Lus t und Liebe im Licht neuer emotionstheoretischer Ansätze Seminar SS 06 Birgitt Röttger-Rössler ZiF:Research Group 2004/2005 Emotions as Bio-Cultural-Processes Ziele: • Zusammenführung fachspezifischer Perspektiven • Erarbeitung theoretischer und methodischer Ansätze zur Erfassung der bio-kulturellen Dialektik. Emotionen: • Ergebnisse komplexer biologischer, psychischer, sozialer und kulureller Interaktionen. • „Lebende Systeme“, sie entwickeln und verändern sich in der Zeit. Manchmal zwischen Nacht und Morgen Seh ich Hunde dich umkreisen Hunde mit gebleckten Zähnen Und du greifst nach ihren Pfoten Und du lachst in ihre Zähne Und ich wache auf mit Angstschweiß Und ich weiß daß ich dich liebe (Heiner Müller „Das Glück der Angst“ 1993) Was ist Liebe? Gliederung Emotionales Wissen und Emotionales Erleben (Theoretische Überlegungen) „Kultur der Liebe“ (Ethnografische Beispiele aus dem Indopazifik) „Natur der Liebe“ (Ansätze aus der Neuro- und Evolutionsbiologie Kulturdifferente Gefühle? (Folgerungen) Emotionales Wissen und Emotionales Erleben Emotionales Erleben ist die Wahrnehmung eines besonderen internen Zustandes und eines (externen) Umstandes. Die Wahrnehmung hängt ab von den existierenden Wissensstrukturen über: die Art von Umständen, die bestimmte Emotionen auslösen, über die Körperempfindungen, die während der Emotion gespürt werden, über die Ausdruckszeichen, die sie begleiten. Emotionsschemata determinieren die Gestalt emotionalen Erlebens. Sie reduzieren die Komplexität interner (physiologischer) und externer (sozialer) Phänomene auf einige prototypische Merkmale. So ermöglichen sie es, vielschichtige bio-psychosoziale Konstellationen als distinkte Emotionen zu erfahren. Emotionales Wissen Semantische Informationen Episodische Informationen Das semantische Wissen über Emotionen wird im Emotionslexikon einer Sprache und Kultur widergespiegelt. Emotionslexika stellen Kategorisierungssysteme für Emotionen dar. die semantischen Komponenten mittels derer zwischen verschiedenen Begriffen differenziert wird, sind ein Schlüssel zu kulturspezifischen Wissenssystemen. Liebe im Kontext indopazifischer Kulturen Makassar in Sulawesi/Indonesien 2 Millionen Islamisch Hierarchisch organisiert Strikte Geschlechtertrennung Arrangierte Ehen Polygynie Wie ist die emotionale Bindung zwischen Ehepartnern konzipiert? Intimitätskonzepte? Stellenwert der Sexualität? cinna-cini‘ ero‘ singai sikarimangi sikatutui ammaling-maling Liebesbegriffe Mitgefühl Sorge pacce (Makassar) rimang a‘la‘ju – la‘ju cinna-cini ero‘ Verlangen Wollen Begehren (a‘kanjame) singai ero‘ sikatutui sikarimangi ammaling-maling Sehnsucht Trauer Auszehrung nakku Fürsorge Empathie Mitleid Lust Romantische Anziehung Samoa/ Polynesien (E. Gerber 1975; B. Shore 1981, 1993) Ifaluk/ Mikronesien (C. Lutz 1988) Makassarische Liebeskonzeption Betonung von Mitgefühl/Sorge/Empathie Hypokognisierung von Erotik (sexuelle Lust gilt nicht als Komponente der Liebe) Pathologisierung romantischer Anziehung Ifaluk Mitgefühl Sorge „ich stehe ihm/ihr bei“ „fago“ „ich liebe ihn/sie“ Sehnsucht Trauer „ich vermisse ihn/sie“ Folgerungen Indopazifik Gruppenorientierung Großfamilien Verwandtengruppe Europa Individualorientierung Kleinfamilie Enge Zweierbeziehung Liebe assoziiert mit Sorge/Mitgefühl, primär altruistisch angelegt Liebe assoziiert mit Freude/Wohlbefinden; primär egoistisch angelegt Fürsorgliche Liebe Romantische Liebe Polynesien Cook Islands Mangaia Lust/Sexualität Bindung Romant. Liebe D. Marshall 1962, 1971 Cook Islands Mangaia H. Harris 1995 Lust Verbundenheit Romantische Anziehung • Soziale Praxis • Subjektives Erleben Wie lassen sich die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Kulturen erklären? Zur Natur der Liebe „Neuronale Liebesschaltkreise“ Verbundenheit Lust Romantische Anziehung (H.Fisher 2005; Walter 2004; Buss 2003; Bartels & Zeki 2000; Crenshaw 1999) Sexuelles Begehren/ Lust Beliebiger Partner Instabil Evolutionärer Sinn: „Fortpflanzung pur“ (Testosteron) Romantische Liebe/ Anziehung Bestimmter, idealisierter Partner Evolutionärer Sinn: Partnerselektion; „Energiesparen“ „Zwangsstörung“ (viel Dopamin, wenig Serotonin) Bindung/ Verbundenheit langfristig; emotionale Nähe und Sicherheit pro-soziales, helfendesVerhalten Evolutionärer Sinn: Nachwuchsfürsorge, soziale Stabilität „Kuschel- und Treuehormone“ (Oxytocin & Vasopressin) Die Ausprägung der emotionalen Bindungssysteme variiert: • inter-individuell • intra-individuell (im Lebenszyklus) • interkulturell • intra-kulturell (abhängig vom sozialen Milieu) Die drei emotionalen Bindungssysteme Verbundenheit Lust Romantische Anziehung stets in Relation zueinander untersuchen. Liebe ist... keine distinkte Emotion, sondern ein komplexes dynamisches System, das die emotionalen Komponenten der drei phylogenetisch angelegten Bindungssysteme (Verbundenheit, romantische Anziehung, sexuelle Lust) stets gleichermassen umfasst. Inwieweit prägen kulturelle Emotionsschemata das emotionale Erleben? Die menschliche Emotionalität wird durch den Faktor Kultur in doppelter Weise kodiert: • Individuen nehmen nur das als distinkte Emotion wahr ,wofür sie ein (kulturell/sozial generiertes) mentales Schema besitzen. • Individuen erleben Emotionen stets in sozialen Wertebezügen als „gut“ oder „schlecht“, als „krank“ oder „gesund“, was sich als „sekundäre Emotionalisierung“ der Emotionen bezeichnen ließe. Inwieweit korrelieren die unterschiedlichen kulturellen Gewichtungen der drei emotionalen Bindungssysteme mit bestimmten psychosomatischen Prozessen? These: Erfahrungsbereiche, die kulturell „hypokognisiert“ und damit schwer kommunizierbar sind, korrelieren mit Prozessen emotionaler Hemmung und Somatisierung. (D‘Andrade 1995; Traue & Deighton 2004) Ende