Die Universalisierung der modernen Schule

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Projekt 3:
Die Universalisierung der
modernen Schule (Christel
Adick)
Vorlesung Prof. Hörner
Warum das Thema?
• Globalisierung als Alltagserfahrung…
• Ein wenig systematisiert…
Dimensionen der Globalisierung: die
wirtschaftliche Dimension
Beispiele für alle Dimensionen der Globalisiserung lassen sich der
Tagespresse entnehmen, wobei die wirtschaftliche Dimension
zumeist im Vordergrund steht (enorme Zunahme des Handels und
der Direktinvestitionen, Globalisierung der Finanzmärkte als
Paradebeispiel, transnational integrierte Produktion, transnationale
Unternehmen, Standortwettbewerb der Staaten und Regionen, Ende
der Nationalökonomien).
Hier wird häufig darauf verwiesen, dass diese Prozesse mit dem
Etikett „Globalisierung“ fehlbenannt seien, da sie sich im
wesentlichen auf Nordamerika, Europa und Südostasien (Japan),
also auf die sogenannte Triade beschränken.
Die Dimension Umwelt
•
Globale Probleme wie die Erwärmung der Erdatmosphäre, das
Ozonloch oder die Abholzung der tropischen Regenwälder
veranschaulichen Globalisierung am eindrücklichsten, da es sich
hier unbestritten um globale Probleme handelt, die einer globalen
Bearbeitung bedürfen. Trotzdem gibt es natürlich auch im
Umweltbereich regionale und lokale Probleme, selbst wenn sie
grenzüberschreitenden Charakter aufweisen, wie etwa die
Verschmutzung von Flüssen.
Weiterhin werden „entgrenzte“ Abhängigkeiten über Raum und Zeit
hinweg deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das
Überleben ferner kleiner Inselstaaten, die sich zu der Organisation
AOSIS zusammengeschlossen haben und durch einen weiteren
Anstieg des Meeresspiegels existentiell bedroht sind, vom
vergangenen und zukünftigen Verhalten aller, besonders der
Menschen in den hochentwickelten Industriestaaten abhängt.
Die gesellschaftliche Dimension
• Die Welt wird zum „global village“, neuartige
Kommunikationsgemeinschaften (Chat, E-Mail)
über große Entfernungen hinweg treten zu
traditionellen Gemeinschaften wie Familie oder
Nachbarschaft hinzu, aber: sie ersetzen diese
traditionellen Kommunikationsräume nicht, um
ein Beispiel aus der gesellschaftlichen
Dimension zu nennen.
Die kulturelle Dimension
• Hollywood-Produktionen sind weltweit zu sehen,
eine „Amerikanisierung“ der Kultur nicht zu
leugnen, aber: lokale und regionale Kulturen
verschwinden deshalb nicht. Im Gegenteil: Die
Besinnung auf solche Kulturen zählt gerade zu
den Begleiterscheinungen der Globalisierung,
weswegen auch der Begriff „Glokalisierung“ in
die Debatte eingebracht wurde
Die politische Dimension
Die Politik hat mit massiven Problemen zu kämpfen.
Globalisierung und Standortwettbewerb schränken den
Handlungsspielraum für nationale Politik ein, viele Probleme
können nur noch angemessen international bzw. global
bearbeitet werden. Neue Politikformen und -arenen müssen
gefunden werden. So wird etwa die europäische Integration
als erfolgversprechende Antwort auf die Herausforderungen
der Globalisierung bezeichnet.
Die nach wie vor wesentlich territorial und im
nationalstaatlichen Rahmen organisierte Politik hinkt der
zunehmend international bzw. global organisierten,
entgrenzten und entstofflichten Wirtschaft hinterher. Die
sozialstaatliche „Einbettung“ des Kapitalismus droht an
diesem grundlegenden Missverhältnis zu scheitern.
Eine Definition von Globalisierung
• „Globalisierung, schlagwortartig benutzte Bezeichnung
für die weltweite Durchdringung von Märkten, v. a.
bewirkt durch die wachsende Bedeutung der
internationalen Finanzmärkte, den Welthandel und die
intensive internationale Ausrichtung von
(multinationalen) Unternehmen (»Global players«) und
begünstigt durch neue Telekommunikationstechniken
sowie durch Finanzinnovationen. Diskutiert wird u. a.,
inwieweit die Einflussmöglichkeit einer nationalen
(Wirtschafts-) Politik durch die Globalisierung
eingeschränkt wird und welche Beschäftigungseffekte
daraus erwachsen."
