153 2008;103:153–60 (Nr. 3), © Urban & Vogel, München ÜBERSICHT Kardiale Amyloidose Caroline Hoyer1, Christiane E. Angermann1, Stefan Knop2, Georg Ertl1, Stefan Störk1 ZUSAMMENFASSUNG Die Amyloidosen sind eine heterogene Gruppe unheilbarer Multisystemerkrankungen, die durch die Ablagerung von Amyloidfibrillen in den Extrazellulärraum charakterisiert sind. Typischerweise sind Herz, Leber, Nieren und das Nervensystem betroffen. Mehr als die Hälfte der Todesfälle ist durch die kardiale Mitbeteiligung bedingt. Klinische Zeichen der kardialen Amyloidose sind Beinödeme, Hepatomegalie, Aszites und erhöhter Jugularvenendruck, häufig einhergehend mit Belastungsdyspnoe sowie möglicherweise Angina pectoris als Folge einer mikrovaskulären Mitbeteiligung. Durch autonome Dysfunktion, Arrhythmien oder Reizleitungsstörungen kommt es zu Hypotonie, Schwindel und zu rezidivierenden Synkopen. Die häufigste Form der Amyloidose ist die AL-Amyloidose, verursacht durch Ablagerung von Immunglobulin-Leichtketten, meist im Rahmen einer monoklonalen Gammopathie. Therapeutisch wird eine zweimalige Hochdosistherapie mit dem Alkylans Melphalan und jeweils anschließender autologer Stammzelltransplantation angestrebt, die jedoch aufgrund der hohen Peritransplantationsmortalität einer sorgfältigen Patientenselektion bedarf. Die familiäre Amyloidose ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, deren Ursache in einer amyloidogenen Variante des Transthyretins (Präalbumin), eines überwiegend in der Leber gebildeten Plasmaproteins, liegt. Hier stellt eine Lebertransplantation den einzig kurativen Therapieansatz dar. Die symptomatische Therapie der kardialen Amyloidose stützt sich auf die Leitlinien zur Herzinsuffizienztherapie entsprechend dem klinischen NYHA-Stadium (New York Heart Association) des Patienten. Weitere Formen der Amyloidose mit kardialer Beteiligung sind die senil-systemische, durch Wildtyp-Transthyretin verursachte Amyloidose, die sekundäre, durch chronische Entzündung verursachte Amyloidose sowie die β2-Mikroglobulin-Amyloidose, die bei Patienten mit langjähriger dialysepflichtiger Niereninsuffizienz auftritt. Schlüsselwörter: Kardiale Amyloidose · Leichtkettenamyloidose · Hereditäre Amyloidose · Late Enhancement · Echokardiographie Med Klin 2008;103:153–60. DOI 10.1007/s00063-008-1022-2 ABSTRACT Cardiac Amyloidosis Amyloidoses are a heterogeneous group of multisystem disorders, which are characterized by an extracellular deposition of amyloid fibrils. Typically affected are the heart, liver, kidneys, and nervous system. More than half of the patients die due to cardiac involvement. Clinical signs of cardiac amyloidosis are edema of the lower limbs, hepatomegaly, ascites and elevated jugular vein pressure, frequently in combination with dyspnea. There can also be chest pain, probably due to microvessel disease. Dysfunction of the autonomous 1Medizinische 2Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universität Würzburg, Klinik und Poliklinik II, Universität Würzburg. Definition Die Amyloidosen sind eine heterogene Gruppe unheilbarer Multisystemerkrankungen, die durch die Ablagerung von Amyloidfibrillen in den Extrazellulärraum charakterisiert sind. Verschiedene pathogenetische Prozesse triggern eine Ablagerung von Proteinen, die sich in einer β-Faltblattstruktur antiparallel anordnen und unlösliche, der Proteolyse widerstehende Strukturen bilden. Sie führen durch mechanisches Zerreißen und lokalen oxidativen Stress zu einer Dysfunktion der jeweiligen Organe [29]. Typischerweise sind bei einer Amyloidose Herz, Leber, Nieren und das Nervensystem betroffen [14]. Mehr als die Hälfte der Todesfälle ist durch die kardiale Mitbeteiligung bedingt [42]. Diagnose Eine kardiale Amyloidose sollte bei jedem Patienten mit restriktiver Kardiomyopathie, führender Rechtsherzinsuffizienz oder Linksherzinsuffizienz ohne