Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 2. IMPFUNGEN im Einzelnen Texstellen, welche heutzutage (2008) offensichtlich aktualisiert werden müssten, sind gelb hervorgehoben! 2.1. Diphterie Corina Villiger 2.1.1. Situation Die Diphterie kann eine schwer oder tödlich verlaufende Krankheit sein, und es ist kein Nutzen für eine durchgemachte Infektion auszumachen. Seit Ende des zweiten Weltkrieges haben die DiphterieErkrankungsfälle, sowie die durch Diphterie bedingten Todesfälle in der Schweiz kontinuierlich abgenommen (die Impfung wurde 1938 in der Schweiz eingeführt). Dez. 1987 bis Mai 1991 wurden dem BAG 13 Fälle von Diphterie-lnfektionen gemeldet, allerdings keine davon mit einem Toxin bildenden Erreger. Im Osten Europas, z.B. in der ehemaligen UdSSR ist die Diphterie erneut aufgeflammt, bedingt durch starke Migration und sozio-ökonomische Instabilität. 2.1.2. Epidemiologie und Krankheit Erreger: Corynebakterium diphteriae (drei Biotypen), kommt unter natürlichen Bedingungen nur beim Menschen vor. Fakultativ anaerobes, gram + Stäbchenbakterium. Bildet Exotoxin, wenn es mit einem Bakteriophagen infiziert wurde. (Bakteriophagen sind Viren, denen bestimmte Bakterienarten als Wirt dienen und die unter bestimmten Umständen für diesen Wirt pathogen sind.) Infektiosität: Das D. Bakterium bleibt in der Aussenwelt wahrend 4-5 Wochen infektionstüchtig. Der an Diphterie erkrankte ist (ohne antibiotische Behandlung) 2-4 Wochen ansteckend, in einigen Fällen (Keimträger) bis 6 Monate. Übertragungsweg: Direkt (Tröpfcheninfektion), oder indirekt (Spielzeug, Kleider). Verbreitung: Global. In erster Linie eine Kinderkrankheit, die gehäuft in den Wintermonaten auftrat. Durch verschiedene Faktoren wie Impfung, Armut und Leben in Kasernen ist sie jedoch in der ehemaligen UdSSR eine Krankheit der Jugendlichen und Erwachsenen geworden. Seit 1990 über 150!000 Fälle (=27/100!000 Einwohner), wobei rund 70% der Erkrankten über 14 Jahre alt waren. 5 Die Impfung ist in der Schweiz allgemein gut akzeptiert und wird meist in Kombination mit Tetanus und Pertussis im Säuglingsalter durchgeführt. Die gesunden Bakterienträger sind epidemiologisch von grosser Bedeutung (antitox. Immunität!). Inkubation: 2-5 Tage. Krankheit: Prodromi: Fieber und reduzierter AZ, dann Rachendiphterie mit den typischen Belägen auf Tonsillen, Uvula und umgebenden Schleimhäuten. Der Belag ist zäh, viskös, weiss, gelb-gräulich, stark haftend (es blutet beim Entfernen der Beläge) und Iässt sich zwischen zwei Objektträgern nicht zerdrücken. süsslicher Foetor. Auch eine isolierte Nasendiphterie bei Säuglingen ist möglich (einseitiges blutig-seröses Sekret, ätzend), günstiger Verlauf. Bei Erwachsenen auch kutane Diphterie (DD. Impetigo, weil häufig mit Streptokokken kontaminiert). Die gefürchtete diphterische Laryngitis = echter Krupp tritt in der Regel im Verlauf einer Rachendiphterie auf: Aphonie, schleichend zunehmender respiratorischer Stridor. Diagnose: muss unbedingt sofort KLINISCH gestellt werden. [DD: Soor, Mononukleose, Agranulozytose (Blutbild)]. Bakteriologie nicht abwarten! Therapie: Sofort humanes Antitoxin. Hyperimmun Globulin und Antibiotika (Penizillin oder Erythromycin). Je nach Komplikation Schrittmacher, Tracheotomie etc. Immunität: nach durchgemachter Erkrankung sind Zweiterkrankungen möglich, aber selten. Komplikationen: Die D. ist eine Intoxikationskrankheit. Die D.-Toxine verursachen Gewebeschäden an 8 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Nerven, Muskeln und Schleimhäuten. Erstickungstod durch Membranen, toxische Myokarditis, periphere Neuropathien (Gaumensegel- und Augenmuskel Lähmungen), Nephropathie mit tubulärer Nekrose. Vorbeugung: Gute sozioökonomische Verhältnisse, Hygiene, Impfung 3. 2.1.3. Impfung (Seit 1938 in der Schweiz eingeführt) Impfstoff: Di Toxoid für Kinder, gebräuchlicher aber DiTe Toxoid (kombiniert mit Tetanus) für Kinder (für Erwachsene mit reduziertem Di-Toxoid Anteil). Auch DiTePer ist gebräuchlich. Es sind Adsorbatimpfstoffe. Die Di. Toxine werden aus Kulturen von Corynebact. diphteriae gewonnen, dann detoxifiziert und an Aluminiumphosphat adsorbiert. Der Impfstoff enthält Thiomersal (0,5mg Thiomersal pro Dosis) als Konservierungsmittel. Applikation: Intramuskulär. Für Kinder unter 1-jährig werden 3 Impfungen im Abstand von einem bis zwei Monaten ab dem 3. Lebensmonat empfohlen, ein Jahr später schliesst eine vierte Impfung die Grundimmunisierung ab. Für Kinder über 1-jährig reichen zwei Impfungen im Abstand von einem bis zwei Monaten und eine 3. Impfung ein Jahr später für die Grundimmunisierung aus. Dasselbe gilt für Tetanus. (Siehe offizielle Impfempfehlung) Immunität: Antitoxisch, nicht antibakteriell, das heisst gesunde Träger potentiell vorhanden und infektiös. Geimpfte Personen können Träger sein. Wirksamkeit: Beurteilt nach der heutigen Situation in der Schweiz in Kombination mit Wohlstand: 100%. Das heisst, falls die Impfung die Toxin-Krankheit nicht in jedem Fall verhindern kann, wird doch ein wesentlich milderer Verlauf derselben beobachtet. Impfschutzdauer: nach der Grundimmunisierung werden Auffrischimpfungen alle 10 Jahre empfohlen. Nebenwirkungen: siehe bei Tetanus Impfung. Zur Vermeidung von Nebenwirkungen wird für Personen > 7-jährig ein Impfstoff mit reduziertem DiToxoidanteil (=Erwachsenen-Dosis) empfohlen. 1 2.1.4. Offizielle Impfempfehlung 2 Grundimmunisierung (in Kombination mit Tetanus, Pertussis, Polio und H. Influenzae) mit 2,4,6 und 15 bis 24 Monaten, Booster Impfungen mit 4-7 und 12-15 Jahren, danach alle 10 Jahre. Bei Personen über 7 Jahren ist zur Vermeidung von Nebenwirkungen ein Impfstoff mit einem stark reduzierten DiToxoidanteil zu verwenden. Begründung: Schwerer Verlauf der Krankheit bei ungeimpften Kindern. Die Letalität wird sehr unterschiedlich angegeben (je nach Land, medizinischem Stand, etc.). Worst case: 23- 25% der Erkrankten. 2.1.5. Kritik Das Impfen von Säuglingen ab 2. Lebensmonat ist bei der heutigen epidemiologischen Situation in der Schweiz nicht gerechtfertigt. Es sei denn, Reisen oder Wohnaufenthalte in Osteuropa seien geplant. Gemäss Aussagen des BAG gibt es noch 5-10 gemeldete Diphterie-Fälle in der Schweiz pro Jahr. Allerdings sind dies meist Erreger aus Abstrichen einer Hautdiphterie. In keinem dieser Fälle waren sie toxinbildend. Die Diphterie Fälle gingen in der Schweiz schon vor Einführung der Impfung zurück. Eine Erklärung dieses Rückgangs, obschon die Verbreitung des Erregers durch die Impfung nicht verhindert wird, hat niemand anzubieten. Ebensowenig wissen wir, weshalb die gemeldeten Diphterie Erreger nicht mit Phagen infiziert waren. 9 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 2.1.6. Schlussfolgerungen Eine mit Tetanus kombinierte Impfung gegen Diphterie nach abgeschlossenem 1. Lebensjahr ist sinnvoll und vertretbar. Das Impfen zu einem früheren Zeitpunkt ist insbesondere bei Kindern aus Atopiker-Familien nicht empfehlenswert, ausser nach reiflichem Abwägen der Risiken in oben beschriebenen Spezialfällen. Empfehlung: Grundimmunisierung frühestens nach abgeschlossenem ersten Lebensjahr in Kombination mit TeToxoid. (z.B. 12 Mt, 14 Mt und 26 Mt). Man spart eine Impfung und damit auch eine Dosis Thiomersal. Wegen dem Thiomersal und der besseren Antikörperbildung nach kombinierter Impfung ist es sinnvoll die Kombination DiTe zu impfen. Danach Auffrischung der Impfung bei Schuleintritt und anschliessend alle 10 Jahre. Referenzen: 1) Arzneimittel Kompendium der Schweiz, 1999 2) BAG Ordner Infektionskrankheiten, 1996 3) Harrison, Priciples of Internal Medicine, 1997 4) E. Wiesmann, Medizinische Mikrobiologie, 1982 5) H.-P. Zimmermann, Zuger Gespräche: “Liebesküsse aus Moskau” 12.3.98 2.2. Tetanus Corina Villiger 2.2.1 Situation Heute treten weltweit noch ca 300!000-500!000 Fälle pro Jahr mit einer Mortalität von ca. 45% auf. Alle Rassen und Bevölkerungsgruppen sind gleichermassen betroffen, allerdings ist das Verhältnis von Männern : Frauen = 2.5:1, dies sogar beim Tetanus neonatorum. In der Schweiz wurden 1988-1996 pro Jahr und Mio Einwohner 2,5 Fälle gemeldet. Mortalität unbekannt. Der Impfstatus bestimmt den Krankheitsverlauf und die Mortalität wesentlich mit. Die Tetanus Impfung ist in der Schweiz gut akzeptiert und wird in der Regel bei jeder ernsthaften Verletzung vom erst-versorgenden Arzt appliziert oder aufgefrischt. 2.2.2 Epidemiologie und Krankheit Erreger: Clostridium tetani, obligat anaerobes, gram+, Sporen bildendes Stäbchenbakterium. Vorkommen: ubiquitär (Darmflora von vielen Menschen und Tieren). Bildet unter streng anaeroben Bedingungen Exotoxine. 6 Infektiosität: Vermehrung und Toxinbildung nur unter anaeroben Bedingungen. Übertragungsweg: Verletzungen wie Pfählungsverletzungen, Biss- und Stichwunden, Verbrennungen, Erfrierungen oder über schlecht durchblutete Gewebe, IV-Einstichstellen, Nabelschnur-Stumpf. Verbreitung: Global (in den Polarregionen, Alaska, Rocky Mountains, weniger) Anreicherung vor allem im Pferdemist. In den heutigen Industrienationen führten früher viele Kriegsverletzungen zum Tod durch Tetanus. Auch der neonatale Tetanus war gefürchtet. In den Industrieländern nimmt das Erkrankungsrisiko mit dem Alter exponentiell zu. Die Ursache ist unklar, eventuell infolge ungenügender Boosterung oder schlechterer Durchblutung der Gewebe. 