22960 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. April 2002 (A) gemacht. Das offizielle China sollte endlich seine Verbalattacken gegenüber dem Dalai Lama einstellen und den Dalai Lama und seinen aufrichtigen Wunsch nach einem Dialog anerkennen. Nur so wird die chinesische Führung das Vertrauen der Tibeter gewinnen und tatsächlich die Früchte seiner Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung in Tibet ernten können. Um die Unterschiede zwischen den reicheren Gebieten an der Ostküste und den ärmeren westlichen Regionen auszugleichen, wurden in der vergangenen Planperiode gut 8 Milliarden Yuan gezielt nach Tibet gelenkt. Diese Leistungen verdienen Respekt und Anerkennung. Wir sehen aber mit Besorgnis, dass im Zuge dieser Anstrengungen immer mehr ethnische Chinesen gezielt in der Autonomen Region angesiedelt werden. Auch dies bedroht die religiöse und kulturelle Identität der Tibeter und wird das Misstrauen gegenüber der chinesischen Führung weiter steigern. Bereits heute sollen über die Hälfte der Einwohner Lhasas ethnische Chinesen sein. Die chinesische Führung sollte sicherstellen, dass ihre Bemühungen auch tatsächlich den Tibetern zugute kommen. Ansonsten wird man auch Vorhaben wie den Bau einer Eisenbahnverbindung nach Lhasa mit Misstrauen betrachten müssen. Wir stehen zu dem Ein-China-Prinzip in der deutschen Außenpolitik und wir erkennen die gewaltigen Anstrengungen Chinas für die wirtschaftliche Entwicklung in der Autonomen Region Tibet an. Auch das haben wir in unserem Antrag deutlich gemacht und auch das ist unsere Botschaft an den Nationalen Volkskongress der Volksrepublik China. Wir sind – und auch das kann nur das Interesse des chi(B) nesischen Volkskongresses sein – an Stabilität in diesem großen, mächtigen Land interessiert, das sich in vielen Bereichen – auch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus – als zuverlässiger Partner erwiesen hat und inzwischen Mitglied der WTO geworden ist. Aber die verlässlichste Grundlage für Stabilität und Frieden ist die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auch und erst recht nach den Terroranschlägen vom 11. September, wie unser Außenminister in seiner Rede vor der Menschenrechtskommission betont hat. Wir gehen mit dem Antrag einen neuen Weg und appellieren direkt an die Mitglieder des chinesischen Volkskongresses, ihrer Verantwortung nachzukommen und eine Debatte über die gegenwärtige Lage und politische Zukunft in der Autonomen Region Tibet (TAR) und den von Tibetern besiedelten Regionen zu führen. Die Mitglieder des chinesischen Volkskongresses sollten sich dafür einsetzen, dass ein direkter Dialog mit dem Dalai Lama aufgenommen wird mit dem Ziel, für das tibetische Volk weit gehende Autonomierechte auszuhandeln. Wir sprechen von Abgeordneten zu Abgeordneten, wenn wir uns an den chinesischen Volkskongress wenden, aber wir rufen auch die Bundesregierung sowie die EU und ihre Mitgliedsländer auf, sich bei allen Kontakten mit der Volksrepublik China für eine baldige Aufnahme des Dialogs zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Führung einzusetzen. Auch der von der Bundesregierung initiierte Rechtsstaatsdialog muss, wenn er Teil der Menschenrechtspo- SEITE ZURÜCK litik der Bundesregierung ist, für die Diskussion der Lage (C) in Tibet genutzt werden. Nur auf diesem Wege kann eine dauerhafte politische Lösung für Tibet erreicht werden und politische Appelle wie diese in Zukunft überflüssig machen. Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU/CSU): Menschenrechte sind unteilbar. Menschenrechte sind nicht das Gut einer Kultur auf dieser Welt – sie sind ein gemeinsames Gut der verschiedenartigsten Kulturen und Zivilisationen. Zu den Menschenrechten bekennen sich eine Vielzahl von Völkern und Nationen aus fast allen Kulturkreisen dieser Welt. Und jene Nationen, welche Mitglied der Vereinten Nationen sind, haben mit der Charta der Vereinten Nationen auch besondere Verpflichtungen übernommen zur Einhaltung dieser Menschenrechte. Zu diesen Nationen gehört auch die Volksrepublik China als das völkerreichste Land der Erde und als ein bedeutendes Mitglied der Völkergemeinschaft, selber auch wichtiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Seit vielen Jahren haben wir hier ein besonders schwieriges Problem: Seit dem Einmarsch der chinesischen Armee nach Tibet im Jahre 1950 gibt es gewaltsame Unterdrückung in Tibet und seines Strebens nach politischer, ethnischer, kultureller und religiöser Selbstbestimmung. Der Deutsche Bundestag hat auf diese sich mehr und mehr verschlechternde Situation im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte immer wieder hingewiesen. So zum Beispiel in seinem Beschluss vom 15. Oktober 1987, durch die Veröffentlichungen der Ergebnisse des Hearings im Auswärtigen Ausschuss vom (D) 19. Juli 1995, durch seinen wegweisenden Antrag „Menschenrechtssituation in Tibet verbessern“ vom 23. April 1996. Anschließend ist der Menschenrechtsausschuss zweimal nach China gefahren und führte Dialoge. Dies war bereits eine Verbesserung des gegenseitigen Verstehens, da der Dialog beim zweiten Mal bereits große Fortschritte gemacht hat; aber zu einer Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in Tibet hat es kaum geführt. Man muss im Gegenteil eine Tendenz feststellen, die auf verschiedensten Gebieten zu gravierenden Verschlechterungen geführt hat: Die Zahl der politisch Inhaftierten in Tibet ist offensichtlich nicht kleiner, sondern größer geworden. China hat die Konvention gegen Folter ratifiziert; dennoch starben seitdem etwa 70 Tibeter an Folgen von Folterbehandlungen. Seit 1996 wurden über 12 000 Mönche und Nonnen aus ihren Klöstern vertrieben. Der 11. Panchen Lama ist immer noch im Gewahrsam der chinesischen Regierung. Es erfolgt eine systematische gezielte Ansiedlung von Chinesen in Tibet, sodass auf diese Weise die Tibeter mehr und mehr zur Minderheit im eigenen Land werden. Bereits heute stellen Chinesen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in Lhasa. Wir haben uns in dem Antrag bemüht, nicht einseitig zu urteilen, sondern auch positive Entwicklungen aufzu- SEITE VOR