stattgehabte Myokardischämie differentialdiagnostisch in Betracht gezogen werden, vor allem aber bei Patienten mit bereits bekannter systemischer Amyloidose. Die definitive Diagnose einer Amyloidose kann nur histologisch gesichert werden. Das mit Kongorot gefärbte Gewebe zeigt amorphe Ablagerungen, die unter polarisiertem Licht eine apfelgrüne Doppelbrechung erzeugen (s. Abbildung 1). Der diagnostische Goldstandard einer kardialen Mitbeteiligung ist die Endomyokardbiopsie. Mit vier Endomyokardbiopsien lässt sich eine nahezu 100%ige Sensitivität erreichen [37]. Da es jedoch für die kardiale Amyloidose typische echokardiographische Befunde gibt (s.u.), ist die Diagnosestellung auch durch eine typische Echokardiographie bei histologisch gesicherter Amyloidose in einem anderen Organ möglich. Die Sensiti- 154 Hoyer C, et al. Kardiale Amyloidose Med Klin 2008;103:153–60 (Nr. 3) ÜBERSICHT vität einer Biopsie aus der rektalen Mukosa, dem traditionellen Biopsieort, liegt bei 75–85% [12, 25], sie kann jedoch mit Komplikationen wie Blutung oder Perforation einhergehen. Die Aspiration von Bauchunterhautfettgewebe ist die komplikationsärmste Methode und hat eine Sensitivität von 78–88% [3, 9, 18, 27, 49, 51], die sich durch genaue Untersuchung von drei Proben auf 93–96% verbessern lässt [49] (s. Abbildung 2). Klinik Das klinische Bild der kardialen Amyloidose entspricht dem einer restriktiven Kardiomyopathie mit diastolischer Herzinsuffizienz. Diese resultiert aus der interstitiellen Ablagerung der Amyloidfibrillen, die über eine erhöhte Myokardsteifigkeit eine Compliancestörung induzieren [1]. Erst bei weiter fortgeschrittener Erkrankung kommt es zur Einschränkung der systolischen Pumpfunktion. Durch Amyloidablagerungen im kardialen Reizleitungs system können zusätzlich verschiedene Leitungsblöcke und Arrhythmien verursacht werden. Klinisch sind Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz mit Beinödemen, Hepatomegalie, Aszites und erhöhtem Jugularvenendruck vorherrschend, die häufig mit einer Belastungsdyspnoe einhergehen. Ebenso kann Angina pectoris als Folge einer mikrovaskulären Mitbeteiligung auftreten [19]. Amyloidablagerungen in den pulmonalen Gefäßen, die zu pulmonalem Hypertonus und zum Cor pulmonale führen, wurden ebenfalls beschrieben [4]. Durch autonome Dysfunktion, Arrhythmien oder Reizleitungsstörungen kommt es zu Hypotonie, Schwindel und zu rezidivierenden Synkopen. Häufig ist zudem ein ungewollter Gewichtsverlust. Befunde, die auf das Vorliegen einer Amyloidose hinweisen, sind in Abbildung 3 dargestellt. Die meisten Patienten versterben entweder an einer schweren Herzinsuffizienz oder an malignen Rhythmusstörungen. Formen der Amyloidose, die mit einer Herzbeteiligung einhergehen Die Amyloidose wird auf der Basis der immunhistochemischen Analyse des jeweiligen Vorläuferproteins klassifi- nervous system or arrhythmias may cause low blood pressure, dizziness, or recurrent syncope. The AL amyloidosis caused by the deposition of immunoglobulin light chains is the most common form. It can be performed by monoclonal gammopathy. The desirable treatment therapy consists of highdose melphalan therapy twice followed by autologous stem cell transplantation. Due to the high peritransplantation mortality, selection of appropriate patients is mandatory. The ATTR amyloidosis is an autosomal dominant disorder caused by the amyloidogenic form of transthyretin, a plasmaprotein that is synthesized in the liver. Therefore, liver transplantation is the only curative therapy. The symptomatic treatment of cardiac amyloidosis is based on the current guidelines for chronic heart failure according to the patient’s New York Heart Association (NYHA) state. Further types of amyloidosis with possible cardiac involvement comprise the senile systemic amyloidosis caused by the wild-type transthyretin, secondary amyloidosis