10 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 In den Entwicklungsländern sterben heute noch bis 10 % aller Lebendgeborenen an einer Nabelschnur Infektion (Tetanus neonatorum). Wichtig ist, dass der individuelle Impfstatus prognostisch für den Einzelnen entscheidend ist. Tetanus ist nicht ausrottbar, da das Bakterium nicht ausrottbar ist. Es gibt keine Gruppenimmunität. Es “profitiert “ in diesem Falle kein Ungeimpfter von der Impfung des Nachbarn. Inkubation: 4-14 (-21) Tage. Krankheit: Tetanus ist eine reine Intoxikation. Kleinste Toxinmengen bewirken via Neuronen des ZNS krampfartige tonische Kontraktionen der willkürlich innervierten Muskulatur. Diese beginnen meistens im Gesichtsbereich (Trismus = Masseterkrampf; Kiefersperre; Risus sardonicus). In der Folge treten Dauerkrämpfe der Körpermuskulatur ein, oft ausgelöst durch äussere Stimuli wie Licht, Lärm oder Berührung. Neonataler T.: Opistotonus, Hyperextensions Haltung, Konvulsionen. In einer amerikanischen Studie wurde festgestellt, dass die Mortalität der teilweise Geimpften (1-2 Dosen) bei 6% lag, die der Ungeimpften bei 15%. Keine Todesfälle gab es bei den Erkrankten, die einmal im Leben eine komplette Grundimmunisierung erhalten hatten. Das bedeutet, dass Tetanus immer noch eine schwere Krankheit ist, die vor allem für die ungeimpften oder ungenügend geimpften Menschen eine tödliche Gefahr darstellt. Diagnose: Klinisch. Erregernachweis schwierig. Therapie: Humanes Tetanus-Antitoxin. Grosszügige Exzision des verletzten Gewebes, Ruhigstellen. Penizillin (ohne Bakterien kein Toxin), Benzodiazepine, Barbiturate. Immunität: Nach überlebter oder durchgemachter Krankheit ist eine zweite Erkrankung möglich. Komplikationen: Frakturen, Atemstillstand, Tod. Vorbeugung: Wunddesinfektion, Drainage, keine anaeroben Verhältnisse zulassen. Bei ungeimpften sofort Antitoxin und an anderem Ort mit separater Nadel Beginn der aktiven Immunisierung mit Toxoid. 2.2.3. Impfung Die Tetanus lmpfung wurde in der Schweiz 1950 eingeführt. Impfstoff: Te-Toxoid zur aktiven Immunisierung gegen Tetanus. Die Tetanus Toxine werden aus Kulturen von Clostridium Tetani gewonnen, dann detoxifiziert und gereinigt und an Aluminium-hydroxid oder -phosphat adsorbiert. Der Impfstoff ist auch in diversen kombinierten Impfstoffen enthalten, jeweils in unterschiedlichen Antigenfraktionen (Di Te, DiTePer, u.a.). Als Konservierungsmittel enthalten alle Thiomersal. Applikation: Intramuskulär. Grundimmunisierung erfordert 3 Impfdosen. Immunität: Antitoxisch Wirksamkeit: Bei vollständiger Grundimmunisierung und zeitgerechten Booster-Applikationen im Abstand von jeweils 10 Jahren ist der Schutz ausreichend gewährt. Bei Risikoverletzungen Auffrischimpfung, falls die letzte Boosterung mehr als fünf Jahre zurück liegt. Impfnebenwirkungen: 1,4 a) Impfreaktionen: Verstärkte Lokalreaktion möglich wegen Adsorbentien: Rötung, Schwellung, steriler Abszess. Ebenso Lokalreaktion auf Thiomersal. Solche Reaktionen sind häufig. Die Eltern sind entsprechend zu informieren. Systemische Quecksilber- oder Aluminium-Reaktionen scheinen selten. b) Impfkrankheit: Fieber und Malaise, Arthralgien, Exanthem, Adenitis. Dauer 1-14 Tage, kommt nach 530 % der Impfungen vor. c) Impfkomplikation: Thrombozytopenie, periphere Neuropathie. Inzidenz: < 1/Mio Impfungen d) Allergie: Anaphylaktischer Schock; Aufflackern einer Neurodermitis. 11 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Nebenwirkungen bei zu kurzen Impfintervallen: a) Lokalreaktionen vom Arthus Typ wurden beobachtet, wenn die Abstände der Booster Impfungen kleiner als 10 Jahre waren. b) Schwerste Allgemeinreaktionen sind zu erwarten, wenn ein vermeintlich nicht geimpfter grundimmunisiert wird. Das heisst, es besteht die Möglichkeit, dass bei der zweiten Impfung hohes Fieber und Konvulsionen auftreten. Empfehlung der Firma BERNA: Älteren Personen, oder Personen mit ungewissem Impfstatus zuerst einen Rappel impfen, dann AK Titer bestimmen, nur wenn dieser ungenügend ausfällt, mit Grundimmunisierung weiterfahren. Anaphylaktischer Schock innerhalb vier Std. nach der Impfung, Encephalitis oder Encephalopathie innerhalb 72 Std. nach der Impfung sind meldepflichtig. 2.2.4. Offizielle Impfempfehlung Grundimmunisierung mit 3 Dosen Te-Toxoid (in Kombination mit Diphterie und Pertussis- Impfstoff) im Alter von 2, 4 und 6 Monaten sowie je eine Booster-Impfung mit 15 bis 24 Monaten, bei Schulbeginn (mit 7 Jahren), mit 12 bis 15 Jahren und später alle 10 Jahre. Bei Personen über 7 Jahren wird die Grundimmunisierung mit 2 Dosen DT für Erwachsene durchgeführt (im Abstand von 4-8 Wochen) gefolgt von einer Booster Dosis 6-12 Monate später und anschliessend Rappel alle 10 Jahre. Offizielle Begründung: Die Kinder müssen alle möglichst früh einen sicheren Schutz haben. 2.2.5. Kritik Die Tetanus Gefahr ist für den Säugling sehr gering, es sei denn, er werde von einem Hund angefallen oder erleide Verbrennungen. Das Immunsystem des Säuglings ist noch unreif, weshalb eine Impfdosis mehr benötigt wird als wenn die Kinder erst im 2. Lebensjahr geimpft werden. Das heisst es wird auch eine Dosis Thiomersal mehr verabreicht. Notfalls ist eine passive Immunisierung mit heute verfügbarem humanem Antitoxin möglich. Dadurch ist auch das Risiko einer Anaphylaxie vertretbar klein geworden. Das Schema für passive und aktive Immunisierung nach Verletzung entnehme man dem Arzneimittel Kompendium. Diaplazentar werden dem Kind die Antikörper der Mutter weitergegeben. Nach der Geburt werden diese mit einer Halbwertszeit von 3 Wochen abgebaut, was bedeutet, dass der postpartale Infektionsschutz abhängig ist vom AK-Titer der Mutter. Das gilt im Prinzip für die AK aller Infektionskrankheiten. Für Diphterie oder Tetanus sind dazu in der Schweiz keine Zahlen bekannt. Bei den Masern wurde jedoch eine Studie erstellt, die zeigt, dass in der Schweiz der mütterliche Schutz des Kindes mit ca 10-12 Monaten erlischt, bei Müttern mit Impfimmunität schon früher. Zum Thema Antikörper in der Muttermilch gibt es zu wenig Literatur. Bekannt ist, dass die Mutter eine Infektion auf natürlichem Weg erworben haben muss, um später Antikörper in der Muttermilch zu sezernieren . 2.2.6. Schlussfolgerungen Dank besserer Hygiene und der guten Durchimpfung der Mütter gibt es den Neugeborenen-Tetanus in den Industrienationen nicht mehr. Die jährliche Inzidenz von Tetanus liegt in Industrienationen bei 1 Fall pro 1 Mio Einwohner pro Jahr. Diese geringe Zahl ist die Folge der Impfung, der Hygienen, der fachgerechten Wundversorgung, usw. Empfehlung: Die Tetanus-Impfung ist sinnvoll. Für eine Impfung im ersten Lebensjahr gibt es aber in unserem Land gegenwärtig keine zwingenden Gründe. Deshalb Impfung frühestens ab dem 13 Lebensmonat (vgl. auch Kap. 2.1. Diphtherie). 12 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Referenzen: 1) Arzneimittel Kompendium der Schweiz,1999 2) BAG Ordner “lnfektionskrankheiten, Diagnose und Bekämpfung” 1996 3) Harrison, Principles of Internal Medicine, 1997 4) Impfschäden, Kehrseite der Medaille? Prof. R. Steffen. Zürich (Vortrag in Zug am 12. 3. 98) 5) Tetanus Surveillance, US 1995-97, MMWR July 98 6) E. Wiesmann, Medizinische Mikrobiologie, 1982 2.3. Pertussis Viktor Jenni 2.3.1. Situation Im Wesentlichen geht es um den Schutz des Neugeborenen und Säuglings bis zum Alter von 6-8 Monaten, weil die Krankheit vor allem in dieser Altersgruppe letal verlaufen kann. Erst mit 6 Monaten ist aber nach Applikation der verfügbaren Impfstoffe eine genügende Immunantwort zu erwarten 2. Der Schutz der Neugeborenen bis ins Alter von 4 Monaten, also bis nach der 2. Impfung, ist somit nicht möglich. Immerhin kann ab 2. Impfdosis aber mit einem milderen Verlauf der Krankheit gerechnet werden. Diese Situation ist zwar unbefriedigend aber wahrscheinlich wegen der Unreife des Immunsystems des Neugeborenen auch nicht durch Impfung zu einem noch früheren Zeitpunkt zu verbessern. (Kap. 3.8. und 3.9.) 2.3.2. Epidemiologie und Krankheit 1 Erreger: Bordetella Pertussis, Gram negatives Stäbchen. B. Pertussis bildet kein Ektotoxin. Nach Befall der Atemwegsschleimhaut kommt es zu einer weitgehenden Zerstörung der oberflächlichen Schichten bis zur Basalmembran. Infektiosität: Die Infektiosität ist gross in den ersten 6 Wochen der Krankheit. Früher wurde angenommen, dass es keine gesunden Keimträger gibt. 1 Aufgrund heutiger Nachweisverfahren muss angenommen werden, dass die Übertragung durch asymptomatische Erwachsene Keimträger zum Problem geworden ist. Übertragungsweg: Tröpfcheninfektion Inkubationszeit: 7-14 Tage. Epidemiologie: Am häufigsten erkranken Kinder unter 10 Jahren; 10% Säuglinge, auch wenn die Mutter immun ist. In Populationen mit hoher Impfrate erkranken etwa 50% der registrierten Fälle im ersten Lebensjahr, weitere 25% vor dem 5. Lebensjahr und 15% als Teenager oder Erwachsene. 11 Eine Englische Untersuchung 1940 bis 1980 zeigt eine deutliche Abnahme der Fälle/Jahr nach Einführung der Impfung 1957 2, von ca. 100!000 auf ca. 20!000 (für ganz Grossbritannien). In den Jahren 1969-1991 wurden in der Schweiz 11 Todesfälle als Folge von Pertussis registriert, wovon 4 Ausländer, 9 Kinder im Alter unter 3 Jahren. Jüngster Todesfall: 1998 2 Monate alter Säugling. Die Pertussis Mortalität wird von der Weltgesundheitsorganisation in den industrialisierten Ländern auf 0.04% bis 0.5% geschätzt. 7 Komplikationen treten nach K.Stehr (D) in etwa 10% der Erkrankungsfälle auf 2. Dies deckt sich mit Ergebnissen anderer Untersuchungen. 