(Brockhaus, Leipzig - Mannheim 1997)
Globalisierung und Weltsystem
• Ist das nur eine chaotische Entwicklung
oder steckt dahinter eine theoretische
Gesetzmäßigkeit? Eine Antwort versucht
die Weltsystem-Theorie…
Was ist das Weltsystem?
„Statt die Welt anzusehen als eine Summe der
Eigenschaften von - und der Beziehungen
zwischen - verschiedenen Ländern, hat eine
wachsende Zahl von Sozialwissenschaftlern
begonnen, die Welt als ein System zu
betrachten, [als ein Weltsystem], das eine
eigene Entwicklungslogik aufweist, die aus
den Elementen nicht ableitbar ist; und dieses
System beeinflußt die sozialen Einheiten auf
tieferen Ebenen der Analyse: Statusgruppen,
Klassen, Unternehmen, Parteien, soziale
Institutionen, Staaten...“
Was ist das Weltsystem (II)?
„Der Begriff Weltsystem beinhaltet also die Annahme,
daß ein soziales System existiert, das umfassender ist als
irgendeines der staatlich organisierten Gesellschaften;
vielmehr wird deren Verhalten ebenfalls aus dem
Blickwinkel des Globalen analysiert. Dabei wird das
Weltsystem der Neuzeit als ein dezentrales, aber
hierarchisches Ganzes aufgefaßt. Die ungleiche
Entwicklung, die diese hierarchische Gliederung
hervorbringt, ist ein wesentliches gemeinsames Element
bei den verschiedenen Forschern.“ (Bornschier, V. Weltsystem. In:
Internationale Beziehungen: Theorien, Organisationen Konflikte. München 1984, S.
536 (Pipers Wörterbuch zur Politik, Bd. 5).
Hintergrund der Weltsystemtheorie
•
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•
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•
Die Weltsystemtheorie geht auf Immanuel Wallerstein
zurück
Annahme der Existenz eines sozialen Systems, das
umfassender ist als das einzelner staatlich organisierter
Gesellschaften
Das Weltsystem der Neuzeit ist ein gedankliches Konstrukt,
das als dezentrales, aber hierarchisches Ganzes mit
ungleicher Entwicklung gedacht wird.
Geographisch gesehen ist das Weltsystem zunächst
europäisch (dann amerikanisch) orientiert
Es ist eine Folge der Ausbreitung kapitalistischer
Wirtschaftsform seit dem Beginn der Neuzeit
Ausbreitung erfolgt sowohl als extensive Expansion Ö über
die geographischen Grenzen Europas hinaus, wie auch als
intensive Expansion Ö Verbreitung in die Gesellschaften
hinein
Immanuel Wallerstein (geb. 1930, N.Y.)
(Soziologe und Historiker in den USA)
Das moderne Weltsystem
Gesellschaften
Minisysteme
- autonome Subsistenzökonomien
z.B. Jäger- und Sammler
Weltsysteme
Weltökonomien
- ohne gemeinsames
politisches System
Weltreiche
- gemeinsames
politisches System
modernes Weltsystem
internationale Arbeitsteilung
-grenzüberschreitender wirtschaftlicher Austausch um Bedürfnisse des eigenen Gebietes zu
erfüllen
z.B. Arbeitskraft, Kapital, Handel…
kapitalistische Produktionsweise
extensive Expansion
-weltweite Ausdehnung
intensive Expansion
-Ausbreitung des
Kapitalismus in die
Gesellschaft hinein
Die strukturelle Dreiteilung des Weltsystems
(nach Wallerstein)
strukturelle Dreiteilung des Weltsystems
Zentrum/Kern
Semiperipherie
ungleiche Potentiale
hierarchische Weltökonomie
(ungleicher Tausch)
Einbindung neuer Zonen
1.
2.
3.