after chronic systemic inflammation, and the β2-microglobulin amyloidosis after long-term dialysis treatment. Key Words: Cardiac amyloidosis · Light chain amyloidosis · Hereditary amyloidosis · Late enhancement · Echocardiography Med Klin 2008;103:153–60. DOI 10.1007/s00063-008-1022-2 ziert. Die einzelnen Subtypen unterscheiden sich in Prognose und Therapie. Leichtkettenamyloidose (AL) Die primär systemische (AL-)Amyloidose ist durch die Ablagerung von Immunglobulin-Leichtkettenproteinen charakterisiert. Diese können im Rahmen einer monoklonalen Gammopathie, beispielsweise eines multiplen Myeloms oder eines anderen B-Zell-Lymphoms, gebildet werden. Allerdings entwickeln nur ca. 10–12% der Patienten mit multiplem Myelom eine Amyloidose, und die meisten Patienten mit AL-Amyloidose erfüllen nicht die Myelomdiagnosekriterien [10]. Die AL-Amyloidose macht fast 85% aller neu diagnostizierten Amyloidosefälle aus [17] und hat aufgrund einer meist schweren kardialen Beteiligung eine schlechte Prognose. Etwa 50% aller Patienten mit AL-Amyloidose entwickeln eine kardiale Manifestation, und mindestens 25% leiden an einer Herzinsuffizienz [23]. Das mediane Überleben von Patienten mit AL-Amyloidose liegt ohne Behandlung bei 13 Monaten und steigt unter zyklischer Melphalan- oder Prednisolontherapie auf 17 Monate [24]. Die aktuelle kausale Therapie der Wahl zur Reduktion der Paraproteine ist eine zweimalige Hochdosistherapie mit dem Alkylans Melphalan mit jeweils anschließender autologer Stammzelltransplantation. Damit kann in ca. 50% der Fälle eine komplette hämatologische Remission erreicht werden [38]. Dieses Vorgehen ist jedoch trotz strenger Patientenselektion mit einer Mortalität von etwa 12% [15, 36, 45] und bei Hochrisikopatienten von bis zu 40% [41] assoziiert. Eine kardiale Beteiligung bedeutet stets eine schlechtere Prognose. Das mittlere Überleben ab dem Beginn einer klinisch manifesten Herzinsuffizienz liegt bei 6 Monaten [16]. Auch eine Synkope deutet auf eine schlechte Prognose hin, da sie häufig als Vorläufer eines plötzlichen Herztodes durch maligne Rhythmusstörungen auftritt [2]. Übliche Folgen extrakardialer Manifestationen der AL-Amyloidose umfassen das nephrotische Syndrom, das häufig mit einer Niereninsuffizienz einhergeht, Hepatomegalie, Splenomegalie, axonale periphere Neuropathie mit Parästhesien, autonome Neuropathie mit Hypotonie, Blasen- und Mastdarmstörung, Impotenz sowie, weniger häufig, Makroglossie. Serumamyloid-A-Amyloidose (AA) Die sekundäre AA wird verursacht durch die Ablagerung von Serumamy- Hoyer C, et al. Kardiale Amyloidose Med Klin 2008;103:153–60 (Nr. 3) 155 ÜBERSICHT loid A, einem Akute-Phase-Protein. Sie tritt bei chronischen Infektionen wie der chronischen Osteomyelitis, Tuberkulose, Syphilis oder Lepra, aber auch bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, familiärem Mittelmeerfieber, Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn auf. Die kardiale Beteiligung ist seltener und meist klinisch inapparent, sie kann jedoch auch zu einer linksventrikulären Wandverdickung und Dysfunktion führen [17, 44]. Wesentlich häufiger fällt eine AA durch Nierenbeteiligung mit Proteinurie und Niereninsuffizienz auf. Die Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung kann die AA bessern. dialen Funktion, Reizleitungsstörungen oder Vorhofflimmern führen. Die Erkrankung verläuft weniger aggressiv als die AL [32]. Atriale Amyloidose (AANP) Durch Ablagerung von atrialem natriuretischem Peptid (ANP) kann sich eine isolierte atriale Amyloidose ausbilden, die sich als dünne lineare Ablagerung unter dem Endokard der Vorhöfe zeigt. Die Inzidenz nimmt mit dem Lebensalter zu (> 90% in der 9. Lebensdekade), die AANP kann je- doch auch bei jüngeren Patienten mit Klappenerkrankungen oder Vorhofflimmern auftreten. Bisher ist unklar, ob der Krankheitsprozess klinische