13 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Letzte grössere Epidemie in der Schweiz: 1994/95 3. Das BAG rechnet für die Schweiz mit ca. 1000 Erkrankungen pro Jahr d.h. ohne Impfung ist mit 100 komplizierten Fällen und 1 Todesfall zu rechnen. Frauen jenseits des 15. Altersjahrs erkranken zunehmend häufiger als Männer (trotz Impfung ?), die Gründe dafür sind nicht bekannt. In Deutschland 25% atypisch mildere, klinisch unklare Verläufe 2. (Wahrscheinlich infolge der Impfung) Mindestens 56 bis 60% der Erkrankten waren geimpft. Diagnose: Wird in der Regel klinisch gestellt. Ab 3. Woche Lymphocytose 40!000 - 100!000/mm3. Positiver PCR Test (Polymerase Chain Reaction) aber nur in den ersten 14 Tagen ab Kontamination, d.h. vor dem convulsiven Stadium. Immunität: Die Krankheit hinterlässt eine Immunität, die aber innert 5 Jahren abzunehmen scheint. Bekannt sind mindestens 3 Antigene: ein Hitze labiles, ein Hitze stabiles und ein Agglutinogen. Nach der 4. Woche erscheinen im Blut der Erkrankten spezifische Agglutinine und Komplement bindende Substanzen. Therapie: Erythromycin während 14 Tagen, vom Tag der Exposition an verabreicht kann die Erkrankung verhindern. Später verabreicht nützt es nichts mehr, parallel der Nachweisbarkeit der Keime (NasenRachen Abstrich auf PCR). Nach Ausbruch der Krankheit symptomatisch, insbesondere homöopathisch. 2.3.3. Impfung und Impfstoffe 1,2 A) Ganz-Zell-Impfstoff seit den 30er Jahren verfügbar. Heute obsolet. B) Acellulärer Impfstoff seit 1981 zuerst in Japan routinemässig angewendet. Infanrix DTPa(-Hib): 2Phenoxyäthanol, 4.5mg NaCl, Polysorbat-Formaldehyd-Glycin-Spuren. Immunantwort nach 3 Injectionen 97.7%. Empfehlenswert weil nicht Thiomersal haltig. Wirksamkeit: Acellulärer Impfstoff ist seit kurzem (BAG 1998) auch für die Grundimmunisierung zugelassen. Impfschutz: 5 Jahre nach der Grundimmunisierung nimmt die Erkrankungshäufigkeit wieder zu. Untersuchung BAG/Sentinella, PCR-bestätigte Pertussis Fälle März 94 bis Nov. 96, an 1569 Patienten mit klinisch diagnostizierter Pertussis und 972 Patienten mit “unspezifischer Hustenerkrankung” (= 2541 Gemeldete Erkrankungen in 3 Jahren, 847/Jahr): Grundimmunisierte (3 Impfungen) erkranken bereits im 2. Lebensjahr zu 52%, im 3.-4. Lebensjahr zu 76%. Immerhin scheint es zu milderen Verläufen und weniger Komplikationen zu kommen. Booster: Empfehlung 4. Impfung im Alter von 15-24 Monaten, 5. Impfung im Alter von 4-7 Jahren. Falls die erste Auffrischimpfung im Alter von 5 Jahren erfolgt, ist eine 5. Impfung nicht erforderlich. Für Impfungen ab 3. Lebensjahr soll ausschliesslich der acelluläre Impfstoff verwendet werden. Nicht angezeigt sind Boosterimpfungen bei Kindern, die bereits einmal an Keuchhusten erkrankt sind. 8 Impfkomplikationen: a) Ganzzellimpfstoff: Bisher ist dieser Impfstoff für die meisten Komplikationen verantwortlich gemacht worden. Angaben über schwerere, vor allem zentralnervöse Impfschäden schwanken zwischen 1:10!000 und 1:200!000 1,2,4,11 1983 forderte O. Tönz (Chefarzt Paediatrie, Kinderspital Luzern): «Die Anstrengungen um die Erforschung einer besseren, weniger neurotoxischen Vaccine sollten weltweit vermehrt und unterstützt werden wegen zu kurzer, zu unsicherer Wirkung, zu hoher Komplikationsrate und weil kein Schutz der 0-5 Monate alten Kinder möglich ist.» b) Acellulärer Impfstoff: Bisher sind keine schweren Nebenwirkungen dokumentiert. 14 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Kontraindikationen für die Impfung: Akute Erkrankung jeglicher Art, auch banale Infekte oder Durchfallerkrankungen, auch in der Inkubationszeit. Kinder nach Risikogeburten. Wenn nach einer früheren Impfung irgendwelche cerebralen Krankheitssymptome aufgetreten sind. 2.3.4. Offizielle Impfempfehlung Grundimmunisierung im Alter von 2/4/6 Monaten, 4. Impfung im Alter von 15- 24 Monaten, 5. Impfung im Alter von 4-7 Jahren. Bis zum Alter von 24 Monaten ist der Ganzzellimpfstoff noch zugelassen, danach nur noch der Acelluläre. 2.3.5. Kritik Als der acelluläre Impfstoff noch nicht verfügbar war, wurden die Nebenwirkungen des Ganzzellimpfstoffs systematisch bagatellisiert 5. Seit er zugelassen ist, wird er mit dem Argument der wesentlich besseren Verträglichkeit promoviert. Komplikationen der Impfung werden herunter gespielt. Verlässliche Untersuchungen mit nur acellulärem Pertussis-Impfstoff an grossen Kollektiven fehlen. Ein Schutz der in höchstem Masse gefährdeten Säuglinge greift mit Impfung erst ab frühestens 5. Lebensmonat. Die hohe Durchimpfung der Bevölkerung verschiebt das Risiko der Erkrankung just ins frühe Kindesalter. Möglicherweise wird gerade durch die Impfung die Zahl der asymptomatischen erwachsenen Keimträger und damit das Infektionsrisiko für die Säuglinge zunehmen. Fragen: Wie liessen sich Risikogruppen, Risikoindividuen definieren oder erkennen, die geimpft bzw. nicht geimpft werden sollten? Welche Risiken geht jemand ein, der nie geimpft wurde und bis zum 20. evtl. 30. Lebensjahr keinen Keuchhusten Kontakt hatte bei späterer Kontamination? 2.3.6. Schlussfolgerungen Pertussis ist in den ersten Lebensmonaten mit einem hohen Komplikationsrisiko behaftet, andererseits greift der Impfschutz erst ab 5. Lebensmonat und damit eigentlich zu spät. Die erheblichen Risiken des Ganzzellimpfstoffs machten es bisher relativ leicht, von dieser Impfung abzuraten. Die acelluläre Impfstoffe scheinen dagegen wesentlich besser verträglich, sind aber bei weitem noch nicht ausreichend geprüft. Schliesslich ist ein Keuchhusten auch nach dem Säuglingsalter für alle Beteiligten eine schwerwiegende Erkrankung und auch die homöopathische Behandlung hat sich als schwierig erwiesen. So scheint uns das folgende Vorgehen vertretbar: Empfehlung: Die Säuglingsimpfung mit dem acellulären Impfstoff ist vorallem in den folgenden Situationen zu erwägen: für Kinder/Säuglinge, die bereits vor Erreichen des ersten Lebensjahrs oder auch danach regelmässig in einer Kinderkrippe oder in Heimen betreut werden. - •für Kinder/Säuglinge, deren Eltern nicht bereit sind die Belastung einer 2 bis 3 Monate dauernden Erkrankung des Kindes zu (er)tragen. - •für Kinder/Säuglinge in kinderreichen Familien. - dagegen empfiehlt sich ein besonders zurückhaltendes und kritisches Abwägen der Impfindikation bei Kindern aus Atopiker-Familien. Ideal wäre ein kombinierter Impfstoff für HiB und Pa, weil nur für diese beiden Impfungen ein Impftermin in den ersten Lebensmonaten auch sinnvoll ist. 15 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Referenzen: 1. Fanconi, Lehrbuch der Paediatrie 2. Stehr K., Schutzimpfung gegen Pertussis, Medizinische Verlagsbuchhandlung Marburg/Lahn,1985 3. Bulletin BAG 5, 26.1.98 4. Ehrengut W.: Der Kinderarzt 15, 1164-1168 (1984) 5. Schmitt et al.; Efficacity of Acellular Pertussis Vaccine in Early Childhood After Household Exposure, JAMA, January 3, 1996 Vol 275, No1, 37-41 6. Greco D. et al.; A Controlled Trial of Two Acellular Vaccines and One Whole-Cell Vaccine Against Pertussis, The New England Journal of Medicine, February 8, 1996, Vol 334, No 6, 341-8 7. Ivanof B. WHO Global Program for Vaccines and Immunization, International Symposium on Pertussis Vaccine Trials, Rome, October 29-November 1st, 1995 8. Mortimer E. A. and Plotkin S.A. Vaccines, 2nd ed., W.B. Saunders Company 1994, USA. 11. Lederle Praxis, 1995, Tetramune Swiss Safety Study in Supplementum XI, BAG 12. Cherry JD, Brunell PA, Golden GS, et al. Report of the task force on pertussis and pertussis immunisation-1988. Pediatrics. 1988;81(6):939-984 13. Cherry JD. Pertussis (whooping cough). In: Oski FA, DeAngelis CD, Feigin RD, et al., eds Principles and Practice of Pediatrics. Philadelphia, Penn: JB Lippincott Co; 1990:1107-1109 2.4. Poliomyelitis Rolf Heimann 2.4.1. Situation Zwischen 1950 und 1955 zählte man 70 Tote in der Schweiz pro Jahr. Seit Einführung der Impfung sanken die Zahlen drastisch. Der letzte dokumentierte Todesfall an Polio in der Schweiz 1982. Wohl deshalb ist die Polio Impfung heute zu einer allgemein akzeptierten Impfung geworden. Die Durchimpfungsrate beträgt gesamtschweizerisch 1998 bei den 27 - 35 Monate alten Kindern 92% mit 3 Impfungen, respektive 76% mit 4 Impfungen. (Bulletin 20 BAG vom 17.5.99). Demgegenüber warnt eine Zürcher Studie, dass von den ViertklässlerInnen 1998 nur 68% geimpft seien.7 2.4.2. Epidemiologie und Krankheit Weltweit sind 50% der Erkrankten jünger als 7-jährig. Maximales Befall Alter: 3-6-jährig. Daher der Name: Kinderlähmung. Gehäuftes Auftreten in den Sommermonaten. In Industriestaaten und manchen Entwicklungsländern ist die Krankheit heute sehr selten. In Ländern mit schlechter Durchimpfung treten die meisten paralytischen Fälle in der frühen Kindheit auf. Sporadische Fälle können alle Altersgruppen betreffen. Ausbrüche können in geschlossenen Gruppen auftreten. In der Schweiz wurden seit 1982 keine endemischen Erkrankungen durch Wildvirus mehr gemeldet. Das Risiko der Impfpolio ist heute grösser als ein Wildtyp-Virusinfekt. (Durch Impfung hervorgerufene bleibende Lähmung mit einem Risiko von 1 : 4,4 Mio Impfungen). Reservoir für das Virus ist der Mensch. Infektion meist von inapparent erkrankten Personen weitergegeben. Die Polio wird durch direkten Kontakt (Tröpfchen- oder Schmierinfekt) übertragen. Seltener auch über infizierte Lebensmittel (Milchprodukte). Die Virusausscheidung beginnt schon 36 Stunden nach Exposition und kann in Faeces 3 bis 6 Wochen anhalten. Dauerausscheider kommen nicht vor. Die Inkubationszeit beträgt bei paralytischen Fällen 7 bis 14 Tage mit einer Spanne von 3 bis 35 Tagen Klinik: Infektionen mit Polioviren können asymptomatisch oder als milde Krankheit mit Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen verlaufen. Bei weniger als 1% der Erkrankten treten Komplikationen im Sinne einer aseptischen Meningitis oder von schlaffen, asymmetrischen Lähmungen auf. 16 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Die Letalität liegt bei 2 bis 10% der paralytischen Fälle. Sie steigt mit zunehmendem Alter an. Die durchgemachte Erkrankung hinterlässt Immunität gegen den betreffenden Typ von Polioviren. Der Schutz gegen Infektionen mit anderen Typen ist aber nicht vollständig. Diagnose: zur Bestätigung der klinischen Diagnose wird eine Isolierung aus Faeces durchgeführt. Erreger: Die Polioviren gehören zu den Enteroviren (RNS-Viren). 