Außenarena (Fernhandel mit Luxusgütern)
Inkorporation (eigene Produktion wird integraler Bestandteil der Weltökonomie)
Integration (meist als Peripherie → Kolonien, selten als Zentrum → Japan)
Peripherie
Strukturelle Dreiteilung des
„Weltsystems“ nach Wallerstein
- Zentrum (d.h. Führende Industriestaaten unter Führung
der
USA "G 7 (8…9…) - Staaten"
- Semiperipherie (z.B. Mittelmeer-Anrainer)
- Peripherie ("Entwicklungsländer")
----------------------------------------------- Außenarena (noch nicht Teil des Weltsystems!)
Weltsystem und Schule
• …und was hat das Ganze jetzt mit der
Schule zu tun?
• Die Schule ist ein wichtiger Teil des
globalen „Weltsystems“, denn sie zeigt
eine Tendenz sich als Institution zu
universalisieren
Universalisierung von Schule
•
•
•
Vorläufer des Universalisierungsgedankens finden
sich schon bei F. Paulsen (1909) im Gedanken der
Herausbildung der "modernen Staatsschule":
Dies beinhaltete zunächst die Ausweitung der
Elementarschulbildung auf möglichst alle,
verbunden mit immer längerer Schulverweildauer.
In modernen Theorien ist dies ein übernationales
Phänomen, das in Zusammenhang steht mit den
Globalisierungstendenzen des Weltsystems.
Kennzeichen der „modernen Schule“
Sie ist ein:
• allgemeines (alle betreffendes)
+ allgemeinbildendes (nach nicht restriktiven Kriterien der
Wissensorganisation in Unterrichtsdisziplinen aufgefächertes )
+ öffentliches Pflichtschulsystem (staatliche Trägerschaft bzw.
Aufsicht, Bildung als Recht und Pflicht der Bürger, die Schule hat
allgemeingesellschaftliche Funktionen),
Ö Dieses soll die Erziehung Unmündiger erreichen durch die
Vermittlung gesellschaftlichen Wissens in institutionalisierten Lehrund Lernprozessen, organisiert durch eine professionalisierte
Lehrerschaft, und mittels Qualifikations-, Selektions- und
Legitimationsprozessen "kulturelles Kapital" (schulische Titel,
Berechtigungen, Lebenschancen) individuell und ungleich verteilen
Universalität von Schule
• Die Bildungsexpansion innerhalb einer Gesellschaft und die
weltweite Ausbreitung von Schule und Systembildung der
modernen Schule sind aufeinander bezogen.
• Die Entdeckung der Universalität der modernen Schule geht
auf eine Gruppe von Bildungssoziologen von der Universität
Stanford/Kalifornien zurück. Nach ihren Analysen erfolgten
die Systembildungsprozesse der modernen Schule zunächst im
Zusammenhang der Entwicklung moderner Nationalstaaten.
Dabei gibt es zwei Grundmuster:
• ein ehr gesellschaftsbezogenes (angelsächsisches) Modell,
• ein eher staatsbezogenes (kontinentaleuropäisches, vor allem
preußisches) Modell.
Gegenüberstellung
gesellschaftsbezogenes und
staatsbezogenes Modell
creating members of the
nation-state
• Sozialisation des loyalen
• Sozialisation des
Staatsbürgers
gesellschaftsfähigen
• staatliches Engagement und
Subjekts
staatliche Schulaufsicht
• lokale Schulideen,
dominierten und integrierten
gemeindenahen
lokale und private
Schulverwaltungsstrukturen;
Schulinitiativen
staatliches Engagement und
staatliche Schulaufsicht
(zunächst) sekundär
• Beispiele: Preußen,
• Beispiele: England, USA
Frankreich
creating societal members
Weltsystemtheoretiker und Bildung
• „Unsere Perspektive beruht auf dem folgenden Fundament.
Erziehung/Bildung als soziale Institution ist ein transnationales
oder "weltkulturelles" Phänomen in genau demselben Sinne
wie Wissenschaft, Technik, politische Theorie,
Wirtschaftsentwicklung und viele andere Phänomene
transnational in ihrer Natur sind. Wir meinen damit, daß das,
was Bildung und Erziehung ist (ihre Ontologie), wie sie
organisiert ist (ihre Strukturen) und warum sie wertvoll ist
(ihre Legitimation), Züge sind, die primär der Ebene der
Weltkultur und dem Weltwirtschaftssystem entwachsen und
keineswegs der Ebene der individuellen Nationalstaaten.“
(nach Boli/Ramirez: World Culture and the Institutional Development of Mass Education,
1986)
Zusammenfassung moderne Schule I
• Die moderne Schule ist nicht nur in Europa anzutreffen, sondern
inzwischen weltweit verbreitet. Ein erster Beleg ist also die globale
Faktizität von Schule, die Uniformität eines weltweit ziemlich
ähnlichen nationalstaatlichen Modells von Schule, das institutionell
aus dem Gesamtbereich von Erziehung und Bildung ausgegliedert
ist und zum Subsystem sich modernisierender Gesellschaften
geworden ist.