Relevanz hat. β2-Mikroglobulin-Amyloidose (Aβ2M) Bei Patienten mit langjähriger dialysepflichtiger Niereninsuffizienz kann es zur Ablagerung von Untereinheiten des durch die Dialyse nur ungenügend entfernten β2-Mikroglobulins kommen. Diese Form der Amyloidose betrifft zumeist Knochen und Gelenke. Der Hereditäre Amyloidose (Beispiel: Transthyretin-Amyloidose, ATTR) Die seltenste Form, die familiäre Amyloidose, ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, die sich mit hoher Penetranz ab der 3. Lebensdekade, überwiegend jedoch erst ab dem 40. Lebensjahr manifestiert. Meist liegt die Ursache in einer amyloidogenen Variante des Transthyretins (Präalbumin), eines überwiegend in der Leber gebildeten Plasmaproteins, das für den Transport von L-Thyroxin im Blut verantwortlich ist. Über 70 Genmutationen [17] wurden bisher beschrieben, die sich in der Herzbeteiligung z.T. leicht unterscheiden. Das prominente Symptom der ATTR ist eine periphere Neuropathie. Häufig besteht ein Karpaltunnelsyndrom bereits Jahre vor der kardialen Manifestation [10]. Die kardiale Beteiligung ist seltener als bei der AL. Die ATTR hat eine deutlich bessere Prognose als die AL, vermutlich bedingt durch die deutlich langsamere Ablagerung des Amyloids und fehlende kardiotoxische Effekte, wie sie für die Leichtkettenablagerungen bei AL typisch sind [1, 8, 26] Senile systemische Amyloidose (SSA) Die SSA betrifft nahezu 25% der > 80-jährigen Menschen und ist verursacht durch Wildtyp-Transthyretin (TTR). In nahezu allen Organen und Geweben können Amyloidablagerungen gefunden werden. Eine kardiale Beteiligung, die häufig erst als Zufallsbefund bei der Obduktion entdeckt wird, kann zur Einschränkung der kar- a b c d e f Abbildungen 1 a–f: Diagnose von Amyloid, dargestellt an einer Biopsie aus dem rechten Ventrikel. ATTR-Amyloidose SSA („Greisenamyloidose“) bei einem 70 Jahre alten Patienten mit seit einigen Jahren langsam zunehmender Blastungsdyspnoe und Herzrhythmusstörungen. a) Herzgewebe nach Kongorotfärbung nach Puchtler et al. (1962), modifiziert. Amyloid ist erkennbar an der rötlich-lividen Färbung. b) Derselbe Schnitt wie in a), hier in der Kongorotfluoreszenz-Darstellung. Man erkennt sehr präzise das gesamte Ausmaß der Amyloidablagerungen an der gelb-orangen Fluoreszenz. c) Die grüne Doppelbrechung im polarisierten Lichte am selben Ausschnitt wie a) und b) beweist das Vorliegen von Amyloid. Wegen des „Polarisationsschattens“, in dem sich etwa immer die Hälfte des Amyloids befindet (vgl. rechter Bildabschnitt im Vergleich zu b)), kann man nie die Gesamtmasse des Amyloids in einer einzigen Darstellung im selben Bild erkennen. Ohne die Kongorotfluoreszenz (b)) kann es daher zu Fehldiagnosen kommen. d.–f. Immunhistochemie zur Klassifizierung des Amyloids d) Die Immunhistochemie mit einem Anti-AA Antikörper führt zu keiner Anfärbung, wobei ein mitgeführter Schnitt eines anderen Patienten mit AA-Amyloid stark positiv gefärbt wurde (positive Kontrolle, hier nicht dargestellt.). e) Die Immunhistochemie mit Anti-ATTR führt zu einer starken und konsistenten Reaktion. Die gleichen Gewebeabschnitte, die in der Kongorotfluoreszenz aufleuchten und nach der grünen Doppelbrechung in c. Amyloid darstellen, sind hier immunhistochemisch angefärbt. In beiden Darstellungen finden sich die gleichen Areale markiert. Die Herzzellen erscheinen von Amyloidablagerungen ummauert. f) Die Immunhistochemie mit einem Antikörper, der gewöhnlich ALλ-Amyloide stark färbt (positive Kontrolle), färbt auch hier das Amyloid ein wenig, aber völlig inkonsistent und unklar, ist also negativ. (Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr.med. Reinhold P. Linke, Referenzzentrum für Amyloidkrankheiten, IZB amYmed, Am Klopferspitz 19, D-82152 Martinsried) Hoyer C, et al. Kardiale Amyloidose Med Klin 2008;103:153–60 (Nr. 3) 156 ÜBERSICHT klinische Effekt der