DIE CHAOS-KöNIGIN: Hillary Clinton und die Außenpolitik der

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DIANA JOHNSTONE
DIE
CHAOS-KÖNIGIN
Hillary Clinton und die Außenpolitik
der selbsternannten Weltmacht
Aus dem Englischen von Michael Schiffmann
eBook Edition
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Die Originalausgabe erschien im November 2015 unter dem Titel »Queen of Chaos.
The Misadventures of Hillary Clinton«, Counterpunch 2015
© 2015 Diana Johnstone
All rights reserved
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Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-86489-636-1
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2016
Umschlagabbildung: Ullstein Bild – Reuters / Brian Snyder
Satz: Publikations Atelier, Dreieich
Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
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Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Einführung
1
Der Ritt auf dem Tiger: Hillary Clinton und der MilitärischIndustrielle Komplex
2
»Multikulturalismus« ä la Hillary: unsere einzigartigen »Werte«
und »Interessen«
3
Die Zähmung durch die Widerspenstigen
4
Der Beginn des clintonschen Kriegszyklus
5
Libyen: Hillarys eigener Krieg
6
Russland verstehen? Nein, danke!
7
Die Kriegspartei
Anmerkungen
Namens- und Ortsregister
5
Mein besonderer Dank gilt Michael Schiffmann, dessen hervorragende
Übersetzung und Hintergrundrecherche dazu beigetragen haben, dass die
vorliegende deutsche Ausgabe dieses Buches besser ist als das englische
Original.
6
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Es gibt ja in Deutschland eine breite Kontroverse zum Thema »Putin
verstehen«, aber so, wie die Dinge derzeit liegen, ist das Thema »Hillary
Clinton verstehen« eigentlich noch wichtiger.
Zum Jahresanfang 2016 ist Hillary Rodham Clinton, trotz wachsender
Opposition von Seiten ihres demokratischen Mitbewerbers Bernie
Sanders und des republikanischen Exzentrikers Donald Trump, die
Kandidatin, die im November 2016 mit größter Wahrscheinlichkeit zur
Präsidentin der Vereinigten Staaten gewählt werden wird. Davon
abgesehen verkörpert sie den Konsens zwischen den Neokonservativen
und den liberalen humanitären Interventionisten, der das außenpolitische
Establishment in Washington dominiert.
Hillary Clinton hat ganz klar die Absicht, die Politik des
»Regimewandels«,
die
sie
als
Außenministerin verfolgte,
weiterzubetreiben. Sie war eine der Haupanstifterinnen des Krieges zum
Sturz von Gaddafi in Libyen und immer eine der entschiedensten
Verfechterinnen des Einsatzes aller notwendigen Mittel, um Baschar alAssad in Syrien zu stürzen. Das entstandene Chaos hat ihren Eifer
keineswegs gemindert.
Hillary Clinton setzte sich auch dann energisch für die »Bewaffnung
der gemäßigten Rebellen« in Syrien ein, wenn Präsident Obama zögerte.
Am 16. September 2015 gab General Lloyd Austin – der Offizier, der mit
dem 500 Millionen Dollar teuren US-Programm zur »Ausbildung und
Ausrüstung« beauftragt war, das der Stärkung »moderater« Anti-AssadRebellen dienen sollte – gegenüber dem Kongress zu, das Programm sei
ein totaler Fehlschlag gewesen. Nur »vier oder fünf« der zum Kampf
gegen Assad »ausgebildeten und ausgerüsteten« Kämpfer waren noch
aktiv verfügbar. Der Rest dieser »guten« Rebellen war entweder
desertiert oder war, samt ihrer US-Waffen, zu den »bösen« Rebellen
übergelaufen.
Dieser Fehlschlag änderte Hillary Clintons Meinung nicht. Ebenso wie
7
andere in Washington verkündet sie auch weiterhin, irgendwo zwischen
dem »Islamischen Staat« und der Republik Syrien kämpften »gemäßigte«
Rebellen gegen beide Seiten und verdienten unsere Unterstützung.
Am 30. September begann Russland auf Einladung der syrischen
Regierung mit der Bombardierung von Zielen der islamistischen
Extremisten in Syrien. Clinton reagierte mit ihrer seit langem erhobenen
Forderung nach einer »Flugverbotszone« in Nordsyrien – die sich indes
logischerweise gegen syrische und russische Flugzeuge richten würde, da
die islamistischen Rebellen über keine Luftwaffe verfügen. Das Weiße
Haus lehnte diese Idee ab, was ein weiteres Mal zeigt, dass Hillary
Clinton den aggressivsten Flügel der Kriegspartei innerhalb des
politischen Establishments der USA repräsentiert.
Typisch für Hillary Clinton ist, dass sie Außenpolitik im Stil einer
persönlichen Vendetta praktiziert. Dabei richtet sich ihr selbstgerechter
Zorn gegen Gaddafi, oder Putin, oder Assad. Von den Kommandohöhen
der US-Macht stigmatisiert sie den »Diktator« und erklärt, er müsse
»gehen«. Kontext und Resultate kümmern sie wenig.
Hillary Clinton ist scharf dafür kritisiert worden, dass sie während
ihrer vier Jahre als US-Außenministerin statt der offiziellen
Kommunikationskanäle einen privaten E-Mail-Server genutzt hat. Dieser
Skandal wurde vom Kongress untersucht, aber die überparteiliche
Unterstützung für die US-Außenpolitik ist so groß, dass selbst ihre
republikanischen Gegner im Kongress sich auf unwesentliche Details
konzentrierten, statt sie für ihre führende Rolle bei der Zerstörung
Libyens als lebensfähiger Staat anzugreifen.1
Diese Politik des chaotischen Regimewandels ist tatsächlich das
Wahrzeichen des außenpolitischen Ansatzes Hillary Clintons – und zwar
sogar so sehr, dass ihre engsten Ratgeber sich bereits darauf freuten, den
US-»Sieg« in Libyen zur Basis einer »Clinton-Doktrin« zu machen, die
dazu beitragen würde, ihr die Präsidentschaft zu sichern. In einer E-Mail
an Hillary Clinton vom 22. August 2011 frohlockte ihr enger Berater
Sidney Blumenthal über die erfolgreiche Bombardierung Libyens.2 »Erst
einmal, Glückwunsch! Das ist ein historischer Augenblick, und man wird
dir das Verdienst zuschreiben, ihn herbeigeführt zu haben«, schrieb er.
»Wenn es am Ende zum Sturz von Gaddafi selbst kommt, solltest du natürlich,
ganz gleich, wo du dich gerade befindest, und wenn es die Auffahrt zu deinem
Ferienhaus ist, vor laufenden Kameras eine öffentliche Erklärung abgeben. […]
Du musst vor die Kameras treten. Du musst dich in diesem Moment in der
Geschichte verewigen. […] Die wichtigste Wendung dabei ist erfolgreiche
8
Strategien<.«3
Clinton leitete die Mail an ihren obersten Mitarbeiter im
Außenministerium, Jake Sullivan, weiter und merkte an, wenn sie mit
ihrer Erklärung bis direkt nach dem Sturz Gaddafis warte, werde dies
»sie noch dramatischer machen«. Sullivan steuerte weitere Ratschläge
bei: »Es könnte sinnvoll sein, dass du einen Gastkommentar schreibst,
der direkt nach seinem Sturz veröffentlicht wird und in dem du diesen
Punkt hervorhebst. […] Du kannst den Kommentar dann bei all deinen
Auftritten nochmals bekräftigen, aber es ist sinnvoll, etwas Definitives
niederzulegen, fast so etwas wie die Clinton-Doktrin.«4
Kurz, Hillary Clintons Berater fassten ins Auge, den gewaltsamen
Sturz der Führer anderer Länder zur grundlegenden außenpolitischen
»Doktrin« ihrer Kandidatin zu erheben. Das Chaos, das später in Libyen
ausbrach, hat die Triumphstimmung etwas gedämpft, aber es hat den von
ihren glühenden Unterstützern geteilten clintonschen Standpunkt, der Sturz
von Diktatoren sei genau das, was man tun müsse, in keiner Weise
geändert. Hillarys Nachfolgerin als Senatorin aus New York, Kirsten
Gillibrand, tat den Hinweis auf »das Durcheinander« in Libyen mit dem
Kommentar ab, Libyen sei »vorher ein Durcheinander« gewesen, »und
jetzt ist es auch ein Durcheinander«. Wozu sich also aufregen?
In ihrer Wahlkampagne setzt Hillary Clinton ihre Vendetta gegen
»Diktatoren« fort. Ungeachtet des Vorrückens und der Gräuel des
»Islamischen Staates« (Daesch), ungeachtet der Flut von Flüchtlingen, die
aus von US-Militärinterventionen verwüsteten Ländern nach Europa
drängen, ungeachtet der terroristischen Angriffe am 13. November 2015
in Paris, die viele Menschen in Frankreich und anderswo zu der Meinung
gebracht haben, es sei wohl doch dringlicher, den Vormarsch des
islamistischen Fundamentalismus zu stoppen als den syrischen
Präsidenten loszuwerden, bleibt Hillary Clinton bei ihrem Mantra: Assad
muss gegen. »Assad hat den letzten Zahlen zufolge an die 250 000 Syrer
getötet«, proklamierte sie in einer Wahlkampfdebatte mit Bernie Sanders
am 12. Dezember 2015. Der hier verwendete rhetorische Kniff
demonstriert die Infantilisierung der politischen Debatte in den
Vereinigten Staaten: Sämtliche Toten in einem fünf Jahre währenden
Bürgerkrieg – einschließlich aller Soldaten der syrischen Armee, aller
von Rebellen getöteten Zivilisten und aller Nicht-Syrer, die sich den
islamistischen Kräften angeschlossen haben – sie alle werden einem
»Diktator« angerechnet, der »sein eigenes Volk tötet«.
9
Gewisse wohlinformierte Beobachter im Westen sehen das etwas
anders. Mitarbeiter der U.S. Defense Intelligence Agency (DIA) haben
versucht, das Weiße Haus zu warnen, der Sturz Assads werde zum Sieg
der islamischen Fanatiker führen – mit katastrophalen Auswirkungen.
Aber, so der ehemalige DIA-Direktor Generalleutnant Michael Flynn:
»Ich hatte das Gefühl, dass sie die Wahrheit nicht hören wollten.«5 Die
politische Führung der USA scheint in einer imaginären Welt zu leben, in
die unwillkommene Fakten nicht eindringen können. Hillary Clinton ist
ein extremes Beispiel für diese Undurchlässigkeit.
Führende Politiker der Vereinigten Staaten proklamieren immer
wieder, wie sehr ihnen die »Werte und Interessen« ihrer Nation am
Herzen liegen. Außerdem erachten sie es als selbstverständlich, dass ihre
europäischen Verbündeten ihrer Führung folgen müssen, um diese »Werte
und Interessen« zu verteidigen. Deren gelegentliches Zögern dabei wird
von Washington als »Mangel an Mut« gebrandmarkt.
Die Werte, um die es dabei angeblich geht, werden selten explizit
genannt, aber man könnte ja davon ausgehen, dass kulturelle
Modernisierung und eine säkulare Gesellschaft dazu gehören. Und doch
haben die USA sich im Nahen Osten durchgängig mit den rückwärtsgerichtetsten sozialen Kräften verbündet, um nach Modernisierung
strebende Staaten zu zerstören. Weit von jeder Dankbarkeit entfernt,
wenden diese inhärent antiwestlichen Kräfte ihre Gewalt dann gegen den
Westen, unter anderem, um als die wahren Befreier der muslimischen
Welt von den »Kreuzfahrern« die Unterstützung der Massen zu gewinnen.
In einigen Teilen der Welt war der Marxismus die Form der
»westlichen Werte«, die die Modernisierung voranbringen konnte. In der
arabischen Welt bedeutete Nationalismus die Bemühung, einen modernen
Staat und eine säkulare Gesellschaft aufzubauen. Die Vereinigten Staaten
haben sich entschieden, diese Experimente als etwas absolut Feindliches
zu betrachten, das vernichtet werden muss. Dabei war und ist der
Vorwand für die Zerstörung nach Modernisierung strebender Regimes
immer wieder, sie würden von »Diktatoren« regiert – ein Wort, das,
zumindest in meiner englischen Muttersprache, seine mythologische
Macht dem Umstand verdankt, dass es als die gängige Bezeichnung für
Adolf Hitler populär wurde.
Die Denkweise Washingtons ist stark von einigen höchst
vereinfachenden Analogien geprägt, die auf die Zeit des Zweiten
Weltkrieges zurückgehen. So ist etwa »München«6 ein Stichwort, das
benutzt wird, um Diplomatie anstelle von Gewalt auszuschließen. Und
die Bundesrepublik Deutschland wird in Washington als bestes Beispiel
10
dafür angeführt, dass eine Besatzung durch die USA die beste Art ist, eine
frühere »Diktatur« zu »demokratisieren« – wobei die Geschichte
Deutschlands vor Hitler einfach ignoriert wird.
Diese ideologische Hegemonie befähigt die USA, ihre Verbündeten in
immer gefährlichere Interventionen hineinzuziehen. Nur die USA – als
einziges Land auf der Welt und in der Weltgeschichte, ein
»Ausnahmeland« eben – würden nie auch nur auf eine Idee wie den
Imperialismus kommen! Umgekehrt läuft dann jedes Land (außer den USA
selbst), das ernsthaft über seine eigenen nationalen Interessen nachdenkt,
Gefahr, als »nationalistisch« und damit auch als aggressiv und feindlich
gegenüber Minderheiten stigmatisiert zu werden. Im Gegensatz dazu gilt
Gefolgschaft gegenüber der US-Führung als Dienst für einen höheren
Zweck.
Wird die deutsche Bevölkerung, deren moralische Kultur nicht auf
zwölf Jahre der Geschichte des 20. Jahrhunderts reduziert werden kann,
es irgendwann wagen, sich vom Gedanken einer ewig währenden
Kollektivschuld zu befreien und ihre eigenen Werte und Interessen zu
definieren, auch wenn sie der Kriegspolitik der USA widersprechen?
Könnte es sein, dass die unbestreitbare Schuld einer vor mehr als einem
Jahrhundert geborenen Generation an Krieg und Völkermord die
Bevölkerung Deutschlands zu einer Komplizenschaft mit einer heutigen
Kriegspolitik verleitet, die von den USA betrieben wird? Alles wird
sinnlos, wenn ein schlechtes Gewissen das Gewissen selbst tötet. Die
heutige Generation der Deutschen trägt an der Vergangenheit keine
Schuld, aber sie hat die Verantwortung für Gegenwart und Zukunft. Es
bleibt zu hoffen, dass diese Verantwortlichkeit sich als Kraft für Frieden
und Vernunft erweist.
Diana Johnstone, Paris, Januar 2016
11
Einführung
Hillary Rodham1 wurde 1947 in die Generation der Baby-Boomer
hineingeboren, ein Jahr, bevor der Politikplaner des USAußenministerium George F. Kennan in einem internen Papier die
berühmt gewordenen Sätze schrieb: »Wir verfügen über 50 Prozent des
Reichtums dieser Welt, unsere Bevölkerung beträgt jedoch lediglich 6,3
Prozent der Weltbevölkerung. […] In so einer Situation müssen uns
andere beneiden und Groll gegen uns verspüren. Unsere wichtigste
Aufgabe in der nächsten Zeit wird sein, ein Muster von Beziehungen
auszudenken, das es uns ermöglichen wird, diese Ungleichheit
aufrechtzuerhalten.«2
Hillary, in ihrer Jugend eine Anhängerin des rechten republikanischen
Senators Barry Goldwater, wuchs mit diesem Selbstverständnis eines
reichen und dominanten Amerika auf, das die Pflicht hatte, seine
Spitzenstellung in einer Welt voller Neid und Missgunst zu verteidigen.
Das war die damalige Standardsicht.
Diese Sichtweise war das Resultat des Zweiten Weltkriegs. Die
Vereinigten Staaten hatten den Krieg im Pazifik gewonnen. In Europa
gebührte der Sieg in überwältigendem Maß der Sowjetunion – eine
Tatsache, die in Hollywoodfilmen und bei den häufigen D-Day-Feiern zur
Landung in der Normandie außer Acht gelassen wird, wobei man
geflissentlich übersieht, dass zu diesem Zeitpunkt die Rote Armee die
Wehrmacht an der Ostfront schon fast besiegt hatte. Wirtschaftlicher
Sieger des Zweiten Weltkriegs waren allerdings ganz klar die USA. In
einer stark zerstörten und hochverschuldeten Nachkriegswelt hatten die
Vereinigten Staaten auf einmal diesen gewaltigen Vorteil, den Kennan
dann hervorhob.
Leider haben die USA seit dieser Zeit kein anderes großes nationales
Ziel entwickelt als das, an der Spitze zu bleiben.
In den letzten Jahren sind die Vereinigten Staaten oft als »Imperium«
bezeichnet worden. Aber sie sind kein Imperium wie jedes andere. Die
12
USA unterhalten Militärstützpunkte auf der ganzen Welt, deren Ziel
jedoch eher die Erhaltung ihres Vorsprungs seit dem Zweiten Weltkrieg
ist als eine Expansion, wie sie für frühere Imperien typisch war. Die
ehemaligen europäischen Imperien übernahmen eine gewisse
Verantwortung für die von ihnen eroberten Länder, um deren Reichtümer
effektiver ausbeuten zu können. Neben der Ausbeutung der örtlichen
Arbeitskräfte und dem Diebstahl von Ressourcen bauten frühere Imperien
auch eine Infrastruktur auf und führten nützliche Neuerungen ein, um das
reibungslose Funktionieren ihrer Kolonien sicherzustellen. Die USA sind
ein verantwortungsloses Im-perium.3 Sie verwüsten Länder und
hinterlassen sie in Trümmern, ohne dass dies durch einen Nutzen
ausgeglichen würde. Ihr Vorgehen wird immer zerstörerischer, weil es
gar nicht um den Aufbau eines Imperiums geht, sondern um die
Ausschaltung tatsächlicher oder potentieller Rivalen, um die im Zweiten
Weltkrieg errungene Vormachtstellung aufrechtzuerhalten.
Die destruktive Natur dieser Kriege zeigt sich auch daran, dass die
USA keinen ihrer jüngeren Kriege wirklich »gewonnen« haben. Flüchtige
Illusionen, man habe »gesiegt«, sind stets mit dem Aufstieg feindseliger
Extremisten zerstoben. Erst kürzlich hat der unerklärte US-Drohnenkrieg
gegen die Islamisten im Jemen einen noch heftigeren revolutionären
Aufstand ausgelöst, bei dem US-Waffen erbeutet wurden und die Vertreter
der USA zur Flucht gezwungen waren.
Trotz der verheerenden Resultate all ihrer Kriege im Nahen Osten
scheint die Kriegspartei in Washington bereit, in der Ukraine einen
weiteren Stellvertreterkrieg zu führen – gegen einen wesentlich
mächtigeren Widersacher als im Nahen Osten. All das sind letztlich
»Spielverderber«-Kriege, die zur Schwächung potentieller Rivalen
geführt werden. Sie schaffen immer größeres Chaos und unversöhnliche
Feinde, ohne dass jemand wirklichen Nutzen von ihnen hat.
Wählt mich, ich bin eine Frau!
Hillary Rodham Clinton hat viele Jahre auf den Versuch verwendet,
Frauen in den USA die Idee zu verkaufen, ihre Träume, nicht die Hillarys,
würden belohnt, wenn sie zur Präsidentin der Vereinigten Staaten gewählt
wird.
Die Idee scheint zu sein, dass, wenn nur Hillary »die gläserne Decke
durchbricht«, andere Frauen nachströmen und die oberen Stockwerke,
13
den Speicher und sogar das Dach besetzen werden.
Aber müssen wir »beweisen«, dass eine Frau Präsidentin sein kann?
Wenn Frauen Ringerinnen sein können, wofür sie von der Natur nicht
sonderlich qualifiziert sind, sollte klar sein, dass eine Frau auch
Präsidentin sein kann. Es gibt nichts an den bedeutenden Anforderungen
dieses Amtes, was Frauen ausschließen würde. Das Entscheidende an
den nächsten Präsidentschaftswahlen ist sicher nicht, diesen trivialen
Punkt zu beweisen. Im Raum steht nämlich auch noch die nicht
unbedeutende Frage, ob die USA in einen Krieg mit einer anderen großen
Atommacht geführt werden sollen. Die Vermeidung des Dritten
Weltkriegs ist ja womöglich noch wichtiger als der »Beweis«, dass auch
eine Frau Präsidentin der Vereinigten Staaten sein kann.
Im Lauf der gesamten Geschichte sind auch Frauen Herrscherinnen
gewesen, aber das hat auf das Alltagsleben von Millionen von Frauen
sehr wenig Einfluss gehabt. Die Frauen an der Spitze waren, wie Hillary
selbst, meist Töchter oder Ehefrauen männlicher Herrscher. Hillarys
Biograf Carl Bernstein paraphrasiert sie während ihrer Südasienreise
1995 mit den Worten: »Pakistan, Indien, Bangladesch und Sri Lanka
hatten bereits alle eine von Frauen geführte Regierung gehabt, doch
gleichzeitig werden Frauen in diesen Kulturen so wenig geachtet, dass
neugeborene Mädchen mitunter getötet oder ausgesetzt werden.«4 Die
gesellschaftliche Situation von Frauen in einer Gesellschaft hängt nicht
davon ab, ob ein Land eine Königin hat oder nicht.
Frauen vollbringen in vielen Bereichen Herausragendes, und diese
Leistungen sind oft wichtiger für die Schaffung inspirierender
Rollenmodelle als die Politik. Ein Beispiel hierfür ist die Iranerin
Maryam Mirzakhani, die im August 2014 als erste Frau mit der FieldsMedaille für exzellente Leistungen in der Mathematik ausgezeichnet
wurde. Das könnte ein positives Zeichen setzen.
Sowohl in der Politik als auch in anderen mit Macht verbundenen
Gebieten lassen häufig die Frauen selbst die »gläserne Decke«
unangetastet und begnügen sich mit einem Platz außerhalb des
Rampenlichts, um anderen zu helfen. Daran ist nichts auszusetzen. Aber
für Frauen, die politisch mächtige andere Frauen als Rollenmodell
brauchen, bietet die Geschichte Cleopatra, Katharina die Große in
Russland, Eleonore von Aquitanien, Königin Elisabeth I. und viele
weitere Beispiele. Zahlreiche gewählte Staatschefs der heutigen Welt,
vor allem in Lateinamerika, sind Frauen. In England regierte Margaret
Thatcher von 1979 bis 1990, und in Deutschland ist Angela Merkel seit
2005 und mittlerweile in der dritten Legislaturperiode Kanzlerin. Die
14
Vereinigten Staaten haben den Zeitpunkt verpasst, als erste in der Welt
eine Frau an die Spitze des Staates zu wählen, aber das ist kein Grund zur
Sorge – irgendwann werden auch sie es schaffen.
Haben die Frauen in den USA so große Defizite, dass sie Hillary
Clinton als Präsidentin brauchen, um sich besser zu fühlen?
Ganz bestimmt nicht. Die Frauen in den USA schaffen sich derzeit
viele neue Wege, ein erfolgreiches, sinnvolles und erfüllendes Leben zu
leben. Und wenn die erste Präsidentin des Landes die ganze Welt ins
Desaster stürzt, wird es danach auch den Frauen in den USA nicht besser,
sondern wesentlich schlechter gehen.
Hoffen wir also, dass die erste Präsidentin dieses Landes eine Person
sein wird, die sich durch ein tiefes Verständnis der Welt und echtes
menschliches Mitgefühl auszeichnet statt durch unermüdlichen
persönlichen Ehrgeiz.
Hillary Clinton in Aktion: Heuchelei in
Honduras
Barack Obama versprach den Wandel.
Dann, nach der Wahl, ernannte er Hillary Rodham Clinton zur
Außenministerin. Das war ein frühes Signal, dass es in der Außenpolitik
keine echte Veränderung geben würde – zumindest keine zum Besseren.
Der erste echte Test für den »Wandel« in der US-Außenpolitik kam
sechs Monate später, als der gewählte Präsident von Honduras, Manuel
Zelaya, am 28. Juni 2009 durch die Streitkräfte seines Landes gestürzt
wurde.
Ein echter Wandel hätte in dieser Situation bedeutet: Die USA hätten
den Putsch scharf verurteilen und die Wiedereinsetzung des legitimen
Präsidenten fordern müssen. Vor dem Hintergrund ihres Einflusses und
ihrer Militärpräsenz in Honduras hätten die USA mit einer
»entschlossenen Haltung« den Protesten gegen den Putsch in Honduras
selbst und in der gesamten Hemisphäre Biss verleihen können.
Es geschah aber etwas ganz anderes.
Man bekam hier einen ersten Vorgeschmack auf den Umgang Hillary
Rodham Clintons mit dem Rest der Welt. Sie nennt das »smart power«.5
Übersetzen lässt sich dieser Begriff als »Heuchelei und Manipulation«.
Anfang Juni 2009 flog Hillary zum Jahrestreffen der Organisation
Amerikanischer Staaten (OAS) in Honduras. Sie hatte ein wichtiges Ziel
15
im Sinn: eine Mehrheit der OAS-Staaten von der Aufhebung des vor 47
Jahren erfolgten Ausschlusses von Kuba abzuhalten. Die allermeisten von
ihnen betrachteten diesen Ausschluss als »ein überholtes Werkzeug des
Kalten Kriegs«.6 Erstaunlich für Hillary gingen Venezuela, Nicaragua,
Bolivien und Ecuador sogar so weit, den Ausschluss als »Beispiel für
die Tyrannei der USA« zu bezeichnen.7
Also lösten Hillary und ihr Stab das Problem, indem sie alten Wein in
neue Schläuche füllten. Kein Kalter Krieg, keine »kommunistische
Gefahr« mehr!
»Nach Präsident Obamas Maßgabe, wir müssten die schalen Debatten
des Kalten Krieges hinter uns lassen«, schrieb Hillary in ihren Memoiren
Entscheidungen, »wäre es scheinheilig von uns gewesen, wenn wir
weiterhin auf die Gründe gepocht hätten, wegen denen Kuba 1962
ursprünglich aus der OAS ausgeschlossen wurde – nämlich seinem
Festhalten am >Marxismus-Leninismus< und seiner Parteinahme >für den
kommunistischen Block<. Glaubwürdiger und zutreffender wäre es, sich
auf Kubas gegenwärtige Menschenrechtsverletzungen zu konzentrieren,
die mit der OAS-Charta unvereinbar waren.«8
Hillary hat eine seltsame Vorstellung von Scheinheiligkeit. Sie sieht
nichts Scheinheiliges an der bloßen Auswechselung des Vorwands für
den Ausschluss Kubas und sie erwähnt nie die historischen Gründe für
die Feindschaft, die da sind: die Enteignung des Eigentums von USFirmen,
um
Ressourcen
für
wirtschaftliche
Entwicklung,
Sozialleistungen, Bildung und eines der besten freien Gesundheitssysteme
der Welt zu gewinnen; und der intensive politische Druck der kubanischen
Diaspora in den USA.
Sie sieht auch nichts Scheinheiliges an der Erfindung eines
fadenscheinigen Tricks, durch den Kuba ausgeschlossen bleibt, während
man vorgibt, es wieder aufzunehmen: »Wie wäre es, wenn wir dem Ende
der Suspendierung zustimmten, aber unter der Bedingung, dass Kuba
seinen Sitz nur dann zurückbekäme, wenn es im Einklang mit der Charta
demokratische Reformen durchführte? Und warum sollten wir, um die
Verachtung der Brüder Castro für die OAS zu entlarven, nicht verlangen,
dass Kuba selbst in aller Form die Wiederaufnahme beantragte?«9
Tatsächlich erwies sich dies als gerade scheinheilig genug, um die
unentschiedenen Staaten, Brasilien und Chile, davon zu überzeugen,
mitzumachen.
So begann Hillary also in Lateinamerika ihre diplomatische Karriere.
Kennzeichen waren erstens die heuchlerische Umbenennung der
16
Feindseligkeit gegenüber jeder unabhängigen sozio-ökonomischen Politik
von »Antikommunismus« in von massivem Druck begleitete
»Verteidigung der Menschenrechte« und zweitens die Durchsetzung der
Monroe-Doktrin10 im Inneren wie in der internationalen Arena.
Während ihres Besuchs in Honduras war Clinton sehr verdrossen über
ihren Gastgeber, Präsident Manuel Zelaya. Ihr missfielen sein weißer
Cowboyhut, sein schwarzer Schnurrbart und am meisten seine Vorliebe
für Hugo Chávez und Fidel Castro. Aber auch hier übte sie sich in
Heuchelei: »Ich nahm Zelaya in einem kleinen Raum beiseite und spielte
seine Rolle und Verantwortlichkeiten als Gastgeber der Konferenz hoch.
Wenn er unseren Kompromiss11 unterstützte, könne er dazu beitragen,
nicht nur diesen Gipfel, sondern die gesamte OAS zu retten. Wenn nicht,
würde er als der Staatschef in die Geschichte eingehen, der beim
Zusammenbruch der Organisation den Vorsitz führte.«12
Hillary verließ Honduras mit einem Gefühl der Zufriedenheit, weil
»wir eine überholte Begründung durch einen modernen Prozess [hatten]
ersetzen können, der das Engagement der OAS für die Demokratie
stärkte«.13
Kurz darauf wurde Präsident Zelaya gestürzt. Der Kontext dieses
Putsches macht klar, wodurch er motiviert war. Manuel Zelaya hatte die
Klasse, aus der er stammte, verraten. Als Grundbesitzer aus einer
reichen, in der Holzindustrie aktiven Familie entwickelte Zelaya
populistische Vorstellungen, sein Land aus seinem überkommenen Status
als typische Bananenrepublik zu befreien. Honduras ist in eine kleine,
eigennützige Klasse von Reichen und eine bettelarme Restbevölkerung
gespalten, deren hauptsächliche Hoffnung auf Einkommen im
Drogenschmuggel besteht. Die scharfe Konkurrenz in diesem Bereich
trägt dazu bei, dass Honduras die höchste Mordrate der Welt hat.14 Der
US-amerikanische Luftwaffenstützpunkt in Soto Cano war das Zentrum,
von dem zwei der grausamsten »Regimewandel«-Operationen der
Geschichte ausgingen: nämlich der Sturz des reformistischen Präsidenten
Jacobo Arbenz im nördlich gelegenen Guatemala 1954 und die illegalen
Sabotageaktionen der sogenannten Contras gegen den südlichen Nachbarn
Nicaragua in den 1980ern. Unterdessen wurden in Honduras die Reichen
immer reicher und die Armen immer ärmer.
Nach seiner Wahl im Jahr 2005 wollte Zelaya es anders machen. Mit
dem damals durch die Region wehenden Wind der Veränderung im
Rücken dekretierte Zelaya trotz des Protestgeheuls der Arbeitgeber eine
sechzigprozentige Anhebung des Mindestlohns. Er kritisierte den US17
gesteuerten »Anti-Drogen-Krieg« als Vorwand für ausländische
Interventionen und schlug einen neuen Ansatz für das Drogenproblem vor,
der sich auf Suchttherapie und Eindämmung der Nachfrage konzentriert.
Zugleich war er der Meinung, Soto Cano solle in einen internationalen
Zivilflughafen umgewandelt werden. 2007 machte Zelaya als erster
honduranischer Präsident seit 1961 Jahren einen Staatsbesuch in Kuba,
wo er mit Raúl Castro über politische Fragen diskutierte. Am
unverzeihlichsten in den Augen der USA war jedoch, dass er der
»Bolivarischen Alternative für die Völker unseres Amerikas« (ALBA)
beitrat, die 2004 von Kuba und Venezuela gegründet wurde und auf eine
Idee von Hugo Chávez zurückgeht.15 Diese Annäherung an Kuba und
Venezuela versprach echte wirtschaftliche Vorteile für Honduras.
2008 schickte Washington Hugo Llorens als Botschafter nach
Tegucigalpa. Dieser war während des von den USA unterstützten,
fehlgeschlagenen Putschversuchs gegen Hugo Chávez 2002 Direktor des
Nationalen Sicherheitsrats für Fragen der Andenstaaten gewesen. Llorens
wurde 1954 in Kuba geboren und war 1961 eines von über 14 000
unbegleiteten Kindern, die im Rahmen der Operation »Peter Pan« von der
revolutionären Insel in die Vereinigten Staaten gebracht wurden, um sie
vor »kommunistischer Indoktrinierung« zu retten.
Im Mai 2009 bildete sich eine »Demokratische Zivilunion von
Honduras«, gegründet von »zivilgesellschaftlichen« Organisationen, von
denen viele von der US-finanzierten Stiftung »National Endowment for
Democracy« (NED) Zuwendungen zur »Förderung der Demokratie«
erhielten, mit dem Ziel, Zelaya loszuwerden. Ihre Kampagne
konzentrierte sich auf den Vorschlag Zelayas, bei den bevorstehenden
Wahlen im November 2009 per Referendum abstimmen zu lassen, ob
2010 eine Versammlung zur Überarbeitung der Verfassung abgehalten
werden sollte oder nicht. Nach den Vorstellungen Zelayas sollte diese
durch ein Verhältniswahlrecht, die Möglichkeit, Abgeordnete abzuberufen
und erweiterte Rechte für ethnische Minderheiten demokratisieren. Die
Verfassung von 1982, die zwölfte des Landes in seiner 144-jährigen
Geschichte, enthielt unter anderem das Verbot, mehrmals für das
Präsidentenamt zu kandidieren. Obwohl sie seit 1982 schon über
zwanzigmal vom Kongress geändert worden war, stellte die reaktionäre
Oligarchie des Landes Zelayas Vorschlag als kriminellen Versuch zur
Änderung von »in Stein gemeißelten Artikeln« hin, nur um den Weg für
die eigene Wiederwahl freizumachen.
Kurz: Der Vorschlag wurde als Mittel dargestellt, dass es Zelaya
ermöglichen sollte, sich genau wie der gewählte »Diktator« Venezuelas
18
Hugo Chävez durch Wahlen zum »Diktator« aufzuschwingen. Am 23. Juni
veröffentlichte die Zivilunion eine Erklärung, in der es hieß, man vertraue
darauf, dass »die Streitkräfte Verfassung, Recht, Frieden und Demokratie
verteidigen werden«. US-Botschafter Llorens fügte der Kampagne das
Gewicht der offiziellen Unterstützung seines Landes hinzu, indem er
erklärte, es sei unzulässig, »einfach die Verfassung zu verletzen, um eine
andere an ihre Stelle zu setzen. Denn wenn wir die Verfassung nicht
achten, leben wir alle unter dem Gesetz des Dschungels.«16
Das honduranische Militär verstand dies nur zu gut als grünes Licht
dafür, die Verfassung zu verletzen, um sie zu retten. Am frühen Morgen
des 28. Juni fiel eine Hundertschaft Soldaten in Zelayas Schlafzimmer ein
und verschleppte ihn nach Costa Rica, ohne ihm auch nur zu erlauben,
sich anzuziehen. Den Präsidenten im Schlafanzug aus dem Amt zu
schleifen, war als besonderes Zeichen der Missachtung gemeint.
Der Anführer des Militärputsches, General Romeo Väsquez Veläsquez, war Absolvent der berüchtigten School of the Americas in Fort
Benning, Georgia, an der eine lange Liste weiterer Putschisten und
Folterer Lateinamerikas ausgebildet wurde. Das honduranische Militär
erklärte, es sei »verpflichtet« gewesen, Präsident Zelaya von der Macht
zu entfernen, da er aufgrund seiner linken Ideologie und seines
Bündnisses mit Venezuela und Kuba eine »Gefahr« darstelle.
Hillary zufolge trafen sie die Ereignisse unvorbereitet und sie wusste
von nichts, als ihr Abteilungsleiter für Angelegenheiten der westlichen
Hemisphäre, Tom Shannon, ihr von der Krise berichtete. »Er schilderte
mir, was bislang bekannt war (nicht viel).«17 Das war eigenartig, da, wie
sich später herausstellte, Shannon und der Staatssekretär im
Außenministerium Craig Kelley eine Woche zuvor in Honduras gewesen
waren und sich mit genau denjenigen Zivilisten und Militärs getroffen
hatten, die den Putsch ausführten. Sie behaupteten später, sie seien dort
gewesen, um »davon abzuraten«. Daneben konnte Hillary auf die
Expertise von John Negroponte zählen, dem berüchtigten Ex-Botschafter
der USA in Honduras während der Contra-Zeiten, den sie Berichten
zufolge als Sonderberater angeheuert hatte. Negroponte war erst kurz
zuvor in Tegucigalpa gewesen, um Zelaya zu drängen, den Status des
wichtigen US-Luftwaffenstützpunktes unverändert zu lassen.
Nun war es an Clinton, »smart power« einzusetzen – sie bezeichnete
den Staatsstreich einfach nie als solchen. Stattdessen handelte es sich bei
den Ereignissen um eine »Krise« oder das »erzwungene Exil« des
Präsidenten, was die USA dazu veranlasste, »alle Parteien« zur Lösung
ihrer Differenzen »friedlich und durch Dialog« aufzufordern.18
19
Während Zelaya seine Wiedereinsetzung forderte, betrieb Hillary eine
Vermittlung zwischen den »beiden Seiten«, dem ins Exil in Costa Rica
verschleppten, gewählten Präsidenten und dem »zeitweiligen
Interimspräsidenten« Roberto Micheletti, der durch den Putsch ins Amt
gelangt war. Es war letztlich ein Streit zwischen Kräften, die die
Verfassung verletzt hatten, und dem Mann, den sie beschuldigten, er habe
dies tun wollen. Am Ende behielten unbewiesene Beschuldigungen
hinsichtlich böser Absichten gegenüber bekannten Tatsachen die
Oberhand – ein Muster, das sich in Hillarys Karriere wiederholen sollte,
besonders im Fall Libyens.
In Entscheidungen stellt sich Hillary implizit hinter den Vorwand der
Putschisten, wenn sie schreibt:
»Ein weiterer Diktator wäre der Region sicher nicht dienlich gewesen – und viele
kannten Zelaya gut genug, um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu glauben.
Aber er war der vom honduranischen Volk gewählte Präsident. […] Ich sah
keine andere Wahl, als die Absetzung Zelayas zu verurteilen.
In einer öffentlichen Stellungnahme rief ich alle Parteien in Honduras auf, sie
sollten die verfassungsmäßige Ordnung und die Gesetze respektieren und sich
verpflichten, politische Streitigkeiten friedlich und durch Dialog beizulegen.«19
Später lobte das Außenministerium das honduranische Militär dafür, dass
es »während dieses Prozesses als Garant der öffentlichen Ord-nung«20
aufgetreten sei – wenn auch, nebenbei bemerkt, weder »friedlich« noch
»durch Dialog«.
Unterdessen pilgerten Vertreter der neuen Micheletti-Regierung nach
Washington, um einem höchst empfänglichen Kongress und der USPolitikerkaste ihre Gründe für die »Rettung der Demokratie vor einem
neuen Chávez« darzulegen. Kundige Unterstützung hatten die Verteidiger
des Putsches dabei von dem Top-Lobbyisten und Anwalt Lanny Davis,
einem Mitglied des inneren Kreises der Clintons, zu dessen langjährigen
Klienten der honduranische Landesverband des »Business Council of
Latin America« und Bill Clinton selbst gehören, für den er bei dem im
Zuge des Monica-Lewinsky-Skandals gegen den Präsidenten eingeleiteten
Amtsenthebungsverfahren als Sonderberater tätig gewesen war.21
Im Versuch, Zeit zu gewinnen, entwarf Hillary »eine Strategie, wie die
Ordnung in Honduras wiederhergestellt und freie und faire Wahlen rasch
und rechtmäßig abgehalten werden konnten, so dass der Konflikt um
Zelaya irrelevant würde und das honduranische Volk eine Chance hätte,
über die eigene Zukunft zu entscheiden«.22
20
Zelaya kam nie wieder ins Amt. Die Honduraner hatten nun die
Chance, ihre Zukunft zu wählen – so lange diese in etwa genauso wie ihre
Vergangenheit aussieht. »Honduras« ist das spanische Wort für »Tiefen«,
und in politischer Hinsicht verdient dieses verarmte Land seinen Namen
auch heute noch.
Als Zelaya erst einmal weg war, zog sich Honduras rasch aus der
ALBA zurück.
Unsere »Mindestforderung«, so Hillary gegenüber dem costaricanischen Präsidenten Arias, »sind freie, faire demokratische Wahlen
mit einer friedlichen Machtübergabe«.23 Und am 29. November 2009 gab
es dann auch einen Wahlgang, um »den Konflikt um Zelaya irrelevant zu
machen«. Ein Großteil des Wahlkampfes zu diesen »freien, fairen«
Wahlen wurde durch ein befristetes Dekret Michelettis scharf beschränkt,
mit dem er fünf Rechte genau der Verfassung außer Kraft setzte, die die
Putschisten so begierig verteidigt hatten: nämlich die Rechte auf
persönliche Freiheit, freie Meinungsäußerung, Bewegungsfreiheit, ein
faires Gerichtsverfahren und Vereinigungsfreiheit. Zur »Neutralisierung«
der neugebildeten »Nationalen Widerstandsfront«, die zum Wahlboykott
aufrief, um gegen den Putsch vom 28. Juni zu protestieren, wurden über
dreitausend Soldaten und Polizisten aufgeboten. Der Wahlkampf war
durch Einschüchterung, Straßengewalt, mindestens einen Todesfall und
das Verschwindenlassen politischer Gegner gekennzeichnet. Angestellte
wurden vor die Alternative gestellt, zur Wahl zu gehen oder ihre Arbeit
zu verlieren. Trotz all diesen Drucks ging mit 49 Prozent nur knapp die
Hälfte der Honduraner zur Wahl.
Aber »Ende gut, alles gut«: Der Gewinner war Porfirio »Pepe« Lobo
Sosa, der Kandidat der National-Partei, der in der vorigen Wahl von
Zelaya geschlagen worden war. Die Regierungen Argentiniens,
Boliviens, Brasiliens, Chiles, Ecuadors, Guatemalas, Kubas, Nicaraguas,
Paraguays, Spaniens, Uruguays und Venezuelas lehnten es ab, das
Ergebnis anzuerkennen, aber Washington hatte nichts einzuwenden.
Hillary Clinton pries Lobos Wahl als »Wiederaufnahme einer
demokratischen und verfassungsmäßigen Regierungsform«.24
»Seit Porfirio >Pepe< Lobo im Januar nach einer Wahlfarce, aus der
sich die Oppositionskandidaten zurückzogen, Präsident von Honduras
wurde, hat er ausprobiert, wie weit er und die Eliten des Landes gehen
können, und allmählich immer mehr Gewalt gegen die Opposition
ausgeübt«, schrieb die Historikerin Dana Frank neun Monate später.
»Paramilitärische
Meuchelmorde
und
Todesdrohungen gegen
oppositionelle Gewerkschafter, politisch aktive Landarbeiter und
21
Feministinnen sind weiter an der Tagesordnung und bleiben komplett
straflos.«25
Bei den folgenden Wahlen im November 2013 hatten die Honduraner
ein weiteres Mal die Freiheit, ihre triste Vergangenheit als ihre triste
Zukunft zu bestätigen. Laut der Menschenrechtsgruppe Rights Action26
waren tatsächliche oder mögliche Kandidaten und ihre Familien oder
Unterstützer in der Zeitspanne zwischen Mai 2012 und Oktober 2013
Opfer von 36 Morden und 24 bewaffneten Überfällen. 59 Prozent der
befragten Honduraner gingen davon aus, dass das Wahlergebnis gefälscht
würde. Inmitten von Vorwürfen über Fälschungen und Einschüchterungen
gewann Juan Orlando Hernández mit 37 Prozent der Stimmen. Xiomara
Castro, die Frau des abgesetzten Präsidenten Zelaya, wurde mit etwa 29
Prozent Zweite. Hier verpasste die große Feministin Hillary Rodham
Clinton die Chance, auch in Honduras einen Beitrag zum »Durchbrechen
der gläsernen Decke« zu leisten, indem sie für die Wahl einer
charismatischen Frau warb. Juan Orlando Hernández dagegen, ein reicher
Kaffeeplantagenbesitzer und Medienmogul, hatte nicht nur den Putsch
gegen Castros Gatten enthusiastisch unterstützt, sondern außerdem auch
die richtigen Freunde in Washington.
Nachdem sie sich die Kontrolle über das Präsidentenamt wieder
gesichert hatte, vollzog die herrschende National-Partei übrigens einen
Sinneswandel im Hinblick auf die als Vorwand für den Sturz Ze-layas
benutzten »in Stein gemeißelten« Verfassungsartikel. Auf Verlangen der
Partei verletzte nun der Oberste Gerichtshof von Honduras selbst die
Verfassung,
indem
er
die
Artikel,
die
eine
zweite
Präsidentschaftskandidatur untersagten, einfach strich. Bei einem Treffen
mit Geschäftsleuten in Miami wischte Präsident Juan Orlando Hernández
Einwände mit dem Kommentar beiseite, Wiederwahlen seien doch »in
vielen Ländern der Welt längst die Regel«.27
Laut Dana Frank sind »Gangs in Honduras allgegenwärtig. Aber die
allergefährlichste Gang ist die honduranische Regierung.« Seit dem Sturz
Zelayas, so Frank, habe »eine Reihe korrupter Administrationen eine
offen kriminelle Kontrolle über Honduras installiert, die den Staat von
oben bis unten durchzieht.« Auch die Gerichte und Staatsanwälte sind oft
korrupt: »Mörder und andere Gewaltverbrecher werden selten vor
Gericht gestellt«, berichtet Human Rights Watch. »Im Resultat hat
Honduras seit dem Putsch laut Zahlen der Vereinten Nationen die höchste
Mordrate der Welt.«28 Viele der Opfer sind Kinder.
In den beiden Jahren nach dem Coup sanken die Ausgaben für
22
öffentlichen Wohnungsbau, Gesundheit und Bildung, während extreme
Armut um 26,3 Prozent zunahm. Im Mai 2014 wurde etwa die gesamte
staatliche Einrichtung für Kinderinteressen geschlossen und ihr gesamtes
Vermögen liquidiert. In der Huffington Post vom 7. September 2014
schreibt Frank dazu:
»Vor dem Hintergrund der Arbeitslosigkeit und des Fehlens einer
funktionierenden Strafjustiz haben sich wahrhaft furchterregende Gangs
ausgebreitet und der Drogenhandel führt zu spektakulärer Gewalt, darunter
immer mehr Massaker an Kindern. […] Laut Casa Alianza, der führenden
unabhängigen Organisation für den Schutz obdachloser Kinder, wurden allein im
Mai 2014 104 Kinder getötet; zwischen 2010 und 2013 wurden 458 Kinder unter
fünfzehn Jahre ermordet.
Am 6. Mai erhob Jose Guadelupe Ruelas, der Direktor von Casa Alianza, die
Beschuldigung,
die
Polizei
betreibe
zur
>sozialen
Säuberung<
29
Todesschwadronen, die Kinder töten.«
Die Lage für Kinder und Jugendliche ist so schlimm, dass der Zustrom
unbegleiteter Jugendlicher aus Honduras für die USA zu einem
zusätzlichen Einwanderungsproblem geworden ist. Im Sommer 2014
stellten Kinder aus Honduras das größte Kontingent der etwa 47 000
unbegleiteten Minderjährigen, die beim Versuch, in die Vereinigten
Staaten zu kommen, festgenommen wurden.30
Als sie am 17. Juni 2014 bei einem von CNN übertragenen TownHall-Meeting gefragt wurde, was man mit den Tausenden von
Minderjährigen aus Honduras und seinen Nachbarländern tun solle, die
um Asyl in den USA ersuchten, räumte Hillary zwar ein, die Kinder seien
auf der Flucht vor »exponentiell wachsender Gewalt«. Dennoch »sollten
sie zurückgeschickt werden, sobald bestimmt werden kann, wer die
sorgeberechtigten Erwachsenen in ihren Familien sind«, so Clinton. »Wo
immer möglich, sollten sie wieder mit ihrer Familie zusammengeführt
werden.«31 Und weiter sagte sie: »Wir müssen eine klare Botschaft
senden: Nur weil dein Kind es über die Grenze geschafft hat, heißt das
nicht, dass es bleiben kann.«
Müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass Hillary ihre Karriere als
Anwältin für »Kinderrechte« begann?
Es ist interessant, den Feuereifer der USA in den 1960ern, Tausende
von unbegleiteten Kindern zur Rettung vor »kommunistischer
Propaganda« aufzunehmen, mit ihrem heutigen Unwillen zu vergleichen,
Kinder ins Land zu lassen, die um ihr Leben fliehen.
23
Seit der unerfahrene Populist Manuel Zelaya, der den Versuch wagte,
das Los seines Volkes zu verbessern, im Schlafanzug aus dem Amt gekarrt
wurde, hat sich die Lage in Honduras beständig verschlimmert. Größere
Armut, höhere Kriminalität, immer mehr Morde – so viele Morde und so
wenige Festnahmen und Anklagen, dass es unmöglich ist, die
Drogenmorde von den politisch motivierten Morden durch Polizei und
Militär zu unterscheiden.
Wenn an einem elenden Ort wie Honduras einmal ein »weißer Ritter«
am Horizont auftaucht und seine Absicht verkündet, die Lage verbessern
zu wollen – könnten da die reichen und mächtigen USA nicht vielleicht
einmal anders reagieren als mit der Stigmatisierung des Anwärters als
potentiellem »Diktator«? Statt einem Verfechter von Veränderungen
wenigstens die Chance zu geben, es zu versuchen, trug Hillarys
Außenministerium vielmehr aktiv dazu bei, ihn rasch aus dem Amt zu
befördern. Der Normalzustand ist wiederhergestellt – allerdings auf
einem Niveau noch unterhalb der vorherigen Zustände.
Oberflächlich betrachtet handelt es sich beim Sturz Manuel Zelayas –
verglichen mit anderen US-Operationen – um einen relativ milden
»Regimewandel«. Dessen wahre Gewalt kam erst später, mit den
ungesühnten Morden an Oppositionellen und Kindern, zum Vorschein.
Aber wie im Fall anderer US-unterstützter Interventionen in das
politische Leben schwächerer Länder war das Ergebnis Chaos, das
Chaos von Armut, Kriminalität und Hoffnungslosigkeit. Unter dem
Vorwand, den gewählten Präsidenten daran zu hindern, ein »Diktator« zu
werden, leisteten Hillary und ihre Kollegen ihren Beitrag zur Festigung
der langjährigen Diktatur der USA über die südliche Hemisphäre. Die
Monroe-Doktrin, einst proklamiert zum Schutz des amerikanischen
Kontinents vor äußeren Mächten, ist in der Praxis längst eine Lizenz für
die Vereinigten Staaten, die Bewohner der Hemisphäre vor sich selbst
und ihren »Irrtümern« zu schützen.
Wie wir im Lauf dieses Buches immer wieder sehen werden, läuft die
Außenpolitik Hillary Clintons auf die Anwendung einer erweiterten
Version der Monroe-Doktrin auf die ganze Welt hinaus.
24
1 Der Ritt auf dem Tiger: Hillary
Clinton und der MilitärischIndustrielle Komplex
Im April 2014 kam eine für die Universitäten Princeton und Northwestern
durchgeführte, wissenschaftlich geprüfte Studie zu dem Schluss, die USA
seien keine Demokratie, sondern eine von »Wirtschaftseliten« geführte
»Oligarchie«. Das ist für jeden, der solchen Themen Aufmerksamkeit
schenkt, seit geraumer Zeit klar gewesen, aber eine akademische Studie
kann dennoch zur endgültigen Klärung beitragen. Der Bericht trug den
Titel »Theorien zur amerikanischen Politik auf dem Prüfstand: Eliten,
Interessengruppen und Durchschnittsbürger«1 und verglich knapp 1 800
wichtige politische Entscheidungen zwischen 1981 und 2002. Er kam zu
dem Ergebnis, dass dabei die Wünsche der Reichen und Mächtigen so gut
wie immer erfüllt wurden. Konkret heißt das, dass die politischen
Vorlieben der 10 Prozent der Bürger mit den höchsten Einkommen in die
Tat
umgesetzt
wurden,
während
die
Wünsche
der
Durchschnittsamerikaner, deren Einkommen im mittleren Bereich, liegt
weitgehend ignoriert wurden. Die Wissenschaftler schrieben:
»Unser zentrales Forschungsresultat besagt, dass ökonomische Eliten und
organisierte Gruppen, die dieselben Interessen vertreten, erheblichen
unabhängigen Einfluss auf die Politik der US-Regierung haben, während
Interessengruppen der Bevölkerung und Durchschnittsbürger wenig oder keinen
unabhängigen Einfluss haben.
Wenn eine Mehrheit der Bürger etwas anderes will als die wirtschaftlichen
Eliten und/oder organisierte Interessen, kann sie sich meist nicht durchsetzen.
Außerdem sorgt die starke Fixierung des politischen Systems der USA auf den
Status Quo dafür, dass selbst große Mehrheiten, sobald sie für Veränderungen
eintreten, diese kaum je einmal bekom-men.«2
25
Nur wenn die weniger wohlhabende Mehrheit zufällig dasselbe will wie
das oberste Zehntel, hat sie eine echte Chance, es auch zu bekommen, so
die Studie.
Diese Kluft ist nicht neu, da die Reichen schon immer durch
persönlichen Kontakt und Einfluss auf die Politiker einwirken konnten,
die die Gesetze beschließen und den Staat führen. Durch einige der
jüngsten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes der USA, die das
Limit für Wahlkampfspenden erhöhen, sowie durch die Verlängerung der
Vorwahlen zum Präsidentschaftswahlkampf, die die Auswahl der
Kandidaten angeblich »demokratischer« machen soll, ist diese Kluft wohl
noch größer geworden. Tatsächlich bieten die verlängerten Vorwahlen
jetzt noch mehr Möglichkeiten zur Beeinflussung der Kandidatenwahl
durch Geld, während gleichzeitig der Einfluss der Parteimitglieder darauf
und auf die Festlegung des politischen Programms weiter reduziert wird.
Das Zweiparteiensystem der USA bietet den Wählern alle vier Jahre
lediglich die Wahl zwischen zwei Kandidaten, die sorgfältig von
Milliardären und Lobbyisten der Großkonzerne und Finanzinteressen
geprüft wurden. Dabei gibt es einen »bösen Cop«, die Republikanische
Partei, und einen »guten Cop«, nämlich die Demokraten. Alle spielen ihre
Rollen. Aber ganz unabhängig davon, wie sie bei den Wählern
ankommen, besteht die wichtigste Aufgabe aller Politiker, die sich für
einen der beiden exklusiven Kandidatenposten bewerben, darin, sich als
die beste Anlagemöglichkeit für Spender zu präsentieren. Diese
wiederum erwarten für ihr Geld, dass sie das bekommen, was sie wollen.
So ist im Inneren des Landes keine wirklich progressive oder egalitäre
Politik möglich. So viel sie auch streiten mögen, beide Parteien haben
akzeptiert, dass die Innenpolitik den Interessen des Finanzkapitals (»der
Märkte«) entsprechen muss. Ein perfektes Beispiel dafür ist die
Gesundheitsreform: In den USA wurde die einheitliche staatliche
Krankenversicherung, die in etlichen anderen Ländern gut funktioniert, nie
ernsthaft in Erwägung gezogen, sondern automatisch als »sozialistisch«
verdammt. Stattdessen gab man einem komplizierten und extrem teuren
System den Vorzug, von dem hauptsächlich die privaten
Versicherungsgesellschaften profitieren.
Kurz, die innenpolitische Macht des Präsidenten ist heute sehr
begrenzt. Die internationale Bühne hingegen bietet ihm die Gelegenheit,
große Macht auszuüben – oder zumindest diesen Anschein zu erwecken.
Dieser Kontrast ist an Hillary Rodham Clintons erster Zeit im Weißen
Haus als Ehefrau und »Co-Präsidentin« Bill Clintons gut zu sehen. Ihr mit
großem Pomp angekündigter Plan zur Reform des Gesundheitssystems
26
erwies sich am Ende als Fiasko. Abgesehen von ihren eigenen Fehlern
war dieses Scheitern letztlich das zwangsläufige Ergebnis des Versuchs,
ein staatliches Gesundheitssystem zu schaffen, das zugleich den
Anteilseignern privater Versicherungsgesellschaften große Profite bringen
sollte. Obama-Care leidet unter genau demselben Widerspruch.
Angesichts der gegenwärtigen finanziellen und ideologischen
Kräfteverhältnisse bleiben progressive Reformen im Inneren meist
ohnmächtige Versuche. Aber in der Außenpolitik verfügt der Präsident
der USA über enorme Macht. Auch und vor allem über die Macht zur
Zerstörung. Dennoch macht sie erheblichen Eindruck, besonders auf
amerikanische Wähler. Wenn man sich der Präsidentschaft Bill Clintons
nicht ausschließlich wegen Monika Lewinsky erinnert, dann vor allem
wegen der destruktiven Gewalt, mit der Clinton den Irak, den Sudan und
den Balkan überzog. Die Sanktionen und Bombenangriffe gegen diese
Länder mussten nur noch mediengerecht als »Verteidigung der
Menschenrechte« oder »Widerstand gegen Diktatoren« verpackt werden,
und schon verschwanden die innenpolitischen Pleiten hinter der Grandeur
des Kampfes gegen das Böse in der restlichen Welt.
Wie es dazu kam
Um das Jahr 1950 herum haben die USA sich selbst eine ökonomische
Falle gebaut, aus der ein Entkommen mittlerweile kaum noch möglich
scheint. In seiner Abschiedsrede als Präsident am 17. Januar 1961 gab
Dwight D. Eisenhower dieser Falle einen Namen: Er sprach vom
»Militärisch-Industriellen Komplex« (MIK).3
Die Geburt dieses Monstrums kann auf die Resolution des Nationalen
Sicherheitsrats S. 68 (NSC-68) zurückgeführt werden, die Präsident
Harry S. Truman am 14. April 1950 vorgelegt wurde. Das Dokument war
hochgeheim und wurde erst 1975 freigegeben. Hauptautor war der in der
Öffentlichkeit
unbekannte,
wohlhabende
und
hochgebildete
Investmentbanker Paul Nitze. Er fasste darin einen Konsens der USamerikanischen herrschenden Elite zusammen, der eine einschneidende
Abwendung von den Sozialprogrammen des New Deal zugunsten einer
Politik endloser Aufrüstung bedeutete. Nach Ende des Zweiten
Weltkriegs standen die USA vor allem wegen der kriegsbedingten
Verarmung ihrer Handelspartner in Übersee vor der Gefahr, wieder
zurück in die Depression zu rutschen. Also war ein keynesianischer
27
Stimulus nötig, aber die Elite lehnte eine Rückkehr zu zivilen öffentlichen
Ausgaben ohne weitere Diskussion ab und zog stattdessen
Militärausgaben vor. Um den Kongress und die Bevölkerung hierfür zu
gewinnen, musste man die »sowjetische Bedrohung« übertreiben. In
Wirklichkeit war der Kommunismus in Westeuropa, also westlich der
sowjetisch besetzten Pufferzone, nicht einmal politisch eine ernsthafte
Gefahr. Und auch militärisch war das nicht der Fall, da die Sowjetunion
unter Stalin (unter Ignorierung der Proteste Trotzkis aus dem Exil) die
Doktrin der »permanenten Revolution« längst aufgegeben hatte und sich
nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs auf den Wiederaufbau und
die Schaffung von Verteidigungskapazitäten gegen eine befürchtete
Aggression des kapitalistischen Westens konzentrierte. NSC-68 aber
behauptete, die UdSSR sei immer noch »von dem fanatischen Willen
geleitet, […] der übrigen Welt ihre absolute Macht aufzuzwingen«.4
Danach wurden Verträge mit dem Pentagon zum Lebenselixier der USWirtschaft, was Auswirkungen auf alle Wahlbezirke und praktisch
sämtliche Lebensbereiche hatte, besonders auch auf die Universitäten, die
den Zustrom von Drittmitteln begrüßten, ohne sich um die weitreichenden
Auswirkungen zu kümmern.
So legte NSC-68 ohne jede öffentliche Diskussion auf Generationen
den politischen Kurs der USA fest. Der »Kalte Krieg« war schon 1947
von dem US-Börsenbroker Bernard Baruch verkündet worden, der in
einer Rede vor dem Kongress South Carolinas die angebliche
kommunistische Gefahr als Argument gegen die Forderungen der
Arbeiterbewegung in der Nachkriegszeit einsetzte: Baruch verlangte die
»Einheit« von Arbeitern und Unternehmern, längere Arbeitszeiten und
Anti-Streik-Versprechen der Gewerkschaften, da »wir heute inmitten
eines Kalten Krieges sind«.5
Die weitgehend erfundene und sicherlich übertriebene »sowjetische
Gefahr« wurde dann sowohl zur Überredung des Kongresses, Mittel für
das Pentagon zu bewilligen als auch zur Zähmung der Arbeiterbewegung
benutzt. Dieser lastete man ihre Verbindungen zur Kommunistischen
Partei der USA an, die in Wirklichkeit aber nie für etwas anderes eine
Gefahr war als für die Rassentrennung im Süden – die sie auch weiterhin,
oft unter anderem Namen, beharrlich bekämpfte.
Wir sollten nicht vergessen, dass dieser historische Wendepunkt im
Verborgenen von einer Elite bewerkstelligt wurde, die düstere
Warnungen vor »Gefahren« einsetzte, um jede demokratische Debatte
über den künftigen Kurs des Landes von vornherein abzuwürgen. Mit an
Bord waren die Medien, deren Auslandsberichte die Welt als nicht enden
28
wollenden Wettstreit zwischen Freiheit und Kommunismus darstellten.
Der in NSC-68 fixierte Kalte Krieg war die praktisch unhinterfragte
Leitlinie der US-Außenpolitik, bis Michail Gorbatschow den
entscheidenden Schritt zu seiner Beendigung tat. Die »sowjetische
Gefahr« war allerdings so wichtig für die US-Politik geworden, dass ein
Großteil des herrschenden Establishments darauf mit Skepsis, Argwohn
oder sogar Feindseligkeit reagierte. Was sollen wir ohne sie bloß
machen?
Der Anstoß für den Frieden kam aus Moskau. Die sowjetische Elite
war ganz offensichtlich zu dem Schluss gekommen, es sei besser für sie,
ihr Machtsystem zu lockern und ihre Pufferzone in Osteuropa aufzugeben,
um so eine friedliche Partnerschaft mit dem Westen zu erreichen. Zu
diesem Glauben veranlasst hatte sie vor allem die deutsche
Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre, die den Eindruck erweckte,
die Nachkriegsgenerationen des Landes hätten sich von aggressiven
deutschen Absichten gen Osten verabschiedet.
Die westlichen Medien haben diesen bedeutenden russischen
Friedensschritt praktisch aus der Geschichte radiert, indem sie das Ende
des Kalten Krieges auf ein einziges Symbol reduzierten: den »Fall der
Berliner Mauer«. Dabei war er mehr ein Bühnenstück als ein historisches
Ereignis. Das entscheidende Ereignis fand weit früher statt: Es war
Gorbatschows Besuch in der westdeutschen Hauptstadt Bonn im Juni
1989, bei dem Moskau die Deutsche Demokratische Republik fallenließ.
Die Schnüffelei der Stasi gegen viele Ostdeutsche, vor allem
Intellektuelle, einmal beiseite genommen, war die DDR zweifellos das
authentisch sozialistischste und wirtschaftlich erfolgreichste aller
Mitglieder des Warschauer Pakts gewesen.6 Nach Moskaus Beschluss zur
Zulassung einer Wiedervereinigung Deutschlands war die Berliner Mauer
überholt und ihr »Fall« im November war nur das unvermeidliche
Resultat. Die Fixierung auf »den Fall der Berliner Mauer« erweckt den
Eindruck, die Veränderungen in Osteuropa gingen vor allem oder sogar
ausschließlich auf die Volksbewegungen gegen den Kommunismus zurück.
Diese Interpretation unterschlägt die historische Bedeutung der
Entscheidung der sowjetischen Führer.
Vom Kalten Krieg zur globalen Führung
Der von innen herbeigeführte Kollaps der Sowjetunion öffnete die
29
Aussicht auf eine neue Ära der internationalen Zusammenarbeit, der
Abrüstung und des Friedens. Gerade Moskau forderte Washington
dringlich auf, einer gegenseitigen nuklearen Abrüstung zuzustimmen. Aber
der MIK hatte inzwischen längst nicht nur das ganze Land, sondern auch
dessen Mentalität in einem eisernen Griff. Es hätte ungewöhnlicher
Ereignisse – oder ungewöhnlicher Führer -bedurft, um die Wirtschaft der
USA vom MIK zu befreien und ökonomische Mittel in konstruktive zivile
Aktivitäten im Innern des Landes umzuleiten.
Das wäre am leichtesten während der Präsidentschaft Bill Clintons
möglich gewesen. Aber statt auf eine Politik des Friedens
umzuschwenken, begann die Clinton-Administration eine neue Periode
des endlosen Krieges.
Das geschah vermutlich nicht mit Absicht oder auch nur bewusst. Ein
Präsident ohne klare außenpolitische Vorstellungen wird, wenn er auf
unerwartete Ereignisse an unbekannten Orten reagieren muss,
unvermeidlich von Beratern manipuliert, die sehr wohl eine Agenda
haben. In der US-Oligarchie ist der Präsident der zeitweise
Vorstandsvorsitzende, der die öffentliche Verantwortung für gemeinsame
Entscheidungen übernimmt. Seine Funktion ist eher, Entscheidungen zu
verkaufen, als sie zu treffen.
Große Machtkonzentrationen wie der MIK benötigen eine gewisse
Kontinuität. Der MIK kann sich nicht alle vier Jahre zum Spielball
opponierender Kräfte machen. Eine Verringerung der Militärausgaben
würde die Frage aufwerfen, welche profitablen Alternativen es zu den
MIK-Verträgen mit ihren enormen staatlich garantierten Gewinnen gibt.
Aber der MIK braucht nicht nur Profite. Zu seiner weiteren
Vorherrschaft bedarf er ständiger ideologischer Rechtfertigungen, und sei
es nur, um seine Hauptakteure – besonders im Militär, wo der Glaube an
eine Mission eine vitale Notwendigkeit ist – zufriedenzustellen.
Kongressabgeordnete und Wirtschaftsmagnaten mögen mit Stimmen
beziehungsweise Profiten zufrieden sein, aber von Offizieren und
Soldaten erwartet man die Bereitschaft, für die Sache zu sterben. Sie und
ihre Familien brauchen also eine Inspiration. Die bloße Existenz der
enormen militärischen Macht des Pentagon hat eine ganze Gemeinde von
»Verteidigungsexperten« hervorgebracht, die sich mit genau dieser
Aufgabe beschäftigen. Diese »organischen Intellektuellen« des MIK sind
immer auf der Ausschau nach »Gefahren« und »Missionen«, um die
Existenz dieses aufgeblähten Destruktionspotentials rechtfertigen zu
können.
Nach dem Verschwinden der »kommunistischen Gefahr« fiel diese
30
Aufgabe vor allem den Washingtoner Denkfabriken zu, privat finanzierten
Politikinstituten, die seit den 1970er Jahren immer zahlreicher wurden. In
der Ära nach Gorbatschow wurden sie kreativer und gewannen an
Einfluss. K Street und Dupont Circle heißen die Zentren, wo
außenpolitische Ideen erarbeitet werden, und sie sind eng mit den
Meinungsseiten der großen Zeitungen verbunden. Diese Privatisierung
der Formulierung von Politik war eine gute Gelegenheit für reiche
Spender, Einfluss zu gewinnen. Die Herkunft der Spenden sorgt
wiederum für einen starken Rechtsdrall der führenden Denkfabriken.
Letztere stehen mittlerweile in gewaltigem Maß unter dem Einfluss
großzügiger pro-israelischen Spender und aktiv pro-israelischer
Intellektueller.
Die berüchtigtsten Vertreter der aktiv pro-israelischen Kräfte sind die
»Neokonservativen« oder »Neocons«, die zur Hauptkraft bei der
Definition der US-Außenpolitik geworden sind. Der Begriff »Neocon«
selbst kann getrost als Euphemismus betrachtet werden, da dieses
engmaschige Netz von Aktivisten in Wirklichkeit alles andere als
»konservativ« ist. Im Gegenteil, das Ziel dieser Leute besteht darin, die
Militärmacht der USA zu nutzen, um einschneidende Veränderungen in der
Welt herbeizuführen. Sie agieren parteiübergreifend und finden sich
immer dort, wo die Macht ist. In den 1970ern hatten sie sich im Büro des
demokratischen Senators des Staates Washington, Henry »Scoop«
Jackson, eingenistet, der den Spitznamen »Senator Boeing« trug, weil er
dem großen Vertragspartner des Pentagon in seinem Heimatstaat so
ergeben war. Die weitaus wichtigste von den frühen Neocons erreichte
Gesetzesmaßnahme war der von Jackson im Senat und von Charles Vanik
im Repräsentantenhaus eingebrachte »Jackson-Vanik-Zusatz« von 1974.
Dieser verweigerte Ländern des Sowjetblocks, in denen es aus Angst vor
»Braindrain« auch für Juden geltende Ausreisebeschränkungen gab,
normale Handels-beziehungen.7 Der Jackson-Vanik-Zusatz führte
wichtige neokonservative Themen zusammen, die bis heute relevant sind:
den Einsatz der Macht der USA, um anderen Ländern ihre Innenpolitik zu
diktieren, die Feindseligkeit gegenüber Russland, die Ergebenheit
gegenüber Israel und die Nutzung von »Menschenrechts«-Forderungen als
Grund für Sanktionen oder andere Formen der Intervention.
Während der Präsidentschaft George W. Bushs wurden die Neocons
als Architekten der verheerenden Invasion des Irak berüchtigt.
Wichtigster Kopf hinter diesem Krieg war Bushs Staatssekretär für
Verteidigungspolitik Paul Wolfowitz, dessen Doktrin sich auf einige
simple Annahmen reduzieren lässt. Ihr Kernpunkt ist wohl die irrige
31
Auffassung, Demokratien »führ[t]en keinen Krieg gegeneinander«8 -eine
Meinung, die ihre Plausibilität nur dadurch behält, dass wir unsere
Widersacher automatisch als »Diktaturen« bezeichnen. Das wiederum
führt zu dem trügerischen Schluss, Kriege gegen Diktatoren seien der Weg
zur Sicherung des Friedens. Ob es einem gefällt oder nicht, Serbien war
1999 mindestens ebenso »demokratisch« wie jedes andere Land in der
Region und Slobodan Milošević war mehrere Male in völlig
»demokratischen« Wahlen gewählt worden.9 Dennoch war er ein
»Diktator«, weil die USA und die NATO sein Land bombardierten.
Jedenfalls konnte Wolfowitz mittels dieses Zirkelschlusses, der
mittlerweile Teil der Demokratiedoktrin der US-Außenpolitik ist, George
W. Bush überzeugen, dass auch in der Palästinenserfrage der einzige Weg
zur Lösung der festgefahrenen Situation die Beseitigung der »Diktatoren«
in den Nachbarländern Israels sei. Damit würden diese zu
»Demokratien« werden und als solche natürlich Frieden mit dem
»demokratischen Israel« schließen.
Soweit zum Nahen Osten. Das andere Hauptthema der Neocons ist
Russland. Hier fordert die Doktrin, die USA müssten den Aufstieg einer
großen rivalisierenden Macht in Eurasien verhindern, oder mit anderen
Worten: Russland niederhalten. Versteckt in dem gesamten Ansatz ist eine
Rechtfertigung »präventiver« Kriege, das heißt unprovozierter
Aggressionskriege – ganz gleich ob es darum geht, den Aufstieg eines
Rivalen zu verhindern, einen Diktator loszuwerden oder eine angebliche
Gefahr wie (nichtexistente) Massenvernichtungswaffen abzuwehren.
In der Bush-II-Ära beherrschten die Neocons das einflussreiche
American Enterprise Institute und agierten außerdem noch über ihre
eigenen Denkfabriken, vor allem über das »Project for a New American
Century«10 (PNAC). Das PNAC löste sich zwar 2006 auf, nachdem sich
sein größer politischer Triumph, die Invasion des Irak 2003, letztlich als
Blamage herausgestellt hatte. Aber der Einfluss der Neocons begann vor
der Amtszeit George W. Bushs und wirkte über sie hinaus.
Tatsächlich wurde das PNAC zu Beginn der zweiten Amtszeit Clintons
gegründet. In seiner »Prinzipienerklärung« von Juni 1997 wird die Frage
gestellt, ob die Vereinigten Staaten »die Entschlossenheit besitzen, ein
neues Jahrhundert zu gestalten, das den amerikanischen Prinzipien und
Interessen entgegenkommt«. Hier wird einfach vorausgesetzt, die USA
hätten die Fähigkeit, »das Jahrhundert zu gestalten«, und daher könne es
hierzu ausschließlich an »Entschlossenheit« fehlen. Das PNAC forderte
eine Außenpolitik, »die dort kühn und zielgerichtet amerikanische
Prinzipien fördert«, und fügte hinzu, es sei »wichtig, Umstände zu
32
gestalten, bevor es zu Krisen kommt, und Gefahren zu begegnen, bevor
sie fatal werden«. Die Kriege gegen Serbien, den Irak und Libyen
illustrieren diesen Grundsatz, wurden doch alle drei Kriege zur Abwehr
künftiger Bedrohungen begonnen, die in Wirklichkeit imaginär waren.
Das ist der unverfrorenste Trick der Doktrin vom »Präventivkrieg«: Wir
können einen Krieg anzetteln, um etwas zu verhindern, das sowieso nie
passiert wäre – aber da es dann nicht passiert, können wir es uns als
Verdienst anrechnen, es verhindert zu haben.
Kurz: Das PNAC forderte eine Doktrin des Präventivkriegs, die dann
auch übernommen und angewendet wurde – mit dem einzigen
vorweisbaren Resultat, dass bestehende Regimes und weitgehend auch
die von ihnen regierten Länder zerstört wurden. Die PNACPrinzipienerklärung endete mit vier Forderungen:
signifikante Anhebung der Verteidigungsausgaben;
Festigung der Bindungen an demokratische Verbündete (besonders
Israel) und »Konfrontationskurs gegenüber Regimes, die unseren
Interessen und Werten feindlich gegenüberstehen« (gemeint sind
Regimewandel, angeblich zur Gestaltung einer »demokratischen«
Welt);
Förderung der politischen und wirtschaftlichen Freiheit im Ausland
(Öffnung von Märkten und Intervention in die inneren Angelegenheiten
der betroffenen Länder);
Akzeptanz der Verantwortung für Amerikas einzigartige Rolle bei
gleichzeitiger Erhaltung und Erweiterung einer internationalen
Ordnung, die unsere Sicherheit, unseren Wohlstand und unsere
Prinzipien begünstigt.11
Der letzte Punkt weist schon auf die heutigen Bemühungen hin, eine
»Gemeinschaft der Demokratien« zu schaffen, die sich im Wesentlichen
aus der englischsprachigen Welt und Westeuropa sowie Israel
zusammensetzt und die mit den Vereinten Nationen rivalisieren und sie
letztlich dominieren soll. Sie wird als legitimere Weltautorität als die UN
angesehen, da sie »demokratisch« ist, und soll die NATO als globale
Polizeimacht einsetzen.
Im Februar 1998 schickte ein Ableger des PNAC namens »Commit-tee
for Peace and Security in the Gulf«12 einen »Offenen Brief« an Präsident
Clinton, in dem er aufgefordert wurde, »freundlich gesinnten« irakischen
Oppositionsgruppen beim Sturz Saddam Husseins zu hel-fen.13 Bill
33
Clinton war damals bekanntlich mit anderen Dingen beschäftigt, aber sein
Nachfolger sollte genau dieser Politik folgen und hierfür den 11.
September 2001 als Vorwand nutzen. Zu den Unterzeichnern des Briefs
gehörte ein repräsentatives Spektrum prominenter Neocons wie Elliott
Abrams, Robert Kagan, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz.14
Diese »neokonservative« Linie (die man, als Rückfall in die radikale
Anwendung des uralten Gesetzes »Macht ist Recht«, vielleicht besser als
»archäo-radikal« bezeichnen sollte) hat mittlerweile die überwältigende
Zustimmung der politischen Klasse der USA gewonnen, weil sie ein
Vakuum füllt: das Vakuum eines Zwecks für den Militärisch-Industriellen
Komplex. Für die Vereinigten Staaten von Amerika, die letztlich eine
riesige Insel ohne reale oder auch nur potentielle Feinde sind, besteht
keinerlei Notwendigkeit, bis an die Zähne bewaffnet und allzeit bereit zu
sein, in Selbst-»Verteidigung« den ganzen Planeten auszulöschen.
Besonders seit der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts
hatten die USA jede Möglichkeit, die Führung einer Bewegung für die
weltweite Abrüstung vor allem von Kernwaffen zu übernehmen; eine
Bewegung, der sich die zweite große Nuklearmacht Russland nur zu
gerne angeschlossen hätte. Durch die Umlenkung von Ressourcen von
destruktiven zu konstruktiven Zwecken hätten die USA zur treibenden
Kraft einer Bewegung zum Kampf gegen Analphabetismus und Krankheit
sowie zur Schaffung einer verbesserten Infrastruktur etwa mittels neuer
Bewässerungskonzepte werden können. Die USA hätten so zur Lösung
lokaler Konflikte und zum Näherrücken einer friedlichen Welt beitragen
können. Doch die Voraussetzung hierfür wäre eine radikale
Umstrukturierung der derzeitigen US-Ökonomie gewesen. Statt Ingenieure
und Wissenschaftler zu beauftragen, herauszufinden, wie sich ein so
dramatischer Wandel bewerkstelligen ließe, sind die politischen Führer
lieber den billigen Sirenengesängen redegewandter Neocons gefolgt, die
immer neue Vorwände für die Beibehaltung und Erweiterung der
zerstörerischen heutigen »Ordnung« finden.
Der Ausdruck »Neocon« ergibt nur dann wirklich Sinn, wenn man
damit das neue betrügerische Spiel15 meint, das die Hirne der politischen
Führungskaste in den USA vernebelt hat.
Die Neocons verdanken ihren Aufstieg ihrer Fähigkeit, eine klare
Weltsicht zu propagieren, die den Militärisch-Industriellen Komplex, die
äußerst einflussreiche Israel-Lobby und einen großen Sektor der
»liberalen« Meinungsführer (vor allem in der Medien- und
Unterhaltungsindustrie) zufriedenstellt. Sie alle akzeptieren nur zu gern
die weltweite Verteidigung der »Menschenrechte« als legitimen Grund
34
für US-Interventionen in anderen Ländern. Selbst als die Neocons sich
durch desaströse Interventionen wie im Irak diskreditiert zu haben
schienen, blieb diese Ideologie vorherrschend. Sie verleiht der
Militarisierung der US-Gesellschaft durch den MIK, die ansonsten nicht
zuletzt auf bürokratischer Trägheit beruht, einen höheren Zweck.
Die Idee, die weltweite Führungsrolle der USA sei »notwendig« zur
Erfüllung der einzigartigen globalen »Verantwortung« dieser Nation,
liefert die Rechtfertigung für die endlose Steigerung der sogenannten
»Verteidigungs«-Ausgaben, die in Wirklichkeit der Aufrechterhaltung der
Fähigkeit zur militärischen Intervention überall auf der Welt dienen. In
Ermangelung eines kommunistischen Schreckgespenstes sagt man nun, wir
müssten unsere amerikanischen »Interessen« und »Werte« fördern, wobei
die beiden Begriffe als komplementär, wenn nicht sogar als identisch
betrachtet werden, kreisen doch beide stark um die Idee der »freie
Märkte«. In der von Rüstungskontrakten, AI-PAC16 und der Angst vor der
Niederlage bei der nächsten Wahl dominierten Treibhausatmosphäre des
außenpolitischen Establishments in Washington liefert diese neokonservative Formel einen simplen Weg, sowohl an die
Wahlkampfspender als auch an den ungebildetsten Teil der Wählerschaft
zu appellieren. Der Gedanke, die USA seien eine »Ausnahme«, eine
Nation, die über allen anderen (und über dem Recht) stehe, ist ein Echo
der traditionellen, quasi-religiösen Auffassung von den USA als »Gottes
eigenem Land«.
»So viel wie nötig«
Auf die Selbstauflösung des PNAC folgte einige Jahre später die Wahl
Barack Obamas und hinterließ bei vielen den Eindruck, der
neokonservative Einfluss auf die US-Außenpolitik sei nun – vor allem
aufgrund der Desillusionierung über das Desaster des Irak-Kriegs –
gebrochen. In Wirklichkeit hat Obama allmählich die Linie des PNAC
übernommen. Allerdings geschah das offenbar widerstrebend. Seine erste
Außenministerin Hillary Clinton hingegen hat sich aktiv als neue
Favoritin der Neocons positioniert.
Im Juli 2014 erklärte der Milliardär Haim Saban in einem Interview
auf Bloomberg TV, er werde für die Wahl Hillary Clintons »so viel wie
nötig« spenden.
Das ist von einiger Bedeutung, weil offenbar sowohl Sabans
35
Vermögen als auch sein Eifer unerschöpflich sind. Saban erklärt
unverhohlen, sein Hauptanliegen sei der Schutz Israels durch die Stärkung
der Beziehungen zwischen Israel und den USA. »Ich bin ein Ein- ThemaTyp, und mein Thema ist Israel.«17 Während die meisten US-Bürger sich
keinen Einsatz der gewaltigen Militärmacht ihres Landes wünschen, ist
das für jemanden wie Saban, der sowohl US- als auch israelischer
Staatsbürger ist, ganz klar richtig und dient der Stärkung der Position
Israels im Nahen Osten.
Saban sieht drei Einflussmöglichkeiten auf die US-Politik: Spenden an
die politischen Parteien, die Etablierung von Denkfabriken und die
Kontrolle über Medienunternehmen. Während sein Versuch, die Los
Angeles Times zu kaufen und so deren »pro-palästinensische« Linie zu
korrigieren, scheiterte, beglückte Saban das Nationalkomitee der
Demokraten 2002 mit sieben Millionen Dollar und spendete fünf
Millionen Dollar an Bill Clintons Präsidenten-Bibliothek. Aber vor
allem gründete er seine »ganz eigene« Denkfabrik, das »Saban Center for
Middle East Policy« innerhalb der Brookings Institution, die früher als
politisch neutralste unter den großen Washingtoner Denkfabriken
angesehen wurde. Erreicht wurde dies mit einer Rekordspende von
dreizehn Millionen Dollar an Brookings. Das Saban Center fördert den
Dialog – aber natürlich nicht den zwischen Israelis und Arabern, sondern
zwischen den Israelis und prominenten US-Politikern.
Während Saban generell auf Seiten der Demokraten steht, hat er dort,
wie folgende Anekdote illustriert, auch eine Favoritin:
»Man stellte Obama und Hillary dieselbe Frage: >Wenn der Iran Israel mit
Atomwaffen angreifen würde, was würden Sie tun?< Hillary sagte, >Wir werden
ihn auslöschen.< […] Vier Worte, ganz leicht zu verstehen. Obama sagte nur
drei Worte: Er werde >angemessene Schritte ergreifen<. Ich habe keine
Ahnung, was das heißen soll.«
Sabans Tirade ging in ähnlichem Stil weiter; unter anderem nannte er den
Iran »einen Schurkenstaat, […] der Hisbollah unterstützt, die mehr
Amerikaner getötet hat als jede andere terroristische Or-ganisation«.18
Kurz, Hillary hatte seinen Test bestanden, während Obama für ihn
durchgefallen war. Keiner von ihnen würde zu sagen wagen, was der
ehemalige französische Präsident Jacques Chirac vor Jahren auf dieselbe
Frage antwortete. Er sagte, dass, sollte der Iran es wagen, Israel mit
Atomwaffen anzugreifen, Teheran von israelischen Nuklearwaffen dem
Erdboden gleichgemacht würde, was für sich schon die ganze Absurdität
36
der Idee eines solchen iranischen Angriffs enthüllt. Aber natürlich geriet
Chirac damit ins Visier von Attacken der pro-israelischen französischen
Presse. Ein Risiko, das kein führender US-Politiker je eingehen würde –
jedenfalls nicht, solange reiche Finanziers wie Saban hinter den Kulissen
stehen.19
Noch kurz vor ihrem eigenen Eintritt in die Arena der
Wahlkampfpolitik hatte Hillary Clinton ihre Lektion in Risikovermeidung
gelernt. Als sie als First Lady während eines Besuchs von Präsident
Clinton bei Jassir Arafat in Ramallah im November 1999 Arafats Frau
Suha höflich auf die Wange küsste, löste das einen Sturm der Empörung
aus. »Schäm dich, Hillary!«, titelte die New York Post.20 Jüdische Führer
verlautbarten, dies könne das Ende der Pläne für ihre Wahl als Senatorin
für New York im nächsten Jahr sein. Laut Jason Horowitz von der New
York Times veranlasste dies Hillary, Unterricht an der »politischen
Hebräisch-Schule« zu nehmen: »Unter Anleitung des langjährigen New
Yorker Senators Chuck Schumer erwarb sie enormes Geschick im
Gewinnen des Vertrauens von Zielgruppen mit einer extrem proisraelischen Position.«21
Im Februar 2007, kurz vor dem nahenden Präsidentschaftswahlkampf,
beging sie bei einem AIPAC-Abendessen einen kleinen Fauxpas, als sie
sagte, man solle »mit dem Iran sprechen«22. Die Bemerkung wurde kühl
aufgenommen. Aber während einer Debatte mit Obama im Juli 2007
leistete sie Abbitte für ihre kleine Sünde, indem sie sich von der
Bereitschaft ihres Konkurrenten distanzierte, selbst die Führer von
»Paria«-Nationen, ja sogar die des Iran zu treffen.23
In einem Positionspapier von September 2007 spielte Hillary dann
ihre Trumpfkarte aus, indem sie die Überzeugung äußerte, Israels
Existenzrecht »als jüdischer Staat« mit »Jerusalem als seiner ungeteilten
Hauptstadt« dürfe nie in Frage gestellt werden.24 Mit diesem extremen
Standpunkt überholte sie sogar noch die Bush-Administration, und das
war auch einer der Gründe für Obama, den Vizegeschäftsführer der
»Conference of Presidents of Major Jewish American Organizations«
Malcolm Hoenlein zu bitten, Hillary zur Annahme des Angebots zu
bringen, Außenministerin zu werden und so der Pro-Israel-Lobby
Vertrauen einzuflößen.
Am 2. Juli 2015, zu einem Zeitpunkt, als die USPräsidentschaftskampagne von 2016 allmählich näherrückte, schrieb
Hillary Clinton einen an ihren Wohltäter Haim Saban und die
Organisation Hoenleins gerichteten öffentlichen Brief, in dem sie
37
versprach, sie werde es zu einer »Priorität« machen, der internationalen
BDS-Kampagne für Palästina entgegenzutreten, die sich zum Ziel gesetzt
hat, Druck auf Israel auszuüben, damit es Frieden mit den Palästinensern
schließt. BDS, so schrieb sie, wolle »Israel bestrafen und diktieren, wie
die Israelis und die Palästinenser die Kernfragen ihres Konflikts lösen
sollen. Das ist nicht der Weg zum Frieden.«25
Auf einer Wahlkampfveranstaltung einige Tage später sagte die
Kandidatin, sie unterstütze Obamas Nuklearabkommen mit dem Iran,
fügte aber hinzu, der Iran bleibe ein Problem. »Sie sind weltweit die
Hauptsponsoren des Terrorismus«, sagte sie. »Sie setzen Stellvertreter
wie Hisbollah ein, um Zwietracht zu säen und Aufstände zur
Destabilisierung von Regierungen anzufachen. Sie übernehmen mehr und
mehr die Kontrolle über eine Reihe von Ländern in der Region und
stellen eine existentielle Bedrohung Israels dar.«26
Am 4. November ging sie in einem regelrechten Liebesbrief an Israel
noch weiter:
»Ich bin während meiner gesamten Karriere für Israel eingetreten«, erinnerte
sie sich, und zählte ihre Leistungen auf, darunter die Ablehnung des
parteiischen Goldstone-Reports27.