• Die steigende Bildungsbeteiligung ist ein weltweites Faktum und
abgesehen vom jeweils unterschiedlichen Ausgangsniveaus relativ
unabhängig von ökonomischen, kulturellen und politischen
Besonderheiten der jeweiligen Gebiete (aber: auch steigende
Analphabetenrate relativiert/problematisiert die Feststellung!).
Zusammenfassung moderne Schule II
• Die staatliche Kontrolle der modernen Schule als
weltweit vorfindliches Faktum, welches sich z. B. an
der Errichtung staatlicher Bildungsbehörden, an der
Schaffung öffentlicher Finanzetats für Bildung, an
der Reglementierung von Curricula, Lehrerbildung
und Schulabschlüssen sowie an der zunehmenden
Verankerung des Rechts auf Bildung und der
Schulpflicht in nationalen Verfassungen ablesen lässt
Zusammenfassung moderne Schule III
• Bildung für alle wurde historisch gesehen zunehmend zum
autonomen Handlungsbedarf aller modernen Nationalstaaten
einschließlich der aus Kolonialstaaten hervorgegangenen
Staatswesen. Die politische Inkorporationsfunktion moderner
Bildungssysteme ist nicht auf die europäische Schulgeschichte
beschränkt; sie ist vielmehr besonders deutlich ablesbar an den
Vorstellungen vom (möglichen) Beitrag der Schule zur
Nation-Werdung ("nation-building") in den unabhängig
gewordenen Ländern. Die staatliche Kontrolle öffentlicher
Bildung ist ablesbar an entsprechenden Passagen in den
Verfassungen und scheint ziemlich unabhängig von nationalen
Besonderheiten wie Urbanisierungsgrad, Nationaleinkommen
und Zeitpunkt der Unabhängigkeit zu sein.
Zusammenfassung moderne Schule IV
•
Neben nationalen und historischen Besonderheiten, die die
Bildungsentwicklungen eines Landes oder einer Epoche
kennzeichnen, gibt es offenbar einen historischen, säkularen
Trend zur transnationalen Annäherung nationalstaatlicher
Schulentwicklungen. Auch eine Fokussierung auf die im
Vergleich zutage tretenden Unterschiede und die Spezifik
eines Landes oder einer historischen Situation kommt um
die Feststellung nicht herum, dass es transnationale
Entwicklungstrends in der Institutionalisierung staatlicher
Schulsysteme gegeben hat, und dass diese in der
historischen Forschung eben solcher Beachtung wert sind
wie die Spezifik einzelner Entwicklungen.
Geltungsbereich des universalen
Schulmodells
• Das universale Schulmodell gilt sowohl für
Industrieländer als auch für
Entwicklungsländer.
• Die politische Inkorporationsfunktion von
Schule gilt in besonderem Maße für die neuen
postkolonialen Staaten Afrikas mit ihren
künstlichen Grenzen, in denen der Prozess der
Nation-Werdung (nation-buildung) besonders
über die Schule gefördert werden soll.
Bourdieus Kapitalienansatz
•
•
•
•
Warum und wie wird Schule Teil des "Kapitalistischen
Weltsystems"?
Eine Erklärung bietet die These Pierre Bourdieus von der
Bildung als kulturelles Kapital.
Bourdieu unterscheidet 3 Arten von Kapital:
ökonomisches Kapital (Geld),
soziales Kapital (Beziehungen),
kulturelles Kapital (Bildung in Form von Abschlüssen,
Diplomen usw.)
Die drei Arten sind in gewissem Grad ineinander
transferierbar.