Ablagerung in Myokard, Perikard und den Herzklappen ist minimal. Durch Nierentransplantation normalisiert sich das β2-Mikroglobulin wieder [47]. Kardiologische Diagnostik Elektrokardiographie Patienten mit kardialer Amyloidose haben meist Sinusrhythmus. Ungeachtet der häufig bestehenden atrialen Dilatation liegt bei nur 10–15% der Patienten Vorhofflimmern vor. Durch Amyloidablagerungen in der Mikrozirkulation des Myokards können trotz koronarangiographisch unauffälliger Herzkranzgefäße Infarktzeichen wie QS-Wellen in aufeinanderfolgenden Ableitungen auftreten. Amyloidablagerungen im Reizleitungssystem sind häufig und führen zu Erregungsleitungsstörungen. Elektrophysiologische Abnormitäten werden bei ca. 25% der bioptisch gesicherten AL-Patienten in Form von verlängerten Infra-His-Leitungszeiten, einem Prädiktor für plötzlichen Herztod, beobachtet [17]. Typisch für die kardiale Amyoidose ist eine Niedervoltage (≤ 10 mV in allen Ableitungen oder ≤ 5 mV in den Extremitätenableitungen) trotz der vent- Abbildung 2. Amyloidablagerung im subkutanen Fett; Inset: Kutis der Hautbiopsie. rikulären Wandverdickung. Dieses Phänomen resultiert aus dem Ersatz kontraktilen Myokards durch elektrisch inaktives Amyloid [31] und ist als Befundkonstellation pathognomonisch für die kardiale Amyloidose. Anamnese: Gewichtsverlust, chronische Müdigkeit Synkope, Hypotonie, Belastungsdyspnoe Spontanes Verschwinden einer vorbekannten Hypertonie Starker Extremitätenschmerz, Gelenkschmerzen Motorische Schwäche Karpaltunnelsyndrom Familienanamnestisch bekannte schwere Neuropathie/ Herzinsuffizienz in jungen Jahren Körperliche Untersuchung: Zeichen der chronischen Herzinsuffizienz Nichtkardiale bilaterale Pleuraergüsse Makroglossie, Veränderung von Stimme oder Geschmack Periorbitale Purpura Periphere und autonome Neuropathie Karpaltunnelsyndrom Laborparameter: Troponin und natriuretische Peptide gering erhöht Monoklonale Gammopathie Proteinurie (häufig ≥ 3 g/24 h) Elektrokardiographie: Niedervoltage Pseudoinfarktzeichen Starke Achsenabweichung nach rechts oder links Erweiterte kardiologische Diagnostik Echokardiographie: Herzkatheteruntersuchung: Diffus-fleckförmig erhöhte Echointensität des Myokards („granular sparkling“) Unauffällige Herzkranzgefäße Biventrikuläre Hypertrophie ohne ventrikuläre Dilatation Dip-Plateau-Phänomen in der Verdickung des interatrialen Septums und der Herzklappen Druckmessung Vergrößerung beider Vorhöfe Diastolische Dysfunktion, Spätstadium: verminderte systolische Pumpfunktion Stark erhöhter pulmonalarterieller Druck (> 50 mmHg) Hochgradiger Verdacht auf das Vorliegen einer kardialen Amyloidose Biopsieentnahme erwägen Abbildung 3. Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf kardiale Amyloidose. Echokardiographie Das typische echokardiographische Bild der kardialen Amyloidose umfasst dilatierte Atrien mit verdickten Wänden, insbesondere dem interatrialen Septum, sowie eine Verdickung der Herzklappen, verdickte Wände beider Ventrikel bei normalem oder reduziertem Ventrikeldurchmesser und eine fleckförmig erhöhte myokardiale Echogenität, sog. „granular sparkling“ (s. Abbildung 4). Letzteres hat eine Sensitivität von 87% und eine Spezifität von 81% für die Diagnose einer kardialen Amyloidose. Bei gleichzeitigem Vorliegen verdickter atrialer Wände kann eine Spezifität von 100% erreicht werden [11]. Liegt zusätzlich zum typischen echokardiographischen Erscheinungsbild eine positive nichtkardiale Biopsie vor, so ist eine Endomyokardbiopsie zur Diagnose einer kardialen Amyloidose entbehrlich [10]. Dopplerechokardiographisch findet man schon im frühen Erkrankungsstadium eine Füllungsstörung des linken Ventrikels im Sinne einer verkürzten isovolumetrischen Relaxationszeit und einer reduzierten frühdiastolischen Geschwindigkeit über der Mitralklappe (E-Welle). Die ventrikuläre Füllung hängt hier typischerweise