Projekt 3: Die Universalisierung der modernen Schule (Christel Adick) Vorlesung Prof. Hörner Warum das Thema? • Globalisierung als Alltagserfahrung… • Ein wenig systematisiert… Dimensionen der Globalisierung: die wirtschaftliche Dimension Beispiele für alle Dimensionen der Globalisiserung lassen sich der Tagespresse entnehmen, wobei die wirtschaftliche Dimension zumeist im Vordergrund steht (enorme Zunahme des Handels und der Direktinvestitionen, Globalisierung der Finanzmärkte als Paradebeispiel, transnational integrierte Produktion, transnationale Unternehmen, Standortwettbewerb der Staaten und Regionen, Ende der Nationalökonomien). Hier wird häufig darauf verwiesen, dass diese Prozesse mit dem Etikett „Globalisierung“ fehlbenannt seien, da sie sich im wesentlichen auf Nordamerika, Europa und Südostasien (Japan), also auf die sogenannte Triade beschränken. Die Dimension Umwelt • Globale Probleme wie die Erwärmung der Erdatmosphäre, das Ozonloch oder die Abholzung der tropischen Regenwälder veranschaulichen Globalisierung am eindrücklichsten, da es sich hier unbestritten um globale Probleme handelt, die einer globalen Bearbeitung bedürfen. Trotzdem gibt es natürlich auch im Umweltbereich regionale und lokale Probleme, selbst wenn sie grenzüberschreitenden Charakter aufweisen, wie etwa die Verschmutzung von Flüssen. Weiterhin werden „entgrenzte“ Abhängigkeiten über Raum und Zeit hinweg deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das Überleben ferner kleiner Inselstaaten, die sich zu der Organisation AOSIS zusammengeschlossen haben und durch einen weiteren Anstieg des Meeresspiegels existentiell bedroht sind, vom vergangenen und zukünftigen Verhalten aller, besonders der Menschen in den hochentwickelten Industriestaaten abhängt. Die gesellschaftliche Dimension • Die Welt wird zum „global village“, neuartige Kommunikationsgemeinschaften (Chat, E-Mail) über große Entfernungen hinweg treten zu traditionellen Gemeinschaften wie Familie oder Nachbarschaft hinzu, aber: sie ersetzen diese traditionellen Kommunikationsräume nicht, um ein Beispiel aus der gesellschaftlichen Dimension zu nennen. Die kulturelle Dimension • Hollywood-Produktionen sind weltweit zu sehen, eine „Amerikanisierung“ der Kultur nicht zu leugnen, aber: lokale und regionale Kulturen verschwinden deshalb nicht. Im Gegenteil: Die Besinnung auf solche Kulturen zählt gerade zu den Begleiterscheinungen der Globalisierung, weswegen auch der Begriff „Glokalisierung“ in die Debatte eingebracht wurde Die politische Dimension Die Politik hat mit massiven Problemen zu kämpfen. Globalisierung und Standortwettbewerb schränken den Handlungsspielraum für nationale Politik ein, viele Probleme können nur noch angemessen international bzw. global bearbeitet werden. Neue Politikformen und -arenen müssen gefunden werden. So wird etwa die europäische Integration als erfolgversprechende Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung bezeichnet. Die nach wie vor wesentlich territorial und im nationalstaatlichen Rahmen organisierte Politik hinkt der zunehmend international bzw. global organisierten, entgrenzten und entstofflichten Wirtschaft hinterher. Die sozialstaatliche „Einbettung“ des Kapitalismus droht an diesem grundlegenden Missverhältnis zu scheitern. Eine Definition von Globalisierung • „Globalisierung, schlagwortartig benutzte Bezeichnung für die weltweite Durchdringung von Märkten, v. a. bewirkt durch die wachsende Bedeutung der internationalen Finanzmärkte, den Welthandel und die intensive internationale Ausrichtung von (multinationalen) Unternehmen (»Global players«) und begünstigt durch neue Telekommunikationstechniken sowie durch Finanzinnovationen. Diskutiert wird u. a., inwieweit die Einflussmöglichkeit einer nationalen (Wirtschafts-) Politik durch die Globalisierung eingeschränkt wird und welche Beschäftigungseffekte daraus erwachsen." (Brockhaus, Leipzig - Mannheim 1997) Globalisierung und Weltsystem • Ist das nur eine chaotische Entwicklung oder steckt dahinter eine theoretische Gesetzmäßigkeit? Eine Antwort versucht die Weltsystem-Theorie… Was ist das Weltsystem? „Statt die Welt anzusehen als eine Summe der Eigenschaften von - und der Beziehungen zwischen - verschiedenen Ländern, hat eine wachsende Zahl von Sozialwissenschaftlern begonnen, die Welt als ein System zu betrachten, [als ein Weltsystem], das eine eigene Entwicklungslogik aufweist, die aus den Elementen nicht ableitbar ist; und dieses System beeinflußt die sozialen Einheiten auf tieferen Ebenen der Analyse: Statusgruppen, Klassen, Unternehmen, Parteien, soziale Institutionen, Staaten...“ Was ist das Weltsystem (II)? „Der Begriff Weltsystem beinhaltet also die Annahme, daß ein soziales System existiert, das umfassender ist als irgendeines der staatlich organisierten Gesellschaften; vielmehr wird deren Verhalten ebenfalls aus dem Blickwinkel des Globalen analysiert. Dabei wird das Weltsystem der Neuzeit als ein dezentrales, aber hierarchisches Ganzes aufgefaßt. Die ungleiche Entwicklung, die diese hierarchische Gliederung hervorbringt, ist ein wesentliches gemeinsames Element bei den verschiedenen Forschern.“ (Bornschier, V. Weltsystem. In: Internationale Beziehungen: Theorien, Organisationen Konflikte. München 1984, S. 536 (Pipers Wörterbuch zur Politik, Bd. 5). Hintergrund der Weltsystemtheorie • • • • • • Die Weltsystemtheorie geht auf Immanuel Wallerstein zurück Annahme der Existenz eines sozialen Systems, das umfassender ist als das einzelner staatlich organisierter Gesellschaften Das Weltsystem der Neuzeit ist ein gedankliches Konstrukt, das als dezentrales, aber hierarchisches Ganzes mit ungleicher Entwicklung gedacht wird. Geographisch gesehen ist das Weltsystem zunächst europäisch (dann amerikanisch) orientiert Es ist eine Folge der Ausbreitung kapitalistischer Wirtschaftsform seit dem Beginn der Neuzeit Ausbreitung erfolgt sowohl als extensive Expansion Ö über die geographischen Grenzen Europas hinaus, wie auch als intensive Expansion Ö Verbreitung in die Gesellschaften hinein Immanuel Wallerstein (geb. 1930, N.Y.) (Soziologe und Historiker in den USA) Das moderne Weltsystem Gesellschaften Minisysteme - autonome Subsistenzökonomien z.B. Jäger- und Sammler Weltsysteme Weltökonomien - ohne gemeinsames politisches System Weltreiche - gemeinsames politisches System modernes Weltsystem internationale Arbeitsteilung -grenzüberschreitender wirtschaftlicher Austausch um Bedürfnisse des eigenen Gebietes zu erfüllen z.B. Arbeitskraft, Kapital, Handel… kapitalistische Produktionsweise extensive Expansion -weltweite Ausdehnung intensive Expansion -Ausbreitung des Kapitalismus in die Gesellschaft hinein Die strukturelle Dreiteilung des Weltsystems (nach Wallerstein) strukturelle Dreiteilung des Weltsystems Zentrum/Kern Semiperipherie ungleiche Potentiale hierarchische Weltökonomie (ungleicher Tausch) Einbindung neuer Zonen 1. 2. 