Drei Arten kulturellen Kapitals nach
Bourdieu
Bourdieus Gedankengang geht weiter. Er unterscheidet innerhalb
der Kategorie „kulturelles Kapital“ (capital culturel):
•
•
•
inkorporiertes Kulturkapital (Bildung, Habitus,
Kompetenz),
objektiviertes Kulturkapital (Bücher, Kunstwerke,
Maschinen),
institutionalisiertes Kulturkapital (Titel, Diplome) Diese sichern den Tauschwert des kulturellen
Kapitals.
Gesellschaftliche
Legitimationsfunktion von Schule
• Die Schule als Verteilerin des kulturellen
Kapitals (sowohl des inkorporierten als auch
des institutionalisierten) dient, vereinfacht
gesagt, zur Legitimierung sozialer
Unterschiede unter dem Deckmantel neutraler
Leistungsanforderungen (die aber in
Wirklichkeit sozio-kulturell determiniert sind).
Das Bildungssystem und seine relative
Autonomie
• Bourdieu formuliert:
„Die Urteile der Bildungsinstanzen sind deshalb definitiv,
weil sie mit der Verurteilung zugleich Vergessen über die
sozialen Implikationen des Urteils verhängen. Besser als
Heilslehrer, Karma und Jenseitserwartungen vermag es
heute das Bildungswesen mit seiner Ideologie der
'natürlichen Begabung' und der 'angeborenen Neigungen',
den Kreislauf der Reproduktion der sozialen Hierarchien
und der Bildungshierarchien zu legitimieren.“
(Bourdieu/Passeron 1974)
Gesellschaftliche Legitimationsfunktion und
relative Autonomie
Zusammengefasst ergibt sich aus dem Zitat:
Bei der Verteilung des kulturellen Kapitals besitzt das Bildungssystem
"relative Autonomie", d. h. die Fähigkeit, externe (gesellschaftliche)
Forderungen in seine eigenen Normen zu übersetzen.
Dadurch kann das Bildungssystem seine übergreifende soziale
Funktion
- die Reproduktion der sozialen Klassen durch die
Legitimierung sozialer Unterschiede (als
„begabungsbedingt“)
- unter dem Deckmantel der technischen Funktion
(Vermittlung von Qualifikationen)
verschleiern, um sie mit dem Schein der Neutralität um so besser
erfüllen zu können.
Das Bildungswesen und die Reproduktion der
bestehenden kulturellen Ordnung
„Gerade weil das Bildungswesen die besondere Fähigkeit
besitzt, sich selbst autonom zu setzen und sich Legitimität zu
verschaffen, indem es die Vorstellung von seiner Neutralität
verbreitet, ist es in der Lage, den Beitrag zu tarnen, den es zur
Reproduktion der bestehenden kulturellen Ordnung leistet. Die
Verschleierung dieser Leistung stellt selbst einen nicht
geringen Dienst dar, den das Bildungssystem aufgrund seiner
relativen Autonomie zur Erhaltung der Sozialordnung leistet.“
(Pierre Bourdieu)
Relative Autonomie als universelles
Merkmal
• Diese relative Autonomie gehört zu den "universellen"
Merkmalen der modernen Schule.
• Dabei darf man sie aber nicht (wie Bourdieu) nur unter dem
Blickwinkel ihrer gesellschaftlichen Funktionalität, sondern
muss sie auch unter dem der pädagogischen Funktionalität
sehen (mögliche Eigendynamik pädagogischer
Entwicklungen).
• Erst das erklärt Universalität von Schule (unter dem
Gesichtspunkt rein gesellschaftlicher Funktionalität, sonst
wäre diese massive Expansion nicht erklärbar).
Zur Untersuchung von Christel Adick:
• Ihr empirisches Material ist die Sekundäranalyse eines Stücks
afrikanischer Schulgeschichte als Beispiel eines
eigenständigen (noch vorkolonialen)
Modernisierungsversuches von Schule.
• Die Fanti, eine Ethnie im heutigen Ghana, versuchten 1871
unter Führung einer europäisch gebildeten Elite eine eigene
politische Konföderation zu bilden, die ein modernes
Schulwesen für alle implizierte.