entscheidend von der atrialen Kontrak- Hoyer C, et al. Kardiale Amyloidose Med Klin 2008;103:153–60 (Nr. 3) 157 ÜBERSICHT tion ab, was zu einer höheren spätdiastolischen Flussgeschwindigkeit (AWelle) führt. Das verminderte E/AVerhältnis ist Ausdruck der beginnenden diastolischen Funktionsstörung und ein (allerdings unspezifisches) Frühzeichen der kardialen Amyloidose. Durch weitere Amyloidablagerung nimmt die Dehnbarkeit der Herzwände weiter ab, und der atriale Füllungsdruck steigt, was wiederum die Flussgeschwindigkeit über der Mitralklappe erhöht (pseudonormales Füllungsmuster) [44]. Die systolische Funktion bleibt sehr lange normal und sinkt erst bei fortgeschrittener Erkrankung auf pathologische Werte ab. Die Diagnose einer kardialen Amyloidose mit Hilfe der oben beschriebenen, seit längerem fest etablierten Diagnoseverfahren ist meist erst möglich, wenn die Erkrankung bereits so weit fortgeschritten ist, dass irreversible funktionelle und strukturelle Veränderungen am Myokard eingetreten sind [48]. Mit Hilfe des Gewebe-Dopplers kann eine myokardiale Beteiligung anhand einer erniedrigten frühdiastolischen Geschwindigkeit (e'-Welle) schon etwas früher erkannt werden [21, 34]. Die zusätzliche Messung von Strain (Längenänderung des Myokards pro Längeneinheit) und Strain Rate (Längenänderung des Myokards pro Zeiteinheit) erlaubt derzeit die frühestmögliche Diagnose einer diastolischen Dysfunktion [22] und damit der kardialen Manifestation einer systemischen Amyloidose. Typisch ist hier eine Verminderung der longitudinalen Strain Rate bei erhaltener radialer Funktion. Magnetresonanztomographie Die kardiale Magnetresonanztomographie erlaubt die hochauflösende dreidimensionale Bildgebung des Herzens mit Beurteilung von Kammerdurchmesser, Wanddicken und Wandbewegung. Bei der kardialen Amyloidose findet man typischerweise, wie auch in der Echokardiographie, das Bild einer restriktiven Kardiomyopathie mit verdickten Herzwänden bei normal großen Ventrikeln und oft hochgradig dilatierten Atrien. Nach Gabe von Gadolinium kommt es zu einer für Amyloidose typischen diffusen, subendokardialen späten Kontrastmittelanreicherung (Late Enhancement). Maceira et al. beschrieben ein sog. Zebramuster durch streng subendokardiales und subepikardiales Late Enhancement in beiden Ventrikeln [28] (s. Abbildung 5). Dieses unterscheidet sich deutlich vom Kontrastmittelverteilungsmuster bei anderen Herzerkrankungen, wie der ischämischen Herzerkrankung (subendokardiale Anreicherung entsprechend den Perfusionsterritorien der Herzkranzgefäße), der hypertrophen Kardiomyopathie (fokale Anreicherung in den pathologisch verdickten Wandabschnitten, charakteristischerweise in der Mitte der Wand oder subepikardial), der hypertensiven Herzerkrankung (keine Anreicherung) oder metabolischen Speichererkrankungen (fokale Anreicherung in der posterolateralen linksventrikulären Wand) [50]. Neben den myokardialen Anreicherungen findet man nicht selten Anreicherungen auch in den atrialen Wänden inklusive des verdickten Vorhofseptums. Herzkatheteruntersuchung Obwohl sich im EKG häufig infarkttypische Auffälligkeiten zeigen, sind die Herzkranzgefäße koronarangiographisch meist unauffällig. Die Amyloidablagerungen finden sich typischerweise in den kleinen intramyokardialen und nur selten in den epikardialen Gefäßen. Als Folge der restriktiven ventrikulären Füllungsstörung aufgrund der myokardialen Amyloidablagerungen zeigt sich in der kontinuierlichen intraluminalen Druckmessung typischerweise ein Dip-Plateau-Phänomen [44] (s. Abbildung 6). Im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung können Endomyokardbiopsien entnommen werden, um die Diagnose der kardialen Amyloidose zu sichern; wegen der meist fehlenden therapeutischen Konsequenzen ist jedoch die Indikation zu dieser diagnostischen Maßnahme zurückhaltend zu stellen. Szintigraphie