennt man
diese Enden nach vielfacher Wiederholung des Schmelz- und Erstarrungsprozesses ab, so verbleibt ein
hochreiner Kristall. Das Verfahren setzt jedoch unterschiedliche Schmelzpunkte voraus.
3.2. Zustandsdiagramm bei eutektischer Erstarrung
Wir betrachten nun den Fall, dass im festen Zustand keine Löslichkeit existiert. Damit entartet die
Solidus-Linie des wie schon zuvor aus den Abkühlungskurven konstruierten Zustandsdiagramms zu der
in Bild II.9 grün markierten, waagerechten Linie.
T
T
T
T
T
L
Liquidus
S+L
Solidus
TE
S
t
t
t
t
t
Bild II.8: Zeitlicher Verlauf der Temperatur einer
erstarrenden Legierung
( Parameter Stoffmenge xB )
40
A
xB
x LB
x EB
B
Bild II.9: Zustandsdiagramm bei eutektischer
Erstarrung
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Die Stoffmenge x SB ist also stets 0 und das Hebelgesetz entsprechend Gleichung II.23 wird damit
x B ⋅ x α = ( x LB − x B ) ⋅ x L
(II.24)
S
α
Der Stoffmenge x in Gleichung II.23 entspricht nun die mit x bezeichnete Stoffmenge sogenannter
Primärkristalle, die ausschließlich aus der Komponente A bestehen. Bei Abkühlung entstehen also
zunächst reine Kristalle der Komponente A. Bei der
eutektischen Temperatur TE erstarrt die Restschmelze zu
der sogenannten eutektischen Grundmasse, die aus
Eutektische
A
A
Kristallen beider Komponenten besteht. Das Ergebnis wird
Grundmasse
in Bild II.10 veranschaulicht.
Besonders interessant sind Legierungen mit eutektischer
Bild II.10: Eutektisch erstarrte Legierung Zusammensetzung, d.h.E Legierungen die die Komponente
B mit der Stoffmenge x B entsprechend Bild II.9 enthalten.
Dann kommt es nicht zur Ausscheidung von Primärkristallen und die gesamte Schmelze erstarrt sofort
zur eutektischen Grundmasse. Das besondere Interesse gründet auf zwei Aspekten:
• Legierungen mit der eutektischen Zusammensetzung haben die geringste Schmelztemperatur.
Diese ist insbesondere kleiner als die Schmelztemperaturen beider Komponenten. Sie werden
daher als Lote bei Leiterplatten oder Kontaktmetallisierungen bei integrierten Schaltkreisen
verwendet, weil die geringere Schmelztemperatur die meist temperaturempfindlichen
Bauelemente schont.
• Legierungen
mit
eutektischer
Zusammensetzung
erfahren
aber
auch
keine
Konzentrationsänderungen in der Restschmelze und dem bereits erstarrten Teil. Somit kann die
Abkühlung hier ohne Rücksicht auf den sonst notwendigen Konzentrationsausgleich erfolgen.
3.3. Zustandsdiagramme bei eingeschränkter Löslichkeit
Bei eingeschränkter Löslichkeit können nur geringe Stoffmengen von A in B und umgekehrt von B in A
eingebaut werden. Dazwischen tritt eine Mischungslücke auf. Wir wollen Kristallite, die hauptsächlich
aus der Komponente A bestehen und nur geringe Beimischungen der Komponente B aufweisen als αPhase bezeichnen. In gleicher Weise definieren wir als β-Phase jene Kristallite, die hauptsächlich aus der
Komponente B bestehen und nur geringe Beimischungen der Komponente A aufweisen.