3 Typen kommen vor, von denen alle Lähmungen verursachen können. Therapie: symptomatisch. 2.4.3. Impfung 1953 mit inaktiviertem Einzeltyp Impfstoff 1960 perorale Salk attenuierte Dreitypen-Lebendvakzine-Impfung Es stehen heute 2 Impfstoffe zur Verfügung: 1. Peroraler Lebendimpfstoff (“OPV” Sabin, orale Impfung) Mit attenuierten, noch vermehrungsfähigen Polioviren. Er führt zu einer allgemeinen und einer lokalen Immunität (Darmmukosa). Die Viren werden auf Zellkulturen aus foetalen Affennieren gezüchtet. Zusatzstoffe: Neomycin unter 4 mcg pro Dosis; Spuren von Streptomycin; Polygeline, Phenolrot, Mannitol, MgCl 2. Inaktivierte Poliovakzine nach Salk, (parenterale Impfung) Es fehlt hier die Mukosaimmunität. 2.4.4. Offizielle Impfempfehlungen 4 Dosen Lebendimpfstoff im Alter von 2,4,6 und 15 bis 24 Monaten werden abgegeben. Jeweils eine Boosterdosis bei Schulbeginn und bei Schulende. Auffrischimpfungen zu einem späteren Zeitpunkt werden nur für Personen mit erhöhtem Risiko empfohlen, insbesondere für Labor- und Spitalpersonal und für Leute, die Reisen in Entwicklungsländer unternehmen, sofern die letzte Polioimpfung mehr als 10 Jahre zurückliegt. Man diskutiert im Moment, die 1. Impfung als Salkimpfung anzufangen. Nachteil der parenteralen Impfung: Es braucht 4 Injektionen sc., was für Massenimpfungen in Entwicklungsländern schwierig ist. Erwachsene, bisher ungeimpfte Personen, bei denen der Lebendimpfstoff ein erhöhtes Komplikationsrisiko darstellt, sowie HIV-infizierte werden vorsichtshalber parenteral geimpft. Nach 4 Dosen Impfstoff ist der Impfschutz optimal, d.h. mit einer Sicherheit von 95% wird eine geimpfte Person gegen Infekte mit allen 3 Wildtypen immun sein. 2.4.5. Schlussfolgerung Offene Fragen: 1. Wie gefährlich ist die Kultivierung der Polioviren auf foetalen Affennieren-Zelkulturen? Zusammenhang mit HIV-Infekten? 2. Das Risiko der Impfpolio-Erkrankung durch Ansteckung über Geimpfte, die zu Ausscheidern werden, ist nicht zu vernachlässigen. Verantwortlich für diese Fälle ist die hohe Mutationsrate des lebenden, abgeschwächten Impfvirus im Darm der frisch Geimpften, durch welche wieder Virus vom Wildtyp entstehen kann. Inzidenz: 1. Impfung: 1 : 400 000 und bei 2. Impfung: 1 : 12,3 Mio. 17 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Empfehlung: Alternativ ist es sicher möglich, die Erstimpfung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Das unreife frühkindliche Nervensystem sollte bis zur Sprachentwicklung von neurotropen Viren, zu denen auch das Poliovirus gehört, verschont bleiben. Für Kinder, die im Rahmen ihrer Familie aufwachsen können, ist das Risiko einer Infektion mit Polioviren extrem klein. So kann auf einen Impfschutz in den ersten 1 - 2 Lebensjahren in der Schweiz verzichtet werden. An der Zahl der 4 Impfdosen sollte festgehalten werden, da nur so der Impfschutz für alle 3 Stämme vollständig ist. Hingegen müssen die Impfabstände nicht eingehalten werden, da keine Impfung verloren ist. Impfung wenn möglich ausserhalb der Sommermonate, da das Auftreten des spontanen Virusinfektes während der Sommermonate gehäuft ist. Dies gilt nur für die Lebendimpfung. Das Angehen der Polio Schluckimpfung kann wegen gehäuften sommerlichen Enterovireninfekten gestört werden. Referenzen: 1. Netteratlas Volume 1, Nervous System 1968 2. Harrison, Prinzipien der Innern Medizin 1996 3. Poliomyelitis, die Spätfolgen, Dr. Thomas Lehmann 1998 4. Unterlagen des BSV 1998 5. Beipackzettel der Poloral Impfung BERNA 2.97 6. Die Impfentscheidungen, Dr. F. Graf, Eigenverlag, 1995 7. Tagblatt, 16.6.98 2.5. Haemophilus influenzae B (HiB) Thomas Weber 2.5.1. Situation Die Infektion mit Haemophilus influenzae (Hi) reicht von der asymptomatischen Besiedelung im oberen Respirationstrakt bis zu den invasiven lebensbedrohlichen Krankheiten wie Meningitis und Epiglottitis. Seit ca 15 Jahren steht eine Impfung gegen den für diese Komplikationen am häufigsten verantwortlichen Erreger, Haemophilus influenzae Typ B (HiB) zur Verfügung. Damit konnten diese zwar seltenen aber gefährlichen Komplikationen weitgehend zum Verschwinden gebracht werden. 2.5.2. Erreger/Erregernachweis Haemophilus influenzae ist ein ausschliesslich humanpathogenes Bakterium. Es kommt bekapselt und unbekapselt vor. Die verschiedenen Polysacharidkapseln wurden eingeteilt in die Typen a-f. An über 95% der invasiven Hi-Krankheiten ist der Typ HiB ursächlich beteiligt. Die übrigen Typen verursachen oft Otitiden, Sinusitiden und Conjunktivitiden. Oft besiedelt Hi (auch HiB) den Nasen-Rachen-Raum auch ohne Symptome zu verursachen. Auf diese Weise erwerben die meisten ungeimpften Kinder zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr eine spezifische Immunität. Die zwei wichtigsten invasiven HiB Krankheiten sind die Meningitis und die Epiglottitis. 5 Die HiB-Meningitis Vor der HiB-Impfung war die HiB-Meningitis die häufigste bakterielle Meningitis (über 50% der bakt. Men., daneben 25% Meningokokken, 15% Pneumokokken). Die Häufigkeit betrug 10-15 Fälle pro 100 000 der unter-15-Jährigen pro Jahr, d.h. knapp l00 Fälle pro Jahr in der Schweiz. Betroffen sind weitaus am häufigsten die 1/2 bis 2-jährigen. Die Letalität wird mit 3-5% angegeben. Mit Spätfolgen ist in 1015% zu rechnen. Dies sind vor allem Gehörschädigungen, psychomotorische Störungen und Krämpfe. 2,5 Klinik: Die Symptome der HiB-Meningitis stimmen grösstenteils mit denen anderer bakt. Meningitiden 18 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 überein: Fieber, reduzierter AZ, Erbrechen, Kopfschmerzen, Irritabilität, Schmerzen bei jeder Dehnung der Hirnhäute, was beim älteren Kind mehr zu den klassischen Meningismus Zeichen, bei den Jüngeren vor allem zum Aufschreien beim Auf-die-Arme-Nehmen führt. Später kommt es zu getrübtem Bewusstsein, Hirnoedem, Paresen der Hirnnerven, Konvulsionen und Schock. Diagnose: Lumbal-Punktion, Blutkultur Therapie: Wegen des fulminanten Verlaufs und auch zur Diagnose sollte bei jedem Verdacht eine sofortige Hospitalisation erfolgen. Die Meningitis ist mit Cephalosporinen gut therapierbar. Die HiB-Epiglottitis Die HiB-Epiglottitis war vor der Impfung ca. halb so häufig wie die HiB-Meningitis, d.h. gut 50 Fälle pro Jahr in der Schweiz. Die Altersverteilung zeigt einen Gipfel bei den 2 bis 5-jährigen. Die Letalität beträgt 1,5%. 2,5 Klinik: Die Epiglottitis ist klinisch vor allem vom Pseudokrupp abzugrenzen. Sie beginnt mit Schluckstörungen und Halsschmerzen. Es folgt eine karchelnde Atmung mit geöffnetem Mund, eine klossige Stimme (hot-potato-voice), Speichelfluss, blass toxisches Aussehen, hohes Fieber, reduzierter AZ. Stille, sitzende Stellung. Jede Bewegung und Husten wird vermieden. Therapie: unverzügliche Intubation ist unumgänglich, Antibiotika. Faktoren, die das Risiko für eine invasive HiB-Krankheit beeinflussen: 5 - Alter: Die Meningitis ist häufig bei den 1/2 bis 2-jährigen, die Epiglottitis bei den 2 bis 5-jährigen. - Stillen verringert das Risiko eindeutig. - Grundkrankheiten: Sichelzellanaemie, Asplenie, Infektabwehrstörungen, Malignome erhöhen das Risiko massiv. - Genetische Faktoren; Rasse: Leicht erhöhtes Risiko bei Schwarzen, massiv erhöhtes bei australischen Eingeborenen und bei Eskimos. - Soziales: Kinderkrippen; viele Kinder auf engem Raum; tiefer sozioökonomischer Status bringt ein erhöhtes Risiko. 2.5.3. Impfung Der zuerst eingesetzte Polysacharid-lmpfstoff war bei Kindern unter 18 Monaten unwirksam. Erst durch Konjugation an ein Trägerprotein wurde es möglich Impfstoffe herzustellen, die schon viel früher eine Immunantwort provozieren. 5 In der Schweiz sind 3 HiB-lmpfstoffe zugelassen, die sich vor allem durch das Trägerprotein unterscheiden: PRP-D, PRP-OMP, Hb-OC 1 Impfpraxis und offizielle Impfempfehlung in der Schweiz decken sich weitgehend. Mit 2,4 und 6 Monaten wird geimpft, dazu kommt eine Booster Impfung mit 15 Monaten. Man erreichte bisher eine Durchimpfungsrate von 85%. Wirksamkeit: Durch die Impfung konnte bei den 1-15-jährigen die Zahl der invasiven HiB-Krankheiten von jährlich 170 auf ca 13 und die der daraus resultierenden Todesfälle von jährlich 3 auf O reduziert werden. In den letzten 8 Jahren sind 25 Fälle bei vollständig geimpften Kindern aufgetreten, wovon 23 mit PRP-D Geimpfte. Da der Anteil der mit diesem Impfstoff Geimpften nur etwa 26% ausmacht, muss eine verminderte Wirksamkeit angenommen werden. 4 Nebenwirkungen: Ausser leichten lokalen Reizungen und kurzem Fieber bei 5-10% sind keine Nebenwirkungen oder Folgekrankheiten offiziell belegt. Die Impfung scheint gut verträglich zu sein. Unspezifische Folgekrankheiten wie bei anderen Impfungen sind anzunehmen, aber kaum nachweisbar, unter anderem auch, weil die HiB-Impfung fast immer als Kombinationsimpfung mit DiTePer gemacht wird. Potentielle Nebenwirkungen sind Konvulsionen und Guillain-Barré-Syndrom. 