»Als Präsidentin werde ich diesen Kampf fortsetzen. […] Ich werde alles tun,
was ich kann, um unsere strategische Partnerschaft zu verbessern und die
Verpflichtung Amerikas gegenüber der Sicherheit Israels zu stärken sowie dafür
zu sorgen, dass es immer die qualitative militärische Übermacht hat, um sich zu
verteidigen. Dazu gehört die sofortige Entsendung einer Delegation der
Vereinigten Stabschefs zu einem Treffen mit hohen Kommandeuren der
israelischen Armee. Außerdem würde ich den israelischen Premierminister
noch in meinem ersten Monat im Amt ins Weiße Haus einladen. […]
Ich würde unsere Partnerschaft intensivieren, um dem Iran und seinen
Stellvertretern überall in der Region entgegenzutreten und dafür zu sorgen, dass
keine gefährlichen russischen und iranischen Waffen in den Händen der
Hisbollah enden oder Israel bedrohen. Außerdem werde ich gegen die
wachsenden Bemühungen kämpfen, Israel international zu isolieren und seine
Zukunft als jüdischer Staat zu untergraben, Bemühungen, zu denen auch die
BDS-Bewegung gehört.«28
Als Unterstützerin Israels ist sie wohl schwerlich zu übertreffen. Hillary
Clinton hat sich die Unterstützung Sabans redlich verdient.
Saban ist nicht die einzige derartige Figur. Auf der anderen Seite des
politischen Spektrums haben wir als Unterstützer republikanischer
Kandidaten Sheldon Adelson, der ebenfalls sowohl US-Amerikaner als
38
auch Israeli ist und sein Milliardenvermögen in den Spielkasinos von Las
Vegas und Macao verdient hat. Adelson ist ein enger Freund Benjamin
Netanyahus und ein Unterstützer des AIPAC; er hasst Obama und strebt
ebenso sehr danach, das Amt des Präsidenten für einen Republikaner zu
kaufen, wie Saban im Hinblick auf Hillary. Somit könnte der
Präsidentschaftswahlkampf 2016 derzeit zu einem Rennen zwischen Haim
Saban und Sheldon Adelson werden. In beiden Fällen hieße der
Gewinner Israel.
Nicht jeder betrachtet diese Situation als gut für Israel. So schreibt der
bekannte israelische Journalist Gideon Levy:
»Hillary Clintons Wahl zur US-Präsidentin würde sicherstellen, dass der
Niedergang und die Entartung Israels weitergehen. […] Aber sie und
ihresgleichen – die falschen Freunde Israels – sind schon seit vielen Jahren
einer der Flüche unseres Landes. Wegen ihnen kann Israel sich weiterhin so
gesetzlos aufführen wie es will und der Welt eine Nase zeigen, ohne einen Preis
dafür zu zahlen. Wegen ihnen kann es ungehindert sein Zerstörungswerk
fortsetzen. […] Man könnte natürlich diese honigtriefende Erklärung mit der
Notwendigkeit erklären, mehr Geld von Juden sammeln zu können. […] Die
meisten amerikanischen Juden werden sie unterstützen, einige davon, weil sie
glauben, dass Hillary gut für Israel ist. Nun, liebe Brüder und Schwestern, dem
ist nicht so. Eine Person, die die fortgesetzte Besatzung unterstützt, ist genau
wie jemand, der immer weiter Drogen für einen süchtigen Verwandten kauft.
Das hat nichts mit Sorge oder Freundschaft zu tun; es ist zerstörerisch.
Vielleicht wäre es am Ende besser, irgendeinen ignoranten Republikaner im
Weißen Haus zu haben. Doch genau betrachtet würde auch das nichts nützen,
denn dieser würde dann bestimmt von Sheldon Adelson finanziert.«29
2009 gründeten die PNAC-Veteranen William Kristol und Robert Kagan
zur Bereitstellung von Personal und politischen Ideen für zukünftige
Präsidenten, wer immer diese sein mögen, die »Foreign Policy Initiative«
(FPI). Robert Kagan ist heute der führende Neocon-Theoretiker und
Ehemann der Ex-Sprecherin von Außenministerin Hillary Clinton,
Victoria Nuland, die Anfang 2014 eine führende Rolle bei der Initiierung
des Putschs in der ukrainischen Hauptstadt Kiew spielte. Simpel
ausgedrückt besteht der Hauptzweck der FPI genau wie der früherer
Neocon-Gruppen darin, dafür zu sorgen, dass die USA sich ständig im
Krieg befinden. Die leider viel zu wenigen Politiker, die sich ihrer
Kriegspolitik offen entgegenstellen, stigmatisieren sie dann als
»Isolationisten«.
Der Militärisch-Industrielle Komplex hat kein eigenes Ziel, keine
39
Philosophie und keine Werte. Er ist einfach da, ein Ungeheuer, das, wenn
wir diesen Planeten retten wollen, gezügelt und zerstört werden muss.
Aber statt danach zu forschen, wie dies möglich wäre, erfinden unsere
politischen Vordenker neue Daseinsberechtigungen für ihn. Am
erfolgreichsten sind natürlich diejenigen, die leidenschaftlich einer
bestimmten Sache dienen, etwa der unbedingten Unterstützung Israels.
Und besonders erfolgreich sind sie dann, wenn viel Geld da ist, um ihre
Lobbytätigkeit zu finanzieren.
Da ist all diese Macht, und wie Madeleine Albright bekanntlich
einmal sagte, stellt sich die Frage: »Wozu haben wir eigentlich dieses
tolle Militär, wenn wir es nicht einsetzen können?«30 Für Politiker, die
sich Macht wünschen, ist diese Militärmacht der Tiger, auf dem sie reiten
müssen. Diejenigen, die in den Sattel wollen, behaupten dann, der Tiger
sei eine unbesiegbare Kraft des Guten, während er in erster Linie eine
enorme Zerstörungskraft hat. Er hat bereits Vietnam, den Irak, Afghanistan
und Libyen verwüstet – und es gibt keine Grenze für das Chaos, das er
noch anrichten kann.
40
2 »Multikulturalismus« à la
Hillary: unsere einzigartigen
»Werte« und »Interessen«
Unsere politischen Führer werden nie müde uns zu versichern, unsere
Außenpolitik sei durch »unsere Werte« und »unsere Interessen« bestimmt.
Aber wessen Interessen genau? Das bleibt unklar. Und was »unsere
Werte« betrifft: »Demokratie«, »Freiheit« und »Menschenrechte« sind
Konzepte, die, wenn man erst einmal über sie nachdenkt, mehr Fragen
aufwerfen, als sie beantworten. Aber Nachdenken ist ja genau das, was
mit solcherlei Abstraktionen verhindert werden soll.
Hillary Clinton wiederholt diese leeren Standardphrasen immer
wieder, als seien »unsere Interessen« und »unsere Werte« Gebote Gottes,
die uns wie Eisbrecher durch eine widerspenstige Welt leiten: Aus dem
Weg mit euch, hier kommen wir mit unseren Werten und Interessen!
Die USA sind ideologisch geprägt wie kaum ein zweites Land – und
das ist ein Schlüssel zum »Ausnahme«-Charakter der Vereinigten Staaten.
Keine Gesellschaft kommt ohne Ideologie aus, aber die heutigen
politischen Führer und Meinungsmacher der USA leben in einem dichten
Nebel ideologischer Selbstrechtfertigung. Die Ideologie vom
»Ausnahmestatus« der USA wurde jahrzehntelang erfolgreich sowohl von
Hollywood
als
auch
von
einer
gewaltigen
offiziellen
Propagandamaschine
verbreitet,
die
in
zahllosen
Ländern
»Nichtregierungs«-Organisationen finanziert. Die Idee, die USA seien
»das beste Land der Welt« und das probate Modell für alle anderen
Länder, hat jungen Menschen in aller Welt eine Art von kulturellem
Minderwertigkeitskomplex eingeimpft. Auch die politischen Führer
Westeuropas haben diese Vorstellung seit dem Zweiten Weltkrieg so sehr
verinnerlicht, dass sie die nationale Souveränität ihrer Länder der
»politischen Steuerung« durch die Europäische Union – einer abstrusen
41
und alles in allem funktionsunfähigen Imitation der Vereinigten Staaten –
geopfert haben. Das schafft eine instabile Lage, trägt aber dazu bei,
Washington in seiner Illusion zu bestätigen, es könne die Welt
beherrschen.
Wir Menschen sind immer sehr gut darin, die Massenillusionen
anderer Zeiten und anderer Länder zu durchschauen, besonders diejenigen
des letzten Jahrhunderts. Unsere eigenen Illusionen bleiben für uns so
unsichtbar wie die Luft, die wir atmen. Wir betrachten Hitler und das
Naziregime als irrsinnig, weil sie glaubten, die Deutschen seien »die
Herrenrasse«. Über die Politiker von heute, die verkünden, die USA
seien »die unentbehrliche Nation« und eine Ausnahme im Hinblick auf
alle für den Rest der Welt geltenden Regeln, steht ein Urteil noch aus.
Diese Ideologie wird von Männern und Frauen geteilt, die über die
größte je dagewesene Zerstörungsmacht verfügen, und daher stellt sie
heute für die Menschheit und die anderen höheren Lebensformen auf
unserem Planeten die Gefahr Nummer eins dar. Sie führt zum Risiko eines
Nuklearkriegs und damit totaler Zerstörung. Das hängt nicht mit unseren
»Interessen« zusammen, denn Interessen sind schon ihrem Wesen nach
nicht selbstmörderisch. Es sind unsere »Werte«, die gefährlich sind. Es
ist der Glaube an unsere gewaltige Überlegenheit und die Überlegenheit
»unserer Werte«, der uns auf den Weg der Vernichtung unserer selbst und
anderer führt.
Hillary Clinton ist die Personifizierung dieses überheblichen
Glaubens an die Einzigartigkeit der USA. Sie scheint unfähig, auch nur
daran zu zweifeln, dass die USA »die letzte Hoffnung der Menschheit«
sind. Vor allem ist sie fest davon überzeugt, dass die US-Bevölkerung
ebenfalls an den Ausnahmestatus der USA glaubt und ihn immer wieder
bestätigt und gefeiert sehen will. Solange die Bürger der USA tatsächlich
genau das hören wollen, ist Hillary Clinton weder das einzige noch das
größte Problem. Viel wichtiger ist der betäubende Nebel dieser Ideologie
selbst.
Die US-amerikanische Globalisierung
Wenn die Bewohner der USA im Lande bleiben und sich schlicht um sich
selbst kümmern würden, wäre ihr Glaube an den »Ausnahmecharakter«
ihrer Nation nichts weiter als eine merkwürdige volksspezifische
Marotte. Aber heute steht all das im Kontext der »Globalisierung«, und
42
für US-Bürger, die vom Ausnahmecharakter der Vereinigten Staaten
überzeugt sind, heißt Globalisierung die Amerikanisierung der ganzen
Welt. Unsere Interessen und Werte müssen überall das Sagen haben.
Globalisierung bedeutet letztlich eine Weltwirtschaft, deren
Kennzeichen die universale Öffnung der nationalen Wirtschaften für die
Finanzmärkte ist. So wird dem internationalen Kapital erlaubt, durch
seine Investitionsentscheidungen überall über Produktion, Handel und
sogar viele Dienstleistungen zu bestimmen. Das hat gravierende
politische Konsequenzen. Von den Nationalstaaten wird dabei erwartet,
dass sie sich bemühen, mobiles Kapital anzuziehen, und dass sie dazu
abschreckende Steuern senken und durch Privatisierung selbst
essentieller Bereiche wie Bildung und Grundversorgung ein besseres
Investitionsklima schaffen. Dadurch verlieren die Nationalstaaten die
Ressourcen, um für das Gemeinwohl zu sorgen, Industrie und
Landwirtschaft zu entwickeln und durch öffentliche Dienstleistungen den
Reichtum umzuverteilen. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft
immer weiter auf und die Befugnisse der nationalen Regierungen
reduzieren sich immer mehr auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ordnung. Und auch dieser Bereich wird mittlerweile oft privatisiert.
Darüber hinaus ist die Globalisierung ein ideologisches Konstrukt. Sie
wird mittlerweile weithin als unvermeidliches Stadium der menschlichen
Geschichte, als Produkt der Kommunikations- und Transporttechnologien
akzeptiert, die die Welt angeblich in ein »globales Dorf« verwandeln.
Letzterer Begriff, der die gewaltigen subjektiven und materiellen
Unterschiede ignoriert, die in der Menschheit immer noch bestehen, liegt
der Anmaßung der USA zugrunde, »wir« hätten das Recht, uns in die
Angelegenheiten aller anderen einzumischen.
Während die »Globalisierung« als unausweichliches Schicksal
präsentiert wird, ist sie in ihrer real-existierenden Form Resultat eines
bestimmten Kräfteverhältnisses. Sie wird zwar als »Freihandel« verkauft,
aber dieser Slogan bedeutet keineswegs, was die Worte darin nahelegen
könnten: nämlich den freien Kauf und Verkauf von Gütern und
Dienstleistungen. In der Praxis handelt es sich um ein komplexes System
internationaler Abkommen zur Erleichterung des internationalen Zustroms
und Abflusses von Investitionen auf Kosten nationaler Regelungen. Bei
der Erarbeitung dieser Abkommen sind die USA aufgrund ihrer Kontrolle
über den Dollar als Weltwährung, aufgrund des Einflusses ihrer Ideologie
und nicht zuletzt aufgrund ihrer weltweiten militärischen Präsenz in einer
extrem vorteilhaften Verhandlungsposition. Sie verfügen (je nachdem,
was alles mitgezählt wird) über 662 bis über tausend militärische
43
Stützpunkte oder Einrichtungen in 148 Ländern, und in vielen dieser
Länder haben sie durch »Hilfe« und »Ausbildung« effektiv die Kontrolle
über deren Streitkräfte. Dabei nutzen die USA nicht nur erfolgreich ihren
Einfluss, um Handelsabkommen zu erreichen, die ihren eigenen
Konzernen und Banken nutzen, sondern die US-Regierung findet auch
nichts dabei, sowohl gegen den Geist als auch gegen den Buchstaben des
Freihandels zu verstoßen, wann immer sie es für nötig befindet, ein Land
durch Wirtschaftssanktionen zu »bestrafen«.
Die US-dominierte Globalisierung ist ein Prozess. Die
dahinterstehende Absicht ist, einen immer größeren Teil der Welt in die
Sphäre der »freiheitlich-demokratischen Marktwirtschaft« zu überführen.
Tatsächlich handelt es sich um eine neue Form der Welteroberung.
Anders als bei den Imperien der Vergangenheit geht es dabei nicht mehr
um die Schaffung von Kolonien und die Eroberung von Territorien durch
Gewalt, sondern um die Herstellung von Bedingungen für die sukzessive
Absorption einer Region nach der anderen in ein einziges System, in dem
das freie Unternehmertum beziehungsweise das private Kapital nach dem
heutigen US-Modell sowohl die Wirtschaft als auch den politischen
Prozess beherrscht.
Man beachte dabei, dass die »freien Wahlen« der USA frei durch
Geldspenden beeinflusst werden können. Unsere moderne, gern als
»bürgerlich« bezeichnete Demokratie begann mit einem Wahlrecht, das
auf begüterte Männer beschränkt war. Diese Güterschranke wurde dann
schrittweise abgesenkt, und während einer kurzen Zeitspanne gab es in
den USA (wie in einigen anderen Ländern bis heute) ein gleiches
Wahlrecht. Aber mit der Zulassung unbeschränkter Wahlkampfspenden
sind die Vereinigten Staaten wieder umgekehrt – und zwar nicht zu einer
»bürgerlichen« Demokratie, sondern zu einer Demokratie der
Milliardäre. Das Schöne an einer solcherart umgemodelten Demokratie
ist, dass man sie kaufen kann – vorausgesetzt, man hat die dafür nötigen
Mittel.
Als Exportartikel sieht diese »Demokratie« ganz nach einer bequemen,
gewaltfreien Methode aus, mittels derer unsere freundlich gesonnenen
Finanzinteressen die Kontrolle über fremde Regierungen übernehmen
können. Eine »freiheitlich-demokratische Marktwirtschaft« kann sowohl
politisch als auch wirtschaftlich durch das internationale Finanzkapital
beeinflusst werden. Die USA geben bereits Hunderte von Millionen
Dollar für »Demokratie«-Förderung aus, meistens als Zuwendungen für
»Nichtregierungs«organisationen (NGO) in anderen Ländern über die
Stiftung National Endowment for Democracy (NED). Solche
44
Subventionen dienen der Auswahl von Führern und dem Aufbau von
Karrieren. Diese Bemühungen werden von etlichen mehr oder weniger
staatsnahen Verbänden und Privatstiftungen unterstützt, unter denen die
Open Society Foundation von George Soros die berühmt-berüchtigtste
ist.
Die Europäische Union ist beispielgebend für diesen
Expansionsprozess. Unter dem starken Einfluss der USA, die nach der
Niederlage Nazi-Deutschlands effektiv Besatzungsmacht in Westeuropa
waren, begannen sechs Länder – Frankreich, Deutschland, Italien,
Holland, Belgien und Luxemburg – 1957 mit dem Vertrag von Rom ihren
Integrationsprozess. Die EU ist seitdem immer weiter gewachsen. Diese
Expansion steht in enger Beziehung zur Ausweitung der NATO, auch
wenn beides nicht ein und dasselbe ist. Paradoxerweise wird die EU mit
ihrer ständigen Erweiterung immer undemokratischer, da die
Schlüsselentscheidungen zunehmend von einer zentralisierten Bürokratie
getroffen werden. Der Begriff der »freiheitlich-demokratischen
Marktwirtschaft« wird immer mehr zum Widerspruch in sich.
Nach ihrem künftigen Zusammenschluss in der Transatlantischen
Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)1 werden die Europäische
Union und die Vereinigten Staaten zusammen mit der NATO den Kern
einer geplanten »Weltgemeinschaft der Demokratien« bil-den.2 Diese
»internationale Gemeinschaft« wird dann zweierlei Gründe für den
Anspruch auf eine höhere Legitimität in der weltweiten Arena ins Feld
führen: die angebliche moralische Überlegenheit der »Demokratie« und
die Streitkräfte der NATO. Wie aktuell in der Ukraine, werden sich die
bewaffneten »Demokratien« unter Führung der USA anheischig machen,
überall im Rest der Welt zu intervenieren, und sich dabei auf R2P3
(»Verpflichtung zum Schutz«) oder irgendwelche sonstigen moralischen
Vorwände berufen.
Im Juni 2014 wurden in der Normandie verschwenderische
Zeremonien zum siebzigsten Jahrestag der Invasion der Westalliierten
abgehalten, die als die Befreiung Europas gefeiert wurde. Natürlich
wurde die Ankunft der US-Truppen 1944 als Befreiung empfunden.
Allerdings wäre es nach siebzig Jahren fortgesetzter militärischer
Besatzung und politischer Vorherrschaft der USA vielleicht angebrachter,
statt Feiern »zur Befreiung« vielmehr Feiern »zur Eroberung« zu
veranstalten.
Die EU ist ein Paradigma für eine Welt, in der die Nationalstaaten ihre
Souveränität an ein allumfassendes Wirtschaftsregime abgeben, das auf
»freien Märkten« und »Wahlen« basiert, die ebenfalls »frei« sind – frei,
45
aber oft teuer.
Scharfer Gegenwind für »Whistleblower«
»Sicherheit« ist ein weiterer Vorwand zur Missachtung von Souveränität.
Staaten, die der NATO beitreten, geben damit bewusst ihre militärische
Souveränität auf, um die angeblichen Vorteile »kollektiver Sicherheit« zu
genießen – was bedeutet, dass sie ihre Streitkräfte so umstrukturieren
müssen, dass sie als Elemente eines internationalen »Werkzeugkastens«
unter US-Kommando dienen können. Darüber hinaus wurde aber
versehentlich noch ein weiterer Aspekt individueller und nationaler
Souveränität an die US-amerikanische Nationale Sicherheitsagentur
(NSA) abgetreten, die danach trachtet, weltweit jedes Detail
persönlicher,
politischer
oder
geschäftlicher
Kommunikation
aufzuzeichnen, zu sammeln und zu speichern. Für Hillary Clinton ist
dieser gravierende Eingriff ebenfalls ein Imperativ der »Sicherheit«, der
notwendig ist, um »unsere Freunde und Verbündeten zu schützen«. Aus
diesen Gründen verurteilte sie auch die Enthüllung von NSA-Dokumenten
durch Edward Snowden vehement.
»Als Amerikanerin«, so Hillary gegenüber Phoebe Greenwood in
einem Interview für The Guardian, »glaube ich aufrichtig, dass unsere
Informationsbeschaffung Leben rettet und nicht nur die Vereinigten
Staaten, sondern auch unsere Freunde und Verbündeten schützt.«4 Nach
Auffassung Hillarys ist die NSA-Spionagetätigkeit ein großzügiger Dienst
an der Öffentlichkeit, die dafür dankbar sein sollte: »Ich glaube, die
meisten Leute wären schockiert, wenn die USA aufhören würden, diese
Informationen aufzuzeichnen, und wenn wir einfach sagen würden: OK,
jeder ist ab jetzt auf sich gestellt. Wir können dann unseren Verbündeten
in Asien nicht mehr sagen, was vor sich geht, und wir können keine
Informationen mehr mit unseren Verbündeten in Europa teilen. Wir hören
einfach auf. Aber so läuft es in der realen Welt einfach nicht.«
Für Hillary »wäre es hinsichtlich des Informationswettlaufs zwischen
dem Westen und dem Rest eine Verweigerung unserer Verantwortung,
nicht die Informationen zu sammeln, die wir zum eigenen Schutz, aber
auch dem unserer Freunde und Verbündeten nutzen können«. Demnach
sollte Angela Merkel der NSA auch noch dankbar dafür sein, dass diese
ihr privates Handy abgehört hat.
Laut Hillary ist die »reale Welt« immer noch so bedrohlich gespalten
46
wie im Kalten Krieg. Heute besteht die Spaltung zwischen dem Westen
und dem Rest, oder, nach ihrer Bewertung, zwischen dem Guten und dem
Bedrohlichen.
Als Außenministerin bezeichnete Hillary Clinton die massive
Dokumentenveröffentlichung durch WikiLeaks im November 2010 als
»Angriff auf die Vereinigten Staaten und die internationale
Gemeinschaft«, der »Menschenleben in Gefahr gebracht hat« und »unsere
nationale Sicherheit bedroht«.5 Im Namen der Obama-Regierung
verkündete sie: »Wir werden offensive Schritte unternehmen, um die, die
diese Informationen gestohlen haben, zur Verantwortung zu ziehen.« Das
geschah auch, und Bradley/Chelsea Manning zahlt nun einen hohen Preis,
unter anderem für das Publikmachen der brisanten Videoaufnahme, die
zeigt, wie eine US-Hubschrauberbesatzung in Bagdad eine Gruppe von
Zivilisten, darunter einen BBC-Fotografen, auf offener Straße ermordet
und dann einen weiteren Mann tötet, der mit seinen Kindern im Auto
unterwegs ist und anhält, um den immer noch auf der Straße liegenden
Opfern des ersten Angriffs zu Hilfe zu kommen.6
Hillary war schon gegenüber WikiLeaks feindselig, bezeichnete die
Veröffentlichung der NSA-Dokumente durch Edward Snowden im Mai
2013 aber als noch »viel ernsteren Geheimnisverrat«.7 Da sie die
weltweite US-Spionage im von ihr imaginierten Wettstreit zwischen
»dem Westen« und allen anderen als notwendig erachtet, sollten
Ausländer nicht einmal etwas davon wissen dürfen.
»Ich bin nicht überrascht, dass Hillary Clinton denkt, dass Menschen,
die formal keine US-Bürger sind, keinerlei Rechte haben«, kommentierte
Julian Assange, der Hillary Clinton als »Gefahr« für die Lösung des
Problems der Whistleblower sieht.8
Was die Bürger der USA betrifft, gewährt Hillary ihnen das Recht auf
Teilnahme an einer artigen Debatte »über das Spannungsverhältnis
zwischen Privatsphäre und Sicherheit«. Sie ist Snowden »nicht dankbar«
für die Stimulierung einer Debatte, die ihr zufolge »bereits lief«, denn es
gebe »andere Wege, so etwas zu machen«. Sie fand es »seltsam«, dass
Snowden geflohen war, da die USA doch »all diese Schutzmechanismen
für Whistleblower« hätten.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die »anderen Wege, so etwas zu
machen« führten lediglich zu Schwierigkeiten für die kühnen
Wahrheitskünder. Früheren NSA-Whistleblowern, die sich minutiös an
die Regeln des Intelligence Community Whistleblower Protection Act9
von 1998 hielten, gelang es weder bei ihren Vorgesetzten noch im
47
Kongress, Interesse für laufende schwere Gesetzesverstöße zu wecken.
Als einer von ihnen, der dekorierte Luftwaffen- und Marineveteran
Thomas Drake, nach Ausschöpfung aller Dienstwege 2005 Informationen
für einen später preisgekrönten Artikel an die Baltimore Sun weitergab,
überfielen und plünderten bewaffnete FBI-Agenten seine Wohnung;
außerdem wurde er 2010 von einer Grand Jury in Baltimore nach dem
Spionagegesetz von 1917 wegen »vorsätzlicher Aufbewahrung von
Informationen über die nationale Verteidigung« angeklagt.10 Das setzt den
Versuch zur Aufklärung der US-Öffentlichkeit mit dem Verrat vitaler
Informationen an den Feind zu Kriegszeiten gleich.
In den USA werden die nationale Sicherheit betreffende Fälle in
Alexandria, Virginia, verhandelt, wo, wie Julian Assange bemerkt, »die
Bevölkerung, aus der die Jury ausgewählt wird, die US-weit größte
Dichte an Regierungs- und Militärangestellten aufweist. Ein faires
Verfahren ist unmöglich, weil die US-Regierung immer wieder auf dem
Privileg des Staatsgeheimnisses beharrt, um die Verteidigung an der
Nutzung von Material zu hindern, dessen Geheimhaltung die Anklage
begünstigt.« Nur weil es Snowden gelang, seiner Verhaftung zu entgehen,
könnten »wir über die Sache selbst reden« statt über die Frage seiner
Schuld oder Unschuld. Allein durch die Veröffentlichung der offiziellen
Dokumente, so Assange, habe Snowden zeigen können, »wie komplex die
Vorgänge waren. Jetzt haben wir Beweise. Es gab schon zuvor alle
möglichen Versuche auch unter Beteiligung von Ex-NSA-Whistleblowern,
eine Debatte zu starten, aber wahrscheinlich können nur große Massen
von Originaldokumenten eine Debatte über ein so komplexes Thema wie
die flächendeckende Überwachung in Gang bringen.«11
Hillary Clinton dachte eindeutig an das drakonische Spionagegesetz
von 1917, als sie sinnierte, es sei »merkwürdig«, dass Snowden erst in
das »von China kontrollierte Hongkong« geflohen sei, um dann in einem
»von Putin regierten Russland Zuflucht« zu suchen -wobei sie
geflissentlich vergaß, dass Snowden nur darum am Ende in Russland
landete, weil das US-Außenministerium seine Ausreise nach
Lateinamerika verhinderte, indem es ihm am 22. Juni 2013 den Pass
entzog.
Hillary Clinton gibt vor, das Überwachungsthema als Balanceakt
zwischen »Privatsphäre und Sicherheit« zu betrachten, und vertritt die
Meinung, die Bürger sollten bereit sein, einen Teil ihrer Privatsphäre zu
opfern, um sicher zu sein – vermutlich vor Terroristen und all den
anderen Übeltätern im Rest der Welt. Für den Durchschnittsbürger ist
Privatsphäre eine Form der Sicherheit. Die Privatsphäre, um die Hillary
48
sich sorgt, ist die des Staates, dessen Privatsphäre durch WikiLeaks
verletzt wurde, weil die Plattform der Meinung war, die Bevölkerung
habe das Recht zu wissen, was ihre Regierung tut. Im Gegensatz dazu
verletzt die Schnüffelei der NSA die Privatsphäre von Einzelpersonen
und bedroht ihre Sicherheit.
Die, die meinen, staatliche Überwachung sei kein Problem, »weil ich
ja nichts zu verbergen habe«, begreifen diesen Punkt nicht. Für den
Augenblick mag diese gewaltige Anhäufung persönlicher Daten für
Bürger, die »nichts zu verbergen haben«, tatsächlich harmlos sein. Für
künftige Terroristen gilt allerdings vermutlich dasselbe. Der
Informationsüberfluss kann sogar ein Hindernis dabei sein, die geringe
Zahl gefährlicher Personen ausfindig zu machen, die es natürlich
vermeiden werden, Spuren ihrer Aktivitäten zu hinterlassen. Andererseits
durchleben wir gerade einen negativen sozialen Trend: Reichtum und
Macht werden immer konzentrierter, und aufgrund dieser zunehmenden
Schieflage könnten die Mächtigen es immer verführerischer finden,
Proteste und Bewegungen für Veränderung, die diese wachsende Kluft
zwischen sehr wenigen und sehr vielen unvermeidlich erzeugt, einfach zu
unterdrücken. Dabei können völlig harmlose persönliche Informationen
genutzt werden, um jeden beliebigen, der aktiven Widerstand gegen ein
ungerechtes System leistet, unter Falschanklage zu stellen, zu einer
Straftat zu verleiten oder sonstwie zu eliminieren. Eine staatliche
Überwachungsmaschinerie wie diese ist eine wichtige Waffe im Arsenal
der Repression. Es könnte die Zeit kommen, in der der Staat zum Schutz
der Macht der 0,01 Prozent ganz nach Madeleine Albright die Maxime
ausgibt: »Wozu haben wir diese ganze Repressionsmaschinerie, wenn wir
sie gar nicht benutzen?«12 Wie bei jeder wirksamen Waffe kann ihre
bloße Existenz für die, die über sie verfügen, ein Argument werden, sie
auch einzusetzen. Umgekehrt ist die Möglichkeit ihres tatsächlichen
Einsatzes für die, die sie nicht besitzen, ein gutes Argument für ihre
Abschaffung.
Befürworter der Staatssicherheit wie Hillary Clinton sehen offenbar
nicht, dass die umfassende Überwachungsmaschine der NSA eine
ernsthafte mögliche Gefahr für die »Zivilgesellschaft« ist, die ihnen
angeblich so am Herzen liegt – und wenn doch, kümmert es sie nicht.
Die Vereinnahmung der Zivilgesellschaft
49
Am 16. Februar 2011 präsidierte Außenministerin Hillary Clinton über
die feierliche erste Sitzung des »Strategic Dialogue with Civil
Society«13, eines neuen Instruments der US-Intervention in die inneren
Angelegenheiten anderer Länder. Dabei wiederholte sie das übliche
Mantra, die USA unterstützten »demokratischen Wandel«, weil das
»unseren Werten und unseren Interessen« entspreche. Als Frage »des
Einstehens für universale Prinzipien« würden die Vereinigten Staaten
»unseren Partnern« dabei helfen, Schritte »zur Öffnung ihrer politischen
und wirtschaftlichen Systeme« zu unternehmen – sodass Onkel Sam direkt
zur Tür hereinspazieren kann.14
Diese Sitzung fand im Außenministerium statt, wo über interaktive
Videotechnik »Tausende« von Teilnehmern in fünfzig US-Botschaften
rund um die Welt zugeschaltet waren. Hillary benutzte ihr Lieblingsbild,
in dem stabile Gesellschaften wie bei einem Schemel von drei Säulen
gestützt werden: »einer ansprechbaren, verantwortlichen Regierung, einer
kraftvollen, effektiven Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft, die für
alles andere steht, was im Raum zwischen Staat und Wirtschaft geschieht,
und die die Werte und Wünsche der Menschen verkörpert und
repräsentiert.«
Dieser »Schemel« ist in Wirklichkeit das Bild für eine anonyme
»Führung« einer konzerndominierten Gesellschaft: einer den Forderungen
des Finanzkapitals verpflichtete Regierung, einer kapitalistischen
Wirtschaft und privater, nicht gewählter, aber umso besser finanzierter
Organisationen, die »unsere Werte« bestimmen. Man beachte, was fehlt:
ein kraftvolles politisches Leben, absolut unabhängige Medien und ein
Bildungssystem, das intellektuell wache und kritische Bürger
hervorbringt.
Hillary sagte, sie sei »sehr erfreut, verkünden zu können, dass wir
unsere finanzielle Unterstützung für Bemühungen, auf Gefährdungen der
Zivilgesellschaft zu antworten und verhafteten Menschenrechtlern,
bedrohten Aktivisten und zensierten Journalisten zu helfen, verdoppelt
haben. Wir haben einen internationalen Fonds eingerichtet, der staatlich
verfolgten NGOs rasche Hilfe wie Kommunikationsgeräte und rechtliche
Unterstützung bietet.«
Kurz, in ihrer Funktion als Außenministerin leitete HRC eine
Intensivierung der US-Einmischung in die inneren Angelegenheiten von
fünfzig Ländern ein. Schon zuvor, so Clinton, habe sie die Botschafter der
USA angewiesen, »sich um die Zivilgesellschaft zu kümmern, da sie der
Schlüssel unserer Diplomatie ist«. Sie ernannte drei hohe Beamte des
Außenministeriums zu Leitern von Arbeitsgruppen zu Führung und
50
Verantwortlichkeit, zu Demokratie und Menschenrechten sowie zur
Stärkung der Frauenrolle. Damit beschleunigte Hillary eine bereits
laufende Verlagerung der US-Diplomatie weg von der traditionellen
Praxis des Umgangs mit Regierungen und hin zum Handeln mit der
»Zivilgesellschaft« gegen Regierungen, die als ungeeignet betrachtet
werden, die genannten Themen zur Zufriedenheit Washingtons zu
behandeln.
Natürlich wären die USA selbst kaum begeistert, wenn andere Länder
der US-»Zivilgesellschaft« solche »Hilfe« anbieten und ihr sagen
würden, was zu tun ist – etwa im Hinblick auf die hohe
Kindersterblichkeit, die höchste Häftlingsrate der Welt, die Erschießung
unbewaffneter »Verdächtiger« durch die Polizei, die gewalttätigen
Drogengangs, die Korrumpierung des demokratischen Prozesses durch
gigantische Wahlkampfspenden oder auch so relativ milde Übel wie ein
Bildungssystem, das den meisten US-Amerikanern nicht einmal die
rudimentärsten Tatsachen über die Geschichte und Geografie einer Welt
beibringt, mit deren Umgestaltung ihre Regierung permanent beschäftigt
ist.
Das Konzept der »Zivilgesellschaft« ist natürlich dehnbar, aber eines
steht fest: Die Exponenten der Zivilgesellschaft handeln aus eigenem
Entschluss und sind nicht repräsentativ für andere. Oft ist es auch so, dass
die NED Gruppen, derer sie sich annimmt, zu »unterdrückten
Dissidenten« erklärt, die die wahre Demokratie vertreten. Der Fokus des
US-Außenministeriums auf die Zivilgesellschaft legt den Schluss nahe,
die echten Werte einer Gesellschaft würden nicht durch ihre Regierung
ausgedrückt, egal ob sie demokratisch gewählt wurde oder nicht, sondern
durch freiwillige, außerhalb des politischen Prozesses organisierte
Zusammenschlüsse. Indem die USA ihre Unterstützung für die
»Zivilgesellschaft« proklamieren, versuchen sie sehr offen, alle Formen
von Unzufriedenheit, wie es sie in Dutzenden von Ländern gibt, zu
kooptieren und sich als Vorkämpfer einer Lösung zu präsentieren. Das
Außenministerium ermutigt solche Gruppen, die USA hierbei um Hilfe zu
bitten, statt in ihrer eigenen Gesellschaft politisch für ihre Anliegen zu
arbeiten.
Hillary zählt auch darauf, dass die »Zivilgesellschaft« zur Prävention
von Völkermorden beiträgt, indem sie die Tendenzen dazu erkennt und
ihnen Widerstand leistet. Das ist eine merkwürdige und abwegige
Erwartung.
Die aktive »Zivilgesellschaft« wird von Minderheiten betrieben, die
relativ privilegiert sind. Ganz gleich wie aufrichtig sie sein mögen, man
51
kann
in
den
gebildeten,
westlich
orientierten,
in
Menschenrechtsorganisationen aktiven Minderheiten leicht die Keime
einer weltweit dominierenden Managerklasse in der globalisierten Welt
erkennen, die die USA zu schaffen und zu lenken trachten. Der
»Strategische Dialog mit der Zivilgesellschaft« ist eines unter anderen
Mitteln zur Festigung der ideologischen Hegemonie, die die USA seit
dem Zweiten Weltkrieg errungen hat. Auch wenn diese Ideologie aufgrund
der zahlreichen militärischen Aggressionen der USA auf wachsende
Skepsis und sogar Feindseligkeit stößt, steht ihr bisher keine kohärente
Alternative gegenüber. In einem Großteil der Welt übt die
»Amerikanisierung« auf bestimmte privilegierte Schichten immer noch
große Anziehungskraft aus.
Die Zivilgesellschaft ist eine Sache für Minoritäten, und daher ist die
Verteidigung ethnischer, religiöser oder sexueller Minderheiten ein
fruchtbares Feld für Bewegungen, die das Potential haben, die Basis der
Zentralregierungen zu schwächen. Aufgrund ihrer emotionalen Wirkung
können Identitätsbewegungen Regierungen destabilisieren, ohne an der
wachsenden Macht des Finanzkapitals über die wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Verhältnisse zu rühren -ganz im Gegensatz zu auf
konkreten wirtschaftlichen Forderungen basierenden Bewegungen. Die
Zivilgesellschaft ist ein fruchtbarer Boden für die Herausbildung
selbsternannter Eliten, die als Partner der US-gesteuerten Globalisierung
rekrutiert werden können.
Von der Gleichheit zur Vielfalt
In den letzten dreißig Jahren hat die westliche ökonomische Linke auf
beiden Seiten des Atlantiks eine vernichtende Niederlage erlitten. In
Großbritannien und den USA war diese Niederlage hausgemacht und
Resultat der Politik Thatchers und Reagans in den 1980er Jahren. Auf
dem europäischen Kontinent ist dafür vor allem die EU-Bürokratie
verantwortlich, deren Direktiven und Budgetregeln das »europäische
Sozialmodell«, in Vorbereitung auf die transatlantische Partnerschaft
TTIP, immer mehr zerstören. Die gewählten Politiker kollaborieren mit
diesem Prozess und täuschen Hilflosigkeit vor. Die »Arbeiterparteien
Europas kümmern sich nicht mehr um die Arbeiter und die
»sozialistischen« Parteien haben mit Sozialismus nicht das Geringste
mehr im Sinn. In den USA hat die Demokratische Partei den
52
Sozialreformismus des New Deal längst aufgegeben. Eine bestimmte
Sorte von »Linken« besteht zwar weiterhin und geriert sich als weitherzig
und progressiv, aber es ist nicht mehr die alte sozialdemokratische Linke,
die für Maßnahmen zur Förderung wirtschaftlicher Gleichheit eintrat.
Statt mit Gleichheit befasst sich die neue soziale Linke lieber mit Vielfalt
und dem »Recht auf Anderssein«.
Natürlich ist es so, dass Menschen verschieden sind. Es gibt keinen
Grund, das als ein »Recht« zu betrachten. Es ist einfach eine Tatsache. In
einer anständigen, gerechten und vernünftigen Gesellschaft wären die
Menschen einfach ganz selbstverständlich verschieden und niemand
würde darum großes Aufheben machen. Aber heute ist »Identität« zu
einer Hauptsorge geworden.
Die alte Spaltung zwischen rechts und links, zwischen konservativ und
progressiv (oder, in den USA, »liberal«) hat sich in vielerlei Hinsicht zu
einem historischen Kompromiss zwischen wirtschaftlichem Dogma und
sozialer Doktrin entwickelt. Das wirtschaftliche Dogma der Rechten ist
nicht konservativ in irgendeinem bedeutsamen Sinn. Es konserviert gar
nichts, sondern ist zerstörend für jede stabile Form von Existenz. Es
postuliert die Herrschaft der Märkte, womit natürlich die Finanzmärkte
gemeint sind. Aber selbst die politischen Parteien Europas, die sich als
»links«, »liberal«, »progressiv« oder gar »sozialistisch« bezeichnen,
haben ihre Programme inzwischen weitgehend auf die Forderungen der
»Märkte« abgestimmt, vorgeblich, um »Investitionen anzulocken und
Arbeitsplätze zu schaffen« (nur dass die Arbeitsplätze nicht realisiert
werden). Die bestehende Wirtschaftsordnung wird als logisch,
wissenschaftlich fundiert und unausweichlich betrachtet. Obwohl die
herrschende Wirtschaftslehre alles andere ist als eine exakte
Wissenschaft, wird so der Eindruck vermittelt, die gegenwärtige
Wirtschaftsordnung folge einem Naturgesetz.
Aber für die Linke gibt es einen Trostpreis, nämlich die ideologische
Hegemonie im emotionaleren Bereich der menschlichen Beziehungen,
besonders dem der »Menschenrechte«. Nach ihrer kompletten Niederlage
in der wirtschaftlichen Arena darf die Linke nun die dominante
gesellschaftliche Doktrin definieren, die auf den Konzepten
Multikulturalismus, Sorge um Minderheiten und Antirassismus basiert. In
den USA hält man die Bürger an, Regierungen anderer Länder fast
ausschließlich danach zu beurteilen, wie sie prowestliche Dissidenten
oder ausgewählte Minoritäten behandeln. Andere Vorzüge oder Mängel,
zum Beispiel im Hinblick auf die Bildung und die materielle Versorgung
der Bevölkerungen, sind nur von nebensächlichem Interesse. Die US53
Unterhaltungsindustrie schafft eine imaginäre Welt, die diese Doktrin
zelebriert und die Revolte im eigenen Land in künstlerische Sackgassen
bugsiert. Ein Großteil der Rap-Musik etwa stachelt junge
afroamerikanische Männer zur Auflehnung gegen die Autoritäten auf, aber
in der realen Welt muss ein junger Afroamerikaner sich nicht einmal
auflehnen, um zum Opfer tödlicher Polizeigewalt oder lebenslang ins
Gefängnis gesperrt zu werden.
Seit die westlichen Führer sich der Illusion verschrieben haben, die
Prosperität ihrer Länder auf Dienstleistungen statt auf materieller
Produktion aufzubauen, hat selbst die Linke die industrielle
Arbeiterklasse vergessen. In den 1970ern verloren viele radikale Linke
allmählich das Interesse an der Arbeiterklasse als »revolutionärem
Subjekt«, da sie nicht die sozialistische Revolution gemacht hatte, die
damals eine schwelgerische Massenillusion war. So verlagerte sich ihr
Fokus auf – zunächst als effektivere »Subjekte der Revolution«
angesehene – Identitätsgruppen wie Studenten, Frauen oder Schwule.
Daraus ist seitdem eine generelle Konzentration der Linken auf
»Identitätsgruppen« aller Art geworden.
Der Multikulturalismus sieht die Gesellschaft als Mosaik von
»Identitäten« statt von Klassen. Aber diese Klassen existieren dennoch
weiterhin. In den meisten westlichen Ländern und besonders in den USA
hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich enorm erweitert. Die
politische Macht ist mehr denn je ganz oben, bei den Ultrareichen, den
Großkonzernen und den Banken, konzentriert. Es gibt keine einzige
etablierte politische Kraft, die die Interessen der Unterschicht verteidigt
und versucht, der wachsenden Ungleichheit zwischen den Klassen
entgegenzuwirken. Die Occupy-Bewegung definierte die herrschende
Klasse als das oberste Prozent und behauptete, die restlichen 99 Prozent
zu repräsentieren. Sie wurde am Ende ins Abseits gedrängt. Die sozial
akzeptierte Linke dagegen ist in erster Linie um die Achtung von
Minderheiten, nicht um das Wohlergehen der Mehrheit besorgt.
Als die Clinton-Administration in den 1990er Jahren begann, das Erbe
des New Deal zu zerstören, entstand der Multikulturalismus als soziales
Ideal. Er ist im Wesentlichen eine Mischung aus europäischer Ideologie
und amerikanischer Realität.
Die politische Integration Europas hat sich in ein Musterbeispiel für
wirtschaftliche Globalisierung verwandelt. Aber sie hat als etwas
anderes begonnen: Sie wurde seinerzeit als endgültige Ablehnung von
Nationalismus und Krieg präsentiert und kam in erster Linie durch die
Versöhnung und Partnerschaft von Frankreich und Deutschland zustande –
54
Länder, die einander in etlichen Kriegen immer wieder zerstört hatten.
Dass die nationale Souveränität an europäische Institutionen übergeben
wurde, wurde als notwendiges Heilmittel gegen den Nationalismus
gerechtfertigt, den man für die Kriege verantwortlich machte, und so
wurde Westeuropa wie selbstverständlich zum Zentrum der
antinationalistischen Ideologie, die sich aus der Feier des
»Multikulturalismus« speiste.
Die Propagierung des Multikulturalismus hat viel mit der nicht enden
wollenden Fixierung des Westens auf das lange, von Hitler beherrschte
Jahrzehnt der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu tun. Es scheint, als seien
alle Werte für immer in den Jahren zwischen Hitlers Aufstieg zur Macht
1933 und seinem Fall 1945 verankert worden, und als müsse diese
Periode auf ewig für alles, was vor sich geht, der entscheidende
Referenzpunkt bleiben. Der Multikulturalismus ist der rechtschaffene Pol
eines säkularen Manichäismus. Der böse Pol gruppiert sich um den
ideologischen Kern des Nazismus: um Nationalismus, Rassismus und den
Ausschluss anderer. Unter dem Einfluss eines zunehmend religiösen
Gedenkens an den Holocaust, das die Tendenz hat, alle anderen Aspekte
des Zweiten Weltkriegs in den Hintergrund zu drängen, wird der
Antisemitismus der Nazis vor allem einem mehr oder weniger spontanen
»Hass auf alle, die anders sind« zugeschrieben. Das ist sehr fragwürdig,
da Hitlers Antisemitismus in erster Linie eine extreme, hysterische
Reaktion auf sehr spezifische Ereignisse war, nämlich Deutschlands
demütigende Niederlage im Ersten Weltkrieg und den Aufstieg des
Bolschewismus in Russland. Diese Folge von Ereignissen erlebte Hitler
als für Deutschland katastrophal. Aufgewachsen im Milieu des
politischen Antisemitismus Österreichs, schrieb er sie den feindlichen
Machenschaften des internationalen Judentums zu. Wenn man dafür sorgen
möchte, dass die Geschehnisse der Hitlerzeit sich nicht wiederholen, sind
Mahnreden wider den »Hass auf alle, die anders sind«, keine wirkliche
Hilfe. Sie sind vielmehr Ausdruck einer Angst vor Wirkungen, die die
Ursachen übersieht.
Schuldgefühle wegen der Behandlung der Juden während des Zweiten
Weltkriegs bilden den emotionalen Kern der westeuropäischen Tendenz,
jede nationale Mehrheit permanent zu verdächtigen, sie unterdrücke die
Minderheiten oder wolle dies zumindest tun. Und beinahe jeder
Machthaber über eine widerspenstige Minderheit kann in Verdacht
geraten, einen »Genozid« in Erwägung zu ziehen.15
Das neben Umweltthemen wie dem Widerstand gegen Gentechnik
praktisch einzige Thema, das in Europa zu einer aktiven Mobilisierung
55
der Linken führt, ist die Verteidigung illegaler Einwanderer. Für einige
kleine, ultralinke anarchistische Gruppen besteht das langfristige Ziel in
einer Welt ohne Grenzen, in der jeder frei ist, überall hin zu gehen und in
der die nationalen Grenzen ebenso wie die Nationalstaaten verschwunden
sind. Diese Gruppen betrachten sich selbst als radikal antikapitalistisch,
doch leider ist ihr Ideal identisch mit dem der kapitalistischen
Globalisierer, denen viel klarer ist, dass bei einem Wegfall der
Nationalstaaten die privaten Konzerne und Finanzinteressen den Rest der
Welt gänzlich ungehemmt beherrschen würden. Der Unterschied zwischen
den Anarchisten und den kapitalistischen Globalisierern liegt in der
Wahrnehmung der Kräfteverhältnisse, die von Ersteren ignoriert werden,
während Letztere sie aktiv gestalten.
Das multikulturelle Ideal der Globalisierung würde jedes Land in
einen Mix von Identitätsgruppen verwandeln, von denen jede sich über
die Grenzen hinweg erstrecken und mehr Loyalität zu sich selbst und
ihrem Umfeld empfinden würde als zu irgendeinem Staat. Dieser Zustand
wird nicht eintreten und wird nicht einmal bewusst geplant, entspricht
aber der inhärenten Logik etlicher kapitalistischer Strategien und vieler
anarchistischer Träume. Kurzfristig würde dies zur Untergrabung der
nationalen Loyalität durch verschiedene Gruppenloyalitäten und zur
Schwächung der Legitimität der Mehrheiten durch privilegierte
Aufmerksamkeit für Minderheiten führen. Kulminationspunkt wäre ein
Weltreich aus vielen geografisch zerstreuten Stämmen, das ein wenig wie
eine gigantische Kopie früherer Imperien wie der multiethnischen Reiche
der Habsburger oder der Osma-nen aussehen würde. In der Vergangenheit
hat sich gezeigt, dass ein solches Modell früher oder später zu Konflikten
zwischen den Gruppen führt, weil einige von ihnen die anderen einer
unfairen Dominanz beschuldigen oder die Bräuche und die Religionen zu
unterschiedlich sind. Dies führt dann zu Abspaltungsbewegungen, die sich
in separate Territorien absondern wollen. Doch der Kern des Ideals
besteht darin, die ganze Welt gleich zu machen, indem jedes Land in eine
Mischung von Unterschieden verwandelt wird.
Der Export der sexuellen Identitätspolitik
Während in den letzten Jahrzehnten die Mitgliedschaft in Gewerkschaften
und politischen Parteien dahingeschmolzen ist, sind Identitätsgruppen mit
jeweils einem einzigen Anliegen gewachsen und gediehen. Der
56
Multikulturalismus lenkt die Aufmerksamkeit von wirtschaftlicher und
rechtlicher Gleichheit auf psychologische Haltungen, die schwer zu
definieren und unmöglich zu kontrollieren sind.
Einige Aspekte der Propagierung des Multikulturalismus in anderen
Ländern durch die USA können als Export der US-Identitätspolitik
betrachtet werden. Das gilt besonders für Geschlechterfragen.
Die wichtigste neue Erscheinung war die Ausbreitung sexueller
Identitätsgruppen,
angefangen
mit
der
Bewegung
zur
»Schwulenbefreiung«. Ursprünglich strebte sie nach sozialen Reformen
zur Abschaffung der Diskriminierung und Kriminalisierung sexueller
Orientierungen. Das war für die westlichen Länder ein echter
zivilisatorischer Fortschritt, auch wenn es kein Schritt zu einer sozialen
Revolution war, wie es sich einige Aktivisten erhofft hatten.
Das Problem der Identitätsbewegungen ist: Was soll man tun, wenn
gleiche Rechte erst einmal erkämpft sind? Hier könnte es klug sein, die
Erfolge zu konsolidieren und dafür zu sorgen, dass es keine Rückschläge
gibt. Stattdessen hat der Erfolg der »Schwulenbefreiung« die Schaffung
neuer »Identitäten« begünstigt, die sich zu Interessengruppen organisieren
und beanspruchen, eine bestimmte Klientel zu vertreten, und die so nach
öffentlicher Anerkennung und politischem Einfluss streben.
Die heute politisch aktivste auf Genderfragen basierende Gruppe ist
unter dem Namen LGBT (für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender)
bekannt, was in manchen Kreisen noch durch ein Q für »Queer« ergänzt
wird. Aber es gibt weder LGBT-Individuen, noch gibt es eine »LGBTGemeinschaft«. Lesbische Frauen und schwule Männer bilden nur selten
eine einzige Gemeinschaft, was im Übrigen bei Heterosexuellen nicht
anders ist. Dafür gibt es innerhalb jeder sexuellen Orientierung schlicht
zu viele individuelle Variationen, und neben dieser Orientierung definiert
sich jede Person auch noch durch weitere soziale Aktivitäten und
Interessen (etwa beruflicher, politischer oder religiöser Natur), mit denen
sie sich identifiziert. Sehr wahrscheinlich haben Transsexuelle viele
besondere Probleme gemeinsam, aber diese sind sehr verschieden von
denen der Ls, Gs und Bs.
Dennoch gibt es Organisationen, die behaupten, die Interessen dieser
hypothetischen Gemeinschaft zu vertreten, und die als politische
Lobbygruppen auftreten. Sie haben sich etwa erfolgreich für die
Legalisierung der Schwulenehe eingesetzt, was in Frankreich eine neue
Kontroverse über deren Bedeutung für die Frage der Leihmutterschaft
ausgelöst hat. Ferner setzen sie sich für eine härtere Bestrafung von
sogenannten »Hass«-Verbrechen ein, was man jedoch als
57
Sonderbehandlung gegenüber Opfern betrachten kann, die aus einem
sonstigen Grund angegriffen wurden. Im zweiten Jahrzehnt des 21.
Jahrhunderts haben die Forderungen der LGBT-Lobby die der
organisierten Arbeiterbewegung als wichtigstes »progressives« oder
»linkes« Anliegen weitgehend ersetzt.
Da sie es nicht schaffen, etwas für die wirtschaftlichen Verlierer zu
tun, feiern progressive Kräfte die Neuerung, dass schwule Männer und
lesbische Frauen jetzt ebenso wie heterosexuelle Paare heiraten und sich
scheiden lassen dürfen, als gewaltigen gesellschaftlichen Fortschritt.
Dieser revolutionär daherkommende Konformismus bezieht seine
Glaubwürdigkeit aus der Empörung vieler Traditionalisten, die wiederum
nicht begreifen, dass diese »Fortschritte« mehr ein Nachäffen der
Tradition sind als eine echte soziale Innovation. Davor war die reale
soziale Neuerung das Zugeständnis, dass Paare ohne die Erlaubnis des
Staates oder der Kirche zusammenleben konnten. Was persönliche
Freiheit angeht, erscheint das Bestehen auf der Schwulenehe als ein
Schritt zurück gegenüber wirklich neuen Institutionen, die langjährigen
Paaren gleich welcher sexuellen Orientierung einschließlich adoptierter
Kinder soziale Sicherheit gewähren.16
Die Schwulenehe ist nicht unbedingt ein probater Exportartikel, am
wenigsten an Orten, wo die Ehe immer noch eher als Sache der Familie
denn als die der Einzelperson betrachtet wird und dazu dient, für die
Sicherheit und Identität der Kinder eines bestimmten Paares zu sorgen.
Die Schwulenehe spiegelt eine historisch sehr junge Sicht der Ehe als
»Happy End« einer Liebesgeschichte wider. Erst die Zeit wird zeigen, ob
die Schwulenehe ein universeller Fortschritt oder eine vorübergehende
Mode in westlichen Ländern ist, die bald neuen Institutionen und
Bräuchen Platz machen könnte.
Die Sexualität ist wohl der irritierendste Teil des menschlichen
evolutionären Erbes und so unumgehbar, so konträr zur Vernunft und so
emotional gefährlich, dass der Versuch, sie unter gesellschaftlicher
Kontrolle zu halten, nicht zuletzt in den monotheistischen Religionen die
Basis verschiedenster sozialer Bräuche und permanenter Obsessionen ist.
Sexuelle Bräuche sind nicht nur ein hochgradig sensibles, oft von Tabus
umgebenes Thema, sondern meist auch Gegenstand von Geheimnissen.
Erinnern wir uns daran, dass entweder die berühmte Anthropologin
Margaret Mead oder ihr wichtigster Kritiker, Derek Freeman, der ihren
Darstellungen in Kindheit und Jugend in Samoa17 widersprach,18 oder
alle beide von den Samoanerinnen, die ihnen von ihren Sexualpraktiken
als Teenager erzählt hatten, hinters Licht geführt wurden.
58
Homosexualität hat schon immer existiert, wird aber von Gesellschaft
zu Gesellschaft sehr unterschiedlich behandelt, und der tatsächliche
Umgang kann für Außenstehende sehr undurchsichtig sein. Wie viele
andere zitiert etwa Hillary Clinton den Ex-Präsidenten des Iran,
Mahmoud Ahmadinedschad, mit der Aussage: »Anders als in Ihrem Land
haben wir im Iran überhaupt keine Schwulen«19 – auf den ersten Blick
eine lächerliche Behauptung. Nicht erwähnt wird jedoch die damit
zusammenhängende Tatsache, dass der Iran weltweit führend bei
kostenlosen Operationen zur Geschlechtsumwandlung ist – was
wiederum, ob einem das gefällt oder nicht, die Antwort der Islamischen
Republik auf die Forderungen lokaler Aktivisten ist.20 In verschiedenen
muslimischen Gesellschaften wie bei den Paschtunen Afghanistans
wiederum findet sich als Gegenstück zum abgeschotteten Leben der
Frauen der Brauch erwachsener Männer, sich jugendliche »Liebhaber« zu
nehmen. Gesellschaften wie Saudi-Arabien, die Homosexuelle mit
Körperstrafen belegen oder sogar hinrichten, sind zutiefst heuchlerisch
und bösartig grausam. Wie solchen barbarischen Praktiken
entgegengetreten werden kann, ist eine komplexe Frage, die jedenfalls
nicht gelöst werden kann, indem man überall Schwulenparaden erzwingt.
Die Vereinigten Staaten, die ursprünglich für ihren repressiven
Puritanismus bekannt waren, haben sich erst sehr spät offiziell zur
sexuellen Befreiung bekannt, aber wie man weiß, gibt es keinen größeren
Eifer als den der Neubekehrten. In der Atmosphäre nach 1968 war der
Umgang mit sexueller Befreiung und vor allem mit Schwulenrechten in
den USA durch politischen Protest charakterisiert. Hinzu kamen
glitzernde Paraden und die Forderung an jedermann, sich zu »bekennen«.
Inzwischen haben sich die USA innerhalb kürzester Zeit zum Missionar
ihrer gerade erst entdeckten universellen sexuellen Werte entwickelt und
verlangen von anderen Ländern, denselben Umgang und dieselben
Formen einschließlich der Schwulenparaden zu übernehmen. Diese
Umgangsformen sind in westlichen Ländern wie Deutschland zu Hause –
aber sonst eben nicht überall.
Hillary Clinton ist besonders stolz auf ihre Rede vor dem
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen am 6. Dezember 2001,21 in der
sie auseinandersetzte, dass »LGBT-Rechte Menschenrechte sind«22, aber
die Verwendung dieser Abkürzung scheint unangebracht, wenn man sich
an die ganze Welt wendet. Es sollte auch in ganz normalem Englisch
möglich sein zu erklären, dass kein Mensch wegen seiner sexuellen
Orientierung grausam behandelt werden sollte.
59
Ende 2013, als die USA schon intensiv mit Plänen beschäftigt waren,
die Ukraine aus ihrer traditionellen wirtschaftlichen Partnerschaft mit
Russland herauszulösen und sie als Basis für eine antirussische Offensive
zu benutzen, war Russlands Präsident Wladimir Putin fast ausschließlich
mit seiner Rolle als Gastgeber der Olympischen Winterspiele in Sotschi
befasst. Die Teilnehmer der Spiele sprachen später mit Begeisterung
davon, doch die westlichen Medien konzentrierten sich vor und sogar
während der Spiele auf alles, was vielleicht kritikwürdig sein könnte,
besonders auf die angebliche Gefahr für schwule Athleten. Die
Weltmedien lieben normalerweise Sport, aber diesmal war das nicht der
Fall. Neben der akribischen Untersuchung von Hoteltoiletten betrieben
die Medien eine Angstkampagne, in der sie die Frage aufwarfen, ob es in
Sotschi zur Verhaftung von Schwulen kommen würde. Diese imaginäre
Gefahr trug zur wachsenden Dämonisierung des russischen Präsidenten
bei.
Die Anti-Putin-Kampagne konzentrierte sich auf einen Zusatz zum
russischen Kinderschutzgesetz, der im Juni 2013 mit überwältigender
Mehrheit von der Duma angenommen wurde und der die Propagierung
»nicht-traditioneller
sexueller
Beziehungen«
in
Gegenwart
Minderjähriger verbietet. Diese Maßnahme verbietet keineswegs die
Homosexualität,
verfolgte
aber
sehr
wohl
die
Absicht,
»Schwulenparaden« zu verhindern, die von vielen Russen als vom
Westen gesponserte Provokationen betrachtet werden. Das Gesetz beruht
auf der fragwürdigen Annahme, dass öffentlich zugängliche
Informationen, die gleichgeschlechtliche Beziehungen als normal
darstellen, Kinder auf sexuelle Abwege führen könnten. Indem es
Homosexualität implizit mit Pädophilie in Verbindung bringt, hat dieses
Gesetz, vor allem zu einer Zeit konservativer Gegenreaktionen nach dem
Fall des Kommunismus, einen negativen Einfluss auf Bemühungen zur
Überwindung der Vorurteile gegen Homosexuelle. Bürger im Westen, die
sich wirklich um dieses Problem sorgen, sollten sich darüber klar
werden, dass das Insistieren des Westens auf der Abhaltung von
Schwulenparaden in Russland zwar sicher nicht, wie von russischen
Kirchenführern behauptet, die Absicht verfolgt, »Kinder zu
korrumpieren«, aber dass es sehr wohl dazu dienen soll, Unruhe zu
erzeugen, und Putin und die russische Führung in Verlegenheit zu bringen.
Im heutigen Russland ist die christlich-orthodoxe Kirche nicht das
einzige Hindernis für eine tolerantere Haltung gegenüber Homosexualität.
Der auf das Ende der UdSSR folgende Zusammenbruch der russischen
Gesellschaft in den 1990ern war begleitet von einem dramatischen
60
Sinken der Bevölkerungszahl.23 Ein Aspekt der Bemühung Putins zur
Wiederbelebung der Nation ist der Versuch, eine Geburtenrate zu
erreichen, die Russlands demografischen Fortbestand ermöglicht. Die
Bemühungen feindseliger westlicher Mächte zur Förderung von
Homosexualität werden daher leicht als Versuche interpretiert, das
Überleben des Landes überhaupt in Frage zu stellen. Wer gute Absichten
verfolgt, sollte sich auch fragen, wie diese wahrgenommen werden.
Hinzu kommt, dass die internationale Kampagne für LGBT-Rechte von
Anfang an durch die Doppelmoral der USA vergiftet war. Wenn SaudiArabien Homosexuelle hinrichtet, bleibt der Protest zahnlos und ist nicht
von Boykott- oder Sanktionsdrohungen begleitet. Das steht in starkem
Kontrast zu dem Wutgeheul über die nichtexistenten Probleme für
Schwule in Sotschi.
Die unverfrorene politische Ausschlachtung des Themas für Angriffe
auf den russischen Präsidenten erzeugt in Russland – genau wie
beabsichtigt – Spannungen zwischen den Verteidigern der Tradition und
Kräften, die ihr Land ihrem Idealbild vom Westen angleichen wollen. Für
Erstere, die gegenwärtig wohl die Mehrheit bilden, bestätigt der ganze
Lärm den Eindruck, die westlichen Forderungen nach Schwulenparaden
seien Teil einer vielfältigen Kampagne zur Schwächung und
Niederringung Russlands, bei der es schlicht darum gehe, »Dekadenz« zu
verbreiten. Wenn der Westen sich ansonsten Russland gegenüber
freundlich verhielte, lägen die Dinge vielleicht anders. Aber im
gegenwärtigen Klima werden diese Predigten von vielen in Russland als
feindseliger Akt verstanden – und das sind sie auch.
Wie russische Aktivisten für Schwulenrechte Journalisten während der
Sotschi-Spiele erklärten, könnte ihr Anliegen unter der aggressiven
westlichen LGBT-Agitation tatsächlich leiden – denn so wurden vor
allem Verdächtigungen entfacht und Schwule mit einem aggressiven
Westen in Verbindung gebracht. Wenn es Washington wirklich um die
sexuellen Rechte in Russland ginge, wäre eine diskretere
Herangehensweise wesentlich hilfreicher. Indem man Schwule und
Lesben in die Frontlinie eines bedrohlichen »Konflikts der
Zivilisationen« rückt, leistet man ihnen, vorsichtig ausgedrückt, keinen
Dienst.
So ändern sich die Zeiten. Es ist fast komisch, daran zurückzudenken,
dass J. Edgar Hoover und Senator Joe McCarthy zu Beginn des Kalten
Krieges Homosexualität und Kommunismus gemeinsam als die
Hauptbedrohung Amerikas ausmachten. Doch während die USA seitdem
sexuell freier geworden sind, wurde Russland konservativer, christlicher
61
und puritanischer. Der Westen wetterte jahrzehntelang gegen den
»gottlosen Kommunismus« Russlands. Jetzt ist Russland ein Land, in dem
die christlich-orthodoxe Kirche nach dem Zusammenbruch des
Kommunismus erneut an Einfluss gewonnen hat. Nach den Demütigungen
und der Verwirrung der zehn Jelzin-Jahre wird diese Rückwendung zur
Religion von vielen als die Wiederherstellung von Würde und Moral
empfunden. Außenstehende, die aufrichtig zum Wohl der Schwulen in
Russland beitragen wollen, sollten das alles in Betracht ziehen und zu
dem feindseligen Gezeter der US-Propagandamaschine Abstand wahren.
Doch was Hillary Clinton angeht, scheint sie völlig überzeugt, der
Fortschritt der Welt hänge davon ab, dass die USA allen anderen sagen,
wie sie sich zu verhalten haben – vom Betstuhl bis ins Schlafzimmer.
Schwulenrechte – oder besser gesagt LGBT-Rechte – sind heute der
eine Bereich der Menschenrechte, in dem die USA beanspruchen können,
»vor« den meisten anderen Ländern der Welt zu liegen. Damit kann das
Thema genutzt werden, um andere Länder zu diskreditieren und in
Verlegenheit zu bringen – zu einer Zeit, in der die USA auf vielen anderen
Gebieten
wie
Kindersterblichkeit,
Einkommensungleichheit,
Lebenserwartung, Elementarschulbildung und industrielle Produktivität
immer weiter zurückfallen, aber dafür mit weitem Abstand die Nummer
eins in der absoluten und relativen Zahl ihrer Strafgefangenen sind. Und
das ist sicherlich ein wichtigeres Kriterium für »Menschenrechte« als die
Schwulenehe.
Machtgewinn durch Religion
Westlich des Atlantiks ist Multikulturalismus schlicht ein Begriff für die
naturwüchsige Zusammensetzung einer Einwanderungsgesellschaft wie
die der Vereinigten Staaten oder Kanadas. Aus Sicht der USA jedoch
bedeutet die Propagierung des Multikulturalismus auch Reklame für eine
Form von weltweiter Amerikanisierung. Die USA können sehr gut mit
einer Mischung von Religionen leben, weil die offizielle Religion der
Vereinigten Staaten die Vereinigten Staaten selbst sind. In den Schulen
des Landes wird »Amerika«, die »eine Nation unter Gott«, jeden Tag mit
ultrakonformistischen Hommagen an Flagge und Streitkräfte gefeiert –
was in Europa als unheilvoll nationalistisch betrachtet würde. Hillary
Clinton hat übrigens ihre Loyalität gegenüber dieser Staatsreligion
demonstriert, indem sie als Mitsponsorin einer Gesetzesvorlage fungierte,
62
die die Verbrennung der US-Flagge zu einem Bundesverbrechen gemacht
hätte. In Einwanderungsgesellschaften ist »Multikulturalismus« keine
Gefahr für den Zusammenhalt des Landes: Die Vereinigung verschiedener
Identitäten ist sogar grundsätzlicher Teil seiner Identität. Für US-Bürger
kann das Wort »multikulturell« kaum mehr bedeuten als die freie Wahl
zwischen Pizza, Burritos oder Sushi, bevor sich alle um die Flagge
scharen.
In den USA ist Religion im Wesentlichen Geschmackssache. Jede
Religion ist in Ordnung, weil Religion an sich als etwas Gutes gilt. Das
Land hat ein pragmatisches Verhältnis zur Religion, das sich in über
zweihundert Jahren bewährt hat. Aber das ist nicht notwendigerweise auf
die ganze Welt übertragbar, besonders nicht auf Orte, wo der Glaube
bestimmte Formen des Verhaltens verlangt, die stark das Alltagsleben
bestimmen.
Tatsächlich ist Religion in den USA sehr weitgehend etwas
Praktisches und außerdem, wie der eigene Stil, ein Faktor der
persönlichen Identität. Während theologische Begriffe eher vage bleiben,
bringen Amerikaner gern religiösen Glauben mit Moral in Verbindung und
sind der Meinung, Menschen, denen das Konzept der göttlichen
Bestrafung fehlt, könnten auch kein Gewissen haben. Es scheint in der
Bevölkerung keine echte Anerkennung einer rationalen, sozialen oder
angeborenen Grundlage für Gewissen und Moral zu geben. Das führt
dazu, dass Leute – darunter besonders solche mit politischen Ambitionen,
die andere von ihrem moralischen Charakter überzeugen wollen – ihren
religiösen Glauben gern zur Schau stellen. Es kommt nur darauf an,
überhaupt religiös zu sein, und dafür ist jede Religion recht. Dabei
verhindert die Trennung zwischen Staat und diversen Einzelkirchen
keineswegs die wachsende Symbiose zwischen Staat und einer Art von
»Einheitsreligiosität«.
Hillary Clinton hat eine typisch amerikanische Haltung zur Religion.
Als Methodistin aufgewachsen, sagt sie, sie beziehe immer noch
Inspiration aus der Bibel – aber offensichtlich nicht aus folgender
Passage aus dem Matthäus-Evangelium:
»Und wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die da gerne stehen
und beten in den Schulen und an den Ecken auf den Gassen, auf dass sie von
den Leuten gesehen werden. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn
dahin. Wenn aber du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu
und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der in das
Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich.«24
63
Seit 1993 pflegt Hillary die Gewohnheit regelmäßiger öffentlicher
Betstunden, sei es in Gruppen zum Bibelstudium, beim hochkarätigen
jährlichen Washingtoner Gebetsfrühstück oder beim wöchentlichen
Gebetsfrühstück im Senat. Man scheint in Washington vergessen zu haben,
dass ostentatives Beten in weiseren Zeiten als unseren immer als etwas
betrachtet wurde, das in der Politik nichts zu suchen hat – und zwar aus
dem simplen Grund, dass nichts leichter vorzutäuschen ist als
Frömmigkeit oder eine spezielle Beziehung zum Allmächtigen. Solche Art
Beten wurde früher allgemein als offensichtlichstes Zeichen für
Heuchelei angesehen.
Bei den Gebetsveranstaltungen in Washington geht es vor allem um
Macht. Sie werden von einem konservativen Netzwerk veranstaltet, das
sich »Gemeinschaft« oder »Familie« nennt und an dessen Spitze der
höchst überkonfessionelle, 1928 geborene Presbyterianer-Priester
Douglas
Coe
steht.
Seine
Mission
besteht
darin,
Führungspersönlichkeiten aus der ganzen Welt in einer Art Gemeinschaft
der Führer zusammenzubringen, in der sie das Privileg, »von Gott« für
eine Führungsrolle erwählt worden zu sein, miteinander teilen und Gott
um Rat bitten, wie sie diese Rolle ausfüllen sollen. Hillary beschrieb
Coe als »eine einzigartige Gestalt in Washington: einen wahrhaft
liebevollen spirituellen Mentor und Wegweiser für jedermann ungeachtet
von Partei oder Glauben, der seine Beziehung zu Gott vertiefen
möchte«25. Aber leider kann beim Nationalen Gebetsfrühstück nicht jeder
dabei sein; die Teilnahme kostet über vierhundert Dollar und die Gäste
werden sorgfältig auswählt. Das Ziel ist nichts Geringeres als die
Gemeinschaft der Mächtigen, die zusammenarbeiten, um »Gottes Werk zu
tun« – was immer das sein mag. Dabei ist die Verteidigung dieser Macht
natürlich erste Priorität, um die guten Werke überhaupt erst möglich zu
machen. Oder wie Doug Coe sagt: »Wir arbeiten mit der Macht, wo wir
können, und bauen neue Macht auf, wo das nicht möglich ist.«26
Hillarys Religion baut auf ihrem früheren Studium der konservativen
Schriften Reinhold Niebuhrs und Paul Tillichs während des Kalten
Kriegs auf und ist ein extrem utilitaristischer Glaube, der dem eigenen
Machtgewinn dient und kaum sozialen Gehalt hat. Das Werk für die
Gemeinschaft ist ein erklärtes Ziel, dient aber vor allem zur Sicherung
der eigenen Erlösung, da in dieser unvollkommenen Welt nun einmal
wenig Hoffnung besteht, etwas zu erreichen. Wie sich der Pastor ihrer
Methodistenkirche in Arkansas erinnert, ist Hillary überzeugt, sie sei
»vom Herrn berufen, wo immer er es will, der Öffentlichkeit zu
dienen«.27 Es ist durchaus möglich, dass sie glaubt, zur Präsidentin
64
auserwählt zu sein.
Hillarys unübersehbare Religiosität hat die ursprüngliche
Feindseligkeit der konservativsten rechten Republikaner ihr gegenüber
gedämpft. Sie schloss sich dem fromm-katholischen Senator Rick Santorum an, als er vergeblich die Wiedereinführung des »Workforce
Religious Freedom Act«28 vorschlug, das von zahlreichen religiösen
Gruppen unterstützt, aber von der Amerikanischen Bürgerrechtsunion
ACLU abgelehnt wurde. Dieses Gesetz hätte es Arbeitnehmern
paradoxerweise erleichtert, die Mitarbeit bei gesetzlich erlaubten
Maßnahmen wie etwa Abtreibung oder dem Verkauf von
Verhütungsmitteln zu verweigern, sofern diese gegen ihre Überzeugungen
verstoßen.
Solch eine Religiosität, die kaum eine kohärente Theologie oder einem
intellektuellen Gehalt hat, reduziert sich weitgehend auf
Selbstermächtigung und ist zudem oft mit konservativen Haltungen zu
Sexualität und Reproduktionsfragen gepaart. Die Gebetsfrühstücke sind
die Religion einer unter sich bleibenden Machtelite – von Personen, die
durch ihren persönlichen Ehrgeiz dahin gelangten, wo sie sind, aber
lieber Gott dafür verantwortlich machen.
Auch viele US-Politiker, die nicht an Doug Coes Gebetsfrühstücken
teilnehmen, benutzen die Religion auf ähnliche Art: für den Gewinn an
nationaler Macht. Die öffentlichen Gebete der Präsidenten und die
Bezugnahme auf »unsere Werte« heben die Heuchelei persönlicher
Bigotterie auf eine nationale und sogar internationale Ebene. Die Parole
»Gott mit uns« im Ersten Weltkrieg bezog sich auf den christlichen Gott
des deutschen Volkes, aber »Wir vertrauen auf Gott« hat absolut
ökumenischen Charakter und ist genau wie der Dollar für alle da.
Unter Fremdeinfluss
Das ständige Denken in Begriffen ethnischer Identitäten und religiöser
Gruppen wird oft als Zeichen von Toleranz in einer multikulturellen Welt
betrachtet. In Wirklichkeit hat es jedoch das entgegengesetzte Resultat und
schürt Konflikte, weil es unvermeidlich dazu tendiert, statt gemeinsamer
Werte und Ziele die Unterschiede hervorzuheben.
Als die Clintons mit den ersten Vorstößen zum Neuarrangement der
Gebiete des ehemaligen Osmanischen Reiches auf dem Balkan und im
Nahen Osten begannen, hatten sie – religiös interessiert, wie sie es waren
65
– ihren Augenblick der Faszination durch den Islam. Sie ergriffen in
Bosnien ja auch die Partei der Muslime gegen die christlichen Serben und
im Nahen Osten die der (wie sie glauben) »moderaten« Muslime gegen
»Diktatoren« wie Saddam Hussein. Dieses neue Engagement in einem
ihnen unbekannten Teil der Welt ermutigte Hillary vermutlich, eine
besonders enge Beziehung zu einer glamourösen jungen Muslimin namens
Huma Abedin zu entwickeln.
Huma wurde 1976 in Michigan geboren, aber ihre Familie
übersiedelte schon zwei Jahre später nach Saudi-Arabien, wo ihr
pakistanischer Vater Zyed Abedin von der Muslimischen Weltliga (MWL)
angestellt worden war, um für das Institut für Angelegenheiten
Muslimischer Minderheiten (IMMA) zu arbeiten. Das Institut war
Bestandteil der saudischen Außenpolitik und hatte die Aufgabe,
muslimische Minderheiten in nicht-muslimischen Ländern zu unterstützen
und zu beeinflussen. Nach Zyeds Tod 1993 übernahm Humas Mutter
Saleha Mahmood Abedin Führung und Zeitschrift des IMMA sowie
wichtige Positionen in der MWL und im Internationalen Islamischen
Komitee für Frau und Kind. Sie gründete die muslimische
Schwesternschaft, eine Organisation, zu der auch die Frauen wichtiger
muslimischer Führer wie die Gattin des 2013 abgesetzten ägyptischen
Präsidenten Mohammed Mursi gehörten. Die ganze Familie war an der
Arbeit für IMMA beteiligt, und so auch Huma. Kurz, ihre Familie war
prominent in internationalen islamischen Angelegenheiten.
1994 kehrte Huma im Alter von achtzehn Jahren in die USA zurück,
um an der George Washington University in der Hauptstadt zu studieren,
und zwei Jahre später begann sie mit ihrer Arbeit als Praktikantin im
Weißen Haus unter Clinton. Hillary adoptierte sie bald als engste
Assistentin und Expertin für nahöstliche und muslimische
Angelegenheiten. Die öffentlichen Äußerungen Hillarys machen klar, dass
sie von Huma begeistert war: von ihrer Kompetenz, ihrer Selbstsicherheit
und natürlich ihrer intimen Kenntnis einer Welt, die für Hillary Rodham
Clinton exotische und sogar romantische Züge trug. In ihren schicken
Designerkostümen wurde die aparte Huma in den nächsten fünfzehn
Jahren zu einem höchst augenfälligen Bestandteil der Hillary-ReiseShow. Die beiden Frauen standen einander so nah, dass einige
europäische Zeitungen sogar über die Art ihrer persönlichen Beziehung
spekulierten. Wirklich interessant ist jedoch, dass Huma Hillarys Sicht
auf den Islam und den Nahen Osten unzweifelhaft stark beeinflusst hat.
Die Unterstützung Washingtons für die muslimischen Parteien im
jugoslawischen Bürgerkrieg hat so auch eine persönliche Note
66
bekommen. Sowohl der Nahe Osten als auch die politischen
Interessengeflechte unter Muslimen sind hochgradig komplex, und es kann
kaum ein Zweifel bestehen, dass ein derartiges Vertrauen in eine einzelne,
anziehende junge Frau Huma Abedin unvermeidlich in eine »Frau mit
Einfluss« verwandelte, auch wenn dies letztlich durch Zufall so
gekommen ist.
Angesichts des intensiven Engagements der Abedin-Familie für das
IMMA ist es nicht überraschend, dass Hillary als eine ihrer ersten
Amtshandlungen als US-Außenministerin das »Amt des US-Botschafters
bei den Muslimische Gemeinschaften« einrichtete. Dieser Schritt wurde
vermutlich durch das IMMA angeregt, dessen Rolle ja in der Erhaltung
des Islams in den Diaspora-Gemeinden der nicht-muslimischen Länder
besteht, während der US-Repräsentant auch das Ziel verfolgt, Brücken
zwischen diesen Gemeinschaften und den Vereinigten Staaten zu bauen.
Am 15. September 2009 vereidigte Hillary die erste Amtsträgerin, eine
attraktive junge Frau und Freundin Humas namens Farah Pandith. Bei der
Vereidigungszeremonie erläuterte Hillary, die Repräsentantin werde
runde Tische mit Muslimen in Europa organisieren, die »pluralistischen
Werte« der USA verbreiten und auf Basis dessen, was wir »als Menschen
des Glaubens« gemeinsam haben, »starke Partnerschaften« mit
muslimischen Gemeinschaften rund um die Welt aufbauen.29 Das scheint
in Einklang mit diversen US-Initiativen zu stehen, »junge Führer« in
anderen Ländern ausfindig zu machen und zu fördern – in diesem Fall
junge Muslime in Europa.
Was immer ihre sonstigen Fehler sein mögen, so kümmern sich
ernsthafte Weltmächte doch in der Regel genügend um ihre nationalen
Interessen, um dafür zu sorgen, dass eigene Experten darin ausgebildet
werden, andere Teile der Welt zu verstehen und erklären. Als ein Land
von Einwanderern beherbergen die USA militante Auslandsgemeinden,
die solche Experten (wenn sie denn existieren) verdrängen und die
Außenpolitik beeinflussen können, indem sie sich an Kongressmitglieder
wenden. Die Israel-Lobby ist das extremste, aber nicht das einzige
Beispiel für den Einfluss einer fremden Nation auf den Kongress.
Ebenfalls berüchtigt ist die »kubanische« Lobby. Doch im Fall von wenig
vertrauten Gebieten oder Ländern gelingt es manchmal schon einer
Handvoll Personen, den größten Teil des Kongresses auf die eigene Seite
zu ziehen, da die Abgeordneten meist zu beschäftigt mit innenpolitischen
Themen sind, um mehr als eine völlig oberflächliche Vorstellung von
internationalen Fragen zu haben.
Natürlich hat Hillary Clinton – unterstützt von Senator McCain –
67
sämtliche Mutmaßungen, Huma Abedin könne eine ins Weiße Haus
geschleuste saudische Agentin sein, scharf zurückgewiesen.30 Aber selbst
wenn die Verdächtigungen völlig unbegründet sein sollten, ist es unseriös
für eine Außenministerin, sich in ihrer Interpretation des Nahen Ostens so
stark auf eine junge Frau mit diesem Hintergrund zu verlassen.
Doch zu einer Zeit, als die USA die Unterstützung der Muslime in
Bosnien und im Kosovo aus diversen Gründen als geostrategisch nützlich
betrachteten, war eine sentimentale Neigung zum Islam ein möglicher
Weg, »Interessen und Ideale« zu vereinen. Mit Huma an ihrer Seite konnte
Hillary die Illusion verbreiten, Washingtons promuslimische Politik im
Balkan baue tatsächlich eine echte Freundschaft zwischen den USA und
der islamischen Welt auf.
Im Juli 2010 heiratete Huma Abedin einen linksliberalen Kollegen
Hillary Rodham Clintons, den Brooklyner Demokraten Anthony Weiner.
Weiner legte in seiner Parlamentskarriere einen Schnellstart hin, als er im
Vorwahlkampf der Demokraten seinen stark jüdisch geprägten Bezirk
anonym mit Flugblättern bepflasterte, in denen er seine Gegner mit den
führenden schwarzen Politikern Jesse Jackson und David Dinkins
(damals Bürgermeister von New York) in Verbindung brachte.31 Zum
Zeitpunkt seiner Hochzeit mit Huma schien Weiner eine aussichtsreiche
Zukunft als möglicher neuer Bürgermeister New Yorks vor sich zu haben.
Allerdings ging seine Karriere dann durch Enthüllungen über
exhibitionistische Eskapaden auf Twitter zu Bruch.32
Weiner war immer ein glühender Anhänger Israels. Er unterstützte die
Invasion des Irak 2003 und im Mai 2006 versuchte er, der
palästinensischen Delegation den Zugang zu den Vereinten Nationen zu
verwehren, indem er erklärte, sie »sollten schon mal anfangen, ihre
kleinen palästinensischen Terroristenkoffer zu packen«33. Er bezichtigte
selbst die pro-israelische New York Times der Voreingenommenheit gegen
den jüdischen Staat. Nach den Angriffen auf die Twin Towers vom 11.
September 2001 stellte sich Weiner an die Spitze von Bemühungen im
Kongress, die US-Waffenverkäufe an Saudi-Arabien zu beenden. Er
beschuldigte das Land, eine »Geschichte der Finanzierung des
Terrorismus« zu haben und Kinder den Hass auf Christen und Juden zu
lehren.34
So mag es paradox erscheinen, dass Huma Abedin mit ihrem explizit
saudischen und muslimischen Hintergrund ausgerechnet einen
zionistischen Juden wie Weiner heiratete. Und doch verkörpert ihre
überraschende interkonfessionelle Ehe ein Kernmerkmal der clinton68
schen Außenpolitik: eine faktische Allianz zwischen Saudi-Arabien und
Israel. Dieses Bündnis mag, ebenso wie die Abedin-Weiner-Ehe, seltsam
und gewagt erscheinen, ist aber inzwischen ein wichtiger Faktor in der
Weltpolitik. In beiden Allianzen gibt es sicher vieles, von dem die
Öffentlichkeit nichts weiß.
Auslandsgemeinden und ihre Unzufriedenheit
Als relativ junge Nationen, die durch Masseneinwanderung entstanden
sind, sind die USA (und Kanada) schon ihrem Wesen nach multikulturell,
und zwar auf eine Art, die im größten Teil der restlichen Welt nicht
funktionieren würde. Die Vereinigten Staaten haben durch die Kraft ihrer
sehr stark ausgeprägten und vereinenden Nationalideologie unzählige
Menschen aus verschiedenen Kulturen absorbiert. Als Einwandererland
sagen sie sich selbst, sie seien eine Ausnahme, weil so viele Menschen
sie zum Ziel gewählt haben, was sie für die ganze Welt zum absoluten
»Land der Wahl« mache. Als solches müssen sie verkörpern, was die
Menschen wirklich wollen – es macht sie zum Modell, dem andere folgen
sollten.
Diese tiefsitzende Überzeugung hat manchmal böse Auswirkungen auf
die Außenpolitik des Landes. So waren wohlhabende und einflussreiche
Exilanten oft imstande, Politikern in Washington einzureden, die
Menschen in ihren Heimatländern sehnten sich nach Amerikanisierung
und bräuchten nur einen Anstoß des Pentagons, um die Exilanten an die
Spitze einer wunderbar perfekten Demokratie zu stellen. Daneben wird
auch noch die Rekrutierung sogenannter Vertreter der Zivilgesellschaft
betrieben, die nicht nur zur Beeinflussung anderer Länder, sondern auch
der US-amerikanischen Öffentlichkeit benutzt werden können. Das ist
besonders im Nahen Osten der Fall gewesen, wo die Hauptbefürworter
der US-Kriege immer wieder Einheimische in ihre Dienst nehmen, um
Feindseligkeiten gegen deren Heimatländer zu rechtfertigen. Die USUnterstützung der Rebellen in Syrien etwa begann keineswegs erst mit
den Unruhen des »Arabischen Frühlings« Anfang 2011. Schon im Februar
2006 verkündete die Bush-Administration, sie werde fünf Millionen
Dollar in Form von Zuschüssen bewilligen, um »das Werk der Reformer
in Syrien zu beschleunigen«. Offenbar zum Zweck, an dieses Geld
heranzukommen, gründete daraufhin eine Gruppe syrischer Exilanten in
Europa die »Bewegung für Gerechtigkeit und Demokratie«, die in – von
69
WikiLeaks veröffentlichten – diplomatischen Telegrammen der USA als
»liberale, moderate Islamisten« beschrieben werden, in Wirklichkeit aber
ehemalige Mitglieder der Muslimbruderschaft waren.35 Viele weitere
solcher Dissidenten im Exil wurden durch eine Reihe verschiedener
Kanäle gefördert und oft dazu benutzt, wohlmeinende Gruppen in den
USA davon zu überzeugen, dass »die Menschen in ihren Heimatländern«
eine US-Intervention gegen ihren »Diktator« und zu ihrer Unterstützung
wünschten.
Vielleicht der berüchtigtste dieser sehr erfolgreichen internationalen
Betrüger war lange Zeit der im November 2015 verstorbene Iraker
Ahmed Chalabi, ein schiitischer Exilant, der sich im Vorfeld der Invasion
des Irak 2003 mit führenden US-amerikanischen Neocons anfreundete.
Mit seinen Berichten überzeugte er das Pentagon, das Außenministerium,
den Kongress und die New York Times davon, Saddam Hussein besitze
Massenvernichtungswaffen und unterhalte Verbindungen zu al-Qaida.