a b Abbildungen 4a und 4b: Echokardiographie bei gesicherter kardialer Amyloidose. a) lange Achse, b) Vier-Kammer-Blick. Typisch für die kardiale Amyloidose sind die verdickten Ventrikelwände bei normalem Ventrikeldurchmesser sowie das sog. „granular sparkling“ (fleckförmig erhöhte myokardiale Echogenität (rote Pfeile)). Bei Patienten mit ATTR kann zur Quantifizierung der Amyloidablagerungen eine Szintigraphie mit 99mTc-DPD (3,3-Diphosphono-1,2-propanodicarboxylat) durchgeführt werden. Diese Methode ist gut validiert und wird bereits in der klinischen Routine eingesetzt. In Rahmen von Studien wird zurzeit der diagnostische Stellenwert einer Szintigraphie mit dem AL-suchenden Tracer 99mTc-Aprotinin (s. Abbildung 7) untersucht. Dabei konnten eine gute Sensitivität und Spezifität für die Detektion von AL-Amyloid außerhalb von Nieren und Blase (renale Elimination des Radiopharmakons) gezeigt werden [33, 43]. Damit lässt sich Hoyer C, et al. Kardiale Amyloidose Med Klin 2008;103:153–60 (Nr. 3) 158 ÜBERSICHT abschätzen, wie viele Organe in welchem Ausmaß betroffen sind. Zudem erlaubt die Quantifizierung der radio- aktiven Emission auch eine Aussage zum Verlauf der Amyloidlast über die Zeit, z.B. zur Therapiekontrolle. RV LV LV LV RVRV a a b Abbildungen 5a und 5b. Kernspintomographie bei kardialer Amyloidose. a) Kurze Achse mit Late Enhancement (Pfeile) und dem sog. Zebramuster. b) Vier-Kammer-Blick mit Verdickung der Ventrikelwände und des interatrialen Septums. LV: linker Ventrikel; RV: rechter Ventrikel. (Mit freundlicher Genehmigung von Priv.-Doz. Dr. C. Ritter, Institut für Röntgendiagnostik, Universität Würzburg.) LV RV Abbildung 6. Rechts- (RV) und linksventrikuläre (LV) Druckkurven bei restriktiver Kardiomyopathie aufgrund kardialer Amyloidose. Beide Kurven zeigen das charakteristische Dip➚-Plateau➚-Phänomen. Charakteristisch ist ferner das hohe Niveau der diastolischen Plateauphase. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. P.J. Schanzenbächer, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universität Würzburg.) Biomarker Einen spezifischen Biomarker für die Amyloidose gibt es nicht. Aufgrund von Myozytennekrosen durch Amyloidablagerungen oder den Verschluss kleinerer intramuraler Gefäße kann Troponin im Serum erhöht sein [46]. Aufgrund der hohen Füllungsdrücke sind auch die natriuretischen Peptide, das ANP, das BNP (natriuretisches Peptid vom B-Typ) und dessen aminoterminales Spaltprodukt NTproBNP, erhöht. Die Erhöhung von Troponin und natriuretischen Peptiden ist mit einer ungünstigen Prognose assoziiert [5–7, 35], ihre Relevanz für ein Krankheitsmonitoring ist bisher jedoch noch nicht untersucht. Therapie Symptomatische Behandlung Das vorherrschende klinische Bild bei der kardialen Amyloidose ist eine globale Herzinsuffizienz mit Belastungsdyspnoe und Flüssigkeitsretention. Daher stützt sich die symptomatische Therapie auf die Leitlinien zur Herzinsuffizienztherapie [39] entsprechend dem klinischen NYHA-Stadium (New York Heart Association) des Patienten. Auf Digitalisglykoside sollte verzichtet werden, da sie durch extrazelluläre Bindung an Amyloid zu lokaler Toxizität führen können und es durch unkontrollierte Wiederfreisetzung zu einer systemischen Intoxikation kommen kann [40]. Calciumkanal- und β-Blocker können aufgrund ihres negativ inotropen Effekts die linksventrikuläre Funktion verschlechtern [13] und werden bei schon bestehender Neigung zu Hypotonie meist nicht toleriert. Angiotensinkonversionsenzym-Hemmer bzw. Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten und Diuretika können vorsichtig eingesetzt werden. Patienten mit kardialer Amyloidose müssen in der Regel eine Flüssigkeitsrestriktion einhalten. Herzrhythmusstörungen aufgrund von Amyloidablagerungen im Reizleitungssystem können die Implantation eines Herzschrittmachers und/oder eines Defibrillator/Kardioverters sinnvoll erscheinen lassen [17, 44], obwohl dazu bisher keine systematisch erhobenen Daten vorliegen. Hoyer C, et al. Kardiale Amyloidose Med Klin 2008;103:153–60 (Nr. 3) 159 ÜBERSICHT Kausale Behandlung Die kausale Therapie ist abhängig von dem der Amyloidose zugrundeliegenden Protein. Die AANP, die meist als Zufallsbefund bei einer Obduktion gefunden wird, bedarf aufgrund der geringen klinischen Relevanz meist keiner Behandlung. Für die überwiegend bei > 70-jährigen Männern auftretende SSA gibt es derzeit keine kausale Therapieoption. Bei der AA kann der Rückgang bzw. die Ausheilung der zugrundeliegenden chronischen Entzündung zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik führen. Das die ATTR verursachende veränderte Transthyretin wird überwiegend in der Leber synthetisiert. Daher ist die Lebertransplantation der wichtigste und einzig kurative Therapieansatz bei der familiären Amyloidose [17]. Patienten mit bekannter Mutation des Transthyretins sollten transplantiert werden, sobald die Erkrankung durch eine positive Biopsie aus dem Bauchunterhautfettgewebe nachgewiesen ist oder es klinische Hinweise auf das Vorliegen einer Amyloidose gibt [20]. Allerdings tolerieren auch Patienten mit weit fortgeschrittener kardialer Amyloidose eine Lebertransplantation vergleichsweise gut. In-vitro-Studien zeigen eine vielversprechende Transthyretin-Stabilisierung durch nichtsteroidale Antiphlogistika, die die Progression der Erkrankung aufhalten kann [30]. Klinische Studien zu dieser Thematik fehlen jedoch noch. Die Therapie der AL umfasst im Idealfall eine zweimalige Hochdosistherapie mit dem Alkylans Melphalan, das allerdings bei eingeschränkter Herzleistung dosisreduziert verabreicht werden muss, mit anschließender autologer Stammzelltransplantation. In 40–50% der Patienten kann eine komplette hämatologische Remission erreicht werden [38, 45], was konsekutiv zu einer Verbesserung der Organfunktion bei zwei Drittel dieser Patienten führt. Da die Peritransplantationsmortalität mit 13% in den ersten 100 Tagen gegenüber anderen hämatologischen Erkrankungen fünffach erhöht ist [44], muss der Therapie eine genaue Auswahl geeigneter Patienten vorausgehen. Patienten mit deutlich eingeschränkter Herzleistung sollten vorzugsweise konservativ mit niedriger dosiertem Melphalan und/ oder Kortikosteroiden behandelt werden. Bei jungen Patienten mit deutlich eingeschränkter Herzfunktion kann im Einzelfall zunächst eine Herztransplan- a tation erforderlich sein, um die Hochdosis-Melphalan-Therapie mit nachfolgender Stammzelltransplantation überhaupt erst zu ermöglichen [38]. b Abbildungen 7a und 7b. Ganzkörperszintigraphie mit dem amyloidsuchenden 99mTc-Aprotinin bei AL-Amyloidose. a) Von ventral. b) Von dorsal. Anreicherung in Herz, Leber und Lungen. Zur Quantifizierung der Radioaktivität wird die Aktivität in der mit 1 markierten Region gemessen und mit einer Region identischer Größe in der als Nullpunkt fungierenden Schulterregion verglichen. Der Urogenitaltrakt ist aufgrund der renalen Elimination des Radiopharmakons nicht beurteilbar. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. R. Schneider, Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Würzburg.) 160 Hoyer C, et al. Kardiale Amyloidose Med Klin 2008;103:153–60 (Nr. 3) ÜBERSICHT Literatur 1. Brenner DA, Jain M, Pimentel DR, et al. Human amyloidogenic light chains directly impair cardiomyocyte function through an increase in cellular oxidant stress. Circ Res 2004;94:1008–10. 2. Chamarthi B, Dubrey SW, Cha K, et al. Features and prognosis of exertional syncope in light-chain associated AL cardiac amyloidosis. Am J Cardiol 1997;80:1242–5. 3. Dhingra S, Krishnani N, Kumari N, et al. Evaluation of abdominal fat pad aspiration cytology and grading for detection in systemic amyloidosis. 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