1 19 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 2.5.4. Epidemiologische Auswirkungen Eine finnische Studie hat gezeigt, dass in der Zeit, als die schweren HiB- Infektionen infolge der Impfung zurückgingen, gleichzeitig schwere Pneumokokken Infekte an der Zahl massiv zunahmen. 3 Dieser Hinweis auf eine mögliche Keimverschie-bung kann für die Schweiz nicht bestätigt werden, da entsprechende Zahlen fehlen. Einen Hinweis in diese Richtung stellt allerdings die Tatsache dar, dass in den ersten Jahren der HiB-Impfung in der Schweiz die HiB-Meningitis rückläufig, die Gesamtzahl der bakteriellen Meningitiden hingegen fast stationär war. 6 2.5.5. Offizielle Impfempfehlung Alter 2Mt 4Mt 6Mt 15Mt PRP-D PRPOMP 1.Dosis 1. Dosis 2. Dosis 2. Dosis 3.Dosis Rappel Rappel HbOc 1.Dosis 1. Dosis 2. Dosis 1. Dosis 2. Dosis 3.Dosis 2. Dosis Rappel Rappel Rappel oder oder Es wird empfohlen, alle Kleinkinder zu impfen. Für alle verfügbaren Impfstoffe gilt: wenn erst im 4. Lebensmonat mit Impfen begonnen wird, reichen 2 Dosen für die Grundimmunisierung aus (Angabe der Hersteller). 2.5.6. Kritik Die offizielle Beurteilung der HiB-Impfung fällt durchwegs positiv aus. Man kann mit dieser Impfung in der Schweiz jährlich 3 Todesfälle und 10-20 Fälle von Langzeitschäden durch HiB-Infektionen verhindern. Der Verdacht, dass man damit eventuell nur das Spektrum der Erreger verschiebt, nicht aber die Krankheit Meningitis als solche verhindert, wurde nicht weiter verfolgt, er sollte aber trotz allem nicht ausser Acht gelassen werden. 3 Die Frage der langfristigen Folgen der HiB-Impfung sowohl in epidemiologischer Hinsicht als auch für das Individuum (Folgekrankheiten, Nebenwirkungen) wird auch bei dieser Impfung vernachlässigt (s. 3.6; 3.7). 2.5.7. Schlussfolgerungen Eine klare Entscheidung ist aufgund der aufgeführten Argumente nicht möglich. Die Vorteile der HiBImpfung scheinen auf der Hand zu liegen, werden aber relativiert, sollte sich der Verdacht der “Keimverschiebung” als richtig erweisen. Ein gangbarer Weg ist auch hier die individuelle Impfempfehlung. Leider ist es aber schwierig, das individuelle Erkrankungsrisiko abzuschätzen. Wichtige Faktoren sind die Abwehrlage des Kindes (Schwangerschafts-Komplikationen, Frühgeburt, Fehlbildungen) und das soziale Umfeld (Nestschutz, Ernährung, Pflege, Stillen, Kinderkrippe…) Wenn im Säuglingsalter nur HiB allein geimpft werden soll, reichen zwei Dosen, sofern erst im 4. Lebensmonat mit Impfen begonnen wird. Empfehlung: Wenn das Erkrankungsrisiko aufgrund eines der beschriebenen Faktoren erhöht ist, ist eine; HiBImpfung sinnvoll. Die HiB-Impfung sollte dann, so früh als möglich, d.h. nach Impfschema vorgenommen werden. 20 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Wenn man nicht impft, wird man um so mehr darauf achten müssen, die invasiven Krankheiten früh genug zu erkennen. Referenzen 1) Arzneimittel Kompendium der Schweiz 1998 2) BAG, Infektionskrankheiten der Schweiz 1997 3) M. Baer, R. Vuento, T. Vesikari: Increase in bacteriaemic pneumococcal infections in children; The Lancet 1995; 345:661 4) Gnehm H., HiB-Impfversager in der Schweiz,. MedTribune Nr.23, S.12 5) Plotkin S.A.. Mortimer EA, Vaccines: S.337-386 6) VESKA-Statistik gemäss BAG 2.6. Masern Peter Klein 2.6.1. Situation Die Masern waren bis vor 25 Jahren auf allen Kontinenten endemisch verbreitet; fast 100% der Kleinkinder hatten sie durchgemacht. Die zunehmende Durchimpfung im zweiten Lebensjahr, bis hin zu den aktuellen Durchimpfungs-Raten von 65 bis 80% drängt die manifesten Masern in die epidemische Situation mit sporadischen kleineren Ausbrüchen. Die offiziellen Stellen (BAG, WHO) und der Grossteil der medizinischen Zunft verfolgt die Strategie der (weltweiten) Ausrottung. Demgegenüber hält sich die Meinung in der Bevölkerung hartnäckig, Kinderkrankheiten und insbesondere die Masern seien für die gesundheitliche Entwicklung der Kinder in erster Linie nützlich. Aus beiden Gesichtswinkeln ist die aktuelle epidemiologische Situation der Masern unbefriedigend, ja längerfristig riskant. 2.6.2. Epidemiologie und Krankheit Erreger: RNS-Virus, kommt nur beim Menschen vor Übertragungsweg: aerogen durch Tröpfchen, vor allem im Prodromalstadium bis zwei Tage nach Ausbruch des Exanthems hochkontagiös (annähernd 100%) Inkubation: 10 bis 12 Tage. Durchseuchung: bei den über 30-jährigen über 95 %, bei den unter 5-jährigen wegen der Impfung viel geringer, vermutlich unter 10% Neuerkrankungen: es gibt keine verlässlichen Zahlen wegen dem lokalen Charakter der kleinen Epidemien, welche durch das Sentinella Meldesystem nur ungenügend erfasst werden (Schätzungen des BAG für die letzten 10 Jahre: 1500 bis 7000 manifeste Fälle pro Jahr) Akut Erkrankung: zweiphasige Virämie, die dem zweigipfligen Fieberverlauf entspricht. 2-3 Tage katarrhalisches Prodromalstadium (hochkontagiös), danach kurzes Auftreten der sehr spezifischen Koplik"schen Flecken auf der Mundschleimhaut, bevor die hochfieberhafte Phase mit Ausbruch des typischen Masern Exanthems einsetzt (zuerst feinfleckiges dann konfluierendes Erythem, beginnend hinter den Ohren, über Gesicht, Rumpf und Extremitäten sich in 2-3 Tagen ausbreitend. Abheilung unter Schuppung in gleicher Reihenfolge). Ausserdem deutliche Conjunctivitis und Reizerscheinungen der Atemwege, bei i.R. starkem Krankheitsgefühl. Diagnose: typischer Verlauf, speziell Koplik"sche Flecken; Erregernachweis im Rachenabstrich, ev. im Liquor, Antikörpernachweis mit ELISA: akut spezifische IgM Immunität: nach Akut Erkrankung lebenslang. Nachweis durch spezifische. IgG (möglicherweise spielt die Wildboosterung für die anhaltende Immunität eine wesentliche Rolle) Komplikationen: Masernpneumonie, bakterieller Superinfekt (z.B. Otitis media), thrombozytopenische Purpura, passagere EEG-Veränderungen, Masern-encephalitis und SSPE (subakut sklerosierende 21 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Panencephalitis 5:1Mio). Das Risiko der Masernencephalitis ist in den industrialisierten Ländern das Hauptargument für die Impfung. Zahlenangaben hierzu sind umstritten (offiziell 1:1000, realistischer 1:10"000); stark erhöhtes Risiko bei Säuglingen und jungen Erwachsenen. Vorbeugung: passive Immunisierung von Immuninkompetenten bis spätestens 3 Tage nach Exposition. 2.6.3. Impfung Impfstoff: attenuierte, vermehrungsfähige Masernviren (Edmonston-Enders, Schwarz) welche auf humanen Diploidzellen (MORATEN) oder auf Hühnerembryo-zellen (RIMEVAX, ATTENUVAX) gezüchtet worden sind. Hilfsstoffe: Neomycin, Sorbitol, Gelatine. Die Impfung hat eine Virämie zur Folge, welche eine humorale Immunität induziert. Applikation: subkutan, vorläufig frühestens im 15. Lebensmonat (im Säuglingsalter neutralisieren die zirkulierenden mütterlichen Antikörper die Impfviren). Zweitimpfung nach 5-10 Jahren wird aus individueller Indikation empfohlen (Impfversager abdecken). Wirksamkeit und Impfschutzdauer: Individuell kurzfristig protektive Wirkung 90-95% (BAG), langfristig unsicher (80-90%): bei zunehmender Durchimpfung fällt die Wildboosterung weg; ca 10 % der Personen, welche einen als protektiv angesehenen Antikörpertiter aufweisen, können dennoch an Masern erkranken. Epidemiologisch wirksam (Elimination der manifesten Masern) gilt die Impfung, wenn mindestens 95% der Bevölkerung dauerhaft immun wären (in keinem Land erreicht). Auffrischimpfung: zur Zeit ist nicht geklärt, wann eine Booster-Impfung, wegen abfallender Antikörpertiter, angezeigt ist, und ob ein Booster genügend wirksam ist. Nachweis der Immunität: Bestimmung der spezifischen Antikörper IgG (ELISA), beschränkte Aussagekraft (im Gegensatz zur Impfung bewirkt die Wildkrankheit, neben der humoralen, auch eine zelluläre Immunantwort). Nebenwirkungen: Individuell: Lokalreaktion mild, subklinische bis leichte Masern 5.-12- Tag nach Impfung), Fieber, Konvulsionen, Encephalitis, SSPE (1:1 Mio.), Guillain-Barré, Thrombozytopenie, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Über die Häufigkeit von Komplikationen des ZNS liegen stark divergierende Zahlen vor: z.B. Encephalitis von weniger als 1:1 Mio. bis zu 1:17"500. Epidemiologisch: im Vergleich zur ursprünglichen Durchseuchung labilere Immunitätslage. Verschiebung des Erkrankungsrisikos ins Säuglings- und ins Erwachsenenalter. Kontraindikationen: fieberhafte Erkrankung, Immundefizit, Schwangerschaft, Hühnereiweiss Allergie 2.6.4. Offizielle Impfempfehlung Das BAG empfiehlt die routinemässige Impfung aller Kleinkinder im Alter von 15 Monaten und eine Zweitimpfung mit 5 bis 10 Jahren. In Übereinstimmung mit den Zielen der WHO will das BAG mit der lückenlosen Durchimpfung der Kleinkinder die Masernvirus Zirkulation unterbrechen, was dauerhaft nur bei einer Impfbeteiligung auf unbestimmte Zeit von mindestens 95% erreichbar ist. Begründung: (gilt in ähnlicher Weise für die Röteln- und Mumpsimpfung) - die Masern sind eine gefährliche Krankheit. Ohne Massenimpfung der Kleinkinder würden in der Schweiz jährlich 60-70 Masern-Enzephalitisfälle auftreten. - die Ausrottung der Masern ist möglich, weil das Virus nur auf dem Menschen überleben kann (Vorbild ist die Pockenausrottung). - die Wirksamkeit der Masernimpfstoffe liegt bei 95% und der Impfschutz dauert wahrscheinlich lebenslänglich. Impfversager werden mit der Zweitimpfung abgedeckt. - die Masernimpfstoffe sind frei von schweren Nebenwirkungen. - die epidemiologischen Risiken des Eradikationsprogramms schmälern dessen Nutzen nicht wesentlich, sie sind von passagerer Natur. 