3. Außenarena (Fernhandel mit Luxusgütern) Inkorporation (eigene Produktion wird integraler Bestandteil der Weltökonomie) Integration (meist als Peripherie → Kolonien, selten als Zentrum → Japan) Peripherie Strukturelle Dreiteilung des „Weltsystems“ nach Wallerstein - Zentrum (d.h. Führende Industriestaaten unter Führung der USA "G 7 (8…9…) - Staaten" - Semiperipherie (z.B. Mittelmeer-Anrainer) - Peripherie ("Entwicklungsländer") ----------------------------------------------- Außenarena (noch nicht Teil des Weltsystems!) Weltsystem und Schule • …und was hat das Ganze jetzt mit der Schule zu tun? • Die Schule ist ein wichtiger Teil des globalen „Weltsystems“, denn sie zeigt eine Tendenz sich als Institution zu universalisieren Universalisierung von Schule • • • Vorläufer des Universalisierungsgedankens finden sich schon bei F. Paulsen (1909) im Gedanken der Herausbildung der "modernen Staatsschule": Dies beinhaltete zunächst die Ausweitung der Elementarschulbildung auf möglichst alle, verbunden mit immer längerer Schulverweildauer. In modernen Theorien ist dies ein übernationales Phänomen, das in Zusammenhang steht mit den Globalisierungstendenzen des Weltsystems. Kennzeichen der „modernen Schule“ Sie ist ein: • allgemeines (alle betreffendes) + allgemeinbildendes (nach nicht restriktiven Kriterien der Wissensorganisation in Unterrichtsdisziplinen aufgefächertes ) + öffentliches Pflichtschulsystem (staatliche Trägerschaft bzw. Aufsicht, Bildung als Recht und Pflicht der Bürger, die Schule hat allgemeingesellschaftliche Funktionen), Ö Dieses soll die Erziehung Unmündiger erreichen durch die Vermittlung gesellschaftlichen Wissens in institutionalisierten Lehrund Lernprozessen, organisiert durch eine professionalisierte Lehrerschaft, und mittels Qualifikations-, Selektions- und Legitimationsprozessen "kulturelles Kapital" (schulische Titel, Berechtigungen, Lebenschancen) individuell und ungleich verteilen Universalität von Schule • Die Bildungsexpansion innerhalb einer Gesellschaft und die weltweite Ausbreitung von Schule und Systembildung der modernen Schule sind aufeinander bezogen. • Die Entdeckung der Universalität der modernen Schule geht auf eine Gruppe von Bildungssoziologen von der Universität Stanford/Kalifornien zurück. Nach ihren Analysen erfolgten die Systembildungsprozesse der modernen Schule zunächst im Zusammenhang der Entwicklung moderner Nationalstaaten. Dabei gibt es zwei Grundmuster: • ein ehr gesellschaftsbezogenes (angelsächsisches) Modell, • ein eher staatsbezogenes (kontinentaleuropäisches, vor allem preußisches) Modell. Gegenüberstellung gesellschaftsbezogenes und staatsbezogenes Modell creating members of the nation-state • Sozialisation des loyalen • Sozialisation des Staatsbürgers gesellschaftsfähigen • staatliches Engagement und Subjekts staatliche Schulaufsicht • lokale Schulideen, dominierten und integrierten gemeindenahen lokale und private Schulverwaltungsstrukturen; Schulinitiativen staatliches Engagement und staatliche Schulaufsicht (zunächst) sekundär • Beispiele: Preußen, • Beispiele: England, USA Frankreich creating societal members Weltsystemtheoretiker und Bildung • „Unsere Perspektive beruht auf dem folgenden Fundament. Erziehung/Bildung als soziale Institution ist ein transnationales oder "weltkulturelles" Phänomen in genau demselben Sinne wie Wissenschaft, Technik, politische Theorie, Wirtschaftsentwicklung und viele andere Phänomene transnational in ihrer Natur sind. Wir meinen damit, daß das, was Bildung und Erziehung ist (ihre Ontologie), wie sie organisiert ist (ihre Strukturen) und warum sie wertvoll ist (ihre Legitimation), Züge sind, die primär der Ebene der Weltkultur und dem Weltwirtschaftssystem entwachsen und keineswegs der Ebene der individuellen Nationalstaaten.