4. Verzerrungen ● ● ● 09.02.17 Wird ein Körper belastet, so ändert sich seine Geometrie. Die Punkte des Körpers ändern ihre Lage. Sie erfahren eine Verschiebung. Ist die Verschiebung für benachbarte Punkte unterschiedlich, so wird der Körper verzerrt: – Der Abstand von zwei Punkten ändert sich. – Der Winkel zwischen drei Punkten ändert sich. Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-1 4. Verzerrungen Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie 09.02.17 TM 2 2.4-2 4. Verzerrungen 09.02.17 4.1 Verschiebung und Verzerrung 4.2 Verzerrungstransformation 4.3 Messung der Verzerrungen Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-3 09.02.17 4.1 Verschiebung und Verzerrung ● Verschiebung: – Die Verschiebung der Punkte des Körpers wird durch einen ortsabhängigen Verschiebungsvektor u(P) beschrieben: x P ' = x P +u ( x P , y P ) y P ' =y P +v ( x P , y P ) y F x (P ' )= x (P )+ u(P ) u P' P x Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-4 09.02.17 4.1 Verschiebung und Verzerrung ● Verzerrung: ● – Ein kleines Element des Körpers erfährt eine Translation, eine Rotation und eine Verzerrung. – Die Verzerrung führt zu einer Änderung der Form des Elementes: ● Längenänderungen werden durch Dehnungen beschrieben. Prof. Dr. Wandinger Winkeländerungen werden durch Scherungen beschrieben. P' P 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-5 09.02.17 4.1 Verschiebung und Verzerrung ● Zusammenhang zwischen Verschiebung und Verzerrung: – – Betrachtet werden drei Punkte P, Q und R auf dem Körper, die so gewählt sind, dass die Strecken PQ und PR parallel zu den Achsen des Koordinatensystems sind. R' α R Δy P y x β P' Δx Q' Q Die Punkte werden durch die Verschiebung auf die Punkte P', Q' und R' abgebildet. Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-6 09.02.17 4.1 Verschiebung und Verzerrung – Koordinaten: ● Unverformt: P : ( x P , yP ) Q : ( x P +Δ x , y P ) R : ( x P , y P +Δ y ) ● Verformt: P ' : ( x P ' , y P ' ) =( x P +u( x P , y P ) , y P +v ( x P , y P )) Q ' : ( x Q ' , y Q ' )=( x P +Δ x +u( x P +Δ x , y P ) , y P +v ( x P +Δ x , y P ) ) R ' : ( x R ' , y R ' ) =( x P +u( x P , y P +Δ y ) , y P +Δ y +v ( x P , y P +Δ y ) ) Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-7 4.1 Verschiebung und Verzerrung ● 09.02.17 In der Umgebung von Punkt P gilt für die Verschiebungen: u( x P +Δ x , y P )=u( x P , y P )+ ∂u Δx ∂x v ( x P +Δ x , y P )=v( x P , y P )+ ∂v Δx ∂x u( x P , y P +Δ y)=u( x P , y P )+ ∂u Δy ∂y ∂v v ( x P , y P +Δ y)=v ( x P , y P )+ Δy ∂y Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-8 09.02.17 4.1 Verschiebung und Verzerrung ● Daraus folgt für die Koordinaten im verformten Zustand: x P ' =x P +u( x P , y P ) , y P ' =y P +v ( x P , y P ) x Q ' =x P +Δ x +u( x P , y P )+ ∂u ∂u Δ x=x P ' +Δ x + Δx ∂x ∂x y Q ' =y P +v ( x P , y P )+ ∂v ∂v Δ x =y P ' + Δx ∂x ∂x x R ' =x P +u( x P , y P )+ ∂u ∂u Δ y=x P ' + Δy ∂y ∂y y R ' =y P +Δ y+v ( x P , y P )+ Prof. Dr. Wandinger ∂v ∂v Δ y=y P ' +Δ y + Δy ∂y ∂y 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-9 4.1 Verschiebung und Verzerrung – 09.02.17 Längenänderungen: ● Länge der Strecke P'Q' : |P ' Q ' |=√ ( x Q ' − x P ' ) + ( y Q ' −y P ' ) = 2 2 √( ∂u 2 ∂v 2 1+ + Δx ∂x ∂x 2 ∂v ≪1 ∂x ( ) ● Für kleine Verzerrungen gilt: ● ∂u | P ' Q ' | ≈ 1+ Δx Damit folgt: ∂x ● Mit ∣PQ∣=Δ x gilt für die Dehnung: ( Prof. Dr. Wandinger ) ( ) ) 2. Ebene Elastizitätstheorie |P ' Q '|−|PQ| ∂ u = ∂x |PQ| ϵ x= TM 2 2.4-10 4.1 Verschiebung und Verzerrung ● – Entsprechend folgt: 09.02.17 |P ' R ' |−|PR| ∂ v = ∂y |PR| ϵy = Winkeländerung: ● Für die Änderung des Winkels QPR gilt: ● Für kleine Winkeländerungen gilt: γ xy =α+β ∂u Δy x R ' −x P ' ∂y ∂u α≈tan (α)= = ≈ y R ' −y P ' ∂y ∂v 1+ Δy ∂y ( Prof. Dr. Wandinger ) 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-11 4.1 Verschiebung und Verzerrung 09.02.17 ∂v Δx y Q ' −y P ' ∂x ∂v β≈tan(β)= = ≈ x Q ' −x P ' ∂x ∂u 1+ Δx ∂x ( ● – Damit gilt für die Scherung: Ergebnis: ● ) γ xy = ∂u ∂v + ∂y ∂x Wenn die Verschiebungsgradienten klein sind, gilt für die Verzerrungen: ϵx= Prof. Dr. Wandinger ∂u ∂v ∂ u ∂v , ϵy= , γ xy = + ∂x ∂y ∂y ∂x 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-12 09.02.17 4.1 Verschiebung und Verzerrung ● Beispiel: – Gegeben sind die Verschiebungen u ( x , y)=a x+b y v ( x , y )=c x+ d y – C' b 1 c+d D' d Die Verzerrungen berechnen sich zu ∂u ∂v ϵ x = =a , ϵ y = =d ∂x ∂y ∂ u ∂v γ xy = + =b+ c ∂y ∂x Prof. Dr. Wandinger a+b y D C B' c B A = A' 2. Ebene Elastizitätstheorie 1 x a TM 2 2.4-13 4.2 Verzerrungstransformation ● ● ● ● 09.02.17 Die bisher gefundenen Dehnungen geben an, wie sich die Längen von Strecken entlang der Koordinatenachsen ändern. Die bisher gefundene Scherung beschreibt die Änderung des Winkels zwischen zwei Strecken entlang der beiden Koordinatenachsen. Nun sollen die Dehnungen für beliebig orientierte Strecken und die Scherung für zwei beliebige senkrecht aufeinander stehende Strecken berechnet werden. Die Aufgabe lässt sich durch Umrechnung der Verzerrungen in ein gedrehtes Koordinatensystem lösen. Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-14 09.02.17 4.2 Verzerrungstransformation ● Drehung des Koordinatensystems: – Koordinaten von Punkt P: η x=r cos(α) , y=r sin (α) ξ=r cos(β) , η=r sin (β) – Mit β = α – ϕ folgt: y P r ξ β α ϕ x ξ=r cos(α−ϕ)=r cos(α)cos(ϕ)+ r sin (α)sin (ϕ) = x cos(ϕ)+ y sin (ϕ) η=r sin (α−ϕ)=r sin (α)cos(ϕ)−r cos(α)sin (ϕ) =y cos(ϕ)− x sin (ϕ) Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-15 4.2 Verzerrungstransformation 09.02.17 – Die Umrechnung vom