22 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 2.6.5. Kritik Die Häufigkeit der Masernenzephalitis wird, offensichtlich aus propagandistischen Gründen, um einen Faktor 10 überschätzt (die Rate beruht auf der Anzahl gemeldeter Masernfälle vor Einführung der Impfung, was bei der ursprünglich fast 100%igen Durchseuchung höchstens einem Zehntel der tatsächlichen Masernfälle entsprach). Damit entfällt aber das Hauptmotiv für die Routineimpfung in den industrialisierten Ländern. Die Ausrottbarkeit der Masern ist eine rein theoretische Annahme. Die sehr hohe Kontagiosität des Masernvirus in Verbindung mit der begrenzten Wirksamkeit der Impfung und den begrenzten Ressourcen in vielen Ländern dieser Erde lassen es als höchst unwahrscheinlich erscheinen, dass die Masern in absehbarer Zeit von der Erdoberfläche verschwindet. Auch in Ländern mit intensiver Impfaktivität lassen sich zudem auf freiwilliger Basis und über längere Zeit Durchimpfungsquoten von höchstens 80% aufrechterhalten. Die Kontrolle der Viruszirkulation durch Kleinkinderimpfungen ist zwar möglich aber epidemiologisch anerkanntermassen höchst riskant, vor allem wenn es nicht gelingen kann, die Masern innert nützlicher Frist zu eliminieren: Säuglinge und junge Erwachsene werden unweigerlich in zunehmendem Masse dem Risiko eines schwerwiegenden Krankheitsverlaufes ausgesetzt (in diesen Altersgruppen trifft die Masernencephalitisrate von 1:1000 tatsächlich zu, wie grössere Durchbruchepidemien in den USA vor 10 Jahren gezeigt haben). Säuglinge von geimpften Müttern haben keinen verlässlichen Nestschutz, können aber noch nicht wirksam geimpft werden (Säuglingsmasern hat es früher praktisch nicht gegeben). Die Impfnebenwirkungen werden wahrscheinlich erheblich unterschätzt, weil man bei einem passiven Meldesystem mit einem under-reporting selbst von schwereren Nebenwirkungen von 80% rechnen muss, wie aktive Nachforschungen zeigten. Längerfristige Nebenwirkungen sind noch viel zu wenig untersucht. Der gesundheitliche Nutzen der Masern wird unterschätzt. Es gibt Hinweise, dass die hochfieberhaften Kinderkrankheiten in Bezug auf die spätere Entwicklung von Allergien, autoaggressiven Krankheiten und Karzinomen einen protektiven Effekt haben. 2.6.6. Schlussfolgerungen Die Nachhaltigkeit des Masernimpfprogramms ist nicht gegeben. Es ist zu befürchten, dass mit zunehmender Dauer der Durchimpfungsanstrengungen, und zunehmender Dominanz der unzuverlässigen künstlichen Immunität über die solide Wildimmunität die epidemiologische Lage der Masern mehr und mehr labil wird. Dies wird einen wachsenden Zwang zu Kontrollmassnahmen schaffen, welche schliesslich in keinem Verhältnis mehr zur ursprünglichen Risikokonstellation stehen. Bezüglich Masern hat in den industrialisierten Ländern in diesem Jahrhundert nie eine Notsituation bestanden, welche eine aufwendige, zeitlich unlimitierte und risikoreiche Impfstrategien je gerechtfertigt hätte. Ein gezieltes Impfkonzept, mit welchem nur speziell gefährdete Gruppen durch die Impfung geschützt würden, wäre die einzige, auch langfristig vertretbare Alternative. Doch fehlt bei den entscheidenden Stellen Interesse und Verständnis, die Bedingungen eines solchen Impfkonzeptes abzuklären. Die Entscheidungssituation ist zwiespältig: die Masernvirus Zirkulation ist bereits sehr deutlich verlangsamt, so dass die Chance, noch im Kleinkindesalter die Masern durchzumachen gering ist: in diesem Alter ist das Risiko von schweren Komplikationen am kleinsten. Andrerseits die Kinder an eine sogenannte Masernparty zu schicken, hat den unangenehmen Beigeschmack der Willkür. Zudem wird in Zukunft wohl der moralische Druck, sich 'solidarisch' zu verhalten und zu impfen, noch zunehmen. Empfehlung Keine routinemässige Kleinkinderimpfung gegen Masern. Individuelle Impfindikation. Jugendliche im Alter zwischen 10 und 15 Jahren, welche keine Masern durchgemacht haben, in der Regel jetzt impfen. In Zweifelsfällen spezifische Antikörper (IgG) bestimmen. 23 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Referenzen: 1. Markowitz LE, Katz SL. 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Br J Prev Soc Med 1977;31,148-53. 28. McGowan L et al. The women at risks for developing ovarian cancer. Gynecol Oncol 1979;7,325-44. 29. Abel U et al. Common infections in the history of cancer patients and controls. J Canc Res Clin Oncol 1991;117,339-44. 30. Kesselring J. Zur Pathogenese der Multiplen Sklerose. Schweiz Med Wschr 1990; 120.1083-90. 31. Alvord E et al. The Multiple Causes of Multiple Sclerosis - The Importance of Age of Infections in Childhood. J.Child Neurol 1987;2,313-321. 24 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 2.7. Mumps Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Thomas Weber 2.7.1. Situation Der Mumps gehört zu den klassischen Kinderkrankheiten. Bis vor gut 20 Jahren war die Krankheit endemisch und wurde meistens im Kindesalter durchgemacht. Als Folge der MMR-Impfung ging die Krankheit in den 8Oer-Jahren drastisch zurück, um in den Jahren 1993-1995 wieder epidemisch gehäuft aufzutreten. Diese Häufung betraf relativ viele Adoleszente und Erwachsene. Seit 1997 tritt der Mumps wieder deutlich seltener auf. Die Durchimpfungsrate liegt seit Jahren konstant bei ca. 8O%. 2 2.7.2. Epidemiologie und Krankheit 1 Erreger: Mumpsvirus, ein Paramyxovirus Übertragungsweg: Tröpfcheninfektion. Die hohe Kontagiosität beginnt einige Tage vor der Parotis Schwellung und dauert bis zu deren vollständigem Abschwellen. Befallen werden vor allem die 4-10jährigen. Inkubationszeit: 2-3 Wochen Klinik: In ca 60% der Fälle ein- oder beidseitige Parotitis mit meist leichtem Fieber. Der Rest verläuft inapparent. Komplikationen: - Pankreatitis: Befall des exokrinen Pankreas, heilt folgenlos ab. - Meningitis serosa: 10-20% der Erkrankten. Gute Prognose. - Meningoencephalitis: 1:4000 Erkrankte, kann in sehr seltenen Fällen tödlich ausgehen. Sie ist im Erwachsenenalter häufiger als im Kindesalter. - Einseitiger Ausfall des N. Statoaccusticus - Orchitis: im Kindesalter selten, später häufig (25% der erkrankten Erwachsenen), selten beidseitig. Ob eine doppelseitige Mumpsorchitis eine spätere Infertilität zur Folge hat, ist nicht bewiesen. - Oophortis: bei 5% der Erkrankten. Diagnose: Meist klinisch. Erregernachweis durch Verimpfung in Zellkulturen. Serologisch ELISA (IgM, lgG). Immunität: Nach durchgemachter (auch nach inapparent durchgemachter) Krankheit lebenslänglich. 2.7.3. Impfung Impfstoff: attentuierte Mumpsviren. In der Schweiz kommen zwei verschiedene Impfvirusstämme zur Anwendung: Jeryl-Lynn-Stamm (Mumpsvax) und Rubini-Stamm (Mumaten) Applikation: subkutan Wirksamkeit: wird mit 90-95% angegeben. Nach einer späteren zweiten Impfung weisen offenbar fast 100% positive AK-Titer auf. In einigen Studien wird aber eine Wirksamkeit von nur 80% festgestellt (Rubini Stamm). 3 Impfschutzdauer: Viele Jahre. Noch unklar, ob lebenslänglich. Nebenwirkungen der Impfung: 4 Neben den relativ häufigen lokalen und kurz dauernden Reaktionen sind folgende Nebenwirkungen beschrieben: - Pankreatitis und Orchitis, sehr selten. - Gangunsicherheit unklarer Genese, reversibel nach wenigen Tagen. - Meningitis: Wegen der gehäuften Meningitiden nach Impfungen mit dem Stamm Urabe wurde dieser Impfstoff vom Markt genommen. Nach Impfungen mit anderen Stämmen scheint es viel seltener zu Meningitiden zu kommen (1 : 1!000!000) allerdings zum Preis der schwächeren Immunogenizität. 25 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 - Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Encephalitiden: Es gibt einige Fälle, die den Verdacht nahelegen, jedoch fehlt ein schlüssiger Beweis. Parotitis: bei 0,5% der Geimpften (Ungefährlich). Ein Zusammenhang zwischen Mumpsimpfung und juvenilem Diabetes mellitus wird vermutet, konnte aber bisher nicht bewiesen werden. 2.7.4. Offizielle Impfempfehlung Seit 1987 wird mit der MMR-Kampagne versucht, den Mumps auszurotten. Der Impfplan empfiehlt die erste MMR-Impfung mit 15 Mt. und eine zweite Dosis im Alter von 4-7 Jahren. Begründet wird diese Empfehlung mit der guten Wirksamkeit und Verträglichkeit des Impfstoffs, mit dem Ziel der Ausrottung der Krankheit, mit der Möglichkeit der gleichzeitigen Verabreichung mit Masern- und Röteln-Impfung und nicht zuletzt mit dem Ziel, Komplikationen der Krankheit zu vermeiden. 2.7.5. Kritik Die Mumpsepidemie 1992/93 hat gezeigt, dass die Wirksamkeit der Impfung überschätzt, bzw. die Zahl der Impfversager unterschätzt wurde. Ob die danach eingeleiteten Massnahmen und auch die Zweitimpfung den erwarteten Erfolg bringen wird, bleibt abzuwarten. Die Zahl der gegen Mumps geimpften Kinder liegt in der Schweiz seit Jahren konstant bei ca 80%, statt bei den erhofften 95%. Wenn zusätzlich die Wirksamkeit weiterhin bei nur 80% liegt, wird die Impfkampagne zum riskanten Experiment. Ob das Ziel der Ausrottung unter diesen Bedingungen überhaupt erreichbar ist, wird damit in Frage gestellt. Zusätzlich sind die epidemiologischen Gegebenheiten viel ungünstiger als bei den als ausgerottet geltenden Pocken - das “Vorbild” der Impfbefürworter. Es gibt Anzeichen dafür, dass es infolge der Impfung zur Verlagerung des Erkrankungsalters in die Adoleszenz und ins Erwachsenenalter kommt, wodurch mit einer Zunahme der Zahl und des Schweregrades von Komplikationen gerechnet werden muss. Die Zahl der Häufigkeit von Nebenwirkungen ist wie bei allen Impfungen schwer abzuschätzen. Der Beweis des Kausalzusammenhangs erweist sich in allen vermuteten Fällen als sehr schwierig. Es ist aber nicht wissenschaftlich, mögliche oder beobachtete aber nicht beweisbare Nebenwirkungen und Folgekrankheiten nicht in die Überlegungen einzubeziehen. Über den Sinn der Kinderkrankheiten für die Entwicklung des Immunsystems und die Persönlichkeit des Kindes existieren auch keine Beweise, dies trotz mannigfacher Beobachtungen und Hinweise. Offensichtlich fehlen der Wissenschaft die Mittel und das Interesse, solchen Fragen nachzugehen. 