Chalabi betrieb einen profitablen Handel mit dem Verkauf der Fantasien
irakischer Exilanten und stellte den Kontakt zwischen dem berüchtigten
»Erfinder« irakischer Massenvernichtungswaffen namens »Curveball«
und einem dankbaren und großzügigen Pentagon her. Nachdem die USA
seinem Rat zur Intervention gefolgt waren, erhielt Chalabi die Befugnis,
sämtliche Sunniten aus dem eroberten irakischen Staatsapparat zu
entfernen – mit Folgen, die bis heute andauern. Auf den Knochen von
Hunderttausenden von Toten hat Chalabi bis zum letzten Moment Geld
verdient und sich erhofft, die verbliebenen schiitischen Trümmerstücke
des Irak zum eigenen Nutzen aufzusammeln. Die französischen
Nachrichtendienste waren der Ansicht, Chalabi sei ein iranischer Agent,
aber in Washington liebte man ihn.36
Es ist einfach so, dass die Politiker in Washington nicht sehr gewitzt
darin sind, die wirklichen Absichten schlauer Exilanten aus exotischen
Regionen zu durchschauen. Das sollte ein Grund sein, mit
außenpolitischen Abenteuern vorsichtig zu sein, aber diese Lektion wird
offensichtlich ignoriert.
Solche Diaspora-Lobbys können Kongressmitglieder, die wenig über
die Welt außerhalb der USA wissen, noch wirksamer beeinflussen, wenn
sie ihre Geschichten durch großzügige Wahlkampfspenden ergänzen.
Selbst einer eher unbedeutenden Diaspora wie der der Albaner gelang es,
sich Unterstützung im Kongress zu verschaffen, indem sie Einfluss auf
einen einzelnen wichtigen Abgeordneten gewann. In den 1980ern
entdeckte der republikanische Ex-Kongressabgeordnete Joe DioGuardi
seine albanischen Wurzeln wieder und gründete ein pro-albanische
70
Lobby, die Wahlkampfspenden für den republikanischen Senator und
Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei im Jahr 1996,
Bob Dole, sammelte. Nachdem er von Mira Baratta, Enkelin eines
Mitglieds der faschistischen kroatischen Ustascha-Bewegung und
Mitglied seines Mitarbeiterstabs, über die Geschichte des Balkans
aufgeklärt worden war, erklärte Dole 1993, die Serben seien
»ungebildete Perverse, Kindermörder und Vergewaltiger«, die alle »in
Konzentrationslager nach Art der Nazis gesteckt werden soll-ten«.37
(Tatsächlich hatten die kroatischen Ustaschen während des Zweiten
Weltkriegs genau das getan.) Sein demokratischer Kollege Joe Biden
teilte diese Art von »Identitätspolitik« im Umgang mit dem Balkan, die
die Welt in »unsere Freunde« und eine Spezies von Untermenschen
aufspaltet. US-Bürger serbischer Herkunft hatten nie eine derart effektiv
organisierte Lobby und gaben sich stattdessen der naiven Erwartung hin,
in den USA erinnere man sich daran, dass 1944 Hunderte von US-Piloten,
die über dem Nazi-besetzten Serbien abgeschossen wurden, vom
antifaschistischen serbischen Widerstand gerettet worden waren. Im
Gegensatz dazu waren es gerade diejenigen jugoslawischen nationalen
Gruppen, die Verbündete der Nazis gewesen waren, die sich nun begierig
als die besten Freunde der USA präsentierten.
Die wohlhabende Israel-Lobby hat es inzwischen durch Einladungen
zu kostenlosen Inklusivreisen nach Israel und Wahlkampfspenden
(begleitet von der stillschweigenden Drohung einer großzügigen
Finanzierung des jeweiligen Gegners, falls man aus der Reihe tanzt)
geschafft, praktisch den gesamten Kongress zu kaufen. Aber im Lauf der
Jahre haben auch die chinesischen Nationalisten, die KubaLobby, ExilIraker, Exil-Iraner und jetzt die Lobby der Ukrainer ihre großen
Augenblicke gehabt. Die antirussische ukrainische Diaspora mit ihren
semi-nazistischen Wurzeln hat seit Beginn des Kalten Krieges immer
beträchtlichen Einfluss in Washington gehabt. Immigranten und Exilierte,
die die Macht der USA nutzen wollen, um den Kurs ihrer Herkunftsländer
zu beeinflussen, können zu diesem Projekt beitragen, indem sie in den
USA Stimmung gegen Führer machen, die sie gerne stürzen wollen.
Umgekehrt können sie genutzt werden, wenn Washington missliebige
Regierungen durch willfährige Regimes ersetzen möchte.
Eine weitere Art, das Potential der Exilanten außenpolitisch zu nutzen,
wurde gegen Ende des Kalten Krieges von dem ehemaligen USBotschafter und führenden Politiker Morton Abramowitz entwickelt, der
1991 bis 1997 Präsident der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden
war. Angesichts eines drastischen Mangels an »Bedrohungen« fand
71
Abramowitz eine neue Rechtfertigung für eine aktive Außenpolitik, die
auf der Förderung nicht nur der US-Interessen, sondern auch der
US-»Ideale« basierte.
»Amerikanische Ideale und amerikanisches Eigeninteresse
verschmelzen miteinander, wenn die Vereinigten Staaten die weltweite
Ausbreitung der Demokratie unterstützen – oder dessen, was wir lieber
>beschränkte< verfassungsmäßige Demokratie nennen, also die
Herrschaft einer Regierung, die durch freie Wahlen legitimiert wurde«,
war die Schlussfolgerung einer von Abramowitz geleiteten Studie, die in
einer Publikation der Stiftung von 1992 mit dem Titel Self-Determination
in the New World Order zusammengefasst wurde.38
Die Autoren dieser Studie machen keinen Hehl daraus, dass die »neue
Weltordnung« von nun an »eine Welt mit nur einer Supermacht, den
Vereinigten Staaten« sein werde, »in der die Herrschaft des Gesetzes an
die Stelle des Gesetzes des Dschungels tritt, Streitigkeiten friedlich
geregelt werden, Aggressionen fest durch kollektiven Widerstand
zurückgewiesen werden und jedermann gerecht behandelt wird«. Dabei
darf diese künftige »Herrschaft des Gesetzes« nicht mit dem heutigen
internationalen Recht verwechselt werden. Stattdessen wird sie unter
dem Einfluss der USA entwickelt werden. »Das internationale Recht
wird – wie auch schon früher immer – auf das Verhalten der Nationen und
das Handeln multilateraler Institutionen reagieren und sich ihnen
anpassen.« Ein Hauptmerkmal dieser »neuen Weltordnung« wird die
Schwächung, ja sogar Zerstörung, der nationalen Souveränität sein, die
bisher die Basis des Völkerrechts darstellte. Die Souveränität der
einzigen Supermacht kann nicht ernsthaft in Frage gestellt werden, doch
für andere Nationen könnte dieses Konzept veraltet sein.
Die souveräne Nation wird von außen, durch den Druck der
wirtschaftlichen Globalisierung zerstört. Aber sie kann auch von innen,
durch Aufstände im Land selbst, untergraben werden. In der Welt nach
dem Kalten Krieg, so die Carnegie-Studie, »fordern innerstaatliche
Gruppen im Namen der Selbstbestimmung Unabhängigkeit, mehr
Autonomie oder den Sturz der bestehenden Regierung«. Im Hinblick auf
diese Konflikte »fordern die amerikanischen Interessen und Ideale eine
aktivere Rolle«. Dies kann bis hin zu einer Militärintervention gehen,
wenn Forderungen nach Selbstbestimmung oder die Unterdrückung
solcher Forderungen zu einer »humanitären Krise« führen. In Zukunft, so
die Autoren schon 1992, »werden humanitäre Interventionen immer
unvermeidlicher werden«. Die USA werden das letzte Wort dabei haben,
wo und wie interveniert wird: »Die Vereinigten Staaten sollten
72
versuchen, in regionalen und internationalen Organisationen einen
Konsens für ihre Position zu erreichen, aber nicht die eigenen Urteile und
Prinzipien opfern, wenn sich solcher Konsens nicht erzielen lässt.«
Kurz: Wir sind offen für eine Koalition der Willigen – derer, die
willig sind, uns zu folgen.
So wurde das Konzept der »humanitären Intervention« vom
Abramowitz-Team entwickelt, nur kurz bevor es in Jugoslawien dann in
die Praxis umgesetzt wurde. Und die, die zur Praxis schritten, waren
Mitglieder ebenjenes Teams. Selten hat die Realität die Fiktion so rasch
imitiert. Unter den Abramowitz-Schülern, die die USA und die NATO in
Jugoslawien in den Krieg führten, waren Richard Holbrooke, Madeleine
Albright, der Sonderbotschafter für Kriegsverbrechen David Scheffer,
der Planungsdirektor des US-Außenministeriums Mor-ton Halperin sowie
der außenpolitische Experte von Vizepräsident Al Gore, Leon Fuerth, der
später mit der Durchführung der Sanktionen gegen Serbien beauftragt
wurde.
Es scheint fast so, als habe dieses Team sein Stück in der
CarnegieStiftung geprobt, bevor es daranging, es auf der Weltbühne
aufzuführen. Jugoslawien war das Versuchslabor für die Verteidigung des
»Multikulturalismus« – produziert wurde jedoch das genaue Gegenteil.
Eine multikulturelle Nation wurde gewaltsam in ethnisch monokulturelle
Ministaaten aufgespalten (obwohl zu Serbien immer noch ethnische
Minoritäten gehören, die man dazu aufhetzen kann, weitere Teilungen des
Landes zu fordern). Die linken Intellektuellen im Westen gaben ihr
früheres Widerstreben auf, Kriege zu unterstützen, weil sie dem Trugbild
erlagen, zur Rettung des kostbaren Ideals des Multikulturalismus in
Jugoslawien sei nunmehr Gewalt erforderlich.
Dieser Irrtum erklärte sich zu großen Teilen aus der geschickten
Strategie der muslimischen Partei in Bosnien, die sich auf eine Art als
absolut unschuldiges Opfer präsentierte, die perfekt in das Abramo-witzSzenario passte. Während sowohl bosnisch-serbische als auch bosnischmuslimische Armeen um die Kontrolle über Gebiete kämpften und
irreguläre Milizen auf beiden Seiten grässliche Gewalt ausübten, hielt
Alija Izetbegović, damals Präsident von Bosnien und Herzegowina, seine
Truppen und von außen gelieferten Waffenarsenale sorgfältig außer
Sichtweite der westlichen Medien (aber nicht der diverser islamischer
Webseiten, wo die großen Siege ausländischer Mujaheddin für die Sache
der Muslime stolz ins Rampenlicht gestellt wurden).39 Dies hinterließ den
Eindruck eines einseitigen Krieges, bei dem serbische Invasoren
unbewaffnete bosnische Zivilisten abschlachteten. Izetbegović verfolgte
73
die Strategie, die USA zu dem zu bringen, was sie offenbar ohnehin tun
wollten: nämlich auf Seiten der Muslime zu intervenieren. So wurde ein
junger Amerikaner aus einer wohlhabenden, Izetbegović nahestehenden
Einwandererfamilie namens Mohammed Sacirbey zum bosnischen
Botschafter bei den Vereinten Nationen ernannt.
An den Vorabenden zweier wichtiger UN-Beschlüsse zu Bosnien kam
es jeweils zu mysteriösen Sprengstoffexplosionen auf einem Marktplatz
in Sarajewo, bei denen zahlreiche Zivilisten zu Tode kamen.40 Während
internationale Forensikexperten beide Male zu dem Schluss kamen, bei
diesen Explosionen handele es sich wahrscheinlich um muslimische
Attentate »unter falscher Flagge«, beschrieben die internationalen Medien
sie sofort als absichtliche serbische Gräueltaten. Das führte dann zu
Sanktionen gegen Serbien und schließlich zu den nicht sonderlich
effektiven NATO-Bombenangriffen auf bosnisch-serbische Positionen –
dem Beginn der »humanitären Intervention«.
Die Propaganda, die die muslimische Partei in Bosnien mit
»Multikulturalismus« gleichsetzte, war unter westlichen Intellektuellen
außerordentlich erfolgreich. Intellektuelle in Paris gründeten unter dem
Slogan »Europa lebt oder stirbt in Sarajewo« eine kurzlebige politische
Partei für die Wahlen zum Europaparlament. Bernard-Henri Lévy
fungierte als führender Propagandist der Auffassung, in Bosnien stehe der
Prozess der europäischen Vereinigung selbst auf dem Spiel, und legte
einen Kampf um die politische Kontrolle von Gebieten als rassistische
Ablehnung der Muslime als »anders« aus. Die Interpretation dieses
tragischen Konflikts in Begriffen ethnischer Identitäten verstellte den
Blick auf politische Ursachen, die das Erbe jahrhundertealter, noch auf
die Reiche der Habsburger und Osmanen zurückgehender bitterer
Konflikte waren. Kommentatoren im Westen betrachteten Bosnien nun als
»unser Spanien«, die Schlacht einer Generation41 – wiewohl bei ihnen
statt der Bereitschaft, selbst zu kämpfen, nur die Bereitschaft vorhanden
war, die NATO vorzuschicken.
Unterdessen hatten die großen Mächte ihre eigenen Ziele. Deutschland
nahm Rache für die Ergebnisse zweier Weltkriege. Washington hatte
geopolitische Motive für seine Unterstützung der von Alija Izetbegović
geführten muslimischen Partei. Eines davon war, den Muslimen der Welt
zu demonstrieren, dass die Vereinigten Staaten trotz ihrer beständigen
Unterstützung Israels auch ihr Verteidiger sein könnten. Ein weiteres
Motiv war die Nutzung Jugoslawiens als Versuchslabor für Methoden,
die später recycelt werden könnten, um den großen nordslawischen42
Staat Russland zu schwächen und zu spalten, wobei besonders bei seinem
74
muslimischen »weichen Unterleib« in Mittelasien anzusetzen wäre. Viele
Politiker in Washington sahen Jugoslawien als eine Miniaturversion der
Sowjetunion und Serbien als eine Art Mini-Russland. Das
Auseinanderreißen des kleinen Staates konnte als Übung für das
Auseinanderreißen der großen Version betrachtet werden.
Einer der Hauptpferdefüße bei der Intervention in Streitigkeiten in
anderen Ländern liegt darin, dass die, die intervenieren, oft von falschen
Tatsachen ausgehen, sei es absichtlich oder aus Inkompetenz.
In Wirklichkeit war Bosnien nie ein »multiethnisches Paradies«
gewesen. Im Zweiten Weltkrieg war es nach seinem Anschluss an den
antiserbischen »unabhängigen Staat« Kroatien Schauplatz einiger der
schlimmsten interethnischen Schlächtereien überhaupt.43 Nach dem Krieg
wurde keine der Republiken der Jugoslawischen Föderation so hart
regiert wie Bosnien, gerade um die aus vergangenen historischen
Konflikten ererbten Spannungen zu unterdrücken.44 Die westeuropäischen
Linken glaubten, die bosnischen Muslime müssten, wie die muslimischen
Einwanderer in ihren Ländern, zwangsläufig unter Diskriminierung
leiden. Aber in Bosnien hatten die Muslime seit der os-manischen
Eroberung jahrhundertelang die vorherrschende Kaste gebildet. Alija
Izetbegović war in seinem Heimatland als politischer Islamist bekannt,
der von Pakistan und Saudi-Arabien unterstützt wurde und die Auffassung
vertrat, ein Land mit muslimischer Mehrheit müsse durch islamisches
Recht regiert werden. Diese Aussicht führte bei vielen bosnischen
Christen zu der Angst, in einem Staat zu leben, in dem Muslime bald eine
absolute Mehrheit darstellen wür-den.45 Da Izetbegović sich mit
politischer Unterstützung der USA als permanenter Präsident etabliert
hatte, obwohl die Präsidentschaft eigentlich unter den drei Volksgruppen
rotieren sollte, war es keine Überraschung, dass er nun auch das gesamte
Land – einschließlich der vorwiegend ländlichen, serbisch bewohnten
Gebiete, die etwa die Hälfte des Territoriums ausmachten – kontrollieren
wollte. Seine Unterstützer, darunter auch professionelle USamerikanische PR-Exper-ten, taten jeden Hinweis darauf, dass
Izetbegović ein Islamist und keineswegs ein Verfechter des
Multikulturalismus sei, als »serbische Propaganda« ab. Während
islamische Länder Izetbegović unterstützten, weil er Islamist war,
unterstützte der Westen ihn, weil er »multikulturell« war. Diese
Unterstützung verlängerte den Bürgerkrieg und kostete viele
Menschenleben, so auch die des Massakers in Srebrenica.
Nachdem der Westen sich für eine Seite entschieden hatte, übernahm
eine manichäische Weltsicht das Kommando. Die eine Seite wurde als
75
Opfer, die andere als der bösartige Täter hingestellt. Unter Einfluss der
Erinnerung an den Holocaust wurden die Serben von Anfang an des
»Völkermords« bezichtigt. Diese Anschuldigung verband sich dann
untrennbar mit dem Srebrenica-Massaker kurz vor Ende eines Krieges,
der vielleicht nie begonnen hätte, hätte der Westen Izetbegović nicht zur
Ablehnung jedes Kompromisses ermutigt. Die Mudschaheddin, die aus
Afghanistan gekommen waren, um die muslimische Sache zu unterstützen,
fanden nichts dabei, ihre »Fußballspiele« mit den Köpfen enthaupteter
Serben aufzunehmen, aber solche Videos waren im westlichen Fernsehen
nie zu sehen.46
Gestützt auf das Argument, die Serben hätten ja in Bosnien gezeigt,
dass sie des »Völkermords« fähig seien, zogen die USA die NATO 1999
in eine militärische Intervention in Jugoslawien hinein, mit der die
»Kosovaren« (die albanischen Separatisten) in der serbischen Provinz
Kosovo unterstützt wurden. Ein weiteres Mal bedeutete die angebliche
Verteidigung des »Multikulturalismus« in Wirklichkeit, Partei für eine
Kultur und gegen eine andere zu ergreifen.
Die Verteidigung des »multikulturellen« Bosnien markierte eine
Veränderung in einem Großteil der Linken und ihrem Prinzip der
»internationalen Solidarität«. Früher einmal hatte das die gegenseitige
Unterstützung von Gruppen mit derselben Ideologie und denselben
langfristigen politischen Idealen bedeutet, wie Sozialismus oder
Solidarität der Arbeiterklasse. Das ist vorbei. Seit dem Bürgerkrieg in
Bosnien und dem Kosovokrieg haben viele linke Gruppen oft jede nur
vorstellbare Minderheit unterstützt, die gegen die Regierung ihres Landes
revoltiert – ganz gleich, was ihre Anliegen waren oder ob sie vernünftige
Forderungen hatten oder nicht. Die Form – Revolte – zählt mehr als der
Inhalt.
So verwandelten sich die Überbleibsel der linken »internationalen
Solidarität« in eine Jubelveranstaltung für die Abramowitz-Strategie und
den US-Interventionismus.
Die Lektion blieb anderen unzufriedenen ethnischen Minderheiten rund
um die Welt, die vielleicht gern US-Unterstützung für ihren Kampf um
lokale Macht hätten, nicht verborgen. Solche Gruppen gibt es auch an so
entlegenen Orten wie der von Uiguren bewohnten Provinz Xinjiang in
Nordwestchina. Die Stiftung National Endowment for Democracy vergibt
Zuschüsse an Gruppen wie die »Uyghur American Association«, deren
separatistische Exilführerin Rebiya Ka-deer von New York aus
antichinesische Statements lanciert.47 Während die USA offiziell das
Ideal der »Multiethnizität« predigen, sehen sie ethnische Minoritäten in
76
China und Russland sehr klar als Schwachpunkte dieser Länder, die man
durch Subversion ausnutzen sollte, um diese großen Nationen zu
destabilisieren oder sogar, nach dem Vorbild Jugoslawiens, in leichter
lenkbare kleinere Stücke aufzuspalten. »Teile und herrsche« ist nun
einmal die ewige imperialistische Maxime.
So sorgen die USA sich weiterhin um ausgewählte Minderheiten -in
Ländern, die die US-Führung zu destabilisieren hofft.
Auf der Suche nach Völkermorden
Einer der übelsten Aspekte der heutigen außenpolitischen Ideologie der
USA ist ihre Obsession mit Völkermorden. Das Thema ist schon in sich
verstörend. Noch beunruhigender ist allerdings die ideologische
Ausgangsannahme, wir lebten in einer Welt voller Ungeheuer, die nur
darauf warten, »Völkermord zu begehen«, und die lediglich durch die
Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt seitens der USA davon
abgehalten werden können.
Dabei sollte man sich darüber im Klaren sein, dass diese Obsession
weder etwas mit nationaler Verteidigung noch mit humanitären
Erwägungen zu tun hat. Es ist eine Ideologie und ihr Zweck ist politisch,
selbst wenn dieser Zweck denen, die die machtvolle Waffe der
Erinnerung an den Holocaust einsetzen, unbewusst sein mag oder
Ergebnis einer Sublimierung sein sollte.
Im November 2007 versammelten sich Vertreter des United States
Holocaust Memorial Museum, der American Academy of Diplomacy und
des United States Institute for Peace zur Gründung einer offiziellen
»Genocide Prevention Task Force«. Den Vorsitz des Treffens führten ExAußenministerin Madeleine K. Albright und Ex-Verteidigungsminister
William S. Cohen, zwei Personen, die sich nicht gerade durch ihre
Bemühungen zur Friedenswahrung auszeichnen. Im Dezember 2008
veröffentlichte die Task Force den Bericht »Völkermordprävention: eine
Blaupause für US-Politiker«48, in dem sie versicherten, Völkermord sei
vermeidbar, und Fortschritte auf dem Weg zu diesem Ziel fingen mit
Führungsbereitschaft und politischem Willen an.
Tenor des US-Ansatzes ist es, Völkermord so zu behandeln, als sei er
eine Art Epidemie, die jederzeit unerwartet ausbrechen könne.
Gleichzeitig scheinen nur die Vereinigten Staaten imstande, die
Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Das US-Präventivmittel ist die
77
rechtzeitige Entdeckung von »Symptomen« wie »Hassreden«, die dann
unterdrückt werden müssen. Die Suche gilt subjektiven psychologischen
Gründen statt Verhältnissen, die ganz naturgemäß Spannungen zwischen
Gruppen mit sich bringen wie zum Beispiel die große Knappheit
lebenswichtiger Ressourcen in Darfur, Probleme, für die praktische
Lösungen gefunden werden könnten. Das entspricht letztlich einem
religiösen Herangehen, das Völkermord als eine Manifestation des
»Bösen« betrachtet: Hier wird »das Böse« (Satan) als die Ursache statt
als Resultat gesehen. Und das das Böse liegt hier in der Absicht. Oder
wie Hillary Clinton in ihrem Hauptreferat auf einer Konferenz namens
»Die Imagination des Unvorstellbaren: Beendigung des Völkermords im
21. Jahrhundert«49 am 24. Juli 2012 sagte: »Genozid ist immer geplant.«
Der erste, offensichtlichste politische Zweck der offiziellen USKampagne gegen Völkermord ist die Sicherung einer moralisch
überlegenen Position. Es ist eine Art, der Welt, aber noch viel mehr den
eigenen Bürgern zu sagen, dass Völkermord – das schlimmste aller
Verbrechen, das Verbrechen, das alle anderen Formen des Tötens beinahe
akzeptabel macht – etwas ist, was wir Amerikaner gar nicht tun können
und niemals tun. Völkermord »ist immer geplant«, und das käme für uns
nie in Frage. Wir machen vielleicht Fehler, aber das ist etwas anderes.
Die Zahl der von den USA getöteten Vietnamesen geht in die Millionen,
aber niemand darf hier je auf die Idee kommen, die USA hätten einen
Genozid verübt. Subjektiv war es nie US-Absicht, die Vietnamesen
auszurotten, und Genozid ist eben ein subjektives Verbrechen. Alles hängt
hier von der Absicht ab, und unsere Absichten sind lauter. Wir meinten es
gut, wir meinen es immer gut.
Auch das Flächenbombardement Dresdens und die Brandbomben auf
aus Holz und Papier gebaute japanische Städte waren kein Völkermord.
Und doch wäre es während des Zweiten Weltkriegs nicht schwer
gewesen, Amerikaner zu finden, die den Wunsch hatten, »all diese
Deutschen zu töten«, und noch mehr, »die Japsen zu vernichten«. Solche
Gefühle gedeihen im Krieg. Menschen wüten gegen den Feind und wollen
ihm komplett den Garaus machen. Das macht der Krieg.
Was muss also verhindert werden, »Völkermord« oder Krieg?
Indem die US-Kampagne gegen Genozid diesen als schlimmer als
Krieg und als etwas, das durch Krieg verhindert werden kann, einstuft,
ist ihr Ergebnis am Ende eine Rechtfertigung von Krieg.
Bei der erwähnten Konferenz führte Hillary Clinton Syrien als
Beispiel an und beschwerte sich, Washingtons tugendhafte Anstrengungen
zur Beendigung der Gräuel in diesem Land würden von »einer kleinen
78
Gruppe« blockiert: dem Iran, Russland und China. Weiter sagte sie: »Wir
intensivieren außerdem unsere Bemühungen, der Opposition zu helfen«,
und fügte hinzu, wenn diese unsere Hilfe Erfolg habe, werde »Assad noch
gewalttätiger zurückschlagen«.
Hier muss man sich fragen, ob ihr überhaupt klar ist, was sie sagt. Sie
gibt zu, dass die US-Militärhilfe an die Opposition, die ja Gewalt
verhindern soll, noch mehr Gewalt provozieren wird. Falls überhaupt die
Gefahr eines Genozids besteht, was zweifelhaft ist, wird sie durch die
von Hillary Clinton geforderte Hilfe an die Opposition vergrößert, da das
Resultat noch mehr Gewalt sein wird. Dennoch erhielt sie für ihre Rede
großen Applaus und stehende Ovationen.
»Wir begegnen dem Hass mit der Wahrheit«, proklamierte Hillary.
Das Gegenteil war der Fall. Hillarys Rede zielte wie die gesamte USKampagne gegen Genozid auf die Erregung von Hass gegen die
derzeitigen Feinde Washingtons ab, die als potentielle Völkermörder
denunziert wurden. Aber wenn man Washingtons ukrainische Verbündete
auf Youtube sehen kann, wie sie für die Eliminierung »überschüssiger«
Einwohner in der Ostukraine eintreten, um sich ihre Ressourcen aneignen
zu können, während die offizielle ukrainische Armee Zivilgebiete mit
Artillerie beschießt, verfallen die Alarmglocken des Washingtoner
Establishments für Völkermordprävention auf einmal in völliges
Schweigen.
Während die Clinton-Administration in Bosnien eifrig nach den
kleinsten Anzeichen für einen durch die Serben begangenen
»Völkermord« suchte, weigerte sie sich hartnäckig, das große
Massenmorden in Ruanda, das im Frühjahr 1994 stattfand, als »Genozid«
zu bezeichnen. Der Unterschied lag darin, dass die Machtelite
Washingtons nach einem Grund zur Intervention in Bosnien suchte,
während sie in Ruanda absolut nicht eingreifen wollte.
Am 6. April 1994 wurde ein Flugzeug, das die Präsidenten der zwei
Nachbarstaaten Ruanda und Burundi, Juvénal Habyarimana und Cyprien
Ntaryamira, an Bord hatte, während des Anflugs auf die ruandische
Hauptstadt Kigali abgeschossen. Die Verantwortung für diesen
außergewöhnlichen Terrorakt bleibt umstritten und wurde nie zureichend
untersucht. Schon zuvor hatte es in Ruanda einen Bürgerkrieg gegeben,
seit bewaffnete Tutsi Anfang 1990 von ihrem Exil in Uganda aus die
Nordgrenze des Landes überschritten und ihren langen Kampf zur
Rückeroberung des Landes von der Hutu-Mehrheit begannen, die durch
Präsident Habyarimana repräsentiert wurde. Mit der Unterstützung der
USA und Großbritanniens hatten die in der Ruandischen Patriotischen
79
Front (RPF) zusammengeschlossenen und von Paul Kagame geführten
Tutsi-Invasoren ihre politische und militärische Position in Ruanda
bereits gefestigt. Die dramatische Ermordung gleich zweier HutuPräsidenten löste ein furchtbares Blutbad aus, bei dem Hutu Männer,
Frauen und Kinder der Tutsi massakrierten, während die RPF auf Kigali
vorstieß, um dort die Macht zu ergreifen.50
Boutros Boutros-Ghali, der ägyptische Staatsmann, der zu dieser Zeit
UN-Generalsekretär war, versuchte hektisch, die Großmächte zur
Entsendung von Truppen zu bewegen, um eine Entwicklung zu stoppen,
die er so gut wie sofort als »Völkermord« bezeichnete. Er schlug vor, die
kleine, bereits in Ruanda befindliche, aber gerade im Abzug begriffene
UN-Friedenstruppe namens UNAMIR, aufzustocken. Doch die ClintonAdministration lehnte es entschieden ab, von »Völkermord« zu sprechen
oder irgendeiner Form der Intervention von außen zuzustimmen. Am 15.
April wies ein Telegramm des US-Außenministeriums die USBotschafterin bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, an, ihren
UN-Kollegen mitzuteilen, die USA seien »der Ansicht, dass die erste
Priorität des Sicherheitsrats darin besteht, den Generalsekretär
anzuweisen, einen ordentlichen Abzug aller UNAMIR-Truppen aus
Ruanda umzusetzen«51. Hier sprachen die US-Vertreter nie von
»Völkermord«, weil dieser Begriff sie zu einer Intervention hätte
verpflichten können, zu der sie auf keinen Fall bereit waren. Am 1. Mai
1994 mahnte ein Memorandum des Verteidigungsministeriums zur
Vorsicht, da Rechtsberater des Außenministeriums gewarnt hätten, ein
»Befund auf Völkermord« könne die US-Regierung »zum Handeln«
verpflichten.52
Das Morden hatte sich schon etliche Wochen hingezogen, als Präsident
Bill Clinton in einer Rede in Annapolis am 26. Mai Ruanda unter jenen
zahlreichen blutigen Konflikten in der Welt auflistete, wo die
Interessenlage keinen Einsatz des US-Militärpotentials rechtfertige. »Wir
können nicht bei jedem Fall von Bürgerkrieg oder militantem
Nationalismus eine Lösung bieten, indem wir einfach unsere Truppen
schicken«, meinte er dazu.53
Diese Ablehnung einer Intervention hatte zwei Gründe, einen
technischen und einen politischen. Der technische Grund, zu dem eine
lückenlose Dokumentation vorliegt, war, dass die Clinton-Administration
keine Kosten für irgendwelche weiteren internationalen Missionen zur
Friedenssicherung mehr tragen wollte. Das teilte man UNGeneralsekretär Boutros-Ghali damals unmissverständlich mit.
80
Madeleine Albright folgte ihren Anweisungen, jede Intervention zu
blockieren, weil Washington am Ende die Rechnung bekäme, aber nicht
zahlen wollte. In einem Interview mit PBS im Januar 2004 erinnerte sich
BoutrosGhali, wie die Amerikaner ihm, als er sie bat, wenigstens eine
Friedenssicherungsoperation ohne die USA zuzulassen, geantwortet
hätten:
»Wir erlauben ihnen nicht einmal, eine Friedensoperation ohne die Vereinigten
Staaten durchzuführen. Warum? Erstens, weil wir dann immer noch 30 Prozent
der Kosten des Budgets dieser Friedenssicherungsoperation zu tragen haben,
und zweitens – und seien wir doch einmal objektiv – weil Sie, falls es Probleme
mit dieser Operation gibt, uns um Hilfe bitten werden, und wir dann gezwungen
sein werden, sie Ihnen auch zu geben.«54
Der zweite Grund, warum die USA »sich abseits hielten«, statt einen
international überwachten, von den UN getragenen Waffenstillstand zu
unterstützen, war politisch. Und vielleicht war er der eigentliche Grund
hinter den finanziellen Ausflüchten. Das Ausbleiben jeder internationalen
Intervention55 machte für Paul Kagames RPF den Weg frei, nach der
Ermordung des Präsidenten ihren Vormarsch auf Kigali zu vollenden und
die Macht zu erobern. In dem bereits zitierten Interview wurde BoutrosGhali gefragt, ob er, ebenso »wie Top-Vertreter der ClintonAdministration«, gewusst habe, dass »die RPF bereits erklärt hatte, sie
werde ihren Feldzug bis Kigali fortsetzen«.
Boutros-Ghali antwortete:
»Nein, nein, nein. Und das beweist ein weiteres Mal die Schwäche des Systems
der Vereinten Nationen. Um eine Art Druckmittel gegen die UN zu haben, geben
die Mitgliedstaaten ihr nicht alle Informationen weiter. Aber dadurch ist man,
wenn eine Entscheidung getroffen wird oder wenn man versucht, eine
Entscheidung zu verhindern, definitiv in einer schlechteren Position als die
Mitgliedstaaten, weil diese besser über die Situation Bescheid wissen als man
selbst. Wir haben ihnen Informationen gegeben, aber umgekehrt war das nie
der Fall.« […]
»Die Kontrolle der Supermacht über die UN ist stärker, als die ganze Welt je
wissen wird. Sie kontrolliert die Gelder der Verwaltung, sie kontrolliert das Büro
für Friedenssicherung, sie kontrolliert den Sicherheitsrat, und sie hat
Informationen, die sie mit niemand anderem zu teilen bereit ist.«56
In Washington wusste man, dass Kagame in Ruanda die Macht ergreifen
würde, und wollte nicht, dass noch irgendetwas dazwischenkam.
81
Die USA hatten Kagame schon seit langem stark unterstützt. Er wurde
ein Jahr lang am U.S. Army Command and General Staff College in Fort
Leavenworth, Kansas, militärisch ausgebildet, direkt bevor er dann kurz
nach Beginn der Invasion der RPF 1990 deren Kommando übernahm.
Aufgrund der früheren belgischen Kolonialherrschaft war die
Zweitsprache der Hutu in Ruanda Französisch, während der Teil der
Tutsi, der sich im Exil in der ehemaligen britischen Kolonie Uganda
befand, meist Englisch sprach. Das verlieh dem Kampf zwischen ihnen
eine Dimension von kolonialer, an den Sprachen orientierter Rivalität. In
Brüssel, der Hauptstadt von EU und NATO, wurden im Frühjahr/
Sommer 1994 alle Tutsi als Helden und Märtyrer betrachtet, während
man die Franzosen verachtete, weil sie die Hutu, also die Verlierer
unterstützt hatten. Man musste dort nur einmal ein persönliches Gespräch
mit US-Vertretern führen,57 um zu begreifen, dass sie, mit verblüffend
offenem Rassismus, von den Tutsi schlicht hingerissen waren, die sie als
groß, schön und intelligent bewunderten, wobei sie eine besondere
Vorliebe für die »aristokratischen«, befreiten Frauen zeigten. Es war, als
ob das verbreitete rassistische Vorurteil gegenüber allen
Schwarzafrikanern nun auf einmal durch eine übertriebene Bewunderung
für die Tutsi gesühnt würde. Und natürlich: Sie sprachen Englisch! Im
Januar 1996 führte das Kagame-geführte Ruanda Englisch als eine der
offiziellen Landessprachen ein.
Die Tutsi waren in Ruanda eine Minderheit und konnten nicht
erwarten, die Wahlen zu gewinnen, die 1993 in den unter Aufsicht
ausländischer Mächte ausgehandelten Abkommen zur Beendigung des
Bürgerkriegs versprochen worden waren. Die RPF brauchte einen
militärischen Sieg, um an die Macht zu gelangen. So benutzte sie das
Attentat auf das Präsidentenflugzeug am 6. April 1994, um den
bestehenden Waffenstillstand mit der Regierung zu brechen und auf einen
militärischen Sieg hinzuarbeiten – zur selben Zeit, als verzweifelte und
panisch wütende Hutu in einen Amoklauf verfielen und eine
gespenstische Mordorgie an allen begannen, die sie für Unterstützer der
vorrückenden RPF hielten.
Doch ungeachtet der Demografie war Paul Kagame nach seinem
militärischen Sieg unschlagbar. Im August 2010 wurde er zum zweiten
Mal für eine siebenjährige Amtszeit zum Präsidenten gewählt – mit 93
Prozent der Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 95 Prozent.58
Wie fast immer, wenn die USA sich auf eine Seite gestellt haben,
wurde auch hier ein blutiger Konflikt von den Mainstreammedien als
einseitige Tötungsorgie dargestellt. Dabei hatte die RPF schon lange vor
82
den Ereignissen etliche Hutu-Zivilisten getötet und fuhr damit nicht nur im
April 1994, sondern auch noch Jahre danach fort – und zwar nicht nur in
Ruanda, sondern auch im benachbarten Kongo, wo die Zahl der
Todesopfer mittlerweile sogar noch wesentlich höher ist als die der Tutsi,
die 1994 von den Hutu hingemordet wurden.59 Die furchterregende
Lektion all dessen ist, dass es sich, falls »Genozid« hier der angemessene
Begriff ist, um einen gegenseitigen Völkermord mit schrecklichen
Massakern auf beiden Seiten gehandelt hat.
Das war mit Sicherheit das schlimmste und grausigste Blutbad in
dieser Generation.60 Aber dennoch: Ist der Begriff »Völkermord«
wirklich hilfreich? Woher sollen wir wissen, ob die Hutu, die sich mit
Messern auf wehrlose Tutsi stürzten, wirklich die Absicht hatten, sie alle
»auszurotten«, oder ob sie in einem wahnsinnigen Impuls aus Angst und
Rache handelten? War dieser Irrsinn wirklich »im Vorhinein geplant«?
Behauptungen der Kagame-Seite über einen vorsätzlichen Hutu-Plan zur
Verübung eines Völkermords wurden nie zufriedenstellend bewiesen. Es
gab die Leichen, die Verbrechen sind unzweifelhaft, und der Schrecken ist
real. Aber was in solchen Fällen in den Köpfen der Menschen vorgeht, ist
unergründlich.
Davon abgesehen könnte der Grund dafür, dass die Massentötungen
jenseits der ruandischen Grenze in der Demokratischen Republik Kongo
nicht als »Völkermord« gelten, darin liegen, dass es hier einige weniger
emotionale, dafür aber praktische Motive gibt.61 Im Mai 2001 klagte die
Kongressabgeordnete Cynthia McKinney die Clinton-Administration, das
Kagame-Regime in Ruanda und den Staat Uganda an, sie nutzten die
angebliche Notwendigkeit, »schuldige« Hutu-Flüchtlinge aus dem Osten
des Kongo zu vertreiben, in Wirklichkeit aus, um im Interesse USamerikanischer und europäischer Konzerne einen großangelegten
Raubbau an den dortigen Rohstoffen zu betreiben. Unter diesen illegal
geraubten Ressourcen befinden sich neben Tropenholz, Gold, Kobalt,
Diamanten, Zink und Uran besonders auch das weltweit größte
Vorkommen von Coltan, einem für die Computerindustrie entscheidend
wichtigen Mineral.62
Es ist nicht leicht, aus einer derartigen menschlichen Katastrophe eine
moralische Lehre abzuleiten. Aber so viel kann gesagt werden: Der
Hintergrund für derart massive Schlächtereien ist fast immer Krieg – und
besonders Bürgerkrieg. Er ist der Kontext, der nicht nur Hass auf die
eigenen Nachbarn, sondern auch Angst vor ihnen erzeugt; Angst, die zu
blindem Handeln führt, das wiederum darauf zielt, die Quelle der Furcht
83
zu beseitigen. Man kann ein ähnliches Verhalten bei Tieren beobachten:
Auch hier sind mörderische Reaktionen eher durch Angst als durch
»Hass« motiviert. Wenn das stimmt, sind Kampagnen gegen »Hass«
nutzlos. Was wirklich nötig ist, ist die Vermeidung von Situationen, in
denen Furcht ein solch irrationales Maß erreicht, dass blindes,
unterschiedsloses Töten das Resultat ist.
In diesem Fall wäre schon der Ansatz der Vereinigten Staaten zur
»Bekämpfung des Völkermords« kontraproduktiv. Schon die bloße
Tatsache, dass die Supermacht sich auf eine Seite stellt, kann zu
Panikreaktionen verzweifelter Menschen auf der anderen Seite führen,
während die Aussicht auf eine wirklich unparteiische Macht, die bereit
wäre, weise und gerecht über den Konflikt zu urteilen, eine beruhigende
Wirkung haben könnte. Leider gibt es derzeit keine solche Macht. Die
Vereinten Nationen sind manipuliert. Zusätzlich ist es den USA mittels
ihres »Supermachtstatus« gelungen, in vielerlei Hinsicht die Kontrolle
über den Internationalen Strafgerichtshof zu übernehmen, obwohl sie
diesem nicht einmal angehören. So haben sie jeden Anschein zerstört, er
könne fair über die vor ihn gebrachten Angeklagten urteilen.
Unter Berufung auf Samantha Powers Buch A Problem from Hell63
versuchen jetzt ausgerechnet die Vertreter der Clinton-Administration, die
dafür sorgten, dass Washington sich heraushielt, während in Ruanda das
Blut in Strömen floss, dies als Argument für zukünftige Interventionen zu
nutzen. Jetzt auf einmal tut es ihnen so leid! Ihr tief empfundenes
Bedauern, so meinen sie, beweise, dass die USA hinfort der große
humanitäre Wächter sein müssen, der nach jedem möglichen Genozid am
Horizont Ausschau hält, um dessen Realisierung zu verhindern.
Tatsächlich beweist der vorliegende Fall das Gegenteil. Die
Ereignisse in Ruanda zeigen, dass die USA ungeachtet aller Fensterreden
über »Ideale« im Zweifelsfall nach ihren »Interessen« handeln und ihren
Informationsvorsprung nutzen, andere im Dunkeln zu lassen, bis die Krise
vorbei ist. Dass auf internationaler Ebene nicht gehandelt wurde, um die
Katastrophe in Ruanda abzuwenden, ging weitgehend darauf zurück, dass
jegliches Vorgehen von einer einzigen Supermacht abhing, die die
Kontrolle über das UN-Budget, das UN-Personal und sogar das Wissen
über die Ereignisse selbst innehatte. Diese unipolare Welt, die Samantha
Power leidenschaftlich als angemessenes Resultat der einzigartigen
Tugendhaftigkeit der USA verteidigt, ist ein Hauptgrund für das
wachsende Chaos in der Welt. Das funktioniert nicht und kann auch nicht
funktionieren.
Der US-Ansatz ist stets manichäisch und behandelt Konflikte
84
dualistisch: Dabei muss man sich auf eine Seite stellen und dann der
»bösen« Seite potentiellen »Völkermord« unterschieben, noch bevor die
Opfer überhaupt tot sind. Das war definitiv in Jugoslawien der Fall. Hier
wurde ein Internationaler Gerichtshof gegründet, der die erklärte Absicht
verfolgte, serbische Führer wegen »Genozids« anzuklagen, noch bevor
ein Verbrechen begangen worden war, das auch nur annähernd an
Völkermord herankam. Ungeachtet des Fehlens jeglicher Beweise für
Planung und Vorsatz wurde das Srebrenica- Massaker dann von diesem
Gerichtshof als »Völkermord« eingestuft. Grundlage dafür war ein
seltsames soziologisches Argument, laut dem die Serben aufgrund des
»patriarchalen« Charakters der bosnisch-muslimischen Gesellschaft
durch das Töten nur der Männer sicherstellten, dass die nicht getöteten
muslimischen Frauen und Kinder nie wieder nach Srebrenica
zurückkehren würden, und damit Genozid in einer einzigen Stadt
verübten.64 Mit dieser Begründung wurde die Definition von
»Völkermord« stark ausgedehnt, aber sie stellte die US-Sponsoren des
Strafgerichtshofs zufrieden, die die Serben mit dem Stigma des
»Genozids« belegen wollten, weil das der muslimischen Seite, die die
USA nun sowohl in Bosnien als auch im Kosovo unterstützten, einen
politischen Vorteil verschaffte.
Ein Massaker ist ein Massaker. Es gibt Leichen, es gibt forensische
Belege, es gibt materielle Beweise. Die Tötung von Gefangenen oder
Zivilisten zu Kriegszeiten ist unrecht, wie immer sie bezeichnet wird. Ein
Massaker wird nur »Völkermord« genannt, wenn man glaubt, es habe
einen Vorsatz gegeben, für den es in Jugoslawien aber nie einen Beleg
gab. Die Bezeichnung eines Massakers als »Völkermord« hat nichts mit
der Zahl der Opfer zu tun; die Zahl der Opfer in Srebrenica war, ganz
gleich ob es Hunderte oder Tausende waren, verglichen mit der Zahl der
von den USA im Indochinakrieg getöteten Vietnamesen, Laoten und
Kambodschanern gering.65 Doch ein als »Genozid« bezeichnetes
Massaker wird als wesentlich schlimmer betrachtet als jeder sonstige
Massenmord, weil der Begriff den Vorsatz einschließt, alle Angehörigen
einer bestimmten Gruppe von Menschen zu töten. Das Wort ist ein
moralischer Multiplikator.
Es hat außerdem einen eminent politischen Charakter, weil es, sobald
ein Führer einmal des »Völkermordes« bezichtigt wurde, keine
Verhandlungen, keine Diplomatie, keinen Versuch zu einer friedlichen
Lösung des ursprünglichen Konflikts mehr geben kann. Die schuldige
Partei kann nur vor Gericht gestellt oder getötet werden.
Ein Blick auf die Weise, wie die USA in den letzten zwanzig Jahren
85
den Begriff »Völkermord« verwendet haben, lässt darauf schließen, dass
die gegenwärtige Fahndung nach möglichen Völkermorden – angeblich,
um sie zu verhindern – tatsächlich eine Suche nach inneren Konflikten in
Ländern ist, die man zum Regimewandel auserkoren hat; nach Konflikten,
denen man ein »Völkermordpotential« nachsagen kann. Diese »Gefahr
eines Genozids« kann dann genutzt werden, um Maßnahmen zur
Destabilisierung des
betreffenden Landes
zu legitimieren:
Propagandakampagnen, Boykotte, Sanktionen, die Androhung oder sogar
den Einsatz militärischer Gewalt, was im Falle eines günstigen
Kräfteverhältnisses auch eine bewaffnete Intervention bedeuten kann.
Das Messen mit zweierlei Maß führt zur Maßlosigkeit. Die USA
schreiben sich eine einzigartige Fähigkeit zu: das, was sie als
Völkermord bezeichnen, zu erkennen und zu bekämpfen. Gerade dadurch
schließen sie jedoch jede Möglichkeit einer koordinierten internationalen
Bemühung aus, zu verhindern, dass ethnische Konflikte in eine
Massenschlächterei ausarten. Im Fall des Bürgerkriegs in Syrien
beschwerte sich Hillary Clinton, die wohlmeinenden US-Bemühungen
zugunsten einer Intervention seien von einer »kleinen Gruppe«, darunter
Russland und China, sabotiert worden. Es gab in Syrien keine echte
Gefahr eines Völkermords, und davon abgesehen war Russland mehr als
kooperativ bei der Beseitigung der syrischen Chemiewaffen. Aber als in
Ruanda eine wirklich große Schlächterei im Gang war, blockierte
tatsächlich eine »kleine Gruppe« – bestehend aus den USA und
Großbritannien – jede Bemühung um ein internationales Eingreifen, nur
um sicherzustellen, dass »ihre Seite« gewann. Nachdem ihr »Team«
gewonnen hat, vergießen sie jetzt, über zwanzig Jahre später, immer noch
Krokodilstränen – und zwar schlicht, um zukünftige Interventionen zu
rechtfertigen, für die sie irgendwann ihre ganz eigenen Gründe haben
könnten.
86
3 Die Zähmung durch die
Widerspenstigen
Wenn man als Frau im außenpolitischen Establishment der USA
vorankommen will, ist es hilfreich, genauso aggressiv zu sein wie diese
Politik selbst. Taffe Frauen sind der Beweis, dass es im Verhältnis der
USA zum Rest der Welt keine Sentimentalitäten gibt. Tatsächlich sind in
den letzten Jahren aggressive Frauen in Schlüsselpositionen zum Trend
geworden.
Eine Vorläuferin dieses Trends war Jeane Kirkpatrick, Präsident
Reagans Botschafterin bei den Vereinten Nationen von 1981 bis 1985.
Jeane Kirkpatricks Karriere erteilte uns dieselbe Lektion wie die ihrer
Zeitgenossin Margaret Thatcher: Frauen an der Macht sind keineswegs
weichherziger als Männer. Angesichts der Widerstände, die sie
überwinden müssen, um sich in einer »Männerwelt« zu behaupten,
bemühen sie sich vielleicht sogar besonders, Härte zu zeigen.
Kirkpatrick, einer Neokonservativen der ersten Stunde, wurde in
Washington die Doktrin zugeschrieben, es sei für die Vereinigten Staaten
völlig in Ordnung, »autoritäre« Regimes zu unterstützen (womit meist
US-gesponserte lateinamerikanische Militärdiktaturen gemeint waren),
während Washington sich stets gegen »totalitäre« Regimes (gemeint
waren kommunistische Staaten) stellen müsse.1 Als Mitglied des
»Committee on the Current Danger«2 trug sie zur Anstachelung der
nationalen Paranoia bei, die für die gute Konjunktur der Waffenindustrie
sorgt. Jeane Kirkpatrick konzentrierte sich auf imaginäre Bedrohungen
und Gefahren, hatte zugleich aber nur Verachtung für die Menschenrechte
übrig und kümmerte sich wenig um die angebliche nationale Mission der
weltweiten Verbreitung von Demokratie. Der Zusammenbruch der
Sowjetunion machte ihre politische Linie dann zum Auslaufmodell.
Während der Präsidentschaft Bill Clintons verlagerte sich der Fokus
der Außenpolitik auf die Menschenrechte. Dabei berief man sich auf die
87
»Werte« und »Interessen« der USA, um Interventionen zum Schutz und zur
Rettung von Opfern von Menschenrechtsverletzungen zu fordern. Das war
ein Thema, bei dem die Sorge und Empörung gerade von Frauen
besonders passend und überzeugend schien. Unter Ignorierung
historischer, rechtlicher und politischer Komplexitäten wurde der Zerfall
Jugoslawiens von den westlichen Medien und Regierungen in erster Linie
als eine Menschenrechtskrise behandelt, in der eine der Parteien die
Menschenrechte verletzte und die anderen die Opfer waren. Die CNNKorrespondentin Christiane Amanpour, die dem US-Außenministerium
besonders nahestand, ging mit ihren einseitigen Berichten, in denen sie
eine US-Intervention gegen die Serben verlangte, allen voran. Das
Modell war so erfolgreich, dass es während der Präsidentschaft Obamas
zum Standard wurde und, mit Frauen ganz an der Spitze, auf Libyen,
Syrien und die Ukraine angewendet wurde.
Während der Co-Präsidentschaft der Clintons war Hillarys Bereich
die Innenpolitik, besonders die Ausarbeitung einer großangelegten
Gesundheitsreform. Als diese fehlschlug, kehrte sie zu ihrem
ursprünglichen öffentlichen Betätigungsfeld, den Kinderrechten zurück
und schrieb unter dem Einfluss diverser New-Age-Gurus ein Buch über
Kinderfürsorge, Eine Welt für Kinder.3 Berichten zufolge suchte sie eine
Weile lang ihr Heil in der Kräftigung ihres Selbstbewusstseins ä la New
Age, um über Religion und mystische Erfahrungen spirituelle Stärke zu
gewinnen. Der Haken an dieser Art subjektiver Selbstermächtigung ist,
dass sie manchmal mehr Selbstvertrauen erzeugt, als angesichts der
Konfrontation mit besonders schwierigen Problemen einer komplexen
Realität gerechtfertigt ist.
Nach dem Debakel ihres Gesundheitsreformprojektes wurde Hillary
Clinton zur Zielscheibe endloser feindseliger Schnüffeleien der
Republikaner, bei denen es um ihre Vergangenheit als Anwältin in
Arkansas und ihren konfliktreichen Umgang mit dem Personal im Weißen
Haus ging. Um ihr ramponiertes Image aufzupolieren, wurde sie auf eine
Reise nach Südasien und Südafrika geschickt, bei der ihr Engagement für
Frauen und Kinder im Vordergrund stand. Im September 1995 führte
Hillary die US-Delegation zur Vierten UN-Weltfrauenkonferenz in
Peking. Dort hinterließ sie mit einer dramatischen Rede, in der sie die
schlechte Behandlung von Frauen und Kindern anprangerte, großen
Eindruck:
»Es ist eine Verletzung der Menschenrechte, wenn Babys nicht gefüttert,
ertränkt oder erstickt werden, ihr Rückgrat gebrochen wird, nur weil sie als
88
Mädchen geboren wurden. Es ist eine Verletzung der Menschenrechte, wenn
Frauen und Mädchen in die Sklaverei der Prostitution verkauft werden. Es ist
eine Verletzung der Menschenrechte, wenn Frauen mit Benzin übergossen,
angezündet und verbrannt werden, weil ihre Mitgift als zu gering erachtet wird.«4
Hillary, die in den USA bei vielen in Ungnade gefallen war, wurde
plötzlich als Heldin gefeiert. Die New York Times pries die Rede als den
»Höhepunkt ihrer öffentlichen Karriere«5. Die politische Lehre daraus
war stark und klar: Wenn Politiker an der Heimatfront in Schwierigkeiten
kommen, können sie das im außenpolitischen Bereich wieder
wettmachen, insbesondere mittels der Verteidigung von Menschenrechten.
Bis dahin hatten sich Hillary Clintons Interessen und Expertenwissen
auf Kinderrechte, Bildung und das Gesundheitswesen beschränkt. Das
waren traditionelle Frauenthemen, die zwar von vitaler Bedeutung sind,
aber keinen »Präsidentenbonus« haben, da sie zu weit vom traditionellen
Zentrum der Männermacht entfernt sind: dem Krieg.
Das ist die Festung, die die Frauen erobern müssen, um völlige
Gleichberechtigung zu erlangen. Dabei wird es als Fortschritt für die
Sache der Frauen betrachtet, dass sie zum Militär zugelassen werden, und
zwar nicht nur in zweitrangigen Rollen, sondern im Kampf, wo wirklich
getötet wird. Die Glorifizierung dieser speziellen Art, »die gläserne
Decke zu durchbrechen«, kann für einen permanent kriegsbereiten Staat
sehr nützlich sein.
Die beste Art, Krieg akzeptabel und sogar populär zu machen, ist, zu
zeigen, dass er gut für Frauen und Kinder ist, weil er ihrem Schutz dient.
Wer könnte diese Botschaft besser verbreiten als eine Frau? So brachten
gemeinsame Interessen Neokonservative, die Kriege wollen, und Frauen,
die durch die gläserne Decke wollen, zusammen. Während die Neocons
Frauen brauchen, um Krieg gut aussehen zu lassen, brauchen manche sehr
ehrgeizige Frauen Krieg, um ihre Karrieren voranzubringen.
Hillary war eine der einflussreichen Frauen, die Bill Clinton nach der
Amtsaufgabe Warren Christophers6 eindringlich baten, ihre Freundin
Madeleine Albright Anfang 1997 zu seiner zweiten Außenministe rin zu
machen. Hillary und Madeleine waren beide Absolventinnen des
Wellesley College, und HRC trat dafür ein, dass das Außenministerium
diesmal an eine Frau ging. Anders als Hillary hatte Madeleine, die Bill
Clinton bereits als UN-Botschafterin gedient hatte, weitläufige
Erfahrungen mit der Außenpolitik. Ihr Vater, Josef Korbel, war
Botschafter der Tschechoslowakei in Jugoslawien gewesen und
emigrierte mit seiner Familie erst nach England, um dem Zweiten
89
Weltkrieg zu entkommen, und dann in die USA, um dem Kommunismus zu
entkommen. Dort gründete er an der Universität Denver in Colorado die
School of International Studies, wo Condoleeza Rice eine seiner
Studentinnen war. Wie viele hoch politisierte Einwanderer aus Osteuropa
betrachtete Korbel die große Macht der USA als Kraft, die eingesetzt
werden sollte, um strittige Fragen im Rest der Welt zu lösen.
Madeleine heiratete in die US-Pressearistokratie ein und behielt nach
ihrer Scheidung ihren Ehenamen Albright bei, womit sie der Praxis ihrer
Eltern folgte, die ihre jüdischen Wurzeln immer verborgen gehalten
hatten. Im Alter von 57 Jahren, just als sie ihr Amt als Außenministerin
antrat und die Neugier der Medien eine weitere Wahrung des
Geheimnisses unmöglich machte, verkündete Madeleine der
Öffentlichkeit die »Entdeckung«, dass ihre Großeltern im Holocaust
gestorben waren.7
Während eine jüdische Herkunft zum Zeitpunkt der Ankunft der
Korbels in den USA wahrscheinlich ein Hindernis für den Aufstieg in die
Oberklasse der WASPs war, verleiht das Prädikat »HolocaustÜberlebender« heute seinen Trägern unvergleichliche moralische
Autorität. Samantha Power schreibt dazu in ihrem Buch: »Albright sagte
oft: >Meine Denkweise kommt von München.< Sie war die seltene
Stimme im Clinton-Team, die unablässig für ein NATO-Bombardement
warb und ihre öffentlichen Verurteilungen der serbischen Politik der
Vertreibung und >Ausrottung< mit Hinweisen auf den Holocaust
spickte.«8
Versessen auf Krieg
Ein hervorstechender Zug der neuen Schule weiblicher Diplomaten ist ihr
extrem undiplomatisches Auftreten. Tatsächlich war der größte
diplomatische Erfolg Albrights ihre Verhinderung von Diplomatie. Als
die europäischen Verbündeten der USA im Vorfeld des Kosovokrieges
Vorbehalte dagegen äußerten, Serbien ohne auch nur den Versuch
diplomatischer Schritte zu bombardieren, sorgten ihre Manöver bei einer
im Februar und März 1999 im Schloss Rambouillet bei Paris
abgehaltenen Sonderkonferenz dafür, dass es dort zu keiner
Verhandlungslösung für die Krise in der serbischen Provinz Kosovo kam.
Damit hatte die NATO einen Vorwand, die Gebiete zu bombardieren, die
von Jugoslawien noch übrig waren, nämlich Serbien und Montenegro.
90
Montenegro trennte sich später auf westlichen Druck hin ebenfalls ab,
ohne dass es zum Krieg kam.
Das Kosovoproblem war letztlich ein Problem mit einer ethnischen
Minorität, wie etliche vergleichbare Fälle auf der Welt. Die Albaner
waren in ganz Jugoslawien eine anerkannte Minderheit, waren aber in der
an Albanien grenzenden südserbischen Provinz Kosovo in der Mehrheit.
Wie so häufig wurde der Konflikt durch einander widersprechende
Versionen der gemeinsamen Geschichte verschärft, bei denen beide
Seiten einander Vorhaltungen über vergangenes Unrecht machten, aber er
war nicht schlimmer oder unlösbarer als Dutzende andere Probleme.
Stimmen auf beiden Seiten sprachen sich für genau die Art Kompromiss
aus, die angeblich auch das Ziel der USA war, nämlich eine großzügige
Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens. Jan Oberg von der
schwedischen »Transnational Foundation for Peace and Future
Research«9 traf sich mit beiden Seiten, um nach einem Kompromiss zu
suchen. Der bedeutendste Schriftsteller Serbiens und kurzzeitige
Präsident Jugoslawiens Dobrica Ćosić ging sogar so weit, Verhandlungen
für eine Unabhängigkeit des Kosovo vorzuschlagen.10
Gleichzeitig nutzte die Frau eines anderen Präsidenten, Danielle
Mitterrand, diskret ihren Einfluss, um eine friedliche Lösung zustande zu
bringen. Danielle, die in ihrer Jugend als Kontaktperson für die
französische Résistance gearbeitet hatte, organisierte Treffen zwischen
führenden serbischen und kosovo-albanischen Intellektuellen, wo über
mögliche Lösungen diskutiert wurde. Hier wäre nichts weiter nötig
gewesen, als die aktive Unterstützung der großen Mächte für solche
echten diplomatischen Bemühungen, und der Krieg samt der Zerstörung,
die er mit sich brachte, hätte vermieden werden können.
Im Winter 1998/99 kamen Beobachter der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die sich im Kosovo aufhielten,
zu dem klaren Schluss, dass bewaffnete Killer der »Befreiungsarmee des
Kosovo« UÇK11 absichtlich gewaltsame Zusammenstöße provozierten,
um die serbische Polizei zu Vergeltungsaktionen zu verleiten, die die
Medien dann als »ethnische Säuberungen« oder »drohenden Völkermord«
bezeichneten. Als Gefälligkeit gegenüber Washington nutzte der polnische
Außenminister Bronistaw Geremek und zeitweilige Vorsitzende der
OSZE seine Position, um die Kosovo-Mission der OSZE dem Kommando
des US-Vertreters William Walker zu unterstellen. Walker, der in
Zentralamerika höchst zweifelhafte US-Operationen geleitet hatte,12
leistete den Plänen der UÇK wichtige Unterstützung, insbesondere durch
91
seine Verurteilung einer serbischen Polizeiaktion gegen UÇK-Killer in
dem Dorf Ratjak als »Massaker, ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit«. Mit wenigen Ausnahmen trugen die westlichen Medien
begierig dazu bei, Walkers sensationslüsterne Anschuldigungen zu dem
Kriegsgrund aufzubauschen, den die NATO brauchte.13
Madeleine Albrights Rolle als US-Außenministerin bestand darin zu
verhindern, dass diplomatische Bemühungen eine friedliche Lösung
erreichten, die dem ersten »humanitären Krieg« der NATO im Weg stehen
würde. So sollte die bis dahin formal defensive Militärallianz in eine
Offensivstreitmacht verwandelt werden, die auch zum Handeln außerhalb
des Vertragsgebiets bereit ist. Die Kosovoaktion war der erste Schritt
zum Aufbau einer potentiell weltweiten Polizeitruppe unter dem
Kommando der USA.
Die Vereinten Nationen mussten bei alldem herausgehalten werden.
Als UN-Botschafterin der USA hatte Madeleine Albright aktiv dafür
gesorgt, dass dem ägyptischen Diplomaten Boutros Boutros-Ghali eine
zweite Amtszeit als UN-Generalsekretär verwehrt blieb. Die USA
erwählten Kofi Annan zu seinem Nachfolger, und zwar genau darum, weil
er die NATO-Bombardements in Bosnien im August 1995 unterstützt
hatte.14 Nachdem sie ihm diesen Posten besorgt hatte, neigte Madeleine
Albright dazu, ihn wie einen Laufburschen zu behandeln, den sie zu jeder
Tages- und Nachtzeit anrief, um ihm Befehle zu geben. Am Ende
beschwerte Kofi Annan sich, sie habe »nie wirklich verstanden«, dass
man von ihm erwarte, auch für alle anderen UN-Mitgliedstaaten zu
arbeiten. Während sich Albright auf die Konferenz in Rambouillet im
Februar 1999 vorbereitete, wurde sie durch Berichte aufgeschreckt,
Annan ziehe in Erwägung, eine Gruppe von Parlamentären zu ernennen,
die mit Belgrad verhandeln sollten. Um das zu verhindern, rief sie ihn an
und sagte ihm: »Kofi, wir brauchen keine Unterhändler, die überall
dazwischenfunken«, nur um ihn dann noch einmal anzurufen, »um
sicherzustellen, dass er nicht alle möglichen Unterhändler ernennt«.15
Tatsächlich aber handelten US-Vertreter hinter den Kulissen
Abkommen mit der radikalsten Fraktion der kosovo-albanischen
Nationalisten aus, deren Morde sich größtenteils gegen Serben, aber auch
gegen Albaner richteten, deren Berufstätigkeit – wie etwa Briefträger –
sie in den Augen der UÇK zu »Kollaborateuren mit den Serben«
stempelte.16
Während Madeleine Albright die öffentliche Führungsrolle übernahm,
zog ihr alter Mentor, Morton Abramowitz, in der Rolle des Beraters der
92
albanischen Delegation in Rambouillet im Hintergrund die Fäden.
Madeleine
Albrights
Aufgabe
bestand
darin,
die
»Friedensverhandlungen« in ein Patt zu steuern, für das dann den Serben
die Schuld gegeben werden konnte. Dabei wurde sie von ihrem
persönlichen Berater James Rubin unterstützt, der später die
Starverfechterin kriegerischer Maßnahmen gegen die Serben in den
Mainstreammedien heiratete: die pro-interventionistische CNNKriegskorrespondentin Christiane Amanpour. Die Delegation Belgrads,
in der alle ethnischen Gruppen des Kosovo repräsentiert waren, brachte
ihre Kompromissbereitschaft zum Ausdruck. Während der Verhandlungen
wurden die jugoslawische und die kosovo-albanische Seite getrennt
gehalten und von der US-Delegation regelmäßig vor Ultimaten gestellt.
Schließlich organisierten die US-Diplomaten überraschend einen Putsch
in der kosovo-albanischen Delegation, bei dem Professor Ibrahim
Rugova, der 1992 inoffiziell zum »Präsidenten des Kosovo« gewählt
worden war, als Kopf der Delegation durch den dreißigjährigen UÇKFührer Hashim Thaçi ersetzt wurde. Im Februar 1999 trafen Rubin und
Thaçi sich »in der überladenen Residenz des US-Botschafters [in Paris]
zu einem Mittagessen mit Lammspießen und Rotwein«, und das war der
Beginn einer großen Freundschaft.17 Thaçi, auch unter dem Namen »die
Schlange« bekannt, wurde wegen verschiedenster Verbrechen von der
jugoslawischen Polizei gesucht; noch im Jahr zuvor hatte der USSondergesandte der Region, Robert Gelbard, die UÇK als
»terroristische« Organisation bezeichnet. Wie das Wall Street Journal
berichtete, umwarb Rubin »während der gesamten Kosovokrise Hashim
Thacj, den ehrgeizigen Führer der Kosovo-Befreiungsarmee, ganz
persönlich«. Rubin sei sogar so weit gegangen, »scherzhaft zu
versprechen, er werde mit seinen Freunden in Hollywood sprechen, um
Thaçi eine Rolle in einem Film zu verschaffen«. Umhätschelt von Rubin
und Albright, folgte Thaçi ihren Weisungen im sicheren Wissen, dass er
so am Ende die Kontrolle über das Kosovo gewinnen würde.
Fünfzehn Jahre später steht Thaçi immer noch an der Spitze des nunmehr »unabhängigen« – Kosovo, eines US-Satelliten, der am besten
für den illegalen Handel mit Drogen, Prostituierten und menschlichen
Organen bekannt ist. Etliche Verbrechen, ethnische Säuberungen und
Morde sind seit 1999 trotz (oder wegen?) der Präsenz von NATOTruppen
ungestraft geblieben. Das herausstechendste Kulturdenkmal in Pristina ist
jetzt eine riesige vergoldete Kitsch-Statue von Bill Clinton. Eine
lächelnde Hillary hat bereits davor posiert, um sich von Tochter Chelsea
fotografieren zu lassen.
93
Die geschlossenen Sitzungen in dem französischen Schloss endeten mit
dem sogenannten Abkommen von Rambouillet, das indes kein Abkommen
war, da Belgrad sich weigerte, einen Vertrag zu unterzeichnen, der einen
Zusatz enthielt, der es den Truppen der USA erlaubt hätte, sich unter
Immunität vor Strafverfolgung frei in ganz Jugoslawien zu bewegen.
Selbst Henry Kissinger bezeichnete das Nicht-Abkommen als
»schreckliches diplomatisches Dokument« und als »Provokation und
Vorwand, mit der Bombardierung zu begin-nen«18. Inoffiziell gab
Madeleine Albright gegenüber Journalisten zu, dass »wir die Latte
bewusst so hoch gelegt haben, dass die Serben nicht zustimmen konnten.
Die brauchen ein paar Bombenangriffe, und die werden sie jetzt
kriegen.«19
Als die NATO-Bomben zu fallen begannen, hatte der US-Missionschef
Walker die OSZE-Beobachter bereits abgezogen, so dass es nur wenige
Zeugen dafür gab, was vor Ort im Kosovo geschah. Es zirkulierten wilde
Gerüchte über massive Tötungen, die sich dann als falsch herausstellten.
Der Strom von Albanern, der die nahegelegenen Grenzen überquerte, um
in Albanien oder in albanisch besiedelten Gebieten Mazedoniens das
Ende der Bombardements abzuwarten, wurde als Ergebnis von
»ethnischer Säuberung« oder gar Völkermord beschrieben, obwohl die
Flüchtlinge gleich nach Ende der Bombenangriffe heim ins Kosovo eilten
und andere Albaner mit sich brachten, damit diese die von verängstigten
Serben verlassenen Häuser übernahmen. Die Serben, die geflohen waren,
konnten nie zurückkehren.20
Berichten zufolge hatte Madeleine Albright Präsident Clinton,
entgegen dem besseren Urteil des Pentagon, überzeugt, dass Milošević
schon nach ein paar ersten Bomben zurückstecken würde. Als das nicht
geschah und serbische Zivilisten sich Zielscheiben auf den Körper malten
und sich auf den Brücken Belgrads versammelten, um deren
Bombardierung zu verhindern, eskalierte die antiserbische Propaganda
dramatisch. Tony Blair verkündete, der Krieg sei »eine Schlacht
zwischen Gut und Böse, zwischen Zivilisation und Barbarei, zwischen
Demokratie und Diktatur«21. Die Serben, behauptete Blair, seien eines
»scheußlichen rassischen Genozids«22 schuldig. Am 7. April 1999
erklärte Madeleine Albright, Milošević schaffe in seinem »Bestreben,
eine bestimmte Gruppe von Menschen auszurotten«, »einen Horror von
biblischen Dimensionen«. Dabei sagte sie Larry King von CNN: »Wenn
es ein reales Bestreben gibt, eine Gruppe von Menschen auszurotten oder
als bloße Werkzeuge zu benutzen, erinnert das an die Art Dinge, die man
94
während des Zweiten Weltkriegs gesehen hat.«23
Das war reine Propaganda. Es gab weder »Ausrottung« noch die
Gefahr einer Ausrottung, sondern einen Konflikt zwischen einer
Regierung und einer bewaffneten sezessionistischen Gruppe, die vom
Nachbarland Albanien unterstützt wurde. Der Exodus der Flüchtlinge
wurde in den westlichen Medien als der tragische Grund des Krieges in
Szene gesetzt, während er in Wirklichkeit dessen Resultat war.
Albanische Flüchtlinge, die vor der Gewalt im Kosovo flohen, dienten
sich den westlichen Medien bereitwillig mit erfundenen Geschichten von
Mord und Vergewaltigung an. Reporter suchten die albanischen
Flüchtlingslager nach Frauen ab, die »vergewaltigt wurden und Englisch
sprechen«24. Doch praktisch niemand war an den Menschen interessiert,
die von NATO-Bomben getötet wurden. Niemand kümmerte sich um die
kleine serbische Stadt Varvarin, die keine militärische Bedeutung hatte,
aber dennoch Ziel von Luftangriffen wurde – die dann Bewohner trafen,
die sich zum Dreifaltigkeitstag versammelt hatten. Die Bomben töteten
unter anderen den Pfarrer und die Bürgermeisterstochter, eine
fünfzehnjährige Schülerin namens Sanja Milenkovic, die der Stolz der
Stadt war, weil sie einen Mathematikpreis gewonnen hatte. Schulen,
Krankenhäuser und Brücken wurden bombardiert, um die Bevölkerung
gegen ihren Präsidenten aufzubringen. Auch ein Bus voller in den Kosovo
zurückkehrender Albaner wurde von den NATO-Bomben getroffen. Die
Infrastruktur, deren mühseliger Aufbau nach den Zerstörungen zweier
Weltkriege eine ganze Generation gedauert hatte, wurde dem Erdboden
gleichgemacht.
In Washington nannte man den »Kosovokrieg« »Madeleines Krieg«25,
und sie schien stolz darauf zu sein. Vielleicht beruhigte es ja das
Gewissen einiger Männer, die Verantwortung für dieses beschämende
Maskenspiel einer emotionalen Frau zuzuschieben. Madeleine Albright
gab einem weitgehend von Männern geplanten und ausgeführten
strategischen Unternehmen einen femininen Anstrich. Vielleicht sollte das
die »humanitäre« Prätention des Ganzen unterstreichen.
Abgesehen von diesem ersten Aggressionskrieg der NATO besteht
Madeleine Albrights Vermächtnis in einigen Bemerkungen, die ernste
Zweifel an ihrem humanitären Engagement wecken. Die berühmteste war
ihre Antwort auf eine Frage nach den Sanktionen gegen den Irak in der
Sendung »60 Minutes« vom 12. Mai 1996, als sie noch US-Botschafterin
bei den Vereinten Nationen war. Unter Verweis darauf, dass wegen dieser
Sanktionen »eine halbe Million Kinder gestorben« seien, fragte
Interviewerin Lesley Stahl Albright: »Ist es diesen Preis wert?«
95
Madeleine antwortete: »Wir denken, es ist den Preis wert.«26
Madeleine Albrights zweitberühmteste Bemerkung war ihre
rhetorische Frage an General Powell, mit der sie sich für den Einsatz
militärischer Gewalt aussprach: »Wozu haben wir eigentlich dieses tolle
Militär, von dem Sie dauernd reden, wenn wir es nicht einsetzen
können?«27
Sabotierte Diplomatie
Man könnte die Präsenz von Frauen in hohen Ämtern des USAußenministeriums schlicht als Ergebnis ihrer wohlverdienten generellen
Fortschritte auf der Karriereleiter betrachten. Aber die Rollen, die die
betreffenden Frauen in der US-Außenpolitik spielen, bringen deren
aggressive Aspekte beredter zum Ausdruck, als es Männer in ihrer
Position gekonnt hätten. Sie alle nutzen ihre Persönlichkeit auf eigene Art,
um die US-Außenpolitik noch aggressiver zu machen und die
diplomatische Verständigung mit anderen zu erschweren. Früher einmal
haben Feministinnen oft behauptet, Frauen in Machtpositionen könnten
einen wichtigen Beitrag zum Weltfrieden leisten. Die militanten Frauen in
der US-Politik konterkarieren die bis zur »Lysistrata« des Aristophanes
zurückreichenden Hoffnungen, Frauen seien leichter gegen den Krieg zu
mobilisieren.
Das Geknurre Madeleine Albrights, die hämischen Predigten Hillary
Clintons, die beleidigenden Ausfälle von Susan Rice, die herrischen
Reden Victoria Nulands, die wortreichen Wutanfälle von Samantha
Power und sogar die arrogante Ignoranz der Pressesprecherinnen des USAußenministeriums sprechen eine andere Sprache.
Diese Scharfmacherinnen arbeiten alle für demokratische
Administrationen, denen angeblich die Sache der Menschenrechte am
Herzen liegt, stellen aber klar, dass diese Sache nichts mit Freundlichkeit
und Sanftmut zu tun hat, sondern in erster Linie ein Motiv für die
Bestrafung angeblicher Sünder in diesem Bereich darstellt. Die ObamaAdministration verstärkte den Einsatz von Frauen, um den Rest der Welt
auf Linie zu bringen: Wir haben hier eine US-produzierte und -finanzierte
weltweite Aufführung eines neue Stückes vor uns mit dem Titel »Die
Zähmung durch die Widerspenstigen«. Die Frauen in der Außenpolitik
Washingtons haben sich darauf spezialisiert, ausländische Politiker oder
Diplomaten mit Strafpredigten zu überschütten, als seien sie nichts weiter
96
als ungezogene Kinder. Ihr tyrannisches Auftreten zeugt zugleich von der
Gewissheit, dass sie sich, als Frauen, Grobheiten leisten können, die sich
die meisten Männer in vergleichbaren Positionen nicht erlauben
würden.28
Susan Rice war, bevor sie Präsident Obamas Nationale
Sicherheitsberaterin wurde, UN-Botschafterin der USA und legte dabei
keine große Sorge um die Feinheiten diplomatischer Sitten an den Tag.
Für den Wiedereintritt der USA in den UN-Menschenrechtsrat setzte sie
sich vor allem deshalb ein, um dort gegen den »anti-israelischen Mist«
von Unterstützern der Palästinenser kämpfen zu können. Susan Rice war
Ziehkind und Amtsnachfolgerin Madeleine Albrights, und genauso hört
sie sich oft an. Während Madeleine die Abspaltung des späteren
gescheiterten Staates Kosovo von Serbien unterstützte, schreibt man
Susan allgemein eine große Rolle bei der Entstehung eines weiteren
solchen Staates zu, nämlich des Südsudan. Susan Rice weiß, dass viele
sie als »brüsk, aggressiv und grob« ansehen, aber das kümmert sie nicht.
»Natürlich sagen mir die Leute das nicht ins Gesicht«, scherzte Susan
Rice beim Ball des Klubs der UN-Korrespondenten, »weil sie wissen,
dass ich ihnen in den Hintern treten würde.«29
Obwohl sie sich so »unweiblich« wie möglich aufführte, zog Rice
doch heimlich ihren Vorteil aus einem weiblichen Vorrecht – der
Gewissheit von Frauen ihres Schlags, dass die Männer, die von ihnen
beleidigt werden, immer noch zu höflich sind, ihnen dafür umgekehrt
ebenfalls »in den Hintern zu treten«.30
Nachfolgerin von Susan Rice als UN-Botschafterin in Obamas zweiter
Amtszeit wurde Samantha Power, die bei gleicher Linie einen völlig
anderen Stil pflegt. Im Vorwahlkampf der Demokraten 2008 musste
Power im März aus Obamas Wahlkampfteam ausscheiden, weil sie
Hillary Clinton öffentlich ein »Monster« genannt hatte, das vor nichts
zurückschrecken würde, um gewählt zu werden. Aber diese Sünde war
nun offenbar vergeben. Als Mitglied von Obamas Nationalem
Sicherheitsrat schloss sich Samantha Power der Forderung von Hillary
Clinton und Susan Rice an, Libyen zu bombardieren.
Samantha Power hat eine sorgfältig geplante Karriere hinter sich. Ihre
Biografien behaupten meist, ihre Karriere habe als »freie Journalistin in
Bosnien« begonnen, wo sie Gräuel gesehen habe, die aus ihr eine
Kämpferin gegen Völkermord gemacht hätten. Aber das ist nicht ganz
aufrichtig.
Samantha Power wurde 1970 in Irland geboren und bekam gleich nach
ihrem Studium in Yale ein Stipendium bei der Carnegie Stiftung für
97
Internationalen Frieden, wo sie im Stab des Stiftungspräsidenten, des ExBotschafters Morton Abramowitz, arbeitete. Just zu dieser Zeit
entwickelte Abramowitz seine Doktrin, die USA seien zur Intervention
zum Schutz bedrängter Minderheiten in anderen Ländern verpflichtet.
Samantha Power erwies sich hier als sehr gelehrige Schülerin.
Laut Erinnerungen von Kollegen bei Carnegie war sie schmeichlerisch
und extrem ehrgeizig und sah Bosnien schon damals als
Karrieregelegenheit. Bereit, alles Nötige zu tun, um an die Schauplätze zu
gelangen, wo »etwas los« war,31 schloss Samantha sich mit
zweiundzwanzig Jahren dem Schwarm der Journalisten an, die für die
große Story nach Bosnien eilten. Im Unterschied zu vielen anderen
sicherten ihre Beziehungen zu Carnegie ihr die Aussicht auf
Veröffentlichungen in großen Mainstreammedien. Im Alter von erst
fünfundzwanzig wurde sie von der International Crisis Group als
politische Analystin eingestellt, die die Umsetzung des DaytonAbkommens beurteilen sollte, das 1995 den Krieg in Bosnien beendete.
Später wurden ihre Reisen ins Kosovo und nach Kambodscha vom Open
Society Institute von George Soros finanziert.
Schon seit Beginn des Konflikts in Bosnien-Herzegowina brachten die
Unterstützer der muslimischen Partei den Begriff »Völkermord« in
Umlauf, um den serbischen Gegner in dem dreiseitigen Krieg zwischen
den dort lebenden Gemeinschaften der Muslime, Serben und Kroaten zu
stigmatisieren. Die in Bosnien stationierte jugoslawische Armee brach zu
Beginn des Bürgerkriegs auseinander und danach bildeten die beiden
größten Gruppen, die Serben und die Muslime, einander bekämpfende
örtliche Armeen. Daraufhin wurde Serbien fälschlich einer »Invasion«
Bosniens beschuldigt. Unterdessen fiel die kroatische Armee tatsächlich
nach Bosnien ein, um eine rein kroatische Region im Südwesten der
Republik zu annektieren, die wegen ihres florierenden Tourismus am Ort
angeblicher mystischer Erscheinungen der Jungfrau Maria in der Stadt
Medjugorje bekannt ist.32 Niemand beschwerte sich über diese
»Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität« BosnienHerzegowinas.
Das ist nur eines der Beispiele für die extrem selektive
Berichterstattung über den hochkomplexen Konflikt in Bosnien. Hier
konnten journalistische Karrieren gemacht werden, indem man fand, was
die Redaktionen haben wollten, und meistens wollten sie das Schlimmste:
Vergewaltigung, ethnische Säuberung, Völkermord – begangen von
Serben.
Aber über die Nutzung muslimischer humanitärer Organisationen als
98
Deckmantel zum Waffenschmuggel für die muslimische Armee und über
von muslimischen Freischärlern aus dem Ausland begangene Massaker
wurde nicht berichtet. Als klar war, dass die USA sich auf die Seite der
Muslime gestellt hatten, konnten die Handlanger Izetbegovićs darauf
vertrauen, dass sie selbst mit solch extremen, unter »falscher Flagge«
durchgeführten Gräueltaten davon kommen würden.
Im Juli 1995, kurz vor Ende des Krieges in Bosnien, wurde der
Begriff »Völkermord« schließlich erfolgreich mit den massiven
Rachemorden an muslimischen Männern in Verbindung gebracht, die auf
die serbische Einnahme Srebrenicas folgten. Weder Samantha Power
noch das westliche Pressecorps waren Zeugen der Schrecken eines
Völkermords. Nicht einmal die niederländischen UN-Soldaten sahen, was
später im Brustton der Gewissheit behauptet wurde. Es dauerte lange, bis
es »Zeugenaussagen« gab, und diese sind oft voller innerer und
gegenseitiger Widersprüche. Es gab in Srebrenica ein oder mehrere
Massaker an Gefangenen, aber niemand sah dort einen Völkermord, weil
es keinen gab. Zu den Personen, die darüber am wenigsten zu sagen
hatten, gehörte Samantha Power. Dennoch gab die bloße Tatsache, dass
sie »in Bosnien gewesen« war, ihrem späteren Bestseller zum Thema
Völkermord A Problem from Hell: America and the Age of Genocide33
die Aura der Authentizität. Vom Medien- und Politikestablishment
enthusiastisch gelobt, war dieser Bestseller vor allem ein
leidenschaftliches Plädoyer für Militärinterventionen der USA »zur
Beendigung von Völkermorden« – eine dramatische und beredsame
Populärversion der zuerst von Morton Abramowitz entwickelten
trockenen, politischen Theorie. Samantha Power ging sogar noch weiter:
Sie vertrat die Meinung, die USA sollten zur Verhinderung von
Völkermorden militärisch intervenieren – wenn nötig, bevor diese
überhaupt eintreten. Kurz: Sie argumentierte für Präventivkriege.
Mit einem Flair fürs Dramatische, einer Gabe für erfundene
Geschichten, literarischem Talent und einer starken Persönlichkeit ist es
Samantha Power gelungen, sich in eine tragische Gravität einzuhüllen, die
es dieser ehrgeizigen jungen Frau ermöglichte, als Verkörperung von
Gewissen und Moral in Riesenschritten die Karriereleiter hochzueilen.
Es ist ja eigentlich nichts Besonderes, gegen Völkermord zu sein. Wer
ist schon dafür? Doch was Samantha Power auszeichnet, ist, dass sie
etwas dagegen tun möchte. Oder besser gesagt, sie möchte, dass das USMilitär etwas dagegen tut, und das macht sie zu einem wertvollen
Aktivposten der Kriegspartei. Das gesamte Establishment, von Morton
Abramowitz über das Politikmagazin The New Republic, die
99
International Crisis Group, das Pulitzerpreis-Komitee, Harvard,
Präsident Obama bis hin zu der langen Liste prominenter Figuren, die die
späteren Auflagen von A Problem from Hell bewerben, hat dazu
beigetragen, diese beeindruckende und talentierte junge Frau zum Symbol
der humanitären Intervention zu machen. Sie ist die optimale
Rollenbesetzung.
Dabei zählt auch das Aussehen, und Samantha Powers lange Mähne
roter Haare macht sie im UN-Sicherheitsrat zu einer dramatischen Figur,
wenn sie ihren Platz verlässt und sich vor einer verblüfften russischen
Delegation aufstellt, um sie mit Schimpfkanonaden einzudecken.34 Unter
den Russen haben Powers antirussische Theaterinszenierungen sie längst
zur Witzfigur gemacht. Aber ganz gleich, ob selbstgerechte Tiraden
schlicht grob wie von Susan Rice oder melodramatisch wie von
Samantha Power vorgebracht werden, haben sie nur das Ergebnis,
vernünftige Diskussionen zu blockieren und diplomatische Bemühungen
um Lösungen ohne Krieg zu verhindern.
»Smart Power« in Aktion
In Entscheidungen, ihrer eigenen Version ihrer Zeit als USAußenministerin, schreibt Hillary Clinton, Teil ihrer außenpolitischen
Philosophie sei »das Konzept der Smart Power« gewesen. Für sie
bedeute »Smart Power, in einer bestimmten Situation die Wahl zu haben
zwischen diplomatischen, wirtschaftlichen, militärischen, politischen,
gesetzlichen und kulturellen Instrumenten – oder diese miteinander zu
kombinieren.«35
Diese Definition ist praktisch inhaltsleer. Die Demokraten machten
sich diesen Begriff vor allem deswegen zu eigen, um sich von George W.
Bushs einseitiger Orientierung auf »harte« Macht (also Militärmacht)
abzugrenzen, mit der er vernachlässigte, was der Politologe Joseph Nye
»weiche« Macht nannte (praktisch alles andere, besonders Propaganda
und die als Multilateralismus bezeichneten Formen, Druck auf Verbündete
auszuüben). »Smart Power« bedeutet schlicht beides.
Besonders in Mode kam der Ausdruck nach einem Artikel von Suzanne Nossel in Foreign Affairs im Jahr 2004, der den Titel »Smart
Power: die Rückbesinnung auf den liberalen Internationalismus« trug.36
Nossel schrieb, progressive Politiker sollten »sich dem großen Pfeiler
der US-Außenpolitik des Zwanzigsten Jahrhunderts zuwenden: dem
100
liberalen Internationalismus, der postuliert, dass ein weltweites System
stabiler liberaler Demokratien weniger zum Krieg neigt. Washington, so
diese Theorie, sollte demnach eine feste – diplomatische, wirtschaftliche
und nicht zuletzt militärische – Führung bieten, um ein breites Bündel von
Zielen zu fördern: Selbstbestimmung, Menschenrechte, Freihandel,
Herrschaft des Rechts, wirtschaftliche Entwicklung und die Eindämmung
und Eliminierung von Diktatoren und Massenvernichtungswaffen. Im
Unterschied zu den Konservativen, die militärische Macht als das
Hauptinstrument der Staatskunst betrachten, sehen die liberalen
Internationalisten Handel, Diplomatie, Auslandshilfe und die Verbreitung
amerikanischer Werte als gleichermaßen wichtig an.«
Sobald der Jubel einmal abgeebbt ist, sehen wir, dass dies ein Rezept
für die massive Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder ist.
Es beinhaltet die Zerschlagung von Staaten wie Jugoslawien oder des
Sudan, die uns nicht gefallen (Stichwort »Selbstbestimmung«), die
Erhaltung von Staaten wie der Ukraine und Georgien, die wir mögen
(»Herrschaft des Rechts«), Sanktionen und Bomben gegen missliebige
Staaten (»Verbreitung amerikanischer Werte«) und vor allem
Regimewandel (»Eliminierung von Diktatoren«). Die Idee, »ein
weltweites System stabiler liberaler Demokratien« neige »weniger zum
Krieg«, basiert auf der völlig unbegründeten Annahme, Kriege entstünden
durch die Unterschiede zwischen politischen Systemen und nicht durch
die Konkurrenz um Ressourcen, Territorialdispute oder eine lange Liste
völlig irrationaler Streitigkeiten. Sie schließt die Koexistenz zwischen
Systemen aus und besagt letztlich, dass wir Krieg letztlich darum führen,
damit alle anderen Länder so sind wie wir selbst. Und es gibt keinerlei
Beweis dafür, dass »demokratische« Staaten weniger zu Krieg neigen als
konservative – das Gegenteil könnte der Fall sein.