• In dieser Verfassung waren vorgesehen:
Inhalte der Fanti- Verfassung
• Bau von Schulhäuser, diese sollten Schulen für die
Bildung aller Kinder innerhalb der Föderation sein
(Inklusionsprinzip),
• Gewinn sachkundiger Lehrer („Professionalisierung“
der Lehrer),
• Entstehen von praxisnahe Berufsschulen bei den
Schulen (Gründung von Schulzentren),
• Schulen für Mädchen sollten mit eigenen Lehrerinnen
gegründet werden (Einbeziehung der
Mädchenbildung),
Fanti Verfassung II
• Schulbau sollte von der Föderation bezahlt werden,
lokale Herrscher hätten aber dabei ihren Beitrag
leisten sollen (kooperativer Föderalismus durch
„föderale Finanzierung“),
• bestehende methodistischen Schulen sollten in das
Schulsystem einbezogen werden und lokalen Führer
sollten die Aufgabe bekommen, über den
regelmäßigen Schulbesuch zu wachen („staatliche“
Schulaufsicht über „nicht-staatliche“ Schulen).
Fanti Verfassung als Beweis für
Inkorporation?
Die Verfassung hat allerdings den Makel, dass sie Makulatur
geblieben ist: sie wurde nie in Kraft gesetzt, da die britische
Kolonialmacht inzwischen die Herrschaft direkt übernahm
Trotzdem sieht die Autorin in diesem Verfassungsentwurf
einen frühen Beweis für die Inkorporation (besser wohl: den
Versuch der Inkorporation?) einer afrikanischen Region in das
Weltsystem vorwiegend über das Mittel der Entwicklung und
Ausbreitung eines modernen Schulsystems.
Besonderheit der Universalisierung von
Schule außerhalb Europas
Es gibt eine reale Zweigleisigkeit der "universellen" Schule in der
Dritten Welt:
• billige Landschulen für die Mehrheit
• ausgebaute Schulen für die städtischen Eliten
Dies relativiert die Tragweite der Universalisierung.
Ein weiteres Problem: wie passt das reale Wachstum der
Analphabetenzahlen in die Theorie von der "Universalisierung
der Schule"?
Ambivalenzen und Widersprüche der
Universalisierung
Offene Fragen:
Ist Universalisierung der Kultur/der Schule:
•
•
•
•
Bereicherung oder Verlust,
Emanzipation oder Abhängigkeit,
Anpassung oder kritische Veränderung,
sozialer Aufstieg durch Bildung oder
Chancenungleichheit?
Widerspruch „Moderner Schulbildung“
Wie alle pädagogischen Bemühungen steht auch die „moderne
Schulbildung“ in einem dialektischen Spannungsverhältnis
1.
2.
3.
Zwischen (möglichst konfliktfreier) Integration in die
bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und kritischer
Beteiligung an diesen Verhältnissen einschließlich ihrer
möglichen Umgestaltung
zwischen Aufstiegsstreben durch Bildung und vermittels
schulischer Zertifikate und den sozial ungleichen
Aufstiegschancen
zwischen der Verheißung eines schöneren,
repressionsärmeren Leben und tatsächlicher bleibender
Abhängigkeit
Widerspruch „Moderner Schulbildung“
II
4.
5.
6.
zwischen den ökonomischen Interessen an der
Verwertbarkeit schulischer Qualifikationen und dem
pädagogischen Interesse an Bildung um des Kindes
willen
zwischen der politischen Funktion der
Allgemeinbildung als kritischer Instanz gegenüber der
gesellschaftlichen Praxis und ihrem zu einer Leerformel
verkommenen, faktisch unpolitischen Charakter
zwischen dem Anspruch auf rationale Begründbarkeit
und irrationaler Wirklichkeit.„
(K. Mollenhauer, Erziehung und Emanzipation. München 1970, S. 97 ff.)
(Bildungs-)Politisches Fazit
Auch wenn man Globalisierung, ausgehend vom
ökonomischen Bereich, als nicht mehr ignorierbares
gesellschaftliches Faktum ansehen muss, liegt in ihrer
theoretischen Überhöhung in der
neoinstitutionalistischen Weltsystemtheorie der StanfordGruppe die Gefahr, dass die Entwicklungsstufe des
Zentrums in evolutionistischer Weise kryptonormativ als
Modell des Weltsystems gesetzt wird, dem nachzueifern
ist. Diese globalistische Argumentationsfigur gerät aber
deshalb unter Ideologieverdacht, weil nicht
ausgeschlossen werden kann, dass sie bestimmte
Herrschaftsinteressen deckt.
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