“ (nach Boli/Ramirez: World Culture and the Institutional Development of Mass Education, 1986) Zusammenfassung moderne Schule I • Die moderne Schule ist nicht nur in Europa anzutreffen, sondern inzwischen weltweit verbreitet. Ein erster Beleg ist also die globale Faktizität von Schule, die Uniformität eines weltweit ziemlich ähnlichen nationalstaatlichen Modells von Schule, das institutionell aus dem Gesamtbereich von Erziehung und Bildung ausgegliedert ist und zum Subsystem sich modernisierender Gesellschaften geworden ist. • Die steigende Bildungsbeteiligung ist ein weltweites Faktum und abgesehen vom jeweils unterschiedlichen Ausgangsniveaus relativ unabhängig von ökonomischen, kulturellen und politischen Besonderheiten der jeweiligen Gebiete (aber: auch steigende Analphabetenrate relativiert/problematisiert die Feststellung!). Zusammenfassung moderne Schule II • Die staatliche Kontrolle der modernen Schule als weltweit vorfindliches Faktum, welches sich z. B. an der Errichtung staatlicher Bildungsbehörden, an der Schaffung öffentlicher Finanzetats für Bildung, an der Reglementierung von Curricula, Lehrerbildung und Schulabschlüssen sowie an der zunehmenden Verankerung des Rechts auf Bildung und der Schulpflicht in nationalen Verfassungen ablesen lässt Zusammenfassung moderne Schule III • Bildung für alle wurde historisch gesehen zunehmend zum autonomen Handlungsbedarf aller modernen Nationalstaaten einschließlich der aus Kolonialstaaten hervorgegangenen Staatswesen. Die politische Inkorporationsfunktion moderner Bildungssysteme ist nicht auf die europäische Schulgeschichte beschränkt; sie ist vielmehr besonders deutlich ablesbar an den Vorstellungen vom (möglichen) Beitrag der Schule zur Nation-Werdung ("nation-building") in den unabhängig gewordenen Ländern. Die staatliche Kontrolle öffentlicher Bildung ist ablesbar an entsprechenden Passagen in den Verfassungen und scheint ziemlich unabhängig von nationalen Besonderheiten wie Urbanisierungsgrad, Nationaleinkommen und Zeitpunkt der Unabhängigkeit zu sein. Zusammenfassung moderne Schule IV • Neben nationalen und historischen Besonderheiten, die die Bildungsentwicklungen eines Landes oder einer Epoche kennzeichnen, gibt es offenbar einen historischen, säkularen Trend zur transnationalen Annäherung nationalstaatlicher Schulentwicklungen. Auch eine Fokussierung auf die im Vergleich zutage tretenden Unterschiede und die Spezifik eines Landes oder einer historischen Situation kommt um die Feststellung nicht herum, dass es transnationale Entwicklungstrends in der Institutionalisierung staatlicher Schulsysteme gegeben hat, und dass diese in der historischen Forschung eben solcher Beachtung wert sind wie die Spezifik einzelner Entwicklungen. Geltungsbereich des universalen Schulmodells • Das universale Schulmodell gilt sowohl für Industrieländer als auch für Entwicklungsländer. • Die politische Inkorporationsfunktion von Schule gilt in besonderem Maße für die neuen postkolonialen Staaten Afrikas mit ihren künstlichen Grenzen, in denen der Prozess der Nation-Werdung (nation-buildung) besonders über die Schule gefördert werden soll. Bourdieus Kapitalienansatz • • • • Warum und wie wird Schule Teil des "Kapitalistischen Weltsystems"? Eine Erklärung bietet die These Pierre Bourdieus von der Bildung als kulturelles Kapital. Bourdieu unterscheidet 3 Arten von Kapital: ökonomisches Kapital (Geld), soziales Kapital (Beziehungen), kulturelles Kapital (Bildung in Form von Abschlüssen, Diplomen usw.) Die drei Arten sind in gewissem Grad ineinander transferierbar. Drei Arten kulturellen Kapitals nach Bourdieu Bourdieus Gedankengang geht weiter. Er unterscheidet innerhalb der