2.7.6. Schlussfolgerungen Der Mumps ist eine relativ harmlose Kinderkrankheit. Die seltenen schweren Komplikationen rechtfertigen keine allgemeine Durchimpfung aller Kleinkinder. Die Ausrottung der Krankheit ist aus heutiger Sicht kaum realisierbar. Der Wirkungsgrad und die Harmlosigkeit der Impfung muss immer wieder in Frage gestellt und überprüft werden. Wie die Geschichte gezeigt hat, kann man nicht a priori davon ausgehen, die Impfung sei sehr wirkungsvoll und ungefährlich und sie aus praktischen Erwägungen einfach mit der Masern- und Rötelnimpfung “mit laufen” lassen. Die viel höhere Komplikationsrate der Männer im Adoleszenten- und Erwachsenenalter rechtfertigt hingegen die Impfung der seronegativen Knaben vor der Pubertät. Entsprechend der Rötelnimpfung bei den Mädchen. Empfehlung Individuelle Impfung der seronegativen Knaben vor der Pubertät. Bei Unsicherheit ob die Krankheit durchgemacht wurde, sollte zuerst die Immunitätslage serologisch überprüft werden (ELISA, IgG). 26 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Referenzen: 1) Plotkin S., Mortimer E., Vaccines S. 277-301 2) BAG, Infektionskrankheiten 1998 3) Albonico H.U.: Argumente gegen die routinemässige Mumpsimpfung, Sozial und Präventivmedizin. 1995, 40: 116-123 4) Quast U., Thilo W., Fescharek R.: Impfreaktionen: S.87-91 2.8. Röteln Thomas Weber 2.8.1 Situation Das Ziel der Rötelnimpfung ist die Verhinderung der Rötelnembryopathie. In der Schweiz wird dies versucht mit der MMR-Impfung im Kleinkindesalter und der zusätzlichen Impfung der ungenügend geschützten Frauen möglichst vor einer Schwangerschaft. In den letzten Jahren traten nur sehr vereinzelt Röteln-embryopathien auf. So wurden 1995 und 1996 insgesamt zwei sichere und eine wahrscheinliche Rötelnembryopathie registriert. 6 Die Impfrate bei den Kindern beträgt ca. 80%. 2.8.2. Epidemiologie und Krankheit 1 Erreger: Rubellavirus, ein RNS-Virus aus der Gruppe der Togaviren. Übertragungsweg: Tröpfcheninfektion. Inkubationszeit: 2 - 3 Wochen Kontagionsindex: 20 - 75% Immunität: Nach durchgemachter Krankheit wahrscheinlich lebenslänglich. Klinik: Nach kurzem Prodromalstadium mit leichten katarrhalischen Symptomen tritt ein Exanthem mit Schwellung von Lymphknoten vor allem retroauriculär und nuchal auf. Auch asymptomatische Verläufe sind häufig. Komplikationen: Encephalitis (sehr selten), Arthritis und Thrombopenie (häufiger aber mit günstiger Prognose). Rötelnembryopathie: Infolge einer intrauterinen Rötelnvirusinfektion während der ersten 12 SSW (ca 30% der mütterlichen Rötelninfekte), aber auch noch bis zum Ende des 2. Trimenon kann es zu Schädigungen des Föten kommen. Am häufigsten kommt es zu Augenschäden (Retinopathien, Katarakt und Glaukom), Taubheit, Herz Missbildungen, zerebralen Schäden, geistiger Retardierung und Wachstumsstörungen. Diagnose: Röteln-IgM-Ak im Blut oder im Nabelschnur Serum. 2.8.3. Impfung Impfstoff: Attenuierte vermehrungsfähige Viren, RA 27/3, vermehrt auf HDC-Kulturen. In der Schweiz eingesetzt: Ervevax, Meruvax, Rubeaten. Applikation: Subkutan oder intramuskulär. Wirksamkeit: 95-98% zeigen einen genügenden AK-Titer nach einmaliger Impfung. Der AK-Titer sinkt aber mit den Jahren, so dass nach 10-20 Jahren noch ca. 80% der Geimpften einen genügenden Impfschutz besitzen. 3 Impfkomplikationen: 2 - Arthritis im Kindesalter, gelegentlich im Erwachsenenalter: bei 13-15%. Meist vorübergehend, Verläufe über mehrere Jahre sind selten. 27 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 - Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Thrombozytopenie: Deutlich seltener als bei Wildröteln. Spontanremission. Krampfanfälle, Encephalitis und andere, auch längerfristige Komplikationen wie Guillain-BarréSyndrom oder MS werden immer wieder diskutiert, konnten aber in keinem Fall bewiesen werden. Da heute fast immer MMR-Impfungen durchgeführt werden, können die Impfkomplikationen auch nicht mehr nach den einzelnen Komponenten unterschieden werden. Kontraindikation: Schwangerschaft 2.8.4. Offizielle Impfempfehlung Das BAG empfiehlt eine routinemässige Impfung aller Kleinkinder im Alter von 15 Monaten und eine Zweitimpfung mit 5-10 Jahren. Das Ziel ist es, mittels einer lückenlosen Durchimpfung der Kleinkinder die Rötelnvirus Zirkulation zu unterbrechen und so die Krankheit auszurotten. Nur auf diesem Weg können Infektionen von Schwangeren noch weiter vermindert werden. Zur Erreichung des Ziels ist auf unbestimmte Zeit eine Impfbeteiligung von 95% Bedingung. 2.8.5. Kritik Nach Rötelnimpfung im Kindesalter ist bei 95% der Geimpften eine ausreichenden Immunisierung vorhanden. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Konzentration der Antikörper im Laufe der Jahre allmählich abnimmt, so dass bei Frauen im gebärfähigen Alter nur noch 80-90% der ursprünglich geimpften gegen eine Rötelnvirämie und damit auch gegen eine potentielle Rötelnembryopathie geschützt sind. Auch eine Nachimpfung zu einem späteren Zeitpunkt hat nicht immer eine Verbesserung der Immunitätslage zur Folge, da das Impfvirus teils von den noch vorhandenen Antikörpern neutralisiert wird, was eine erneute Reaktion des Immunsystems verhindert (Analog Anti-D Serum zur Rhesus-Prophylaxe). 3,4 Demgegenüber stellt sich die Lage der Ungeimpften folgendermassen dar: Nach durchgemachter WildRöteln sinkt der Antikörpertiter bedeutend langsamer ab als nach einer Impfung, so dass ein genügender Schutz gegen Rötelnvirämie während des gesamten gebärfähigen Alters nahezu sicher gewährleistet ist. 4 Früher betrug die Wild-Immunitätsrate bei Schulaustritt z.T. über 95%. Die Rolle der “Wildboosterung” von Röteln ist noch nicht geklärt. Die Machbarkeit der Elimination von Masern, Mumps und Röteln scheint angesichts der Entwicklung in den letzten Jahren sehr zweifelhaft. Mit der breiten Impfung der Kleinkinder gegen Röteln haben wir eine bis dahin gut funktionierende Impfstrategie (Impfung der Mädchen mit 12 - 15 Jahren) aufgegeben. Bis sich ein neues epidemiologisches Gleichgewicht eingestellt haben wird dauert es Jahrzehnte und wir können nicht wissen, wie es aussehen wird. 2.8.6. Schlussfolgerung Die offizielle Strategie, alle Kinder mit 15 Monaten gegen Röteln zu impfen, bietet in der heutigen Situation gegenüber der individuellen Impfung mit 12-16 Jahren, je nach Immunitätslage keine klaren Vorteile. Empfehlung Keine routinemässige Impfung der Kleinkinder gegen Röteln. Bestimmung der spezifischen Antikörper im Alter von 12 bis 16 Jahren und bei fehlender Immunität und Kinderwunsch wiederholte und gezielte Impfung der Nichtimmunen Mädchen. Referenzen: 1) Stanley A. Plotkin, Vaccines, p. 303-336 2) Quast U., Thilo W., Fescharek R.: Impfreaktionen, S. 112-118 28 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 3) Chu S.Y. et al., Persistenz von Rötelnantikörpern nach der Impfung, JAMA 1988; 259: 3133-3136 4) Albonico H., Klein P., Grob Ch., Pewsner D.: Schweizerische Impfkampagne gegen Masern, Mumps und Röteln - Ärtzliche Bedenken zur Ausrottungsstrategie. Schweiz. Zeitschr. f. Ganzheitsmedizin. 1994; 1, 38-41 und 2, 68-73 5) BAG. MMR-Impfkampagne: Antworten auf verschiedene Argumente gegen die Impfkampagne. Bull BAG 1989; 42 6) Zimmermann HP., Epidémiologie des maladies évitables par la vaccination, Office Fédéral de la Santé Publique 2.9. Hepatitis B Peter Klein 2.9.1. Situation Die Hepatitis-B ist eine potentiell schwere Erkrankung und irgendein gesundheitlicher Nutzen für die Betroffenen ist nicht auszumachen. Dagegen ist ihr Anteil an der allgemeinen Morbidität und Mortalität in der Schweiz äusserst gering. Die Verminderung des Viruspools bzw. der Zahl der chronischen Virusträger ist Ziel jedes PräventionsKonzeptes. Theoretisch wäre das HB-Virus ausrottbar, sofern die gesamte Weltbevölkerung über einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahre konsequent mit einem hoch- und dauerhaft wirksamen Impfstoff durchgeimpft würde. 2.9.2. Erreger DNA-Virus, kommt praktisch nur beim Menschen vor (nebst Primaten). Australia-Ag identifiziert 1968/70, erste fassbare Epidemie 1885. Infektiosität: Blut hochkontagiös, Sperma Vaginalsekret, Speichel weniger. Übertragungsweg: vorallem horizontal durch Sex (häufig wechselnde Partner) und i.v.-Drogenkonsum, vertikal unter der Geburt selten (im Gegensatz zu Ländern der dritten Welt). Ferner enger Körperkontakt (Heime) oder gemeinsame Zahnbürste bzw. Rasierapparat mit Virusträger, Verrichtungen im Medizinalbereich. Verbreitung: Durchseuchung in der Schweiz: unter 5% HBs-AK positiv (BAG 4 - 8%) (Welt 35%) Prävalenz an Virusträgern tief: 2 - 3‰ (Afrika bis 30%, Welt 5%), Bestand in der Schweiz geschätzt auf 15 - 20"000, ca 2/3 davon konzentrieren sich in den Risikogruppen, 1/4 neonatalen Ursprungs, 1/3 Immigranten. Neuerkrankungen: In der Schweiz Gemeldete: 200 -250/Jahr mit abnehmender Tendenz vorallem bei den i.v.-Drogenkonsumenten, vermutete ca 1000/Jahr (BAG 2000 - 3000/Jahr), je 1/3 davon durch Immigranten importiert bzw. bei i.v.