Abhängig vom Unterschied der Schmelztemperaturen der Komponenten A und B haben wir zwei Fälle zu
unterscheiden. Bei ähnlicher Schmelztemperatur entsteht das in Bild II.11 dargestellte Eutektische
Diagramm. Reduzieren wir bei der rot markierten Stoffmenge der Komponente B xB wieder die
L
L
Liquidus
Liquidus
α+L
α+L
β+L
Solidus
α+β
α
Solidus
Solvus
β+L
Solvus
Mischungslücke
A
α+β
α
β
xB
x EB
Mischungslücke
B
A
Bild II.11: Eutektisches Zustandsdiagramm
xB
β
x PB
B
Bild II.12: Peritektisches Zustandsdiagramm
41
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Temperatur der zunächst flüssigen Legierung, so entstehen in der Schmelze α-Kristallite. Mit Erreichen
der Solidus-Linie zerfällt der Rest der Schmelze in α- und β-Kristallite. Dieser in Bild II.13 veranschaulichte Vorgang wird als eutektische Reaktion bezeichnet und symbolisch durch
L ⇒ α +β
ausgedrückt. Halten wir also fest, dass bei der eutektischen Reaktion die zuerst gebildeten α-Kristallite
bestehen bleiben.
Hinzuweisen ist auf die sogenannte Solvus-Linie , die die reine α- bzw. β-Phase von dem Bereich trennt,
in dem sowohl α- als auch β-Kristallite auftreten.
Bei sehr stark unterschiedlicher Schmelztemperatur entsteht dagegen das in Bild II.12 dargestellte
Peritektische Diagramm. Reduzieren wir auch hier bei der rot markierten Stoffmenge der Komponente
B xB die Temperatur der zunächst flüssigen Legierung, so entstehen, wie in Bild II.14 gezeigt, in der
Schmelze zunächst wieder α-Kristallite. Mit dem Erreichen der Solidus-Linie zerfällt der Rest der
Schmelze zwar auch in α- und β-Kristallite, hierbei kommt es jedoch zu der als peritektische Reaktion
bezeichneten teilweisen Auflösung der α-Kristallite und zum Einbau dieser Atome der Komponente A in
β-Kristallite. Symbolisch wird dies durch
α+L⇒β
ausgedrückt. Die Temperatur sinkt dabei erst nach vollzogenen Umbau weiter.
α
α
α
L
α
L
β
β
Bild II.13: Eutektische Reaktion
Bild II.14: Peritektische Reaktion
3.4. Elektrische Eigenschaften von Legierungen
Der elektrische Widerstand einer Legierung ist
• von der Zusammensetzung und
• vom Gefügezustand
abhängig. Er kann sich also durch eine nachträgliche Temperaturbehandlung verändern.
Hinsichtlich der Löslichkeit muss man zwischen den drei in Bild II.15 dargestellten Fällen unterscheiden:
• Bei vollständiger Unlöslichkeit ergibt sich der Gesamtwiderstand einer Probe als die Reihen und
Parallelschaltung der α- und β-Kritallite. Der spezifische Widerstand ist also der gewichtete
Mittelwert der spezifischen Widerstände der Komponenten.
• Bei vollständiger Löslichkeit erhält man etwa für ein Mischungsverhältnis von 1:1 ein Maximum
des spezifischen Widerstandes. Derartige Legierungen werden verwendet, um Widerstände mit
sehr kleinen Temperaturkoeffizienten zu realisieren.
• Bei begrenzter Löslichkeit treten die zuerst genannten Fälle gemischt auf.
ρ
ρ
A
xB
B
vollständig unlöslich
ρ
A
xB
B
vollständig löslich
A
xB
begrenzt löslich
B
Bild II.15: Spezifischer Widerstand von Legierungen in Abhängigkeit von der Zusammensetzung
42
A. Thiede
Werkstoffe der Elektrotechnik
4. Supraleitung
Im normalleitenden Zustand ergibt sich der elektrische Widerstand durch einen Energieaustausch
zwischen den Elektronen und dem Gitter. Im supraleitenden Zustand ist unterhalb einer kritischen
Temperatur TC kein messbarer elektrischer Widerstand mehr vorhanden.
Wir wollen uns nun zunächst einen supraleitenden Draht vorstellen, der entsprechend Bild II.16a zuerst
unter die kritische Temperatur gekühlt und anschließend einem Magnetfeld ausgesetzt wird. Das
Einschalten des Magnetfeldes induziert in dem Draht einen aufgrund der Supraleitung dauerhaften
fließenden Strom, der seiner Ursache entgegen wirkt und also das Magnetfeld aus dem Draht verdrängt.