Kategorie „kulturelles Kapital“ (capital culturel): • • • inkorporiertes Kulturkapital (Bildung, Habitus, Kompetenz), objektiviertes Kulturkapital (Bücher, Kunstwerke, Maschinen), institutionalisiertes Kulturkapital (Titel, Diplome) Diese sichern den Tauschwert des kulturellen Kapitals. Gesellschaftliche Legitimationsfunktion von Schule • Die Schule als Verteilerin des kulturellen Kapitals (sowohl des inkorporierten als auch des institutionalisierten) dient, vereinfacht gesagt, zur Legitimierung sozialer Unterschiede unter dem Deckmantel neutraler Leistungsanforderungen (die aber in Wirklichkeit sozio-kulturell determiniert sind). Das Bildungssystem und seine relative Autonomie • Bourdieu formuliert: „Die Urteile der Bildungsinstanzen sind deshalb definitiv, weil sie mit der Verurteilung zugleich Vergessen über die sozialen Implikationen des Urteils verhängen. Besser als Heilslehrer, Karma und Jenseitserwartungen vermag es heute das Bildungswesen mit seiner Ideologie der 'natürlichen Begabung' und der 'angeborenen Neigungen', den Kreislauf der Reproduktion der sozialen Hierarchien und der Bildungshierarchien zu legitimieren.“ (Bourdieu/Passeron 1974) Gesellschaftliche Legitimationsfunktion und relative Autonomie Zusammengefasst ergibt sich aus dem Zitat: Bei der Verteilung des kulturellen Kapitals besitzt das Bildungssystem "relative Autonomie", d. h. die Fähigkeit, externe (gesellschaftliche) Forderungen in seine eigenen Normen zu übersetzen. Dadurch kann das Bildungssystem seine übergreifende soziale Funktion - die Reproduktion der sozialen Klassen durch die Legitimierung sozialer Unterschiede (als „begabungsbedingt“) - unter dem Deckmantel der technischen Funktion (Vermittlung von Qualifikationen) verschleiern, um sie mit dem Schein der Neutralität um so besser erfüllen zu können. Das Bildungswesen und die Reproduktion der bestehenden kulturellen Ordnung „Gerade weil das Bildungswesen die besondere Fähigkeit besitzt, sich selbst autonom zu setzen und sich Legitimität zu verschaffen, indem es die Vorstellung von seiner Neutralität verbreitet, ist es in der Lage, den Beitrag zu tarnen, den es zur Reproduktion der bestehenden kulturellen Ordnung leistet. Die Verschleierung dieser Leistung stellt selbst einen nicht geringen Dienst dar, den das Bildungssystem aufgrund seiner relativen Autonomie zur Erhaltung der Sozialordnung leistet.“ (Pierre Bourdieu) Relative Autonomie als universelles Merkmal • Diese relative Autonomie gehört zu den "universellen" Merkmalen der modernen Schule. • Dabei darf man sie aber nicht (wie Bourdieu) nur unter dem Blickwinkel ihrer gesellschaftlichen Funktionalität, sondern muss sie auch unter dem der pädagogischen Funktionalität sehen (mögliche Eigendynamik pädagogischer Entwicklungen). • Erst das erklärt Universalität von Schule (unter dem Gesichtspunkt rein gesellschaftlicher Funktionalität, sonst wäre diese massive Expansion nicht erklärbar). Zur Untersuchung von Christel Adick: • Ihr empirisches Material ist die Sekundäranalyse eines Stücks afrikanischer Schulgeschichte als Beispiel eines eigenständigen (noch vorkolonialen) Modernisierungsversuches von Schule. • Die Fanti, eine Ethnie im heutigen Ghana, versuchten 1871 unter Führung einer europäisch gebildeten Elite eine eigene politische Konföderation zu bilden, die ein modernes Schulwesen für alle implizierte. • In dieser Verfassung waren vorgesehen: Inhalte der Fanti- Verfassung • Bau von Schulhäuser, diese sollten Schulen für die Bildung aller Kinder innerhalb der Föderation sein (Inklusionsprinzip), • Gewinn sachkundiger Lehrer („Professionalisierung“ der Lehrer), • Entstehen von praxisnahe Berufsschulen bei den Schulen (Gründung von Schulzentren), • Schulen für Mädchen sollten mit eigenen Lehrerinnen gegründet werden (Einbeziehung der Mädchenbildung), Fanti Verfassung II • Schulbau sollte von der Föderation bezahlt werden, lokale Herrscher hätten aber dabei ihren Beitrag leisten sollen (kooperativer Föderalismus durch „föderale Finanzierung“), • bestehende methodistischen Schulen sollten in das Schulsystem einbezogen werden und lokalen Führer sollten die Aufgabe bekommen, über den regelmäßigen Schulbesuch zu wachen („staatliche“ Schulaufsicht über „nicht-staatliche“ Schulen). Fanti Verfassung als Beweis für Inkorporation? Die Verfassung hat allerdings den Makel, dass sie Makulatur geblieben ist: sie wurde nie in Kraft gesetzt, da die britische Kolonialmacht inzwischen die Herrschaft direkt übernahm Trotzdem sieht die Autorin in diesem Verfassungsentwurf einen frühen Beweis für die Inkorporation (besser wohl: den Versuch der Inkorporation?) einer afrikanischen Region in das Weltsystem vorwiegend über das Mittel der Entwicklung und Ausbreitung eines modernen Schulsystems. Besonderheit der Universalisierung von Schule außerhalb Europas Es gibt eine reale Zweigleisigkeit der "universellen" Schule in der Dritten Welt: • billige Landschulen für die Mehrheit • ausgebaute Schulen für die städtischen Eliten Dies relativiert die Tragweite der Universalisierung. Ein weiteres Problem: wie passt das reale Wachstum der Analphabetenzahlen in die Theorie von der "Universalisierung der Schule"? Ambivalenzen und Widersprüche der Universalisierung Offene Fragen: Ist Universalisierung der Kultur/der Schule: • • • • Bereicherung oder Verlust, Emanzipation oder Abhängigkeit, Anpassung oder kritische Veränderung, sozialer Aufstieg durch Bildung oder Chancenungleichheit? Widerspruch „Moderner Schulbildung“ Wie alle pädagogischen Bemühungen steht auch die „moderne Schulbildung“ in einem dialektischen Spannungsverhältnis 1. 2. 3. Zwischen (möglichst konfliktfreier) Integration in die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und kritischer Beteiligung an diesen Verhältnissen einschließlich ihrer möglichen Umgestaltung zwischen Aufstiegsstreben durch Bildung und vermittels schulischer Zertifikate und den sozial ungleichen Aufstiegschancen zwischen der Verheißung eines schöneren, repressionsärmeren Leben und tatsächlicher bleibender Abhängigkeit Widerspruch „Moderner Schulbildung“ II 4. 5. 6. zwischen den ökonomischen Interessen an der Verwertbarkeit schulischer Qualifikationen und dem pädagogischen Interesse an Bildung um des Kindes willen zwischen der politischen Funktion der Allgemeinbildung als kritischer Instanz gegenüber der gesellschaftlichen Praxis und ihrem zu einer Leerformel verkommenen, faktisch unpolitischen Charakter zwischen dem Anspruch auf rationale Begründbarkeit und irrationaler Wirklichkeit.„ (K. Mollenhauer, Erziehung und Emanzipation. München 1970, S. 97 ff.) (Bildungs-)Politisches Fazit Auch wenn man Globalisierung, ausgehend vom ökonomischen Bereich, als nicht mehr ignorierbares gesellschaftliches Faktum ansehen muss, liegt in ihrer theoretischen Überhöhung in der neoinstitutionalistischen Weltsystemtheorie der StanfordGruppe die Gefahr, dass die Entwicklungsstufe des Zentrums in evolutionistischer Weise kryptonormativ als Modell des Weltsystems gesetzt wird, dem nachzueifern ist. Diese globalistische Argumentationsfigur gerät aber deshalb unter Ideologieverdacht, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie bestimmte Herrschaftsinteressen deckt.