»Smart Power« heißt schlicht, dass die USA jedes nur erdenkliche
Mittel zur Förderung ihrer Welthegemonie einsetzen. In diesem Arsenal
ist das wichtigste Konzept der »weichen« Macht mit Sicherheit das der
Menschenrechte. Und auf diesem Gebiet ist Suzanne Nossel Spezialistin.
Nossel wurde 1969 geboren und war Geschäftsführerin sowohl von
Human Rights Watch als auch des US-Zweigs von Amnesty International.
Im Januar 2009 holte Hillary Clinton sie von Human Rights Watch ins
Außenministerium zurück, wo sie zuvor bereits einmal für Richard
Holbrooke gearbeitet hatte. Als Ministerialrätin für Internationale
Organisationen war sie nun für multilaterale Menschenrechte, humanitäre
Angelegenheiten, Frauenfragen, öffentliche Diplomatie, Medienarbeit und
die Beziehungen zum Kongress verantwortlich. Zum selben Zeitpunkt
101
traten die USA nach einer langen Periode des Boykotts wieder dem UNMenschenrechtsrat bei, vor allem, um ihn daran zu hindern, Kritik an
Israel zu üben. Stattdessen wollte man ihn dazu bringen, sich auf die
Sünden von den USA unliebsamen Ländern oder auf neue Themen,
darunter besonders LGTB-Rechte, zu konzentrieren.37 Frau Nossel hat
seitdem für ihren Einsatz für die Rechte von Lesben, Schwulen,
Bisexuellen und Transgender-Personen internationale Anerkennung
gewonnen und so die USA als Vorhut für die Menschenrechte gegen die
zahlreichen traditionellen Gesellschaften der Welt positioniert –
besonders gegen die, deren Regimes die USA mittels »Smart Power« in
Verlegenheit bringen, isolieren oder sogar stürzen wollen. Nossel spielte
eine wichtige Rolle dabei, den Menschenrechtsrat aufgrund von falschen
Berichten über bevorstehende Massaker in Libyen zum Handeln zu
veranlassen, was dann zum NATO-Bombardement des Landes und zu
seiner Zerstörung führte.38
Im Januar 2012 verließ Nossel Hillary Clintons Außenministerium, um
als Geschäftsführerin von Amnesty International einen weiteren Dienst
für »Smart Power« zu leisten. Es war das Jahr, das durch eine große
Amnesty-Unterstützungskampagne für Pussy Riot gekennzeichnet war.
Das ist vielleicht auch der merkwürdigste Aspekt der Projektion USamerikanischer »weicher« Macht in den letzten Jahren: die demonstrative
Unterstützung von Gruppen junger Frauen, die sich der organisierten
Provokation traditioneller moralischer, religiöser oder anderer
Verhaltensstandards verschrieben haben.
Es gab einmal eine Organisation namens Amnesty International, die
sich der Verteidigung von Gewissensgefangenen überall auf der Welt
widmete. Ihr Vorgehen war durch zwei Prinzipien gekennzeichnet, die
stark zu ihrem Erfolg beitrugen: Neutralität und Diskretion. Im Kontext
des Kalten Krieges achtete Amnesty in diesen frühen Tagen strikt darauf,
die Kampagnen gleichmäßig auf drei verschiedene ideologische
Regionen zu verteilen: den kapitalistischen Westen, den kommunistischen
Osten und die Entwicklungsländer im Süden. Die Kampagnen blieben
diskret, vermieden ideologische Polemik und konzentrierten sich auf die
rechtliche und materielle Situation der Gefangenen. Ihr Ziel bestand nicht
darin, die Gefangenen als Vorwand zu benutzen, um gegen eine
»feindliche« Regierung zu wettern, sondern darin, Regierungen dazu zu
bringen, von der Verfolgung gewaltfreier Dissidenten abzulassen.
Amnesty bemühte sich erfolgreich, einen universell zivilisierenden
Einfluss auszuüben.
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Arbeit von Amnesty
102
International komplizierter und schwieriger geworden. Früher befanden
sich die meisten »Gewissensgefangenen« entweder im Sowjetblock oder
in den diktatorischen US-Satellitenstaaten Lateinamerikas, was die
Symmetrie der Arbeit förderte, ohne allzu sehr den Zorn der USSupermacht zu erregen. Aber besonders seit der Reaktion der
BushAdministration auf den 11. September 2001 sind die USA immer
mehr zum notorischsten Kerkermeister der ganzen Welt geworden. Diese
Tatsache hat Amnesty als Organisation, die im Kern angloame-rikanisch
ist, in tiefe Konflikte gestürzt. Zwar protestierte sie gegen abscheuliche
Rechtsverstöße wie Guantanamo und die von Folter begleitete
Inhaftierung Bradley Mannings, aber diese punktuelle Kritik steht in
keinerlei Verhältnis zur summarischen Verurteilung von Regierungen, die
von den USA zum Regimewandel ausersehen sind. Im Fall der USunterstützten
»Farbenrevolutionen«
werden
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human
Rights Watch dazu verleitet, nicht etwa bestimmte politische Gefangene
zu verteidigen, sondern ganze Staaten als »Menschenrechtsverletzer« zu
brandmarken.
Suzanne Nossels Jahr an der Spitze von Amnesty International war ein
Meilenstein bei der US-Machtübernahme in der Organisation. In dieser
neuen Phase hat Amnesty (ebenso wie Human Rights Watch und andere
westliche »humanitäre« Organisationen) aufgehört, irgendwelche
Unterscheidungen zwischen echten Gewissensgefangenen und halbprofessionellen Provokateuren zu treffen, deren Aktionen den Zweck
verfolgen, Probleme mit den Behörden zu bekommen, um diese dann der
Repression zu beschuldigen.
In ihren Bemühungen zur Schwächung und zum Sturz des
jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević setzte die ClintonAdministration systematisch Techniken ein, wie sie von dem Theoretiker
gewaltfreier Aktion Gene Sharp in Massachusetts verfochten werden. So
bildeten US-Vertreter in Budapest zum Beispiel eine serbische
Jugendgruppe namens »Otpor« (Widerstand), der man die
Destabilisierung der Regierung Milošević zur Zeit der von ihm
verlorenen Wahl im Jahr 2000 zuschreibt, in diesen Techniken aus.
Geboren 1928, ließ sich Gene Sharp vom zivilen Ungehorsam diverser
Befreiungsbewegungen und antimilitaristischer Gruppen dazu inspirieren,
genau die Art von Störaktionen zu systematisieren, die jetzt
paradoxerweise Teil des »Soft-Power«-Arsenals der USA geworden
sind. Otpor war der erste Stoßtrupp der sogenannten
»Farbenrevolutionen«, die von den USA unterstützt wurden.39 Das simple
103
Thema dieser Kampagnen ist meist: Der gegenwärtige Führer des Landes
»muss weg«, und es kümmert wenig, was danach kommt. Da die
Kampagnen sich vor allem an die Öffentlichkeit richten, hängt ihr Erfolg
von sympathisierenden Medien ab, die nur zu willig sind, provokativen
Aktionen Publicity zu verschaffen – Aktionen, die überall sonst auf der
Welt als Ruhestörung betrachtet würden, aber in diesem Fall als
heldenhafte Herausforderung der Tyrannei gefeiert werden. Solche
Gruppen vertreten keine definierbare politische Philosophie und kein
Programm außer dem, die Person an der Macht »loszuwerden«, und zwar
egal, ob diese Person demokratisch gewählt wurde oder nicht.
Bei dieser Dissidenz scheinen weder Qualität noch Kontext eine Rolle
zu spielen. Behörden stehen hier vor dem Problem des Umgangs mit
Provokateuren, die absichtlich Rechtsverstöße begehen, um verhaftet zu
werden. Verhaftet man sie, geht man in die Falle, verhaftet man sie nicht,
kann das zu Beschwerden verärgerter Bürger führen, denen solcher
Exhibitionismus nicht gefällt. Ein typisches Beispiel hierfür ist die
Gruppe namens Pussy Riot.
Am 21. Februar 2012 stürmten fünf spärlich und in grellen Farben
gekleidete Frauen, die zur Verhüllung ihrer Gesichter Skimasken trugen,
in die Christ-Erlöser-Kathedrale im Zentrum Moskaus, stellten sich vor
dem Hochaltar auf und begannen, Obszönitäten zu rufen, wobei sie den
Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche als »Hure« beschimpften und
den Text von Kirchenliedern mit Fäkalausdrücken mischten. Begleitet
wurden sie von Technikern, die den Auftritt filmten und später dessen
Wortlaut änderten, um ihn gegen Putin zu richten. Die empörten Christen,
die dem Auftritt beiwohnten, hörten antichristliche Obszönitäten, keine
irgendwie geartete »politische« Botschaft.
Obwohl die Frauen zunächst fliehen konnten, wurden im März drei
Mitglieder der Gruppe verhaftet: Nadeschda Tolokonnikowa, Marija
Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch. Am 30. Juli 2012 wurden die
drei Frauen wegen gruppenweise begangenen »Rowdytums« (Verletzung
der öffentlichen Ordnung) vor Gericht gestellt. Das war die Gelegenheit,
massiv und unter Mobilisierung der NGOs, der Medien und aller
möglichen Berühmtheiten die »weiche Macht« der USA zu entfalten. Kein
anderer Staat der Welt ist ähnlich effektiv darin, Agitatoren in Popstars zu
verwandeln.
Erzürnt durch irreführende Berichte, die behaupteten, die Frauen
würden nur deshalb einem »Schauprozess« unterzogen, weil sie »in einer
Kirche ein Lied gesungen« hätten,40 eilte ein Heer von westlichen
Popstars von Paul McCartney, Madonna und Björk bis hin zu minderen
104
Größen zur Verteidigung von (angeblichen) Künstlerkollegen, die durch
den »Diktator« Putin in Gefahr seien.41 Es ist nicht schwer, Musiker, die
Millionen von Dollar verdienen, zu überzeugen, sie hätten die moralische
Verpflichtung zur »Rettung der Welt« vor irgendwem oder irgendetwas.
Pussy Riot war der neue Spross einer Gruppe anarchistischer
Provokateure namens Woina (Krieg), die sich bereits mit öffentlichen
Aktionen hervorgetan hatte, die die Akteure praktisch überall auf der
Welt in Schwierigkeiten bringen würden. Nadeschda Tolokonniko-was
Partner (und der Vater ihres Kindes) war einer der Anführer Woinas. Zu
den Aktionen der Gruppe gehörten der öffentliche Geschlechtsverkehr im
Timirjasew-Museum in Moskau (hieran war auch die sichtbar
schwangere Tolokonnikowa beteiligt), das Bewerfen von Angestellten
eines McDonald-Restaurants in Moskau mit lebendigen Katzen, Angriffe
mit Molotow-Cocktails auf Polizeifahrzeuge und, vielleicht am
seltsamsten, der Diebstahl eines Huhns in einem Supermarkt, bei dem die
Diebin sich das Huhn in die Vagina schob. All das wurde für das Internet
gefilmt.42
Merkwürdigerweise hatte keine dieser Aktionen, obwohl sie häufig
von Slogans gegen Putin begleitet waren, zu Problemen der Gruppe mit
der Staatsgewalt geführt. Die Kirche, nicht der Staat, reichte die Klage
gegen sie ein, obwohl die Gruppe behauptete, gegen Putin zu kämpfen,
der auch zugleich ihr Peiniger sei.
Amnesty International verlieh den drei Pussy Riotern den Status von
»Gewissensgefangenen« und widmete ihrem Fall, den sie als wichtige
Menschenrechtskampagne behandelte, sehr große Aufmerksamkeit. Die
brutale Behandlung Bradley/Chelsea Mannings, die drohende
Strafverfolgung Julian Assanges durch die USA, die wiederholte
Ermordung schwarzer »Verdächtiger« durch die US-Polizei, die
weltweite Rekordzahl von Häftlingen in US-Gefängnissen oder selbst
Guantanamo zogen nie vergleichbare Aufmerksamkeit auf sich.
Der Ton der Pussy-Riot-Kampagne von Amnesty International war so
weit wie nur möglich von einem diplomatischen Appell entfernt, der die
Absicht verfolgt hätte, die Behörden davon zu überzeugen, die Frauen
freizulassen. Tatsächlich war es der Ton der Provokation. Zum Beispiel:
»Masha, Nadia und Maria, die wegen friedlichen Singens eines Protestsongs in
einer Kathedrale in Haft gehalten werden, könnten leicht in ein Arbeitslager in
Sibirien gekarrt werden, wo sie der Gefahr der Vergewaltigung und anderer
Misshandlungen ausgesetzt wären. (Hervorhebung im Original, das von den
erwähnten Organisationen weit verbreitet wurde.)
105
Das Verbrechen Pussy Riots? Sie sangen in einer Kirche ein Protestlied.
Amnesty International organisiert eine starke weltweite Antwort, um den Fall
Pussy Riot im Rampenlicht zu halten. Helfen Sie uns, Präsident Putin zum
Protest eine Lastwagenladung bunter Skimasken zu schicken. Das heutige
Urteil ist typisch für die wachsenden Bemühungen Präsident Putins und seiner
Spießgesellen, die freie Rede in Russland zu ersticken. Daher schicken wir
Präsident Putin so viele farbige, Balaklavas genannte Masken, wie wir können.
Spenden Sie $ 20 oder mehr, um eine Maske an Putin zu schicken. […] Es ist
klar, dass die russischen Behörden versuchen, diese Frauen zum Schweigen zu
bringen und anderen Aktivisten Angst einzujagen – lassen Sie sie damit nicht
durchkommen.«43
Das war ein Ton, der es für Präsident Putin politisch nur schwerer, nicht
leichter machen konnte, Pussy Riot eine Amnestie zu gewähren, was er
aber dennoch vor den Olympischen Spielen in Sotschi tat. Nach ihrer
Freilassung setzten die Frauen ihre Anti-Putin-Kampagne in westlichen
Ländern fort.
Ebenso wie viele westliche Medien hat Amnesty International diesen
Fall auf eine Art simplifiziert, die nahelegt, Russland sei gerade dabei,
zur stalinistischen Herrschaftsform der 1930er Jahre zurückzukehren. Das
französische Boulevardblatt Liberation brachte auf dem Titelblatt ein
großes Foto der drei Frauen mit der Überschrift:
»In den GULAG für ein Lied.«44
Die Online-Protestplattform Avaaz ging noch weiter:
»Russland rutscht beständig weiter in den Griff einer neuen Autokratie ab. […]
Jetzt liegt unsere beste Möglichkeit, Putin zu beweisen, dass er einen Preis für
seine Repression zahlen muss, in Europa.
Das Europäische Parlament ruft zu einer Einfrierung der Vermögen und zu
einem Reiseverbot für Putins mächtigen inneren Kreis auf, der vielfacher
Verbrechen angeklagt wird. […] Wenn wir die Europäer zum Handeln drängen
können, wird das nicht nur hart für Putins Zirkel sein, da viele dieser Leute
Konten und Wohnungen in Europa haben, sondern auch seiner antiwestlichen
Propaganda begegnen und ihm zeigen, dass die ganze Welt bereit ist, für ein
freies Russland aufzustehen.«45
Schon 2012, noch lange vor der Ukrainekrise, waren die »weichen«
Machtinstrumente der USA am Werk, um die westliche öffentliche
Meinung auf eine »Bestrafung« Putins vorzubereiten.
Am 26. September 2012 erhielt ich ebenso wie Millionen weitere
Empfänger eine »persönlichen Botschaft« Suzanne Nossels, die erklärte,
106
Amnesty arbeite »direkt mit den Anwälten und Familienmitgliedern von
Pussy Riot zusammen, um ein helles Scheinwerferlicht auf diesen Fall zu
werfen«.46 »Stehen Sie uns bei«, verlangte sie. »Verweigern Sie das
Schweigen.« Als ob bis dahin jemand geschwiegen hätte.
Zwischen Mitgliedschafts- und Spendenappellen kam Suzanne Nossel
auf den Punkt:
»Russlands Behandlung von Pussy Riot stellt eine Erdrosselung der Freiheit
und einen Unwillen zur Respektierung der Menschenrechte dar, auf die wir
reagieren müssen.
Abgesehen von der Repression in Russland selbst unterstützt Präsident Putin
auch weiterhin seinen Verbündeten Syrien, obwohl sich die Beweise häufen,
dass die syrische Regierung Verbrechen gegen die Menschheit begeht.
Wir müssen die Lautstärke aufdrehen.«
Auch Avaaz machte klar, worum es eigentlich ging:
»Was in Russland geschieht, geht uns alle an. Russland hat die internationale
Zusammenarbeit zu Syrien und anderen dringlichen globalen Fragen blockiert,
und eine russische Autokratie bedroht die Welt, die wir uns alle, wo immer wir
uns befinden, wünschen.«47
Pussy Riot war eine sexy Art, um aus ganz anderen als den vorgegebenen
Gründen, angefangen mit den US-Bemühungen um einen Regimewandel in
Syrien, die öffentliche Meinung gegen Russland aufzuputschen.
Bei einem Treffen sogenannter »Freunde Syriens« (gemeint waren
Unterstützer der syrischen Rebellen) in Genf am 6. Juli 2012 wendete
sich Hillary Clinton heftig gegen Russland und China, die sie
beschuldigte, die US-gesponserten Initiativen bei den Vereinten Nationen
für einen Regimewandel in Syrien zu blockieren. »Ich glaube nicht, dass
Russland und China einen Preis – oder was auch immer – dafür zahlen,
dass sie sich für das Assad-Regime stark machen. Das Einzige, was
hieran etwas ändern wird, ist, wenn jedes hier vertretene Land direkt und
dringlich klar macht, dass Russland und China einen Preis zahlen
werden«, warnte sie.48
Hier haben wir also »Smart Power« in Aktion. Hillary sagt, Russland,
müsse »einen Preis zahlen«, und schon machen sich zahlreiche
»Menschenrechts«-NGOs an die Arbeit, um Russland eine schlechte
Presse zu verschaffen. Die westlichen Medien spielten bei diesem Spiel
begeistert mit.
107
Am Ende des Avaaz-Aufrufs hieß es: »Schließen wir uns zusammen,
um Putin zu zeigen, dass die Welt ihn zur Rechenschaft ziehen und
Veränderungen verlangen wird, bis Russland befreit ist.«
Darüber sollte man einmal nachdenken. »Wir«, die Unterzeichner von
Avaaz-Petitionen, wollen Putin, der immerhin der legal gewählte
Präsident Russlands ist, »zeigen«, dass die Welt »Veränderungen
verlangen wird, bis Russland befreit ist«. Befreit von wem und für wen?
Pussy Riot? Wann haben sie eine Wahl gewonnen oder könnten sie eine
gewinnen? Wie soll Russland also »befreit« werden? Durch eine
Flugverbotszone? Durch US-Drohnen?
Russland muss »einen Preis zahlen”, weil es den US-Plänen in Syrien
im Weg steht. War Pussy Riot Teil des Preises?
Der Chor der westlichen Medien, Popstars und anderen
selbsternannten humanitären Kämpfer wiederholte die Beschuldigung, die
Frauen von Pussy Riot seien nur wegen eines Liedes, das sie in einer
Kirche gegen ihn gesungen hatten, »von Putin« eingesperrt worden. Aber
wo gibt es Beweise, dass sie von Putin eingesperrt wurden? Allem
Anschein nach wurden sie nach einer Beschwerde der christlichorthodoxen Kirche, der ihr ungezogener Auftritt vor dem Hochaltar
missfiel, von der Polizei festgenommen. Kirchen neigen generell zu der
Auffassung, dass die eigenen Räumlichkeiten für die eigenen Riten und
Zeremonien reserviert sind. So riefen aus ähnlichem Anlass auch die
Verwalter des Kölner Doms die Polizei und ließen sie eine Gruppe, die
Pussy Riot kopierte, festnehmen.49 Es war auch nicht das erste Mal, dass
Pussy Riot in eine orthodoxe Kirche eingedrungen war, und diesmal
hatten die empörten Kirchenvertreter genug. Die Gruppe hatte zuvor
schon oft »gegen Putin« demonstriert, ohne festgenommen zu werden. Wo
ist also der Beweis, dass sie zur »Unterdrückung abweichender
Meinungen« von Putin eingesperrt wurden?
Putin hat gesagt, unter anderem vor laufender Kamera, er sei der
Meinung, die Frauen sollten für ihren Auftritt nicht zu hart bestraft
werden.50 Aber Russland hat auch ein Justizsystem. Gesetz ist Gesetz.
Nachdem die Frauen auf die Beschwerde der Kirche hin erst einmal
verhaftet waren, fingen die Mühlen des Gesetzes an zu mahlen, es kam zu
einem Gerichtsverfahren und sie wurden auf der Basis der Klagen
aufgebrachter Christen von einem Gericht für schuldig befunden und
verurteilt. Interessanterweise hatte keiner der Zeugen vor Gericht
irgendeine Erwähnung Putins gehört – sie waren schlicht von den Tänzen
und den obszönen Worten der maskierten Sängerinnen abgestoßen. Videos
auf Youtube zeigen, dass das Lied (wenn man es so nennen kann) und die
108
Anti-Putin-Lyrik (wenn man dies denn so bezeichnen kann) dem Video,
das die Gruppe dann online stellte, erst später hinzugefügt worden
waren.51
Warum war das also eine »Unterdrückung durch Putin«? Der Grund
war offenbar dieser: Sobald der Westen das ungehorsame Oberhaupt
eines Landes einmal als »Diktator« bezeichnet, kann dieser Staat per
definitionem kein eigenes Justizsystem, keine freien Wahlen, keine
unabhängigen Medien, keine freie Meinungsäußerung und keine
zufriedenen Bürger mehr haben – nein, nichts davon, weil im kollektiven
Gruppendenken des Westens jeder »Diktator« quasi Hitler und Stalin
zugleich ist und alles Schlechte, was in seinem Land getan wird oder
geschieht, auf seinen bösen Willen zurückgeht.
Natürlich wäre es absurd zu glauben, die Bürger Russlands oder
irgendeines anderen Landes seien alle mit ihren Führern zufrieden, selbst
wenn sie diese mit überwältigender Mehrheit gewählt haben. Selbst
demokratische Länder bieten ihren Wählern nur eine schmale Bandbreite
an Präsidentschaftskandidaten. Aber trotz Jahrhunderten zaristischer
Autokratie, der Invasionen der Mongolen, Napoleons und Hitlers, der
bolschewistischen Revolution, der kommunistischen Einparteiendiktatur
und dann des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs
der Jahre unter Jelzin hat Russland jetzt weitgehend eine eigene Version
der westlichen kapitalistischen Demokratie übernommen, zu der auch die
Achtung vor der Religion gehört.
Und hier finden wir etwas Merkwürdiges: Der Westen, der früher
einmal seine Interkontinentalraketen gegen den »atheistischen
Kommunismus« richtete, scheint jetzt alles andere als zufrieden über die
Wiederauferstehung der christlich-orthodoxen Kirche als geachtetem Teil
der russischen Gesellschaft. Doch unabhängig davon, ob es einem gefällt
oder nicht, ist nichts Überraschendes daran, dass nach dem
Zusammenbruch einer kommunistischen Ideologie, die in vielerlei
Hinsicht eine Art Religion war, viele Menschen in Russland zu ihrem
traditionellen christlichen Glauben zurückgekehrt sind.
Der Fall Pussy Riot scheint die Botschaft zu bergen, dass das
westliche Kriterium für eine freie Gesellschaft sich geändert hat. Es
besteht nicht länger in der Freiheit, eine Religion auszuüben, sondern in
der Freiheit, diverse Arten von sexuellem Exhibitionismus zu
praktizieren. Man kann natürlich argumentieren, dies sei ein wichtiger
Fortschritt, aber da der christliche Westen zweitausend Jahre gebraucht
hat, um zu diesem Grad von Weisheit zu gelangen, sollte er nun ein wenig
Geduld mit Gesellschaften haben, die hier noch ein oder zwei Jahrzehnte
109
hinterherhinken.
Der Aufruhr um Pussy Riot fand zu Hillary Clintons Amtszeit als
Außenministerin statt und wurde wohl von ihr hinter den Kulissen
gefördert.52 Ihre Expertin für »Smart Power«, Suzanne Nossel, betrieb
die Kampagne von Amnesty International, und diese Kampagne
dominierte die Anti-Putin-Propaganda während Hillary Clintons letztem
Jahr als Außenministerin. Später gefragt, welche Frauen sie
»inspirierten«, nannte sie unter anderem Pussy Riot. Nachdem die beiden
inhaftierten Frauen, Tolokonnikowa und Aljochina, von Putin vorzeitig
entlassen worden waren, reisten sie nach New York, und am 7. April
2014 brachte Hillary ein Foto von sich selbst mit den beiden Riot Girls
in Umlauf und twitterte dazu: »Toll, die starken und mutigen Frauen von
#PussyRiot zu treffen, die sich weigern, ihre Stimmen in #Russland zum
Schweigen bringen zu lassen.«53
Hillary ist sehr stolz darauf, »eine Frau des Glaubens« zu sein –
tatsächlich jeden beliebigen Glaubens. Sie äußerte absolutes Verständnis
für die Muslime, die wegen eines vulgären, in Hollywood produzierten
Videos, das den Propheten verunglimpfte, im gesamten Nahen Osten
gegen US-Botschaften wüteten. »Als religiöser Mensch kann ich
nachvollziehen, wie verletzend die Herabsetzung des eigenen Glaubens
sein muss.«54 Aber von ihr war nie auch nur das geringste Verständnis für
die orthodoxen Christen zu hören, die sich durch die obszönen Possen
Pussy Riots in ihrem Gebetshaus beleidigt fühlten.
Moralisches Chaos
Eine weitere Gruppe exhibitionistischer Frauen an der Frontlinie der USgeführten Kulturkriege ist die ukrainische Gruppe »Femen«, die mit Pussy
Riot einen exhibitionistischen Hass auf Putin, wenn nicht Russland
überhaupt teilt, aber von sich behauptet, der »neue Feminismus« zu sein,
der drei Formen des Patriarchats attackiert: die sexuelle Ausbeutung von
Frauen, Diktatur und Religion.55
Ihre Botschaft gegen die »sexuelle Ausbeutung von Frauen« ist
besonders unscharf, da die Gruppe selbst, wie jeder sexistische
Werbedesigner, die unverhüllten Brüste von Frauen einsetzt, um die
Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen. Nackte Brüste sind sogar
ihr Markenzeichen, und das führt sie wie selbstverständlich dazu, ihre
Aktivistinnen nach denselben »sexistischen« Kriterien auszusuchen, die
110
auch für die Einstellung von Showgirls im Nachtclub Crazy Horse
verwendet werden.
Was die »Diktatoren« betrifft, wird man es schon erraten haben: Sie
konzentrieren sich hauptsächlich auf einen »Diktator«, der in Wirklichkeit
ein gewähltes Staatsoberhaupt ist: den Präsidenten Russlands, Wladimir
Putin.
Die religiösen Zielscheiben sind meist Christen oder Muslime. Die
Frauen verschwenden ihre Zeit nicht mit theoretischen Diskussionen,
denn bei ihren antireligiösen Angriffen scheint es primär um bestimmte
Aspekte sexueller Sitten zu gehen.
Im August 2012 floh die Femen-Führerin Inna Schewtschenko,
nachdem sie in Kiew ein riesiges Holzkreuz umgesägt hatte, vor
angeblichen Todesdrohungen aus der Ukraine und bat um politisches Asyl
in Frankreich, das auch ungewöhnlich schnell gewährt wurde. Zudem gab
man ihrer Gruppe rasch ein Hauptquartier in einem sozialen Zentrum, das
sich mitten im am dichtesten von Muslimen besiedelten Viertel von Paris
befindet. Die Frauen begannen sofort, die Nachbarn auf ihre Anwesenheit
aufmerksam zu machen, indem sie, sehr zum Befremden der Bewohner,
barbusig durch die engen Straßen paradierten und auf Englisch
Obszönitäten riefen. Wenn es ihre Absicht war, bei den arabischen und
afrikanischen muslimischen Männern auf der Straße »sexistische«
Reaktionen zu provozieren, scheiterten sie damit.56
Einmal in Paris, rekrutierte Inna Schewtschenkos Gruppe französische
Frauen, um sie für Aktionen gegen die katholische Kirche auszubilden.
Ihre Kämpferinnen störten eine konservative Prozession von Familien,
die gegen die Schwulenehe demonstrierte, indem sie Kinderwagen samt
den Kindern mit Farbe vollsprühten. Am 20. Dezember 2013 führte eine
Femen-Gruppe, während Gemeindemitglieder der Madeleine-Kirche in
Paris einen Choral übten, vor dem Altar ein Schauspiel der »Abtreibung
Jesu« vor, wobei sie ein Stück Kalbsleber als Fötus benutzten,
»Weihnachten ist abgesagt« riefen und auf die Stufen des Altars
urinierten, um dann die Kirche zu verlassen.57
Französische Briefmarken tragen oft das Porträt des Symbols der
Republik, der »Marianne«, aber das Gesicht wechselt regelmäßig, und
dabei wird oft das Porträt einer berühmten Schauspielerin verwendet. Im
Sommer 2013 wurde eine neue, von Präsident Francois Hollande
ausgewählte Briefmarke vorgestellte, auf der Inna Schew-tschenko als
Marianne fungiert. Der Künstler, Olivier Ciappa, erklärte, Inna
repräsentiere »perfekt meine Werte von liberte, egalite and fratemite«.58
Es ist paradox, dass dieses neue »Symbol französischer Werte«, wenn sie
111
auf der Straße »kämpft«, nur Englisch spricht.
Während Wladimir Putin sich 2014 zu den D-Day-Feiern in
Frankreich aufhielt, gelang es einer Femen-Aktivistin, von Fotografen
begleitet in den abgesperrten Bereich von Madame Tussauds
Wachsfigurenkabinett in Paris einzudringen und die Figur des russischen
Präsidenten mit einem Holzkeil zu »ermorden«.59
Die ukrainischen Femen haben verkündet, dass sie der rechtsextremen,
ukrainisch-nationalistischen Swoboda-Partei nahestehen60 und waren
auch zur Unterstützung des rechtsgerichteten Angriffs auf föderalistische
Aktivisten am 2. Mai 2014 in Odessa zur Stelle,61 bei dem mindestens 38
Menschen in einem von ukrainischen Nationalisten gelegten Feuer zu
Tode kamen.
Zu Femen zu gehören, ist ein Vollzeitjob und erfordert körperliches
Training und Disziplin. Finanziert wird die Gruppe Berichten zufolge von
»Geschäftsleuten«. Einer von ihnen ist Jed Sunden, ein US-Amerikaner,
der nach dem Zerfall der Sowjetunion in der Ukraine auftauchte, um die
wichtigste englischsprachige Zeitung der Hauptstadt, die KyivPost, zu
gründen (die er später an einen anderen Geschäftsmann weiterverkaufte).
Hauptinhalt der Zeitung war das Aufputschen der antirussischen Gefühle
der Westukrainer, Gefühle, die schon seit Jahrhunderten von westlichen
Imperien stimuliert und belohnt werden, um Russland zu schwächen.
Frauen gegen Frauen
Für einen Großteil der Welt kann die Tatsache, dass westliche
Regierungen Pussy Riot und Femen als Heldinnen, wenn nicht sogar als
Märtyrerinnen und Rollenmodelle feiern, nur den wachsenden Glauben
erhärten, dass der liberale Westen dabei ist, in völlige Dekadenz zu
versinken. Auch im Westen selbst gibt es ja eine wachsende Ablehnung
der Werte der Aufklärung, der liberalen Gesellschaft und des
Individualismus. Wenn die Bedeutung von »Freiheit« auf vulgären
Exhibitionismus reduziert wird, wird sie nicht viele glühende Verteidiger
finden. In Wirklichkeit führen diese exhibitionistischen Gruppen sowohl
den Feminismus als auch die Freiheit ad absurdum; sie diskreditieren
beide und stärken damit die traditionalistischen Haltungen, die sie
anzugreifen vorgeben. Ihre Darbietungen können nur die
frauenfeindlichsten Vorstellungen von »befreiten Frauen« als hysterischen
Todesengeln bestätigen. Es ist schwer zu verstehen, was ihre westlichen
112
Unterstützer durch diese Art von Agitation anderes zu gewinnen hoffen,
als die Verschärfung des »Konflikts der Zivilisationen«. Wenn Femen zu
irgendeinem Trend beigetragen hat, dann zu dem der Rückkehr zur
konservativen Tradition. Viele muslimische Frauen haben auf solche
Zumutungen reagiert, indem sie den Schleier nunmehr umso mehr als die
wahre »Befreiung« betrachten. Selbst in den westlichen Ländern
konvertieren derzeit Hunderte von jungen Menschen zum Islam und eilen
in den Nahen Osten, um sich, aus Revolte gegen einen Westen, der auf
seine Dekadenz stolz ist, einem fanatischen Heiligen Krieg anzuschließen.
Millionen von Frauen auf der Welt kämpfen für ihre grundlegendsten
Rechte. Was sollen sie von westlichen Menschenrechtsorganisationen
denken, die Millionen ausgeben, um einige privilegierte Frauen, die sich
in öffentlichen Wutanfällen ergehen, auf den Schild zu heben? Nicht nur
Frauen, sondern all jene, die ernsthafte Gründe haben, gegen echte
Ungerechtigkeit zu rebellieren, leiden unter dem Rampenlicht, das auf
diese sorgfältig choreografierten und undurchsichtig finanzierten
»Proteste« gerichtet wird. Während die USA Pussy Riot feierten, walzten
sie im eigenen Land die Occupy-Bewegung nieder. Die eine Gruppe
repräsentiert einige Einzelpersonen, die andere vertrat die »99 Prozent«.
Die westlichen Mächte nähren ihren Anspruch als weltweite Unterstützer
der Freiheit, indem sie Pussy Riot und Femen hochloben, während
authentischer sozialer Protest in wachsendem Maß ausspioniert,
unterdrückt, marginalisiert und ignoriert wird. Die US-Dominanz im
Bereich populärer Bilder schafft ein Paralleluniversum, das »unsere
Werte« nachäfft, aber in wachsendem Maß einer großen Irrenanstalt
ähnelt und zu einem immer größeren moralischen Chaos beiträgt.
113
4 Der Beginn des clintonschen
Kriegszyklus
Es begann alles in Jugoslawien. Während der Misserfolg des Krieges in
Afghanistan immer mehr erkannt wird, das Desaster des Libyen- Krieges
kaum zu übersehen ist und die Katastrophe der Invasion des Irak 2003
schon als notorisch gilt, wird der Krieg, mit dem dieser tödliche Zyklus
begann, nämlich die unter dem Namen »Kosovokrieg« bekannte
Bombardierung Jugoslawiens 1999, immer noch von vielen als Erfolg
betrachtet. Er wird als gutes Beispiel eines »humanitären Krieges«
angeführt und als Argument für weitere bewaffnete Interventionen ins
Feld geführt. Solange die historische Bedeutung dieses Krieges so gut
wie unbekannt bleibt, kann man ihn auch als perfektes Verbrechen
betrachten: Er war erfolgreich und die Schuldigen kamen davon.
Der Kosovokrieg markierte das Ende eines Zwischenspiels, das auf
das Ende des Kalten Krieges und die große Waffenruhe folgte, nach der
Michail Gorbatschow und die sowjetische Elite suchten, da sie dachten,
nun sei der Augenblick für Frieden auf der Welt. Dies war die Zeit, in der
US-Politiker, die angesichts des plötzlichen Verschwindens ihres
»Feindes Nummer 1« überrascht, skeptisch und sogar frustriert waren,
innehalten und über neue Strategien nachdenken mussten. Was sollte nun
mit dem Militärisch-Industriellen Komplex, mit all den lukrativen
Pentagon-Verträgen, den Militärstützpunkten auf der ganzen Welt und den
namhaften Intellektuellen geschehen, die mit der Analyse der permanenten
Bedrohung durch das kommunistische »Reich des Bösen« beschäftigt
waren? Während Präsident Reagan glücklich über seinen Erfolg war,
machte dieser einen Großteil des außenpolitischen Establishments
zeitweise ratlos.
Gorbatschow träumte offenbar von einer Art historischem
Kompromiss zwischen den beiden Systemen, die einander im Kalten
Krieg gegenübergestanden hatten. In Europa hofften die Menschen auf
114
eine sanfte sozialdemokratische Welt, die das Soziale am Sozialismus mit
der Demokratie des Westens kombinieren würde. Fünfundzwanzig Jahre
später sind beide Ideen schwer, ja vielleicht sogar tödlich verwundet.
Wie sich herausstellte, waren soziale Maßnahmen leicht widerrufbar,
sobald die kapitalistische Welt nicht mehr mit dem Kommunismus um die
Loyalität der Arbeiter konkurrieren musste. Aber ohne diesen sozialen
Aspekt reduzierte sich die Demokratie vor allem in den USA auf ein
Milliardärs-Kasino. Mit dem sowjetischen Widersacher fiel auch der
große Hemmschuh weg für das, was der erste Präsident Bush die »Neue
Weltordnung« genannt hatte und was heute unter dem Namen
»Globalisierung« bekannt ist.
Das Ende des Zwischenspiels kam, als die Clinton-Administration die
Gelegenheit beim Schopf ergriff, die NATO vor der Gefahr der
Überflüssigkeit zu retten, indem sie sie zu einer internationalen
Polizeitruppe umfunktionierte. Für die USA waren die Erhaltung und
Stärkung der NATO nötig, um die Kontrolle über Westeuropa
aufrechtzuerhalten, die Washington seit dem Zweiten Weltkrieg ausübte.
Ferner bildete die NATO für sie den Kern eines erweiterbaren
Instruments der eigenen militärischen Vorherrschaft. Die Gelegenheit kam
mit der Krise Jugoslawiens. Die Clintons hatten diese Krise nicht
geschaffen, aber dennoch waren sie es, denen es gelang, die NATOBombenkampagne im Frühjahr 1999 als etwas ganz Neues zu
präsentieren: einen vollkommen »humanitären« Krieg.1
In den 1980ern hatte der Gehorsam der jugoslawischen
Bundesregierung gegenüber den Forderungen des Internationalen
Währungsfonds im Hinblick auf die Schulden des Landes zu Spannungen
zwischen den Regierungen der Republiken geführt, aus denen die
jugoslawische Föderation bestand. Die Territorien dieser Republiken
deckten sich grob, aber keineswegs genau mit den ethnischen Identitäten
dieser multikulturellen Nation. Jugoslawiens innere Schwierigkeiten
wurden erstmals internationalisiert, als die Bundesrepublik Deutschland,
die gerade erst ihr langgehegtes Ziel der Eingliederung Ostdeutschlands
erreicht hatte, sich aggressiv für die einseitige Sezession Kroatiens und
Sloweniens von Jugoslawien starkmachte.2 Beides waren ehemalige
Provinzen des Österreichisch-Ungarischen Reichs, die nach dem Ersten
Weltkrieg mit dem Königreich Serbien zusammengelegt worden waren,
um mit diesem zusammen Jugoslawien – das Land der Südslawen – zu
bilden. Das Zerbrechen Jugoslawiens war sowohl eine historische
Revanche der »germanischen« Welt an den Slawen als auch ein Mittel,
den deutschen Einfluss auf wertvollen Grundbesitz an der Küste des
115
Mittelmeers sicherzustellen. Die historischen Verbündeten Serbiens,
Frankreich und Großbritannien, die seinerzeit die Gründung Jugoslawiens
unterstützt hatten, machten nun der europäischen Einheit halber und unter
dem Druck einer koordinierten Propagandakampagne mit der
antiserbischen Politik der Deutschen gemeinsame Sache. Serbiens
anderer historischer Verbündeter, Russland, befand sich unter der US-gestützten Präsidentschaft Boris Jelzins im Dämmerzustand und agierte viel
zu schwach und verwirrt, um eine Rolle zu spielen.
Eine massive westliche Propagandakampagne, die in Deutschland
begann und bald durch tendenziöse Presseerklärungen eigens zu diesem
Zweck angeheuerter US-amerikanischer PR-Firmen unterstützt wurde,
bediente sich weit hergeholter Analogien, um Serbien als ein zweites
Nazi-Deutschland und seinen Präsidenten Slobodan Milošević als neuen
Hitler hinzustellen. Milošević unsichere Bemühungen, Jugoslawien
zusammenzuhalten oder wenigstens die Rechte der Serben in Landesteilen
außerhalb der Serbischen Republik zu sichern, wurden auf absurde Art
mit den Bestrebungen des Dritten Reichs verglichen, Europa zu erobern.3
Die gegensätzlichen Gebietsansprüche, die aus der ohne Verhandlungen
vollzogenen Abtrennung mehrerer Republiken von der Jugoslawischen
Föderation resultierten4, wurden als nackte serbische Aggression
hingestellt. Als der Bürgerkrieg sich von Kroatien aus in das aus drei
Nationalitäten bestehende Bosnien-Herzegowina ausbreitete, wurden die
von den bosnischen Serben zeitweilig eingerichteten Gefangenenlager
von den westlichen Medien mit Nazi-KZs verglichen, während ganz
ähnliche, von den bosnischen Muslimen und Kroaten eingerichtete Lager
ignoriert wurden.5
Der Erfolg, den diese Analogie mit Ereignissen des Zweiten
Weltkriegs in der Dämonisierung der Serben erreichte, war umso
bemerkenswerter, als die Auflösung Jugoslawiens in mancher Hinsicht
eine Fortsetzung der beiden Weltkriege darstellte. Die Sezession
Kroatiens wurde weitgehend von Nachfolgern der faschistischen
Ustascha-Bewegung betrieben, die seinerzeit von der Invasion der Nazis
profitiert hatte, um sich im Rahmen des Nazi-beherrschten Europas einen
ethnisch reinen, unabhängigen kroatischen Staat zu schaffen. Der Führer
der sezessionistischen muslimischen Partei in Bosnien, Alija Izetbegović,
war in seiner Jugend Sympathisant der Nazis gewesen. Der Unterschied
war nur, dass Serbien, das im Zweiten Weltkrieg sowohl die Westmächte
als auch Russland als Verbündete hatte, diesmal alleine dastand.
Fünfzig Jahre nach der Niederlage der Nazis war in Europa eine
Generation an der Macht, die mit einer mythischen Vereinfachung des
116
Zweiten Weltkriegs aufgewachsen war und wenig oder nichts über die
geschichtlichen Ursprünge des Konflikts auf dem Balkan wusste. Die
historische Umkehr der Rollen blieb unbemerkt. Eine Generation, die nur
Frieden gekannt hatte, schien beinahe gierig auf das Drama, »in
aufregenden Zeiten zu leben«, und die Herausforderung, die »neuen
Nazis« zu bekämpfen. Die Hitler-Analogie diktierte dann die Reaktion:
Die »freie Welt« muss bereit sein, Gewalt gegen die Gefahr anzuwenden,
um ein neues »München« zu verhindern. Die »München«-Analogie dient
dabei immer zum Ausschluss jeder Suche nach einem Kompromiss, der
von vornherein als grünes Licht für »Diktatoren« stigmatisiert wird.
Und doch war dies ein rein lokaler Konflikt, in dem eine unparteiische
internationale Vermittlung sehr wohl hätte helfen können, einen
Kompromiss zu finden und Blutvergießen zu vermeiden. Statt dies
entweder selbst zu versuchen oder eine unparteiische Vermittlung durch
die UN zu fordern, schlug sich die im Januar 1993 ins Amt gekommene
Clinton-Administration rasch auf eine Seite. Ein anfänglicher, von der
Europäischen Gemeinschaft6 lancierter territorialer Kompromiss
zwischen den Führern der muslimischen, serbischen und kroatischen
Gemeinschaften in Bosnien-Herzegowina, der einen Bürgerkrieg
vermieden hätte, brach zusammen, als Alija Izetbegović ihn ablehnte,
nachdem der bosnische US-Botschafter ihm versichert hatte, er könne
etwas Besseres bekommen, wenn er ihn zurück-weise.7
Der Bosnienkrieg endete 1995 mit Regelungen, die den 1993 von
Izetbegović abgelehnten Vorschlägen ähnlich waren. Zwanzig Jahre später
bleiben von den zwei Jahren Massenschlächterei nur bittere
Ressentiments, Trauer, Hass und Misstrauen – Emotionen, die eine
Versöhnung verhindern und die Abhängigkeit der feindlichen Brüder von
äußeren Mächten verewigen.
Hillary zieht in den Krieg
Als die Wähler 1992 Bill Clinton zum Präsidenten der Vereinigten
Staaten wählten, stimmten sie damit auch für seine Frau. Bill erklärte den
Wählern, wenn sie für ihn stimmten, bekämen sie »zwei [Clintons] zum
Preis von nur einem«. Aber nach dem Misslingen ihres Plans zur
Gesundheitsreform bestand Hillarys einziger politischer Erfolg in ihrer
hervorragend gespielten Rolle als treue Ehegattin, die »zu ihrem Mann
hält«.8 Die tapfere Art, wie sie ihren leichtfertigen Gatten verteidigte,
117
wurde weithin geschätzt, aber als Qualifikation für das höchste Amt im
Land war das doch ein wenig dürftig. Ihre Mitwirkung an den Kriegen in
Ex-Jugoslawien scheint da schon eher »präsidentiell«.
Während des Vorwahlkampfs der Demokraten 2008 erinnerte Hillary
Clinton an ihre politischen Erfahrungen als First Lady, indem sie ihr
Publikum wiederholt mit aufregenden Berichten von ihrer Reise in das
bosnische Tuzla 1996 ergötzte:
»Ich erinnere mich sehr gut an diese Reise nach Bosnien. Es gab eine Maxime
im Weißen Haus, die besagte, dass der Präsident, wenn ein Ort zu klein, zu arm
oder zu gefährlich war, nicht dorthin gehen konnte und dass man dann die First
Lady schicken sollte. Ich erinnere mich, dass wir unter Scharfschützenfeuer
landeten. Eigentlich sollte es am Flughafen eine Art Begrüßungszeremonie
geben, aber stattdessen rannten wir mit eingezogenen Köpfen los, um in die
Autos zu kommen, die uns zu unserem Stützpunkt bringen sollten.«9
Nachdem ihre Prahlereien ein wenig die Runde gemacht hatten, wurde
ihre Geschichte von zahlreichen Augenzeugen des Ereignisses sowie von
Fernsehberichten widerlegt, die zeigten, wie Hillary Clinton mit ihrer
Tochter Chelsea in Tuzla ankam und wie beide von kleinen Kindern mit
Blumen begrüßt werden.
Von der Redaktion der Philadelphia Daily News während eines
Interviews im März 2008 zu Rede gestellt, war Hillary Clinton
gezwungen zuzugeben, dass es keine Scharfschützen gegeben hatte,
versuchte aber, sich herauszureden: »Ich denke, das war ein kleiner
Lapsus, wenn ich da so etwas gesagt habe; ich sage ja eine Menge –
Millionen von Wörtern – am Tag. Wenn ich mich also versprochen habe,
habe ich einfach einen Fehler gemacht.«10
Sie hatte also nie Scharfschützenfeuer ausweichen müssen, aber sie
wusste, wie man peinlichen Fragen ausweicht. Die Tatsache, dass sie
jeden Tag Millionen von Worten spricht, erlaubt ihr ihrer Meinung nach
einen großzügigen Anteil von »Fehlern«, oder einfacher ausgedrückt:
Lügen.
Ihre Behauptung, sie habe vor Scharfschützen flüchten müssen, war
nicht nur absolut falsch, sondern auch historisch absurd und moralisch
fragwürdig. Die Feindseligkeiten in Bosnien waren mit dem am 21.
November 1995 unterzeichneten Daytoner Friedensabkommen schon vier
Monate vor ihrem Besuch endgültig eingestellt worden. Es war
unmöglich, dass sie das nicht wusste. Tatsächlich war es so, dass der
gemeinsame Besuch der First Lady und ihrer Tochter in Tuzla nichts
118
damit zu tun hatte, dass sie an einen Ort geschickt wurden, der für den
Präsidenten »zu gefährlich« war. Vielmehr sollte er unterstreichen, dass
das Weiße Haus trotz Wiederherstellung des Friedens sein Interesse an
Bosnien nicht verloren hatte. Hillarys Sprecher Howard Wolfson fügte zu
ihren »falschen Darstellungen« noch hinzu, sie sei ja dort »an der
Frontlinie […] einer möglichen Kampfzone« gewesen. Abgesehen davon,
dass es keine »Frontlinie« oder »Kampfzone« mehr geben konnte, da der
Krieg vorbei war, war Tuzla keines von beidem je gewesen. Es war eine
relativ neutrale Industriestadt, die wahrscheinlich darum als USMilitärstützpunkt gewählt worden war, weil sie in einer besonders
sicheren Gegend lag.
Lügen über Bosnien waren alles andere als ungewöhnlich, aber diese
war besonders dumm und selbstverherrlichend. Hillary meinte offenbar,
die dumpfen Massen würden eine Konfrontation mit echtem
Gefechtsfeuer als zusätzliche Qualifikation als Oberbefehlshaberin der
Streitkräfte betrachten. Die Episode zeigte außerdem ihre beharrliche
Tendenz, militärische Konflikte als Anlass zu verstehen, persönliche
Härte zu demonstrieren – und nicht als Anlass, ein kluges Verständnis
politischer Komplexitäten zu entwickeln. Ihre Behauptung, sie habe
wacker einem Scharfschützenfeuer widerstanden, ist nicht gar so
verschieden von Sarah Palins Meinung, sie verstünde Russland, da sie es
ja von Alaska aus sehen könne.
Hillary Clintons dokumentierte Äußerungen über das frühere
Jugoslawien enthüllten eine Tendenz zur Effekthascherei in
außenpolitischen Fragen, die sich für ihre Amtszeit als Außenministerin
als charakteristisch erweisen sollte.
Der Holocaust als Vorwand
In ihrer von enormer Bewunderung geprägten Biografie der First Lady11
stellte Gail Sheehy Hillarys aktiven Einsatz für die Bombardierung
Jugoslawiens 1999 als einen wichtigen Pluspunkt für sie dar. Laut
Sheehys Buch überzeugte Hillary ihren widerstrebenden Gatten, die 78
Tage währende NATO-Bombenkampagne gegen die Serben zu entfesseln,
indem sie argumentierte: »Am Ende eines Jahrhunderts, das den
Holocaust gesehen hat, kannst du diese ethnische Säuberung nicht
weiterlaufen lassen.«12
Dieser angebliche Satz Hillarys ist reines Theater und ist für den
119
Konflikt auf dem Balkan völlig irrelevant. In Wirklichkeit gab es zu
diesem Zeitpunkt im Kosovo gar keine »ethnische Säuberung«.
Stattdessen war es das NATO-Bombardement, das bald zur Flucht
zahlloser Menschen in alle Richtungen führte – eine Reaktion, die die
Führer der NATO dann als genau die »ethnische Säuberung«
interpretierten, die sie mit dem Bombardement angeblich verhindern
wollten. Aber was Hillarys Bemerkung sehr wohl illustriert, ist die
Tatsache, dass der Jugoslawienkonflikt den Beginn einer Phase markiert,
in der die Bezugnahme auf den Holocaust zum emotional mächtigsten
Argument zugunsten von Krieg wurde.
Das war nicht immer so. Am Ende des Zweiten Weltkrieges zogen
sowohl die Überlebenden der KZ, die so lange gelitten hatten, als auch
jene, die die Schrecken der Lager nachträglich entdeckten, daraus den
Schluss, dass dies noch ein weiterer zwingender Grund sei, nie wieder
Krieg zu führen. Aber mit den Jahren und aufgrund der merkwürdigen
Wirkungen des Zeitgeistes hat sich die Erinnerung an den Holocaust in
das stärkste rhetorische Argument für Krieg verwandelt. Es ist eine Art
imaginärer Revision der geschichtlichen Ereignisse, die sich einem
Verständnis der Gegenwart in den Weg stellt. Hillarys Satz ist eine andere
Art zu sagen: »Ich hätte in München >Nein< zu Hitler gesagt«, oder: »Ich
hätte Auschwitz bombardiert.« Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist
in den letzten Jahrzehnten so sehr von der Tragödie des Holocaust
überschattet worden, dass führende Politiker des Westens am Ende
imaginäre Wiederholungen von Dramen der Vergangenheit ausagieren
könnten, statt sich den Realitäten der Gegenwart zu stellen. Der Konflikt
im Kosovo war für US-Amerikaner so undurchsichtig, so unvertraut und
so entstellt durch Täuschungen und Selbsttäuschungen,13 dass es am
leichtesten war, ihn sich als Variante des Konfliktes vorzustellen, den
jeder kannte oder zu kennen glaubte. Der moralische Mehrwert hierdurch
schien enorm – besonders angesichts der geringen Kosten, da hier ja nicht
mehr erforderlich war, als ohne nennenswertes Risiko für uns selbst ein
Land ohne taugliche Luftabwehr zu bombardieren.
Hier muss bemerkt werden, dass Hillary Bill am Telefon zur
Bombardierung der Serben aufforderte, als sie gerade auf einer Reise in
Nordafrika mit Stationen in Ägypten, Tunesien und Marokko war. Als
Reiseführerin fungierte ihre neue Assistentin Huma Abedin, die bald zur
Expertin ihres Vertrauens für die muslimische Welt wurde. Viele säkulare
arabische Nationalisten sympathisierten aufgrund der guten historischen
Beziehungen aus der Zeit der Bewegung der Blockfreien Staaten mit den
Serben. Hillary Clinton dagegen war damals eine Novizin, die gerade
120
erst lernte, die Perspektive der Muslime zu schätzen – und in der
islamischen Welt genossen die Muslime in Bosnien und im Kosovo eine
breite und oft sogar fanatische Unterstützung. Es ist gut möglich, dass
Huma Hillary versicherte, Muslime überall in der Welt würden der
Clinton-Administration für die Bombardierung der Serben Beifall
spenden.
Aber es gibt gute Gründe zu bezweifeln, dass Hillarys moralisches
Drängen der einzige Grund für das NATO-Bombardement dessen war,
was 1999 noch von Ex-Jugoslawien übriggeblieben war.14 Denn es ist
außerdem klar, dass einige US-Strategen die Gelegenheit nutzen wollten,
die NATO unter humanitärem Vorwand in eine globale Polizeitruppe zu
verwandeln. Zugleich besteht wenig Grund zu bezweifeln, dass Hillary
ihren Mann tatsächlich zu diesem Bombardement ermutigte, und gar kein
Grund zum Zweifel, dass sie sich gegenüber ihrer ehrfürchtigen Biografin
damit gebrüstet hat, um ihre »Entschlossenheit« zum Einsatz der Macht
der USA für »humanitäre« Missionen zu demonstrieren. Das passt zu
ihrem selbstgewählten Image als »strenge und fürsorgliche« Frau.
Verbrechen zahlt sich aus
Worum ging es im Kosovo wirklich? Mit der Holocaust-Analogie sollen
heutige ethnische Konflikte rein dualistisch gesehen werden, wobei man
dann teuflische, Völkermord planende Rassisten auf der einen und absolut
unschuldige Opfer auf der anderen Seite hat. Aber so sieht die Welt selten
aus. In Wirklichkeit standen sich im Kosovokonflikt auf beiden Seiten
Menschen mit konkreten Beweggründen und Fehlern gegenüber. Die
Serben und Albaner im Kosovo waren sprachlich und im Brauchtum sehr
verschieden, was eine Koexistenz schwierig machte. Die Serben sahen
sich als »Staatenbauer« und strebten nach modernen Institutionen. Die
Kosovo-Albaner hingen immer noch an ihren Clanstrukturen und ihrem
mittelalterlichen Ehrenkodex und hatten wenig für die moderne Idee von
»Recht und Ordnung« übrig. Prominente Vertreter beider Seiten waren zu
einem Kompromiss bereit. Warum hat man sie nicht daran arbeiten
lassen? Und mehr noch: Warum hat man ihnen nicht dabei geholfen? Sie
kannten einander wenigstens und wussten, worum es ging.
Aber wenn Außenstehende sich in einen Konflikt hineindrängen,
verändern sie nicht nur die Kräfteverhältnisse, sondern auch den Konflikt
selbst. Die USA pickten sich eine kleine, in kriminelle Aktivitäten
121
verstrickte Gruppe bewaffneter »Kosovaren« heraus, die sich selbst als
»Befreiungsarmee des Kosovo« (UÇK) bezeichneten.15 Sie waren fortan
für die USA »die Guten«, und so setzten diese eine Version der
Ereignisse in Umlauf, die für ihre Schützlinge schmeichelhaft war. Das
Ergebnis ist, dass die offizielle westliche Geschichte des
Kosovokonflikts ein Lügengewebe ist.16
Nebenbei bemerkt war die Selbstbezeichnung als »Kosovaren« eine
Public-Relations-Idee ethnisch-albanischer Separatisten, die den
Anschein erwecken wollten, es gebe ein Land namens Kosovo, dessen
Einwohner Kosovaren seien – und das implizierte, dass die Serben dort
eigentlich nichts zu suchen hatten. Dabei kommt das Wort »Kosovo« von
der serbischen Bezeichnung »kosovo polje«, die für »Amselfeld« steht,
und darin ist »Kosovo« nichts weiter als »Amsel« im Genitiv. Die
Region selbst ist historisch gesehen ein serbisches Kerngebiet, in dem die
albanisch-sprechende Bevölkerung aufgrund der Einwanderung aus dem
Nachbarland Albanien und der höchsten Geburtenrate Europas in den
letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Die »Kosovaren« waren
albanische Nationalisten, die die albanische Nationalflagge schwenkten
und von ihren albanischen Landsleuten auf der anderen Seite der Grenze
intensiv unterstützt wurden.
Die Öffentlichkeit im Westen glaubte bereitwillig, der Kosovokrieg
sei nicht nur eine humanitäre Rettungsaktion, sondern darüber hinaus auch
ein großer Erfolg gewesen, weil er keine Opfer auf unserer Seite
forderte. Damit war der erste geopolitische Zweck dieses kleinen
Krieges erreicht: Er diente als Werbung für den Krieg selbst. Diese
Operation bewies, dass eine starke, auf angebliche »Opfer eines
potentiellen Völkermords« konzentrierte Propagandakampagne sich
erfolgreich über das nach dem Zweiten Weltkrieg von den Vereinten
Nationen etablierte System der Friedenssicherung hinwegsetzen konnte.
Die NATO bombardierte einfach ohne Autorisierung des
UNSicherheitsrats und in offener Verletzung des Völkerrechts. Und doch
war der Einfluss ihrer führenden Mitglieder groß genug, um für die
Schaffung eines Internationalen Gerichtshofs unter der Ägide der UN zu
sorgen, dessen Hauptaufgabe die Strafverfolgung serbischer Angeklagter
wegen Kriegsverbrechen war. So bestand der Haupterfolg des
»Kosovokriegs« darin, die USA und die NATO über Recht und Gesetz zu
stellen, und dies ist ein Zustand, der bis heute andauert.
Der Bombenkrieg dauerte vom 24. März bis zum 10. Juni 1999,
zerstörte einen Großteil der Industrie und Infrastruktur Jugoslawiens und
tötete, verwundete und demoralisierte unzählige Zivilisten.17
122
Während des Bombardements beschuldigten Sprecher der beteiligten
NATO-Mächte die Serben der Abschlachtung von Zehn- oder sogar
Hunderttausenden von unschuldigen Kosovo-Albanern, und die
westlichen Medien verbreiteten begierig falsche Geschichten von
Massenvergewaltigungen und Massengräbern.18 Die deutsche Propaganda
verbreitete einen Bericht über eine angebliche serbische »Operation
Hufeisen«, die das Ziel verfolge, die gesamte albanische Bevölkerung
aus dem Kosovo zu vertreiben. All das war reine Erfindung.19 Nach dem
Krieg fanden internationale Ermittler keine Beweise für die angeblichen
Gräuel. Aber negative Befunde wie »es gab keine Massaker« konnten nie
die vorherigen Berichte über »Massaker mit Völkermordcharakter«
wettmachen, wie sie während des Bombardements überall verbreitet
worden waren. Kriegspropaganda macht ihren Eindruck zu einer Zeit, zu
der das Publikum interessiert ist. Die Widerlegungen kommen erst, wenn
das Interesse längst nachgelassen hat. Und so werden die alten Lügen bis
zum heutigen Tag weiter verbreitet.20
Ungeachtet der Heftigkeit der Kämpfe zwischen den Serben, die ihr
Land verteidigten, und den Separatisten der UÇK (die sowohl von den
Luftschlägen der NATO als auch von Kräften unterstützt wurden, die über
die Berge aus dem benachbarten Albanien ins Kosovo einsickerten)
kamen Forscher zu dem Schluss, es habe unter Einbeziehung aller Seiten
und aller Todesarten im Kosovo während des Krieges nicht mehr als
zwischen zwei- und viertausend Tote gegeben.21 Vielleicht waren es
mehr, aber jedenfalls nicht genug,22 um dem von der NATO unterstützen
Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY)23 die
Möglichkeit zu geben, den jugoslawischen Präsidenten Slobodan
Milošević wegen »Völkermordes« anzuklagen, wie das zunächst geplant
war. Stattdessen klagte das Gericht ihn dann aufgrund von Verbrechen in
Bosnien an, die er nicht nur nicht begangen hatte und nicht nur gar nicht
begangen haben konnte, sondern die er vergeblich zu verhindern versucht
hatte.24 Er starb, offenbar aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung,
im März 2006 in einem niederländischen Gefängnis, noch bevor er seine
Verteidigung abschließen konnte. Unterdessen wurden die von der UÇK
während des Konflikts begangenen Verbrechen von den Medien und vom
ICTY ignoriert. Und auch die Forderung nach Untersuchung der
Verbrechen der NATO-Aggressoren wies das Gericht als unbegründet
zurück.
Jugoslawien hatte keine Luftabwehr, die in der Lage gewesen wäre,
die Flut der NATO-Bomben und -Raketen abzuwehren. Dennoch war das
123
Bombardement, was einen Sieg über die serbische Armee oder auch nur
ihre ernste Beeinträchtigung anging, ein totaler Fehlschlag. Diese blieb
weitgehend intakt und war darauf vorbereitet, eine Bodenoffensive
zurückzuschlagen. Doch der Einsatz von US- Bodentruppen in Serbien
gegen gut ausgebildete serbische Soldaten, die ihr Heimatland
verteidigten, hätte aufgrund der dann anfallenden US-Opfer den »Erfolg«
getrübt. Dessen ungeachtet waren die schwere Beschädigung der zivilen
Infrastruktur, Brücken, Fabriken und selbst der Schulen und
Krankenhäuser Serbiens sowie die von internationalen Unterhändlern
übermittelten NATO-Drohungen von totaler Zerstörung für Präsident
Milošević Grund genug, einem Abzug der jugoslawischen Truppen aus
dem Kosovo zuzustimmen und internationalen Truppen unter Führung der
NATO zu erlauben, die Provinz zu besetzen. Die Bedingungen für diesen
jugoslawischen Abzug wurden in einem am 9. Juni 1999 in der
mazedonischen Stadt Kumanovo geschlossenen und später als UNSicherheitsratsresolution 1244 formalisierten Abkommen festgelegt.
Dieses Abkommen gestattete es fremden, als »KFOR« (Kosovo-Truppen)
bezeichneten Streitkräften, das Gebiet des Kosovo zu besetzen. Im
Gegenzug gab das Abkommen Jugoslawien und Serbien gewisse
Garantien, die USA und NATO allerdings später weitgehend ignorierten.
Resolution 1244 legte fest, das Kosovo solle »weitgehende
Selbstverwaltung« und »weitgehende Autonomie innerhalb der
Bundesrepublik Jugoslawien« genießen, wobei »die Prinzipien der
Souveränität und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien«
berücksichtigt werden sollten. Sie sah außerdem die Entwaffnung der
UÇK vor.
Das war an sich keine bedingungslose Kapitulation, die USA
behandelten das Abkommen jedoch sofort als solche. Die serbischen
Truppen zogen wie vorgesehen ab, aber die Bestimmung, die serbischen
Truppen die Kontrolle über wichtige Grenzübergänge gab, wodurch sie
die unkontrollierte Einreise von Albanern aus dem angrenzenden
Albanien ins Kosovo hätten verhindern können, wurde nicht respektiert.
Russische Truppen, deren Beteiligung an der Besetzung des Kosovo
ursprünglich vorgesehen war, wurden marginalisiert und spielten bald
keine Rolle mehr.
Am 29. Juni 1999, zehn Tage nach dem Waffenstillstandsabkommen,
berichtete Chris Hedges in der New York Times, die UÇK habe
weiträumig die Kontrolle über das Kosovo übernommen: »In
Abwesenheit einer starken internationalen Polizeipräsenz etabliert sie ein
Netz selbsternannter Ministerien und örtlicher Räte, beschlagnahmt
124
Unternehmen und Wohnungen und treibt Steuern und Zölle ein.« Trotz
eines Friedensabkommens, das eine von den Vereinten Nationen ernannte
Verwaltung vorsehe, und trotz der Tatsache, dass die UÇK-Guerillas
keinerlei rechtlichen Status hätten, hätten Letztere nun »vollendete
Tatsachen geschaffen«.25
Der oberste UN-Verwalter für das Kosovo, der französische Anhänger
humanitärer Interventionen Bernard Kouchner, fand nichts dabei und
kommentierte: »So ist es nach Befreiungskriegen doch immer.«26
Statt, wie in Resolution 1244 vorgesehen, entmilitarisiert zu werden,
wurde die UÇK schrittweise in eine Polizeitruppe und dann in eine mit
der NATO verbündete Armee umgewandelt. Washingtons auserwählter
Schützling Hashim Thaçi wurde so für eine lange Zeit an die Macht
gehievt. Ibrahim Rugova, der Führer, den die KosovoAlbaner 1992 selbst
gewählt hatten und der zu einem Kompromiss mit Milošević bereit
gewesen war, wurde von der UÇK ins Abseits geschoben und starb 2006
an Lungenkrebs.
Unmittelbar nach der Transferierung ihrer Besatzungstruppen in den
Kosovo begannen die USA mit dem Bau einer über 400 Hektar großen
US-Militärbasis namens Bondsteel auf gestohlenem Farmland. Nichts in
irgendeinem internationalen Abkommen autorisierte die Errichtung dieses
riesigen US-Stützpunkts, der aber dennoch bis heute existiert.
Dann fand unter den Augen der NATO-Besatzer eine echte »ethnische
Säuberung« von Nicht-Albanern statt, aber auch Albaner waren unter den
Opfern der Machtübernahme Hashim Thaçis. Am 25. Juni 1999 berichtete
ein Artikel auf der ersten Seite der New York Times unter dem Titel
»Kosovo-Rebellen sollen eigene Leute hingerichtet haben«, hohe UÇKKommandeure hätten laut Mitgliedern der Rebellenarmee und westlichen
Diplomaten »Morde, Verhaftungen und Säuberungen in den eigenen
Reihen durchgeführt, um potentielle Rivalen zu erledigen«. »Die
Kampagne, bei der bis zu einem halben Dutzend hohe Rebellenführer
erschossen wurden, wurde von Ha-shim Thaçi und zwei seiner
Stellvertreter, Azem Syla und Xhavit Ha-liti, geführt.«27 Nach seiner
Machtübernahme ernannte Thaçi Syla zum Verteidigungsminister des
Kosovo.
»Thaçi war in den Jahren vor dem Aufstand von 1998 mit Haliti am
Waffenschmuggel aus der Schweiz beteiligt«, hieß es in der New York
Times weiter. »Thac.i, dessen Kampfname >Schlange< war, wird seit
langem immer wieder mit Gewalt in Verbindung gebracht.« So sei der
kosovo-albanische Journalist Ali Uka im Juni 1997 in seiner zuvor mit
Thaçi geteilten Wohnung tot aufgefunden worden, wobei sein Gesicht
125
durch wiederholte Stiche mit einem Schraubenzieher und einer
abgebrochenen Flasche entstellt gewesen sei.28
Ein berühmtes Foto vom 29. Juli 1999 zeigt Madeleine Albright, wie
sie in Priština willkommen geheißen und dabei innig von keinem anderen
als dem photogenen Hashim Thaçi umarmt wird. Hier Leute, das ist mein
Baby.29
Am selben Tag spekulierte das Wall Street Journal: »In den
kommenden Jahren besteht das Risiko, dass die Guerillas sich gegen die
Nordatlantische Vertragsorganisation wenden, falls ihre Forderung nach
einem unabhängigen Kosovo nicht erfüllt wird. Aber US-Vertreter sagen,
ein freundlicher Umgang mit Thaçi sei eine Garantie gegen diese
Gefahr.«30
In der Tat, aber das lag wohl eher daran, dass Thaçi sich sicher war,
dass er seinen Willen auch bekommen würde, ohne gegen die NATO
revoltieren zu müssen.
Als im März 2004 ein Mob von Zehntausenden ethnischen Albanern
gegen serbisch-orthodoxe Kirchen und Klöster wütete, war die westliche
Reaktion im Wesentlichen Verständnis für den Vandalismus, den man der
»Ungeduld« im Hinblick auf die volle Unabhängigkeit des Kosovo
zuschrieb. Auf Resolution 1244 basierende Verhandlungen mit Belgrad
über die Zukunft des Kosovo erwiesen sich als sinnlos, da die Albaner
keinerlei Motiv hatten, auch nur das kleinste Zugeständnis zu machen,
wussten sie doch, dass sie die volle Unterstützung der USA genossen. Als
Hashim Thaçis UÇK-Regime im Februar 2008 einseitig und in völliger
Missachtung der Bestimmung in Resolution 1244, »die Prinzipien der
Souveränität und territorialen Integrität« müssten respektiert werden, die
Unabhängigkeit des Kosovo ausrief, gaben die USA und die meisten
(wenn auch nicht alle) Mitglieder der EU rasch ihre Zustimmung. Nur
Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern weigerten
sich, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen.
Ein krimineller Staat
Obwohl das Kosovo im Februar 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien
erklärte, war es weit von einer wirklichen Unabhängigkeit entfernt. Zum
einen war ein Teil seines Territoriums in den US-Militärstützpunkt Camp
Bondsteel verwandelt worden, und zum anderen war es immer noch von
ausländischen KFOR-Truppen besetzt, die die verbliebenen serbischen
126
Enklaven beschützten. Auch die Verwaltung befand sich immer noch unter
Aufsicht der UN-Mission im Kosovo (UNMIK).31 Denn sämtlichen
Besatzungsinstitutionen war klar geworden, dass ein unentbehrliches
Attribut eines souveränen Staates im Kosovo auf dramatische Art fehlte:
nämlich ein Justizsystem, das in der Lage wäre, das Recht durchzusetzen.
Als die Serben aus der Provinz abzogen, nahmen sie Recht und Ordnung
mit.
Das Haupthindernis für Recht und Ordnung im Kosovo wurde erstmals
offensichtlich, als der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige
Jugoslawien versuchte, ein Verfahren gegen den berüchtigten UÇKClanführer Ramush Haradinaj wegen Mordes an seinen Gegnern zu
führen. Noch während seiner Amtszeit als Ministerpräsident des Kosovo
wurde Haradinaj im Februar 2005 in 37 Fällen wegen Gräueltaten an
Serben und Albanern, die der Unterstützung der Serben verdächtigt
wurden, angeklagt – darunter Mord, Folter und Vergewaltigung. Etliche
Zeugen der Anklage verweigerten die Aussage und gaben als Grund ihre
Angst vor Rache an. Haradinaj wurde im April 2008 freigesprochen,
aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft erneut angeklagt und im
November 2012 in Ermangelung glaubwürdiger Zeugenaussagen ein
zweites Mal freigesprochen. Wann immer ein hohes Mitglied der UÇK
vor Gericht kam, verflüchtigten sich die Zeugen der Anklage – sie
wurden ermordet, widerriefen, verschwanden oder »begingen
Selbstmord«. Und jede Anklage gegen prominente UÇK-Fi-guren führte
zu Straßendemonstrationen in Pristina, die sich darüber beschwerten, das
Kosovo werde »verleumdet«.32
Das Haupthindernis für Recht und Ordnung im Kosovo lässt sich auf
ein Wort reduzieren: Omertä. Die albanische Bevölkerung ist so
diszipliniert oder so eingeschüchtert, dass eine Verurteilung ihrer
kriminellen Clanführer praktisch unmöglich ist. Hinzu kommt, dass nach
albanischem Brauch das Recht häufig noch als eine persönliche oder
Familienangelegenheit und nicht als Sache öffentlicher Anklagen oder
Gesetzesinstitutionen gesehen wird. Die Zusammenarbeit mit der Polizei
nimmt dann vorzugsweise die Form der Bestechung an.
All das spielte sich zu weit weg vom eigenen Heimatland ab, um USPolitiker zu stören, die bis heute immer noch völlig zufrieden mit ihren
Schützlingen scheinen. Aber viele Europäer waren über die Aktivitäten
dieses kriminellen Ministaates vor ihrer Haustür beunruhigt. Daher
startete die Europäische Union am 9. Dezember 2008 ihre bis dahin
ambitionierteste Ziviloperation im Ausland, die EU-Mission für
Rechtsstaatlichkeit im Kosovo, die unter dem Namen EU-LEX bekannt
127
ist.33 An der Mission waren neben Mitgliedsstaaten der EU auch die
USA, die Türkei, die Schweiz und Norwegen beteiligt.
EULEX war kein großer Erfolg beschieden. Zwar kam es innerhalb
von drei Jahren zu etwas mehr als zweihundert Verurteilungen wegen
Straftaten wie etwa organisiertem Verbrechen, Frauen- und Drogenhandel
oder Mord. Aber für eine Mission mit annähernd dreitausend
Angestellten, die noch viele weitere Verbrechen aufzuklären gehabt hätte,
wurde das doch als etwas enttäuschend betrachtet. Es gibt weiterhin
Massendemonstrationen von Albanern gegen jede Anklage gegen einen
der »ihren«34 und die Zeugen der Anklage verschwinden auch weiterhin.
Statt die Korruption vor Ort beseitigt zu haben, werden Vertreter von
EULEX nun ihrerseits beschuldigt, korrupt zu sein.35
Der größte Skandal, in den die UÇK-Führer des Kosovo involviert
sind, hat mit dem illegalen Handel mit menschlichen Organen zu tun.
Diese Beschuldigung wurde zwischen dem ICTY, dem Europarat und
EULEX wie eine heiße Kartoffel hin- und hergeschoben. Sie wurde
erstmals 2008 erhoben, als die ehemalige ICTY-Anklägerin Carla Del
Ponte in Italien unter dem Titel Die Jagd ihre Memoiren veröffentlichte,
in denen sie behauptete, die Untersuchung von UÇK-Verbrechen sei »im
Keim erstickt« worden, weil die NATO im Krieg mit der UÇK
zusammengearbeitet hatte. Insbesondere habe man sie an der
Untersuchung des angeblichen Handels der UÇK mit menschlichen
Organen gehindert, die von (dabei getöteten) Zivilgefangenen entnommen
wurden. Zeugen hätten berichtet, die Gefangenen seien in einem »gelben
Haus« jenseits der Grenze in Albanien gefangen gehalten und dort
operiert worden.36
Von einem serbischen Journalisten nach dem »gelben Haus« befragt,
brach der erste UNMIK-Chef, der Franzose Bernard Kouchner, in ein
hohles Pseudo-Gelächter aus und erklärte dem Frager, er solle sich auf
seinen Geisteszustand untersuchen lassen.37
Doch am 25. Januar 2011 billigte der Europarat einen von dem
Schweitzer Staatsanwalt Dick Marty verfassten Bericht der aus
gewählten Vertretern aus 47 Ländern gebildeten Parlamentarischen
Versammlung des Rats, in dem die Existenz »glaubwürdiger, konsistenter
Hinweise« auf den illegalen Handel mit menschlichen Organen über mehr
als ein Jahrzehnt hinweg bestätigt wurde. Zu den Opfern gehörten
Albaner, die gegen die UÇK waren, und eine kleine Zahl serbischer
Gefangener. Der Bericht war allerdings juristisch nicht bindend, und so
erhob Marty die Forderung, den Fall vor ein ordentliches Gericht zu
128
bringen.38
Unterdessen hatte die Polizei einen aktiven Organhandelsring entdeckt,
der im Medicus-Krankenhaus in Pristina tätig war. Am 15. Oktober 2010
klagte ein EULEX-Gericht mehrere Personen, darunter einen ehemaligen
Gesundheitsminister der Regierung des Kosovo, wegen nicht-letaler
Nierentransplantationen an. Angeblich war der Organhandel zugunsten
von israelischen Patienten eingefädelt wor-den.39 Diesmal gab es
Gerichtsverfahren, aber bezüglich der Organentnahme bei Gefangenen in
Albanien am Ende des Kosovokriegs wurde nie etwas unternommen.
EULEX reichte das heiße Eisen an John Clint Williamson weiter,
einen US-Ankläger, der als Prozessanwalt beim ICTY und als Experte
beim Verfahren gegen die Führer der Khmer Rouge in Kambodscha tätig
gewesen war. Am 29. Juli 2014 stellte Williamson in Brüssel einen
Zwischenbericht der Sonderuntersuchungskommission der EU vor, der
Martys Beschuldigungen bestätigte. Williamson machte »hohe Vertreter«
der UÇK für »ungesetzliche Tötungen, Entführungen, illegale Haftlager
im Kosovo und in Albanien, sexuelle Gewalt, weitere Formen
unmenschlicher Behandlung, die gewaltsame Vertreibung von Personen
aus ihren Wohnungen und Gemeinden sowie die Entweihung und
Zerstörung von Kirchen und anderen religiösen Stätten« verantwortlich.
Williamson sagte, diese Verbrechen seien »organisiert durchgeführt und
von bestimmten Personen ganz an der Spitze der UÇK-Führung
sanktioniert worden« und hätten »mit Ausnahme einiger weniger
Enklaven von Minderheiten zur ethnischen Säuberung großer Teile der
serbischen und der Roma-Bevölkerung aus Gebieten des Kosovo südlich
des Flusses Ibar geführt«.40
Aber Williamson sah kaum eine Chance, dass die Verantwortlichen für
die tödlichen Organtransplantationen jemals belangt würden. »Fünfzehn
Jahre nach den Vorfällen haben wir solide Informationen darüber, dass
diese Dinge geschehen sind, aber keine physischen Beweise. Es gibt
keine Leichen und keine Opfernamen«, so Williamson gegenüber The
Guardian.41
Abgesehen von diesem Bericht im Guardian wurde diese Enthüllung
von den Mainstreammedien fast völlig ignoriert. Die Informationen über
ein so grässliches Verbrechen wie das, Gefangene aufzuschneiden, um
ihnen ihre Organe zu entnehmen, kamen so vereinzelt und über so lange
Zeit verteilt ans Licht, dass die Sache am Ende wohl unbemerkt
untergehen wird.
Zum Einfluss des Aspekts der »Zeugeneinschüchterung« hieß es in
129
Williamsons Bericht: »Es gibt wahrscheinlich keinen sonstigen Faktor,
der eine größere Gefahr für die Herrschaft des Gesetzes im Kosovo und
das Fortschreiten des Landes in eine europäische Zukunft darstellt, als
diese beständige Praxis.«
Im Juli 2011 interviewte Der Spiegel einen namentlich nicht genannten
deutschen Polizisten, der mehr als zehn Jahre lang im Kosovo gearbeitet
hatte und meinte, wegen der traditionellen Clan-Strukturen hätte die
internationale Aufsicht »so gut wie nichts erreicht«. Niemand wage es,
den Mund aufzumachen. »Klar ist nur, dass das Kosovo sich fest in der
Hand des organisierten Verbrechens befindet«, sagte er. »Das ist ein
Land, in dem jahrhundertealte Traditionen weiterleben, und die Blutrache
ist hier Teil der Kultur. Wir Mitteleuropäer haben es nicht geschafft, die
Kosovaren von den Vorteilen eines neuen Rechtsund Wertesystems zu
überzeugen, wie wir es im Westen haben.«42
War das nicht vielleicht genau das Problem, das auch die Serben mit
dem Kosovo gehabt hatten? Doch im Unterschied zu den Angehörigen der
multinationalen EULEX sprach die serbische Polizei Albanisch, wusste
etwas über die Albaner und war vermutlich besser in der Lage zur
Verbrechensbekämpfung als Fremde aus dreißig verschiedenen Ländern,
die sich auf albanische Dolmetscher verlassen müssen, die alle erst
einmal von Machthabern auf ihre Tauglichkeit überprüft werden.
Seit seiner Abspaltung von Serbien ist die wirtschaftliche Situation
des Kosovo schlimmer denn je. Es ist ein verarmtes Hinterland, in dem
viele Menschen bitter enttäuscht darüber sind, dass die »Unabhängigkeit«
nicht das erwartete goldene Zeitalter gebracht hat. Ohne Arbeit,
Ausbildung oder Sicherheit versuchen mehr und mehr Koso-varen
verzweifelt, in EU-Länder auszuwandern. Sieben Jahre nach der
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo unternehmen Ungarn, Österreich
und Deutschland alles zur Beschleunigung ihrer Prozeduren zur
Abweisung der wachsenden Flut falscher »Asylbewerber«, die aus dem
Kosovo fliehen, um irgendeinen Lebensunterhalt zu finden. Dessen
ungeachtet verfolgen einige albanische Nationalisten immer noch das
Ziel, ein, wie sie sagen, »natürliches Albanien« zu schaffen, für das sie
weitere Gebiete in Südserbien, einen Teil Montenegros, ein Stück von
Griechenland und etwa die Hälfte der Fläche Mazedoniens beanspruchen.
Zugleich wachsen die Ressentiments gegen die wankelmütigen
Bemühungen der EU, dem Land von außen eine Rechtsordnung
aufzuzwingen.
Das Kosovo ist weder völlig unabhängig noch ein echter Staat; es steht
immer noch unter ausländischer Besatzung, es hat keine funktionierende
130
eigene Justiz, die Wirtschaft basiert auf jeglicher Art von Verbrechen, und
statt den Frieden in der Region zu sichern, hat die Errichtung dieses
Ministaates den Hunger frustrierter albanischer Nationalisten auf weitere
Gebiete in den Nachbarstaaten angeheizt. Gelder aus den arabischen
Golfstaaten fördern den islamischen Extremismus, und die noch
verbleibenden serbischen Klöster bleiben weiterhin bedroht, obwohl sie
von den UN zum historischen Erbe erklärt worden sind.43 Das Kosovo ist
ein kleiner Kessel, der aber immer noch am Kochen ist.
Das Kosovo-Experiment
Während der Clinton-Präsidentschaft von 1993 bis 2001 wurde
Jugoslawien vom außenpolitischen Establishment der USA als
Versuchslabor benutzt, um Techniken der Kontrolle, der Subversion und
des Regimewandels zu testen, die später auch anderswo angewendet
werden sollten. Die Betrachtung Jugoslawiens als eine Miniaturversion
der UdSSR mit Serbien in der Rolle Russlands (wobei erst Jugoslawien
und dann, durch die Abtrennung des Kosovo, Serbien selbst zerstückelt
wurden) war ein Probelauf für den Prozess, der später in der Ukraine in
Gang gesetzt wurde und Russland als Zielscheibe hatte.
Dabei sind immer wieder dieselben Techniken erkennbar:
Hitlerisierung. Die Aggression beginnt als Propagandakrieg, der von
Mainstreammedien mit geschmeidigen Verbindungen zu hohen politischen
Entscheidungsträgern und Denkfabriken geführt wird. In der ersten Phase
verschwindet das betroffene Land fast hinter dem Schatten seines
Führers, der (selbst wenn er in fairen Wahlen gewählt wurde) als
»Diktator« bezeichnet wird, aber nunmehr als Verkörperung alles Bösen
der Welt porträtiert wird und daher »gehen muss«. Dabei wurde bisher so
unterschiedlichen Leuten wie Slobodan Milošević, Saddam Hussein,
Muammar Gaddafi, Baschar al-Assad und nun Wladimir Putin die Rolle
des neuen Hitler zugewiesen.
Sanktionen. Wirtschaftssanktionen gegen diesen »Diktator« dienen der
Stigmatisierung des Bösewichts, der Destabilisierung der Beziehungen
und der Rekrutierung von Verbündeten, die noch Skrupel haben, zu
militärischen Mitteln zu greifen, die aber bereit sind, diese vorgeblich
»friedliche« Methode zu unterstützen, um den »Bösen« zur Umkehr zu
bewegen. Wenn die Sanktionen nicht wirken, ist die öffentliche Meinung
präpariert, nun auch den Einsatz militärischer Mittel als »notwendig« in
131
Betracht zu ziehen.
Klienten vor Ort. Die USA haben eine langjährige Erfahrung darin,
die schlimmsten Kräfte im Zielstaat ihrer Maßnahmen zu unterstützen;
Kräfte, die vor nichts zurückschrecken. In Serbien liehen die USA
rücksichtslosen Kriminellen ihre politische und militärische
Unterstützung. In vielen muslimischen Ländern haben die USA islamische
Fanatiker unterstützt und bewaffnet. In der Ukraine stützt sich die
Kampagne gegen »russische Vorherrschaft« auf offen nazistische Milizen,
die dort Straßenterror ausüben.44
Menschenrechts-NGOs. Nichtregierungsorganisationen, die in
Wirklichkeit oft (etwa in Gestalt des National Endowment for Democracy
und seiner Filialen) enge Verbindungen zur US-Regierung unterhalten
oder sogar von ihr finanziert werden, spielen eine zentrale Rolle, indem
sie behaupten, die wahre Demokratie zu repräsentieren, die vom neuen
»Hitler« angeblich stranguliert wird, wann immer die Polizei gegen von
den »echten Demokraten« provozierte Unruhen einschreitet. Die von dem
US-Politikwissenschaftler Gene Sharp aus den Erfahrungen von
Befreiungsbewegungen destillierten Szenarien werden dazu genutzt, um
durch die Provokation von Repressionen Sympathien zu gewinnen. Doch
außer der Gegnerschaft zu den jeweils Herrschenden gibt es kein
Programm. Die Agitation der von US-Spezialisten in Budapest
ausgebildeten serbischen Jugendgruppe »Otpor« war das Modell, das
von den späteren »Farbenrevolutionen« übernommen wurde.
Sabotage von Diplomatie. Um den Kosovokrieg vorzubereiten,
dirigierte US-Außenministerin Madeleine Albright im Schloss
Rambouillet in der Nähe von Paris nie ernst gemeinte Verhandlungen
zwischen der jugoslawischen Regierung und albanischen Nationalisten.
Dabei sprachen die Delegationen nie direkt miteinander. Professor
Ibrahim Rugova wurde als Führer der albanischen Delegation durch
Albrights kriminellen Busenfreund Hashim Thaçi ersetzt und die Serben
wurden vor ein Ultimatum (die totale militärische Besetzung Serbiens)
gestellt, das sie unmöglich akzeptieren konnten. Letzteres trug ihnen die
Beschuldigung ein, sie »weigerten sich zu verhandeln«. Bei den Vereinten
Nationen ist es üblich geworden, dass US-Vertreter durch Moraltiraden,
Beleidigungen und Lügen Verhandlungen sabotieren.
Kriminalisierung. Im Konflikt um Jugoslawien ermöglichte es ihr
enormer Einfluss den USA, internationale Gerichtsverfahren zu nutzen,
um ihre Feinde statt als politische Gegner als gewöhnliche Verbrecher zu
behandeln. Das Konzept der »gemeinschaftlichen kriminellen
Unternehmung«, das im US-Strafrecht gegen Mafiabanden verwendet
132
wird,45 wurde in den aus dem Nichts hervorgezauberten Internationalen
Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien eingeschleust und auf die
angeklagten Serben angewendet – mit der Konsequenz, dass schon die
bloße Verteidigung der serbischen Interessen im Kontext des
Auseinanderbrechens des ehemaligen Jugoslawien als Verbrechen gilt.