-Drogenkonsumenten (BAG 1996) Inkubation: 1 bis 6 Monate. Akut Erkrankung: je ein Drittel subklinisch, uncharakteristisch, Gelbsucht; im Säuglingsalter meist asymptomatisch, bei Erwachsenen bis 50% ikterisch. Diagnose: akut: Blut positiv auf HBe-Ag, HBs-Ag, Anti-HBc-IgM, Anti-HBc (kontagiös) - abgeheilt: positiv auf Anti-HBc und Anti-HBs (nicht kontagiös). - chronisch aktiv: wie akut (hochkontagiös). Wenn HBe-Ag negativ und Anti-HBe positiv, so besteht nur eine geringe Aktivität (wenig kontagiös). Immunität: nach Akut-Erkrankung lebenslang. Komplikationen: akut tödlich mit Leberversagen 1 - 5‰, vor allem bei Säuglingen und bei Personen mit Immundefizit. 29 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Chronisches Virusträgertum: insgesamt 5 - 10%, Erwachsene nur 2 - 4% ( BAG 100 - 300/Jahr); 20 40% davon entwickeln eine chronische Hepatitis; davon wiederum 20 - 30% einen Übergang in Leberzirrhose (BAG 15- 75/Jahr). Hepatozelluläres Karzinom: ein Zusammenhang wird vermutet. Gesamtsterblichkeit unter 1% (BAG 2.5% bzw. 40 - 80 Tote/Jahr). Therapie: - akut: pflegerisch, Diät, vermeiden von Rauchen, Alkohol u.a. - chronisch: Interferon-alfa 4 Monate, führt bei 30-50% zur Serokonversion. Solanum lycopersicum (anthroposophisch) bis 80% Serokonversion. Vorbeugung: gleiche Massnahmen wie AIDS-Prävention. Impfung von Risikogruppen, eingeschlossen nahe Angehörige von Virusträgern Schwangeren Screening (HBs-Ag) und eventuell Neugeborenenimpfung. 2.9.3 Impfung Impfstoff: seit 1981 verfügbar, drei praktisch identische Einzelimpfstoffe sind in der Schweiz zugelassen: HEPRECOMB, GEN-HB-VAX, ENGERIX-B. HBs-Antigen in Hefezellkulturen gentechnisch hergestellt, an Aluminium-Hydroxid adsorbiert und mit dem Konservans Thiomersal versetzt (neuerdings Kombinationsimpfstoff INFANRIX-DTPa-Hep-B mit Phenoxiäthanol konserviert). Applikation: intramuskulär: M. deltoideus bzw. bis 2-jährig lateraler Oberschenkel) 3 Impfungen: 2. nach 1 (bis 2) Monaten, 3. nach 6 (bis 12) Monaten. Wirksamkeit: wird mit 90 bis 95% angegeben, bis 10% Non-Responder (auch nach wiederholter Impfung Anti-HBs unter 10 IE/l, Gründe nicht bekannt). Impfschutzdauer: 5 bis 10 Jahre; bei guter Immunantwort (Anti-HBs über 100 IE/l) wird eine wesentlich längere Schutzwirkung vermutet. Ob nach der Säuglingsimpfung die Immunität nach 20 - 30 Jahren noch genügt, ist völlig ungewiss (Titerabfall nach 5 bis 10 Jahren häufig unter 10 IU/l). HBs-AK-Bestimmung: nur bei Medizinalpersonen regelmässig, vor der Impfung allenfalls bei Hochrisikopersonen bzw. deren Angehörige. Auffrischimpfung: keine routinemässige, nur bei ungenügendem HBs-AK-Titer. Nebenwirkungen: Lokalreaktionen wie Schmerz bis 30%, leichtes Fieber bis 6%. Anaphylaktische Reaktion 1:600"000. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung wurden ferner beschrieben: kindlicher Diabetes mellitus, Guillain-Barré-Syndrom, Optikusneuritis, Fazialisparese, Multiple Sklerose und Thrombozytopenie. Das BAG verneint einen kausalen Zusammenhang. Die offiziell genehmigten Produkteinformationen der drei zugelassenen Impfstoffe sind extrem inhomogen. 2.9.4. Offizielle Impfempfehlung Das BAG empfiehlt die routinemässige Impfung der 11 bis 15-jährigen Schüler (1998). Letztlich sollen auch in der Schweiz die Säuglinge geimpft werden (Einführung wegen Opposition unter Pädiatern aufgeschoben). Die WHO zielt die Ausrottung der HBV an und strebt die konsequente und weltweite Säuglingsimpfung an (ähnlich wie Masern). Begründung: - Wenn die Neuinfektionen in den typischen Risikogruppen weiter abnehmen (vorallem infolge AIDS-Präventionsmassnahmen),dann wird in naher Zukunft der Viruspool in der allgemeinen Bevölkerung die grösste Bedeutung bekommen. Dieser kann nur durch die generelle Impfung reduziert werden. - über 1/4 aller akuten, manifesten Hepatitis-B-Fälle werden hospitalisiert (BAG ca 200/Jahr) und an Komplikationen sterben pro Jahr 40 bis 80 Personen (BAG-Schätzung). Ein grosser Teil dieser Fälle (ca 70%) ist mit der generellen Impfung vermeidbar. - Die Kosten-Nutzen-Analyse ergibt einen Vorteil der generellen Impfung gegenüber der Risikogruppen Strategie um einen Faktor von ca 2,5. 30 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 - Die Schweiz bildet unter den europäischen Ländern bezüglich HBV-Impfempfehlung das unrühmliche Schlusslicht. 2.9.5. Kritik Tiefe Prävalenz der chronischen Virusträger: es gibt keine volksgesundheitliche Notsituation, welche eine generelle Impfung in der Schweiz rechtfertigte. Vermeidbar durch die Impfung sind im wesentlichen nur die Neuinfektionen von Adoleszenten und Erwachsenen (nach BAG ca 1500/Jahr), bei welchen die Chronifizierungsrate aber am geringsten ist: pro Jahr in der Schweiz 30 - 60 chronische Virusträger bzw. 6 - 25 chronische Hepatitiden bzw. 2 - 8 Leberzirrhosen bzw. 7 - 15 Todesfälle (akut und chronisch). Das gezielte Präventionskonzept ist erfolgreich: es sollte ausgeschöpft werden. Zusammen mit der AIDS-Prävention entsteht eine wirksame Synergie, auch für die Hepatitis-C-Prävention. Worst case: das BAG geht bezüglich Inzidenz und Sterblichkeit von HBV-Infektionen von den schlechtest möglichen Schätzungen aus. Schätzt man vorsichtiger und sieht von den importierten (30%) und den durch das Schwangeren Screening vermiedenen chronischen Fällen (25%) ab (sie sind durch das Impfprogramm nicht direkt beeinflussbar), könnten pro Jahr durch die generelle Impfung maximal 25 - 50 Fälle von chronischem Virusträgertum und 5 - 10 Todesfälle vermieden werden. Thiomersal: es ist nicht akzeptabel, dass dieses Konservans nicht längstens durch ein Schwermetallfreies ersetzt worden ist. Nebenwirkungen: es ist nicht vernünftig, die Möglichkeit von schwerwiegenden Impfkomplikationen, bis zum Beweis des Gegenteils, à priori auszuschliessen (best case). Wenn man das Under-reporting von Impfkomplikationen (Faktor 5) einbezieht und aufgrund der verfügbaren Daten vorsichtig schätzt, muss man damit rechnen, dass es mit der generellen HBV-Impfung jährlich zu 5-20 schweren neurologischen Komplikationen und zu 3-10 zusätzlichen Fällen von jugendlichem Diabetes kommt. Impfschutzdauer: besonders bei der Säuglingsimpfung sehr ungewiss. Bisherige Erkenntnisse beruhen vorwiegend auf Erfahrungen mit dem alten Impfstoff (Antigen aus Serum von Virusträgern gewonnen) welche stärker immunogen als die gentechnisch hergestellten waren. Das Problem der Non-Responder ist nicht gelöst. Kosten-Nutzen-Analyse: beruht auf unrealistischen Annahmen: worst case bei der Infektion, best case bei der Impfung (keine Kosten für Impfschäden berücksichtigt, keine Auffrischimpfungen eingerechnet). 2.9.6. Schlussfolgerungen Epidemiologische Situation: die Begründung der Notwendigkeit zur Generalisierung der HBV-Impfung, wegen der Unerreichbarkeit des Virusreservoirs ausserhalb der Risikogruppen mit der gezielten Impfstrategie, ist technisch nachvollziehbar. Ob sie auch volksgesundheitlich, rechtlich und ethisch angemessen ist, ist eine andere Frage. Gemäss einer englischen Studie wäre die konsequente Impfung von Personen mit Geschlechtskrankheiten epidemiologisch wirksam und kosteneffizient. Sicherheit und Verlässlichkeit der HBV-Impfung: entgegen den offiziellen Verlautbarungen gibt es hier noch erhebliche Unklarheiten. - Unserer Meinung nach genügt der Kenntnisstand, um die gezielte Impfprophylaxe bei den Risikogruppen zu begründen. - Für die Generalisierung müsste die Impfung einer rigorosen Kritik standhalten und der Nutzen des Impfkonzeptes einen möglichen Schaden bei der überwältigenden Mehrheit an geimpften Personen, welche letztlich keinen vitalen Nutzen aus der Impfung ziehen (über 99%!) um ein Vielfaches übersteigen. Diese Bedingung ist, nach dem heutigen Kenntnisstand, für epidemiologische 31 Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen PF 3000 Bern 9 Impfen, Routine oder Individualisation - PDF des originalen Werkstattberichtes des hausärztlichen Fortbildungszirkels, Sept. 1999 Verhältnisse, wie sie in der Schweiz herrschen, mit Sicherheit nicht erfüllt. - Da der Infektionsweg für HCV und HIV derselbe ist wie für HBV, besteht die Gefahr, dass sich HBVGeimpfte in falscher Sicherheit wähnen. Empfehlung: weiterhin wie bisher individuelle Beurteilung der Impfindikation nach Risiko und keine routinemässige HBV-Impfung weder von Säuglingen noch von Schulkindern. Referenzen: 1) Müller M.: Die MMR-Impfkampagne des Bundes auf dem juristischen Prüfstand. SAeZ 9.3.1994; 385-390 2) Krugmann S., Stevens C.: Hepatitis B Vaccine, in Plotkin + Mortimer: Vaccines, 2nd edition, Saunders 1994 3) Dienstag J. et al.: Acute viral Hepatitis, in Harrison: Principles of Internal Medicine 14th edition, McGraw-Hill 1998, S. 579 4) Carmann W. et al.: Vaccine induced escape mutantof Hepatitis B virus. The Lancet 1990; 336: 325-329 5) Schweiz. Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme: Zahlen und Fakten, 1993 (6)Shaw F. E. et al.: Postmarketing surveillance for neurologic adverse events reported after Hepatitis B vaccination. Am. J. Epidemiol. 1988; 127/2: 337-352 6) Farrington P. et al.: A new method for active surveillance of adverse effects from DPT- and MMRvaccines. The Lancet 1995; 345: 567-569 7) Classen J.B.: Childhood immunisation and diabetes mellitus. New Zealand Med. J. 24.5.1996: 195196 8) Albonico H.U., Klein P.: Generelle Impfung gegen Hepatitis B im Kindesalter? Schweiz. Zeitschr. Ganzheitsmedizin 2/1997: 68-70 (Referenzliste) 9) Arzneimittel Kompendium der Schweiz, 1998 10) Huber W.: Nebenwirkungen der Impfstoffadditive Aluminium-hydroxid und Thiomersal am Beispiel des Impfstoffes gegen Hepatitis B. Oekoskop 1/1995 11) Bundesamt für Gesundheit, Sektion Impfstoffe. BAG-Bulletin 2.2.1998 12) Bundesamt für Gesundheit: Analyse der Wirtschaftlichkeit alternativer Hepatitis-B-Impfstrategien in der Schweiz. BAG-Bulletin 19.1.1998 32