gedrehten in das ursprüngliche Koordinatensystem erfolgt mit dem Winkel -ϕ. – Damit lauten die Transformationsgleichungen für die Koordinaten: ξ = x cos(ϕ) + y sin (ϕ) , η = −x sin (ϕ) + y cos(ϕ) – x = ξ cos (ϕ) − ηsin (ϕ) y = ξ sin (ϕ) + η cos(ϕ) Die Komponenten des Verschiebungsvektors berechnen sich aus den Differenzen der Koordinaten. Sie transformieren sich daher wie die Koordinaten: u ξ = u cos(ϕ) + v sin (ϕ) v η = −u sin (ϕ) + v cos(ϕ) Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-16 09.02.17 4.2 Verzerrungstransformation ● Ableitungen der Verschiebungen: – Zur Berechnung der Verzerrungen im gedrehten System werden die Ableitungen der Verschiebungen im gedrehten System nach ξ und η benötigt: ∂ uξ ∂ uξ ∂ x ∂ uξ ∂ y ∂ u ∂v = + = cos(ϕ)+ sin (ϕ) cos(ϕ) ∂ξ ∂ x ∂ξ ∂y ∂ξ ∂ x ∂x ∂u ∂v + cos(ϕ)+ sin (ϕ) sin (ϕ) ∂y ∂y ∂u ∂u ∂v ∂v 2 2 = cos (ϕ)+ + sin (ϕ)cos(ϕ)+ sin (ϕ) ∂x ∂y ∂ x ∂y ( ( ( Prof. Dr. Wandinger ) ) ) 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-17 09.02.17 4.2 Verzerrungstransformation – Entsprechend folgt: ∂ uξ ∂ u ∂u ∂v ∂v 2 = cos2 (ϕ)− − sin (ϕ)cos(ϕ)− sin (ϕ) ∂η ∂y ∂x ∂y ∂x ( ) ∂ vη ∂u 2 ∂ u ∂v ∂v =− sin (ϕ)− − sin (ϕ)cos(ϕ)+ cos2 (ϕ) ∂ξ ∂y ∂x ∂y ∂x ( ) ∂ vη ∂ u 2 ∂ u ∂v ∂v = sin (ϕ)− + sin (ϕ)cos(ϕ)+ cos 2 (ϕ) ∂η ∂x ∂y ∂x ∂y ( Prof. Dr. Wandinger ) 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-18 4.2 Verzerrungstransformation ● 09.02.17 Verzerrungen im gedrehten Koordinatensystem: – Mit den Beziehungen für die Ableitungen im gedrehten Koordinatensystem und für die Verzerrungen im Ausgangssystem folgt: ∂ uξ ϵξ = =ϵ x cos2 (ϕ)+ γ xy sin (ϕ)cos(ϕ)+ϵy sin 2 (ϕ) ∂ξ ∂ vη ϵ η= =ϵx sin 2 (ϕ)−γ xy sin (ϕ)cos(ϕ)+ϵy cos 2 (ϕ) ∂η ∂ uξ ∂ v η γ ξ η= + =γ xy ( cos 2 (ϕ)−sin 2 (ϕ) ) −2 ( ϵ x −ϵ y ) sin (ϕ) cos(ϕ) ∂η ∂ξ Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-19 09.02.17 4.2 Verzerrungstransformation – Mit den trigonometrischen Beziehungen 2 sin (ϕ)cos (ϕ)=sin (2 ϕ) , folgt: 2 cos 2 (ϕ)=1+cos (2 ϕ) , 2 sin 2 (ϕ)=1−cos(2 ϕ) ϵξ = ϵη = γξη 2 = Prof. Dr. Wandinger 1 ( ϵ x +ϵ y ) + 2 1 ( ϵ x +ϵ y ) − 2 − 1 ( ϵ x −ϵy ) cos(2 ϕ) + 2 1 ( ϵ x −ϵy ) cos(2 ϕ) − 2 1 ( ϵ x −ϵ y ) sin (2 ϕ) + 2 2. Ebene Elastizitätstheorie γ xy sin (2 ϕ) 2 γ xy sin (2 ϕ) 2 γ xy cos (2 ϕ) 2 TM 2 2.4-20 4.2 Verzerrungstransformation ● 09.02.17 Bemerkungen: – Die Dehnung εξ beschreibt die Längenänderung einer Strecke, die mit der x-Achse den Winkel ϕ einschließt. – Die Verzerrungen εx , εy und εxy = γxy /2 transformieren sich genauso wie die Spannungen. Sie werden als Tensorverzerrungen bezeichnet. – Im Gegensatz dazu heißen die Verzerrungen εx , εy und γxy Ingenieurverzerrungen. Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-21 4.2 Verzerrungstransformation ● 09.02.17 Beispiel: – Gegeben: ϵ x =1,034⋅10−3 , ϵy =−5,030⋅10−4 , γ xy =−7,568⋅10−6 – Gesucht: Dehnung in Richtung ϕ = 30° – Lösung: 1 1 −4 −4 ϵ +ϵ =2,655⋅10 , ϵ −ϵ =7,685⋅10 ( ) ( ) 2 x y 2 x y γ xy =−3,784⋅10−6 2 ϵ ξ =2,655⋅10−4 +7,685⋅10−4 cos(60 °)−3,784⋅10−6 sin (60 °) =6,465⋅10−4 Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-22 09.02.17 4.2 Verzerrungstransformation ● Hauptachsen: – Wie bei den Spannungen gibt es zwei senkrecht aufeinander stehende Richtungen, für die die Dehnungen Extremwerte annehmen und die Scherung verschwindet. – Diese Richtungen heißen Hauptdehnungsrichtungen. – Der rechte Winkel zwischen Linien entlang der Hauptdehnungsrichtungen wird durch die Verzerrung nicht verändert. – Die Hauptdehnungsrichtungen berechnen sich zu 2 ϵ xy γ xy tan (2 ϕE )= ϵ −ϵ = ϵ −ϵ x y x y Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-23 09.02.17 4.2 Verzerrungstransformation – Die zugehörigen Dehnungen sind die Hauptdehnungen. – Wie bei den Spannungen folgt für die Hauptdehnungen: ϵ x + ϵy ϵ1/ 2 = ± 2 – √( ϵx −ϵy 2 2 + ϵ xy 2 ) Bei Verwendung von Ingenieurverzerrungen gilt: ϵ x + ϵy ϵ1/ 2 = ± 2 Prof. Dr. Wandinger √( ϵ x −ϵy 2 1 2 + γ xy 2 4 ) 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-24 09.02.17 4.3 Messung der Verzerrungen ● ● ● Dehnungen lassen sich mit Dehnungsmessstreifen (DMS) messen, die auf die Oberfläche des Bauteils geklebt werden. Dabei wird ausgenutzt, dass die Änderung des elektrischen Widerstands eines DMS proportional zu seiner Längenänderung ist. Zur vollständigen Bestimmung des Verzerrungszustands an einem Punkt sind drei DMS nötig, die die Dehnungen in drei unterschiedlichen Richtungen messen. Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-25 09.02.17 4.3 Messung der Verzerrungen β α x γ Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-26 4.3 Messung der Verzerrungen ● 09.02.17 Auswertung der Messung: – Aus der Messung seien die drei Dehnungen εa , εb und εc bekannt, die zu den ab der x-Achse gemessenen Winkeln α, β und γ gehören. – Für die Dehnungen gilt: 1 1 1 ϵ a = ( ϵ x +ϵ y ) + ( ϵ x −ϵ y ) cos(2 α)+ γ xy sin (2 α) 2 2 2 1 1 1 ϵb = ( ϵ x +ϵ y ) + ( ϵ x −ϵy ) cos(2β)+ γ xy sin (2β) 2 2 2 1 1 1 ϵ c = ( ϵ x +ϵ y ) + ( ϵ x −ϵ y ) cos (2 γ)+ γ xy sin (2 γ) 2 2 2 Prof. Dr. Wandinger 2. Ebene Elastizitätstheorie TM 2 2.4-27 09.02.17 4.3 Messung der Verzerrungen – Die gesuchten Größen εx , εy und γxy sind Lösung des linearen Gleichungssystems ( 1+cos(2 α) ) ϵx + ( 1−cos(2 α) ) ϵ y + sin (2 α) γ xy = 2 ϵ a ( 1+cos(2 β) ) ϵx + ( 1−cos(2β) ) ϵ y + sin (2 β) γ xy = 2 ϵ b ( 1+cos(2 γ) ) ϵ x + ( 1−cos(2 γ) ) ϵ y + sin (2 γ) γ xy = 2 ϵc – Für α = 0°, β = 45° und γ = 90° lautet das Gleichungssystem 2 ϵx ϵx + Prof. Dr. Wandinger ϵy + 2 ϵy γ xy = 2 ϵa = 2 ϵb = 2 ϵc → 2. Ebene Elastizitätstheorie ϵ x =ϵ a γ xy =2 ϵ b−ϵ a −ϵc ϵy =ϵc TM 2 2.4-28