Danach gelang es den USA, den Internationalen Strafgerichtshof, dem sie
selbst gar nicht angehören,46 dazu zu bringen, US-»Feinde« wie
Muammar Gaddafi auf der Basis völlig unbewiesener Beschuldigungen
anzuklagen. Diese Praxis trägt dazu bei, Friedensverhandlungen
unmöglich zu machen, da sofort gesagt wird, Verhandlungen mit einem
angeklagten Verbrecher seien unmöglich.
Angstwort »Völkermord«. Wann immer die USA in einem ethischen
oder politischen Konflikt irgendwo Partei ergreifen, wird die gegnerische
Partei fast schon gewohnheitsmäßig der Planung eines »Genozids«
bezichtigt.47 Damit ist die Sichtweise ausgeschlossen, dass beide
Parteien für spezifische territoriale oder politische Ziele kämpfen
könnten, über die, sobald sie einmal verstanden sind, verhandelt werden
könnte.
Bombardierung. Das ist das letzte Argument, das Damoklesschwert,
das über jeder Streitigkeit hängt.
Medien und Propaganda. Der Schlüssel zu diesem gesamten
Aggressionssystem ist die Tatsache, dass die USA eine gewaltige
Propagandamaschine zur Verfügung haben, deren Zentrum die
Mainstreammedien sind. Dabei liefert die Unterhaltungsindustrie den
Hintergrund, besonders Hollywood, wo die Anwendung von Gewalt zur
Vernichtung des Feindes wieder und wieder verherrlicht wird. Auch
Videospiele sind ein mächtiger neuer Faktor für die Normalisierung von
Mordinstinkten. In der für die US-Bürger vorverpackten visuellen
Fantasie endloser Kämpfe zwischen Gut und Böse gehen Fakt und Fiktion
nahtlos ineinander über.
Für das Pentagon, die NATO, die CIA, das NED, die
Mainstreammedien und das außenpolitische Establishment der USA war
der Kosovokrieg eine hervorragende Lernerfahrung, ein Übungsfeld, eine
Vorbereitung auf künftige Abenteuer. Er war der Krieg, um neue Kriege
zu beginnen.
Für die Clintons war der Kosovokrieg eine willkommene Ablenkung
von ihren Skandalen und die Gelegenheit, eine Rolle auf der großen
Bühne der Weltpolitik zu spielen. Bill Clinton wird im Kosovo als
Gründervater dieses kleinen, Serbien abgerungenen US-Protektorats
verehrt. So winkt nun eine drei Meter große vergoldete Statue des
133
Wohltäters aus Arkansas den Bill-Clinton-Boulevard hinunter,48 und ganz
in der Nähe befindet sich eine Boutique namens »Hillary«.
Während die USA wegen ihrer militärischen Interventionen und ihrer
ständigen Ausübung von Druck weltweit zunehmend gehasst werden, hat
diese Intervention eine Enklave fanatischer US-Anhänger geschaffen. Bei
ihrem Besuch in Priština 2010 konnte sich Außenministerin Hillary
Clinton in einem Meer der Anbetung baden.49 Es spricht Bände über den
Niedergang der USA in den Augen der Welt, dass das Kosovo und
Albanien heute die proamerikanischsten Orte der Welt sind. Es ist nichts,
worauf die USA stolz sein sollten.
134
5 Libyen: Hillarys eigener Krieg
Während sich 2014 im Nahen Osten und in der Ukraine wachsendes
Chaos ausbreitete, charakterisierte ein sichtlich desorientierter Präsident
Obama seine vorsichtige Außenpolitik mit folgender Maxime: »Keine
Dummheiten machen.«1 In einem Interview mit Jeffrey Goldberg in The
Atlantik griff Hillary Clinton die Formulierung auf, um zu zeigen, dass sie
aus härterem präsidentiellem Holz gemacht war: »Große Nationen
brauchen organisierende Prinzipien, und >Keine Dummheiten machen< ist
kein solches Prinzip.«2
Sie erklärte allerdings nicht, was ihre organisierenden Prinzipien als
Präsidentin sein würden. Aber bis jetzt ist eines ihrer Lieblingsprinzipien
das »Recht« beziehungsweise die »Verantwortung« zum Schutz gewesen,
das im Englischen durch das griffige Kürzel »R2P«3 bezeichnet wird. In
der Realität hat sich dieses Prinzip als ein desorganisierendes Prinzip
erwiesen, das in der angeblich zu »schützenden« Region zur Zerstörung
jeglicher Ordnung eingesetzt wurde. Nach dem Kosovokrieg hat
Washington sich intensiv für R2P als neues UN-Prinzip stark gemacht, auf
das man sich in jeder künftigen, der Kosovokrise ähnlichen Lage berufen
kann, um eine perfekte Rechtfertigung dafür zu haben, das Prinzip der
nationalen Souveränität zu unterminieren.
R2P war auch das Prinzip hinter Hillarys ureigenem Krieg, nämlich
dem Angriff auf Libyen 2011, der sich dann als eine der größten
»Dummheiten« erwies, die je einem wehrlosen Land angetan wurden.
Vorwand für diesen Krieg war eine Reihe großer
Protestdemonstrationen, die am 18. Dezember 2010 in Tunesien begannen
und von den Medien »Arabischer Frühling« getauft wurden. Diese
Bezeichnung erwies sich als zu optimistisch, suggerierte sie doch, die
gesamte Region schreite nun zu lichten, glücklichen und natürlich – im
westlichen Sinn – demokratischen Zuständen voran.
Die meisten Führer, die zu Zielen der Proteste des Arabischen
Frühlings wurden, waren langjährige »Freunde« des Westens und US135
Schützlinge. Das war für Washington, Paris und London peinlich. Aber es
gab eine bemerkenswerte Ausnahme. Im Februar 2011 demonstrierten in
der ostlibyschen Stadt Bengasi zahlreiche Menschen gegen den Führer
Libyens, Muammar Gaddafi. Heureka! Hier war die Gelegenheit, R2P
gegen einen Mann zu praktizieren, der seit seiner Machtübernahme mehr
als vierzig Jahre zuvor im Westen extrem verhasst war.
Oberst Gaddafi betrat 1969 in einer revolutionären Zeit als
aufrichtiger Revolutionär die Bühne. Er war Beduine und in einem Land
Armeeoffizier geworden, das gerade erst zu existieren anfing.
Einst wichtiger Kornlieferant für das römische Reich, wurde diese
Region, die als erste den Namen »Afrika« trug, danach für weit über
tausend Jahre zu einem rückständigen Hinterland, das aus Sand,
arabisierten Berberstämmen, ein paar Städten und den beeindruckenden
Ruinen einer reichen Vergangenheit bestand. Nach mehreren
Jahrhunderten unter der Herrschaft des Osmanischen Reichs wurde das
Gebiet Anfang des 20. Jahrhunderts von Italien erobert und in Cyrenaica
im Osten und Tripolitanien im Westen aufgeteilt. 1934 gab Italien der
Kolonie den offiziellen Namen Libyen. Mit seiner Niederlage im Zweiten
Weltkrieg verlor Italien seine Kolonien, und 1951 erkannten die Vereinten
Nationen den von Großbritannien unterstützten Emir von Cyrenaica, Idris
al-Mahdi as-Senussi, der den bewaffneten Widerstand gegen Italien
angeführt hatte, als König Idris I. von Libyen an.
Die USA übernahmen den italienischen Luftwaffenstützpunkt in der
Nähe von Tripolis und benannten ihn in Wheelus Air Base um.
1959 wurden große Ölvorkommen entdeckt. König Idris folgte der
üblichen Praxis arabischer Herrscher, den Ölreichtum für sich und seine
Entourage zu behalten.
Als junger Offizier, der vom arabischen Nationalismus des
ägyptischen Präsidenten Nasser inspiriert war, führte Muammar Gaddafi
1969 einen unblutigen Putsch gegen König Idris an. Die USA mussten
ihren Luftwaffenstützpunkt aufgegeben. Gaddafi baute dann ein
originelles System namens »Libysch-Arabische Dschamahirija« auf, das
aus einer Mischung von maßvollen muslimischen Moralvorstellungen,
wohlfahrtsstaatlichem Sozialismus, direkter Demokratie und lokalen
Bräuchen bestand. Die gegenüber König Idris und seinem traditionellen
Islam loyale Opposition wurde unterdrückt; gleichzeitig wurden große
Fortschritte in der Bildung, der Frauenemanzipation und im
sozialstaatlichen Bereich gemacht. Ein »Allgemeiner Volkskongress«
bestimmte die Regierung, während Gaddafi seine Macht als eine Art
geistiger Wegweiser ausübte.4
136
In seiner Frühphase gab Gaddafi Revolutionären in anderen Ländern,
wie
der
Palästinensischen
Befreiungsorganisation,
der
IrischRepublikanischen Armee, dem Afrikanischen Nationalkongress und
der POLISARIO-Front in der Westsahara generöse Unterstützung. Diese
Großzügigkeit trug ihm die bleibende Dankbarkeit Nelson Mandelas,
aber auch eine lange Liste unversöhnlicher Feinde ein. Nachdem viele
seiner revolutionären Schützlinge mit ihren Feinden Frieden geschlossen
hatten, fühlte sich der Führer Libyens offenbar im Stich gelassen und
stellte diese Art von Unterstützung ein, um nun seinerseits zu versuchen,
seinen Frieden mit dem Westen zu machen.
Mit dem Verblassen des von Nasser inspirierten Traums von der
arabischen Einheit wendete sich Gaddafi von der arabischen Welt ab, die
er als heuchlerisch, korrupt und verräterisch verdammte. So lenkte er
seine großzügigen Bestrebungen auf die antiimperialistische Einheit
Afrikas um. Er definierte Libyen nun statt als arabisches als afrikanisches
Land und finanzierte große Projekte, um zur Entwicklung des Kontinents
beizutragen und ihm größere finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen.5
Am denkwürdigen Datum des 9. September 1999 versammelten sich
die Führer Afrikas in der mittellibyschen Küstenstadt Sirte, dem
Heimatort Gaddafis, um die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU)
formell durch die Afrikanische Union (AU) zu ersetzen. Die bei diesem
Anlass verabschiedete »Sirte-Deklaration« berief sich ausdrücklich auf
Oberst Gaddafis Vision »eines starken und vereinten Afrikas, das
imstande ist, sich den globalen Herausforderungen zu stellen und seiner
Pflicht zu entsprechen, die menschlichen und natürlichen Ressourcen des
Kontinents zu nutzen, um die Lebensbedingungen seiner Völker zu
verbessern«.6
Im Februar 2009 wurde Gaddafi in Äthiopien zum Vorsitzenden der
aus 53 Nationen bestehenden Afrikanischen Union gewählt und
versprach, er werde »auch weiterhin darauf bestehen, dass unsere
souveränen Nationen auf die Entstehung der Vereinigten Staaten von
Afrika hinarbeiten«7. Seine Vision dabei war »eine einheitliche
afrikanische Streitkraft, eine einzige Währung und ein einziger Pass für
alle Afrikaner, damit sie sich frei auf dem Kontinent bewegen können«8.
Während Gaddafis Herrschaft wurde die alte Fischerstadt Sirte stark
modernisiert und verschönert, um vielleicht einmal als Hauptstadt eines
Vereinten Afrikas dienen zu können. Am Ende des NATOKriegs zur
»Rettung Bengasis« lag Sirte in Ruinen.
Gaddafis Ruf im Westen war so schlecht, dass man ihm leicht jedes
137
ungelöste Verbrechen in die Schuhe schieben konnte. Typisches Beispiel
hierfür ist der Bombenanschlag, der am 21. Dezember 1988 den PanAmFlug 103 über dem schottischen Ort Lockerbie zum Absturz brachte und
damit 270 Menschen tötete. Ursprüngliche – und weiterbestehende –
Verdachtsmomente ordneten den Anschlag einer Terrorgruppe zu, die der
Iran angeworben hatte, um den Abschuss eines iranischen Zivilflugzeugs
über dem Persischen Golf durch einen Kreuzer der US-Marine am 3. Juli
1988 zu rächen.9 Danach hatten die USA sich für dieses Vorgehen gegen
einen regulären Linienflug der Iran Air von Teheran nach Dubai, bei dem
290 Zivilisten getötet wurden, nicht einmal entschuldigt. Gaddafi des
Terrorakts von Lockerbie zu bezichtigen, weil »er genau diese Art von
Taten begeht«, war für Washington zweifellos weniger prekär, als die
Aufmerksamkeit auf einen möglichen Racheakt des Iran zu lenken.
Die USA beschuldigten zwei Libyer, eine Zeitbombe in einem Koffer
versteckt zu haben, der in Malta an Bord eines Flugs gegangen und dann
nach zweimaligem Umladen in Frankfurt und London über Schottland
explodiert sei. In der Hoffnung, den Westen zur Aufhebung der Sanktionen
zu bewegen, mit denen Libyen für Lockerbie bestraft worden war,
willigte Gaddafi schließlich ein, die beiden angeklagten Libyer vor ein
schottisches Sondergericht stellen zu lassen, das in den Niederlanden
tagte. Die USA übten heftigen Druck zugunsten eines Schuldspruchs aus;
am Ende wurde einer der Angeklagten für schuldig befunden, während
der andere freigesprochen wurde.
Nach dem Verfahren kamen Beweise ans Licht, dass das Fragment
eines in der Schweiz hergestellten Zeitzünders, das angeblich an der
Absturzstelle gefunden und als einer der Hauptbeweise gegen die Libyer
verwendet worden war, da es an Libyen gelieferten Zeitzündern
täuschend ähnlich sah, unmöglich aus dieser Lieferung stammen konnte,
da es eine komplett andere metallurgische Zusammensetzung aufwies.
Das ist kaum anders zu erklären als daraus, dass dieses angebliche
Fundstück den Angeklagten bewusst untergeschoben wurde.10 Als ich die
Anwälte des verurteilten Libyers 2007 in Tripoli interviewte, waren sie
der Meinung, die Beweise für eine Falschanklage seien so zwingend,
dass die damals schwebende Berufung mit einem Freispruch enden
müsse. Aber der Verurteilte, Abdel Baset al-Megrahi, litt bereits unter
Krebs und wurde überredet, seine Berufung fallenzulassen, um vorzeitig
entlassen zu werden und in seiner Heimat und im Kreis seiner Familie
sterben zu können. So musste sich das Berufungsgericht nicht mit den
Beweisen dafür auseinandersetzen, dass die USA den Libyern das
Verbrechen vorsätzlich in die Schuhe geschoben hatten.11
138
Während er weiter auf der Unschuld Libyens bestand, zahlte Gaddafi
Entschädigungen an die Angehörigen der Lockerbie-Opfer, verzichtete
demonstrativ auf seine »Massenvernichtungswaffen« (die es
möglicherweise nie gegeben hatte) und tat auf jede Weise sein Bestes, um
seinen schlechten Ruf loszuwerden und die Beziehungen des Landes mit
dem Westen zu normalisieren. Diese Zugeständnisse wurden größtenteils
gemacht, um dem Wunsch vieler Angehöriger der libyschen Elite
entgegenzukommen, in einem »normalen« Land zu leben. Gaddafis
politisch ambitioniertester Sohn, Saif al-Islam al-Gaddafi, studierte in
London und setzte sich für Verwestlichung und demokratische Reformen
ein, was auch die natürliche Richtung der Evolution des Landes
anzuzeigen schien.12
Bis 2011 hatte Gaddafi immer wieder versucht, mit seinen Feinden
Frieden zu schließen, und so konnte der Westen ihn eigentlich unmöglich
länger als Bedrohung betrachten. Er machte Geschäfte mit den USA und
Europa und empfing hochrangige Besucher von dort. Er hatte sogar
heimlich Geld für den Wahlkampf des französischen Präsidenten Nicolas
Sarkozy gespendet, vielleicht um diesen dazu zu bringen, bei der
Entschärfung der »Affäre um die bulgarischen Krankenschwestern« zu
helfen – des letzten Skandals, der immer noch Libyens Ruf im Westen
belastete.
Fünf bulgarische Krankenschwestern und ein palästinensischer Arzt
waren wegen der Vergiftung von über vierhundert Kindern im El-FatihKinderkrankenhaus in Bengasi, bei denen eine Infektion mit HIV
festgestellt wurde, zum Tod verurteilt worden. Diese rätselhafte
Epidemie wurde 1999 entdeckt und führte verständlicherweise zu einem
öffentlichen Aufschrei und der Forderung, die Verantwortlichen zu finden
und zu bestrafen. Der Verdacht fiel bald auf einige Krankenschwestern,
die von der staatlichen bulgarischen Firma Expomed für die Arbeit in
Bengasi angeworben worden waren, wo sie bessere Löhne erhielten als
in Bulgarien. Am Ende wurden sie verhaftet und verurteilt.
In Europa ging man wie selbstverständlich davon aus, die Anklagen
seien falsch und erfunden und das Ganze stelle nur eine weitere
kriminelle Tat Muammar Gaddafis dar. Dementsprechend überrascht war
ich, als ich 2007 während eines Aufenthalts in Tripolis, wo ich an einer
Konferenz zum Internationalen Strafgerichtshof teilnahm, erfuhr, dass
sogar prowestliche und Gaddafi-kritische Juristen die bulgarischen
Krankenschwestern für schuldig hielten. Diese Meinung basierte offenbar
vor allem auf der Analogie zu anderen Fällen, die im Westen kaum
bekannt sind und bei denen US-Amerikaner oder Europäer arglose
139
Afrikaner in medizinischen Experimenten als Versuchskaninchen benutzt
hatten.13
Die libysche Öffentlichkeit war fest von der Schuld der
Krankenschwestern überzeugt. Daher war es politisch schwierig, sie freiund zurück in ihre Heimat zu lassen, wie es die Regierungen Europas
forderten. Aber Saif al-Islam, der den Prozess gegen die
Krankenschwestern öffentlich kritisiert hatte, wollte deren Leidensweg
offensichtlich ein Ende setzen, um die Aufnahme Libyens in den Kreis des
Westens zu beschleunigen. Das Problem war, dies zu tun, ohne die
öffentliche Meinung in Libyen gegen sich aufzubringen.
Die Lösung war ein Szenario unter Beteiligung des französischen
Präsidenten Sarkozy und besonders seiner Noch-Frau Cecilia, die im Juli
2007 eine breit publizierte Reise nach Libyen machte, um die
Krankenschwestern vor dem Diktator zu »retten«. Das Schauspiel war
begleitet von einer Zahlung von neuneinhalb Millionen Euro durch die
Europäische Union, um »die Bedingungen im Krankenhaus in Bengasi zu
verbessern«. Danach besuchte Gaddafi Paris, wo er seine Gastgeber
stark verdross, indem er in seinem Beduinenzelt auf dem Rasen des
Präsidentenpalastes kampierte. So wollte er der Bevölkerung in Libyen
zu verstehen geben, dass ihr Wegweiser nun in Europa wohlgelitten war.
Muammar Gaddafi war kein aktiver »Dämon« mehr, wurde aber
immer noch als äußerst exzentrisch betrachtet.
Der »Arabische Frühling« in Libyen
Dann kam der Arabische Frühling. In Bengasi, dem Zentrum der
traditionellen Unterstützung für König Idris und für islamische Radikale,
hatte die Opposition gegen Gaddafi tiefe Wurzeln. So, wie Gaddafi in
seiner Heimatstadt Sirte verehrt wurde, war er in Bengasi verhasst. Die
Anti-Gaddafi-Aktivisten nahmen sich die Geschehnisse in Tunesien und
Ägypten zum Vorbild und veranstalteten am 17. Februar 2011 ihren
eigenen »Tag des Zorns«. Der Tag wurde zur Erinnerung an vierzehn
Menschen gewählt, die am 17. Februar 2006 bei Zusammenstößen
zwischen der Polizei und Demonstranten, die gegen respektlose
Karikaturen des Propheten Mohammed protestiert hatten, getötet worden
waren.
Unruhen breiteten sich aus, ebenso wie extrem übertriebene oder
völlig falsche Berichte über die Ereignisse.
140
Libyen, das den höchsten Lebensstandard auf dem afrikanischen
Kontinent genoss, litt weder unter den schweren ökonomischen
Problemen, die einen jungen Tunesier zu der Selbstverbrennung getrieben
hatten, die zum »Arabischen Frühling« führte, noch unter der
Massenarmut Ägyptens. Die Revolte in Bengasi hatte politische und
religiöse Motive, die nicht neu waren.
Während die Krise eskalierte, wurden Gaddafis Erklärungen, er
kämpfe in Bengasi gegen den islamischen Extremismus, darunter auch alQaida, im Westen als weit hergeholt abgetan. Doch Libyen war am 15.
April 1998 die erste Regierung gewesen, die Osama bin Laden (wegen
der Ermordung eines deutschen Spitzenexperten für die arabische Welt
und dessen Frau in Sirte im Jahr 1994) bei Interpol angezeigt hatte.14
Gaddafi führte, was die Zukunft Libyens und Afrikas anging, seit langem
einen harten Kampf gegen islamische Extremisten. Seine Strafanzeige bei
Interpol wurde jedoch ignoriert. In diesem wie in anderen Fällen stellten
sich die Mächte des Westens de facto mehr oder weniger auf die Seite
der islamischen Extremisten.
Der medienbewusste französische Agitator Bernard-Henri Levy eilte
sofort nach Bengasi, um für die »Revolution« zu werben, und brachte
einen hohen libyschen Beamten, Mahmud Dschibril, mit nach Paris, um
den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy von der Notwendigkeit zu
überzeugen, in Libyen Krieg zu führen. Dschibril war in der libyschen
Regierung mit den Bereichen Privatisierung und wirtschaftliche
Liberalisierung beauftragt, bevor er überlief und zu einem der Führer des
Nationalen Übergangsrats wurde, der dann die chaotische Situation in
Bengasi nutzte, um sich zur neuen legitimen Regierung Libyens zu
erklären. Mit einem Doktortitel der University of Pittsburgh in politischer
Wissenschaft konnte Dschibril im Westen als Führer einer
»demokratischen Revolution« präsentiert werden. Der proisraelische
Publizist Bernard-Henri Lévy brüstete sich offen damit, »als Jude« in die
Angelegenheiten Libyens eingegriffen zu haben, und erweckte so den
Eindruck, er sei der Meinung, Gaddafis Sturz werde gut für Israel sein.
Vor laufenden Fernsehkameras bestritt der in Frankreich unter dem Kürzel
BHL bekannte Lévy verächtlich alle Berichte, nach denen es unter den
Protestierenden in Bengasi Islamisten gab. Er sei dort gewesen, sagte er,
und bestand darauf, es gebe dort keine Islamisten, sondern nur Bürger, die
sich nach westlicher Demokratie sehnen.15
Keine Islamisten? Am 22. Februar 2011 sprach der Führer der
libyschen Muslimbruderschaft Scheich Yusuf al Qaradawi eine Fatwa
aus, mit der er zur Ermordung Gaddafis durch dessen Soldaten aufrief.
141
»Wer immer in der libyschen Armee in der Lage ist, eine Kugel auf
Gaddafi abzufeuern, sollte das tun«, sagte er gegenüber dem
Fernsehsender Al-Dschasira.16
Die USA hatten Gaddafis Öffnung gegenüber dem Westen genutzt, um
Beziehungen zu hochrangigen Funktionären wie Mustafa Abd al-Dschalil
zu kultivieren, der als Justizminister zweimal die Todesurteile gegen die
bulgarischen Krankenschwestern bestätigt hatte, aber nun als Vorsitzender
des Nationalen Übergangsrats dennoch rasch die Unterstützung des
Westens gewann. Das Überlaufen hochrangiger Mitglieder des GaddafiRegimes wie Dschalil und Dschibril erweckte den Eindruck, die Unruhen
in Bengasi könnten von einer organisierten prowestlichen Fraktion genutzt
werden, um mit nur ein wenig militärischer Hilfe ihrer USamerikanischen und europäischen Freunde eine recht reibungslose
Palastrevolution durchzuführen. Die Realität war nicht so einfach.
Sowie der Aufstand gegen Gaddafi in Bengasi als
Menschenrechtsfrage und als Versuch klassifiziert wurde, einen Diktator
zu stoppen, »der sein eigenes Volk tötet«, wurden die politischen
Konflikte im Inneren Libyens unsichtbar. Gaddafis Befehle, die Rebellen
müssten ihre Waffen niederlegen, wurden falsch als Drohung übersetzt,
die ganze Bevölkerung Bengasis auszurotten, und als Anzeichen eines
bevorstehenden Völkermords denunziert. In Wirklichkeit hatte Gaddafi
allen Rebellen, die ihre Waffen niederlegten, eine Amnestie und die
Möglichkeit angeboten, sich nach Ägypten zurückzuziehen.17
Wesentlich später erklärte Amnesty International, bei den Kämpfen mit
bewaffneten Rebellen in Bengasi seien auf allen Seiten nicht mehr als
einhundertzehn Menschen getötet worden – also wesentlich weniger etwa
als bei den Protesten in Kairo. Doch zur fraglichen Zeit selbst basierte
die vorherrschende Version der Ereignisse auf den emotionalen
Behauptungen, die der Generalsekretär der Libyan League for Human
Rights (LLHR)18, Dr. Sliman Bouchuiguir, während einer Versammlung
prowestlicher NGOs am 21. Februar in Genf gemacht hatte. Danach
wurde ein Brief, der die völlig unbewiesenen Behauptungen
Bouchuiguirs, eines Experten für Ölpolitik mit engen US-Kontakten, als
»Fakten« bezeichnete, von siebzig NGOs unterzeichnet und an USPräsident Obama, an die außenpolitische Hochkommissarin der EU
Catherine Ashton und an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon geschickt, um
sie zu einem Vorgehen gegen Libyen aufzufordern.
Der Brief rief die UN und die »internationale Gemeinschaft« dazu auf,
»sofort zu handeln, um die massenhaften Gräuel zu beenden, die die
libysche Regierung derzeit gegen ihr eigenes Volk begeht«. Ohne Beweise
142
zu verlangen, stellten sich die NGOs hinter die von Dr. Bouchuiguir
gelieferten Behauptungen »nicht genannter Zeugen«, laut denen »eine
Mischung von Spezialkommandos, fremden Söldnern und Loyalisten des
Regimes Demonstranten mit Messern, Sturmgewehren und Waffen
schweren Kalibers angegriffen hat«. Und der Brief fuhr fort, Alarm zu
schlagen:
»Scharfschützen schießen auf friedliche Demonstranten. Artillerie und
Kampfhelikopter sind gegen Massendemonstrationen eingesetzt worden. Mit
Hämmern und Schwertern bewaffnete Gangster haben Familien in ihren
Wohnungen angegriffen. Krankenhausangestellte berichten von zahlreichen
Opfern, denen in Kopf und Brust geschossen wurde, und von einem Opfer, das
von einer Luftabwehrrakete am Kopf getroffen wurde. Berichten zufolge fahren
Panzer durch die Straßen und überrollen unbeteiligte Zuschauer. Zeugen
berichten, dass Söldner unterschiedslos aus Hubschraubern oder von Dächern
auf Menschen schießen. Angeblich sprangen Frauen und Kinder von der
Giuliana-Brücke, um zu entkommen. Etliche wurden durch den Aufschlag auf
dem Wasser getötet, während andere ertranken.«19
Der Brief stellte jede nur vorstellbare Gräueltat als weitverbreitet und
systematisch hin und berief sich dann auf die neue R2P-Doktrin, die
»kollektives Vorgehen auf dem Weg über den Sicherheitsrat […] unter
Kapitel VII« autorisiere. Mit anderen Worten: militärisches Vorgehen. Zu
den Unterzeichnern gehörten der Präsident des National Endowment for
Democracy Carl Gershman, Hillel C. Neuer von der proisraelischen
Organisation United Nations Watch und andere, die vor allem für harsche
Kritik an Regierungen außerhalb der Einflusssphäre der USA, der EU und
Israels bekannt sind.
Ohne erst nachzuforschen, verbreiteten die Mainstreammedien
sensationelle Beschuldigungen, nach denen Gaddafi afrikanische Söldner
und Luftangriffe gegen Zivilisten einsetzte, um »sein eigenes Volk zu
töten«. Für die Luftangriffe kam nie ein visueller oder dokumentarischer
Beweis zum Vorschein, und verlässliche Zeugen vor Ort bestritten, dass
sie je stattgefunden hatten. Noch schlimmer stand es um die
Beschuldigung des Einsatzes »afrikanischer Söldner«. Sie war nicht nur
falsch, sondern erwies sich als Spitze eines Eisberges von Rassismus,
der der gesamten Anti-Gaddafi-Operation zugrunde lag.20 Nun ist es so,
dass Gaddafis Hinwendung zu Afrika ihm einen wichtigen Teil der
libyschen Bevölkerung entfremdete, der nichts mit Afrika zu tun haben
wollte und meinte, es sei vorteilhafter, dem Modell ölreicher GolfEmirate wie Katar zu folgen, deren Reichtum von einer arabischen Elite
143
monopolisiert wird, während die Arbeit von unterbezahlten, quasiversklavten und rechtlosen ausländischen Arbeitern verrichtet wird. Viele
waren erzürnt über Gaddafis Vorschläge zu einer gerechteren Verteilung
des Ölreichtums unter der gesamten Bevölkerung. Es war kein Zufall,
dass Katars populärer Fernsehkanal Al-Dschasira die Medienattacken
gegen Gaddafi anführte. Insgeheim nahmen auch katarische Soldaten an
militärischen Bodeneinsätzen gegen das Regime teil.21
In seinen subsaharischen Nachbarstaaten wurde Gaddafis Libyen als
eine Art Eldorado betrachtet. Libyens eigene schwarze Bevölkerung
wurde ebenso wie Arbeitsimmigranten aus Schwarzafrika anständig
behandelt. Gaddafi hatte mit einigen europäischen Regierungen
Abkommen geschlossen, die verhindern sollten, dass Libyen als Korridor
für illegale afrikanische Einwanderung nach Europa fungiert. Diese
Abkommen wurden von europäischen Linken, deren Hauptanliegen offene
Grenzen und die Verteidigung der Rechte illegaler Einwanderer sind,
heftig kritisiert. Doch die Eindämmung einer massiven Migration von
Afrika nach Europa war vereinbar mit Gaddafis langfristiger Politik,
Entwicklungsbemühungen zu finanzieren, die es Afrikanern ermöglichen
würden, in ihren Ländern zu bleiben und dort gut zu leben. Jetzt, nachdem
er nicht mehr da ist, gerät die illegale Immigration über das Mittelmeer
zunehmend außer Kontrolle.
Im größten Teil Schwarzafrikas wurde Gaddafi als Held betrachtet.
Die Mär von den »schwarzen Söldnern« war ein übler Kniff, um dieser
Realität einen finsteren Anstrich zu geben und die schockierende Tatsache
zu verbergen, dass die Rebellion gegen Gaddafi zu regelrechten
Pogromen gegen Schwarze (sowohl libysche Bürger als auch
»Gastarbeiter«) führte, bei denen ganze Städte von Schwarzen gesäubert
und Tausende ins Exil getrieben wurden. Die Anti-Gaddafi-Revolte war
ein schwerer Schlag für Schwarzafrika, weil sie Gaddafis Pläne zur
Finanzierung einer unabhängigen Entwicklung Afrikas durchkreuzte, aber
auch wegen der brutalen Behandlung schwarzer Menschen.
»Gaddafi muss gehen«
Hillary Clinton – die sagt, ihr politisches Erwachen in ihrer Jugend gehe
auf die Reden Martin Luther Kings zur Verurteilung des Rassismus zurück
– trat eifrig für den Einsatz des US-Militärs zur Unterstützung eines
Aufstandes ein, der im Kern rassistisch und für die schwarzen Menschen
144
der Region eine Katastrophe war. Am 24. März 2011 erklärte sie: »Als
das libysche Volk seine demokratischen Hoffnungen verwirklichen
wollte, reagierte seine eigene Regierung mit extremer Gewalt.«22 Das ist
genau die Art von schlichter Lüge, in der Hillary Meisterin ist und die auf
dem Vertrauen beruht, dass die US-Bevölkerung ein völlig inhaltsleeres
Klischee wie »die demokratischen Hoffnungen des libyschen Volkes«
widerstandslos hinunterschlucken wird.
Als sie drei Tage später in der Sendung »Meet the Press« nach den
Bombenangriffen auf Libyen gefragt wurde, antwortete sie: »Seien wir
fair. Sie haben uns nicht angegriffen, aber angesichts ihres Vorgehens und
Gaddafis Geschichte und des Potentials von Unruhe und Instabilität war
das eindeutig in unserem Interesse […] und wurde von unseren
europäischen Freunden und unseren arabischen Partnern als äußerst vital
für ihre Interessen betrachtet.«23
Kurz, die massive Bombardierung eines souveränen Landes, das uns
nichts getan hat, ist völlig in Ordnung, solange wir der Meinung sind, es
sei in unserem »Interesse« oder im »Interesse« unserer »europäischen
Freunde« und unserer »arabischen Partner«. Und nicht nur das, auch die
Bombardierung eines Landes, die Bewaffnung seiner Rebellen und der
Sturz seiner Regierung sind das richtige Mittel, »Unruhen« und
»Instabilität« zu verhindern. Und diese Frau möchte Präsidentin der
Vereinigten Staaten werden!
In einem Interview, das er vier Monate später mit dem unabhängigen
investigativen Journalisten Julien Teil führte, gab Dr. Bouchuiguir –
inzwischen neuer Botschafter Libyens in der Schweiz – freimütig zu, es
habe nie Beweise für die Anklagen gegeben, die er in Genf erhoben hatte.
Als Teil ihn nochmals danach fragte, antwortete Bouchuiguir erneut: »Es
gab keine Beweise.«24 Das schien ihm keineswegs peinlich zu sein,
vielleicht, weil er sich auf seine Beziehungen verlassen kann. Wichtig
war nur, dass die Beschuldigungen als Basis dienten, die offiziellen
Vertreter der Libysch-Arabischen Dschamahi-rija aus den Körperschaften
der UN auszuschließen und Libyen zu sanktionieren, ohne dass es
Gelegenheit hatte, sich zu verteidigen. In etlichen westlichen Ländern
wurden die libyschen Botschaften geschlossen. Und als die libysche
Regierung dem Ex-Außenminister Nicaraguas und katholischen Priester
Miguel D’Escoto Brockmann das Mandat erteilte, am 31. März 2011 ihre
Stellungnahme vor den Vereinten Nationen zu verlesen, wurde er dort von
der US-Botschafterin Susan Rice unter dem Vorwand eines
unzureichenden Visums daran gehindert. Den Angeklagten wurde
keinerlei Verteidigung erlaubt.
145
Die westliche »Menschenrechts«-Gemeinde wird immer mehr zu
einem Netz von Organisationen, deren Erfolg darauf basiert, dass sie
Anklagen gegen Länder erheben, denen westliche Spender
Schwierigkeiten machen möchten.25 Sie bestätigen sich gern ihre
jeweiligen Berichte und folgen offenbar dem Prinzip: »Ich lobe dich und
dafür lobst du mich.«
Dr. Sliman Bouchuiguir hatte Freunde in Washington. Seine
Doktorarbeit an der George Washington University wurde 1979 unter dem
Titel The Use of Oil as a Political Weapon. A Case Study of the 1973
Arab Oil Embargo veröffentlicht.26 Er war weniger Menschenrechtler als
vielmehr Strategietheoretiker, der die Meinung Washingtons teilte,
wirtschaftliche Kriegführung sei notwendig, um zu verhindern, dass
rivalisierende Mächte zur Bedrohung werden.
Zwischen Dr. Bouchuiguirs Menschenrechtsliga LLHR und dem
Nationalen Übergangsrat, der sich auf Basis der Behauptungen der LLHR
und mit westlicher Anerkennung rasch zur legitimen Regierung des
Landes erklärte, gab es beträchtliche Überschneidungen. Zur LLHR
gehörten auch Mahmud Dschibril und Ali Tarhouni, ein Protege
Washingtons, der vom Übergangsrat die Zuständigkeit für Öl und
Finanzen erhielt und die Aufgabe hatte, Libyens Ölreserven zu
privatisieren und sie den NATO-»Befreiern« zugänglich zu machen.
Basierend auf den Anklagen Dr. Bouchuiguirs verhängte der
UNSicherheitsrat Ende Februar 2011 Sanktionen gegen Gaddafi und seine
Familie und erhob beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) Anklagen
gegen sie. Hillary Clinton selbst trat vor dem UN-Menschenrechtsrat in
Genf auf, um zu verkünden: »Es ist Zeit für Gaddafi, abzutreten.«27
Am 17. März 2011 traf der UN-Sicherheitsrat seine schicksalhafte
Entscheidung zur Verhängung einer »Flugverbotszone« über Libyen. Der
»Regimewandel« lag von Anfang an in der Luft und war immer die nur
kümmerlich verhüllte Agenda hinter
der
Resolution zur
»Flugverbotszone«. Russland und China enthielten sich der Stimme, statt
die Resolution durch ihr Veto zu blockieren. Allerdings machten sie den
USA damit ein Zugeständnis, dessen Wert sich letztlich als zweifelhaft
erwies, da der Ausgang der Operation in Libyen R2P im größten Teil der
restlichen Welt diskreditierte. Auch China und Russland selbst zogen
daraus den Schluss, solchen Resolutionen in Zukunft nicht mehr so
einfach zuzustimmen. Das zeigte sich dann später im Fall Syriens.
Hillary Clinton war entzückt, dass die Resolution die Formulierung
»alle nötigen Maßnahmen«28 enthielt. Diese Formulierung bedeutete den
146
Einsatz militärischer Gewalt durch die NATO, und sie prahlt damit, es
sei ihre ureigene diplomatische Leistung gewesen, durch Druck im
Sicherheitsrat dafür gesorgt zu haben, dass diese Worte in die Resolution
Eingang fanden. »Gaddafi muss gehen«, erklärte sie erneut und ließ
keinen Zweifel, dass Regimewandel Teil ihres Plans war. Gaddafi, so
Clinton, sei »ein rücksichtsloser Diktator, der kein Gewissen hat und
alles und alle, die ihm im Weg stehen, vernichten wird. Wenn Gaddafi
nicht verschwindet, wird er weiter Unruhe stiften. Das ist einfach seine
Natur. Es gibt nun einmal Kreaturen, die so sind.«29
Hillary sollte nun ihren eigenen Krieg haben. Nun, nicht ganz ihren
eigenen, es gab zahlreiche Komplizen. Aber sie war sehr stolz auf ihre
Schlüsselrolle bei der Orchestrierung des Massakers.
Das gesamte Libyen-Verbrechen trägt ihre Fingerabdrücke. In der in
dieser Frage gespaltenen Obama-Administration war sie wie Susan Rice
und Samantha Power für die Jagd auf Gaddafi; sie alle meinten, es gehe
um
die
»Aufhaltung«
eines
imaginären
»Völkermords«.
Verteidigungsminister Robert Gates und der Vorsitzende der Vereinigten
Stabschefs Mike Muller waren dagegen. Das Widerstreben des Pentagon
(und möglicherweise Obamas selber), einen weiteren Krieg im Nahen
Osten anzuzetteln, mag erklären, warum Washington sich entschied, »von
hinten her zu führen«, und es zumindest nach außen Frankreich überließ,
den Krieg zu beginnen. Wobei sich Frankreich im Hinblick auf Logistik,
Feuerkraft und Informationsbeschaffung stark auf die Unterstützung der
USA verließ.
Hillary brüstet sich damit, sie habe das Gewicht der USA genutzt, eine
»Koalition der Willigen« zusammenzubringen, um den libyschen Führer
loszuwerden. Am 12. März stimmte die Arabische Liga für die Forderung
nach einer Flugverbotszone in Libyen. Wie Hillary schrieb, würde »ihre
aktive Beteiligung […] sämtlichen Militäreinsätzen in der Region
Legitimität verleihen«.30
Es war schlicht so, dass Hillary Clinton die Araber als Deckung
brauchte. »Nach dem Irak und Afghanistan wollten wir nicht riskieren,
den Eindruck zu erwecken, als würden wir erneut eine Intervention des
Westens in einem muslimischen Land in Gang setzen.«31 Mit BernardHenri Levy und der Arabischen Liga in der vorderen Reihe konnten die
USA das Ganze aus dem Hintergrund lenken.
Die arabische Beteiligung sollte zeigen, dass Gaddafi selbst von
seinen Standesgenossen abgelehnt wurde. Die Idee war wohl, diese
mörderische Aktion als verdienstvoll, durch Konsens zustande gekommen
und demokratisch legitimiert erscheinen zu lassen. Aber was für
147
Standesgenossen: eine Bande antidemokratischer Autokraten, deren Hass
auf Gaddafi meistens die falschen Gründe hatte. Und Gaddafi selber
hasste sie so sehr, dass er der arabischen Welt so gut wie den Rücken
gekehrt hatte, um sich Subsaharaafrika zuzuwenden. Unter den arabischen
Staaten, die sich an der Militäraktion beteiligten, tat dies Jordanien unter
starkem Einfluss des Westens, während Katar seine eigene Agenda hatte.
Tatsächlich war die Arabische Liga gespalten, weil einige Staaten
offenbar die Konsequenzen einer »Flugverbotszone« nicht verstanden
hatten. Dementsprechend beschwerte sich der Generalsekretär der
Arabischen Liga Amr Moussa gleich am 20. März, die Bombardierung
Libyens gehe zu weit.32
In Entscheidungen beschrieb Hillary Gaddafi als »einen der
exzentrischsten, grausamsten und unberechenbarsten Autokraten der Welt.
Mit
seinen
farbenprächtigen
Outfits,
den
amazonenhaften
Leibwächterinnen und der überspannten Rhetorik […] gab er auf der
Weltbühne eine bizarre, manchmal auch schaudererregende Figur ab.«33
Das sind die Kennzeichen einer multikulturellen Welt: farbenprächtige
Outfits, überspannte Rhetorik. Doch Gaddafis Rhetorik konnte manchmal
sehr aufschlussreich sein, etwa in seiner bemerkenswerten Rede auf dem
Gipfeltreffen der Arabischen Liga im März 2008 in Damaskus.34
Gaddafi begann seine Rede, indem er die arabischen Führer ironisch
an ihren heuchlerischen Verrat an der Sache Palästinas erinnerte. Er
erklärte ihnen, wenn sie dem Iran den Besitz von Inseln im Persischen
Golf streitig machen wollten, sollten sie sich einfach an den
Internationalen Gerichtshof wenden und dessen Entscheidung
respektieren. Dann wendete er sich der US-Invasion im Irak zu.
»Was ist der Grund für die Invasion und Zerstörung des Irak? […] Könnten
unsere amerikanischen Freunde doch bitte die Frage beantworten: Warum der
Irak? Was ist der Grund? Ist Bin Laden Iraker? Nein, ist er nicht. Waren die, die
New York angegriffen haben, Iraker? Nein, waren sie nicht. Waren die, die das
Pentagon angegriffen haben, Iraker? Nein, waren sie nicht. Gab es
Massenvernichtungswaffen im Irak? Nein, es gab keine.
Und selbst wenn der Irak solche Waffen gehabt hätte – Pakistan und Indien
haben sogar Atomwaffen! Und China, Russland, Großbritannien, Frankreich und
die USA haben ebenfalls welche. Sollten all diese Länder zerstört werden?
Schön, zerstören wir doch alle Länder, die Massenvernichtungswaffen haben.«
Im Irak, so Gaddafi weiter, wurde eine ganze Riege von arabischen
Führern durch den Strang exekutiert. »Aber wir schauten von der Seite
aus zu und lachten.« Saddam Hussein sei ein Kriegsgefangener gewesen,
148
Präsident eines arabischen Landes, das Mitglied der Arabischen Liga
war, aber als er gehängt wurde, hätten die arabischen Führer nichts getan.
»Ich rede hier nicht über die Politik Saddam Husseins oder die
Meinungsverschiedenheiten, die wir mit ihm hatten. Wir alle hatten
politische Meinungsverschiedenheiten mit ihm. Und wir haben solche
Meinungsverschiedenheiten auch hier unter uns. Wir haben nichts
miteinander gemein als diesen Sitzungssaal.« Dann warnte er:
»Jeder von euch könnte der nächste sein. Ja! Die USA kämpften mit Saddam
Hussein gegen Khomeini. Er war ihr Freund. Cheney war ein Freund Saddam
Husseins. Rumsfeld, der US-Außenminister zur Zeit der Zerstörung des Irak,
war ein enger Freund Saddams. Am Ende verkauften sie ihn und hängten ihn.
Ihr seid Freunde Amerikas – oder sagen wir, >wir< sind es, nicht >ihr<. Aber
eines Tages könnte Amerika jeden von uns aufhängen.«
Und er schloss: »Es tut mir Leid zu sagen, dass wir Feinde voneinander
sind. Wir alle hassen einander, wir täuschen einander, weiden uns am
Unglück des anderen und verschwören uns gegeneinander.«
In Entscheidungen prahlt Hillary Clinton detailliert damit, wie
großartig sie die arabischen Führer auf den Krieg zum Sturz Gaddafis
eingestimmt habe. Tatsächlich war das nicht schwerer, als Kinder dazu zu
bringen, ein Eis zu essen, denn die arabischen Führer, auf deren
Rekrutierung Hillary so stolz ist, hassten Gaddafi ohnehin aus vollstem
Herzen – aber nicht wegen ihrer Liebe zur Demokratie, sondern weil er
ihnen immer wieder den Spiegel vorgehalten hatte.
Damit wir erfahren, wie schwer sie es hatte, beschreibt Hillary in
Entscheidungen einen »außergewöhnlich komplizierten« Aspekt ihrer
Arbeit am Aufbau einer arabischen Koalition. Denn genau zu diesem
Zeitpunkt unterdrückte das Emirat von Bahrein, wo die US-Kriegsmarine
im Persischen Golf beheimatet ist, eine authentisch friedliche
Protestbewegung im Stil des »Arabischen Frühlings«. Am 15. März
schickte Saudi-Arabien Truppen nach Bahrein, um dort bei der
Niederschlagung des Volksaufstandes zu helfen. Oh Gott, unsere
wichtigsten arabischen Verbündete taten genau das, wofür wir gerade
Libyen bombardieren wollten! Und das vor den Augen der ganzen Welt!
»In genau diesem Moment standen wir in diplomatischen
Verhandlungen über die Bildung einer internationalen Koalition zum
Schutz der libyschen Zivilbevölkerung vor einem drohenden Massaker«,
wobei den arabischen Golfstaaten eine Schlüsselrolle zufallen sollte,
erinnert sich Hillary.35
149
Sie sah klar, dass »unsere Werte und unser Gewissen verlangten, dass
die Vereinigten Staaten die Gewalt gegen Zivilisten verurteilten, die wir
in Bahrein sahen«; aber auf der anderen Seite war die »arabische
Führerschaft in der Luftkampagne« gegen Libyen »von entscheidender
Bedeutung«. HRC stand vor einem moralischen Dilemma – oder
zumindest einem scheinbaren Dilemma. Aber dieses konnte leicht durch
leere Worte gelöst werden.
Mit Hilfe ihrer Sprecherin Victoria Nuland, die später noch weit aus
dem Schatten treten sollte, verfasste Hillary Clinton eine Erklärung.
»Gewalt ist nicht und kann nicht die Antwort sein. Gefordert ist ein
politischer Prozess.« Aber in Bahrein war auch weiterhin Gewalt die
Antwort, während keinerlei politischer Prozess zugelassen wurde – was
die US-Moralisten natürlich von vornherein gewusst hatten. Aber Hillary
»war nun froh, dass wir weder unsere Werte noch unsere
Glaubwürdigkeit geopfert hatten«. Jetzt, wo die »Werte« sicher in der
Rumpelkammer verstaut waren, konnte das Bombardement beginnen.
»Bald darauf kreisten arabische Jets über Libyen«, jubelte sie.36
Die Anwerbung arabischer Politiker für die Beseitigung Gaddafi war
keine große Leistung. Sie war nützlich für die Kaschierung der Tatsache,
dass andere, weitaus demokratischere Führer etwa aus Afrika und
Lateinamerika angeboten hatten, in der libyschen Krise zu vermitteln.
Nach Beginn des Militärangriffs auf Libyen spielte Hillary eine noch
entscheidendere Rolle: Sie blockierte alle Bemühungen um einen
Verhandlungsfrieden. Genau wie ihre Freundin Madeleine Albright
benutzte sie das Außenministerium, um diplomatischen Lösungen den Weg
zu versperren. Ironischerweise suchten einige Kräfte im Pentagon das
Heil im Verhandeln, während Hillary im US-Außenministerium alle
Verhandlungen sabotierte.37
Gaddafi dagegen war schon vor Beginn des NATO-Angriffs zum
Kompromiss bereit. Bereits am 10. März 2011 hatte ein
Vermittlungskomitee der Afrikanischen Union unter Führung des
südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma ein Friedensabkommen
ausgearbeitet, das unter anderem einen Übergang zur Demokratie vorsah
und über das Gaddafi mit der Opposition verhandeln wollte. Aber wie
der Ex-Präsident Südafrikas Thabo Mbeki später sagte, lehnte der
UNSicherheitsrat Zumas Friedensplan »total verächtlich« ab.38
Unabhängige Untersuchungen, Vermittlung, Verhandlungen – das waren
die Schritte, die die Vereinten Nationen hätten unternehmen müssen, wenn
sie noch in der Lage wären, als Organisation zur Wahrung des Friedens zu
fungieren. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sorgten die USA durch
150
ihren Nichtbeitritt mit für das Aus des Völkerbundes. Und Anfang dieses
Jahrhunderts macht Washington sich daran, die Vereinten Nationen in
einer tödlichen Umarmung zu ersticken. Vermittlung ist das, was die UN
in Krisensituationen propagieren sollte, aber unter dem überwältigenden
Einfluss der USA ist die Organisation zum Erfüllungsgehilfen der Pläne
Washingtons geworden. Vorschläge zur friedlichen Vermittlung wie der
vom demokratisch gewählten Präsidenten Venezuelas Hugo Chávez
wurden als »Unterstützung für Diktatoren« denunziert. Als ob nur ein
Land, das von Washington als »reine Demokratie« akzeptiert wird, darum
bitten dürfte, nicht bombardiert zu werden …
Am 18. März rief Gaddafi zu einem Waffenstillstand auf. Am nächsten
Tag, an dem französische Bomber bereits begonnen hatten, Libyen
anzugreifen, wurde sein Angebot von Hillary als »Gerede aus Tripolis
über einen Waffenstillstand« abgetan. In Paris rechtfertigte sie die
Angriffe, indem sie erklärte, Oberst Gaddafi fordere »weiterhin die Welt
heraus«, indem er Zivilisten angreife.39
Tatsächlich aber gab es während des gesamten Angriffs auf Libyen
Bemühungen, die Wahrheit ans Licht zu bringen und der Zerstörung ein
Ende zu bereiten. Gaddafis Sohn Saif al-Islam al-Gaddafi stand in
Kontakt mit US-Beamten und bat sie eindringlich, eine
Untersuchungskommission zu schicken, um sich selbst von den Tatsachen
vor Ort zu überzeugen. Und das Pentagon hatte seine eigenen Informanten,
die die melodramatischen Berichte bestritten, die als Vorwand für einen
gewaltsamen Regimewandel in Umlauf gesetzt wurden.40
Nur einen Tag nach Beginn des NATO-Bombardements am 22. März
201141 bat die libysche Führung um einen 72-stündigen Waffenstillstand
zwecks Ausarbeitung der Bedingungen für eine Einigung. Sie bot einen
Abzug aller libyschen Truppen aus Bengasi und Misrata, den beiden
großen Rebellenstädten an. Dieser Abzug hätte durch die Afrikanische
Union überwacht werden können. Gaddafi sagte, er sei unter zwei
Bedingungen bereit zurückzutreten und eine Übergangsregierung zu
akzeptieren, nämlich dass es Libyen gestattet würde, Truppen zu behalten,
um sich al-Qaida entgegenzustellen, und dass seine Familie und seine
Loyalisten Schutz genössen. Der US-Marine-Admiral i. R. Charles
Kubic, der in Libyen als Wirtschaftsberater arbeitete, wurde über diese
Bedingungen informiert und leitete sie über die militärische Hierarchie
an US-Army-General Carter Ham, den Chef des US-Afrika-Kommandos,
weiter. Die Bedingungen schienen beiden Militärs vernünftig, und
General Ham begann mit geheimen Verhandlungen. Aber zwei Tage später
erhielt er von »außerhalb des Pentagon« den Befehl, »damit aufzuhören«.
151
Militärische Quellen sind der Meinung, dass die Order zum plötzlichen
Abbruch der Friedensverhandlungen nur aus Hillary Clintons
Außenministerium gekommen sein konnte.42
In einem Telefongespräch im Mai erklärte Saif al-Islam al-Gaddafi
dem demokratischen Kongressabgeordneten Dennis Kucinich, die
Anschuldigungen über bevorstehenden Völkermord würden genauso
eingesetzt
wie
seinerzeit
die
falschen
Berichte
über
»Massenvernichtungswaffen« im Irak. Er warnte die Amerikaner, die
bewaffneten Rebellen seien keineswegs »Freiheitskämpfer«, sondern
Dschihadis-ten, Verbrecher und Terroristen.43
Im August schrieb Kucinich an »Herrn Obama« und »Frau Clinton«,
um ihnen zu berichten, er sei von einem Vermittler in Libyen kontaktiert
worden, der die Bereitschaft Präsident Muammar Gaddafis signalisiert
habe, »den Konflikt unter Bedingungen zu beenden, die der Politik der
Administration entgegenkämen«. Kucinichs Brief blieb ohne Antwort.44
Gaddafi war vierzig Jahre an der Macht gewesen und war sichtlich
müde. Seine Dschamahirija war ein Experiment besonderer Art, gerade
weil es eine Form der Modernisierung war, die den Besonderheiten eines
dünn besiedelten Wüstenlandes mit muslimischer Bevölkerung
entsprechen sollte. Dazu gehörten eine Form der direkten Demokratie und
ein Allgemeiner Volkskongress, der Vorschläge, die von Gaddafi kamen,
ablehnen konnte und das auch immer wieder tat. Muammar Gaddafi war
ein »Wegweiser« und kein »Diktator«, und die Wege, die er wies, wurden
oft, vielleicht sogar in zunehmendem Maß von der Regierung
zurückgewiesen. Die Dschamahirija war ein Produkt des revolutionären
Zeitgeistes zu Ende des Vietnamkriegs und zeichnete sich durch eine
radikale Umverteilung des Reichtums aus, die den Lebensstandard der
Gesamtbevölkerung dramatisch erhöhte, aber den Eliten, die sich einen
größeren Anteil der Öleinkünfte für sich selber wünschten, gar nicht
gefiel.45 Angesichts des radikalen Wandels, den der Zeitgeist seitdem
durchgemacht hatte, hätte sich Libyen ohne den NATO-Angriff 2011
wahrscheinlich – unter dem Einfluss seiner im Ausland ausgebildeten
Eliten – in Richtung eines westlichen Kapitalismus entwickelt. Aber statt
einer solchen langsamen Evolution bevorzugen die USA immer mehr das,
was sie als »Revolution« bezeichnen, was im Falle Libyens in
Wirklichkeit aber eine Konterrevolution und einen drastischen
Rückschritt darstellte. Das Ziel war, die sozialen Errungenschaften der
Revolution Gaddafis zu zerstören und zu revidieren und das Land der
Kontrolle der üblichen Verdächtigen zu übergeben: Handlangern vor Ort
152
und den großen Spielern aus dem Westen, nicht nur den Ölge-sellschaften,
sondern auch dem großen Baukonzern Bechtel46 sowie dem neuen USAfrika-Kommando AFRICOM, das in Afrika als Polizeitruppe fungieren
soll. Aber selbst das gelang am Ende nicht.
Eine US-gestützte »Revolution« kann nur zerstörerisch sein, ein
Mittel, bestehende Strukturen abzuschaffen. Wir zerschlagen alles und
vertrauen darauf, dass es »unseren Leuten«, mit ein wenig Hilfe von
Söldnern und US-Special-Forces, gelingt, die Spitzenplätze des Wracks
zu besetzen. Und wenn das fehlschlägt, zuckt die US-Führung mit den
Achseln und sagt, sie hätte es nur gut gemeint. Wenn die Eingeborenen
nicht reparieren können, was wir kaputt gemacht haben, ist das ihr
Problem …
Die Streitkräfte Libyens waren in Wirklichkeit schwach, denn Gaddafi
misstraute einem starken Militär, von dem er fürchtete, es könne
versuchen, sich an die Macht zu putschen. Wäre er allgemein so verhasst
gewesen, wie seine Feinde behaupteten, hätte eine echte Volksrevolte der
Mehrheit der Libyer ihn leicht zum Rücktritt zwingen können. Doch mitten
während des sechsmonatigen NATO-Bombardements kamen am 1. Juli
2011 etwa eine Million Menschen – etwa ein Fünftel der Bevölkerung
des Landes – zu einer Demonstration in Tripolis, um ihre Unterstützung
für Gaddafi zu zeigen. Gaddafi war ein echter Populist und wurde von
vielen einfachen Libyern immer noch unterstützt. Aber sie hatten keine
Bombenflugzeuge auf ihrer Seite und verloren den Kampf. Die neidische
Elite, die seinen Populismus hasste, hatte die Bomber auf ihrer Seite,
aber auch sie siegte am Ende nicht wirklich. Der wirkliche Sieger war
das Chaos.
»Wir kamen, wir sahen, er starb«
Am 30. April 2011 wurde der 29-jährige Gaddafi-Sohn Saif al-Arab alGaddafi zusammen mit drei kleinen Enkeln Muammar Gaddafis und einer
unbekannten Anzahl weiterer Zivilisten bei einem NATO-Bomben- und
Raketenangriff auf den Wohnsitz seines Vaters in einem Wohngebiet in
Tripolis getötet. Saif, der an einer Technikuniversität in München
studierte, war nur zu Besuch in seiner Heimat gewesen. Er war schon
1986 im Alter von vier Jahren bei einem US-Bombenangriff auf seine
Familie verwundet worden. Nach der Attacke veröffentlichte der Bischof
von Tripolis, Monsignore Martinelli, am 1. Mai einen Appell: »Ich bitte
153
inständig um eine Geste der Menschlichkeit gegenüber Oberst Gaddafi,
der die Christen Libyens immer beschützt hat. Er ist ein sehr guter
Freund.«47 Gaddafi sollte den Christen Libyens noch fehlen. Mitte
Februar 2015 wurden einundzwanzig koptische Christen, die aus Ägypten
gekommen waren, um in Libyen zu arbeiten, von islamistischen
Fanatikern enthauptet.48
Am 18. Oktober 2011 traf Hillary Rodham Clinton zu ihrem ersten
offiziellen Besuch in einem Land ein, von dem sie keine Ahnung hatte und
das in rasendem Tempo in etwas verwandelt worden war, das niemand
mehr wiedererkannte.49
Während man auf die Ankunft der Außenministerin Clinton wartete,
erklärte ein »hoher Beamter des Außenministeriums« (dessen Name wie
üblich nicht genannt wurde) Journalisten, die US-Besucher würden mit
den Libyern darüber sprechen, wie man »Libyen auf transparente Weise
so in die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts integrieren kann, dass der
Ölreichtum Libyens zum Nutzen aller Bürger des Landes verwendet
wird« – ein zynischer Witz, wenn man bedenkt, dass gerade Gaddafis
Bestrebungen, den libyschen Ölreichtum durch kostenlose Bildung,
Wohnung und Gesundheitsversorgung an die Bürger weiterzugeben, mit
Sicherheit ein sehr wichtiger Grund dafür war, dass die Führer der USA,
Katars und der Arabischen Liga einen Regimewandel haben wollten. Ein
solcher Egalitarismus schafft viele Feinde. Die Vereinigten Staaten, so
hieß es weiter, planten jetzt, den Libyern dabei zu helfen, Englisch zu
lernen, ganz so, als sei diese Sprache in Libyen unbekannt.
Wie üblich war Hillary Clinton nicht etwa nach Libyen gekommen, um
etwas über das Land zu lernen, sondern um seinen Bewohner zu sagen,
was sie tun müssten. »Die Frauen in Libyen sollten gleiche Rechte
genießen«, erklärte sie ihrem feministischen Image getreu. Das war ein
weiterer hintergründiger Witz, waren doch die Frauen Libyens dank des
NATO-Bombardements gerade dabei, die Rechte zu verlieren, die sie
zuvor dank Gaddafi gewonnen hatten: nicht nur das Recht auf
unverschleierten Aufenthalt in der Öffentlichkeit oder zur Bekleidung
guter Posten, sondern auch das simple Recht, sich sicher auf der Straße zu
bewegen oder überhaupt am Leben zu bleiben.50
Vielleicht zur Illustration amerikanischer Werte und Interessen nutzte
Hillary ihren Besuch in Tripolis auch, um ihrer Befriedigung über die
Befreiung des israelischen Soldaten Gilad Schalit im Rahmen eines
Gefangenenaustausches Ausdruck zu verleihen.
Vor ihrer Weiterreise nach Oman hatte Hillary ein letztes Wort zu
154
Muammar Gaddafi, der, obwohl das zu diesem Zeitpunkt unbekannt war,
immer noch zusammen mit seinem Sohn Mutassim kämpfte, um seine
Heimatstadt Sirte zu verteidigen. »Wir hoffen, dass er bald
gefangengenommen oder getötet werden kann, damit ihr ihn nicht länger
fürchten müsst«, erklärte Hillary vor einem ausgewählten Publikum in
Tripolis.
Zwei Tage später wurde Gaddafi sowohl gefangengenommen als auch
getötet. Videoaufnahmen zeigen, dass der libysche Führer und sein Sohn
lebend gefangen genommen, brutal gequält und dann ermordet wurden.51
Hillary Clinton hatte ihren Augenblick ewigen Ruhms, ihren
Augenblick, der sie für die Geschichte definieren wird, im Moment von
Gaddafis Tod. Als ihre Beraterin und Vertraute Huma Abedin ihr erklärte,
Gaddafi sei gerade getötet worden, stieß Hillary ein albern
mädchenhaftes »Wow!« hervor, bevor sie den Archetyp des Imperialisten
Julius Caesar paraphrasierte: »Wir kamen, wir sahen, er starb!«, rief sie,
bevor sie in herzhaftes Gelächter ausbrach.52
Hier konnte die Welt das Endergebnis des besessenen Wunsches
sehen, an die Spitze der heutigen Machtstruktur der USA zu gelangen. Der
Ritt auf dem Tiger des Militärisch-Industriellen Komplexes hatte die
kurzsichtige Lieblingsschülerin der Lehrer aus einer Vorstadt Chicagos,
das Mädchen, das am Seminar in Wellesley die selbstverständliche
Anwärterin auf die Klassenbeste war, verwandelt; nun glich sie einer
feixenden Mörderin, der noch dazu jeder Anflug der Reue einer Lady
Macbeth fehlte.
Nachbemerkungen zu einem Mord
Wenn ein Mensch, der bereits gefangen ist, brutal ermordet wird, stört sie
sich nicht daran, dass das Vorgehen grausam oder illegal oder auch
einfach nur beschämend war. Es war ein Erfolg. Wenn der Gefangene ein
»Bösewicht« ist, ist sie schadenfroh wie eine Cheerleaderin an der
Highschool beim Sieg ihres Teams. Wenn der Gefangene zu ihrem eigenen
Team gehört, ist sie am Boden zerstört. Das ist dann eine furchtbare
menschliche Tragödie und könnte ihrer Karriere schaden. Ein Misserfolg,
von dem sie nicht wirklich zugibt, dass es ihr Misserfolg ist.
In Entscheidungen unterschlägt Hillary jede Erwähnung ihrer
Reaktion auf den Tod Gaddafis, offenbar, weil man sie gewarnt hatte, das
würde nicht den guten Eindruck machen, den sie erwartete. Stattdessen
155
widmet sie dem Tod des libyschen US-Botschafters Chris Stevens und
dem zweier CIA-Beamter, Glen Doherty und Tyrone Woods, am 1.
September 2012 in Bengasi ein Kapitel von über vierzig Seiten.53 »Dass
ich als Außenministerin letztlich für die Sicherheit meiner Leute
verantwortlich war, wurde mir nie stärker bewusst als an jenem Tag«,
schrieb sie.54
Das ist zweifellos richtig. Aber dann ist sie sofort wieder die
Anwältin, die weiß, dass man sich aus allem herausreden kann. Und
schon fangen die Rechtfertigungen an: »Es liegt in der Natur der Sache,
dass Diplomatie oft an gefährlichen Orten stattfindet, wo die nationale
Sicherheit Amerikas auf dem Spiel steht.«55 Augenblick mal! Die
»nationale Sicherheit« der USA steht in Bengasi auf dem Spiel? Wie
kommt das? Und was immer Chris Stevens am 11. September 2012 in
Bengasi tat, »Diplomatie« im strikten Sinn war es jedenfalls nicht. Den
plausibelsten Berichten zufolge waren Chris Stevens und seine Kollegen
in Bengasi, um zu helfen, auf dem Weg über die Türkei Waffentransporte
an islamische Rebellen in Syrien zu arrangieren. Zusammen mit
islamistischen Kämpfern aus Libyen geschmuggelte Waffen haben unter
Mithilfe der USA inzwischen zum Tod zahlreicher Schiiten, Alawiten und
Christen im gesamten Gebiet der uralten Wiege der Zivilisation in
Mesopotamien beigetragen. Stevens betrieb keine »Diplomatie«, sondern
imperialen Regimewandel und den radikalen Umbau eines Staats – ein
Projekt das völlig scheiterte. Er operierte im Kontext der Traumwelt
Hillary Rodham Clintons, einer Welt, die so umgemodelt werden sollte,
dass sie den »universalen Werten und Interessen« der USA entspricht.
»Ohne amerikanische Präsenz«, argumentiert sie in ihrem
Verteidigungsantrag für sich selbst, »würde der Extremismus leicht Fuß
fassen, setzten wir unsere Interessen aufs Spiel und gefährdeten die
Sicherheit unseres Landes.«56 Das sind natürlich nur die rhetorischen
Nebelkerzen einer Anwältin. Der Extremismus hat im Nahen Osten fast
ausschließlich deshalb Wurzeln geschlagen, weil die USA, und mit ihnen
das mit drei Milliarden Dollar im Jahr verwöhnte Israel, dort nur zu
präsent waren. Das ist allgemein bekannt, aber ein Rückzug, so Hillary
weiter, liegt »einfach nicht in den Genen unserer Nation«, weil die
Amerikaner in allen Krisen »stets nur noch härtere und klügere
Anstrengungen unternommen haben«. Millionen von Menschen auf der
ganzen Welt arbeiten »härter und klüger«, aber für HRC müssen alle
menschlichen Tugenden als spezifisch »amerikanisch« definiert werden.
Das ist die Art sinnloser Rhetorik, die »die selbstverständliche
156
Anwärterin« vor sich hin spinnt. Es ist die Rhetorik des Strebens nach
oben. In ihren weitschweifigen Erklärungen, warum Stevens, Doherty und
Woods getötet wurden, erklärt sie in Wirklichkeit nichts. Sie
sympathisiert mit den Ergebnissen einer Untersuchung der New York
Times, die zu dem Schluss kam, der tödliche Angriff sei »entgegen den
Behauptungen einiger Kongressabgeordneter weitgehend durch die Wut
auf ein in den USA hergestelltes Video inspiriert gewesen, das den Islam
verächtlich machte«. Aber sie ist sich nicht ganz sicher und endet mit der
pragmatischen Bemerkung, jetzt, wo der Schaden schon angerichtet sei,
sei es weniger wichtig, herauszufinden, warum die Täter so handelten, als
sie zu finden und der Gerechtigkeit zuzuführen.
Sie finden und der Gerechtigkeit zuführen, ohne zu wissen, warum sie
es taten? Die USA platzten in ein Land hinein, über das einige wenige
Spezialisten aufgrund von Spionage aller Art sehr viel wussten, von dem
die politischen Entscheidungsträger aber keine Ahnung hatten. Dennoch
waren sie sich sicher, dass sie es nach ihrem eigenen Bild neu gestalten
konnten – eine Aufgabe, die Gottes würdig wäre und die am Ende ein
Inferno hervorbrachte.
Hillary scheint nie auf die Idee gekommen zu sein, der Mord an
Stevens, Doherty und Woods könne die normale und vorhersehbare
Konsequenz eines mörderischen Projekts sein, das nie hätte begonnen
werden dürfen. Wer seine Hand in ein Hornissennest steckt, wird
gestochen.
Christopher Stevens wusste eine Menge über Libyen. Seine von WikiLeaks veröffentlichten Telegramme an das Außenministerium zeigten,
dass er wusste, dass Gaddafi kein »Diktator« war und dass er sich,
stärker und schon länger als die USA, »im Krieg« mit dem islamischen
Terrorismus und al-Qaida befand.57 Aber zugleich versuchte Gaddafi, so
wie China, zu einer unabhängigen Entwicklung Afrikas beizutragen. Das
stieß auf große Missbilligung des Westens, der, obwohl er die
Entwicklung Afrikas jahrzehntelang vernachlässigt hatte, den
privilegierten Zugang zu den Ressourcen des Kontinents für sich behalten
wollte.58 In einer Nachricht an Washington von August 2008 berichtete
Christopher Stevens: »Muammar Gaddafi hat kürzlich ein breit
publiziertes Abkommen zwischen Stammesführern aus Libyen, dem
Tschad, dem Niger, Mali und Algerien vermittelt, mit dem sie, im Tausch
gegen Entwicklungshilfe und finanzielle Unterstützung, ihre
separatistischen Ambitionen und ihren Schmuggel (von Waffen und
transnationalen Extremisten) aufgeben würden.«59
Kurz, Gaddafi verwendete Libyens Ölreichtum dazu, den Frieden in
157
der Region zu fördern. Mit seinem Tod endete der Frieden und im
Nachbarland Mali kam es zum Krieg, während in Libyen selbst Recht und
Ordnung komplett zusammenbrachen. Ein friedliches und prosperierendes
Land versank im Chaos.
Vielleicht waren die »überspannte Rhetorik« und die bizarren
Gewänder ebenso wie das autoritäre Gebaren Gaddafis in der
Anfangsphase der Schaffung einer neuen Nation aus einer riesigen, nur
spärlich von rivalisierenden Stämmen besiedelten Wüstenregion ja von
Nutzen. Aus der Dschamahirija hätte sich noch etwas Originelles
entwickeln können, genau wie aus Jugoslawien etwas Interessantes hätte
entstehen können – unterschiedliche Systeme in einer mannigfaltigen Welt.
Aber für »Amerika« gibt es nur ein einziges Modell.
In seinem aufklärerischen Meisterwerk Slouching Towards Sirte:
NATO’s War on Libya and Africa kommt Maximilian Forte zu folgendem
Urteil:
»Tatsächlich war Gaddafi eine bemerkenswerte und einmalige Ausnahme unter
allen modernen arabischen Führern: weil er hartnäckig einen nationalen
Altruismus praktizierte, weil er Entwicklungsprogramme in Dutzenden bedürftiger
Ländern finanzierte, weil er nationale Befreiungsbewegungen unterstützte, die
nichts mit dem Islam oder der arabischen Welt zu tun hatten, weil er eine
Ideologie verfolgte, die originär und nicht einfach das Produkt überkommener
Tradition oder des Nachäffens äußerer Einflüsse war, und weil er Libyen zu
einer Präsenz auf der Weltbühne verhalf, die in keinem Verhältnis zu seiner
Einwohnerzahl stand (so haben die meisten der größeren Karibikstaaten eine
größere Bevölkerung als Libyen). Man konnte ein scharfer Kritiker Gaddafis
sein und doch die ehrliche Fähigkeit haben, diese objektiven Tatsachen
anzuerkennen, oder zumindest, wenn einem die übliche dämonisierende
Darstellung lieber war, >dem Teufel das Seinige zuzugestehen<.«60
Solch eine »ehrliche Fähigkeit«, die Qualitäten eines Gegners
anzuerkennen, fehlt der Führungsriege der USA leider ganz und gar – ganz
gleich, ob es sich um den zur Hälfte schwarzen (und afrikanischen)
Barack Obama oder um die »hundertprozentige Amerikanerin« Hillary
Rodham Clinton handelt … In der gesamten Geschichte war der »Friede
der Tapferen«, der genau diese Fähigkeit erfordert, die Fähigkeit
menschlicher Wesen also, im verzerrten Spiegel der anderen sich selbst
zu sehen, Kennzeichen einer edlen Seele. Bei den heutigen Politikern des
Westens ist davon nichts mehr zu spüren.
Die Geschichte des Muammar Gaddafi ist eine epische Tragödie, und
Gaddafi war ein tragischer Held, der früher einmal der Protagonist
158
großer Literatur gewesen und Mitgefühl wie Schrecken ausgelöst hätte.
Wie alle großen Helden war er fehlbar. Er konnte grausam und großzügig
sein. Er war menschlich und lächerlich. Er hatte große Fehler und große
Verdienste, und sogar seine komischen Seiten. Seine Pläne überstiegen
seine Möglichkeiten, sie zu verwirklichen, und sein katastrophaler
Untergang war weniger seinen Makeln als seinen Tugenden geschuldet,
vor allem seinem »hartnäckigen Altruismus«, der ihn vom Chor seiner
einflussreichen Kritiker im eigenen Volk isolierte. Auf seine eigene Art
war er so blind wie Ödipus und bedarf eines zukünftigen Sophokles oder
Shakespeares.
Aber ist das überhaupt möglich? Das »Amerika«, das heute das
Kommando über die Welt beansprucht, tötet nicht nur andere Nationen, es
tötet allen Adel des Geistes, und es tötet die Tragödie; jene Fähigkeit, die
Wahrheit über die Verfasstheit des Menschen in seiner Niederlage zu
begreifen, die Fähigkeit, die Toten mit Ehre zu begraben und der Renitenz
des tapferen Narren, der fantasiert, er könne die Welt retten, wenigstens
Achtung zu zollen.
In Libyen dachten die Amerikaner an ihre »Interessen« – sie kamen,
sie sahen nichts, und ihr menschliches Gewissen war bereits tot.
159
6 Russland verstehen? Nein,
danke!
»Manchmal habe ich das Gefühl, als säßen da drüben jenseits des großen
Teichs in Amerika Leute in einem Labor und führten Experimente durch, als
ginge es um Ratten – aber ohne die Konsequenzen ihres Handelns zu
begreifen.«
Wladimir Putin, 4. März 20141
Jede Nation hat ihre eigenen Werte und Interessen. Bei friedlichen
internationalen Beziehungen sollte es daher um die Respektierung von
Werten und den Ausgleich von Interessen gehen. Ein Blick auf die
Beziehungen zwischen den USA und Russland im letzten
Vierteljahrhundert zeigt jedoch, dass das Washingtoner außenpolitische
Establishment es völlig unnötig findet, Nichtigkeiten wie russische Werte
und Interessen zu achten, zur Kenntnis zu nehmen oder zu verstehen zu
versuchen. Seltsamerweise scheint heute ein Haupterfordernis, um in
Washington zum Russlandexperten zu werden, die Unfähigkeit zu sein,
dieses Land zu verstehen. Autismus scheint das bevorzugte
Qualifikationsmerkmal.2
Die Amerikaner sind offenbar unfähig zu begreifen, warum ein Land,
das im letzten Jahrhundert zweimal Ziel massiver, zerstörerischer
Invasionen aus dem Westen war, etwas dagegen haben könnte, dass die
USA die größte Militärmaschine der Geschichte bis direkt vor Russlands
Haustür ausfährt. Wenn Moskau hiergegen Einwände erhebt, reagieren die
USA darauf mit der Unterstellung, die Russen litten unter
Verfolgungswahn.
Es ist den US-Führern gelungen zu vergessen, dass man Russland 1990
als Gegenleistung für die russische Erlaubnis eines NATO-Beitritts des
wiedervereinigten Deutschlands versprochen hatte, die NATO nicht
weiter nach Osten auszudehnen. Der Handel wurde von Gorbatschow, der
160
nicht einmal eine schriftliche Version verlangte, willig akzeptiert. Er war
naiv genug zu glauben, wenn Deutschland innerhalb der US-geführten
NATO bliebe, würde dies Russland schützen, indem es jedem neuen
aggressiven deutschen Drang nach Osten einen Riegel vorschob. Es war
dann die »nette« Clinton-Administration, die damit begann, zuerst den
Geist der Vereinbarung zu verletzen, indem sie sich Deutschland bei der
Zerschlagung Jugoslawiens anschloss, und dann mit der Erweiterung der
NATO nach Osten auch gegen ihren Buchstaben zu verstoßen. Die
Tschechische Republik, Ungarn und Polen wurden alle unmittelbar vor
der Bombardierung Jugoslawiens 1999 in die NATO aufgenommen.
Damit begann sich die »Partnerschaft« mit Washington, auf deren
Etablierung die russische Führung gehofft hatte, in Luft aufzulösen.
Statt auf die zahlreichen russischen Avancen zu einer friedlichen
Partnerschaft zu antworten,3 beschloss die Clinton-Administration,
Russland wie einen besiegten Feind zu behandeln. Die Folgen dieser
Entscheidung zeigten sich erst 2014 in vollem Maße. Die Lehre für
Russland war, dass die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer
Pakts, nicht die Aussichten auf den Weltfrieden verbessert, sondern nur
den USA das grüne Licht gegeben hatte, von der Zerstörung der UdSSR
zur Demontage Russlands voranzuschreiten.
Nicht lange nach der Demütigung Russlands im Kosovokrieg und im
letzten Jahr der Clinton-Präsidentschaft trat Boris Jelzin 2000 als
Präsident der Russischen Föderation ab. Das Land befand sich damals
aufgrund des schockartigen Übergangs zum Kapitalismus, der sowohl den
Lebensstandard als auch die Moral der Bevölkerung stark gesenkt hatte,
in einem drastischen sozialen, wirtschaftlichen und sogar demografischen
Niedergang. Putin hatte den größten Teil seines Lebens als
Geheimdienstoffizier verbracht und war von Jelzin zunächst als Berater
und dann als Nachfolger ausgewählt worden. Geheimdienste bieten oft
eine ausgezeichnete Ausbildung in internationalen politischen und
strategischen Gegebenheiten. Der Chor der US-Propaganda folgte dem
üblichen Doppelstandard und denunzierte die Karriere Putins im KGB als
Beweis für seine Bösartigkeit, vergaß dabei allerdings bequemerweise,
dass Präsident Bush I. einst CIA-Chef gewesen war. Das Problem des
Westens mit Putin bestand zweifellos von Anfang an darin, dass er zu viel
wusste und nur zu gut verstand, was Washington hinter seinem netten
diplomatischen Getue tatsächlich vorhatte. Das Dumme an Putin war,
dass er wesentlich besser begriff, was vor sich ging, als der
bemitleidenswerte Boris Jelzin. Vielleicht hatte Jelzin, in der vagen
Ahnung, dass seine amerikanischen »Freunde« ihn hereingelegt hatten,
161
sich genau deswegen Putin als Nachfolger ausgesucht.
Wladimir Putin hat wohl kaum versäumt, die 1997 erschienene Bibel
der US-Eurasien-Strategie Die einzige Weltmacht von Zbigniew
Brzeziński zu lesen.4 Als Präsident Jimmy Carters Nationaler
Sicherheitsberater war Brzeziński der Guru hinter der Strategie, mit der
die UdSSR 1979 in den Sumpf des sowjetischen Afghanistankriegs
gelockt wurde. Auch danach blieb er der prominenteste US-Stratege mit
Verbindungen zur Demokratischen Partei.
Brzeziński erklärt in seinem Buch, das Ziel der US-Außenpolitik solle
»letzten Endes von der Vision einer besseren Welt getragen sein: der
Vision, im Einklang mit langfristigen Trends sowie den fundamentalen
Interessen der Menschheit eine auf wirksamer Zusammenarbeit beruhende
Weltgemeinschaft zu gestalten«. Kurz, die USA sollen, in der Gewissheit,
dies sei »letzten Endes« gut für die Menschheit, die ganze Welt gestalten.
»Aber bis es soweit ist«, fügt er hinzu, sei es im Hier und Jetzt zwingend
erforderlich, »keinen eurasischen Herausforderer aufkommen zu lassen,
der den eurasischen Kontinent unter seine Herrschaft bringen und damit
auch für Amerika eine Bedrohung darstellen könnte«.5 Das läuft auf die
Forderung nach einer präventiven Schwächung jeder neu entstehenden
Macht hinaus – und zwar nicht wegen etwas, was sie tut, sondern einfach,
weil sie da ist. Und Russland muss schon wegen seiner Größe und
geografischen Lage zwangsläufig als potenzieller »Herausforderer« und
daher Widersacher angesehen werden. Der Schluss aus alldem ist, dass
die von Russland proklamierte Hoffnung auf einen Neuanfang als
friedlicher und prosperierender Partner des Westens für die USEntscheidungsträger überhaupt kein Thema ist.
»Bedient man sich einer Terminologie, die an das brutalere Zeitalter der alten
Weltreiche gemahnt, so lauten die drei großen Imperative imperialer
Geostrategie: Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre
Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten
fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, dass die >Barbaren<Völker sich nicht zusammenschließen.«6
Mit anderen Worten bedeutet dies die Wiederbelebung des klassischen
divide et impera für unser eigenes brutales Zeitalter. Die »Vasallen« und
»Tributpflichtigen« sind unsere lieben europäischen Verbündeten,
abhängig, gehorsam und geschützt von der NATO, die zudem durch die
Mitgliedschaft in einer Union von achtundzwanzig höchst verschiedenen
Ländern, die gegen alles ein Veto einlegen und sich gegenseitig
162
paralysieren können, in einem Zustand permanenter Unentschlossenheit
gehalten werden. Die »Barbaren« sind natürlich so gut wie alle anderen,
nicht zuletzt die Russen, und die »Absprachen«, die verhindert werden
müssen, sind alles, was auf stabile und friedliche Beziehungen zwischen
der Europäischen Union (besonders Deutschland) und Russland
hinausläuft.
Das Ärgerliche an Putin war, dass er das verstand, als unannehmbar
betrachtete und sogar wagte, es auch zu sagen.
Die einzige Weltmacht wurde während Clintons zweiter Amtszeit
veröffentlicht und gilt als wichtigstes Buch dieser Zeit über US-Strategie.
Der Präsident und seine Frau haben es sicher gelesen, und seine Frau
vielleicht aufmerksamer als der Präsident selbst.
Tatsächlich vertraute Hillary Clinton, bevor sie beschloss, für den
Senat zu kandidieren, ihrer guten Freundin Diana Blair an, sie »wäre
gerne in einer Denkfabrik«. Sie wolle eine »politische Frau« sein. Damit
meinte sie die Außenpolitik, besonders ihre aggressive, militärische
Seite.
Carl Bernsteins detaillierte Biografie Hillarys, Hillary Clinton. Die
Macht einer Frau, der diese Zitate entstammen und die geschrieben
wurde, bevor sie Außenministerin wurde, beschäftigt sich kaum mit
Außenpolitik.7 Aber am Ende wird in Kapitel 18, das von HRC als
frischgebackener Senatorin aus New York handelt, ihre Wandlung
deutlich gemacht:
»Aus Gesprächen mit ihren Beratern geht klar hervor, dass ihre Tätigkeit im
Streitkräfteausschuss das zentrale Element war, mit dem sie ihre Befähigung zur
Präsidentschaftskandidatin nachzuweisen gedachte. Sie wollte eine für ihre
Entschlossenheit bekannte Verteidigungsexpertin werden, eine Meisterin der
Geheimnisse von Politik, Waffen und militärischer Strategie. Im Fall eines
Wahlsiegs sollten ihr diese Kenntnisse ebenso von Nutzen sein wie auf dem
Weg dorthin, wo sie helfen konnten, die Befürchtungen der Wähler in Bezug auf
einen weiblichen Oberbefehlshaber zu zerstreuen.«8
Hillary war sich über die »mangelnde Erfahrung ihres Ehemanns mit
allem Militärischen« im Klaren und wollte es besser machen. »Sie ging
stets davon aus, dass sie den progressiven Flügel der Demokratischen
Partei in der Tasche ihres Hosenanzugs hatte«,9 und so bestand ihre
Hauptaufgabe darin, Stimmen von anderen Wählern zu ergattern.
Das ist ein nur zu normaler Weg für linksliberale Politiker. Zuerst
erkannte sie, dass ihr Ziel einer großen progressiven Veränderung wie
163
der Gesundheitsreform im gegenwärtigen System aufgrund des
kapitalistischen Profitsystems und der daraus resultierenden
Kräfteverhältnisse nicht durchzusetzen war. In der Innenpolitik ist
abgesehen von kleinen Korrekturen praktisch nichts zu machen. Aber auf
der Weltbühne bietet die Militärmacht der USA enorme Möglichkeiten,
»etwas zu tun«: zündende Reden gegen »Diktatoren«, Schikanierung
ganzer Länder und ihre Bestrafung durch Sanktionen, Sturz von
Regierungen – und schließlich große, kolossale Kriege. Geschichte kann
gemacht werden.
2005 zeigte Hillary ihr nationalistisches Gesicht, indem sie ein Gesetz
mit einbrachte, das das Verbrennen der US-Flagge zum Bundesverbrechen
machte. Sie vertraute voll darauf, dass ihre liberalen Fans diese Geste,
mit der sie dem chauvinistischen Mob imponieren wollte, geflissentlich
ignorieren würden. Sobald eine Politikerin wie HRC die hilflosen
Linksliberalen »in der Tasche« hat, können deren Gefühle und
Überzeugungen getrost ignoriert werden. Sie werden sie sowieso als das
kleinere Übel wählen, ganz egal, was sie tut.
Für eine Welt der Gleichen
Im Februar 2007 beging Wladimir Putin ein Delikt, das bedeutsamer war
als eine Flaggenverbrennung: Er konfrontierte die Macht mit der
Wahrheit. Auf der jährlichen Internationalen Sicherheitskonferenz in
München sprach Putin sich freimütig gegen das Modell einer
»monopolaren Welt« aus, einer Welt mit einem Herrscher und einem
Souverän, einer Welt, die »mit Demokratie nichts zu tun« habe.10 Das
monopolare Modell sei »für die heutige Welt nicht nur unannehmbar,
sondern überhaupt unmöglich«, meinte er.
Putins Punkt war, dass der extreme Einsatz militärischer Gewalt in
internationalen Beziehungen, der »die Welt in die Tiefen einander
ablösender Konflikte stößt«, und die »immer stärkere Vernachlässigung
der grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts« durch die USA überall
ein Gefühl der Unsicherheit erweckten und ein gefährliches Wettrüsten
stimulierten.
Im Gegensatz dazu, so Putin, sei Russland für alle Arten von
friedensfördernden Maßnahmen: konventionelle Abrüstung in Europa,
Reduktion von Nuklearwaffen, Initiativen zur Verhütung des Wettrüstens
im äußeren Weltraum und UN-Autorität über die Anwendung von Gewalt.
164
Zur Lösung der iranischen Nuklearfrage hatte Russland die Etablierung
internationaler Zentren zur Anreicherung von Uran unter strikter Aufsicht
der Internationalen Atomenergiebehörde vorgeschlagen, um eine legitime
Entwicklung ziviler Nuklearenergie zu ermöglichen.
Indem er implizit auf die Behandlung Russlands durch die USA als
»besiegtes Land« antwortete, erinnerte er daran, »dass der Mauerfall
[…] dank der historischen Wahl auch unseres Volkes möglich geworden
ist, einer Wahl für Demokratie und Freiheit, Offenheit und aufrichtige
Partnerschaft mit allen Mitgliedern der großen europäischen Familie«.
Russland wurde nie militärisch besiegt, sondern entschied sich aus freien
Stücken, den Kalten Krieg zu beenden und eine Partnerschaft mit dem
Westen anzustreben. Vor allem anderen, schloss Putin, wolle Russland mit
»verantwortungsbewussten und selbständigen Partnern […] eine gerechte
und demokratische Weltordnung aufbauen, in der Sicherheit und
Prosperität nicht nur Auserwählten, sondern allen garantiert sind«.