Ändert man den Versuch entsprechend Bild II.16b dahingehend ab, dass zuerst das Magnetfeld
eingeschaltet wird, so klingt der dadurch induzierte Strom schnell ab. Das nachträgliche Abkühlen unter
die kritische Temperatur dürfte daran nichts mehr ändern. Tatsächlich beobachtet man aber, wie in
Bild II.16c dargestellt, auch hier eine Stromverdrängung. Dieses als Meissner-Ochsenfeld-Effekt
bezeichnete Versuchsergebnis zeigt, dass das Phänomen der Supraleitung nicht vom Prozessablauf und
also ein echter thermodynamischer Zustand ist.
T > TC
T < TC
T < TC
T > TC
T > TC
T < TC
T > TC
T > TC
T < TC
B=0
B=0
B>0
B=0
B>0
B>0
B=0
B>0
B>0
a
b
c
Bild II.16: Meissner-Ochsenfeld-Effekt
HC
Für jedes supraleitende Material gibt es zudem eine
magnetische kritische Feldstärke HC , bei deren
H0
Überschreitung das Phänomen der Supraleitung
ebenfalls verschwindet. Diese kritische Feldstärke ist
eine Funktion der Temperatur und steht mit der kritische
Temperatur in dem in Bild II.17 grafisch dargestellten
Zusammenhang
⎡ ⎛ T ⎞2 ⎤
(II.25)
H C = H 0 ⋅ ⎢1 − ⎜ ⎟ ⎥
⎢⎣ ⎝ TC ⎠ ⎥⎦
TC
T
Bei einer Feldstärke H0 würde es also selbst bei der
Temperatur T=0 nicht mehr zu einer Supraleitung
Bild II.17: Kritische magnetische Feldstärke
kommen.
als Funktion der Temperatur
Grundlage einer relativ anschaulichen Erklärung für die
Supraleitung ist die Baarden-Cooper-Schrieffer-Theorie, auch kurz BCS-Theorie genannt. Sie basiert auf
der Annahme von sogenannten Cooper-Paaren, die aus zwei Elektronen mit entgegengesetztem Spin
bestehen. Diese Cooper-Paare entstehen durch anziehende Wechselwirkungen, d.h. die von den positiven
geladenen Atomkernen herrührende Abschirmung hebt die abstoßende Wirkung der negativen Ladungen
der beiden Elektronen nicht nur auf, sondern überkompensiert sie sogar. Damit bewegen sich diese
Cooper-Paare quasi wie auf einer Schiene beidseitig der regelmäßig angeordneten Atome, ohne mit
diesen zusammenzustoßen. Die Cooper-Paare werden jedoch durch zu hohe Temperaturen und zu starke
Magnetfelder zerstört, was die kritische Temperatur und die kritische Feldstärke erklärt. Aber auch eine
43
A. Thiede
Werkstoffe der Elektrotechnik
zu hohe Konzentration von Cooper-Paaren führt zu deren Zerstörung, so dass die Stromdichten begrenzt
sind, oberhalb derer das System zum normalleitenden Zustand zurückkehrt.
Der Effekt der Supraleitung war bereits 1911 an Quecksilber entdeckt worden. Weitere eher klassische
Supraleiter sind etwa Nb mit einer kritischen Temperatur von 9.2 K, damit ist Niob das Element mit der
höchsten kritischen Temperatur überhaupt, oder Nb3Ge mit einer kritischen Temperatur von 23.2 K. Die
extrem tiefen Temperaturen, die nur durch Kühlung mit bei 4 K siedendem flüssigen Helium erreicht
werden können, schlossen technische Anwendungen weitgehend aus. Seit 1987 regt sich aber neues
Interesse für diesen Effekt. Der Grund hierfür ist die Entdeckung der sogenannten
Hochtemperatursupraleiter. Hochtemperatur bedeutet hier immerhin eine Temperatur oberhalb von 77 K,
dem Siedepunkt des wesentlich preiswerteren flüssigen Stickstoffs. Mit YBa2Cu2O7, BiSrCaCuO und
TlBaCaCuO wurden kritische Temperaturen von 93 K, 110 K und 125 K erreicht. Wichtig ist offenbar
das stets auftretende Kupferoxid. Die Hoffnung auf weitere große Fortschritte hinsichtlich der kritischen
Temperatur hat sich bisher jedoch nicht erfüllt. Einer technischen Anwendung steht aber insbesondere
auch die Begrenzung der Stromdichte entgegen, denn gerade für große Stromdichten ist ja die
Reduzierung des Ohm'schen Widerstandes interessant.