Putins Rede wurde mit Schock, Ärger, Ablehnung sowie Gemurmel
über einen neuen Kalten Krieg begegnet, weil er es gewagt hatte, offene
Kritik an den USA zu üben. Die NATO stellte sich wie üblich
geschlossen hinter Washington. Der damalige NATO-Generalsekretär
Jaap de Hoop Scheffer gab nur die vorherrschende Reaktion in
Washington wieder, als er sagte, die Rede sei »enttäuschend und nicht
hilfreich«11.
Senator John McCain entgegnete, die Welt sei nicht monopolar,
verlangte aber gleichzeitig, Russland solle die »westlichen Werte«
übernehmen, womit er nahelegte, dass die Welt, wenn sie schon nicht
monopolar sei, es schleunigst werden sollte. »Moskau muss verstehen,
dass es keine echte Partnerschaft mit dem Westen haben kann, solange
sein Vorgehen im In- und Ausland so fundamental den Kernwerten der
euroatlantischen Demokratien widerspricht«, sagte er, und tat Putins Rede
als »überflüssige Konfrontation« ab.12
Während ihrer Zeit im Senat fand Hillary Clinton in Senator Mc-Cain,
dem kriegslüsternen Republikaner, der von Obama in der
Präsidentschaftswahl 2008 geschlagen wurde, einen Verbündeten. Die
Senatoren McCain und Clinton waren beide besonders darauf aus, die
Welt in Einklang mit »den Kernwerten der euroatlantischen Demokratien«
zu vereinigen. Als Vorsitzender des International Republican Institute
(IRI), einer Filiale des vom US-Kongress finanzierten National
Endowment for Democracy (NED), bereiste McCain die ganze Welt, um
Einzelaktivisten oder unzufriedenen Minderheiten, die ihre Länder unter
die Obhut der USA bringen wollen, großzügig mit Ermutigung,
165
Ratschlägen und US-Dollar beizustehen.
Wie bei McCain wimmeln die außenpolitischen Äußerungen Hillarys
von Hinweisen auf »Prinzipien«, die vorwiegend mit den inneren
Angelegenheiten anderer Länder, besonders mit »Demokratie« und
»Menschenrechten«, und nicht mit Beziehungen zwischen Staaten zu tun
haben. So zielt die US-Außenpolitik immer mehr darauf ab, sich in die
Innenpolitik von Ländern einzumischen, deren Struktur den USA missfällt
und die sie ihrer Kontrolle unterwerfen wollen. Die Mainstreammedien
fungieren als verlässliche Wasserträger dieser Politik, indem sie oft
verzerrt oder unrichtig berichten und vor allem regelmäßig den Kontext
unterschlagen. Die ständigen Vorträge gegenüber anderen bestätigen den
Eindruck, dass die Aufgabe des Außenministeriums nicht darin besteht,
für reibungslose Beziehungen zwischen Staaten zu sorgen, sondern darin,
sich in Beziehungen innerhalb fremder Staaten einzumischen.
In Entscheidungen brüstete Hillary sich damit, sie habe als Senatorin
»Putins Herrschaftsgebaren häufig kritisiert«13. Sie wird nicht müde, ihre
Antipathie gegenüber Putin zu unterstreichen. Als man sie bei einer
Versammlung in Winnipeg im Januar 2015 fragte, ob sie sich
»entschieden habe, Präsidentin zu sein«, drehte sie sich um, äffte klobig
Putin nach (»Entscheiden, Präsident zu sein«) und fügte mit einem
selbstgerechten Feixen hinzu: »Wir haben einen Prozess.« Als ob die
Tatsache, die zweite Clinton zu sein, die unterstützt von Milliardären für
das Amt kandidiert, ein Prozess wäre, der den russischen Wahlen
überlegen ist. Als sie noch Anwärterin auf die demokratische
Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur war, erklärte sie im
Januar 2008 auf einer Versammlung in Hampton, Massachusetts,
Präsident George W. Bush habe falsch daran getan, eine freundschaftliche
Beziehung zu Wladimir Putin zu entwickeln. Zu Bushs Behauptung, er
habe Putin in die Augen geblickt und seine Seele gesehen, entgegnete sie:
»Ich hätte ihm sagen können, dass er KGB-Agent war und schon allein
deswegen keine Seele hat.«14
Als Hillary Clinton im Januar 2009 ihr Amt als Obamas
Außenministerin antrat, war Dmitri Medwedjew Präsident Russlands. In
einer
oberflächlichen
Geste,
die
dazu
bestimmt
war,
Medienaufmerksamkeit zu erregen, zog sie bei ihrem Treffen mit dem
russischen Außenminister Sergej Lawrow, einem echten Top-Diplomaten,
ein Gerät hervor, das sie als »Reset«-Knopf bezeichnete, und überredete
Law-row, gemeinsam mit ihr vor Fotografen den Knopf zu drücken. »Wir
haben uns große Mühe gegeben, das richtige russische Wort zu finden.
Glauben sie, es ist uns gelungen?«, fragte sie stolz. Nein, war die
166
Antwort, das russische Wort auf dem Gerät sage in Wirklichkeit
»überladen«, nicht »reset«. In Wirklichkeit war dieser plumpe PseudoFototermin kein Zeichen einer echten Bemühung zur Verbesserung des
gegenseitigen Verständnisses. Wie Hillary später schrieb, war das nichts
weiter als eine Übung in Opportunismus. Dieser Neustart habe es den
USA ermöglicht, »die tiefer hängenden Früchte einer bilateralen
Zusammenarbeit« zu pflücken15 – eine andere Art zu sagen, dass
Washington Moskau erfolgreich einige wichtige Konzessionen abgenötigt
hatte, wie die Erlaubnis für das Pentagon, russisches Gebiet für den
Transport letaler Waffen nach Afghanistan zu nutzen, die Zustimmung zu
Sanktionen gegen den Iran und Nordkorea und Ähnliches mehr.
Aber Russland bekam für sein Entgegenkommen keinen Dank.
Moskaus Zugeständnisse, schrieb Clinton, seien »eine Tarnung für ganz
andere Absichten« gewesen:
»Auch wenn Russland den Transport amerikanischer Fracht durch sein
Territorium zuließ, wollte es in ganz Zentralasien eigenes militärisches Profil
zeigen. […] Es war gewissermaßen eine moderne Version des >Großen
Spiels<, eines verwickelten diplomatischen Wettbewerbs im 19. Jahrhundert, in
dem Russland und Großbritannien um die Vorherrschaft in Zentralasien rangen
– nur mit dem Unterschied, dass Amerika in der Region nicht nach Dominanz
strebte, sondern nur ein ganz spezifisches Anliegen hatte.«16
Oh, wie schön sind Großmachtspiele! Aber »Amerika« könnte natürlich
nie so etwas Unfaires tun wie nach Dominanz zu streben. Was genau
Russland unternahm, um »eigenes militärisches Profil zu zeigen«, bleibt
ein Geheimnis.
2012 jedoch war Putin wieder im Amt, und Hillary agierte gegenüber
Russland, als sei sie die Therapeutin, die den »seelenlosen« Präsidenten
behandelt. Die US-Politik gegenüber Russland basierte demnach nicht auf
einem Verständnis der grundlegenden Interessen und genuinen politischen
Ziele des Landes, sondern eher auf einer amateurhaften Psychoanalyse.
So schickte Außenministerin Clinton Präsident Obama ein warnendes
Memorandum. Er habe es jetzt nicht mehr mit dem sanftmütigen
Medwedjew zu tun und müsse sich bereit machen, eine härtere Linie zu
fahren. Putin, schrieb sie, sei »zutiefst verärgert über die Vereinigten
Staaten und misstrauisch gegenüber unseren Handlungen«, ohne dass sie
einen Grund für diese Haltung angegeben hätte. Putin könne sein Projekt
der Schaffung einer Zollunion als »regionale Integration« bezeichnen,
warnte Hillary, doch das sei »nur ein Deckmantel für den Wiederaufbau
eines untergegangenen Großreiches«.17 Man muss nicht eigens sagen,
167
dass die Zollunionen, die die Vereinigten Staaten unermüdlich schaffen
und erweitern, natürlich nichts mit dem Aufbau von Imperien zu tun haben
– Gott bewahre! Dafür könnte eine von Russland betriebene Zollunion ein
erster Schritt zum Heranwachsen dessen sein, was Brzeziński für tabu
erklärt hatte: einer neuen Macht in Eurasien.
»Verhandeln Sie hart«, riet Hillary Clinton Obama.18
In Entscheidungen demonstriert sie ihre Fähigkeit, die Gedanken des
russischen Präsidenten zu lesen:
»Putins Weltbild ist geprägt durch seine Bewunderung für die mächtigen Zaren
der russischen Geschichte und durch Russlands seit langem verfolgtes
Bestreben, die Staaten in seiner Nachbarschaft unter Kontrolle zu haben. Hinzu
kommt Putins persönlicher Vorsatz, Russland nie wieder schwach oder vom
Westen abhängig erscheinen zu lassen, wie es in seinen Augen nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion der Fall gewesen war. Putin will Russland zu
alter Macht zurückführen und strebt dazu eine die Nachbarn beherrschende
Stellung und die Kontrolle ihrer Energieversorgung an. Außerdem will er im
Nahen Osten eine größere Rolle spielen, um Moskaus Einfluss in der Region zu
stärken und die Bedrohung durch aufbegehrende Muslime diesseits und jenseits
der russischen Südgrenze zu vermindern. Um diese Ziele zu erreichen, setzt
Putin alles daran, den Einfluss der Vereinigten Staaten in Mittel- und Osteuropa
sowie anderen Regionen, die er für Teile der russischen Einflusssphäre hält,
zurückzudrängen und unseren Bestrebungen in den Ländern, die durch den
Arabischen Frühling erschüttert wurden, entgegenzuarbeiten oder sie zumindest
unwirksam zu machen.«19
Diese vorgebliche Analyse ist nichts anderes als eine Mischung von
Projektion
und
grundloser
Unterstellung.
Die
Möchtegern-»Verteidigungsexpertin« denkt in Stereotypen. So ignoriert
HRC in ihrer »Analyse« schlicht und einfach Putins wiederholte
Angebote20, mit den USA in der Abrüstung, in der Iranfrage, im Kampf
gegen den islamischen Terrorismus oder in der wirtschaftlichen
Entwicklung zusammenzuarbeiten. Und so geht es weiter:
»Für ihn [Putin] ist Geopolitik ein Nullsummenspiel: Wenn der eine gewinnt,
muss ein anderer verlieren. Diese überholte, nichtsdestotrotz gefährliche
Vorstellung erfordert, dass die Vereinigten Staaten sowohl Stärke als auch
Geduld zeigen.«21
Falls die Berater des russischen Präsidenten ebenfalls Anhänger der
Psychoanalyse sind, könnten sie Putin warnen, dass Hillarys Biograf Carl
168
Bernstein ihre Tendenz unterstrichen hat, sich auf einen »Bösewicht« und
»Feind« zu konzentrieren, den sie dämonisieren kann.22 In der
internationalen Arena hat sie offenbar Putin für diese Rolle auserkoren.
Zur Zeit der Sowjetunion konzentrierten sich US-Analysen der
Moskauer Politik meist auf Versuche, sich in der mysteriösen Hierarchie
der Machtelite zurechtzufinden. Diese Tätigkeit wurde Kremlforschung
genannt. Sie war ziemlich sinnlos, war aber immer nützlich, um von
echten Fragen abzulenken, indem jedes Thema auf obskure Machtkämpfe
unter einzelnen Politikern reduziert wurde. Folie für all das war das Bild
der »feindlichen« Hauptstadt als finsterer Festung, die sich im Griff
merkwürdiger Wesen befand, die gegeneinander um die Macht
intrigierten. Die heutigen Bemühungen in den USA zur Psychoanalyse
eines angeblich undurchschaubaren Putin sind ein Rest der nicht zu
Unrecht »Kremlastrologie« genannten Pseudoforschung während des
Kalten Krieges. Dass Wladimir Putin in Wirklichkeit sehr offen und
freimütig ist, macht hier keinen Unterschied. So zahlte das Pentagon einer
Gruppe
selbsternannter
Experten für
die
»Analyse
von
Bewegungsmustern« Hunderttausende von Dollar; sie kam in einem
vertraulichen Bericht von 2008 zu dem Schluss, Putin leide unter dem
Asperger-Syndrom, einer milden Form des Autismus. Dafür gab es
keinerlei Beweis, doch die Experten zogen aus dem Studium der
»Bewegungsmuster« Putins die Folgerung, die »neurologische
Entwicklung« des russischen Präsidenten habe »in seiner Kindheit eine
gravierende Unterbrechung erlitten«. Die »Chefexpertin« Brenda Connors
behauptete, die »Schwierigkeit, zutreffende Echtzeitinformationen über
Russland und seine Führer zu bekommen«, habe »die Verwendung der
Analyse von Bewegungsmustern für die US-Behörden äußerst wichtig
gemacht«. Offenbar hoffte das Pentagon, aus der »Körpersignatur« von
Putins »Zusammenspiel von Haltung und Gestik« mehr über seine
»Denkprozesse« zu erfahren als durch Aufmerksamkeit gegenüber dem,
was er tatsächlich sagte.23
Das scheint Putins Aussage Recht zu geben, die Führer der USA
behandelten den Rest der Welt, als würden sie mit Laborratten
experimentieren.
Die US-Politik gegenüber Russland bis zur Krise von 2014 war so
widersprüchlich, dass es fast scheint, als hätte es gar keine klare Politik
gegeben. Sie war kollegial, wenn es darum ging, »niedrig hängende
Früchte zu pflücken«, und ansonsten feindselig. Insgesamt kann man diese
Politik als Kombination von Einschüchterung und Subversion
zusammenfassen, die in unterschiedlichem Maß und unterschiedlicher
169
Mischung nicht nur gegenüber Russland, sondern so gut wie gegenüber
allen Ländern angewendet wird.
Während des Kalten Krieges bezichtigten die USA Moskau der
Unterstützung der Subversion durch Kommunisten, die angeblich
versuchten, »die Regierung der Vereinigten Staaten durch Zwang und
Gewalt zu stürzen« – etwas, das in Wirklichkeit weit jenseits der
wildesten Träume der Kommunistischen Partei der USA lag. Heute tritt
Russland für keine fremde politische Ideologie mehr ein und hat selbst
eine freie Marktwirtschaft und ein Mehrparteiensystem eingeführt,
während die Vereinigten Staaten aktiv diverse Gruppen fördern, die den
Sturz des gewählten Präsidenten Russlands anstreben. Die Ironie, die in
dieser Rollenumkehr liegt, ist weitgehend unbemerkt geblieben.
Während die USA sich in grundlosen Anklagen ergehen, der äußerst
populäre gewählte russische Präsident sei ein »Diktator«, und jeden
exzentrischen Oppositionspolitiker als Inkarnation der wahren
Demokratie betrachten, behandeln sie Russland außerdem als mögliches
militärisches Ziel, indem sie ihre NATO-Spielfiguren immer weiter
vorschieben, Militärmanöver an Russlands Grenzen durchführen und
einen Raketenschirm aufbauen, dessen einzig plausibler Sinn darin
besteht, den USA durch den Schutz des Westens vor einer russischen
Vergeltung die nukleare Erstschlagkapazität zu geben. Man sollte sich
erinnern, dass Washington im Gegensatz zu Moskau immer sein
besonderes »Recht« verkündet hat, zuerst Atomwaffen ein-zusetzen.24
Der nur zu durchsichtige Vorwand, der Raketenschirm solle einzig der
Verteidigung des Westens gegen den Iran dienen, wurde 2014 fallen
gelassen, als die Ukrainekrise Washington den lange gesuchten Grund für
eine offen feindselige Aufrüstung gegen Russland lieferte.
Die meisten US-Bürger haben mit Sicherheit noch nie etwas von der
militärischen Gefährdung Russlands durch die USA gehört, besonders, da
die US-Führung dies immer wieder abstreitet und so tut, als könne nur
Verfolgungswahn die Russen dazu bringen, sich durch ein nettes Land wie
Amerika bedroht zu fühlen. Um etwas über die fast täglichen provokanten
Militärübungen zu erfahren, die von diversen Mischungen aus NATOStreitkräften und ihren Partnern (wie Schweden und Georgien) rings um
die russischen Grenzen abgehalten werden, muss man auf Quellen wie die
von Rick Rozoff betriebene Internetseite »Stop NATO« zurückgreifen.
Die Massenmedien ignorieren diese Operationen, obwohl sie
offensichtlich Manöver zur Vorbereitung eines Krieges gegen Russland
sind. Und wenn Russland schließlich auf die ständigen Drohungen
reagiert, stellen dieselben Medien diese Reaktion als grundloses
170
Ausagieren paranoider Feindseligkeit hin.
Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Vereinigten Staaten ihre
Militärallianz vor Russlands Haustür zur Schau stellen, kann den
Eindruck erwecken, als plane Washington tatsächlich, Krieg gegen
Russland zu führen. Aber in der Praxis haben die USA seit ihrer
Niederlage in Vietnam immer dafür optiert, wesentlich schwächere
Länder anzugreifen, die kaum Abwehrmittel gegen die Art von
Luftangriffen haben, wie sie für die USA typisch sind. Dennoch waren die
Resultate wenig beeindruckend. Es ist absurd zu glauben, dass ein Militär
wie das der USA, das nicht in der Lage war, den Irak, Libyen oder
Afghanistan zu »befrieden«, bei der Eroberung Russlands weiter käme
als Napoleons mächtige Armeen oder die Wehrmacht.
Historisch gesehen haben die Russen, vorsichtig und auf Verteidigung
bedacht, immer gezögert, Kriege zu beginnen, obwohl sie die
tatsächlichen Kriege meist gewonnen haben. Sehr wahrscheinlich zählt
die US-Führung darauf, dass die Vorsicht der Russen ihnen erlauben
wird, mit ihren Provokationen davonzukommen, und dass sie sogar lieber
zurückzustecken werden, als einen Atomkrieg zu riskieren. Vielleicht
sollen die militärischen Drohungen und Einschüchterungen eine
psychologische Wirkung erzielen, indem sie die derzeitigen Führer
schwächen und in Verlegenheit bringen, und der inneren Subversion – der
wichtigsten Waffe im Arsenal der »Smart Power« – Beihilfe leisten.
Aber die klare Gefahr veranlasst Russland natürlich auch zur Ergreifung
defensiver militärischer Maßnahmen, was die Möglichkeit eines fatalen
Zwischenfalls erhöht, der zum Krieg führt.
Ziel der USA ist offensichtlich ein »Regimewandel«, eine Bewegung,
die Putin stürzen und ihn durch gefügigere Führer ersetzt. Aber wozu?
Russland hat unter Putin ohnehin versucht, als Partner mit dem Westen
zusammenzuarbeiten. Das Ziel, wenn es denn eines gibt, ist vielleicht, die
Konflikte an den Rändern Russlands statt zur Eroberung zur
Destabilisierung zu nutzen, also ein Chaos zu schaffen, das zum Zerfall
des Landes führt; ganz so, wie es in anderen Ländern geschehen ist, die zu
Opfern von US-Aggressionen wurden. Vielleicht hofft man darauf, dass
schwächere Führer Russland genau wie einst Jugoslawien verwundbar
für eine – kräftig unterstützte -Desintegration entlang ethnischer Linien
machen würden. Dann würde das riesige Territorium des Landes leichter
zu beherrschen sein, auch der Zugriff auf seine enormen Ressourcen wäre
leichter. In Wirklichkeit wird jeder mögliche Nachfolger dem Westen
sehr wahrscheinlich wesentlich feindseliger gegenüberstehen als der im
Kern liberale Putin. Die krassen Drohungen aus dem Westen werden fast
171
mit Sicherheit zur Stärkung nationalistischer und autoritärer Tendenzen
führen.
Russland und der Nahe Osten
Russland ist derzeit das bevorzugte Ziel zweier mächtiger Strömungen
des außenpolitischen Establishments der USA: der Brzeziński-Schule und
der Neokonservativen. Sie kommen aus sehr unterschiedlichen
Richtungen, doch ihre Strategien stimmen letztlich überein. Zbigniew
Brzeziński wurde 1928 in Warschau geboren und steht für einen
traditionell russophoben polnischen Nationalismus. Die aristokratische
Familie seines Vaters stammte aus Galizien, einer Region, die historisch
»ständig wechselnden Staatsgebilden«25 angehörte, darunter Polen und
das Habsburgerreich, und die jetzt das Zentrum eines extremen
ukrainischen Nationalismus ist. Als ausgesprochener Kritiker des
Einflusses der Israel-Lobby im US-Kongress hat Brzeziński einmal
gesagt, er sehe keine »logische Verpflichtung der Vereinigten Staaten, wie
ein dummes Maultier allem zu folgen, was Israel tut«26. Demgegenüber
fühlen sich die Neocons gegenüber Israel sehr tief verpflichtet, und viele
von ihnen sind Bürger sowohl der USA als auch Israels.
Gemein haben die beiden strategischen Schulen ihre Bereitschaft, den
sunnitisch-islamischen Extremismus als kleineres Übel auszubeuten –
gegen Russland im Falle Brzezińskis, gegen den arabischen
Nationalismus oder den Iran im Fall der Israel-Fans. Viele Neocons
hegen einen alteingesessenen Groll gegen das zaristische Russland als
Land der Pogrome.27
Brzeziński hatte lange voller Hoffnung auf ein Wachstum des
militanten Islams entlang des »weichen Unterleibs« der UdSSR gewartet,
der riesigen Region, die er den »eurasischen Balkan« nannte. Für ihn war
es der perfekte Weg zur Schwächung Russlands:
»Eine islamische Wiedererweckung, die bereits von außen her vom Iran, aber
auch von Saudi-Arabien Unterstützung erfährt, wird wahrscheinlich aggressive
Nationalismen beflügeln, die jeglicher Reintegration unter russischer – und
mithin ungläubiger – Herrschaft entschiedenen Widerstand entgegensetzen.«28
Als Chefstratege Jimmy Carters spielte Brzeziński die Rolle des
Geburtshelfers für Osama bin Ladens al-Qaida. Die CIA unterstützte die
172
islamischen Mudschaheddin als unverzichtbar für Brzezińskis Strategie,
die Sowjetunion erst nach Afghanistan zu locken, nur um sie dann von
dort wieder vertreiben zu können. »Je schlimmer, desto besser« hätte der
Slogan dieser Art von US-Nahostpolitik lauten können, die mit der
Bewaffnung der Mudschaheddin mit Waffen wie den Stinger-Raketen
begann, damit sie sowjetische Flugzeuge abschießen konnten.
Am Ende stand Afghanistan wesentlich schlechter da, als es unter
sowjetischem Einfluss der Fall gewesen wäre. Besonders in der Frage,
die für US-Politiker so überaus bedeutend wurde, als sie ihre eigene
Invasion einige Jahre später zu rechtfertigen suchten: die Frauenrechte.
Die Sowjets unterstützten Bildung und soziale Befreiung der Frauen –
einer der Hauptgründe, weshalb die lokalen Schützlinge Brzezińskis sie
vertreiben wollten.29 Hillary Clintons Feminismus reichte nie so weit, um
diese Facette der sowjetischen Politik zu erfassen.
Brzeziński betrachtete Afghanistan als Bindeglied zum muslimischen
»weichen Unterleib« der Sowjetunion, einer potentiellen Quelle von
Chaos, die sich nach Norden hin ausbreiten und Moskau destabilisieren
könnte. Als das kommunistische Imperium dann zusammenbrach, blieb
das Ziel dasselbe, nur das es nun einen alten Namen trug: Russland.
Für die Neokonservativen war die wichtigste Aufgabe, die Interessen
Israels und die der USA zu einer einzigen Strategie zusammenzuführen.
Der historische Feind Israels war der arabische Nationalismus, der das
Ziel verfolgte, die arabische Nation – zu der theoretisch auch Palästina
gehörte – zu vereinen. Ursprünglich stand Washington dem arabischen
Nationalismus gar nicht feindselig gegenüber. Im Mai 1948 erkannte
Präsident Truman aufgrund innenpolitischen Drucks Israel an, doch das
außenpolitische Establishment betrachtete die ölreiche arabische Welt als
für die US-Interessen wesentlich wichtiger.30 Es dauerte lange, bis die
Freunde Israels sich in den USA mit ihrer Auffassung durchsetzen
konnten, Hauptpriorität in der Region müsse die Verteidigung Israels sein.
Dabei arbeiteten sie hauptsächlich mit dem Mittel kultureller und
ideologischer Identifikation. Erzählungen wie der Film »Exodus« 1960
untermalten die implizite Parallele zwischen der US-Besiedlung durch
die Pioniere und der Geschichte Israels, was die Allianz mit Israel zu
einer Sache »unserer Ideale« machte, die sogar noch höher stand als
»unsere Interessen«.
In den letzten Jahren hat der neokonservative Einfluss in Washington
die Interessen der USA und Israels um das grandiose Projekt herum
vereint, der Welt die Demokratie zu bringen, indem man »Diktatoren«
stürzt – rein zufälligerweise solche, die die Palästinenser unterstützten.
173
Der vom Neocon-Veteranen Richard Perle 1996 verfasste Bericht für den
israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu mit dem Titel »Ein
klarer Schnitt«31 forderte den Sturz Saddam Husseins als ersten Schritt
einer Serie von Regimewandeln, mit der die Regimes im Nahen Osten,
die Israel als seine größten Feinde betrachtete, beseitigt würden.
Obwohl die Neokonservativen meist mit der Administration George
W. Bushs in Verbindung gebracht werden, die sie mit ihrer Propaganda
erfolgreich zur Invasion des Irak brachten, lancierte das »Project for the
New American Century« (PNAC)32 sein Programm schon während der
zweiten Clinton-Administration. Das war die »Prinzipienerklärung« vom
3. Juni 1997.33 Sie forderte von den USA, »ein neues, für die
amerikanischen Interessen und Prinzipien günstiges Jahrhundert zu
schaffen«. Bei diesen »Prinzipien« handelte es sich um eine extrem
aggressive Interpretation des US-amerikanischen Ausnahmestatus:
»Amerikas einzigartige Rolle bei der Erhaltung und Ausdehnung einer
internationalen Ordnung, die für unsere Sicherheit, Prosperität und
Prinzipien günstig ist.« Das erforderte erhöhte Verteidigungsausgaben,
die Festigung von Militärbündnissen und Regimewandel, Letzteres
angeblich zur Förderung »politischer und wirtschaftlicher Freiheit im
Ausland«. 1998 legte das PNAC noch einmal nach und forderte Präsident
Clinton dazu auf, Saddam Hussein zu stürzen. Dies lief darauf hinaus, die
USA zur Beseitigung der Feinde Israels aufzurufen, die als Gefahren
sowohl für die USA als auch für den Rest der Welt porträtiert wurden.
Als Senatorin übernahm Hillary Clinton die Linie der Neocons, indem
sie 2003 für die Invasion des Irak stimmte. Nachdem dieser Krieg extrem
unpopulär geworden war, äußerte sie Bedauern, aber diese neuen Zweifel
veranlassten sie nie, sich gegen weitere US-Aggressionen im Nahen
Osten auszusprechen. Im Gegenteil, nachdem sie selbst eine
Schlüsselrolle bei der Zerstörung Libyens gespielt hat, brüstet sie sich
nun damit, von Obama eine verstärkte Unterstützung für die Rebellen in
Syrien verlangt zu haben, die dort versuchen, die Regierung zu stürzen.
Zusammen mit Führern der Türkei und General David Petraeus
unterstützte sie Pläne, »gemäßigte syrische Rebellen zu bewaffnen und
auszubilden«, während Obama skeptisch war.34 Das Programm wurde
dennoch versucht und endete in einem völligen Fiasko.
Die nahöstlichen Kriege für »Regimewandel« haben sich genau die
säkularen nationalistischen Regimes zum Ziel auserkoren, die Israel
loswerden wollte. Der einzig vorstellbare Vorteil dieser Politik für die
USA wäre gewesen, die Kontrolle über die Ölressourcen dieser Länder
174
zu gewinnen. Das ist die Erklärung, die verschiedene Anhänger des
Wirtschaftsdeterminismus bevorzugen. Dazu muss gesagt werden, dass
das Chaos, das diese Kriege erzeugten, eine normale Ausbeutung von
Ölressourcen praktisch unmöglich gemacht hat. Unsere angeblichen
»Werte« haben unsere Interessen besiegt.
Der Bürgerkrieg in Syrien hat nun die proisraelischen und die
antirussischen Züge der US-Außenpolitik zusammengeführt, da Russland
der direkten US-Intervention in diesem Land im Wege stand. Russland
unterhält seit vielen Jahren Beziehungen zu Syrien, die sich neben einer
Marinebasis auch in vielen persönlichen Kontakten widerspiegeln.
Nachdem
die
angeblich
Verteidigungszwecken
dienende
»Flugverbotszone« dazu benutzt worden war, einen gewaltsamen
Regimewandel anzustreben, stellten Russland und China klar, dass sie
jeglichen Versuch, R2P als Vorwand für eine Zustimmung des UNSicherheitsrats zu einer US-Militärintervention zu verwenden, blockieren
würden. Ihr gemeinsames Veto brachte die Kriegerinnen in der USRegierung zu ganz undiplomatischem Wüten und Geschrei.
Die UN-Botschafterin Susan Rice bezeichnete das Veto Chinas und
Russlands als »widerwärtig und beschämend«. Russland und China, so
erklärte sie, »haben sich gerade statt mit dem syrischen Volk, den Völkern
des Nahen Ostens, den Grundsätzen des Restes der internationalen
Gemeinschaft mit einem aus dem letzten Loch pfeifenden Diktator
verbündet«. Sie warnte diese Staaten, sie würden ihre Entscheidung noch
bereuen, wenn es erst einmal ein »demokratisches Syrien« gäbe, das
diese Entscheidung nicht vergessen würde.35
Auf einer Versammlung der für eine westliche Intervention werbenden
»Friends of Syria« im Februar 2012 bezeichnete Hillary Clinton das
Doppel-Veto als »erbärmlich«: »Es ist wirklich ekelhaft zu sehen, wie
zwei Mitglieder des Sicherheitsrats ihr Veto einsetzen, während
Menschen ermordet werden – Frauen, Kinder, mutige junge Männer – und
Häuser zerstört werden. Das ist einfach erbärmlich, und ich stelle die
Frage, auf welcher Seite sie stehen. Sie stehen mit Sicherheit nicht auf
der Seite des syrischen Volkes.«36
Welchen syrischen Volkes? Die Rebellen, die von der syrischen
Regierung bekämpft wurden, waren von Anfang an überwiegend
Islamisten gewesen, denen Assads säkulares Regime nicht passte. Ihre
Kontrolle über die Rebellion hat sich seitdem beständig gefestigt. Ohne
starken Rückhalt auch in der syrischen Bevölkerung hätte Ba-schar alAssad sich in diesem stark von außen unterstützten internationalisierten
Krieg gegen sein Regime kaum so lange halten können.37
175
Wessen »Nullsummenspiel«?
Seit etlichen Jahren bemühen sich die russischen Führer, mit dem Westen
gegen den »islamischen Terrorismus« zu kooperieren. Allerdings müsste
eine solche Kooperation mit einer ehrlichen Definition von Terror und
einer Untersuchung seiner tatsächlichen Gründe und Varianten beginnen.
Wenn die US-Regierung einer solchen Zusammenarbeit zugestimmt hätte,
hätte sie den Bombenanschlag beim Boston-Marathon von 2013 vielleicht
verhindern können. Die Russen hatten damals Kenntnisse über die Täter,
die sie gerne weitergegeben hätten. Russland war in jüngster Zeit Ziel
einiger besonders schrecklicher Massaker, unter anderem bei der
Besetzung einer Schule in der Stadt Beslan in Nordossetien durch
tschetschenische Terroristen im Jahr 2004, bei der 186 Kinder und 148
Erwachsene, größtenteils Eltern und Lehrer, umkamen.
Nachdem die USA zugegeben hatten, dass die bewaffnete syrische
Oppositionsgruppe Jabhat al-Nusra aus islamischen Terroristen
bestand,38 warnte Wladimir Putin den Westen vor der Bewaffnung
solcher Gruppen. Wer könne wissen, wo Waffen, die an die syrische
Opposition geliefert werden, landen? Oder wie sie am Ende benutzt
würden? »Wenn Assad heute verschwindet, entsteht ein politisches
Vakuum – wer wird es füllen? Vielleicht diese terroristischen
Organisationen«, sagte Putin auf einer Pressekonferenz im Juni 2013.
»Wie kann man das vermeiden? Schließlich sind sie bewaffnet und
aggressiv.«39
Weit davon entfernt, alles als »Nullsummenspiel« zu sehen, wie
Hillary Clinton behauptete, drängte Putin die Vereinigten Staaten, mit
Russland bei der Suche nach einer friedlichen Lösung
zusammenzuarbeiten. Kurze Zeit darauf waren die russischen
Bemühungen, zum Nutzen aller eine Pause bei diesem Töten zu erreichen,
vorübergehend so erfolgreich, dass viele Beobachter rund um die Welt
schon hofften, Zeugen des Beginns eines echten diplomatischen Prozesses
zur Beendigung des Krieges zu sein, der Syrien verwüstete.
Am 21. August 2013 führten rätselhafte Chemiewaffenangriffe auf die
von den Rebellen gehaltenen Vororte von Ost-Damaskus zu zahlreichen
Ziviltoten. Wie üblich gaben die westlichen Politiker und Medien sofort
den Truppen Assads die Schuld. Doch im Lauf der Zeit fand eine Reihe
seriöser unabhängiger Untersuchungen überzeugende Hinweise darauf,
dass die Sarin-Angriffe das Werk von al-Nusra-Rebellen waren.40 Diese
hatten sowohl die Fähigkeit als auch das Motiv, unter »falscher Flagge«
176
eine Attacke mit Chemiewaffen durchzuführen, die dann just im Moment
des Eintreffens internationaler Inspektoren in Damaskus Assad in die
Schuhe geschoben würden. Da Obama zuvor den Einsatz von
Chemiewaffen als »rote Linie« bezeichnet hatte, die Assad nicht »ohne
Folgen« übertreten dürfe, brachte die Mär von der Verantwortung der
syrischen Regierung Obama in eine Lage, in der er eigentlich mit einem
Vergeltungsschlag reagieren musste. Und so bereiteten die USA,
Großbritannien und Frankreich sich auf Luftangriffe zur Bestrafung der
syrischen Regierung vor.
Das Fehlen solider Beweise, offizielle Dementis aus Damaskus oder
selbst konkrete Hinweise darauf, dass die Rebellen verantwortlich
waren, waren nicht genug, um die Bombardierung durch die westlichen
Alliierten abzuwenden.
Aber ausnahmsweise reagierte die öffentliche Meinung im Westen
diesmal heftig gegen die Pläne, einen weiteren Krieg im Nahen Osten zu
führen. Am 30. August 2013 wies das britische Unterhaus nach einer
lebhaften Diskussion die Vorlage der Regierung zur Autorisierung von
Luftschlägen ab.
Als Obama mit demselben Ansinnen an den Kongress herantrat,
wurden die Abgeordneten mit Anrufen und Botschaften ihrer Wähler
überflutet, die von ihnen verlangten, mit Nein zu stimmen. Obama
verkündete trotzdem weiterhin, »wir« wüssten, »dass Assad
verantwortlich war«, und müssten »handeln«, um weitere
Chemiewaffenangriffe zu verhindern. Doch die Reaktion der
Öffentlichkeit ließ darauf schließen, dass der US-Präsident genau wie
vorher der britische Premierminister David Cameron im Parlament auf
eine schwere Niederlage zusteuerte.
Zu dieser Zeit veröffentlichte das Büro von Ex-Außenministerin
Hillary Clinton eine Erklärung zur Unterstützung der Bemühungen
Obamas, »den Kongress an einer starken und zielgerichteten Antwort auf
den erschreckenden Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime
zu beteiligen«41. Ihre öffentliche Erklärung einige Monate zuvor,
derzufolge Assads Chemiewaffen leicht in die Hände von
Rebellengruppen fallen könnten, hatte Hillary scheinbar rasch
vergessen.42
An diesem Punkt erinnerten sich die Russen, wie jemand, der einem
Ertrinkenden mit einem hingehaltenen Ast hilft, dem Sturm zu entkommen,
an eine Bemerkung, die Hillary Clintons Nachfolger John Kerry nebenbei
hatte fallen lassen. Auf die Frage, was Baschar al-Assad denn tun könne,
um westliche Luftschläge zu verhindern, antwortete Kerry rhetorisch, der
177
syrische Führer könne ja seinen gesamten Vorrat an Chemiewaffen der
internationalen Gemeinschaft übergeben, fügte aber hinzu, das werde er
»nicht tun, und es ist nicht machbar«.43
Nun nahmen russische Diplomaten schnell Kontakt mit den Syrern auf,
und diese entgegneten, es sei sehr wohl machbar. Und es wurde gemacht.
Nach raschen und reibungslosen Verhandlungen und mitten in einem Krieg
übergab die syrische Regierung tatsächlich in Rekordzeit ihr gesamtes
Chemiewaffenarsenal an internationale Inspektoren. Das zeigte, was bei
russisch-amerikanischer Zusammenarbeit alles erreicht werden kann.
Die US-Entscheidung, zusammen mit Russland für die Abschaffung der
Chemiewaffen Syriens zu sorgen, statt die Regierung des Landes zur
Strafe für den angeblichen Einsatz dieser Waffen zu bombardieren,
weckte Hoffnungen, das Schlimmste sei nun vorbei und der Friede in
greifbarer Nähe.
Wladimir Putin nutzte diesen Moment, um seiner Gewohnheit zu
frönen, der Macht der USA zu ehrlich gegenüberzutreten. Vielleicht
meinte er tatsächlich, er würde diesmal verstanden.
Am 11. September 2013 veröffentlichte die New York Times unter dem
Titel »Ein Aufruf zur Vorsicht aus Russland« einen Meinungsbeitrag
Putins. Darin sprach der russische Präsident die Warnung aus: »Syrien
erlebt keinen Kampf für Demokratie, sondern einen bewaffneten Konflikt
zwischen Regierung und Opposition in einem multireligiösen Land. Es
gibt nur wenige Streiter für Demokratie in Syrien.«44 Und weiter:
»Die Söldner aus arabischen Ländern sowie Hunderte Krieger aus westlichen
Staaten und sogar aus Russland, die dort kämpfen, erfüllen uns mit großer
Sorge. Könnten sie nicht mit den Erfahrungen, die sie in Syrien gemacht haben,
in unsere Länder zurückkehren? Schließlich zogen Extremisten, die in Libyen
gekämpft hatten, weiter nach Mali. Das ist eine Bedrohung für uns alle.«
Als Putins Warnung sich dann durch die Entstehung des Islamischen
Staates im Irak und in Syrien mit seinen Enthauptungen oder die
terroristischen Morde an den Charlie-Hebdo-Karikaturisten vom 7.
Januar 2015 bewahrheitete, war sie allerdings längst vergessen, und Putin
selbst wurde noch heftiger dämonisiert als Assad.
Russland, insistierte Putin in seinem Beitrag, schütze nicht irgendeine
bestimmte syrische Regierung, sondern das Völkerrecht:
»Es ist beängstigend, dass es für die Vereinigten Staaten zur Gewohnheit
geworden ist, militärisch in innere Konflikte anderer Staaten einzugreifen. Ist
178
das in Amerikas langfristigem Interesse? Ich bezweifle das. Millionen in der
ganzen Welt sehen in Amerika kein Modell der Demokratie, sondern ein Land,
das ausschließlich auf brutale Gewalt setzt und unter der Parole >Wer nicht für
uns ist, ist gegen uns< Koalitionen zusammenschustert.«
Andere Länder, so Putin weiter, reagierten darauf mit dem Versuch, sich
Massenvernichtungswaffen zu verschaffen, um sich verteidigen zu können.
Um die Weiterverbreitung dieser Waffen zu verhindern, sei es nötig,
»aufzuhören, die Sprache der Gewalt zu sprechen, und auf den Pfad
zivilisierter
diplomatischer
und
politischer
Verständigung
zurückzukehren«.
Putin sagte vorher, ein »gemeinsamer Erfolg« in der Frage der
Chemiewaffen könne die Tür für eine Zusammenarbeit bei anderen
kritischen Themen öffnen. Er begrüßte das, was er als »wachsendes
Vertrauen« in sein Verhältnis zu Präsident Obama beschrieb, wagte aber
dann, sich von Obamas Erklärung abzugrenzen, es sei die Politik der
USA, »die Amerika von anderen unterscheidet. Sie ist es, die uns zu
etwas Außergewöhnlichem macht.« Im Gegensatz dazu schloss der
russische Präsident:
»Es ist extrem gefährlich, jemanden, aus welchem Grund auch immer, zu etwas
Außergewöhnlichem zu machen. Es gibt große Länder und kleine, reiche und
arme, jene mit langen demokratischen Traditionen und jene, die noch im Begriff
sind, ihren Weg zur Demokratie zu finden. Auch ihre Politik unterscheidet sich.
Wir sind alle verschieden, aber wenn wir um Gottes Segen bitten, dürfen wir
nicht vergessen, dass Gott uns alle gleich geschaffen hat.«
Dieser Appell vom September 2013 für Gleichheit löste bei der
politischen Klasse der USA kollektive Wut aus. Putin war hier viel zu
optimistisch. Der russische Vorschlag zur Beseitigung der syrischen
Chemiewaffen erwies sich tatsächlich als vollständiger Erfolg. Er
verhinderte westliche Bombenangriffe auf Syrien im Jahr 2013. Er
öffnete tatsächlich die Tür zu einer echten internationalen Kooperation,
durch die das Blutvergießen in Syrien hätte beendet werden können. Aber
kein einziger führender westlicher Politiker beschloss, durch diese Tür
zu gehen. Ganz im Gegenteil.
Das norwegische Nobelkomitee verlieh den Friedensnobelpreis für
das Jahr 2013 an die internationale »Organisation für das Verbot von
Chemiewaffen«, weil sie »die Anwendung chemischer Waffen unter
internationalem Recht zu einem Tabu gemacht« habe.45 Das war ein
179
bequemer Weg, der russischen Diplomatie keinen Dank für ihre Leistung
in Syrien zollen zu müssen.
Im September 2013, als Russland Obama vor einer möglichen
Niederlage im US-Kongress rettete und den Weg zu einer
erfolgversprechenden Diplomatie aufzeigte, plante die westliche Elite
bereits einen heftigen Schlag gegen Russland selbst. The Economist
schrieb, die Zukunft der Ukraine und Europas werde »gerade in Echtzeit
entschie-den«46, nämlich bei einer Versammlung in demselben Palast in
Jalta auf der Krim, in dem Roosevelt, Stalin und Churchill sich 1945
trafen, um über die Zukunft Europas zu entscheiden. Bill und Hillary
Clinton, Ex-CIA-Chef David Petraeus, Ex-Schatzminister Larry Summers,
Ex-Weltbankpräsident Robert Zoellick, der schwedische Außenminister
Carl Bildt, Schimon Peres, Tony Blair, Gerhard Schröder, Dominique
Strauss-Kahn, Mario Monti und Polens einflussreicher, in Oxford
ausgebildeter Außenminister Radek Sikorski waren unter den
anwesenden Würdenträgern. Am 20. September stellte Gastgeber Viktor
Pint-schuk, ein jüdischer Oligarch, der als zweitreichster Mann der
Ukraine gilt und Gründer der Yalta-European-Strategy-Konferenz (YES)
ist, Hillary Clinton vor ihrem Abendvortrag über »Führung« vor, indem
er sich an ihren Mann Bill wendete: »Herr Präsident, Sie sind wirklich
ein Superstar, aber Außenministerin Clinton – sie ist ein echter, echter
Megastar.« Hillary nutzte die Gelegenheit zur Prophezeiung, dass »die
Produkte der Ukraine, darunter ihre wundervolle Schokolade, überall auf
der Welt empfängliche Märkte finden werden«. Der letzte Wink galt dem
Schokoladen-Oligarchen und zukünftigen Präsidenten von Gnaden der
USA, Petro Poroschenko, der ebenfalls anwesend war, genau wie der
amtierende Präsident Viktor Janukowitsch, der keine Ahnung hatte, dass
diese Konferenz Teil der Prozesse war, die ihn fünf Monate später aus
dem Amt vertreiben würden.
Besonders wichtig war die Anwesenheit des ehemaligen USEnergieministers Bill Richardson, der gekommen war, um über die
Schiefergasrevolution zu diskutieren, die die USA zur Schwächung
Russlands einzusetzen hofften, indem sie den Erdgasexporten Russlands
Fracking entgegensetzten.
Zentrum der Diskussion waren das Abkommen »Deep and Comprehensive Free Trade Area«47 (DCFTA) zwischen der Ukraine und der
Europäischen Union und die Aussichten einer Integration der Ukraine in
den Westen. Es herrschte allgemeine Euphorie angesichts der Aussicht,
die Ukraine werde ihre Bindungen zu Russland zugunsten des Westens
aufgeben. Ironisch daran ist, dass Präsident Januko-witsch, obwohl mit
180
Unterstützung der insbesondere in der Ostukraine stark vertretenen Partei
der Regionen gewählt, die Hoffnung hegte, durch dieses
Handelsabkommen mit der Europäischen Union seine politische Basis zu
verbreitern. In einer für die Mittelmäßigkeit der politischen Klasse der
Ukraine typischen Weise hatte Janukowitsch schlicht den Widerspruch
zwischen den Bedingungen des DCFTA und dem Überleben der
industriellen Basis der Ostukraine nicht verstanden, die völlig von
Exporten nach Russland abhängig war.
Ebenfalls anwesend war jedoch Putins Berater Sergei Glasjew, der
warnte, das geplante Handelsabkommen werde einen negativen Einfluss
auf die ukrainische Wirtschaft haben. Glasjew wies auf das enorme,
durch Auslandsanleihen finanzierte Außenhandelsdefizit der Ukraine hin
und erklärte, der im DCFTA vorgesehene erhebliche Anstieg westlicher
Importe könne dieses Defizit nur vergrößern. Die Ukraine werde
»entweder ihre Schulden nicht bedienen können oder eine umfangreiche
Rettungsaktion brauchen«. Der berichtende For-bes-Reporter meinte, die
russische Position sei »viel näher an der Wahrheit als die Fensterreden
Brüssels oder Kiews«48.
Glasjew warnte weiter vor den innenpolitischen Konsequenzen einer
Westintegration. Die russischsprachige Bevölkerung des Donbass
genannten Donezk-Beckens in der Ostukraine, das den industriellen Kern
des ganzen Landes bildete, verdanke ihre anhaltende Prosperität dem
Handel mit Russland. Da dieser durch die Regeln des DCFTA in Gefahr
gerate, könne der Bevölkerung dort am Ende eine Trennung von der
Ukraine lieber sein, als ihre besonders engen Beziehungen zu Russland in
Frage zu stellen, so seine Warnung.
Die Interventionsanhänger in den USA konnten kaum übersehen, dass
ihre Pläne zur Westintegration der Ukraine Probleme schaffen würden,
und offensichtlich war es genau das, was sie wollten: Probleme für
Wladimir Putin. Carl Gershman, dessen Rolle als Präsident des NED in
der demonstrativen »Förderung von Demokratie« auf der ganzen Welt
besteht, jubelte, die Aufnahme der Ukraine in die westliche Welt werde
ein Schlag gegen Russlands gewählten Präsidenten sein. In einem
Kommentar in der Washington Post vom 26. September 2013 schrieb
Gershman, die Entscheidung der Ukraine, sich Europa anzuschließen,
werde »den Niedergang der Ideologie des russischen Imperialismus, den
Putin repräsentiert, beschleunigen. […] Putin könnte sich bald nicht nur
im benachbarten Ausland, sondern auch in Russland selbst auf der
Verliererstraße wiederfinden.«49 Die Hauptbotschaft war: Der Verlust
der Ukraine werde den Stand und die politische Popularität Putins in
181
Russland schwächen.
Janukowitschs ehemaliger Premierminister Mykola Asarow beschrieb
die Ukraine später als »Rammbock«50, der gegen Russland eingesetzt
worden sei. Laut der Brzeziński-Doktrin kann Russland ohne die Ukraine
kein wichtiges Imperium sein. Die Ukraine aus dem Einfluss Russlands zu
lösen, war immer ein langfristiges Ziel des Westens. Dabei ging es
insbesondere darum, das Land in die NATO zu bringen und so die
Kontrolle über den russischen Marinestützpunkt am Schwarzen Meer in
Sewastopol auf der Krim zu erlangen. Die traditionelle Feindschaft der
Westukraine gegenüber Russland ist ein politisches Pfund, mit dem die
USA und ihre Geheimdienste seit Ende des Kalten Krieges wuchern.
Die Ukraine verstehen
Die Ukraine, ein Wort, das übersetzt »Grenzland« bedeutet, ist ein Land
ohne klar definierte historische Grenzen, das zu weit nach Osten und zu
weit nach Westen ausgedehnt wurde.
Sie wurde zu weit nach Osten ausgedehnt und umfasste dann Gebiete,
die vorher russisch gewesen waren, offenbar um klarzumachen, wie sehr
die UdSSR sich vom zaristischen Reich unterschied, und um zu zeigen,
dass die Sowjetunion wirklich eine Union gleicher sozialistischer
Republiken war. Solange die Sowjetunion als Ganzes von der
kommunistischen Führung beherrscht wurde, waren diese Grenzen nicht
von großer Bedeutung.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie zu weit nach Westen
ausgedehnt. Die siegreiche Sowjetunion erweiterte die Grenzen der
Ukraine so, dass nun auch neue westliche Gebiete dazugehörten, darunter
besonders Galizien, dessen Zentrum eine Stadt mit sehr verschiedenen
Namen ist: Lviv, Lwow, Lemberg oder Lvov, je nachdem, ob sie gerade
zu Litauen, Polen, dem Habsburger Reich oder der UdSSR gehörte. Die
Region war Brutstätte eines rassistischen ukrainischen Nationalismus, der
von den polnischen und dann den habsburgischen Herrschern gefördert
wurde, um jede Identifikation der Bevölkerung mit Russland zu
verhindern. Dieser Nationalismus äußerte sich in neu geschaffenen
sprachlichen und religiösen Varianten des russischen Originals51 und
einer mehr oder weniger mythischen ukrainischen Geschichtsschreibung.
Vielleicht haben die verworrenen Loyalitäten dieser Grenzregion zu
einem übersteigerten Gefühl der Zugehörigkeit zu einer gerade erst
182
definierten ukrainischen Identität geführt, die ihre Anhänger jetzt der
gesamten, soeben unabhängig gewordenen Nation aufzwingen wollen.
Die Ukraine, so ein Kommentator »ist […] ein gespaltenes Land mit
zwei unterschiedlichen Kulturen. Die kulturelle Bruchlinie zwischen dem
Westen und der Orthodoxie verläuft seit Jahrhunderten durch ihr Herz«.52
Diese tiefe kulturelle Spaltung zwischen der Ost-und der Westukraine
kann für die Entscheidungsträger der US-Politik kein Geheimnis gewesen
sein. Sie wurde in exakt diesen Worten von dem bekannten
außenpolitischen Berater Samuel Huntington formuliert, und zwar in
seinem im Original 1996 erschienenen »bahnbrechenden« Buch Kampf
der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert,
das im Washingtoner Politikestablishment als absolute Pflichtlektüre
betrachtet wird. Die Ost-West-Spaltung der Ukraine, schrieb Huntington
dort, habe sich »besonders dramatisch bei den Präsidentschaftswahlen
von [Juli] 1994« ge-zeigt.53 Die Ukraine war damals erst seit
zweieinhalb Jahren unabhängig von der Sowjetunion. In den dreizehn
Provinzen der Westukraine gewann Leonid Krawtschuk, ein
selbsternannter ukrainischer Nationalist, zum Teil mit über 90 Prozent. In
den dreizehn Provinzen der Ostukraine gewann sein Widersacher Leonid
Kutschma mit ganz ähnlichen Mehrheiten. Am Ende siegte Letzterer mit
einer scheinbar ausgewogenen Mehrheit von 52 Prozent – in einem
radikal gespaltenen Land. So hat es in der Ukraine seitdem immer
ausgesehen.
Besonders bedeutsam sind die Bemerkungen Huntingtons über die
Krim. Im Mai 1992, nur Monate nach der Unabhängigkeit der Ukraine von
der Sowjetunion, »votierte das Parlament der Krim […] für die
Unabhängigkeit der Krim von der Ukraine, um danach auf Druck der
Ukraine diesen Beschluss zu widerrufen«54. Auch das russische
Parlament votierte dafür, die Abtretung der Krim an die Ukraine
rückgängig zu machen, die Chruschtschow 1954 ohne Befragung der
Bevölkerung vorgenommen hatte.
Kurz, die Frage der Trennung der Krim von der Ukraine und ihrer
Rückkehr nach Russland war nach der ukrainischen Unabhängigkeit schon
wiederholt gestellt worden. Dass die Krim die alten Pläne, sich von der
Ukraine zu trennen und zu Russland zurückzukehren, umsetzen würde, als
der Putsch in Kiew ein antirussisches Regime an die Macht brachte,
sollte und konnte für niemanden mit einer auch nur lückenhaften Kenntnis
der Region eine Überraschung sein.
Außerdem machte Huntington einige interessante Vorhersagen. Er hielt
»Gewalt zwischen Ukrainern und Russen [für] unwahrscheinlich«, da das
183
zwei slawische, überwiegend orthodoxe Völker seien, die seit
Jahrhunderten enge Beziehungen unterhalten hätten, zu denen häufige
Mischehen gehörten. Das erwies sich leider als falsch. Huntington machte
jedoch auch auf »die etwas wahrscheinlichere Möglichkeit« aufmerksam,
»dass die Ukraine entlang ihrer Bruchlinien in zwei Teile zerfällt, deren
östlicher mit Russland verschmelzen würde«.55 Offensichtlich stellte er
sich das als friedliche Entwicklung vor.
Im Lichte dieser wohlbekannten Fakten ist es grotesker Unsinn zu
behaupten, das Referendum von 2014 zur Rückkehr der Krim nach
Russland sei nur der erste Schritt eines strategischen Plans von Wladimir
Putin zur Invasion der westlichen Nachbarn Russlands, also Polens und
der baltischen Staaten. Und doch ist das die wilde Geschichte, die die
NATO verbreitete, um weiter zu behaupten, der Ausbau ihres Militärs in
diesen Ländern diene dazu, diese vor einer russischen Aggression zu
»verteidigen«. All die Vertreter westlicher Machtstrukturen, die dieses
Märchen wiederkäuen, sind entweder dreiste Lügner oder schlicht zu
ignorant für ihre derzeitigen Posten.
Als die Ukraine durch den Zerfall der Sowjetunion 1991 ihre
Unabhängigkeit gewann, zeigte sich umgehend die Ost-West-Spaltung des
Landes an den Wahlergebnissen. Die Präsidentschaftswahlen waren
immer Kämpfe zwischen Ost- und Westkandidaten. Ende 2004 lagen die
Resultate der Präsidentschaftskandidaten Viktor Juschtschenko, dessen
Stimmen im Westen konzentriert waren, und Viktor Januko-witsch, der
vorwiegend im Osten gewählt wurde, so eng beieinander, dass ein
zweiter Wahlgang abgehalten wurde. Als danach Januko-witsch zum
Sieger erklärt wurde, lösten Behauptungen über Wahlfälschungen
Massendemonstrationen für einen dritten Wahlgang aus, den
Juschtschenko gewann. Die USA unternahmen viel für diese
Demonstrationen, die aufgrund ihrer Banner als »Orange Revolution«
bekannt wurde.56 Die Amtszeit Juschtschenkos erwies sich als
enttäuschend und war durch ständigen Streit mit seiner politischen
Alliierten Julia Timoschenko gekennzeichnet, einer korrupten
Geschäftsfrau, die für ihren folkloristischen blonden Kunstzopf berühmt
war und später wegen Unterschlagung und Machtmissbrauch verurteilt
und in Haft gesteckt wurde. Im Laufe seiner Amtszeit fiel Jus-chtschenkos
Popularität in den Keller und 2010 wurde sein Rivale Janukowitsch mit
einer komfortablen Mehrheit zum Präsidenten gewählt.
Die US-Einmischung in die »Orange Revolution« hatte nie etwas mit
der Unterstützung von Demokratie gegen Diktatur zu tun. Wer immer
durch Wahlen an die Macht kam, die Ukraine wurde letztlich von
184
»Oligarchen« beherrscht, inzwischen äußerst reichen Unternehmern, die
sich während des Zusammenbruchs der staatlichen Kommandoökonomie
große Teil der Wirtschaft unter den Nagel gerissen hatten. Zugleich haben
die USA mit ihrer Einmischung immer den Westen des Landes gegen den
östlichen Teil unterstützt. Gerade weil die Ukraine so tief gespalten ist,
bestehen die ukrainischen Nationalisten im Westen so fanatisch auf einer
erzwungenen Einheit. Sie glorifizieren »die ukrainische Sprache«57 und
schwelgen in einer mythischen antirussischen Version der Geschichte, die
Antagonismen schürt.
Im Lauf der letzten Jahre haben ukrainische Nationalisten, nicht zuletzt
mit offizieller Unterstützung von Juschtschenko, energisch einen neuen
Mythos propagiert, der sich auf die tragische Hungersnot stützt, die die
Bauern der Sowjetunion 1932 und 1933 wegen der staatlichen
Zwangsrequisition von Getreide erlitten, die der Zahlung der für eine
rasche Industrialisierung aufgelaufenen Auslandsschulden diente.
Historiker streiten über die Opferzahlen der Katastrophe, die sicher im
Millionenbereich liegen und die sowohl die russischen als auch die
ukrainischen bäuerlichen Regionen betraf. Seit einigen Jahren beuten
ukrainische Nationalisten diese Tragödie für politische Zwecke aus und
behaupten nun, die Opferzahlen seien Teil eines bewussten Plans
gewesen, die ukrainische Nation auszurotten.58 In offener Konkurrenz zum
Holocaust gedenkt man des Ereignisses nun als »Holodomor« und sagt,
durch diese Hungersnot seien absichtlich bis zu zehn Millionen Ukrainer
getötet worden, was die Ukraine zum Opfer »des größten Genozids der
Geschichte« mache. Die große ukrainische Diaspora in Kanada (etwa 1,2
Millionen Menschen, die höchste ukrainische Bevölkerungszahl
außerhalb Russlands und der Ukraine selbst) ist besonders eifrig im
Gedenken an diesen »Völkermord« und übt politischen Druck auf die
Regierung in Ottawa aus, sich der Anti-Putin-Kampagne anzuschließen
(obwohl Putin hier ganz offensichtlich einmal nichts damit zu tun hatte).
Im November 2013 wurde Präsident Janukowitsch verspätet klar, dass
die Ukraine sich die Unterzeichnung von DCFTA ohne äußere finanzielle
Hilfe gar nicht leisten konnte. Tatsächlich stellte der Vertrag mit der EU
die Ukraine vor ein echtes Dilemma. Offensichtlich wollte Janukowitsch
sowohl das Handelsabkommen mit der EU als auch die bestehenden
Handelsabkommen mit Russland, aber das hätte gemeinsame
Verhandlungen mit Russland über Handelsbedingungen und -standards
erfordert, was die Europäer ablehnten. Russland seinerseits konnte den
Europäern nicht erlauben, ihre Güter und Dienstleistungen über (wie
Putin es später ausdrückte) »die Hintertür« der Ukraine zollfrei nach
185
Russland zu exportieren. Außerdem musste Janukowitsch die Sorgen
seiner Wähler im Osten berücksichtigen, besonders da sein
Hauptunterstützer, die Partei der Regionen, rund ein halbes Dutzend der
von der EU verlangten Gesetzespakete ablehnte, darunter die Entlassung
Julia Timoschenkos aus dem Gefängnis und ihre Ausreise nach
Deutschland. Hinzu kam, dass der Internationale Währungsfonds nun
Austeritätsmaßnahmen verlangte, die so unpopulär waren, dass
Janukowitsch bei ihrer Durchführung die auf 2015 angesetzten Wahlen mit
Sicherheit verloren hätte.
Ende November 2013 kam Premierminister Mykola Asarow zu dem
Schluss, das Land benötige mehr Zeit zum Umgang mit diesen
widersprüchlichen wirtschaftlichen Erfordernissen. Daher legte Präsident
Janukowitsch das DCFTA auf Eis – zur großen Enttäuschung vieler
Ukrainer, die sich danach sehnten, »zu Europa zu gehören«. Die
ukrainische Bevölkerung, die nicht verstand, worum es ging, weil es ihr
nie verständlich erklärt worden war, reagierte mit Straßenprotesten. Die
westlichen Politiker und Medien brandmarkten Januko-witsch daraufhin
als Marionette Moskaus.
Die Proteste auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, die bald den
Namen »Euromaidan« trugen, wuchsen im Lauf des Winters immer mehr
an. Sie speisten sich aus einer Reihe von Missständen in diesem
chronisch schlecht regierten Land. US-Vertreter heizten das gegen
Janukowitsch und Russland gerichtete Potential der Bewegung offen an.
Die für Europa und Eurasien zuständige Staatssekretärin im
Außenministerium Victoria Nuland, der Senator und Vorsitzende des
International Republican Institute John McCain und der französische
Publizist Bernard-Henri Levy besuchten die Besetzer des Maidan, um die
Ukrainer anzufeuern, sich gegen Wladimir Putin zu stellen.
Victoria Nuland war ein wichtiges Mitglied des Hillary-Teams im
Außenministerium gewesen. »Toria Nuland, meine unerschrockene
Sprecherin«59, wie Hillary Clinton sie nannte, hatte das E-MailMemorandum mit den »Kernthesen«60 geschrieben, das eine wütende,
durch einen US-Film, in dem der Prophet Mohammed beleidigt worden
war, aufgebrachte Menschenmenge für den Angriff in Bengasi
verantwortlich machte, bei dem US-Botschafter Chris Stevens getötet
wurde. Die UN-Botschafterin der USA, Susan Rice, wurde dann zum
Sündenbock, weil sie diese fadenscheinige Erklärung im US-Fernsehen
wiederholt hatte.
Victoria Nulands Ernennung zur Federführerin eines aggressiven USVorgehens in der Ukraine beweist die dauerhafte Rolle der
186
Neokonservativen in der US-Außenpolitik. Von Juli 2003 bis Mai 2005
war »Toria« stellvertretende Nationale Sicherheitsberaterin von
Vizepräsident Dick Cheney. In seiner Autobiografie Duty beschrieb der
Ex-Verteidigungsminister Robert Gates Cheneys Auffassung von
Russland, die sehr wohl auch die damalige und heutige Sicht Nulands
sein könnte: »Beim Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 erhoffte sich
Dick nicht nur die Auflösung der Sowjetunion und des russischen
Imperiums, sondern auch die Russlands selber, damit es nie wieder eine
Gefahr für den Rest der Welt darstellen könnte.«61
Victoria Nuland ist die Frau Robert Kagans, des heute aktivsten und
einflussreichsten Neokonservativen. Kagan war Gründer sowohl des
PNAC (»Project for the New American Century«; siehe oben) als auch
seines gegenwärtigen Nachfolgers, der »Foreign Policy Initiative«. Er
begann seine Umtriebe Mitte der 1980er im politischen Planungsstab des
Außenministeriums, wo er, laut der New York Times, »tief in die Politik
der Reagan-Administration hinsichtlich der Rebellen in Nicaragua
verstrickt war«62. Falls es noch irgendeinen Zweifel an der
überparteilichen Natur der neokonservativen US-Außenpolitik geben
sollte, kann man darauf verweisen, dass Kagan während des
Präsidentschaftswahlkampfes 2008 außenpolitischer Berater John
McCains war, bevor er von Hillary Clinton in den »Foreign Affairs
Policy Board« des US-Außenministeriums übernommen wurde.
Von Robert Kagan stammt der berühmte Vergleich: »Die Amerikaner
kommen vom Mars und die Europäer von der Venus.« Damit meinte er,
dass die Europäer, die vor nicht allzu langer Zeit noch zerstörerische
Kriege auf eigenem Gebiet erlitten hatten, den Geschmack an der Sache
verloren haben – im Gegensatz zu den USA, die es gewohnt sind, Krieg
auf den Territorien anderer Völker zu führen.
Die Meinung ihres Gatten über die transatlantischen Beziehungen
scheint sich auch in den vier Worten zu spiegeln, die Victoria Nuland
öffentliche Aufmerksamkeit einbrachten: »Scheiß auf die EU.« Sie fielen
während eines Telefongesprächs mit dem Botschafter der USA in der
Ukraine, Geoffrey Pyatt, am 6. Februar 2014, in dem sie diskutierten, wer
in der Ukraine an die Macht gebracht werden sollte. Die Partei der
deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die CDU, hatte sich für den ExBoxer Vitali Klitschko als ihren Kandidaten stark gemacht. Nulands
Bemerkung bedeutete schlicht, dass es Vorrecht der USA und nicht etwa
Deutschlands ist, den nächsten Führer der Ukraine zu bestimmen – und
das sollte nicht Klitschko, sondern der Mann sein, den sie »Jaz« nannte:
Arsenij Jazenjuk. Und tatsächlich sollte Jaz den Posten als
187
Premierminister auch bald bekommen.
Der in den USA ausgebildete Jazenjuk ist ein Mann von bedrückender
Farblosigkeit und wurde zweifellos wegen seiner Ergebenheit gegenüber
der Austeritätspolitik des IWF, seinem Wunsch nach einem NATO-Beitritt
und einem fast pathologischen Hass auf Russland ausgewählt. Letzterer
zeigte sich unter anderem in seiner erstaunlichen Erklärung vom 7. Januar
2015, in der er sagte: »Wir können uns alle sehr gut an den Anmarsch der
sowjetischen Truppen in der Ukraine und nach Deutschland erinnern.«63
Da er 1974 geboren ist, kann »Jaz« sich natürlich an nichts derartiges
erinnern, gehört aber offenbar zu jener Schule ukrainischer Nationalisten,
deren Russenhass sie so weit bringt, die massive Invasion der
Sowjetunion durch die Wehrmacht, die auch die Ukraine zerstörte,
schlicht zu übersehen, und stattdessen jener Kraft die Schuld am Krieg zu
geben, die sich zur Wehr setzte und am Ende siegte, nämlich der Roten
Armee.
Ein wichtiger Aspekt des Nuland-Pyatt-Gesprächs war, dass sie
erwähnte, sie habe gerade mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moons
Stellvertretendem Generalsekretär für Politik Jeffrey Feltman
gesprochen, der sich bemühe, die Vereinten Nationen mit ins Spiel zu
bringen – natürlich auf Seiten der USA. Sie meinte, das sei »großartig,
um das Ganze zusammenzuschweißen und die UN dazu bringen, dabei
mitzumachen und, du weißt schon, scheiß auf die EU«64. Jeff Feltman war
erst kurz zuvor Nulands Kollege im Team des US-Außenministeriums
gewesen. Als Vize-Staatssekretär für Nahostfragen hatte er gemeinsam
mit Hillary Clinton daran gearbeitet, den nötigen Druck auszuüben, um
eine »Koalition der willigen« Araber zum Sturz des libyschen Staatschefs
Gaddafi zustande zu bringen. Am 2. Juli 2012 wurde Jeffrey Feltman
dann nach über dreißig Jahren im US-Außenministerium wichtigster
politischer Berater des UN-Generalsekretärs. Das bedeutete, dass
nunmehr ein US-Beamter die Aufgabe übernahm, Krisen zu analysieren,
Ban Ki-moon zu beraten und den UN-Sicherheitsrat über die Lage in
Syrien, Israel, Palästina und natürlich in der Ukraine zu informieren. So
wurde alles Nötige arrangiert, um die internationale Reaktion auf die
Ereignisse in der Ukraine zu steuern und Russland zu isolieren.
Die Erschaffung des russischen Feindes
Für einen Außenstehenden ist unmöglich zu sagen, wann, wie und von
188
wem die Entscheidung getroffen wurde, die Ukraine als »Rammbock« zur
Destabilisierung Putins und Russlands zu benutzen. Nach der Rückkehr
von einem ihrer zahlreichen Besuche in Kiew erklärte Victoria Nuland
auf einer von der »U.S.-Ukraine Foundation« in Washington gesponserten
internationalen Wirtschaftskonferenz am 13. Dezember 2013, die USA
hätten seit der Auflösung der Sowjetunion über fünf Milliarden Dollar
investiert, um sicherzustellen, dass die Ukraine »die Zukunft [bekommt],
die sie verdient«.65 Gemeint war, sie ins westliche Lager zu ziehen. Teil
dieser großen Summe waren sicher auch die Ausgaben für die »Orange
Revolution« und andere, weniger hervorstechende Operationen. Die
rücksichtslose Verfolgung des Regimewandels 2014 und die
Einstimmigkeit des Chors in NATO-Land, besonders bei der Verbreitung
einer absurd parteilichen Darstellung der Ereignisse, machen klar, dass
hier eine Art fertig vorliegender Plan zur Ausführung kann. Gegenüber
der Öffentlichkeit wurde die ganze Operation durch monatelange
AntiPutin-Propaganda vorbereitet, die sich auf sexy Themen wie Pussy
Riot und Schwulenrechte einschoss.
Dabei war der US-Ansatz die ganze Zeit, die durch das DCFTA
entstehenden Probleme einfach zu ignorieren, obwohl durchaus
Verhandlungen und Kompromisse möglich gewesen wären. Stattdessen
interpretierte man den Konflikt als Zusammenstoß zwischen dem »guten«
Westen und dem »bösen« Chef der Russen, Wladimir Putin. Im Februar
2014 war es dann so weit: Die proeuropäischen Demonstrationen in
Kiew, angespornt durch (auf dem Maidanplatz verteilte) Snacks von
Victoria Nuland, die Unterstützung John McCains und die rhetorischen
Ergüsse Bernard-Henri Levys, riefen, begleitet von westukrainischen,
militanten, faschistischen und sogar offen neonazistischen Gruppen, zum
Regimewandel auf.
Während des gesamten Winters waren die Maidan-Proteste immer
mehr durch rechtsextreme Gruppen militarisiert worden. Andrij Pa-rubij,
Mitbegründer der Vorläuferorganisation der aus Anhängern des
faschistischen Helden Stepan Bandera bestehenden Swoboda-Partei,66
wurde »Kommandeur« des Maidan und war fortan für »Sicherheit«
zuständig. Die Gewalt wuchs an, und am 18. Februar griffen
Rechtsextremisten das Kiewer Büro der Partei der Regionen an und
steckten es in Brand, wobei zwei Menschen zu Tode kamen.
Am 20. Februar schließlich brach im Zentrum Kiews die Hölle los
und die Krise erreichte ihren Höhepunkt. Der Morgen begann mit einem
Schusswechsel zwischen vorwärtsdrängenden »Demonstranten« und
Mitgliedern des »Berkut«, der Sicherheitseinheit des Innenministeriums.
189
Als den Berkut-Truppen klar wurde, dass sie das Ziel versteckter
Scharfschützen waren und nachdem drei ihrer Männer tot und mehrere
verwundet waren, zogen sie sich zurück. Dann wurden mit Schild und
Knüppel bewaffnete Demonstranten, denen das Maidan-Kommando den
Weitermarsch auf einer vom Maidan-Platz abführenden breiten Straße
befohlen hatte, einer nach dem anderen von unsichtbaren Scharfschützen
erschossen, die von Gebäuden in der Nähe, hauptsächlich dem Hotel
Ukraina, dem Hauptquartier der Maidan-Protestbewegung, aus feuerten.
Widersprüchlichen Quellen zufolge wurden bei diesem rätselhaften
Massaker zwischen fünfzig und hundert Demonstranten getötet und viele
weitere verwundet. Die Oppositionsführer beschuldigten sofort Präsident
Janukowitsch, er habe seinen Sicherheitskräften befohlen, die
Demonstranten niederzumetzeln, und das war dann die Basis für seinen
Sturz nur wenige Stunden später.
Inmitten der entstandenen hysterischen Atmosphäre vermittelten drei
Außenminister der EU, Guido Westerwelle aus Deutschland, Laurent
Fabius aus Frankreich und Radosław Sikorski aus Polen, ein Abkommen
zwischen Regierung und Oppositionsführern, mit dem der durch die
Ereignisse bereits angeschlagene Janukowitsch zustimmte, für auf 2014
vorgezogene Neuwahlen zurückzutreten und die Verfassung entsprechend
zu ändern.
Doch schon am nächsten Tag, dem 22. Februar, floh Janukowitsch, der
nun mit gutem Grund um sein Leben fürchtete, aus Kiew. Zuvor befahl er
seiner Polizei noch den Abzug, was es den faschistischen Milizen, dem
Rechten Sektor und der Swoboda-Partei ermöglichte, die Kontrolle über
wichtige Gebäude zu übernehmen. Viele Mitglieder der Pro-RegierungsParteien verschwanden oder wurden »überzeugt«, sich der Opposition
anzuschließen. Rechtsextreme nationalistische Gruppen verübten
gewaltsame Angriffe auf Mitglieder der Kommunistischen Partei. Die im
Parlament verbliebenen Abgeordneten entzogen Janukowitsch das Amt
und riefen eine Übergangsregierung aus, die von Washingtons
Vorzugsmann als Premierminister, Arsenij Jazenjuk, geführt wurde. Von
da an nahmen die Schützlinge Washingtons den Auftrag wahr, »freie und
faire« Wahlen zu organisieren, bei denen der Sieg des Westens garantiert
war, da die bevölkerungsreiche Ost-Region des Donbass, nachdem die
weitgehend mit ihren Stimmen gewählte Regierung gestürzt worden war,
eine Revolte gegen Kiew begann.
Es war ein perfekt orchestrierter Regimewandel. Die Massen von
Demonstranten, deren genaue Forderungen nie artikuliert oder erfüllt
wurden, lieferten den »demokratischen« Vorwand für den Sturz einer
190
gewählten Regierung, während die mysteriösen Scharfschützen für die
nötige Konfusion sorgten, um einen illegalen, verfassungswidrigen
Staatsstreich zu ermöglichen.
Der Scharfschützenangriff vom 20. Februar, der die Bühne für den
Sturz Janukowitschs schuf, ist inzwischen längst als Operation unter
»falscher Flagge« entlarvt worden. Sie wurde von rechtsextremen
Milizen organisiert, um den glücklosen Janukowitsch beschuldigen zu
können, er habe die Morde angeordnet.
Die Wahrheit kam zuerst einige Tage später heraus, als das Protokoll
eines Telefonats zwischen dem estnischen Außenminister Urmas Paet und
der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton öffentlich wurde. Paet
berichtete Ashton, er habe aus verlässlichen Quellen in Kiew erfahren,
die Scharfschützen seien nicht von Janukowitschs Regierung, sondern von
Gruppen losgeschickt worden, die bei den Maidan-Protesten aktiv waren.
Am 10. April 2014 wurde dies durch eine Sendung des deutschen
Fernsehmagazins »Monitor« bestätigt, die zu dem Ergebnis kam, die
Scharfschützen hätten nicht, wie die Putschisten behaupteten, von
Gebäuden unter Regierungskontrolle aus gefeuert, sondern vom Hotel
Ukraina, das vollständig von der faschistischen Swoboda-Partei und der
Miliz »Rechter Sektor« kontrolliert wurde.67 Die erste detaillierte
akademische Studie des Vorfalls von Ivan Katchanovski von der
Universität Ottawa kam zu dem Ergebnis, bestimmte Elemente der
Maidan-Opposition, besonders die von Dmytro Jarosch geführte Miliz
namens »Rechter Sektor«, hätten das Scharfschützenmassaker genau zum
Zweck der Machtergreifung organisiert.68
Operationen unter falscher Flagge sind besonders erfolgreich, wenn
die Öffentlichkeit, die damit beeinflusst werden soll, nicht glauben kann,
dass es so etwas überhaupt gibt. Obwohl solche Aktionen seit jeher
Standardrepertoire der Kriegsführung sind, wollen viele Menschen
einfach nicht wahrhaben, dass jemand so niederträchtig sein könnte, die
eigenen Leute anzugreifen. Aber besonders dann, wenn äußere Mächte als
Vermittler fungieren, kann eine Aktion unter falscher Flagge eine
festgefahrene Lage aufbrechen, indem sie der eigenen Seite den
moralischen Bonus des »Opferstatus« verleiht. Die ukrainischen
Nationalisten scheinen solche Aktionen mehr als einmal eingesetzt zu
haben.
Etliche Augenzeugen bestätigen Katchanovskis Schlussfolgerungen,
darunter Ina Kirsch, eine deutsche Sozialdemokratin, die von 2011 bis
2014 Direktorin des »Europäischen Zentrums für eine moderne Ukraine«
war, das für eine reibungslose Annäherung zwischen der Ukraine und der
191
EU sorgen sollte. In einem Interview mit der Wiener Zeitung vom 19.
Februar 2015 deutete Ina Kirsch an, der Maidan-Kommandeur Andrij
Parubij könne an der Organisierung des Massakers beteiligt gewesen
sein.69 Kirsch sagte, der US-Milliardär George Soros, der den Maidan
unterstützt habe, habe dort auch »Leute bezahlt – die haben in zwei
Wochen auf dem Maidan mehr verdient als während vier Arbeitswochen
in der Westukraine«. Kirsch meinte weiter, sie kenne Leute, die sowohl
für ihre Teilnahme an Proals auch ihre Teilnahme an Anti-MaidanDemonstrationen bezahlt wurden. »Das ist in der Ukraine ja nichts
Ungewöhnliches«, kommentierte sie, bezahlten doch in der Ukraine
Oligarchen Milizen dafür, dass sie ihr Eigentum schützen und dafür ihren
Konkurrenten Probleme machen.
Die größtenteils russischsprechende Ostukraine war während des
Aufruhrs um den Maidan ruhig geblieben. Aber dann begehrte die Region
gegen den verfassungswidrigen Sturz der Regierung in Kiew auf, der
Leute und Gruppierungen an die Macht brachte, deren Hass auf Russland
pathologisch ist. So waren in der Westukraine auf Versammlungen oder
im Fernsehen Sprecher zu hören, die zu einem Krieg zur »Tötung aller
Russen«70 oder zur Vertreibung der Russen aus der Ostukraine sowie zur
Beschlagnahme ihres Besitzes oder zum Verbot der russischen Sprache
aufriefen – Letzteres eine Maßnahme, die die neue Regierung
ursprünglich beschlossen hatte, aber dann auf den Druck ihrer EUUnterstützer rasch wieder zurücknahm. Eine Galerie für moderne Kunst
organisierte eine bizarre Ausstellung, in der zwei (von Schauspielern
dargestellte) betrunkene und verwahrloste Russen wie in einem Zoo im
Käfig mit Schildern wie »Abstand halten« und »Bitte nicht füttern« zu
sehen waren.
Die Rebellen in der Ostukraine forderten Verfassungsänderungen für
mehr lokale Autonomie, wurden aber von den neuen Machtha-bern in
Kiew umgehend als »Terroristen« stigmatisiert. Das führte dann zum
Bürgerkrieg.
Die
seit
Jahrhunderten
russischsprachige,
multikulturelle
Schwarzmeer-Hafenstadt Odessa war das Zentrum der föderalistischen
Forderungen. Im Frühjahr 2014 stellten Aktivisten auf einem Platz vor
dem lokalen Gewerkschaftshaus Zelte auf, um Unterschriften für ein
Verfassungsreferendum zu sammeln, das Regionen erlauben sollte, selbst
ihre Regierungen zu wählen.71 Am 2. Mai griffen Milizen des Rechten
Sektors die Föderalisten gewaltsam an. Diese flohen in das Gebäude, das
dann in Brand gesetzt wurde. Etliche der Aktivisten verbrannten in den
Flammen, während andere, die es schafften, aus den Fenstern zu springen,
192
von nationalistischen Aktivisten zu Tode geprügelt wurden. Die Zahl der
Toten liegt bei mindestens achtundvierzig, ist aber in Wirklichkeit
wahrscheinlich viel höher.72 Von den westlichen Medien wurde das
Odessa-Massaker heruntergespielt, und bei den westlichen
Menschenrechtsorganisationen, die zuvor zur Verteidigung von Pussy Riot
alle Register gezogen hatten, erregte es nur milde Besorgnis.
Die Heimkehr der Krim
Der Putsch vom Februar brachte die Regierung in Kiew in die Hände von
rechtsgerichteten ukrainischen Nationalisten, die darauf brannten, die
Ukraine in die NATO zu führen. Das stellte für Russland, dessen
Schwarzmeerflotte im Hafen von Sewastopol auf der Krim stationiert ist,
eine unmittelbare strategische Bedrohung dar. Als Chruschtschow 1954
die Krim willkürlich an die Ukraine abtrat, schien das eine rein
administrative Entscheidung ohne Bedeutung zu sein, da Russland und die
Ukraine ja ohnehin beide zur Sowjetunion gehörten. Als dann beide
Länder getrennte Wege gingen, verpachtete die Ukraine den Hafen von
Sewastopol an Russland. Doch wenn die Ukraine der NATO beitreten
sollte, wäre das für Russland eine unsichere Sache, vor allem angesichts
der Tatsache, dass die US-Marine schon jetzt im Schwarzmeer
patrouillierte, und angesichts des US-Hungers nach Militärstützpunkten.
Indem sie die Machtübernahme extrem antirussischer Kräfte in der
Ukraine unterstützten, provozierten die USA und deren europäischen
Partner Russland bewusst zu einer irgendwie gearteten defensiven
Reaktion. Hier ging es nicht nur um eine »Einflusssphäre« in der »engen
Nachbarschaft« Russlands, sondern um eine Überlebensfrage für die
russische Marine und eine schwere Bedrohung der nationalen Sicherheit
direkt an Russlands Grenze.
Die westlichen Staaten konnten sich nicht völlig sicher sein, wie
Präsident Putin reagieren würde. Dass er reagieren würde, war klar.
Damit war für Putin eine Falle gestellt. Egal, was er tat, es würde falsch
sein. Er konnte zu wenig tun, womit er Russlands nationale Interessen
verraten und feindlichen NATO-Kräften erlauben würde, eine ideale
Angriffsposition einzunehmen. Das würde sein Ansehen im Inneren
schädigen und vielleicht zu seinem vorzeitigen Sturz führen. Oder er
konnte überreagieren und russische Truppen in die Ukraine
einmarschieren lassen. Der Westen war darauf vorbereitet und hätte dann
193
im Chor geschrien, Putin sei der neue »Hitler« und plane, Europa zu
überrennen, das (ein weiteres Mal) nur durch die USA gerettet werden
könne.
Letzten Endes war der russische Verteidigungsschritt ein sehr
vernünftiger Mittelkurs. Aber der Aufschrei im Westen war so laut, als
hätte Russland mit der Ukraine dasselbe gemacht wie die USA vor gar
nicht langer Zeit mit Panama oder der winzigen Insel Grenada, wo sie mit
Waffengewalt einfielen.
Da die allermeisten Bewohner der Krim sich immer als Russen
betrachtet haben und sich daher durch den antirussischen Putsch in Kiew
bedroht fühlten, wurde rasch eine friedliche und demokratische Lösung
gefunden. Das Krim-Parlament beschloss ein Referendum über den
Austritt aus der Ukraine, mit der Option eines Beitritts zu Russland. Dies
hatte seit der Auflösung der Sowjetunion, mit der die Krim von Russland
abgetrennt wurde, immer in der Luft gelegen. Die westlichen Mächte
weigerten sich, das Referendum anzuerkennen, aber freiwillige
internationale Beobachter bewerteten die Prozeduren als korrekt. Am 16.
März 2014 stimmten, bei einer Wahlbeteiligung von 82 Prozent, 96
Prozent der Krimbewohner für die Rückkehr nach Russland.73
Im Rahmen des Pachtvertrags für Sewastopol hatte Russland Truppen
auf der Krim stationiert und entsendete nun zum Schutz Verstärkungen,
aber ohne die legale Obergrenze von 20 000 Soldaten zu überschreiten.
Nicht ein Schuss wurde abgefeuert, und es gab bei der Abstimmung
keinerlei Gewalt.
Dennoch verurteilte der Westen diesen demokratischen Prozess als
»russische Invasion«. Dabei führte US-Außenminister John Kerry den
Chor der selbstgerechten Empörung an und beschuldigte Russland genau
desselben Vorgehens, das seine eigene Regierung regelmäßig einsetzt:
»Man kann nicht mit erfundenen Vorwänden in ein fremdes Land
einfallen, um die eigenen Interessen durchzusetzen.« Bei einer anderen
Gelegenheit dozierte Kerry: »Das ist eine Aggression unter einem
vollkommen falschen Vorwand. Es ist ein vom 19. Jahrhundert
übernommenes Verhalten im 21. Jahrhundert.«74 Statt sich über diese
Heuchelei lustig zu machen, sogen die Medien, Politiker und
Meinungsmacher der USA das Thema der nicht zu duldenden
expansionistischen Aggression Putins begierig auf. Die Europäer
schlugen danach gehorsam denselben Kurs ein.
Zur Rechtfertigung der Abspaltung der Krim von der Ukraine berief
sich Russland auf das Urteil des Internationalen Gerichtshof in Den Haag
von Juli 2010, nach dem »das allgemeine internationale Recht kein
194
anwendbares Verbot von Unabhängigkeitserklärungen ent-hält«75. Das
war ironisch angesichts der Tatsache, dass das Urteil die Antwort auf
eine Klage Serbiens gewesen war, das auf eine Entscheidung gegen die
einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo gehofft hatte, aber die
Klage verlor. Am 26. März 2014 wies dann US-Präsident Obama
höchstpersönlich das russische Argument zurück, indem er erklärte:
»Kosovo hat Serbien auch erst nach einem Referendum verlassen, das
nicht unter Verstoß gegen das Völkerrecht, aber dafür in sorgfältiger
Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen sowie den Nachbarn des
Kosovo organisiert wurde. Auf der Krim ist nichts auch nur annähernd
Ähnliches geschehen.«76 In Wirklichkeit war es das Kosovo, wo »nichts
auch nur annähernd Ähnliches« geschah. Die abtrünnige serbische
Provinz erklärte ihre Unabhängigkeit ohne Referendum und ohne
Kooperation mit irgendjemandem – außer wahrscheinlich, insgeheim, mit
Washington. Sie verdankte ihre Unabhängigkeit dem NATOBombardement und der NATO-Besatzung, während die Rückkehr der
Krim nach Russland auf friedlichem und demokratischem Weg zustande
kam.77
Die Entscheidung der Krim, sich von der Ukraine abzuspalten,
verstieß offenbar tatsächlich gegen die Verfassung der Ukraine – die
allerdings zuvor gerade erst auch durch den Putsch in Kiew verletzt
worden war, was eine neue Situation schuf. Aber es gibt keine rechtliche
Basis für die Beschuldigung, sie habe auch internationales Recht
verletzt.
So ganz nebenbei hatte Hillary bereits auf die unentbehrliche HitlerAnalogie zurückgegriffen: »Wem das bekannt vorkommt: Es ist das, was
Hitler damals in den dreißiger Jahren tat«,78 behauptete sie und verglich
damit die Sorge des russischen Führers um die ethnischen Russen in der
Ukraine mit Hitlers kriegerischen Ansprüchen gegen Deutschlands
Nachbarn. Das war indes nur der Beginn eines Crescendos von
Schmähungen und Hitler-Vergleichen, das bald an das heranreichte, was
seinerzeit über den Nazi-Führer selbst gesagt worden war.
Putin verwendete in seiner Rede vor der Russischen Duma am 18.
März 2014 zur Rechtfertigung des Referendums auf der Krim eine andere
Analogie. Putin hoffte, die Deutschen würden sich daran erinnern, dass
Moskau der Wiedervereinigung von Ost- und West- Deutschland 1990
vorbehaltlos zugestimmt hatte, und daher die Entscheidung der Krim als
ähnliche Wiedervereinigung betrachten würden. Er stellte klar, dass keine
weiteren Ansprüche bestünden: »Wir wollen keine Teilung der Ukraine,
195
das ist nichts, was wir nötig hätten.«79 Während er politisch nicht umhin
konnte, die russischsprachigen Rebellen in Donezk und Luhansk zu
unterstützen, hat Putin konstant immer beide Seiten aufgefordert, die
Ukraine durch eine Einigung über ein föderales System mit einem
gewissen Maß an lokaler Selbstbestimmung zusammenzuhalten. Wenn
keine der beiden Seiten dem zustimmt, wird Putin dafür die Schuld
gegeben.
Tatsächlich verstehen in Deutschland viele Menschen den russischen
Standpunkt sehr wohl, sodass der Ausdruck »Putinversteher« in
politischen Auseinandersetzungen zu einem verbreiteten, halb ironischen
Ausdruck geworden ist.80 Viele Deutsche, darunter auch führende
Vertreter der Wirtschaft, betrachten die Europa von den USA
aufgezwungene antirussische Politik als unrealistisch, ungerechtfertigt und
nicht den deutschen Interessen entsprechend. Aber zur offenkundigen
Überraschung und Enttäuschung der russischen Führung haben die
politische Klasse und die Medien in Deutschland die von Washington
festgelegte russlandfeindliche NATO-Linie fast unisono übernommen.
Der russische Außenminister Lawrow gab zu, Russland habe Europas
Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten überschätzt.81
Am 25. Mai wurde der prowestliche Oligarch Petro Poroschenko, der
sein Vermögen mit Schokolade und Beerdigungsinstituten gemacht hatte,
zum Präsidenten der Ukraine gewählt. Da sich die Ostukraine unter
Belagerung befand, stand der Sieg der antirussischen Westukraine von
vornherein fest. Poroschenko ist ein schwankender Führer, der ständig
zwischen seinen US-Unterstützern, die den Konflikt in der Ukraine als
Vorwand zur Stärkung der NATO-Präsenz in den benachbarten EUStaaten begrüßen, und den Friedensanstrengungen deutscher und
französischer Politiker, die ein Interesse an einer Beruhigung der Lage
haben, hin und hergerissen scheint.
Der neue eiserne Vorhang
1945 befreite die Sowjetunion Osteuropa, blieb dann dort zu lang, zog
aber fast fünfzig Jahre später mehr oder weniger freiwillig wieder ab.
Die Vereinigten Staaten befreiten Westeuropa und zogen niemals ganz
ab.82 An irgendeinem Punkt sollte eine permanente »Befreiung« einmal in
Eroberung umbenannt werden.
Um die endlose Präsenz von US-Militärstützpunkten und natürlich
196
auch die Spionagetätigkeit der NSA sowie die NATO-Kontrolle über
Europas eigene Truppen zu rechtfertigen, liegt es im Interesse
Washingtons, die Europäer immer wieder daran zu erinnern, dass sie
beschützt werden müssen.
Gleichzeitig bedarf die Europäische Union immer mehr eines
emotionalen Elements, um ihren inneren Zusammenhalt zu sichern. Dazu
könnten gemeinsame Feinde ein probates Mittel sein: islamische
Terroristen auf der einen und der russische Bär auf der anderen Seite.
Die Ukraine ist nicht das einzige Gebilde, das »überdehnt« ist.
Dasselbe gilt für die Europäische Union. Mit 28 Mitgliedern mit
verschiedenen Sprachen, Kulturen, Geschichten und Mentalitäten ist die
EU nicht in der Lage, sich auf irgendeine Außenpolitik außer der zu
einigen, die Washington ihr aufzwingt. Unterdessen haben das große
Einheitsinstrument, der Euro, und die von Brüssel durchgesetzte
Austeritätspolitik zu wirtschaftlichen Härten und zu Zwietracht geführt.
Die Wahlen zum Europaparlament vom 25. Mai 2014 offenbarten eine
große Unzufriedenheit mit der Europäischen Union unter den Wählern.
Die Ostexpansion der Union, mit der die ehemaligen sowjetischen
Satelliten aufgenommen wurden, hat alles zerstört, was unter den Ländern
der ursprünglichen EU – Frankreich, Deutschland, Italien und den
Beneluxstaaten – je an echtem Konsens hätte möglich sein können. Polen
und die baltischen Staaten sehen die EU-Mitgliedschaft als nützlich an,
sind aber mit dem Herzen bei den USA, wo viele ihrer wichtigsten
Führer ihre Erziehung und Ausbildung genossen haben.
Außerdem kann Washington die antikommunistische, antirussische und
sogar pronazistische Nostalgie ausnutzen, die in Teilen Nordosteuropas
grassiert, um den absurden Schlachtruf »Die Russen kommen!« zu
lancieren und so die wachsende wirtschaftliche Partnerschaft zwischen
Russland und der alten EU, besonders Deutschland, zu sabotieren.
Ermutigt durch die USA und die NATO liefert diese am nordöstlichen
Rand der EU verwurzelte endemische Feindschaft den psychologischen
Impetus für einen neuen »eisernen Vorhang«, mit dem das Ziel erreicht
werden soll, das Zbigniew Brzeziński 1997 in Die einzige Weltmacht
formulierte: den eurasischen Kontinent gespalten zu halten, um die USHegemonie sicherzustellen. Der alte Kalte Krieg diente genau diesem
Zweck, indem er die Militärpräsenz und den politischen Einfluss der
USA in Westeuropa zementierte. Ein neuer Kalter Krieg kann verhindern,
dass der Einfluss der USA durch gute Beziehungen zwischen Westeuropa
und Russland geschmälert wird.
Die USA haben ihre europäischen Verbündeten gezwungen,
197
Wirtschaftssanktionen über Russland zu verhängen, die kostspielig für
Russland, aber auch für die europäischen Verbündeten selbst sind. Die
europäischen Bauern, die ohnehin in Schwierigkeiten sind, waren die
ersten, die durch die russischen Gegenmaßnahmen, zu denen ein
Einfuhrverbot von EU-Agrarprodukten gehörte, bestraft wurden.
Französische und deutsche Industrien verlieren profitable Märkte. Der
erste Eiserne Vorhang war von einer ökonomischen Belohnung für
Westeuropa, nämlich den Investitionen des Marshall-Plans, begleitet.
Dieses Mal wird Europa nicht belohnt, sondern bestraft.
Seit zwei Jahren vertritt der Finanzier Georges Soros die Meinung,
die Europäische Union könne sich selbst nur retten, indem sie die Ukraine
rettet.83 Soros kritisiert die Europäer, da sie unfähig seien zu erkennen,
dass »der russische Angriff auf die Ukraine eine indirekte Attacke auf die
europäische Union und ihre Regierungsprinzipien ist«. Somit befinde die
Europäische Union sich selbst »indirekt im Krieg«, was eine Politik der
staatlichen Sparpolitik »unangemessen« mache. Stattdessen mahnte er:
»Alle verfügbaren Ressourcen sollten in die Kriegsanstrengung geworfen
werden, selbst wenn das größere Haushaltsdefizite bedeutet.«84
Mit diesem Vorschlag versucht Soros, für die Europäische Union
dieselbe Rolle zu spielen, wie Paul Nitze 1950 für die Vereinigten
Staaten: Unter dem Vorwand, man müsse auf die »russische Gefahr«
reagieren, möchte er einen keynesianischen »Kalten Krieg« in Gang
bringen, der die Wirtschaft ankurbelt.
»Sanktionen gegen Russland sind notwendig, aber ein notwendiges
Übel«, da sie »einen dämpfenden Effekt nicht nur auf Russland, sondern
auch auf die europäische Wirtschaft einschließlich der Deutschlands
haben«. Im Gegensatz dazu, so Soros, »würde eine Unterstützung der
Ukraine in ihrer Verteidigung gegen die russische Aggression nicht nur
auf die Ukraine, sondern auch auf Europa einen stimulierenden Effekt
haben«. Die Parallele zu Nitzes NSC 68 ist bemerkenswert. Genau wie
Nitzes Sowjethysterie das Ende des keynesianischen New Deal der
Roosevelt-Periode, der sich auf soziale Projekte wie die Elektrifizierung
der US-Agrargebiete konzentrierte, zugunsten von Militärausgaben
rechtfertigte, würde Soros’ Vorschlag die weitergehende Absenkung der
europäischen Sozialausgaben legitimieren, da die staatliche
Defizitfinanzierung nun der Bezahlung eines Krieges der Ukraine gegen
Russland vorbehalten bleiben muss.
Genau wie Nitze die sowjetische militärische Bedrohung Europas
aufbauschte, ergeht Soros sich in Fantasien, wenn er versichert, es sei
»unrealistisch zu erwarten, dass Putin nicht über die Ukraine hinaus
198
drängen wird, wenn für ihn eine Aussicht auf die Spaltung Europas und
seine Beherrschung durch Russland besteht. Nicht nur das Überleben der
neuen Ukraine, sondern auch die Zukunft der NATO und der Europäischen
Union selbst sind in Gefahr .«85
In diesem Wahnsinn steckt Methode, weil eine offizielle
Kriegshysterie
Großinvestoren
Investitionsmöglichkeiten
mit
Gewinngarantie verschafft.
Die Nebel des Krieges
Die Mehrheit der russischsprechenden Bevölkerung im Südosten der
Ukraine war ebenso beunruhigt über den Regimewandel in Kiew wie die
Bevölkerung der Krim, aber für sie gab es keine so leichte Lösung. Oder
besser gesagt, es hätte eine leichte Lösung geben können, wäre den neuen
Behörden in Kiew daran gelegen gewesen. Die Ukraine wird trotz ihrer
enormen regionalen Unterschiede auf eine extrem zentralistische Art
regiert; so werden zum Beispiel die Gouverneure der Regionen von Kiew
ernannt. Der Südosten, vor allem das industrielle Zentrum des Donbass,
hatte eine klare Forderung, nämlich die nach einer Verfassungsänderung,
die es den Regionen erlauben würde, ihre Regierungen selbst zu wählen.
Diese Forderung nach Föderalismus wurde von den westlichen Medien
von Anfang an als »prorussischer Separatismus« hingestellt, während
Kiew die Föderalisten als »Terroristen« bezeichnete. Mitte April
entsendete Kiew bewaffnete Truppen zur Unterdrückung des Donbass und
die resultierende Gewalt führte dazu, dass der Separatismus unter den
Föderalisten wesentlich an Boden gewann. Hunderttausende von
Bewohnern des Donbass, besonders Frauen und Kinder, flohen nach
Russland – eine Form der »ethnischen Säuberung«, die möglicherweise
auch ein Ziel des Angriffs aus dem Westen war.
Besonders in Deutschland hofften die »Putinversteher« auf die
Wahrheit von Gerüchten, Angela Merkel und Wladimir Putin seien hinter
den Kulissen dabei, eine friedliche Lösung der Krise in der Ukraine
auszuarbeiten. Es gab sogar die Hoffnung, auch der neu gewählte
Präsident Poroschenko werde einer friedlichen Lösung der Krise
zugänglich sein – besonders, indem er seine Zustimmung zu einem
föderalen System gab, wie es in vielen Ländern und natürlich nicht zuletzt
in Deutschland besteht.
Dann kam es am 17. Juli über der Südostukraine in der Nähe von
199
Donezk zum Absturz des Fluges 17 der Malaysian Airlines (MH17) von
Amsterdam nach Kuala Lumpur, wobei alle 298 Passagiere und
Besatzungsmitglieder starben. Ersten Vermutungen zufolge wurde das
Flugzeug von einer radargesteuerten russischen Buk-Boden-Luft-Rakete
abgeschossen. Kiew beschuldigte sofort die separatistischen Rebellen.
Es wurde berichtet und dann wieder dementiert, die Rebellen hätten der
ukrainischen Armee ein Buk-System gestohlen. Später gab es Hinweise
darauf, ein oder mehrere Kampfjets hätten sich dem Flugzeug genähert,
und Löcher in der Flugkanzel deuteten darauf hin, einer der Kampfflieger
könnte die Maschine abgeschossen haben. Was tatsächlich geschah, war
ein komplettes Rätsel, aber es genügte, um alle Aussichten auf
Friedensverhandlungen zunichte zu machen. Die Ablehnung von
Verhandlungen seitens der USA bezog jetzt moralische Unterstützung aus
der Empörung über die Russen, die angeblich kaltblütig ein Flugzeug
abgeschossen hatten.
Irren ist menschlich, und nichts begünstigt schreckliche Fehler mehr
als Krieg. Krieg liefert auch den perfekten Hintergrund für Propaganda
und Fehlbeschuldigungen. Wer, wenn überhaupt jemand, hätte ein Motiv
zum Abschuss eines Passagierflugzeuges über der Ostukraine haben
können?
Diese Frage wurde von der US-Führung, die sofort wusste, wo die
Schuld zu suchen war, kaum je gestellt. Noch am selben Abend deutete
Hillary Clinton an, Russland trage die Schuld. In einem einstündigen
Interview in der »Charlie Rose Show« ging sie so weit, den Europäern
Marschbefehle zu geben, wie sie dafür sorgen müssten, dass Russland
»den Preis zahlt«.
»Sollte es Beweise geben, die Russland hiermit in Verbindung bringen, sollte
das die Europäer dazu bringen, in dreierlei Hinsicht viel mehr zu tun.
Erstens müssen sie ihre eigenen Sanktionen verstärken. Und völlig
klarmachen, dass hier ein Preis zu zahlen ist.
Nummer zwei, […] Alternativen zu Gazprom finden.
Und drittens, zusammen mit uns mehr unternehmen, um die Ukrainer zu
unterstützen.«86
So machte sich HRC ohne zu zögern die Tragödie eines völlig
unaufgeklärten Flugzeugabsturzes zunutze, um, nach dem Muster des
Zwischenfalls im Golf von Tonkin 1964, Vergeltungsmaßnahmen Europas
gegen Russland zu rechtfertigen.87 »In den europäischen Hauptstädten
sollte Empörung herrschen« angesichts der russischen Aggression, so
200
Clinton weiter, worauf das Standardklischee folgte, Härte sei »die
einzige Sprache, die [Putin] versteht«. Putin, erklärte HRC, versuche »so
weit zu gehen, wie er kann« – womit sie andeutete, der russische
Präsident habe ein Flugzeug abschießen lassen, nur um die
Entschlossenheit des Westens zu testen.88
Aufgrund eines merkwürdigen Zufalls war auch Putin selbst zu fast
genau dem Zeitpunkt, als MH17 abgeschossen wurde, über diesem Teil
der Ukraine unterwegs. Er befand sich auf dem Rückflug von Brasilien,
wo seine Bemühungen für eine Gleichbehandlung aller Länder von den
anderen Führern der BRICS-Staaten (Dilma Rousseff aus Brasilien,
Narendra Modi aus Indien, Chinas Xi Jinping und Jacob Zuma aus
Südafrika) unterstützt worden waren. Einer wilden, kaum diskutierten
Spekulation zufolge hatten die ukrainischen Nationalisten das
malaysische Flugzeug versehentlich abgeschossen, da sie dachten, es sei
Putins Flug.
Am Tag nach der Tragödie teilte Jeffrey Feltman, der als
Vizegeneralsekretär für Politik an die UN ausgeliehene Vertreter des USAußenministeriums, Ban Ki-moons scharfe Verurteilung »dieses offenbar
absichtlichen Abschusses eines Zivilflugzeugs«89 mit.
Wenn der Abschuss »offenbar absichtlich« geschah, muss es ein Motiv
gegeben haben. Aber was hätte das sein können? Welche Gründe hätten
die Rebellen im Osten haben können, absichtlich ein Zivilflugzeug
abzuschießen? Ein versehentlicher Abschuss des Flugzeugs aufgrund
einer Verwechslung mit einem Bomber der ukrainischen Luftwaffe ist
denkbar, aber für einen absichtlichen Abschuss gibt es keinen
vorstellbaren Grund. Man könnte sich vorstellen, dass das Motiv eine
weitere Provokation der antirussischen ukrainischen Nationalisten war:
noch eine Operation unter falscher Flagge, diesmal von monströsem
Ausmaß. Aber auch das ist reine Spekulation.
In Kriegen kommt es oft zu tödlichen Unfällen.
Hier nur ein Beispiel: Am 3. Juli 1988 schoss die USS Vincennes, ein
mit Marschflugkörpern bestückter, während des Irak-Iran-Krieges im
Persischen Golf patrouillierender US-Kreuzer, ein auf einem Linienflug
von Teheran nach Dubai befindliches iranisches Zivilflugzeug ab, wobei
alle 290 Menschen an Bord umkamen, darunter 66 Kinder. Vorgeblich
neutral, unterstützten die USA damals in Wirklichkeit den Irak. Flug 655
der Iran Air wurde im iranischen Luftraum über dem Seeterritorium des
Iran von einer US-Lenkrakete abgeschossen.
Der Vergleich mit Flug MH17 der Malaysian Airlines ist lehrreich. Im
Fall des iranischen Flugzeugs gab es keinen internationalen Aufschrei,
201
die Vereinigten Staaten müssten für diesen »offenbar absichtlichen
Abschuss eines Zivilflugzeugs den Preis zahlen«. Die USA entschuldigten
sich zu keinem Zeitpunkt und George H. W. Bush, der damals
Vizepräsident war, brüstete sich bei einer Veranstaltung im
Präsidentschaftswahlkampf einen Monat später sogar, er werde »sich nie
für die Vereinigten Staaten entschuldigen, niemals. Es kümmert mich
nicht, was die Tatsachen sind. [..] Ich bin nicht die Art von Typ, der sich
für Amerika entschuldigt.«90 Obwohl nie ein Zweifel an ihrer
Verantwortung für das Unglück bestand, bekamen Kapitän und Besatzung
der US-Vincennes für ihre Dienste allesamt Medaillen verliehen.
Das ist die wahre Bedeutung des US-amerikanischen
»Ausnahmestatus«: Einige können mit Mord davonkommen, andere nicht,
nicht einmal, wenn sie unschuldig sind.
Zehn Tage nach der malaysischen Flugzeugkatastrophe knüpfte Hillary
Clinton auf CNN erneut an ihre vorherigen Verdächtigungen an: »Ich
denke, falls es vorher Zweifel gab, sollten diese jetzt verschwunden sein:
Wladimir Putin trägt, ganz gewiss indirekt – durch seine Unterstützung
der Aufständischen in der Ostukraine, die Lieferung moderner Waffen
und, um hier ganz klar zu sein, die Präsenz russischer Sondertruppen und
Geheimagenten – Verantwortung für das, was passiert ist.« Und weiter:
»Wir müssen die notwendigen Sanktionen verschärfen. Die Vereinigten
Staaten sind hier weiter vorangeschritten, Europa war zögerlich«,
insistierte sie. »Sie müssen begreifen, dass sie sich Wladimir Putin
entgegenstellen müssen.« Ihr Hauptpunkt war, die Europäer dazu
anzutreiben, »mehr zu tun«.91
Dieser Chor unbewiesener Anschuldigungen lenkte von den brutalen
militärischen Angriffen auf die Ostukraine ab. Bei diesen Angriffen
wurden weit mehr Menschen getötet als bei dem tragischen
Flugzeugabsturz, und das Töten ging weiter, aber für Bürger im Westen ist
es natürlich viel leichter, sich mit einem unschuldigen Fluggast aus
Holland zu identifizieren als mit einer russischsprachigen Großmutter in
der Ukraine, die sich in ihrem Keller versteckt.
Cui bono? Diese Frage kann in einer von Irrtümern und Unfähigkeit
geprägten Welt nicht alle richtigen Antworten liefern. Wir haben alle die
Freiheit, uns mehr oder weniger wahrscheinliche Hypothesen
vorzustellen, zum Beispiel Operationen unter falscher Flagge, und wir
können dabei richtig liegen. Aber echtes Wissen beruht auf forensischen
Untersuchungen durch Experten. Mittlerweile gibt es leider Grund zu
glauben, dass nach Monaten unbegründeter Schuldzuweisungen,
widersprüchlicher Beweise und vor allem langer Säumnisse keine
202
Erklärung am Ende je völlig überzeugend sein wird. Die Reaktion des
Westens auf die Katastrophe war von Anfang an so parteiisch, dass
begründete Zweifel bestehen, ob die Wahrheit je ans Licht kommen wird
– besonders, da westliche Regierungen mit engen Verbindungen zu den
USA schon früh die Kontrolle über die offizielle Untersuchung
übernahmen.
Obwohl es um ein malaysisches Flugzeug ging, wurde Malaysia
zumindest anfangs von der Untersuchung ausgeschlossen. Mit der
Begründung, der Flug sei in Amsterdam gestartet und die meisten Opfer
seien Holländer gewesen, übernahm Holland zusammen mit der Ukraine,
Belgien und Australien das Kommando über die ursprüngliche
Untersuchung – die nun also von zwei NATO-Mitgliedern und zwei
extrem antirussischen Staaten durchgeführt wurde.
Berichten zufolge unterzeichneten diese vier Regierungen am 8. August
2014 ein Geheimabkommen, das besagte, dass ohne Zustimmung aller
vier Länder keinerlei Resultate der Untersuchung veröffentlicht würden.
»Das gab einem der Hauptverdächtigen bei der Gräueltat, der Ukraine, im
Endeffekt ein Vetorecht gegen alle Untersuchungsergebnisse, die ihr eine
Schuld zuwiesen. Das ist erstaunlich und in der Untersuchung von
Flugzeugabstürzen in jüngerer Zeit beispiellos«, schrieb der australische
Anwalt James O’Neill, der vergeblich versuchte, sich ein Exemplar des
Abkommens zu verschaffen.92
Interessanterweise hielt die quasi-offizielle englischsprachige Zeitung
Malaysias, die New Straits Times, die Theorie des Abschusses durch
einen Kampfjet der Regierung in Kiew durchaus für glaubwür-dig.93
Liegt das vielleicht daran, dass Malaysia erst ganz spät, nämlich im
Dezember 2014, zur Beteiligung an der offiziellen »gemeinsamen
Untersuchung« eingeladen wurde?94
Seltsamerweise ignorierte der Westen nicht nur Russlands Leugnung
jeder Beteiligung, sondern auch die Offenlegung der russischen Radarund Satellitendaten durch Russlands Militär, die zeigten, dass MH17 von
seiner ursprünglichen Route abgelenkt worden war und während seines
Flugs über das Kriegsgebiet von zwei Kampffliegern »beschattet« wurde.
Die Russen behaupteten, zur fraglichen Zeit habe sich ein USSpionagesatellit direkt über dem Abschussort befunden, und forderten die
USA auf, auch ihre Daten öffentlich zu machen – aber vergebens. Vor
allem jedoch wurde die russische Forderung nach Beteiligung an einer
echten, unparteiischen internationalen Untersuchung ignoriert. Es ist
merkwürdig, dass der Inhalt der Flugschreiber des abgeschossenen
Flugzeugs von den westlichen Regierungen unter Verschluss gehalten
203
wurde, und ebenso, dass Sprecher des Westens, die das ganze Thema
nach dem Fund des Flugschreibers immer mehr fallen ließen, zu erklären
begannen, man werde die Wahrheit wohl leider niemals herausfinden.
Dennoch werden die antirussischen Beschuldigungen und die harten
Sanktionen aufrechterhalten.
Am 5. September 2014 wies der prominente Russlandexperte Stephen
Cohen darauf hin, die Briten und die Niederlande hätten genügend Zeit
zur Interpretation der Flugschreiberdaten gehabt, aber es scheine »ein
Abkommen unter den großen Mächten gegeben zu haben, uns nicht zu
sagen, wer das getan hat«95.
Aus all diesen Gründen werden die Endresultate der Untersuchung mit
Sicherheit auf Skepsis stoßen, ganz gleich, wie sie im Einzelnen
aussehen. Wie dem auch sei, das Herangehen der USA an die Tragödie
von Flug MH17 ist schon für sich genommen eine Lehre. Sobald sich
Washington einmal auf einen »Feind« eingeschossen hat, kann jedes
Ereignis als Vorwand für Verurteilungen, Sanktionen oder Krieg dienen.
Was immer bei dieser Katastrophe die Wahrheit war, weder Hillary
Clinton noch der restliche Anti-Putin-Chor kannten sie oder konnten sie
auch nur kennen, als sie schon eilig mit dem Finger auf Putin zeigten.
Aber sie behaupteten nicht nur sofort zu wissen, wer schuld war, sondern
setzten ihre unbewiesenen Mutmaßungen auch sogleich dazu ein, nach
Strafen zu verlangen und ihre »Verbündeten« zu zwingen, es ihnen gleich
zu tun. Das ist genau die Art von vorschnellem Urteil, die, wie beim
Tonkin-Zwischenfall, zu großen Kriegen führen kann.
In Kriegsstimmung
Die Tragödie von MH17 wurde genutzt, um eine Stimmung zu erzeugen,
in der kein freundliches Wort über Russland oder seinen Präsidenten
mehr möglich war.
Der ehemalige US-Botschafter in der Ukraine, William Taylor,
erklärte gegenüber CNN, Putin sei »ganz klar für die Probleme, die wir
in der Ukraine sehen, und für den Abschuss dieses Zivilflugzeugs
verantwortlich«. Putin sei »jetzt ein Paria«, so Taylor. Die prorussischen
Rebellen seien »Gangster und Mörder; das sind die Leute, die dieses
Flugzeug abgeschossen haben«.96
Und der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Anthony Blinken
kommentierte: »Wir erwarten von der Europäischen Union, dass sie noch
204
diese Woche wichtige Schritte, darunter solche gegen Schlüsselsektoren
der russischen Wirtschaft, unternimmt.« Dabei erklärte er, die Sanktionen
seien nicht dazu gedacht, »Russland zu bestrafen, sondern klarzumachen,
dass es seine Unterstützung für die Separatisten einstellen und mit der
Destabilisierung der Ukraine aufhören muss«.97
Tatsächlich war die Situation klar: Indem die USA und die EU darauf
bestanden, dass die Ukraine als Ganzes sich der atlantischen Allianz
gegen Russland anschloss, und indem sie einen irregulären
Regierungswechsel in Kiew unterstützten, der antirussische Nationalisten
an die Macht brachte, hatten sie die bevölkerungsreichen DonbassProvinzen vom politischen Prozess ausgeschlossen. Deren Revolte war
ursprünglich rein demokratisch: Sie forderten Selbstverwaltung innerhalb
einer föderalen Ukraine. Als die Regierung in Kiew das ablehnte, sie als
»Terroristen« bezeichnete und mit Waffengewalt reagierte, brach ein
Bürgerkrieg um die Kontrolle des Ostens los. Dieser lokale Konflikt
bringt äußere Unterstützung mit sich: Russland unterstützt die Kämpfer im
angrenzenden Donbass (aber nicht, wie behauptet, durch eine »Invasion«,
sondern durch Nachschub und Freiwillige), während die NATO Kiew
unterstützt – ein Stellvertreterkrieg, der auch Freiwillige aus anderen
Ländern anzieht. So kämpfen serbische Freiwillige für den Donbass,
während es auf Seiten Kiews und der NATO kroatische Freiwillige gibt.
Das ist ein irritierendes spätes Echo des Jugoslawienkonflikts.
Die westliche Propagandalinie schreibt diesen Konflikt ausschließlich
»russischer Aggression« zu und behauptet sogar, diese »Aggression« im
Donbass sei nur symptomatisch für eine größer angelegte »russische
Aggression«, die europäischen Mitgliedern der NATO und der
Europäischen Union drohe – eine völlig haltlose Behauptung, die dennoch
von den westlichen Medien größtenteils widerspruchslos nachgebetet
wird. Da Russland an allem Schuld ist, besteht die einzige Lösung darin,
dass Russland seine »Aggression« einstellt. Solange die Ukraine instabil
bleibt, ist Putin daran schuld, und Russland muss bestraft werden.
Manchmal hat man den Eindruck, die Kommentatoren der westlichen
Medien stünden in einem Wettbewerb um den Preis für die absurdeste
Attacke auf Putin. Bis dato gebührt dieser imaginäre Preis – nennen wir
ihn den »Soros-Preis« – dem CNN-Luftfahrtanalysten Jeff Wise, der ein
Buch geschrieben hat, in dem er behauptet, Flug MH370 der Malaysian
Airline, der während eines Fluges von Kuala Lumpur nach Peking vom
Radar verschwand, sei in Wirklichkeit von Wladimir Putin nach
Kasachstan umgelenkt worden, vielleicht als »Demonstration von
Stärke«.98 Doch der Wettbewerb geht weiter …
205
Es ist noch nicht lange her, dass Libyen als funktionierende
Gesellschaft zerstört wurde, um eine Rebellion in Bengasi vor einer
hypothetischen Unterdrückung durch die Regierung zu schützen. Heute
verlangen die USA von der Regierung in Kiew, sie solle weiterhin ihre
Truppen einsetzen, um eine Rebellion im Donbass niederzuhalten. Dem
ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko wirft man nicht vor, »sein
eigenes Volk zu bombardieren«, obwohl dies genau das ist, was hier vor
sich geht.
Ein Hauptzweck der zahllosen Schmähungen, mit denen Putin
überhäuft wird, besteht darin, die Regierungen Europas zur Verhängung
von Sanktionen gegen Russland zu drängen. Je länger diese in Kraft
bleiben, desto wahrscheinlicher werden sie eine bleibende Barriere
zwischen den westeuropäischen US-Verbündeten und Russland errichten.
Unterdessen werden Geheimverhandlungen zum Abschluss des
Transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP geführt, das die USDominanz über Europa zementieren wird – und zwar mit Zustimmung und
Billigung wichtiger europäischer Großkonzerne, deren Hauptinteresse
der Zugang zum US-Markt ist.
Diese Dominanz zeigte sich bereits an der widerstrebenden
Zustimmung Europas zu den Sanktionen gegen Russland. Der Handel der
Vereinigten Staaten mit Russland ist minimal, und so kosten die
Sanktionen die USA praktisch nichts. In Europa sieht das allerdings
anders aus.
Es war heftiger Druck des US-Präsidenten Obama und des britischen
Premierministers David Cameron nötig, um den französischen
Präsidenten Francois Hollande zum Stopp der Lieferung zweier MistralHubschrauberträger an Russland zu bringen. Die Russen hatten für die
Schiffe bereits 1,2 Milliarden Euro gezahlt und ein weiteres Schiff in
Auftrag gegeben. Die Streichung der Lieferung verpflichtet Frankreich
nicht nur zur Rückzahlung des Kaufpreises sowie zu Strafzahlungen. Sie
bedeutet auch den Verlust Hunderter von Arbeitsplätzen in der Werft
Saint-Nazaire und eine Schädigung des Rufs der französischen Industrie,
was ihre Verlässlichkeit angeht.99
Viele Vertreter der deutschen Wirtschaft haben offen gegen den Verlust
von Märkten durch die antirussischen Sanktionen protestiert.
Gewerkschaften, Bauern und Unternehmer beklagen die gravierenden
Folgen für die Wirtschaft, aber die politische Klasse schenkt Washington
mehr Aufmerksamkeit als ihren eigenen Bürgern.
Zu der gestoppten Lieferung der Mistral-Schiffe erklärte USVizepräsident Joe Biden Zuhörern in Harvard: »Es stimmt – sie wollten
206
das nicht tun, aber wieder haben Amerikas Führung und das Insistieren
des Präsidenten der Vereinigten Staaten sich durchgesetzt, wobei wir
Europa manchmal beinahe blamieren mussten, damit es sich ermannt und
wirtschaftliche Nachteile in Kauf nimmt …«100 Es ist schon merkwürdig,
dass europäische Führer für ihren »Mut« gepriesen werden, auf Kosten
ihrer eigenen Wirtschaften dem Druck der USA nachgegeben zu haben.
Victoria Nuland verkündete: »Die Durchsetzung von Sanktionen ist
nicht einfach und viele Länder zahlen einen hohen Preis. Wir wissen das.
Aber die Geschichte zeigt, dass die Kosten von Untätigkeit und
Uneinigkeit im Angesicht eines entschlossenen Aggressors am Ende höher
sind.«101
Die Geschichte zeigt vor allem, dass »die Geschichte zeigt«, was
immer man will – besonders wenn man selbst derjenige ist, der sie
umschreibt. Heute wird sie bereits umgeschrieben, noch während sie
geschieht, in Echtzeit also. Und diese Umschreibung der Geschichte ist
voller Widersprüche. Zum einen wird Russland bezichtigt, das
Äquivalent der mächtigen deutschen Kriegsmaschine Hitlers zu sein,
während es andererseits als zu unbedeutend hingestellt wird, um ihm
Aufmerksamkeit zu schenken.
Laut Senator McCain ist Russland »eine Tankstelle, die sich als Land
aufspielt«. Er ist auf diesen Witz so stolz, dass er ihn ständig
wiederholt.102
Russland sei eine Nation im Niedergang, sagte Obama dem Magazin
The Economist. »Russland produziert gar nichts. Es drängen keine
Einwanderer nach Moskau, um dort ihr Glück zu suchen.«103
Dann wieder listete Obama in der jährlichen Ansprache des USPräsidenten an die Vereinten Nationen Russland an zweiter Stelle der
drei größten Bedrohungen der Welt auf, zwischen dem Ebola-Virus und
den Fanatikern des »Islamischen Staates« im Irak und in Syrien.104 In
derselben Rede bezichtigte Obama Putin einer Weltsicht, nach der
»Macht vor Recht [geht] – es ist eine Welt, in der die Grenzen eines Landes von
einem anderen geändert und zivilisierte Menschen daran gehindert werden
können, die sterblichen Überreste ihrer Lieben zu bergen, weil dadurch die
Wahrheit ans Licht kommen könnte. Die Vereinigten Staaten stehen für etwas
anderes. Wir glauben, dass Recht vor Macht geht, dass größere Nationen nicht
die Möglichkeit haben sollten, kleinere zu gängeln, und dass die Menschen die
Möglichkeit haben sollten, ihre Zukunft selbst zu gestalten.«
Am 20. Januar 2015 wiederum feixte Obama gegenüber dem Kongress:
207
»Letztes Jahr, als wir zusammen mit unseren Verbündeten hart an der
Durchsetzung der Sanktionen arbeiteten, sagten einige, Herrn Putins
Aggression sei eine meisterhafte Demonstration von Strategie und Stärke. Nun,
heute ist es Amerika, das gemeinsam mit unseren Verbündeten stark und vereint
dasteht, während Russland isoliert ist und seine Wirtschaft in Trümmern
liegt.«105
Führende US-Politiker heben immer wieder hervor, »wir Amerikaner«
würden, im Unterschied zu Russland und den Kolonialisten alten Stils,
nicht »zur Eroberung von Gebieten oder Ressourcen« in andere Länder
einmarschieren. So rief Obama ins Gedächtnis, die USA hätten bei ihrer
Invasion des Irak »versucht, innerhalb des internationalen Systems zu
arbeiten«, und sie hätten »sich keine Gebiete oder Ressourcen des Irak
angeeignet«. Sie hätten den Krieg beendet und »den Irak seinem Volk
überlassen«.
Wenn schon der Irak ein inspirierendes Modell der uneigennützigen
Großmut der USA ist, dann ist die Ukraine ein weiteres. Im Mai 2014
wurde Hunter Biden, der Sohn des besonders kriegslustigen USVizepräsidenten Joe
Biden, Vorstandsmitglied des
größten
Gasproduzenten der Ukraine, Burisma Holdings. In der Ukraine werden
beträchtliche Vorräte an Schieferöl vermutet. Außerdem verfügt sie, von
Iowa einmal abgesehen, über die fruchtbarsten Böden der Welt. Der USAg-rargigant Cargill ist in der Ukraine sehr aktiv und investiert in
Getreidesilos, Tierfutter, Eierproduktion und das Agrobusiness sowie in
den Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Dem äußerst rührigen »U.S.Ukraine Business Council« gehören Manager von Monsanto, John Deere,
Du-Pont, Eli Lilly und anderen Großfirmen an. Monsanto plant den Bau
einer großen Zuchtanlage für genmanipulierte Produkte sowie für nicht
genmanipulierte Kornsamen, vielleicht für den europäischen Markt, wo
Genmanipulation unpopulär ist. Jetzt, wo die neue Ukraine den Vertrag
mit der Europäischen Union unterzeichnet hat, der ihr freien Zugang zu
EU-Märkten gibt, sollten die niedrigen Arbeitskosten in der Ukraine die
dort ansässigen US-Unternehmen gegenüber ihren europäischen
Wettbewerbern hochgradig konkurrenzfähig machen.
Die USA haben eine gute Ausgangsposition für die Schaffung einer
vorteilhaften Lage für US-Firmen in der Ukraine, weil sie die Regierung
in Kiew so gut wie völlig kontrollieren. Im Dezember 2014 vereidigte
Präsident Poroschenko drei Ausländer als Kabinettsminister, die allesamt
für Deregulierung und Privatisierung eintreten. Eine US-Bürgerin,
Natalija Jaresko, ist die neue Finanzministerin, der Litauer Aivaras
208
Abromavičius (der russisch, aber nicht ukrainisch spricht) ist
Wirtschaftsminister und der in den USA ausgebildete Georgier Alexander
Kwitaschwili, der ebenfalls kein Ukrainisch spricht, ist
Gesundheitsminister. Eine weitere Georgierin, Ekaterina Zguladze, wurde
einige Tage später stellvertretende Innenministerin.
Noch seltsamer war, dass Poroschenko im Februar 2015 den
diskreditierten Ex-Premierminister Georgiens, Michail Saakaschwili,
zum seinem obersten außenpolitischen Berater ernannte. Mit einer durch
Stipendien des US-Außenministeriums finanzierten Ausbildung in den
USA wurde Saakaschwili nach der US-gesponserten »Rosenrevolution«
2003 in Georgien zum Präsidenten gewählt, aber nachdem er 2008 wegen
Südossetien einen erfolglosen Krieg mit Russland provoziert hatte, war
seine Popularität drastisch gesunken. Nunmehr auf der Flucht vor
Forderungen der georgischen Staatsanwaltschaft nach seiner
Auslieferung, um sich für eine ganze Reihe von Anklagen, darunter
Unterschlagung von Staatsgeldern und Machtmissbrauch, zu verantworten,
begann Saakaschwili eine neue Karriere als Vorsitzender von
Poroschenkos »International Advisory Council for Reforms«. Die
Medien spekulierten, Saakaschwili könne seine Stellung als
Lieblingsschützling Senator McCains nutzen, um eine Lieferung von USWaffen an die Ukraine zu arrangieren. Am bekanntesten ist er wohl durch
das BBC-Youtube-Video, auf dem er während der Südossetien-Krise an
seiner roten Krawatte kaut.106
Drei Monate später, am 30. Mai 2015, erteilte Poroschenko seinem
»alten Freund« Saakaschwili einen noch erstaunlicheren Auftrag, indem
er ihn zum Gouverneur der Unruheregion Odessa ernannte. Nichts könnte
die guten Gründe hinter der Forderung Odessas nach einem föderalen
System besser illustrieren als diese willkürliche Einsetzung eines
desavouierten ausländischen Autokraten als Gouverneur. Nur Minuten,
bevor Saakaschwili seinen neuen Posten antrat, verlieh Poroschenko ihm
die ukrainische Staatsbürgerschaft.
Anonyme Aktivisten platzierten daraufhin rote Krawatten »für Mischa« (Michail) an Bäumen und Denkmälern in Odessa.107
Während sie Putin bösartiger Pläne beschuldigen, »die Sowjetunion
wiederherzustellen«, verhalten sich die Vertreter der USA und ihre
örtlichen Marionetten manchmal so, als würde die Sowjetunion
irgendwie doch noch existieren, nur dass sie jetzt Washington gehört. Auf
die eine oder andere Weise zimmern die USA sich so ihr eigenes kleines
Imperium am korrupten Rand des untergegangenen Sowjetblocks
zusammen.
209
Unterdessen ist die Korruption in der Ukraine laut Ina Kirsch jetzt
noch weit schlimmer als unter Janukowitsch.
»Ich kenne niemanden, der jetzt in der Ukraine investieren will. Die geplante
große Investorenkonferenz zur Ukraine wird seit September [2014] immer
wieder verschoben. […] Logisch: Es gibt keine Investoren. Und zwar nicht nur,
weil in der Ukraine Krieg herrscht, sondern weil das System in Kiew noch
korrupter und unberechenbarer geworden ist. Jeder mögliche Investor wird
ihnen sagen, ohne glaubhafte Garantien investieren wir dort nicht.«108
So etwas mag Europäer zum Zögern veranlassen, aber in den USA
kümmert es offenbar niemanden.
Aus der Perspektive einer freien Marktwirtschaft könnte man die
russischen Gasexporte nach Westeuropa als perfektes Beispiel für den
Ausgleich von Angebot und Nachfrage betrachten. Aber laut dem großen
Fürsprecher des Freihandels, den USA, sind diese russischen Gasexporte
nur eine weitere üble »politische Waffe«, die Putin aus irgendwelchen
bösen, wenn auch nie benannten Gründen einsetzt. Die USA wollen nun
Europa vor dieser möglichen Tyrannei retten, indem sie stattdessen
Produkte der neuen Frackingmethode liefern. Nun ja, nicht direkt.
Stattdessen ist die Idee, dass das Fracking in den USA den heimischen
Bedarf deckt und so anderweitige Energiequellen verfügbar werden, die
dafür sorgen, dass die Wohnungen in Europa auch im Winter warm sind.
Falls es mit dieser Katze im Sack nicht klappt, wird man die Europäer
dazu auffordern, für das höhere Gut der Bestrafung Russlands für dessen
angebliche Verbrechen »Opfer zu bringen«.
Während die USA die Kontrolle über die Ukraine übernahmen, übten
US-Vertreter Druck auf europäische Länder aus, aus dem Gas- PipelineProjekt South Stream auszusteigen. Das Abkommen dazu wurde 2007
zwischen Gazprom und dem italienischen Petrochemie-Unternehmen Eni
unterzeichnet und sollte es Russland ermöglichen, unter Umgehung der
Ukraine Gas an die Balkanländer sowie Österreich und Italien zu liefern.
Die Ukraine hatte wiederholt ihre Rechnungen nicht bezahlt sowie
überdies für Europa bestimmtes Gas abgezapft und sich so als
unzuverlässiges Transitland erwiesen. Auch große deutsche und
französische Energiegesellschaften hatten in das Pipeline-Projekt
investiert.
Diese Pipeline sollte das Schwarzmeer unterqueren und über
Bulgarien die europäischen Märkte erreichen. Während der Ukrainekrise
begannen die USA, Druck auf Bulgarien auszuüben. Die US-Botschafterin
210
in Sofia, Marcie Ries, warnte bulgarische Unternehmer vor Nachteilen,
wenn sie mit Sanktionen unterliegenden russischen Unternehmen Handel
trieben. Der scheidende Präsident der Europäischen Kommission, José
Manuel Barroso aus Portugal, drohte Bulgarien wegen angeblicher
Regelverstöße in den South-Stream-Verträgen mit einem EU-Verfahren.
(Zu einer Zeit, als »Maoismus« einer der Deckmäntel für die
Gegnerschaft zu den sowjetisch unterstützten Befreiungsbewegungen in
den afrikanischen Kolonien Portugals war, war Barroso »links« und
»Maoist«.) Schließlich flog John McCain nach Sofia, um den
bulgarischen Premierminister Plamen Orescharski zu beknien, aus dem
Geschäft auszusteigen. Der Druck hatte Erfolg. Das ist ein schwerer
Schlag für die Länder, die auf zuverlässige Erdgaslieferungen gesetzt
hatten. Aber das macht nichts; alles, was Russland schadet, ist gut.
Ein großer Schritt zu einem heißen Krieg mit Russland wurde am 4.
Dezember 2014 getan, als das US-Repräsentantenhaus eine Resolution
verabschiedete, mit der es Russland für eine imaginäre »bewaffnete
Aggression gegen Verbündete und Partner der Vereinigten Staaten«
verurteilte. Resolution 758 kombiniert eine lange Liste unverfrorener
Lügen mit Forderungen zur Bewaffnung der Ukraine gegen eine
angebliche russische Aggression. Sie ist letztlich eine potentielle
Kriegserklärung an Russland. Der Text wurde ohne Debatte von einer
überwältigenden Mehrheit von 411 offenbar gleichgültigen
Abgeordneten, die gerade dabei waren, ihre Sitzung zu beenden, mit nur
zehn Gegenstimmen beschlossen. Es ist erschreckend zu sehen, dass die
engagiertesten Verurteilungen dieses beschämenden Dokuments von zwei
mutigen Männern kamen, die nicht mehr Mitglieder des Kongresses sind,
nämlich Dennis Kucinich und Ron Paul.109
Die fahrlässige Verabschiedung einer Resolution, die zur
Rechtfertigung für einen Krieg gegen eine große Nuklearmacht genutzt
werden könnte, ist ein alarmierendes Zeugnis für das Fehlen an
Intelligenz, Aufrichtigkeit und Verantwortungssinn in dem politischen
System, das Washington der gesamten Welt aufzuzwingen versucht.
Weit entfernt davon, seine verfassungsmäßige Rolle als der Ort zu
spielen, an dem Politik ernsthaft debattiert werden kann und an dem
außenpolitische Verwicklungen aufgelöst und Kriege vermieden werden
können, ist der US-Kongress zu einer Echokammer für Lobbys und
Sonderinteressen verkommen und stimmt heute gedankenlos der
Möglichkeit eines Nuklearkriegs zu, ohne mehr Gedanken darauf zu
verschwenden als ein Sportstar auf den Werbeclip für einen Soft Drink.
Diese Leichtfertigkeit zeigt, dass das Problem Hillary Rodham Clinton
211
weit über eine einzelne Person hinausgeht und eine tiefe Krise des USamerikanischen politischen Systems enthüllt.
Russische Realitäten
Die Kombination von enormer militärischer, wirtschaftlicher und
ideologischer Macht auf der einen und tiefem Desinteresse am Rest der
Welt auf der anderen Seite hat die US-Führer zu dem Glauben verleitet,
ihre eigenen Illusionen könnten die Realitäten anderer ausradieren. Es
kann einer eine Biene totschlagen und sich dabei vorstellen, es sei eine
riesige giftige Stechmücke, oder er kann einen Frosch zertreten, den er für
eine Tarantel hält – hinterher kann niemand mehr einen Unterschied
erkennen. Don Quichotes Windmühlen sind nur harmlose Trugbilder
verglichen mit den Feinden, die sich die Vereinigten Staaten ständig
selbst an die Wand malen.
Während Washington sich weiter auf seinem endlosen Kreuzzug zur
Ausrottung des Bösen befindet, wird es von seinen unterwürfigen
Verbündeten ungefähr so behandelt wie der »wahnsinnige König« Aerys
II. Targaryen in der Serie »Game of Thrones«, dessen Fantasien
ernstgenommen werden müssen: Die Führer Europas geben vor, all das
zu glauben, in der Hoffnung, dass der Schaden in Grenzen gehalten
werden kann. Opportunisten und Betrüger aus der ganzen Welt, ob
religiöse Fanatiker, Faschisten oder schlichte Gangster, machen sich mit
Treueeiden und Schwüren über ihre Liebe zur »Demokratie« an den
umnachteten Monarchen heran und werden dafür mit modernen Waffen
und einer maßgeschneiderten UN-Sicherheitsratsresolution belohnt.
In völliger Missachtung der Fakten behauptet Washington auch
weiterhin, die USA hätten in Grenada zur Rettung von USMedizinstudenten gekämpft, im Sudan eine Chemiewaffenfabrik
bombardiert, im Kosovo einen Völkermord verhindert, in Afghanistan die
Frauen befreit, im Irak die Massenvernichtungswaffen beseitigt und in
Libyen das Volk davor gerettet, von einem gnadenlosen Tyrannen
vernichtet zu werden.
Aber indem sie sich nun Wladimir Putin als Inkarnation des Bösen
ausgesucht haben, sind die Vereinigten Staaten auf eine russische Realität
gestoßen, die nicht so leicht geleugnet werden kann.
Seit Michail Gorbatschow den Kalten Krieg beendete, haben die
russischen Führer die USA viele Jahre lang mit der Ehrerbietung
212
behandelt, wie sie im achtbaren Rahmen der »internationalen
Gemeinschaft« gefordert wird. Die Antwort darauf war grobe
Missachtung. So hätte es auf ewig bleiben können, wenn die USA das
Spiel nicht immer weiter und weiter und am Ende – in der Ukraine – zu
weit getrieben hätten. Die dortige Provokation, die ein an den Wunden
seiner Vergangenheit tragendes großes Land isolieren und schwächen
sollte, hat Russland aufgeweckt für seine Realität und Zukunft. Als
letztlich langsames und defensives Land ist Russland immer dann in
bester Form, wenn es angegriffen wird. Oder um ein gängiges Bild zu
verwenden: Die USA haben den russischen Bären aus dem Winterschlaf
geweckt.
Wladimir Putin, der heute dieselbe Rolle spielt wie der kleine Junge,
der ruft, dass der Kaiser ja gar keine Kleider anhat, machte diesen
Wandel während einer informellen Rede am 24. Oktober 2014 im »Valdai
International Discussion Club« in Sotschi besonders deutlich, bei der
diverse internationale Persönlichkeiten wie der französische Ex-Premier
Dominique de Villepin und der frühere Kanzler Österreichs Wolfgang
Schüssel zugegen waren. Im Hinblick auf Sanktionen bemerkte Putin, sie
stünden in Widerspruch zu dem freien Handel, den der Westen selbst zu
seinem eigenen Vorteil immer propagiert habe. »Unserer Meinung nach
sägen unsere amerikanischen Freunde schlicht an dem Ast, auf dem sie
sitzen«, sagte er und unterstrich, dass
»Russland nicht die Pose eines Beleidigten annehmen oder jemanden um etwas
bitten wird. Russland ist ein Land, das sich selbst genügt. Wir werden unter den
außenwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten, die sich ergeben haben, unsere
Produktion
und
Technologien
weiterentwickeln,
entschiedener
bei
Umgestaltungen vorgehen, und der äußere Druck wird, wie das schon öfter der
Fall war, unsere Gesellschaft nur konsolidieren. Er gibt uns keine Gelegenheit,
uns zurückzulehnen – ich würde sagen, er zwingt uns dazu, uns auf unsere
wichtigsten Entwicklungsrichtungen zu konzentrieren.«110
In internationalen Angelegenheiten werde Russland trotz aller
Provokationen auch weiterhin Maßnahmen zur Verhinderung einer
globalen Anarchie anstreben, die das Risiko in sich berge, ein von
vielerlei Seiten betriebenes Wettrüsten sowie endlose ethnische,
religiöse und soziale Konflikte anzuheizen. Für Putin ist »Achtung« der
Schlüsselbegriff: Eine stabile Welt müsse auf gegenseitigem Respekt
beruhen, einer Haltung, die dem Herangehen der USA an andere fehle. Da
sie sich selbst zum Sieger des Kalten Krieges erklärt hätten, sähen die
213
USA keine Notwendigkeit zur Schaffung eines stabilen Systems:
»So benehmen sich aber – ich bitte um Verzeihung – Neureiche, die urplötzlich
zu großem Reichtum gekommen sind; in unserem Fall in Form der
Weltvorherrschaft, der weltweiten Führungsrolle. Und statt dass sie diesen
Reichtum intelligent und vorsichtig, und selbstverständlich auch zum eigenen
Nutzen, einsetzen, haben sie, wie ich meine, eine ganze Menge zu Bruch gehen
lassen.«
Der Versuch, die eigenen Modelle anderen aufzuzwingen, führe zur
Konflikteskalation. »Anstelle von souveränen, stabilen Staaten« gebe es
»einen wachsenden Bereich des Chaos« und statt einer Förderung von
Demokratie beobachte man die Unterstützung zweifelhafter Elemente
»von offenkundigen Neonazis bis hin zu islamistischen Radikalen«.
Der Bär, so Putin, ist »der Herr der Taiga, und ich weiß ganz sicher,
dass er nicht die Absicht hat, in eine andere Klimazone umzuziehen – er
würde sich dort nicht wohlfühlen. Er wird allerdings auch niemand
anderem erlauben, ihm seine Taiga zu nehmen.«111 Oder mit anderen
Worten:
»Wir müssen keine Supermacht sein; das wäre nur eine Extralast für uns. Ich
habe bereits die Taiga erwähnt. Sie ist riesig und grenzenlos, und schon um
unsere Territorien zu entwickeln, brauchen wir eine Menge Zeit, Energie und
Ressourcen. Wir haben kein Bedürfnis, uns in die Angelegenheiten anderer
einzumischen oder ihnen Befehle zu erteilen, aber wir wollen auch, dass andere
sich aus unseren Angelegenheiten heraushalten und aufhören, sich so
aufzuführen, als regierten sie die Welt. Das ist alles. Wenn es irgendeinen
Bereich gibt, in dem Russland ein Führer sein könnte, ist es die Bekräftigung
der Normen des Völkerrechts.«
Die US-Mainstreammedien haben eine massive Propagandakampagne
betrieben, um die russische Realität verschwinden zu lassen, indem sie
ihr eine fiktive Darstellung der Ukrainekrise überstülpen, bei der für
alles einem hypothetischen Drang Putins, die Sowjetunion, das
Zarenreich oder irgendetwas noch Schlimmeres wiederherzustellen, die
Schuld gegeben wird. Aber die schnörkellosen Aussagen des russischen
Führers werden im Rest der Welt gehört und sie ergeben Sinn. Selbst für
Washingtons europäische Satelliten wird es immer schwerer werden, die
russische Realität zu ignorieren.
Die Führer der Vereinigten Staaten, an vorderster Front Hillary
Clinton, verfolgen den Plan, das geografisch größte Land der Erde zu
214
»isolieren«. Vielleicht ist der nächste Punkt auf ihrer fantastischen
Agenda die »Isolation« der bevölkerungsreichsten Nation, nämlich
Chinas? Aber isoliert hier nicht eigentlich jemand sich selbst? Die große
Frage ist: Kann irgendetwas außer einem katastrophalen Gewaltausbruch,
wie etwa einem Atomkrieg, die USA aus ihrer Fantasie erwecken, sie
seien die einzigartige Ausnahmenation, die für alle anderen die Gesetze
festlegen kann und muss?
215
7 Die Kriegspartei
»Führung kann man in der Welt nicht erreichen, indem man sich von der
eigenen Exklusivität und gottgegebenen Pflicht überzeugt, für jeden
verantwortlich zu sein, sondern nur durch die Fähigkeit und Kunst, einen
Konsens zu bilden.«
Sergej Lawrow, 22. November 20141
Die Bevölkerung der USA ist der Illusion verfallen, die
»Ausnahmenation« zu sein, deren Auftrag die »Gestaltung« der Welt ist.
Diese Illusion wird durch die vereinten Bemühungen der Massenmedien,
der
Intellektuellen
des
Verteidigungsestablishments,
der
Unterhaltungsindustrie und der mit Letzterer eng verbundenen Politiker
und Kommentatoren aufrechterhalten. Hinter dieser Show steht eine Reihe
von Sponsoren.
Um zu wissen, wer diese Sponsoren sind, kann man sich die Liste der
Spender der Clinton-Stiftung ansehen, die Millionen von Dollar
angeblich für Wohltätigkeit gegeben haben – aber für eine Wohltätigkeit,
die vor allem ihnen selber nützt. Zu den Spendern im zweistelligen
Millionenbereich gehören Saudi-Arabien, der pro-israelische Oligarch
Viktor Pintschuk und die Saban-Familie, zu den Spendern im einstelligen
Millionenbereich Kuwait, ExxonMobil, die »Freunde Saudi-Arabiens«,
James Murdoch, Katar, Boeing, Dow Chemical Company, Goldman
Sachs, Walmart und die Vereinigten Arabischen Emirate. Dann gibt es
noch Geizhälse wie die Bank of America, Chevron, Monsanto, Citigroup
und die unvermeidliche Soros-Stiftung, die lediglich Beträge im Bereich
von etwa einer halben Million Dollar gespendet haben. Was haben die
Clintons an sich, was sie so attraktiv macht, gerade für Saudi-Arabien?2
Mit Freunden wie diesen braucht man auch Feinde. Und Hillary
Clinton weiß, wo diese zu finden sind – in Ländern, die jenen edlen
Spendern verhasst sind.
In ihrem verzehrenden Ehrgeiz, die erste Präsidentin der Vereinigten
216
Staaten zu werden, hat Hillary Rodham Clinton aus sich eine Figur der
kollektiven Einbildung gemacht, indem sie in die Rolle der
Topverkäuferin der Interessen der herrschenden Oligarchie geschlüpft ist.
Sie verlegte ihr Interesse vom Eintreten für Kinderrechte, einem für
das große Geld unattraktiven Gebiet, auf die Förderung militärischer
Macht (»die einzige Sprache, die sie verstehen«).
Sie verbreitete die Botschaft, die US-Einmischung in andere Länder
sei durch den großzügigen Wunsch motiviert, »unsere Ideale« in die
fernen Winkel der restlichen Welt zu bringen.
Sie ist schnell bereit, andere Staatsoberhäupter mit
entmenschlichender Verachtung zu behandeln, erklärt gern, sie hätten
»keine Seele« oder »kein Gewissen«, und tut sie als Kreaturen
minderer Art ab, die »gehen müssen«.
Sie »verspricht sich«3, kann aber daran nichts Verkehrtes sehen. Wer
in der Politik tut das nicht? Ihre Aufgabe besteht nicht darin, die
Wahrheit zu sagen, sondern darin, eine Geschichte zu erzählen.
Sie geriert sich immer noch als Frau, deren einziger Ehrgeiz darin
besteht, »die Glasdecke zu durchbrechen« – aber zum Wohl aller
Frauen, die danach endlich, Hillary sei Dank, Zugang zu all den TopPosten im Land haben werden.
Kurz, sie hat auf ihrem Karriereweg an die Spitze sämtliche Stereotypen
und Klischees über den »Ausnahmecharakter Amerikas« eingesetzt.
Hillarys Amtszeit als US-Außenministerin war zumindest in einer
Hinsicht ein großer Erfolg: Sie ist zur Lieblingskandidatin der
Kriegspartei geworden. Und das ist offenbar auch ihr Hauptziel gewesen.
Aber die Person Hillary Clinton ist keineswegs das ganze Problem.
Das wirkliche Problem sind die Kriegspartei und der Würgegriff, in dem
sie die US-Politik hält.
Ein Grund, weshalb es so wenig Widerstand dagegen gibt, liegt darin,
dass die von der Kriegspartei vom Zaun gebrochenen Waffengänge sich
für die US-Amerikaner kaum wie Kriege anfühlen. Sie müssen nicht mit
ansehen, wie ihre Häuser in Trümmer gelegt werden. Die DrohnenArmada macht Schluss mit der Unannehmlichkeit von Veteranen, die nach
»Bodeneinsätzen« mit einem posttraumatischen Stresssyndrom nach
Hause kommen. Der Krieg aus der Luft wird immer sicherer, ferner,
unsichtbarer. Für die meisten US-Amerikaner sind die Kriege ihres
Landes nur Teil der Unterhaltungsindustrie, etwas, das man im Fernsehen
217
mitbekommt, aber mit dem man selten direkt konfrontiert ist. Diese
Kriege bringen einem etwas ernsthafte Unterhaltung für die Steuerdollar,
die man zahlt, und sind nicht wirklich Sache von Leben und Tod.
Tatsächlich scheint es kaum noch von Bedeutung, was in diesen
Kriegen geschieht. Die USA führen nicht einmal mehr Krieg, um zu
gewinnen, sondern nur, um dafür zu sorgen, dass die andere Seite verliert.
Hillary Clinton warf Wladimir Putin einmal – durchaus zu Unrecht – vor,
er sei Anhänger eines »Nullsummenspiel[s]: Wenn der eine gewinnt,
muss ein anderer verlieren.«4 Die Vereinigten Staaten jedenfalls spielen
ein noch schlimmeres Spiel, nämlich ein »No-Win«-beziehungsweise ein
»Lose-Lose«-Spiel, bei dem die andere Seite verliert, bei dem aber auch
die USA nicht gewinnen. Es sind letztlich die Kriege eines
Spielverderbers, die geführt werden, um wirkliche oder eingebildete
Feinde loszuwerden, und bei denen am Schluss alle schlechter dastehen
als zu Anfang. Die US-Bevölkerung wird konditioniert, sich an diese
negativen Kriege zu gewöhnen, deren erklärtes Ziel darin besteht,
irgendetwas zu beseitigen – sei es ein Diktator, sei es der Terrorismus
oder seien es Menschenrechtsverletzungen.
Die Vereinigten Staaten streben die Vorherrschaft in der Welt an,
indem sie die anderen Mitspieler vom Spielfeld werfen.
Dabei sind »unsere Ideale« Teil des Kollateralschadens. Mit ihrem
Durchgreifen gegen innere Feinde, der »Homeland Security« und dem
»Patriot Act«5 opfern die USA nicht nur ihre eigene Freiheit. Sie
untergraben damit auch den Glauben an die progressiven Werte selbst,
und ebenso den an Demokratie, Fortschritt, Wissenschaft, Technologie
und sogar an die Vernunft. Indem sie sich lauthals mit diesen Werten
identifizieren, fördern die Vereinigten Staaten in Wirklichkeit deren
Ablehnung, da sie in zunehmendem Maß nur noch als Feigenblatt für USAggressionen erscheinen. Was bringen demokratische und liberale Ideale,
wenn sie zu Vorwänden reduziert werden, um Krieg führen zu können?
Und doch ist sicher, dass zahllose US-Amerikaner Gegner der
Kriegspartei sind – und zwar wesentlich mehr, als dem ProKriegsEstablishment klar ist. Aber zugleich fühlen sich diejenigen, die
durch die Kriegsgefahr zunehmend alarmiert sind, außerstande, etwas
dagegen zu tun. Das liegt daran, dass die Kriegspartei unser
Zweiparteiensystem fest im Griff hat.
Im März 2015 schrieb der Kolumnist und stellvertretende
Finanzminister der Reagan-Administration Paul Craig Roberts:
»Die
Auslagerung
von
Arbeitsplätzen
218
hat
die
Industrie
und
die
Branchengewerkschaften der USA zerstört. Ihr Niedergang und der
gegenwärtige Angriff auf die Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes haben
dazu geführt, dass die Demokratische Partei finanziell von denselben
organisierten privaten Interessengruppen abhängig ist wie die Republikaner.
Beide Parteien dienen nun denselben Interessengruppen. Wall Street, der
Militärisch- und Sicherheitsindustrielle Komplex, die IsraelLobby, das
Agrobusiness und die Rohstoffindustrien (Öl, Bergbau, Holz) üben die Kontrolle
über die Regierung aus, egal, welche Partei an der Macht ist. Diese mächtigen
Interessengruppen betrachten alle eine Hegemonie der USA als vorteilhaft für
sich. Die Folge ist, dass diese Kräftekonstellation systeminternen politischen
Wandel ausschließt.«
Und er schloss: »Die Achillesferse dieser Hegemonie ist die US-Wirtschaft.«6
Wenn Roberts Recht hat – und es ist schwer erkennbar, wo er im
Unrecht ist –, wäre das Einzige, was die Amerikaner von ihrer
kriegerischen Fiktion befreien könnte, ein wirtschaftlicher
Zusammenbruch. Das ist keine schöne Aussicht, und es ist gar nicht
angenehm, auf eine ökonomische Katastrophe als Ausweg setzen zu
müssen, um eine nukleare Vernichtung zu verhindern. So bleibt nichts
übrig, als zu hoffen, dass die US-Bevölkerung zur Vernunft kommt und
einen Weg findet, der Kriegspolitik ein Ende zu setzen und zu einer
konstruktiven Art des Umgangs mit der Welt zu gelangen. Ein solches
gutes Ende ist theoretisch möglich, scheint aber aufgrund des politischen
Systems der USA sehr unwahrscheinlich.
Die US-Präsidentschaftswahlen sind im Wesentlichen ein großes
Unterhaltungsdrama. Milliardenschwere Sponsoren schicken zwei
sorgfältig geprüfte Wettbewerber in die Arena und sind sich sicher, so
oder so zu gewinnen. Das intellektuelle Niveau des Streits zwischen
Republikanern und Demokraten erinnert immer mehr an das der
Zirkuswettrennen mit grünen Streitwagen auf der einen und blauen
Streitwagen auf der anderen Seite, die das Byzantinische Reich spalteten.
Bei der Präsidentschaftswahl 2016 werden die Partei der guten Cops und
die der bösen Cops sich heftig über Fragen der Innenpolitik streiten,
bevor dann im Kongress sowieso alles wieder zum Stillstand kommt.
Aber in Wirklichkeit ist das wichtigste Thema die Kriegsfrage.
Da die Kriegspartei beide Zweige des Zweiparteiensystems
dominiert, lässt die Erfahrung der letzten Jahre darauf schließen, dass die
Republikaner einen Kandidaten nominieren, der so schlimm ist, dass
Hillary Clinton sich neben ihm gut ausmacht.
Aber nehmen wir einmal an, ein Wunder geschieht, und nach einer
219
echten Revolte der Bevölkerung nominiert eine der Parteien einen
»Friedenskandidaten«. Das wäre ein gutes Zeichen, aber nicht genug. Wir
erinnern uns, wie Obama »Veränderung« versprach und darin so
überzeugend war, dass einige (angeblich) naive Juroren in Norwegen ihm
sogar den Friedensnobelpreis verliehen. Danach ging er im Hinblick auf
sinnlose, aggressive Kriegsaktionen sogar noch weiter als seine
Vorgänger – wobei es aber auch Augenblicke des Zögerns gab,
Augenblicke, die wir von Hillary Clinton nicht erwarten können.
Selbst der aufrichtigste Friedenskandidat braucht ein Friedensteam,
mit dem er bei seinem Machtantritt die Kriegspartei im Weißen Haus und
im Außenministerium ersetzen kann. Trotz seiner Fensterreden hatte
Obama kein Friedensteam und überließ daher die Macht derselben alten
Kriegspartei.
Es ist vielleicht noch nicht zu spät für einen radikalen
Richtungswechsel der US-Politik. Die USA besitzen etliche
hochgeeignete Kandidaten für ein solches Friedensteam. Um nur einige zu
erwähnen, könnten wir mit Stephen Cohen7 als Botschafter in Moskau
beginnen, unterstützt im Außenministerium von John Mearsheimer8,
Stephen Walt9, Chas Freeman10 und vielen anderen. Ron Paul11 wäre ein
ausgezeichneter Verteidigungsminister, der seinen eigenen Haushalt kürzt.
Dennis Kucinich12 könnte ein neues Ministerium für den Übergang zum
Frieden leiten, das nach Möglichkeiten zur Förderung friedlicher
Beziehungen im Äußeren und einer Kultur des Friedens im Inneren
forschen würde, auch das eine große Aufgabe. Cynthia McKinney13 sollte
die neue US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen sein. Die
ehemalige FBI-Whistleblowerin Coleen Rowley14 ist sehr gut zur
Beaufsichtigung der Sicherheitsdienste qualifiziert. William R. Pol15,
Familiennachkomme des elften Präsidenten der USA, wäre ein guter
Nationaler Sicherheitsberater des neuen Präsidenten dieser TraumAdministration.
Und natürlich ist das alles ein Traum.
Keiner dieser anständigen Menschen würde je von einem Senat
bestätigt, dessen Mitglieder nicht nur alle den Wahlkampfspenden des
AIPAC und verschiedener anderer, mit der Militärindustrie verbundener
Lobbys verpflichtet sind, sondern mittlerweile auch selbst weitgehend an
das Geschwätz glauben, das sie seit Jahren in den großen Zeitungen lesen.
So sind Senat und Kongress nur zu oft selbst Teil oder gar Anstifter des
großen Chors, der mit Verve die Mär von der »Ausnahmenation«
verbreitet, die sich mutig der Bedrohung durch »die Bösen«
220
entgegenstemmt.
Ein Friedenskandidat in letzter Minute wäre eine wunderbare
Überraschung. Doch eine echte Alternative zur Kriegspartei muss
langfristig aufgebaut werden. Das institutionelle Hindernis auf dem Weg
dahin liegt auch im Kongress.
Die Antikriegsbewegungen in den USA sind drastisch zurückgegangen,
vielleicht deshalb, weil die Menschen nicht ganz grundlos das Gefühl
haben, dass sie nutzlos sind. Tatsächlich ist die Art Antikriegs-bewegung,
die zur Zeit des Vietnamkrieges populär war, heute nicht mehr
angemessen. Ein Krieg, der wie der Vietnamkrieg mit einer Armee von
Wehrpflichtigen betrieben wird, kann durch eine breite, von den Zentren
der Macht unabhängige Antikriegsbewegung bekämpft werden, weil sie
die Loyalität des Kanonenfutters bedroht. Außerdem standen die USA in
Vietnam einem entschlossenen, erfahrenen Gegner gegenüber, dessen Sieg
auch deshalb unvermeidlich war, weil das vietnamesische Volk nicht nur
die Kolonialherrschaft, sondern auch die neokoloniale Herrschaft der
Vereinigten Staaten ablehnte.
Inzwischen hat die Kriegsmaschine gelernt, wie man ohne unwilliges
Kanonenfutter Krieg führt. Tod und Zerstörung bleiben unsichtbar. Mit
ihrem Versuch zur Wiederbelebung der Bewegung gegen den
Vietnamkrieg verurteilen sich die wenigen Antikriegsbewegungen, die es
noch gibt, fast mutwillig zur Marginalität. In ihnen versammeln sich
inoffizielle Vertreter von Identitätsgruppen, die ein vages Gefühl der
Entfremdung vereint und die sich offenbar stärker den Themen der
Identitätspolitik verpflichtet fühlen als der Verhinderung von Krieg. Und
die Mainstreammedien geben sich heute in der Regel völlig der
Desinformation der Öffentlichkeit hin und beten den Diskurs der
Kriegspartei nach.
Kriege, die aus der Ferne, durch Söldner und durch Drohnen ausgefochten werden, müssen von oben gestoppt oder am Ende durch den
Gegner oder den Zusammenbruch im eigenen Land beendet werden. Das
heißt, eine Friedenspartei braucht also eine Strategie, den Krieg von oben
her zu stoppen. Der Aufstieg Hillary Clintons sollte klarmachen, dass das
Festhalten an der Demokratischen Partei als »kleinerem Übel« total
gescheitert ist. Eine Friedenspartei muss unparteilich und überparteilich
sein und alle Menschen zusammenführen, die von der gemeinsamen
Kriegspartei der Neokonservativen und der humanitären Heuchler die
Nase voll haben. Sie alle können sehr verschiedene innenpolitische
Ansichten haben, aber trotzdem begreifen, dass Krieg eine Frage von
Leben und Tod ist.
221
Die europäischen Verbündeten der USA, die bisher die ihnen
zugewiesene Rolle der US-geführten »internationalen Gemeinschaft«
spielen, könnten hier einen entscheidenden Unterschied machen. Wenn sie
ihren Gehorsam gegenüber dem hegemonialen US-Projekt ablegen und
versuchen würden, zusammen mit dem BRICS-Block und anderen
Ländern eine echte internationale Gemeinschaft aufzubauen, könnten die
Länder Europas einen entscheidenden Beitrag leisten für einen Wechsel
weg vom Krieg und hin zur Diplomatie als Schlüssel der internationalen
Beziehungen. Aber davon sind sie bisher weit entfernt.
Also stellt sich die Frage: Was tun? Das können die Bürger erst
herausfinden, wenn sie wissen, was auf dem Spiel steht. Soweit ist es
leider noch nicht.
Die USA können nicht weiterhin die ganze Welt in ihrem Griff halten.
Die Frage ist: Können die USA sich selbst in den Griff bekommen?
Die tiefsten Weisheiten sind uralt und einfach. »Wer zugrunde gehen
soll, der wird zuvor stolz; und Hochmut kommt vor dem Fall.«16 Das ist
eine Lehre, die hoffentlich fast jeder versteht.
222
Anmerkungen
Vorwort zur deutschen Ausgabe
1 Robert Scheer, »An Idiotic GOP Is Looking at the Wrong Thing in Its
Clinton Probe«, truthdig, 24.10.2015
2 Eine andere Meinung über diese Bombardierung äußerte der ehemalige
britische Botschafter in Usbekistan Craig Murray in einem Interview
am 28.8.2014 kurz vor der Abstimmung über die Unabhängigkeit
Schottlands. Murray bezeichnete Großbritannien als zutiefst
unmoralischen, pathologischen Schurkenstaat und eine Gefahr für die
Welt und führte zum Beweis die britische Beteiligung an den USgeführten Kriegen im Irak und in Libyen an: »Wenn man sich Libyen
ansieht, ist es eine Katastrophe, jetzt, wo wir es bombardiert und 15
000 Menschen getötet haben, als die NATO Sirte bombardierte, etwas,
was die BBC uns nie berichtet hat. Haben wir es zu einem besseren
Ort gemacht? Nein.« RIA Novosti, 28.8.2014
3 Robert Parry, »Hillary Clinton’s Failed Libya Doctrine«, Consortium
News, 22.10.2015
4 Ebd.
5 Seymour M. Hersh, »Military to Military«, London Review of Books,
Vol. 38, Nr.1, 7.1.2016
6 In Anspielung auf das Münchener Abkommen von 1938 zwischen
Deutschland, Frankreich und Großbritannien, mit dem Letztere beide
die Abspaltung der von Deutschen besiedelten Sudetengebiete von der
Tschechoslowakei und ihren Anschluss an Hitlerdeutschland
akzeptierten. Diese damalige Konzession an das Naziregime gilt nicht
zu Unrecht als Signal an Hitler, dass weitere aggressive Schritte
Deutschlands nicht auf nennenswerten Widerstand des Westens stoßen
würden.
Einführung
223
1 In diesem Buch werden für Hillary Clinton (wie in den USA üblich)
verschiedene Benennungen gebraucht, so etwa Hillary Rodham (ihr
Geburtsname), Hillary Rodham Clinton (ihre selbstgewählte
öffentliche Bezeichnung), HRC (eine in den US-Medien oft
verwendete Abkürzung) und, am häufigsten, einfach Hillary. Letzteres
impliziert weder Herablassung noch unangemessene Vertraulichkeit;
auch dieser Gebrauch ist in den US-Medien und sogar im USKongress üblich und unter Clinton-Biografen wie Carl Bernstein und
Gail Sheehy sogar ganz selbstverständlich. Dass die ansonsten
naheliegende fünfte Alternative, Clinton, nur selten verwendet wird,
hat den simplen Grund, dass es einen anderen Clinton gibt, der lange
Zeit so mächtig war, wie es die Frau, die Gegenstand des
vorliegenden Buches ist, erst noch werden will.
2 George F. Kennan, Memo PPS23, 28. Februar 1948, freigegeben 17.
Juni 1974, zitiert nach Noam Chomsky, Vom politischen Gebrauch der
Waffen. Zur politischen Kultur der USA und den Perspektiven des
Friedens, Wien 1987, S. 56
3 Also gibt es keine Straßennetze, pittoresken Gebäude, Museen,
Eisenbahnlinien und so weiter, wie das nach dem Ende klassischer
Kolonialherrschaft oft der Fall war. Hinzu kommt aber auch, dass die
USA in ihrer Kriegs- und Nachkriegspolitik seit langem der puren
Zerstörung verpflichtet sind. Während die USA nach dem Zweiten
Weltkrieg großzügige internationale Hilfsprogramme (wie den
Marshall-Plan) für die besiegten Angreifer wie Deutschland und Japan
auflegten, sahen die von US-Aggressionskriegen komplett zerstörten
Länder Indochinas (Kambodscha, Laos und Vietnam) nie einen Cent an
Hilfe, geschweige denn Reparationen – und das ist nur ein Beispiel
unter vielen.
4 Carl Bernstein, Hillary Clinton. Die Macht einer Frau, München
2007, S. 642
5 Auf Seite 69 ihres Buches Entscheidungen (München 2014) umreißt
Hillary Clinton dieses Konzept als Durchbrechen von »alten, starren
Kategorien von entweder >hard power< (militärische Stärke) oder
>soft power< (diplomatischer, wirtschaftlicher, humanitärer und
kultureller Einfluss)«, um »auf einer breiteren Basis darüber
nachzudenken, wie wir all diese Elemente zugleich nutzen konnten«.
Dabei kommt sie zu dem Schluss: »Diese Bestandsaufnahme bewog
mich dazu, das Konzept der Smart Power aufzugreifen, das schon seit
ein paar Jahren in Washington kursierte. Auch wenn ich es etwas
anders auslegte als etwa der Harvard-Professor Joseph Nye und
224
Suzanne Nossel von Human Rights Watch. Für mich bedeutete Smart
Power, in einer bestimmten Situation die Wahl zu haben zwischen
diplomatischen,
wirtschaftlichen,
militärischen,
politischen,
gesetzlichen und kulturellen Instrumenten – oder diese miteinander zu
kombinieren.« Für mehr zu Nossel, Nye und dem Begriff der »smart
power« siehe Kapitel 3 dieses Buches.
6 Ebd., S. 394
7 Ebd.
8 Ebd., S. 402. Wie Hillary in Entscheidungen triumphierend beschreibt,
hatten ihre Manöver letztlich Erfolg.
9 Ebd.
10 1823 erklärte der damalige US-Präsident James Monroe die gesamte
westliche Hemisphäre, also Nord- und Südamerika, zu einer Zone, in
der nur noch »Amerikaner«, nicht aber die alten europäischen
Kolonialmächte etwas zu suchen hätten. Zugleich erklärte er die
Nichtintervention der USA in europäische Angelegenheiten zum
Prinzip der US-Außenpolitik.
11 Gemeint ist das mit Brasilien und Chile ausgehandelte Vorgehen
gegenüber Kuba.
12 Ebd., S. 403–404
13 Ebd., S. 405
14 Siehe u.a. »Gewalt in Honduras: Tausende demonstrieren für Frieden«,
Spiegel Online, 4. Juli 2013
15 ALBA steht für »Alternativa Bolivariana para los Pueblos de Nuestra
America«. Die »Alternativa« wurde später in »Alianza« umbenannt.
16 Zitiert nach Eva Golinger, »Washington behind the Honduras coup:
Here is the evidence. Repression intensifies«, Global Research
Website, 15. Juli 2009
17 Hillary Clinton, Entscheidungen, S. 407
18 Ebd., S. 407 f.
19 Ebd., S. 407 f.
20 U.S. Department of State, »Background Briefing on the Situation in
Honduras«, 1. Juli 2009, auf der Website des US-Außenministeriums
http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2009/july/125564.htm.
21 Matthew Pulver, »Hillary Clinton sold out Honduras: Lanny Davis,
corporate cash, and the real story about the death of a Latin American
democracy«, Salon, 5. Juni 2015
22 Entscheidungen, S. 408
23 Ebd., S. 409
24 U.S. Department of State, Hillary Rodham Clinton, »Honduras
225
Independence Day«, Press Statement, 13. September 2010,
http://www.state.gov/secretary/20092013clinton/rm/2010/09/147052.htm
25 Dana Frank, »Dinner With Obama: Repression’s Reward in
Honduras?”, Coun-terpunch, 23. September 2010
26 Rights Action, »Killings and Attempted Killings in Honduras, from
May 2012-to the Present, Linked to Electoral Process«, 21. Oktober
2013
27 Maurice Lemoine, »Au Honduras, le pays des coups d’Etat
quotidiens«, Memoire des Luttes, 5. Mai 2015; siehe
http://www.medelu.org/_Maurice-Lemoine
28 Dana Frank, »A High Stakes Election in Honduras«, The Nation, 25.
November 2013; in diesem Artikel wird auch Human Rights Watch
zitiert.
29 Dana Frank, »Who’s Responsible for the Flight of Honduran
Children?«, Huffington Post, 7. September 2014
30 Ebd.
31 Elise Foley, »Hillary Clinton: Unaccompanied Minors >Should Be
Sent Back<«, Huffington Post, 16. Juni 2014, mit Video unter
http://www.huffingtonpost.com/2014/06/18/hillary-clintonimmigration_n_5507630.html.
1 Der Ritt auf dem Tiger: Hillary Clinton und der
Militärisch-industrielle Komplex
1 Martin Gilens und Benjamin I. Page, »Testing Theories of American
Politics: Eli-tes, Interest Groups, and Average Citizens«, Perspectives
on Politics, Zeitschrift der American Political Science Association,
September 2014, Vol. 12, S. 3
2 Ebd.
3 Für eine Zusammenfassung der Rede Eisenhowers siehe Ronald D.
Gerste, »Ei-senhowers Warnung vor einem Staat im Staat«, Neue
Zürcher Zeitung, 18. Januar 2011
4
Für
Auszüge
siehe
http://www.digitalhistory.uh.edu/disp_textbook.cfm?
smtID=3&psid=3630
5 Siehe u. a. Bernd Stöver, Der Kalte Krieg: 1947–1991. Geschichte
eines radikalen Zeitalters, München 2011, S. 14
6 In diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass laut einer
neuen Studie der Freien Universität Berlin (FU) 60 Prozent der
226
Ostdeutschen den Sozialismus oder Kommunismus für eine gute Idee
halten. Auch 37 Prozent der Westdeutschen stimmen dem zu. Siehe
dazu den Kurzbericht »Studie: Linksex treme Einstellungen sind weit
verbreitet«
(http://www.fuberlin.de/presse/informationen/fup/2015/fup_15_044-studielinksextremismus/index.html).
7 Jackson und sein Mitarbeiter Richard Perle setzten sich auch für eine
Ausreisegenehmigung für den ukrainischen Wehrdienstverweigerer
Anatoli (später Natan) Scharanski ein, der bald nach seiner Ankunft in
Israel zu einem führenden ultranationalistischen Politiker wurde und
sich heute der Aufgabe widmet, französische Juden zur Emigration
nach Israel zu überreden.
8 Wer der Urheber dieser Formulierung ist, ist ungewiss, und sie ist im
Lauf der Jahre sowohl von Bill Clinton als auch von G. W. Bush und
vielen anderen verwendet worden, um die inhärente Friedfertigkeit
von »Demokratien« zu unterstreichen. Für eine Studie zu den
Auffassungen von Paul Wolfowitz siehe Bernd W. Kubbig, Wolfowitz’
Welt verstehen. Entwicklung und Profil eines »demokratischen
Realisten«,
HSFK-Report
7/2004,
http://www.hsfk.de/downloads/report0704.pdf
9 Bei den Wahlen im Dezember 1990, die auch in der westlichen Presse
als frei galten, wurde Milošević mit 65 Prozent der Stimmen zum
Präsidenten Serbiens gewählt. Im Juli 1997 wählte ihn das – ebenfalls
frei gewählte – jugoslawische Bundesparlament zum Präsidenten
Jugoslawiens.
10 »Projekt für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert«
11
https://web.archive.org/web/20050205041635/http://www.newamericancentury.or
12 »Komitee für Frieden und Sicherheit am Golf«
13
http://www.sourcewatch.org/index.php/Committee_for_Peace_and_Security_in_the
14 Sowie Richard Armitage, John Bolton, Stephen Bryen, Douglas Feith,
Frank Gaffney, Fred Ikle, Zalmay Khalilzad, William Kristol, Michael
Ledeen, Bernard Lewis, Peter Rodman, Gary Schmitt, Max Singer,
Casper Weinberger, David Wurmser und Dov Zakheim
15 Das englische Wort »con« ist nicht nur eine Abkürzung von
»Konservativer«, sondern heißt eigentlich »Betrüger«.
16 Das »American Israel Public Affairs Committee« (Deutsch:
»Amerikanisch-israelischer
Ausschuss
für
öffentliche
Angelegenheiten«) ist eine der einflussreichsten Lobbyorganisationen
227
in den USA mit über 100 000 Mitgliedern, die auch außerhalb der
Wahlkämpfe unermüdlich für das wirbt, was sie als »die Interessen
Israels« versteht.
17 Connie Bruck, »The Influencer«, The New Yorker, 10.5.2010
18 Ebd.
19 Siehe »Chirac verplaudert sich beim Thema Iran«, Focus Online,
1.2.2007, wo Chirac mit den Worten >Teheran würde dem Erdboden
gleichgemacht, noch bevor sie [die hypothetische iranische
Nuklearrakete] 200 Meter weit in die Atmosphäre gelangt wäre.<
zitiert wird. Chirac ruderte unmittelbar nach den ersten Berichten über
seine Aussagen rasch zurück.
20 Lynne Duke »First Lady Criticized After Palestinian’s Remarks«,
Washington Post, 13.11.1999
21 Jason Horowitz, »Can Liberal Zionists Count On Hillary Clinton?«,
The New York Times, 17.12.2014
22 Jennifer Siegel, »Hillary to Aipac: Talk to Tehran, But Keep All
Options Open«, miftah.org, 6.2.2007
23 »Clinton: Obama is >naive< on foreign policy. Chicago senator
accuses rival of standing with Bush on rogue nations issue«,
NBCNEWS.COM, 24.7.2007
24 Ron Kampeas »Clinton: Undivided Jerusalem«, Jewish Telegraphic
Agency, 12.9.2007
25 Annie Karni, »In letter, Clinton condemns Israel boycott movement«,
Politico, 15.6.2015
26 Ebd.
27 Der Goldstone-Bericht über den Gazakrieg 2008/2009 für die
Vereinten Nationen fand Beweise für »mögliche Kriegsverbrechen«
und »mögliche Verbrechen gegen die Menschheit« sowohl durch Israel
als auch durch Hamas. Unter dem Druck von »Freunden Israels« wie
Hillary Clinton verwarf Richard Goldstone im April 2011 zum Teil
seinen eigenen Bericht und erklärte: »Dass die angeblich von Hamas
begangenen Verbrechen vorsätzlich waren, versteht sich von selbst ihre Raketen waren absichtlich und unterschiedslos auf zivile Ziele
gerichtet.« Israel dagegen sei ein unklarerer Fall und versuche, seine
Fehler zu korrigieren. Siehe Richard Goldstone, »Reconsidering the
Goldstone Report on Israel and war crimes«, Washington Post,
1.4.2015
28 Hillary Clinton, »How I Would Reaffirm Unbreakable Bond With
Israel – and Benjamin Netanyahu«, The Forward, 4.11.2015. Der
Tenor der Rede ist gleich nach den ersten einleitenden Sätzen zu
228
erkennen: »Mein erster Besuch in Israel im Dezember 1981 schuf eine
dauerhafte emotionale Bindung für mich – zu dem Land und seinem
Volk – und Bewunderung dafür, wie die Israelis eine blühende
Demokratie in einer Region voller Widersacher und Autokraten
aufgebaut haben. […] Auf dieser ersten Reise verliebten Bill und ich
uns, während wir durch die historischen Straßen der Altstadt liefen, in
Jerusalem.« Und bereits vorher: »Das Bündnis zwischen unseren
beiden Ländern geht über Politik hinaus.«
29 Gideon Levy, »Hillary Clinton Is No Friend of Israel«, Haaretz,
8.11.2015
30 Colin Powell, Mein Weg, München 1996, S. 603
2 »Multikulturalismus« ä la Hillary: Unsere
einzigartigen »Werte« und »Interessen«
1 Früher TAFTA (»Trans-Atlantic Free Trade Agreement«). TTIP steht
für »Trans-atlantic Trade and Investment Partnership«.
2 Derzeit werden intensive Geheimverhandlungen zum Abschluss von
TTIP geführt. Das Abkommen wird ungeachtet wachsender Opposition
in der Bevölkerung von den Großkonzernen und der politischen Klasse
auf beiden Seiten des Atlantik enthusiastisch unterstützt.
3 Für »Responsibility to [daher kommt die im Englischen gleich
ausgesprochene >2<] Protect«
4 Hier und im folgenden Phoebe Greenwood, »Edward Snowden should
have right to legal defence in US, says Hillary Clinton«, The
Guardian, 4.7.2014
5 »Statement by Secretary of State Hillary R. Clinton on Wikileaks«,
Embassy of the United States, Pristina, Kosovo, 30.11.2010
6
Siehe
»Collateral
Murder
–
Wikileaks
–
Iraq«,
https://www.youtube.com/watch?v=5rXPrfnU3G0
7 Hillary Rodham Clinton, Entscheidungen, München 2014, S. 827
8 Interview mit Amy Goodman auf Democracy Now!, 9.7.2014
9 »Gesetz zum Schutz von Whistleblowern in den Nachrichtendiensten«
10 Eine knappe Darstellung gibt Ellen Nakashima, »Ex-NSA manager
accepts plea bargains in Espionage Act case«, Washington Post,
9.6.2011
11 Interview mit Amy Goodman auf Democracy Now!, 9.7.2014
12 Albright äußerte 1993 gegenüber dem Stabschef der US-Armee Colin
Powell: »Wozu haben wir eigentlich dieses tolle Militär, von dem Sie
229
dauernd reden, wenn wir es nicht einsetzen können?« Siehe Colin
Powell, Mein Weg, München 1996, S. 603
13 Deutsch: »Strategischer Dialog mit der Zivilgesellschaft«
14 Hier und im folgenden Hillary Rodham Clinton, »Remarks at the
Launch
of
Strategic
Dialogue
with
Civil
Society«,
http://www.state.gov/secretary/20092013clinton/rm/2011/02/156681.htm
(mit Video)
15 Es sei denn es handelt sich um befreundete Herrscher wie in SaudiArabien und Bahrain, die praktisch nie als »Diktatoren« bezeichnet
werden, obwohl in beiden Staaten insgesamt die Mehrheit vom
politischen Leben ausgeschlossen ist.