5. Anwendungen
Abschließend wollen wir verschiedene Anwendungsaspekte für metallische Werkstoffe diskutieren.
a) Leiterwerkstoffe:
Hinsichtlich ihrer Leitfähigkeit sind Ag, Cu, Au, Al, Na und Mg in dieser Reihenfolge am besten als
elektrische Leiter geeignet. Na und Mg scheiden jedoch aus technologischen Gründen aus. Die
Verwendung von Ag und Au ist aus Kostengründen nur in bestimmten Bereichen möglich.
b) Kontaktwerkstoffe:
Neben der Leitfähigkeit sind hier eine Reihe anderer Eigenschaften von Bedeutung:
• Der Kontaktwiderstand sollte gering sein.
• Die Kontakte sollten sich leicht öffnen lassen, dürfen also auch unter Last nicht kleben oder sich
selbst verschweißen.
• Die Atome des Kontaktwerkstoffes dürfen nicht in den zu kontaktierenden Werkstoff
eindiffundieren. Dieser Effekt heißt Elektromigration und ist auch für integrierte Schaltkreise
von großer Bedeutung.
• Die Kontakte dürfen unter Last oder beim Öffnen nicht abbrennen.
c) Widerstände:
Als Widerstände werden neben Metallen, wie z.B. Ta, Legierungen wie z.B. NiCr, aber auch Halbleiter
wie z.B. Graphit und Verbundwerkstoffe verwendet. Von großer Bedeutung sind insbesondere die
zeitliche Konstanz des Widerstandswertes und ein kleiner Temperaturkoeffizient. Typische Werte bzw.
Wertebereiche des spezifischen Widerstandes und des Temperaturkoeffizienten sind für die oben
genannten Werkstoffe in Tabelle II.3 zusammengestellt.
ρ in Ωcm
α in K-1
Ta
1.6 10-5
4.0 10-3
NiCr
10-4
10-4
Graphit
10-3
-10-3
Verbundwerkstoffe
10-4 ... 10+4
-10-2 ... 10-3
Tabelle II.3: Spezifischer Widerstand und Temperaturkoeffizient wichtiger Widerstandswerkstoffe
44
A. Thiede
Werkstoffe der Elektrotechnik
d) Temperatursensoren:
Für Widerstandsthermometer kann der sonst unerwünschte Temperaturkoeffizient ausgenutzt werden.
Verwendet wird insbesondere wegen der chemischen Beständigkeit Platin. Bei 0°C hat Pt einen
spezifischen Widerstand von 9.83 10-6 Ωcm. Der Temperaturkoeffizient ist allerdings selbst
temperaturabhängig, so dass sich ein leicht nichtlineares Verhalten ergibt. Der Mittelwert des
Temperaturkoeffizienten im Bereich von 0 bis 100°C beträgt
υM
0.00385 K-1. Der Anwendungsbereich erstreckt sich etwa von
-220°C bis zu mehr als 800°C.
Zur elektrischen Temperaturmessung können aber auch sogenannte
Thermoelemente verwendet werden. Sie basieren auf dem SeebeckEffekt. Darunter versteht man, dass Elektronen vom heißen Ende
υ0
zum kalten Ende eines metallischen Leiters diffundieren. Verwendet
man in einer Messspitze, wie in Bild II.18 skizziert, zwei
Materialien, bei denen der Seebeck-Effekt unterschiedlich stark
ausgeprägt ist, so kann man eine temperaturabhängige
Spannungsdifferenz messen. Typische Werte der Thermospannung
Bild II.18: Thermoelement
sind 5 mV/100 K .
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