16 Wie zum Beispiel der französische »Zivile Solidaritätspakt« (»Pacte
Civil de Solidarité«, abgekürzt PACS), der am 15. November 1999
zum Gesetz wurde. Er ermöglicht es, von nahen Verwandten
abgesehen, jedem Paar von Erwachsenen mit demselben
Aufenthaltsort ohne Ansehen des Geschlechts, Steuer- und
Erbschaftsrechte in Anspruch zu nehmen, die denen einer Ehe ähnlich
sind. Die Formalitäten sind gegenüber der Ehe vereinfacht, und der
Pakt kann im gegenseitigen Einverständnis aufgelöst werden, ohne
dass ein Scheidungsverfahren nötig ist.
17 Margaret Mead, Jugend und Sexualität in primitiven Gesellschaften,
I. Kindheit und Jugend in Samoa, München 1970
18 Derek Freeman, Liebe ohne Aggression. Meads Legende von der
Friedfertigkeit der Naturvölker, München 1983
19 Zitiert aus Entscheidungen, S. 864
20 Der repressive Charakter der Gesetze, die für viele dieser
Geschlechtsumwandlungen der Grund sind, soll damit nicht in Abrede
gestellt werden. Siehe Martin Gehlen, »Geschlechtsumwandlung oder
Strafe«, Zeit Online, 24.2.2014
21 In Entscheidungen verwendet sie volle sieben Seiten (S. 862–869) auf
diese Rede und die Umstände ihres Zustandekommens.
22
Für
den
vollständigen
Text
der
Rede
siehe
http://www.odec.umd.edu/CD/LGBT/Clinton.pdf
23 In den Jahren von 1990 bis 1999, also im Wesentlichen denen unter
Boris Jelzin, verzeichnete Russland gegenüber der vorherigen
statistischen Prognose mehr als 2,5 Millionen zusätzliche Sterbefälle;
gleichzeitig kam es in der kurzen Spanne zwischen 1989 und 2001 zu
einem drastischen Rückgang der Lebenserwartung bei Frauen um 3,0
und bei Männern um 7,7 Jahre. Die Geburtenrate war schon zwischen
1980 und 1992 um fast 50 Prozent abgestürzt und sank auch danach
230
noch weiter. Siehe Michael Haynes und Rumy Husan, A Century of
State Murder? Death and Policy in Twentieth-Century Russia,
London 2003, S. 147, 148 und 145
24 Nach der Lutherbibel von 1912; siehe http://bibeltext.com/matthew/65.htm
25 Kathryn Joyce und Jeff Sharlet, »Hillary^ Prayer: Hillary Clinton’s
Religion and Politics«, Mother Jones, 1.9.2007
26 Siehe dazu http://jeffsharlet.blogspot.de/2008/02/blog-post.html
27 Kathryn Joyce und Jeff Sharlett, »Hillary^ Prayer: Hillary Clinton’s
Religion and Politics«, Mother Jones, 1.9.2007
28 »Gesetz für die religiöse Freiheit von Arbeitnehmern«
29 Hillary Rodham Clinton, »Swearing-In Ceremony for Farah Pandith
Special
Re-presentative
to
Muslim
Communities«,
http://www.state.gov/secretary/20092013clinton/rm/2009a/09/129209.htm
30 Siehe u.a. Heiko Roloff, »Huma Abedin. Das ist Clintons engste
Verbündete«, Bild Online, 31.10.2015; dieser Bericht versucht sich an
einer umfassenderen Darstellung Huma Abedins und ihres
Verhältnisses
zu
Hillary
Clinton
(http://
www.bild.de/politik/ausland/hillary-clinton/das-ist-ihre-schaerfstewaffe-43066894.bild.html)
31 Steve Kornacki, »The dirty trick that launched Anthony Weiner’s
career «, Salon, 7.6.2011, und Steve Kornacki, »The woman Anthony
Weiner smeared speaks out«, Salon, 10.6.2011
32 Mark Pitzke, »Skandal-Abgeordneter: Vom Weiner zum Würstchen«,
Spiegel Online, 7.6.2011, und zwei Jahre später erneut: »New York:
Bürgermeister-Kandidat Weiner räumt weitere Nacktbilder ein«,
Spiegel Online, 24.7.2013
33 Oliver Burkeman, »Palestinian delegation attacked by congressman«,
The Guardian, 25.5.2006
34 Hilary Leila Krieger, »Some Congressmen come out against US-Saudi
arms deal«, The Jerusalem Post, 17.9.2010
35 Craig Whitlock, »U.S. secretly backed Syrian opposition groups,
cables released by WikiLeaks show«, Washington Post, 17.4.2011;
Original
unter
https://wikileaks.org/plusd/cables/09DAMASCUS185_a.html
36 Zu den Lügen Chalabis und anderer zu den Massenvernichtungswaffen
siehe Nicholas J.S. Davies, Blood on Our Hands. The American
Invasion and Destruc-tion of Iraq, Ann Arbor 2010, Kapitel 4:
»Imagining Weapons of Mass Destruc-tion«
37 Siehe Julia Gorin, »My Letter Published in the Wall Street Journal:
231
Bob Dole’s Corrupted Opinion on Bosnia«, Huffington Post,
18.3.2010
38 Morton H. Halperin, David J. Scheffer und Patricia L. Small, SelfDetermination in the New World Order, Washington 1992
39 Nicht nur die Autorin selbst, sondern auch andere Beobachter können
diese gespenstischen, inzwischen offenbar gelöschten oder
anderswohin umgezogenen »Internetauftritte« bezeugen. Sie sind umso
leichter unter dem Radar westlicher Medien geblieben, als sie oft
arabischsprachig waren.
40 Das erste dieser Massaker, bei dem 68 Menschen ums Leben kamen,
fand am 5. Februar 1994, das zweite mit 41 Todesopfern am 28.
August 1995 statt. Siehe dazu u.a. Hannes Hofbauer, »Neue Staaten,
neue Kriege«, in: Hannes Hofbauer (Hg.), Balkankrieg. Die
Zerstörung Jugoslawiens, Wien 1999, S. 47–196; die beiden
sogenannten »Markale-Massaker« werden unter der Überschrift
»Zwei Massaker auf dem Marktplatz – und die Folgen« auf S. 103–
109 behandelt. Zur publizistischen Behandlung und propagandistischen
Ausschlachtung des ersten dieser Attentate siehe Wolfgang Schneider,
»Totaler Konsens. Ein Attentat in Schlagzeilen«, in: Wolfgang
Schneider (Hg.), Bei Andruck Mord. Die deutsche Propaganda und
der Balkankrieg, Hamburg 1997, S. 143–148
41 Vgl. dazu Noam Chomsky, A New Generation Draws the Line.
Kosovo, East Timor and the Standards of the West, London 2000;
deutsch: People without Rights. Kosovo, Ost-Timor und der Westen,
Hamburg 2002
42 Der Name Jugoslawien bedeutet nichts anderes als »Süd-Slawien«.
43 Siehe hierzu mein Buch Fool’s Crusade. Yugoslavia, NATO and
Western Delusions, London 2002
44 Siehe dazu Nora Beloff, Yugoslavia. An Avoidable War, London 1997
45
Auf
Wikipedia
(https://de.wikipedia.org/wiki/Bosnien_und_Herzegowina#cite_note11) heißt es zur Frage der religiösen Aufteilung der Bevölkerung:
»Die Volkszählung 1991 ergab 44 Prozent Muslime (größtenteils
Bosniaken), 31,5 Prozent Serbisch-Orthodoxe (größtenteils Serben),
17 Prozent Katholiken (größtenteils Kroaten).«
46 Ich habe diese Videos, die inzwischen vermutlich gelöscht worden
sind, seinerzeit selbst im Internet gesehen. Auszüge davon gab es in
der nicht mehr existierenden, nach einer Propagandakampagne
diverser Mainstreammedien durch hohe gerichtliche Strafandrohungen
mundtot gemachten britischen Zeitschrift Living Marxism, siehe
232
http://www.yugofile.org.uk/pdfs/lm_heads.pdf.
Siehe
außerdem
»American Official Shields Bosnian Muslim Generals from War
Crimes Trial«, De[construct].net, 21.8.2009. Außerdem »E’ vero, i
mujahidin tagliavano teste«, Il manifesto, 8.7.2007, ein Interview mit
dem ehemalige General der muslimisch-bosnischen Armee, Hasan
Efendić, der ein Buch über die islamistischen Kämpfer in seiner
Armee schrieb und in diesem Gespräch über sie unter anderem sagte:
»Es stimmt, dass sie Leuten den Kopf abhackten, aber nicht Frauen und
Kindern.« Ein Beispiel für ein immer noch existierendes Video für die
»Fußballspiele«, dessen Authentizität allerdings aufgrund seines
Publikationsorts (eine Gruppe fanatisch-christlicher Sektierer) in
Frage steht, findet sich hier: http://shoebat.com/2013/12/29/muslimsplay-soccer-heads-victims/.
47 Auf Deutsch siehe Rebiya Kadeer, Die Himmelsstürmerin: Chinas
Staatsfeindin Nr. 1 erzählt aus ihrem Leben, München 2008. Auf der
Website ihres Verlags wird Kadeer stolz als »einst reichste Frau im
Reich der Mitte« gepriesen.
48 Madeleine K. Albright und William S. Cohen, Preventing Genocide: A
Blueprint for U.S. Policymakers, Washington 2008. Als PDF unter
http://www.ushmm.org/m/pdfs/20081124-genocide-preventionreport.pdf. Wie ein Blick auf die Website des United States Holocaust
Memorial Museum zeigt, war die Task Force auch danach höchst
aktiv:
http://www.ushmm.org/confrontgenocide/about/initiatives/genocide-prevention-task-force.
49 »Imagine the Unimaginable: Ending Genocide in the 21st Century«,
Symposium des US Holocaust Memorial Museums und anderer
Veranstalter; das gesamte Symposium ist auf der Website des Museum
als Video verfügbar.
50 Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass eine der Dimensionen der
blutigen Monate im Frühjahr und Sommer 1994 in Ruanda ein
gegenseitiges Abschlachten von Tutsi und Hutu war. Hinzu kam
innerethnische Gewalt vor allem unter den Hutu. Zu dieser weithin
vernachlässigten Problematik siehe Edward S. Herman und David
Peterson, The Politics of Genocide, New York 2010, S. 51–68, und
das Buch derselben Autoren Enduring Lies. The Rwandan Genocide
in the Propaganda System, 20 Years Later, Baltimore 2014.
51 Siehe http://www.taylor-report.com/Rwanda_1994/ch7.php; dort
findet sich auch eine aufschlussreiche Erläuterung des Kontextes.
52 »Refusing to Call It Genocide: Documents Show Clinton
Administration Ignored Mass Killings in Rwanda«, Democracy Now!,
233
7.4.2014. Eine weitere sehr interessante Quelle desselben Zitats ist
Samantha Powers, »Bystanders to Genocide«, The Atlantic,
September 2001. Ihr Artikel nutzt das damalige Verhalten der ClintonAdministration, um für vermehrte »humanitäre« Interventionen in der
Zukunft zu werben.
53 William J. Clinton, »Remarks at the United States Naval Academy
Commence-ment Ceremony in Annapolis, Maryland«, 25.5.1994;
http://www.presidency.ucsb.edu/ws/?pid=50236 (auf der von John
Woolley und Gerhart Peters betriebene Website »The American
Presidency Project«).
54 Siehe den Interviewteil der PBS-Website Ghosts of Rwanda,
»Interview Boutros Boutros-Ghali«, PBS Frontline, 21.1.2004,
http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/ghosts/interviews/ghali.html
55 Basierend auf einem von ihr selbst in Auftrag gegebenen
Untersuchungsbericht hat die ruandische Regierung 2008 behauptet,
Frankreich habe sich auf Seiten der Hutu aktiv am Massenmord
beteiligt. An der Unabhängigkeit dieses Berichts sind allerdings
Zweifel angebracht; er wurde erstellt, nachdem die ruandische
Regierung im November 2006 die diplomatischen Beziehungen zu
Frankreich abbrach, »nachdem ein französischer Richter Haftbefehl
gegen enge Mitarbeiter des Präsidenten wegen der Ermordung des
damaligen Staatschefs Juvénal Habyarimana erlassen hatte«. Siehe
»Ruanda: Frankreich war aktiv am Völkermord beteiligt«,
Tagesspiegel, 5.8.2008
56 »Interview Boutros Boutros-Ghali«, PBS Frontline, 21.1.2004
57 Wie ich es selbst damals wiederholt getan habe.
58 Der Artikel von Thomas Scheen, »Vom Friedensbringer zum
autoritären Herrscher«, FAZ.net, 9.8.2010, wirft ein interessantes
Schlaglicht auf die Situation in Ruanda vor der Wahl; zum
Wahlergebnis selbst siehe Horand Knaup, »Ruandas Wahlsieger
Kagame: Erst der Wohlstand, dann die Moral«, Spiegel Online,
11.8.2010. Ebenfalls angemerkt werden sollte die bizarre Art, wie
beide Artikel der Tatsache ausweichen, dass Kagame wohl kaum der
favorisierte Kandidat der meisten Hutu gewesen sein dürfte, die 90
Prozent der Bevölkerung repräsentierten. Dennoch endete Knaups
Artikel auf Spiegel Online mit den Sätzen: »Nun hat Kagame zwar
eindrucksvoll die Wahl gewonnen, doch die Loyalität seines Volkes
noch lange nicht. Allen Fortschritten zum Trotz.«
59 Die Massaker in der Demokratischen Republik Kongo gehen bis heute
weiter, und die ruandische Regierung und ihr Hauptverbündeter, das
234
extrem homosexuellenfeindliche Regime Yoweri Musevenis in
Uganda, sind nach wie vor maßgeblich beteiligt daran.
60 Abgesehen von der erwähnten, sich kurz darauf im Kongo
ausbreitenden Tötungsorgie.
61 Als sie in Ruanda eingreifen konnten, aber nicht wollten, sagten die
USA, es sei kein Völkermord, und später, als sie die »Lehren aus
Ruanda« für sich nutzen wollten, sagten sie: Wir haben einen
furchtbaren Fehler gemacht, es war Völ kermord. Nie wieder!
Gleichzeitig handelt es sich heute im Kongo wiederum um keinen
Völkermord, denn dort wollen die USA ja wieder, wie seinerzeit in
Ruanda, nicht eingreifen.
62 Charles Onana, Les Secrets de la Justice Internationale, Paris 2005,
S. 367–370
63 Samantha Powers, A Problem from Hell. America and the Age of
Genocide, New York 2002
64 Siehe u.a. Michael Mandel »The ICTY and Srebrenica«, in: Edward S.
Herman (Hg.), The Srebrenica Massacre. Evidence, Context,
Politics, http://resistir.info/livros/srebrenica_massacre_rev_3.pdf, S.
211–223
65 Eine gängige Schätzung der Zahl der Toten des US-amerikanischen
Indochina-kriegs, dessen offizieller Beginn meist auf 1964 oder 1965
angesetzt wird, liegt bei vier Millionen getöteten Vietnamesen, Laoten
und Kambodschanern. Im Fall Kambodschas gab US-Präsident
Richard Nixon im Dezember 1970 gegenüber seinem berühmtberüchtigten Nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger die
Devise aus: »Alles, was fliegt, auf alles, was sich bewegt« – eine
Order, die dann auch in die Tat umgesetzt wurde. Siehe die Studie von
Taylor Owen und Ben Kiernan, »Bombs Over Cambodia«,
http://www.yale.edu/cgp/Walrus_CambodiaBombing_OCT06.pdf, die
zu dem Schluss kommt, der Bombenkrieg in Kambodscha sei das
schwerste Bombardement der Weltgeschichte gewesen. Aber aufgrund
der Analyse der Gespräche zwischen Nixon, Kissinger und USVerteidigungsminister Alexander Haig, dem Kissinger Nixons Order
weitergab, kommt sie auch zu einem weiteren hier relevanten Schluss:
nämlich dem, dass das unterschiedslose Töten Hunderttausender
Kambodschaner mit Absicht geschah.
3 Die Zähmung durch die Widerspenstigen
1 Zu Jeane Kirkpatrick siehe auch Noam Chomsky, Vom politischen
235
Gebrauch der Waffen. Zur politischen Kultur der USA und den
Perspektiven des Friedens, Wien 1987, S. 16, wo sie mit folgenden
Worten zitiert wird: »Angestammte Autokraten [wie wir sie nach
Kirkpatrick unterstützen und unterstützen sollten] rühren nicht an die
bestehende Verteilung von Reichtum, Macht, Ansehen und anderen
Ressourcen, die in den meisten traditionellen Gesellschaften einige
wenige Reiche bevorzugen und die Massen in Armut halten. Aber sie
verehren die überlieferten Gottheiten und beachten die angestammten
Tabus. Sie stören nicht die gewohnten Abläufe von Arbeit und Muße,
die gewohnten Wohnorte, die gewohnten Strukturen von Familie und
persönlichen Beziehungen. Weil das Elend des althergebrachten
Lebens derart vertraut ist, können die einfachen Leute es ertragen.
Diese lernen, wenn sie in so einer Gesellschaft aufwachsen, damit
fertig zu werden, so wie die Kinder der Unberührbaren in Indien die
Fähigkeiten und Einstellungen erwerben, um in der ihnen zugedachten
armseligen Rolle zu überleben.« Das Zitat ist der Zeitschrift
Commentary, November 1979, entnommen.
2 »Komitee zur gegenwärtigen Gefahr«
3 Hillary Rodham Clinton, Eine Welt für Kinder, Neuausgabe mit
aktuellem Vorwort, Hamburg 2008
4 Hillary Clinton, »Frauenrechte sind Menschenrechte«, Botschaft an die
Vierte
Weltfrauenkonferenz
in
Peking,
http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/1995/09/05/hillary-clintonfrauenrechte-sind-menschenrechte/
5 »Mrs. Clinton’s Unwavering Words«, New York Times, 6.9.1995
6 Erster Außenminister der Clinton-Administration von Januar 1993 bis
Januar 1997
7 Michael Dobbs, Madeleine Albright: Against All Odds, New York
2000
8 Samantha Power, A Problem From Hell: America and the Age of
Genocide, New York 2002, S. 326
9 Transnationale Stiftung für Friedens- und Zukunftsforschung;
http://www.transnational.org/
10 Siehe hierzu mein Buch Fool’s Crusade. Yugoslavia, NATO and
Western Delusions, London 2002, S. 227. Diese Vorschläge wurden
während Ćosićs Amtszeit 1992 bis 1993 gemacht und sahen eine
Abtrennung der überwiegend albanischen Gebiete des Kosovo vor. Im
Sommer 1996 machte der Präsident der Serbischen Akademie der
Wissenschaften und Künste Aleksandar Despić ähnliche Vorschläge.
Diese Initiativen stießen bei der albanischen Seite auf keine
236
Gegenliebe, da sie vorsahen, dass einige serbisch besiedelte Enklaven
bei Serbien bleiben sollten.
11 Ushtria Çlirimtare e Kosovës
12 Unter anderem war Walker von 1988 bis 1992 US-Botschafter in El
Salvador, wo er, wie Noam Chomsky schreibt, »die US-Hilfe
verwaltete, die der salvadoriani-schen Regierung die Praktizierung
eines extremen Staatsterrors erlaubte«. Nach einem besonders üblen
Massaker
rechtsextremer,
dem
Militär
angehörender
Todesschwadronen an sechs jesuitischen Priestern und deren
Haushälterin im November 1989 stellte er sich schützend vor die
salvadorianische Regierung und behauptete, wie Americas Watch
seinerzeit angeekelt anmerkte, »es gebe keine Beweise, die auf eine
Schuld des Militärs hinweisen würden, und stellte die Hypothese auf,
dass vielleicht als Soldaten verkleidete linke Rebellen die Tat
begangen hätten«. Siehe Noam Chomsky, Der neue militärische
Humanismus. Lektionen aus dem Kosovo, Zürich 2000, S. 63–64
13 Zum Raçak-Massaker und William Walkers Rolle darin siehe u. a.
Diana Johnstone, »Das Raçak-Massaker als Auslöser des Krieges«,
in: Klaus Bittermann und Thomas Deichmann (Hg.), Wie Dr. Joseph
Fischer lernte, die Bombe zu lieben. Die Grünen, die SPD, die Nato
und der Krieg auf dem Balkan, Berlin 1999, S. 52–68; für einen
Kommentar zu der Frage, wie die relativ kleine Zahl von Toten in
Raçak zum Kriegsgrund werden konnte, siehe den Abschnitt »Das
Raçak-Massaker. >Die ausschlaggebende Gräueltat, die das
Räderwerk in Gang setzte<«, in: Chomsky, Der neue militärische
Humanismus, S. 62–73, Zitat S. 63
14 Richard Holbrooke, Meine Mission, München 1998, S. 160, 166, 315,
317
15 Siehe das Kapitel »Madeleine’s War« in Walter Isaacson, American
Sketches: Great Leaders, Creative Thinkers, and Heroes of a
Hurricane, New York 2009, S. 70–76, hier S. 73. Ursprünglich
erschienen als Walter Isaacson, »Madeleine’s War«, Time, 17.5.1999
16 Am 26. März 1997 berichtete AFP, seit Jahresanfang 1997 seien im
Kosovo bereits zwölf dem Regime nahestehende Albaner erschossen
worden. In »Terrorist Attacks on Civilians whose names sound
Albanian and Muslim«, Dialogue not separatism and terrorism –
Documents, Pristina, Serbien, Mai 1998 heißt es: »Am 12. Januar
1998 töteten Terroristen auf der Dorfstraße des zur Gemeinde
Glogovac gehörenden Ortes Gradic den vierunddreißigjährigen
Förster Mujo Sejdi. Er war in der Gegend als loyaler Bürger Serbiens
237
bekannt. Am 23. Januar 1998 töteten albanische Terroristen den
Briefträger Mustafa Kurtai, während er auf dem Weg zur Arbeit war.«
Siehe außerdem Sabdro Provvisionato, Uck: l’armata dell’ombra,
Rom 2000, S. 74 sowie Kapitel 5 meines Buchs Fools’ Crusade.
Yugoslavia, NATO and Western Delusions, London 2002, in dem all
das ausführlich dokumentiert ist. Die seinerzeitigen Berichte Amnesty
Internatio-nals belegen diese schweren Übergriffe gegen ethnisch
albanische Bewohner des Kosovo ebenfalls.
17 David S. Cloud, »How James Rubin Shaped Pact with Hashim Thaçi
of the KLA«, The Wall Street Journal, 29.6.1999
18 Boris Johnson: »Cold War warrior scorns >new morality<«, The Daily
Telegraph, 28.6.1999, S. 34
19 Seth Ackerman, »What Reporters Knew About Kosovo Talks – But
Didn’t Tell. Was Rambouillet Another Tonkin Gulf?”, FAIR Media
Advisory, 2.6.1999
20 Letztere Bemerkungen basieren auf eigenen Beobachtungen vor Ort.
Ein »serbenreines« Kosovo ist nach etlichen übereinstimmenden
Presseberichten über die Jahre hinweg das Ziel der Mehrheit der
Kosovo-Albaner, aber besonders natürlich das der aus der U(JK
hervorgegangenen politischen Kräfte, die im Kosovo an der Macht
sind. Für erste Anzeichen siehe Christoph Monzel, »Wer schützt die
Serben im Kosovo«, Die Welt, 15.6.1999, und viele weitere Berichte
aus diesem Jahr, stellvertretend siehe »Kosovo: Six months on,
climate of vio-lence and fear flies in the face of UN mission«,
Amnesty International, International Secretariat, 23.12.1999. Dort
heißt es: »Die Gewalt gegen Serben, Roma, muslimische Slawen und
gemäßigte Albaner ist im Lauf des letzten Monates dramatisch
gestiegen, was auf ein Versagen der Mission der Vereinten Nationen
hindeutet. […] Es kommt täglich zu Morden, Entführungen,
gewalttätigen Angriffen, Einschüchterungen und dem Niederbrennen
von Häusern.« Die Quellen zu diesem Thema würden sich beliebig
vervielfachen lassen. Derselbe Trend zu einem »rein albanischen«
Kosovo geht bis heute weiter; siehe »Kosovo: Pläne für mehr Rechte
für Serben im Kosovo hat [sic] in Pristina zu schweren Krawallen
geführt«, Frankfurt Rundschau Online, 10.1.2016, http://www.fronline.de/videos/1472414,1472414.html?bctid=4697485903001
21 Sunday Telegraph, 4.4.1999, zitiert nach Philipp Hammond,
»Humanizing War. The Balkans and Beyond«, in: Stuart Allan und
Barbie Zelizer (Hg.), Reporting War: Journalism in Wartime, London
2004, S. 174–189, hier S. 184
238
22 Nicholas Watt, »Blair plea to Serbs«, The Guardian, 5.5.1999
23 CNN World, 7.4.1999, »Albright: Milošević has created >horror of
biblical pro-portions<«
24 Zur Rolle der Medien im Kosovokrieg insgesamt siehe Philipp
Hammond und Edward S. Herman, Degraded Capability. The Media
and the Kosovo Crisis, London 2000
25 Siehe Fußnote 15
26 Die Episode findet sich unter https://www.youtube.com/watch?
v=4iFYaeoE3n4 auf Youtube.
27 Colin Powell, Mein Weg, München 1996, S. 603. Unmittelbar,
nachdem er Albright zitiert, kommentiert Powell: »Mich hätte fast der
Schlag getroffen. Ameri kanische GIs waren keine Zinnsoldaten, die
man über ein globales Spielfeld schob.«
28 Dieses Augenmerk auf das US-Außenministerium lässt Heldinnen beim
Durchbrechen der gläsernen Decke wie die CIA-Agentin Alfreda
Frances Bikowsky außer Acht, die Advokatin der Folter, die als
Vorbild für den – von einer Frau gedrehten – Film »Zero Dark Thirty«
fungierte.
29 Colum Lynch, »Susan Rice as national security adviser? U.N.
ambassador said to be front-runner«, 9.3.2013
30 Weiteres zu Susan Rice und ihrem Hintergrund findet sich in Abbey
Martin’s kurzer Sendung »Exposing Susan Rice. Weapons of Mass
Distraction«, https:// www.youtube.com/watch?v=Q-IoCAxWzpk.
31 Sie wollte aus Bosnien berichten, hatte aber keine Erfahrung und fand
keine Nachrichtenagentur, die ihren Antrag auf einen UN-Ausweis für
das Passieren der bosnischen Grenze unterstützte. Die CarnegieStiftung befand sich im selben Gebäude wie die Zeitschrift Foreign
Policy, und eines Abends, als der FP-Redakteur gegangen war,
schlich sie sich in sein Büro und stahl ein paar Blatt Briefpapier. »Ich
schrieb diesen Brief, in dem es hieß, >Bitte versorgen Sie Samantha
Power mit allen Ausweisen, die sie benötigt.<« Der Trick klappte.
Siehe Evan Osnos, »In the Land of the Possible: Samantha Power has
the President’s ear. To what end?«, The New Yorker, 22.11.2014
32 Für einen Hintergrundbericht siehe Walter Mayr, »Das hier ist altes
Ustascha-Land. SPIEGEL-Redakteur Walter Mayr über den
Machtkampf in der Herzegowina«, Spiegel Online, 17.7.1992. Ich
selbst war 1996 zwei Tage lang in Medjugorje. Die Region war rein
kroatisch, von der Verwendung von kroatischem Geld bis zu
kroatischen Briefmarken. Ganz in der Nähe befand sich ein kroatischer
Militärstützpunkt.
239
33 Siehe Fußnote 8
34 Eine derartige Szene gab es anlässlich der Diskussion der russischen
Annexion der Krim im März 2014; siehe »US v. Russia in clash of
diplomats: America’s ambassador to the UN berates her Russian
counterpart saying his country stood alone and its actions were
wrong«, Daily Mail, 16.3.2014. Der Artikel bringt auch drei recht
eindrucksvolle Fotos des Vorfalls.
35 Hillary Rodham Clinton, Entscheidungen, München 2014, S. 69
36 Suzanne Nossel, »Smart Power: Reclaiming Liberal Internationalism«,
Foreign Affairs, März/April 2004
37 Zu LGBT-Rechten siehe unter anderem U.S. Department of State,
Office of the Spokesperson, »Briefing on LGBT Resolution at U.N.
Human Rights Council«, 17.6.2011. Eine kurze Zusammenfassung der
Tätigkeit Nossels im Menschenrechtsrat findet sich in »Amnesty
International USA Announces Leadership Transition: Suzanne Nossel
Selected as New Executive Director of Human Rights Organization«,
Amnesty International, 17.11.2011
38 Siehe vorige Fußnote und Chris Hedges, »The Hijacking of Human
Rights«, truthdig, 7.4.2013, deutsche Übersetzung unter
http://gegenmeinung2.rssing.com/chan-9317861/all_p3.html;
außerdem Coleen Rowley, »Selling War as >Smart Power<«,
Consortiumnews.com, 28.8.2012
39 Einen kurzen Überblick über Otpor gibt Ralf Schneider in
»OTPOR/Ukraine – Revolution oder Verschwörung?«, Freitag,
29.1.2014
40 Siehe »Schauprozess in Russland. Putins Hatz gegen Pussy-PunkBand«, Abendzeitung (München), 30.7.2012, »Presseschau zu >Pussy
Riot<: Russischer Schauprozess gegen Sängerinnen«, Stern Online,
31.7.2012, »Schauprozess gegen Pussy Riot. Putin lässt die Maske
fallen«, n-tv.de, 17.8.2012 und unzählige andere Berichte in ähnlichem
Tenor
41 Siehe »Prominente Unterstützer von Madonna bis Paul McCartney«,
Süddeutsche Zeitung, 20.8.2012, und, aus kritischer Sicht, Leonid
Bershidsky, »What Madonna Doesn’t Get About Russia’s Punk
Protest«, BloombergView, 21.8.2012
42
Für
Videomaterial
dieser
Aktionen,
siehe
https://www.youtube.com/watch?v=egQNqrRYtUw. Ein längerer,
teilweise spekulativer Beitrag auf https://www.youtube.com/watch?
v=VZT9ZzrdeUg enthält weiteres Material.
43 Amnesty International, »Tell Putin: Let punk rockers go«, August 2012
240
44 Veronika Dorman, »Les Pussy Riot, en prison pour une chanson«,
Liberation, 2.8.2012
45 Avaaz.org, »Free Pussy Riot, Free Russia«, 22.8.2012
46 E-Mail Amnesty International, siehe http://osdir.com/ml/healthdiscussion-help/2012-09/msg02502.html
47
E-Mail
von
Avaaz,
22.
August
2012,
siehe
https://gabrielconstans.wordpress.com/tag/russia/
48 »Clinton: Russia and China will >pay price< for supporting Assad«,
RT News, 6.7.2012
49 »Pussy Riot: Nachahmer stören Gottesdienst im Kölner Dom«, Spiegel
Online, 19.8.2012
50 »Pussy-Riot-Prozess: Putin bittet um mildes Urteil«, n-tv.de, 2.8.2012.
Dort heißt es: »Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich für ein
mildes Urteil gegen die angeklagten Mitglieder der Punkband Pussy
Riot ausgesprochen. >An dem, was sie getan haben, ist nichts Gutes
[…]<, zitierten ihn russische Nachrichtenagenturen. >Ich denke
dennoch nicht, dass sie allzu hart dafür bestraft werden sollten<, fügte
er hinzu. Zugleich betonte Putin, dass es Aufgabe des Gerichts sei, ein
Urteil zu fällen.« Für ausführlichere Zitate Putins zu Pussy Riot siehe
»Prozess gegen Punkband: Putin fordert Gnade für Pussy Riot«,
Spiegel Online, 3.8.2012
51 In dem »offiziellen« Video (https://www.youtube.com/watch?
v=ALS92big4TY) der Aktion ist deutlich zu hören, dass die Tonspur
nachträglich hinzugefügt wurde.
52 Es besteht ein seltsamer Widerspruch zwischen HRCs öffentlichem
Enthusiasmus für Pussy Riot nach deren Befreiung 2014 und ihrem
totalen Schweigen über die Riot Girls in ihrer »Autobiografie«
Entscheidungen im selben Jahr. Doch der Widerspruch ist
wahrscheinlich nicht mehr so groß, wenn man bedenkt, dass Politiker
sich heute sowohl als konservativ als auch als aufgeschlossen für
jedermann präsentieren müssen – eben multikulturell. So oder so ist es
wenig wahrscheinlich, dass nach Suzanne Nossels Wechsel vom USAußenministerium zu Amnesty International die Kontakte zwischen ihr
und der US-Regierung abrissen.
53 Siehe https://twitter.com/hillaryclinton/status/452130729691201536
54 Entscheidungen, S. 606
55 Hierzu und zum Folgenden siehe u. a. den halbstündigen
Dokumentarfilm von RT, »Femen: Exposed«, veröffentlicht am
20.11.2013, https://www.rt.com/shows/documentary/femen-protestsgender-inequality-000/
241
56 Für einen Kurzbericht siehe Lorenz Eichhorn, »Exporting Naked
Protest: Femen Opens First Office Abroad«, Spiegel Online
International, 19.9.2012, ausführlicher Axel Veiel, »Nackt gegen
Gewalt – Femen zieht nach Paris«, Badische Zeitung, 16.3.2013.
Siehe auch das Video »LES FEMEN A LA GOUTTE D’OR A
PARIS«, https://www.youtube.com/watch?v=AT7SSKog7v0. Einige
der Frauen haben den Slogan »Muslim Let’s Get Naked« auf den
Oberkörper gemalt; die Reaktionen der arabischen und schwarzen
Bewohner des Nordpariser Viertels Goutte d’Or schwanken zwischen
Amüsement, Unverständnis und Gleichgültigkeit.
57 Siehe u. a. den Protestbrief der Sprecherin der konservativen
Organisation »Gemeinsam für das Gemeinwohl«, Julie Graziani, an
den Präsidenten François Hollande, »Monsieur le président de la
République, supprimez ce timbre à l’effigie d’une Femen!«, Le
Figaro, 4.2.2014
58 Ebd.
59 »Eklat in Paris. Femen-Aktivistin zerstört Putin-Wachsfigur«, N24,
5.6.2014,
siehe
http://www.n24.de/n24/Mediathek/Bilderserien/d/4861528/femenaktivistinzerstoert-putin-wachsfigur.html. Neben sechs Bildern der Aktion, die
zeigen, wie eine Frau mit den blutroten Worten »Kill Putin« auf dem
Oberkörper der Wachsfigur den Kopf abschlägt und ihr »Herz«
durchbohrt, findet sich dort der Text: »Randale in Paris: Eine FemenAktivistin hat eine Wachsfigur von Wladimir Putin in Paris zerstört.
Die halbnackte Frau stach mit einem Holzpfahl auf das Abbild des
russischen Präsidenten ein.«
60 Eine umfangreiche Dokumentation des ukrainischen Hintergrunds von
Femen und der Verbindungen der Gruppe zum dortigen rechten und
rechtsradikalen Milieu findet sich bei Olivier Pechter, »L’histoire
cachee
des
FEMEN«,
Le
Grand
Soir,
19.1.2014,
http://www.legrandsoir.info/l-histoire-cachee-des-femen.html.
61 So postete die ukrainische Femen-Aktivistin Evgenia Krayzman auf
ihrer Facebook-Seite ein Selfie, das sie mit triumphierend erhobener
Faust vor dem Hintergrund des brennenden Gewerkschaftsgebäudes
zeigt. Siehe Olivier Berruyer, »Caroline Fourest: >Les Femen ne sont
pas nazies!< Bon, enquetons alors…«, Les-Crises.fr, 19.5.2014,
https://www.les-crises.fr/caroline-fourest-les-femen-nesont-pasnazies-ah-bon/
242
4 Der Beginn des clintonschen Kriegszyklus
1 Hierzu und zum Folgenden siehe mein Buch Fools’ Crusade:
Yugoslavia, NATO and Western Delusions, London 2002
2 Zur Politik Deutschlands bei der Sezession Sloweniens und Kroatiens
siehe Misha Glenny, The Fall of Yugoslavia, 3. Auflage, London 1996,
S. 188–194. Die zweite Ausgabe dieses Buches ist unter dem Titel
Jugoslawien. Der Krieg, der nach Europa kam (München 1993) auch
auf Deutsch erschienen. Siehe dort, S. 284–292. Dieses Buch macht
außerdem klar, welch verheerende Rolle die Lostrennung dieser
beiden Republiken für den Ausbruch des Bürgerkrieges in Bosnien
spielte. Nicht umsonst heißt eines der Kapitel »Bosnien-Herzegowina,
August 1991-Mai 1992: Das Paradies der Verdammten«. Glenny
argumentiert überzeugend, dass die darauffolgende vorschnelle,
ebenfalls maßgeblich durch Deutschland durchgesetzte Anerkennung
Bosniens die Republik endgültig in das Chaos und die Gewalt des
Bürgerkrieges stürzte.
3 Siehe dazu das Kapitel »Moral Dualism in a Multicultural World« in
meinem Buch Fools’ Crusade, in dem ich zahlreiche Beispiele gebe
4 Nämlich Sloweniens, Kroatiens, Bosniens und Mazedoniens, die alle
1991 ihren Austritt aus der Föderation erklärten und jeweils 1991
(Slowenien und Kroatien) bzw. 1992 und 1993 international anerkannt
wurden.
5 Siehe z.B. »Scharping: Hinweise auf serbische Konzentrationslager«,
Spiegel Online, 31.3.1999, oder »Scharping: Starke Hinweise auf die
Existenz von Konzentrationslagern im Kosovo«, Die Welt, 1.4.1999
6 Die »Europäische Gemeinschaft« war damals dabei, sich in die
»Europäische Union« umzuwandeln.
7 Hier ist, was ich, basierend unter anderem auf Malte Olschewskis Von
den Karawanken bis zum Kosovo: Die geheime Geschichte der
Kriege in Jugoslawien, Wien 2000, in meinem Buch Fools’ Crusade
schrieb (S. 43–44): »Der Vorschlag zur Kantonisierung wurde am 18.
März 1992 von Izetbegović, Karadzic and Boban unterzeichnet, die
jeweils die muslimische, die serbische und die kroatische
Gemeinschaft vertraten. Er wurde von allen drei Parteien als
Kompromiss zur Vermeidung eines Bürgerkrieges unterzeichnet. Die
Serben und Kroaten akzeptierten die Anerkennung eines unabhängigen
Bosnien-Herzegowinas innerhalb der bestehenden Grenzen, was ihnen
missfiel, während die muslimische Partei im Gegenzug die von ihr
ungeliebte >Kantonisierung< akzeptierte. Der Kompromiss stellte
243
Izetbegović nicht zufrieden, da er (in den Worten des US-Botschafters
in Jugoslawien, Warren Zimmerman) >ihm und seiner muslimischen
Partei eine dominante Rolle in der Republik verwehrt hätte<.
Botschafter Zimmerman rief eilends Izetbegović in Sarajewo an, um
das Lissaboner-Abkommen mit ihm zu diskutieren. >Er sagte, es
gefiele ihm nicht, und ich sagte ihm, wenn es ihm nicht gefiele, solle er
es doch einfach nicht unterzeichnen<, erinnerte Zimmer-man sich
später. Und so machte Izetbegović, der offenbar nur zu froh war, dazu
ermutigt zu werden, mehr zu verlangen, eine Kehrtwende und entzog
dem Lissaboner Abkommen seine Unterstützung.«
8 Die Rede ist hier natürlich von der endlosen Affäre um Monica
Lewinsky.
9 Einer der zahlreichen Berichte hierzu ist Richard Noyes, »Hillary Shot
At in ’96? No Media Mention of Bosnia >Sniper Fire<«,
Newsbusters, 18.3.2008. Dieser Bericht enthält auch ein Video der
Ankunft Hillarys und der Clinton-Tochter Chel-sea in Tuzla.
10 David Usborne »Clinton >misspoke< over claims of sniper fire in visit
to Bosnia«, The Independent, 26.3.2008; siehe auch »Clintons falsche
Bosnien-Geschichte: >Ich habe einen Fehler gemacht<«, Spiegel
Online, 25.3.2008
11 Gail Sheehy, Hillary, Reinbek 2000, erheblich gekürzte Übersetzung
der Originalausgabe Hillary’s Choice, New York 1999
12 Die deutsche Ausgabe (ebd., S. 308) erwähnt lediglich, dass sowohl
Verteidigungsminister Cohen als auch der Vorsitzende der Vereinigten
Stabschefs Hugh Shelton gegen das Bombardement gewesen seien, da
sich ein Territorium »nicht mit Flugzeugen kontrollieren« lasse, und
zitiert dann Hillary mit der gegenteiligen Ansicht: »Ich drängte ihn zu
bombardieren.« Die folgende interessante Passage des US-Originals
fehlt dagegen: »In den folgenden Tagen stritten die Clintons in langen
Telefongesprächen über dieses Thema. [Bill] Clinton hatte zahlreiche
Bedenken anzumelden. Was ist, wenn das Bombardement zu noch mehr
Tötungen führt? Was ist, wenn die NATO daran zerbricht?« Daraufhin
wird Hillary mit den Worten über den Holocaust zitiert, gefolgt von
den an Madeleine Albright erinnernden Worten: »Wozu haben wir die
NATO, wenn nicht dazu, unsere Lebensart zu verteidigen?« Siehe
Hillary’s Choice, S. 345; der Abschnitt, aus dem das Zitat stammt,
trägt den Titel »Hillarys verborgene Hand im Kosovo«.
13 Siehe dazu ausführlich Fools’ Crusade (siehe Fußnote 1)
14 Nämlich die beiden Republiken Serbien und Montenegro. Im NATOKrieg von 1999 wurde auch die Republik Montenegro, die mit dem
244
Konflikt in der serbischen Provinz Kosovo überhaupt nichts zu tun
hatte, unbarmherzig bombardiert.
15 »Ushtria Çlirimtare e Kosovës«; siehe Kapitel 3, Fußnote 11
16 Zu den zahlreichen Quellen, die dies belegen, gehören Hannes
Hofbauer (Hg.), Balkankrieg. Die Zerstörung Jugoslawiens, Wien
1999; Klaus Bittermann und Thomas Deichmann (Hg.), Wie Dr. Joseph
Fischer lernte, die Bombe zu lieben, Berlin 1999; Tariq Ali (Hg.),
Masters of the Universe. NATO’s Balkan Crusade, London 2000 und
Kurt Köpruner, Reise in das Land der Kriege. Erlebnisse eines
Fremden in Jugoslawien, Berlin 2001
17 Der ehemalige DDR-Botschafter in Jugoslawien, keineswegs ein in der
Wolle gefärbter Stalinist, Ralph Hartmann, schrieb über die Bilanz des
Krieges in Jugoslawien einen langen Artikel: »Die NATO-Angriffe
gegen Jugoslawien. Zehn Jahre nach der Schandtat« (junge Welt,
24.5.2009 und 25.5.2009). Seine Bilanz ist bedrückend und wirft noch
einmal die Frage auf, warum nicht alles unternommen wurde, um
diesen Konflikt friedlich zu lösen. Nach seiner Beschreibung begann
mit dem NATO-Krieg »ein Massenexodus von nahezu biblischen
Ausmaßen. Während zwischen dem März 1998 und dem März 1999
170 000 Bewohner vor den Auseinandersetzungen zwischen der UCK
und den jugoslawischen Sicherheitskräften aus dem Gebiet geflohen
waren, flüchteten allein im ersten Kriegsmonat 600 000 Menschen.
Zum Kriegsende waren es 800 000, darunter 70 000 Serben und
Roma, zum größten Teil aber albanische Bewohner des Gebietes. Sie
verließen das Gebiet, flüchtend vor den NATO-Bomben, die Serben
und Albaner töteten – allein Pristina wird 280 mal von der NATO
angegriffen –, vertrieben von serbischen Paramilitärs, den Aufrufen
der kosovo-albanischen >Befreiungsarmee< UCK folgend und ihren
Terror gegen >Kollaborateure< fürchtend, Schutz suchend vor den
Kämpfen zwischen der UCK und dem jugoslawischen Militär. [..]
Zertrümmert oder demoliert wurden 60 Brücken, 19 Bahnhöfe, 13
Flughäfen, 480 Schulobjekte, 365 Klöster, Kirchen, Kultur- und
historische Gedenkstätten. [..] Zerstört oder beschädigt wurden 110
Krankenhäuser, lebensnotwendige medizinische Geräte, Hilfs- und
Arzneimittel. […] In Schutt und Asche gelegt wurden 121
Industriebetriebe, in denen 600 000 Jugoslawen in Arbeit standen.
Rund 2,5 Millionen Menschen verloren damit ihre Existenzgrundlage.
Über 2500 Menschen wurden getötet, mehr als 10 000 schwer oder
leicht verletzt. 30 Prozent aller Getöteten und 40 Prozent der
Verstümmelten und Verletzten waren Kinder.« Wie in jedem Fall in
245
diesem Konflikt sind auch hier sicher Einzelheiten strittig. Das
Gesamtbild ist jedoch klar genug.
18 Siehe dazu Tobias Jaecker, »Die deutschen Medien und der KosovoKrieg«, 10. April 2003, http://www.jaecker.com/2003/04/diedeutschen-medien-und-der-kosovo-krieg/, und eine Reihe der anderen
in diesem Kapitel zitierten Werke zum NATO-Krieg 1999 vor allem
aus den »zeitnahen« Jahren 1999 und 2000. In den Jahren danach
verschwanden die schlimmsten Gräuelbehauptungen der Medien ä la
Bild (»Sie treiben sie ins KZ«, wenige Tage nach Kriegsbeginn) im
Gedächtnisloch. Es ist, als hätte es sie nie gegeben, als hätten sie sich
nie als haltlos erwiesen und als könne man sie deshalb in jedem neuen
Krieg recyceln.
19 Siehe dazu neben vielen anderen Quellen Tino Moritz, »Einsame
Zweifler«, tageszeitung, 6.4.2001 und Mathis Feldhoff und Volker
Steinhoff, »Enthüllungen eines Insiders – Scharpings Propaganda im
Kosovo-Krieg«, Panorama, ARD, 18.5.2000. Unerlässlich zum
Thema »Hufeisenplan« ist vor allem das Buch des Brigadegenerals
a.D. Heinz Loquai, Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen
vermeidbaren Krieg, Baden-Baden, 2000. Siehe insbesondere Kapitel
VIII, »Der >Hufei-senplan<«, S. 138–144. Loquai schließt dieses
Kapitel mit den Worten: »Das Beispiel >Hufeisenplan< zeigt auf
eindrucksvolle Weise, wie leicht es sein kann, erfolgreiche politische
Kampagnen zur Rechtfertigung des politischen Handels zu führen,
wenn der Nährboden bereitet ist. Kein Staatsanwalt würde es in einem
Rechtsstaat wagen, mit einer in sich so widersprüchlichen
Anklageschrift und mit so schwachen Beweisen Anklage zu erheben.
Doch der Verteidigungsminister offerierte seine Anklage nicht nur den
Parlamentariern, den Medien und der Öffentlichkeit. Noch
bemerkenswerter ist, dass seine Behauptungen bereitwillig und nahezu
kritiklos übernommen wurden. Allerdings – seine innenpolitische
Funktion erfüllte der >Hufeisenplan<. Er schob die öffentliche Kritik
an den NATO-Luftangriffen beiseite.«
20 Der WDR-Film »Es begann mit einer Lüge«, der im Februar 2001 von
der ARD ausgestrahlt wurde, ist sowohl eine hervorragende
Dekonstruktion der NATOPropaganda in Deutschland als auch eine
Illustration
des
erwähnten
Mechanismus.
Die
unter
https://www.youtube.com/watch?v=RmvjEucnpkE
verfügbare
Youtube-Version ist ergänzt durch ein Interview mit dem
Balkanexperten Wolf Oschlies in der ARD-Sendung »Vor 10 Jahren:
Kosovokrieg«, in dem er auf die Ereignisse im Kosovo zwischen 1999
246
und 2009 eingeht.
21 Dazu Michael Parenti, »Where Are All the Bodies Buried?«, Z
Magazine, Juni 2000, und zusätzlich Parentis Buch To Kill a Nation.
The Attack on Yugoslavia, London 2000, das auch den genannten
Artikel enthält. Kurt Köpruner berichtet in seiner lesenswerten Studie
Reise in das Land der Kriege. Erlebnisse eines Fremden in
Jugoslawien (Berlin 2001) in einem Abschnitt »Wer oder was tötete
wen?« (S. 278–284), dass fünfzehn Expertenteams aus fünfzehn
Ländern, die beauftragt waren, Massengräber im Kosovo zu finden,
nach fünf Monaten Suche im November 1999 2108 Leichen in solchen
Gräbern gefunden hatten. In weiteren Untersuchungen bis Sommer
2000 kamen dann noch einmal 680 Leichen hinzu. Fundstellen und
Leichen gaben meist keinen Aufschluss über die ethni sche Identität
und die Todesumstände der Getöteten. Sicherlich wurden bei dieser
Suche auch nicht alle – auf außergewöhnliche Todesumstände
hindeutende – Massengräber gefunden, aber da es sich hier um eine
der intensivsten forensischen Untersuchungen der Geschichte handelte,
kann man davon ausgehen, dass der größte Teil der so Begrabenen
tatsächlich entdeckt wurde. Eine Schätzung von zwei- bis viertausend
Toten, die unter den schrecklichen Umständen der 78 Tage des NATOKosovokrieges rasch und »kollektiv« begraben werden mussten,
scheint daher nicht unrealistisch.
22 Eine in der medizinischen Zeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie
über die Zahl der »außergewöhnlichen Sterbefälle« unter den
Kosovoalbanern von Beginn des Bürgerkrieges im Februar 1998 bis
Ende des NATO-Kosovokrieges im Juli kam zu der Schätzung, dass
dort insgesamt zwölftausend Tote als »Kriegstraumaopfer« (alle
Opfer, deren Tod in direktem Zusammenhang mit dem Krieg stand,
etwa Gewehrfeuer, Artillerie, Erschießungen, zusammenbrechende
Gebäude, etc.) zu bewerten seien. Siehe Paul B. Spiegel und Peter
Salama, »War and mortality in Kosovo, 1998–99: an epidemiological
testimony«, The Lancet, Vol. 355, Issue 9222, 24.6.2000, S. 2204–
2209. Das war im Juni 2000. Auf der Website »Balkan International
Justice« berichtet Milka Domanovic in ihrem Artikel »List of Kosovo
War Victims Published« (10.12.2014) über eine Datenbank des
Belgrader »Humanitarian Law Centre« und des »Humanitarian Law
Centre Kosovo«, derzufolge im Kosovo von Anfang 1998 bis Ende
2000 8661 kosovoalbanische, 1797 serbische und 447 Roma
Zivilisten sowie außerdem 2612 Kämpfer auf allen Seiten getötet
worden seien. Auch diese Zahlen, die sicherlich als Obergrenzen
247
gelten können, kommen im Kontext eines Bürgerkriegs kaum an das
Szenario eines von einer Seite geplanten »Völkermords« heran.
23 »International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia«
24 Siehe David Owen, Balkan Odyssey, London 1995; ich zitiere nach
der Paperback-Ausgabe. David (Lord) Owen, der europäische
Hauptunterhändler während der drei Jahre des Bosnienkrieges, stand
in engem Kontakt mit regionalen Führern und beschreibt die
schwierigen Beziehungen Milošević zu den Führern der bosnischen
Serben in beträchtlichem Detail. »Am 16. April [1993] sprach ich am
Telefon mit Präsident Milošević über meine Befürchtung, dass die
Armee der bosnischen Serben trotz wiederholter Versicherungen Dr.
Karadžićs, er habe keine Absicht, Srebrenica einzunehmen, sich jetzt
anschicke, genau das zu tun. Die Größe der Enklave war beträchtlich
geschrumpft. Ich hatte Milošević noch selten so aufgebracht, aber auch
besorgt erlebt: Er befürchtete, dass es, wenn die bosnischen Serben in
Srebrenica einmarschierten, wegen des extrem bösen Blutes zwischen
den beiden Armeen ein Blutbad geben würde. Die bosnischen Serben
hielten den jungen muslimischen Kommandeur in Srebrenica, Naser
Orić, für verantwortlich für ein Massaker in der Nähe von Bratunać
im Dezember 1992, bei dem viele serbische Zivilisten getötet worden
waren. Milošević war der Meinung, es wäre ein großer Fehler, wenn
die bosnischen Serben Srebrenica einnähmen, und er versprach, dies
Karadžić mitzuteilen.« (S. 143). Im Mai 1993 begaben sich Milošević
und andere jugoslawische Führer nach Pale, um zu versuchen, Druck
auf das bosnisch-serbische Parlament auszuüben, damit es den VanceOwen-Friedensplan ratifizierte. Als die bosnischen Serben den Plan
ablehnten, war Milošević laut Owen »wütend, deprimiert und müde«
an gesichts der Verzögerungstaktik der bosnischen Serben (S. 164).
Owen schreibt, selbst kurz vor Ende des Krieges 1995 sei Milošević
»immer noch nicht in der Lage gewesen, Pale zu beeinflussen« (S.
333).
25 Chris Hedges, »Whispers of New Tyranny in Kosovo. As a KLA
Regime Fills Voids in Government, Evidence Mounts of an Intimidated
Populace«, New York Times, 29.7.1999
26 Ebd.
27 Chris Hedges, »Kosovo’s Rebels Accused of Executions in the
Ranks«, New York Times, 25.6.1999
28 Für einen Bericht aus jüngerer Zeit siehe »Westen wusste angeblich
von Thaçis Mafiakontakten«, Zeit Online, 25.1.2011, wo Berichte
über die Verwicklung »Hashim Thaçi[s] in den organisierten Handel
248
mit menschlichen Organen« zitiert werden und ein Bericht des
Guardian angeführt wird, dem zufolge »Thaçi Teil eines kriminellen
Triumvirats im Kosovo [ist], dessen eigentlicher Kopf Xhavit Haliti
ist«.
29 Friends of Kosovo, »Washington’s Bizarre Kosovo Strategy Could
Destroy NATO«, 12.4.2012. Dort findet sich auch ein ganz ähnliches
Foto, auf dem Hillary Clinton und Thaçi zusammen zu sehen sind.
Außerdem enthält der Artikel eine bemerkenswerte Beschreibung von
Camp Bondsteel.
30 David S. Cloud, »How James Rubin Shaped Pact With Hashim Thaçi
of the KLA«, Wall Street Journal, 29.7.1999
31 »United Nations Interim Administration Mission in Kosovo«
32 Die Angaben in diesem Absatz basieren auf eigenen Beobachtungen,
außerdem auf Kapitel 11 des Buches der Ex-ICTY-Anklägerin Carla
Del Ponte, Im Namen der Anklage, Frankfurt 2009, »Von den Zeugen –
Kosovo 1999 bis 2007« (S.354–393). Zu den wütenden
Straßendemonstrationen gegen Anklagen gegen U(JK-Führer, siehe
»War crimes trial against KLA members sparks rally«, AP Archive,
22.11.2004.
33 Für »European Union Rule of Law Mission«
34 Siehe etwa »Police in Kosovo tear gas far-right protesters demanding
release of opposition leader (VIDEO)«, RT, 13.10.2015.
35 Andreas Ernst, »EU-Mission in Kosovo im Zwielicht«, NZZ Online,
4.11.2014 und Micha! Kokot, »Die EU verspielt im Kosovo ihren
guten Ruf«, Zeit Online, 21.11.2014
36 Del Ponte, Im Namen der Anklage, S. 359–361. Auf S. 361 beschreibt
Del Ponte ihre »Ermittlungen gegen Teile der U(JK« im Kosovo als
die frustrierendsten im Lauf des Jugoslawien-Tribunals. Das gesamte
11. Kapitel ihres Buches, »Von den Zeugen – Kosovo 1999 bis 2007«
(ebd., S. 354–393) ist dieser Thematik gewidmet.
37 »Bernard Kouchner et les traffics d’organes – des journalistes Serbes
l’accusent
en
direct!«,
Video
auf
Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=12HXAlhFL0
38 Parliamentary Assembly, Committee on Legal Affairs and Human
Rights: »Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human
organs in Kosovo«, Draft Report. Berichterstatter: Dick Marty,
Schweiz, Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa; siehe
http://assembly.coe.int/nw/xml/News/FeaturesManager-ViewEN.asp?ID=964. Siehe auch Gaby Ochsenbein, »Europarat
verabschiedet Marty-Bericht zu Kosovo«, swissinfo.ch, 25.1.2011
249
39 Siehe u. a. »Illegaler Organhandel im Kosovo: EU-Mission sucht
Beweise«, n-tv. de, 28.1.2011; Stefanie Bolzen, »Schmutziger
Organhandel vom Kosovo in die EU«, Die Welt, 1.5.2013
40 »Statement of the Chief Prosecutor of the Special Investigative Task
Force«,
siehe
http://sitf.eu/images/Statement/Statement_of_the_Chief_Prosecutor_of_the_SITF_E
41 Julian Borger, »Senior Kosovo figures face prosecution for crimes
against huma-nity«, The Guardian, 29.7.2014
42 »>We Have Achieved Almost Nothing<: An Insider’s View of EU
Efforts in Kosovo«, Spiegel Online, englische Ausgabe, 7.11.2012.
Der Artikel erschien ursprünglich auf S. 45, 2012 der Printausgabe
des Spiegel vom 5.11.2012. Die Passage hier ist aus dem Englischen
rückübersetzt.
43 »Serbische Kosovo-Klöster leiden unter albanischen Attacken«, Focus
Online, 12.8.2014
44 Siehe hierzu unter anderem Julia Smirnova, »Ukrainische
Rechtsradikale stellen sich gegen Kiew«, Die Welt, 15.7.2015; Paul
Flückiger, »»Rechter Sektor< in der Ukraine: Rechtsextreme wollen
Präsident Petro Poroschenko entmachten«, Tagesspiegel, 22.6.2015
und Ann-Dorit Boy, »Der >Rechte Sektor< gegen die Regierung«,
FAZ.net, 23.7.2015
45 Das US-amerikanische Gesetz »Racketeer Influenced and Corrupt
Organizations Act« (RICO) von Oktober 1970 richtet sich gegen
erpresserische Bandenstrukturen wie die Mafia und enthält einige
höchst zweifelhafte Bestimmungen zur Beweislast der Anklage sowie
darüber, ab wann von einer Bande (»racket«) und einem
gemeinschaftlich geplanten und begangenen Verbrechen die Rede sein
kann.
46 Dazu unter anderem »Internationaler Gerichtshof: Washington beharrt
auf Immunität von US-Soldaten«, Spiegel Online, 21.5.2004
47 Während die USA selbst in den 1980ern in Guatemala den Krieg des
dort herrschenden Militärregimes gegen die Indios des Landes
sponserten, klagten sie die neue sandinistische Regierung Nicaraguas
des Völkermordes an den dortigen Miskito-Indianern an. Doch
während in Nicaragua die Opferzahlen im zweistelligen Bereich
lagen, wurden in Guatemala Zehntausende Indios getötet. Somalia, der
Sudan und Libyen sind weitere Beispiele dafür, wie im Westen
komplexe soziale und historische Probleme in ein simples Schema à la
»böser Diktator« versus »gutes Volk« beziehungsweise »gute
Minderheit« gezwängt werden.
250
48 »Bill Clinton unveils statue of himself in Kosovo. Thousands of ethnic
Albanians braved low temperatures and a cold wind in Kosovo’s
capital Pristina to watch Bill Clinton, the former US president, unveil
a golden statue of himself on Sunday«, The Telegraph, 1.11.2009
49 Andrew Quinn, »Hillary Clinton stops to see Bill’s statue in Kosovo«,
Reuters, 13.10.2010. Ein Foto von Hillary vor Bills Statue findet sich
unter
https://www.pinterest.com/pin/409616528584427300/.
Interessant an dem Gebäude hinter Hillary und der Statue sind die
kreuzweise durchgestrichenen Buchstaben EULEX. Dass dieses
Graffito der Empörung über die Korruption von EULEX geschuldet
ist, ist eher unwahrscheinlich.
5 Libyen: Hillarys eigener Krieg
1 Mike Allen, »>Don’t do stupid sh--< (stuff)«, Politico, 1.6.2014; Ian
Bremmer, »Die USA bleiben auf Kurs«, Der Standard, 7.11.2014
2 Jeffrey Goldberg, »Hillary Clinton: >Failure< to Help Syrian Rebels
Led to the Rise of ISIS«, The Atlantic, 10.8.2014
3 »Responsibility to Protect« (die 2 in der Mitte steht für das im
Englischen gleichlautende »to«)
4 Als jemand, der sich – im Unterschied etwa zu Hillary Clinton – in
Libyen auskannte und etwas über das Land wusste, war sich der im
September 2012 in Bengasi getötete US-Botschafter in Libyen,
Christopher Stevens, darüber klar, wie unangemessen es war, den
libyschen Staat als »Diktatur« abzuqualifizieren. Schon die bloße
Tatsache, dass es in der Dschamahirija auch Wahlen gab, wird im
Westen meist unterschlagen. Wie frei und fair diese waren, ist eine
andere Frage, die sich aber auch in Bezug auf etliche westliche
parlamentarische Demokratien stellen lässt, nicht zuletzt die der USA.
Eine sorgfältige Studie der Frühphase der libyschen Dschamahirija ist
Hanspeter Mattes, Die Volksrevolution in der sozialistischen
libyschen arabischen Volksgamahiriyya, Heidelberg 1982; siehe
außerdem die in den Fußnoten 5 und 60 angegebenen Quellen. Für eine
kritische Diskussion des Gaddafiregimes, der verschiedenen
Schattierungen der Opposition gegen es und der Ereignisse von 2011
siehe Vijay Prashad, Arab Spring, Libyan Winter, Oakland 2012
5 Siehe hierzu vor allem Maximilien Forte, Slouching Towards Sirte.
NATO’s War on Libya and Africa, Montreal 2013, besonders Kapitel
3, »Libyan Pan-Africaism and Its Discontents«
6 »Sirte Declaration: Fourth Extraordinary Session of the Assembly of
251
Heads of State and Government«, 8.-9.9.1999, Sirte, Libyen; siehe
http://www.au2002.gov.za/docs/key_oau/sirte.htm
7 »Gaddafi vows to push Africa unity«, BBC News, 2.2.1999
8 »AU summit extended amid divisions«, BBC News, 4.2.1999
9 Im März 2014 bestätigte ein iranischer Überläufer, der Iran und nicht
Libyen sei für den Absturz von PanAm 103 über Lockerbie
verantwortlich gewesen. Gordon Rayner, »Lockerbie bombing >was
work of Iran, not Libya< says former spy«, The Telegraph, 10.3.2014
10
Eine
ausgezeichnete
Website
zu
alldem
ist
http://lockerbiecase.blogspot.com/; sie wird von Robert Black
betrieben, einem Anwalt, der maßgeblich zum Zustandekommen des
Verfahrens im holländischen Camp Zeist gegen die beiden Libyer
beigetragen hatte und dies später bitter bereute.
11 Siehe John Ashton & Ian Ferguson, Cover-Up of Convenience: the
Hidden Scandal of Lockerbie, London 2001, und den Bericht des
Prozessbeobachters Dr. Hans Koechler von 2001, http://i-po.org/lockerbie-report.htm. Seitdem sind drei weitere Bücher
erschienen, die nicht nur den unfairen Charakter des Verfahrens gegen
die beiden angeklagten Libyer, sondern auch die Unschuld des am
Ende wegen Mordes zu zwanzig Jahren Haft verurteilten Angeklagten
Abdel-Basset al-Megrahi demonstrieren: John Ashcroft, Megrahi. You
Are My Jury, Edinburgh 2012; John Ashcroft, Scotlands’s Shame. Why
Lockerbie Still Matters, Edinburgh 2013 und Morag G. Kerr,
Adequately Explained by Stupidity? Lockerbie, Luggage and Lies,
Leicestershire 2013
12 Siehe dazu Almut Besold, »Libyens gezielte Annäherung an den
Westen«, in Fritz Edlinger und Erwin M. Ruprechtsberger (Hg.),
Libyen. Geschichte – Landschaft – Gesellschaft – Politik, Wien
2010, S. 136–158. Dieses Buch bietet auch sonst einen guten
Überblick über die komplexe Geschichte und moderne Entwicklung
Libyens. Ich selbst konnte den Trend zur Verwestlichung 2007 im
Rahmen einer internationalen Konferenz in Tripolis zum
Internationalen Strafgerichtshof beobachten. Die Herangehensweise
dieser Konferenz an das Thema entsprach ganz sicher nicht den
Auffassungen Muammar Gaddafis, der sich auf keinerlei sichtbare Art
einmischte. Zu dieser Zeit besuchten etliche hohe Politiker und
Wirtschaftsleute aus dem Westen Libyen. Saif al-Islam verkörperte
ganz offensichtlich diese neue Richtung. Ironischerweise scheint es
heute, als habe die gewaltsame westliche Intervention das genaue
Gegenteil bewirkt.
252
13 Für die Beschreibung zweier monströser Experimente mit tödlichen
Folgen (an Afroamerikanern und in Guatemala) siehe »Die grausamen
Menschenversuche der US-Amerikaner: In den 1940er-Jahren
infizierte der
amerikanische Gesundheitsdienst absichtlich
Gefängnisinsassen und psychisch kranke Personen mit SyphilisErregern«, Die Welt, 7.11.2011. Zu Afrika siehe Senan Murray,
»Anger at deadly Nigerian drug trials«, BBC News, 20.7.2007, und
David Smith, »Pfizer pays out to Nigerian families of meningitis drug
trial victims«, The Guardian, 12.8.2011. Dieser Fall des
Pharmakonzerns Pfizer, bei dem afrikanische Kinder 1996 in Kano in
Nigeria ohne ihre oder die Zustimmung ihrer Eltern zur Testung eines
Antibiotikums gegen Meningitis benutzt wurden, war 2006 sogar
Thema eines erfolgreichen, auf einem Roman von John Le Carré
basierenden Films, »Der ewige Gärtner«. Siehe hierzu das Interview
von Rüdiger Sturm »>Ich bin zorniger geworden<: John Le Carré über
die Briten und den Terror, die Rolle der Pharmaindustrie in Afrika und
die Verfilmung seines Bestsellers >Der ewige Gärtner<«, Die Welt,
3.1.2006, in dem Le Carré unter anderem sagt: »Die Hälfte der
Medikamente, die in Afrika angeboten werden, sind Fälschungen. Und
pharmazeutische Unternehmen, die andererseits mit allen erdenklichen
Mitteln gegen Generika kämpfen, weigern sich, diese Fälschungen zu
identifizieren, um die eigenen Medikamente nicht zu diskreditieren.«
Berichte über die erwähnten Experimente haben einen großen Einfluss
auf die öffentliche Meinung in Afrika, obwohl man im Westen kaum
von ihnen hört und die Berichte manchmal übertrieben sein mögen.
Siehe auch Sarah Boseley, »Doctors raise questions over drug trials in
developing countries. Medical paper claims some trials of already
licensed medicines are carried out to increase sales rather than
improve drug«, The Guardian, 12.6.2012; außerdem »Non-consensual
Medical Research in Africa: The Outsourcing of the Tuskeegee
Project«,
The
Rebecca
Project,
2011,
http://www.rebeccaprojectjustice.org/images/stories/Fact%20Sheets/nonconsensua
14 »Bin Laden möglicherweise in Mord an Deutschen in Libyen
verwickelt«, Handelsblatt, 13.11.2001
15 Auf Deutsch siehe hierzu Nathan Gardels und Sascha Lehnartz,
»>Gaddafi wird gehen. Aber Westerwelle auch<«, Interview mit
Bernard-Henri Lévy, Die Welt, 27.3.2011. Auf die Frage der
Interviewer »Wer sind die Rebellen, mit denen der Westen sich gerade
verbündet? Säkularisten, Islamisten? Und was wollen sie überhaupt?«
antwortete Lévy: »Säkulare Kräfte, definitiv. Sie wollen ein
253
einheitliches Libyen mit einer Hauptstadt Tripolis und einer frei
gewählten Regie rung.«
16 »Arab League head expresses support for no-fly zone over Libya«, The
Free Library, wo The Middle East Reporter, 22.3.2011 zitiert wird.
17 »Gaddafi bietet Rebellen Amnestie an: Wenn sie Kämpfe einstellen &
Waffen niederlegen«, News.at, 30.4.2011, und »Gaddafi fordert
Verhandlungen«, n-tv. de, 30.4.2011
18 »Libysche Liga für Menschenrechte«
19 »Urgent Appeal to World Leaders to Stop Atrocities in Libya«, UN
Watch, 20.2.2011. Erstunterzeichner des Briefs sind einundzwanzig
Personen und Institutionen aus der Schweiz, Indien, den USA,
Deutschland und anderen Ländern sowie die Libysche Liga für
Menschenrechte Dr. Sliman Bouchuiguirs, von der die einzige
Unterschrift aus Libyen stammt. Der Brief wurde offenbar schon vor
der Rede Bouchuiguirs verteilt.
20 Alfred Hackensberger, »Die Mär von schwarzafrikanischen GaddafiSöldnern«, Die Welt, 31.8.2011, und Sebastian Range, »Zum Tod
Muammar al-Gaddafis: Libyen ist alles andere als ein befreites Land«,
Hintergrund, 21.11.2011. Beide Artikel beleuchten auch den
Ausbruch eines wütenden antischwarzen Rassismus, der den Kampf
zum Sturz Gaddafis begleitete. Siehe ferner Maximilian Forte, »The
War in Libya: Race, >Humanitarianism,< and the Media«, Monthly
Review, 20.4.2011
21 Ian Black, »Qatar admits sending hundreds of troops to support Libya
rebels«, The Guardian, 26.11.2011
22 Hillary Rodham Clinton, »Clinton’s Update on Implementation of U.N.
Libya Resolutions«, US Department of State, IIP Digital, 24.3.2011
23 Hillary Clinton et al., »Meet the Press Transcript for March 27, 2011«,
Transcripts
on
Meet
the
Press,
NBC
News,
http://www.nbcnews.com/id/42275424/ns/meet_the_presstranscripts/#.Vomb8LbhCUk
24 Siehe https://www.youtube.com/watch?v=7gJz45K4Q50 für eine
Reihe freimütiger Äußerungen Dr. Bouchuiguirs.
25 Eine grundlegende Studie hierzu, die auch die historischen Wurzeln
beleuchtet: James Peck, Ideal Illusions: How the U.S. Government
Co-Opted Human Rights, New York 2011
26 Sliman Bouchuiguir, The Use of Oil as a Political Weapon. A Case
Study of the 1973 Arab Oil Embargo, PhD Dissertation, Washington
1979, erhältlich als Dissertationsdruck der George Washington
University
254
27 Andrew Quinn, »Clinton says Gaddafi must go« (mit Video), Reuters,
28.2.2011
28 So der Titel des Libyen-Kapitels in ihrem Buch Entscheidungen, siehe
S. 549
29 Bob Dreyfuss, »Clinton Promises to Bomb Libya, Calls Qaddafi
>Creature<« The Nation, 17.3.2011 (Bericht über die Debatte des
UN-Sicherheitsrats über die Einrichtung einer Flugverbotszone über
Libyen)
30 Entscheidungen, S. 541
31 Ebd.
32 Edward Cody, »Arab League condemns broad bombing campaign in
Libya«, Washington Post, 20.3.2011
33 Ebd., S. 553
34 Muammar Gaddafi, »We All Hate One Another. The Americans Might
Hang You All One Day Like They Hanged Saddam«, Rede auf der
Gipfelkonferenz der Arabischen Liga in Syrien im März 2008, The
Middle East Research Institute (MERI), 29.3.2008. Siehe dazu und zu
allen folgenden Zitaten auch »Muammar al Gaddafi – Rede 2008 in
Damaskus vor der Arabischen Liga. Video mit deutschen und
englischen Untertiteln«, NOCH.INFO, gepostet am 16.12.2015, Link
https://www.youtube.com/watch?v=-pPwePzZtrA
35 Hier und im folgenden Entscheidungen, S. 541f.
36 Ebd., S. 545
37 Siehe »Obamas Stabschef sieht Flugverbot über Libyen skeptisch«,
Focus Online, 6.3.2011, und viele weitere seinerzeitige
Presseberichte. Siehe auch Entscheidungen, S. 554: »Am 9. März war
der Nationale Sicherheitsrat im Situation Room des Weißen Hauses
zusammengekommen, um über die Krise in Libyen zu sprechen. Dort
hatte es kein allzu großes Verlangen nach einem direkten Eingreifen
der USA gegeben. Verteidigungsminister Gates vertrat die Ansicht, in
Libyen seien keine wichtigen nationalen Interessen der Vereinigten
Staaten tangiert. Und laut Auskunft des Pentagons würde die
meistdiskutierte militärische Option – die Einrichtung einer
Flugverbotszone, wie wir sie in den neunziger Jahren im Irak
aufrechterhalten hatten –, wahrscheinlich nicht ausreichen, um den
Rebellen einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen. Dafür seien
Gaddafis Bodentruppen einfach zu stark.« Ganz aktuell siehe
außerdem Seymour Hersh, »Military to Military«, London Review of
Books, Vol. 38 S. 1, 7.1.2016
38 Thabo Mbeki, »Reflections on Peacemaking, State Sovereignty and
255
Democratic Governance in Africa«, Thabo Mbeki Foundation
Website,
Rede
vor
dem
Community
Law
Center
Bellville/Kapstadt,16.2.2012
39 Hillary Clinton, »Remarks on the Situation in Libya and Resolution
1973«, American Rhetoric Online Speech Bank, 19.3.2011
40 Jeffrey Scott Shapiro und Kelly Riddell, »Secret Tapes Undermine
Hillary Clinton on Libyan War«, The Washington Times, 28.1.2015
41 Der Krieg gegen Libyen begann am 19.3.2011 mit einem Angriff
Frankreichs, an dem sich auch die USA, Kanada und Großbritannien
beteiligten. Siehe Stefan Schultz »Operation Odyssey Dawn: Alliierte
starten massive Luftschläge gegen Gaddafi-Regime«, Spiegel Online,
19.3.2011, ein langer Artikel, den man schwerlich anders denn als
R2P-Propaganda bezeichnen kann. Die Operation der NATO begann
dann am 22. März 2011.
42 Diana West, »Did the U.S. Choose War in Libya Over Qaddafi’s
Abdication?«, Townhall.com, 25.4.2014
43 Ebd.
44 Ebd.
45 Siehe Almut Besold, »Libyens gezielte Annäherung an den Westen«,
und Horace Campbell, Global NATO and the Catastrophic Failure in
Libya, New York 2013, Kapitel 5 (S. 55–62): »The Neoliberal
Assault on Libya: London School of Economics and Harvard,
Professors«
46 Siehe »US-Anlagenbauer Bechtel baut Kraftwerk in Lybien«,
Chemietechnik Online, 5.1.2010, und »A Commercial Cautionary
Tale: Bechtel’s Bid for Sirte Port Falls Flat. Passed to the Telegraph
by WikiLeaks«, The Telegraph, 31.1.2011
47 »Bishop confirms Gaddafi son’s death. Appeals to NATO and UN to
end the bombing of Libya«, AFP, 1.5.2011
48 Sami Moubayed, Under the Black Flag. At the Frontier of the New
Jihad, London 2015, S. 206, und »ISIS releases video purporting to
show beheading of 21 Egyptian Coptic Christians in Libya«, Youtube
49 Elise Labott, »Clinton makes unannounced visit to Libya«, CNN,
19.10.2011; die folgenden Zitate entstammen diesem Bericht.
50 Während ich in Libyen nie auch nur einen Tropfen Alkohol zu Gesicht
bekam, genossen Frauen meiner Beobachtung nach im Hinblick auf
Kleidung, rechtlichen Status und berufliche Möglichkeiten
bemerkenswert viel Freiheit. Auch konnte man junge, unverschleierte
Frauen sehen, wie sie in den Parks mit ihren Freunden Händchen
hielten, etwas, das in islamistischen Staaten undenkbar ist.
256
51
Siehe
https://www.youtube.com/watch?v=YD5sUCowUo&bpctr=1451852504
52 »We came, we saw, he died: What Hillary Clinton told news reporter
moments after hearing of Gaddafi’s death«, Daily Mail, 21.10.2011.
Video
https://www.youtube.com/watch?v=Fgcd1ghag5Y.
Ihre
Äußerungen hierzu gegenüber Fox News finden sich unter
https://www.youtube.com/watch?v=i1fJwS_SWD8;
auf
die
spezifische Frage, ob sie bedaure, was sie gesagt habe, meinte sie, das
werde sie nicht kommentieren.
53 »Bengasi: Unter Beschuss«, Entscheidungen, S. 577–622
54 Entscheidungen, S. 578
55 Ebd., S. 579
56 Ebd., S, 580
57 Für ein längeres Zitat siehe Maximilian Forte, »Libya: Empire or
Dignity«,
Teil
sechs
eines
langen
Artikels
auf
http://zeroanthropology.net/2012/09/22/libya-empire-or-dignity/; zu
Beginn dieses Zitats heißt es auch: »Libyen ist ein starker Partner im
Kampf gegen den Terrorismus gewesen, und die Kooperation über
unsere Verbindungskanäle war ausgezeichnet.« Siehe auch
https://search.wikileaks.org/plusd/, wo sich mittels der verschiedenen
Suchfunktionen weitere Informationen über die Telegramme von
Stevens finden lassen, sowie die Fußnoten in Fortes Artikel.
58 Siehe dazu Noam Chomsky, Deterring Democracy, London 1992, S.
239–241
59 Forte, Slouching Towards Sirte, S. 295
60 Forte, Slouching Towards Sirte, S. 73. Zwei weitere ausgezeichnete
Werke zu Libyen und zum NATO-Krieg gegen dieses Land sind
Cynthia McKinney (Hg.), The Illegal War on Libya, Atlanta 2002 und
Horace Campbell, Global NATO and the Catastrophic Failure in
Libya, New York 2013.
6 Russland verstehen? Nein, danke!
1 Für die Pressekonferenz Putins vom 4. März 2014, auf der diese
Bemerkung fiel, siehe das synchronübersetze Video »Wladimir Putin
zur Lage in der Ukraine«, https://www.youtube.com/watch?
v=3GwgpQJcW_g. Siehe auch »Putin-PK: So begründet er den
Einsatz auf der Krim«, Focus Online, 4.4.2014; im Unterschied zu
diesem neutralen Bericht waren viele andere Berichte in der deutschen
Presse extrem tendenziös.
257
2 Daher kommt in Deutschland auch der ursprünglich verächtlich
gemeinte Ausdruck »Putinversteher«, der von den Adressaten
mittlerweile oft selbstbewusst und ironisch als Selbstbezeichnung
verwendet wird.
3 1997 machte der Vater der »Politik der Eindämmung« gegenüber der
Sowjetunion, George Kennan, seinen berühmte Kommentar, die
Expansion der NATO wäre »der verhängnisvollste Fehler der
amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg«. Auch
Henry Kissinger und diverse Militärexperten sprachen sich gegen die
NATO-Erweiterung aus. Zu Letzterem siehe Eugene J. Carroll Jr,
(Marinekonteradmiral i.R. und stellvertretender Direktor des Center
for De-fense Information in Washington), »NATO Expansion Would
Be an Epic >Fateful Error<«, Los Angeles Times, 7.7.1997. Zur
Behandlung Russlands nach dem Kalten Krieg durch die ClintonAdministration, siehe Strobe Talbott, The Russia Hand, New York
2002
4 Zbigniew Brzezicnski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der
Vorherrschaft, Frankfurt/Main 1999
5 Ebd., S. 16
6 Ebd., S. 65–66
7 Carl Bernstein, Hillary Clinton. Die Macht einer Frau, München
2007, Zitate S. 822 und 822–823
8 Ebd., S. 841
9 Ebd.; Übersetzung aus dem US-Original des Buchs hier leicht
modifiziert.
10 RIA Novosti – »Präsident Putin: >Monopolare Welt ist undemokratisch
und
gefährlich««,
München,
10.2.2007;
http://de.sputniknews.com/meinungen/20070213/60672011.html. Alle
Zitate von dort
11 Rob Watson, »Putin’s speech: Back to cold war?«, BBC News,
10.2.2007; siehe auch Sebastian Fischer, »Sicherheitskonferenz in
München: Putin schockt die Europäer«, Spiegel Online, 10.2.2007
12 »Putin attacks >very dangerous< US«, BBC News, 10.2.2007
13 Clinton, Entscheidungen, S. 355
14 Ben Smith, Hillary: »Putin >doesn’t have a soul<«, Politico, 6.1.2008
15 Entscheidungen, S. 376
16 Ebd., S. 367
17 Ebd., S. 364
18 Ebd.
19 Ebd., S. 350
258
20 Beispiele hierfür finden sich an mehreren Stellen im vorliegenden
Kapitel.
21 Ebd., S. 351
22 Bernstein, Hillary Clinton, S. 461 (über missliebige Teilnehmer an
einem Treffen in Camp David Anfang 1993, auf dem die Strategie der
Clinton-Administration für die nächsten vier Jahre festgelegt wurde.
Diese seien als »Bösewichte« zu charakterisieren, während es gelte,
Gegner der Clinton-Gesundheitsreform zu »dämonisieren). Siehe auch
S. 464 (zu Hillary Clintons Absicht, Mitglieder des Kongresses und
des medizinischen Establishments zu »dämonisieren«, falls sie
versuchen sollten, Änderungen an ihren Plänen zur Gesundheitsreform
vorzunehmen oder diese zu behindern). Senator Bradley, dem
gegenüber sie diese Absicht geäußert hatte, wird von Bernstein mit
den Worten zitiert: »Damit war Hillary Clinton für mich erledigt. Man
sagt Senatoren nicht, dass man sie verteufeln wird. Dieses Verhalten
war offensichtlich typisch für sie. Diese Arroganz. Die Annahme, dass
jeder, der eine Frage zu stellen wagte, ein Feind war. Die
Geringschätzung. Die Heuchelei.« Für Senator Daniel Patrick
Moynihan, einen Veteranen im US-Senat, der bei dem Gespräch
ebenfalls anwesend war, prägte Clintons Gebaren laut einem von
Bernstein zitierten Zeugen »seine Meinung über Hillary und ihre
Vorgehensweise für den Rest seines Leben«. Ebd.
23 Ray Locker, »Pentagon 2008 study claims Putin has Asperger’s
syndrome«,
USA
Today,
4.2.2015,
http://www.usatoday.com/story/news/politics/2015/02/04/putinaspergers-syndrome-study-pentagon/22855927/
24 Ausführlich hierzu Noam Chomsky und Laray Polk, Nuclear War and
Environmental Catastrophe, New York 2013, und Noam Chomsky,
Hybris. Die endgültige Sicherung der globalen Vormachtstellung
der USA, Hamburg 2003. Außerdem Jonathan Weisman und Peter
Spiegel, »U.S. Keeps First-Strike Strategy«, Wall Street Journal, 6.4.
2010.
Ferner
heißt
es
in
dem
unter
https://fas.org/irp/doddir/usaf/afdd2-12.pdf zugänglichen offiziellen
Dokument »Nuclear Operations. Air Force Doctrine Document 2-12«
vom 7.5.2009: »Bewaffneter Konflikt verbietet nicht ausdrücklich den
Besitz oder den Einsatz von Nuklearwaffen. Nach dem Völkerrecht
gelten für den Einsatz von Nuklearwaffen dieselben Regeln für die
Zielauswahl wie für den Einsatz jeder anderen rechtmäßigen Waffe.«
(S. 8) Auf S. 10 heißt es: »Der Zweck hinter dem Einsatz von
Nuklearwaffen besteht darin, die politischen Zielsetzungen der USA zu
259
erreichen und einen Konflikt zu Bedingungen zu lösen, die für die USA
günstig sind.« Auf S. 16 wird Folgendes gesagt: »Die Luftwaffe kann
nukleare Optionen mit konventionellen oder nicht-kinetischen
Operationen kombinieren, um die Effektivität zu erhöhen und
Kollateralwirkungen zu minimieren. In einigen Szenarios kann der
Gebrauch einer einzigen oder einiger weniger Nuklearwaffen
konventionelle Unterstützung in Form von Luftüberlegenheit,
Ausschaltung der [gegnerischen] Verteidigung, Luftbetankung und
Lageeinschätzung nach dem Nuklearschlag erfordern.«
25 Siehe hierzu Annedore Smith, »Galizien: In weltverlorener
Einsamkeit«, Spiegel Online, 19.9.2003
26 National Iranian American Council (NIAC), »Brzeziński: US Should
Not Follow Israel on Iran Like a >Stupid Mule<«, Rede Brzezińskis
auf einer Konferenz des NIAC am 27.11.2012
27 »Ich muss leider sagen, dass das, was wir hier in den USA sehen, der
Aufstieg zweier Fraktionen in diesem Land ist, die gegen Russland und
die Russen sind. Als Erstes haben wir Brzezicński, der Obamas
Mentor war, als Obama Collegestudent in Columbia war. 2008
organisierte Brzezicński die gesamte Außen- und Verteidigungspolitik
der Präsidentschaftskampagne Obamas und spickte Obamas
Administration mit Russlandberatern im Nationalen Sicherheitsrat, die
von Brzezicńskis Center for Strategic and International Studies in
Washington kommen. Ich war in Harvard im selben
Doktorandenprogramm, das vor mir Brzezicński hervorgebracht hat.
Er ist ein in der Wolle gefärbter Russenhasser, er hasst Russland, er
hasst die Russen, und er will Russland in seine Bestandteile
zerbrechen. Unglücklicherweise hat er seine Leute, seine Schützlinge
in der Demokratischen Partei und in dieser Administration. Die zweite
Fraktion, die gegen die Russen in Stellung geht, sind die
Neokonservativen, und das spiegelt sich z. B. in diesem letzten Bericht
der Brookings Institution wider, der fordert, man müsse das
ukrainische Militär, man müsse diese Naziformationen bewaffnen, der
sich in der jüngsten Gesetzesvorlage wiederfindet, die gestern dem
Kongress vorgelegt wurde. Und die Neokonservativen haben genau
dieselbe Position gegenüber Russland und den Russen. Ich habe
zusammen mit etlichen dieser Neokonservativen, Wolfowitz und dem
ganzen Rest, an der Universität Chicago studiert. Viele von ihnen sind
Enkel von Juden, die vor den Pogromen gegen die Juden [in Russland]
flohen, und wurden einer Gehirnwäsche gegen Russland und die
Russen unterzogen. So haben wir also zwei sehr mächtige Fraktionen
260
hier in den Vereinigten Staaten, die gegen Russland und die Russen
sind und diese Art Politik anfeuern, und ich muss leider sagen, dass
nur sehr wenige Stimmen dem entgegentreten.« Francis Boyle,
»Brzezicnki wants to break Russia up into constituent units«, Pravda
Report,
16.2.2015,
http://english.pravda.ru/news/world/16-022015/129834-brzezinski_russia-0/
28 Brzezicński, Die einzige Weltmacht, S. 194
29 Siehe William Blum, KillingHope. U.S. Military and CIA Intervention
Since World War II, Montreal 1998, Kapitel 53, »Afghanistan:
America’s Jihad 1979–1992« (S. 338–352), und William Blum,
America’s Deadliest Export: Democracy. The TruthAbout U.S.
ForeignPolicy andEverythingElse, London 2013, Kapitel 4,
»Afghanistan« (S. 79–87)
30 Siehe Alison Weir, Against Our Better Judgment. The Hidden History
of How the United States Was Used to Create Israel, North
Charleston 2014
31 Richard Perle et al., »A Clean Break: A New Strategy for Securing the
Realm«,
auf
Information
Clearing
House,
http://www.informationclearinghouse.info/article1438.htm
32 »Projekt für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert«
33 Einsehbar unter http://www.rrojasdatabank.info/pfpc/PNAC--statement%20of%20principles.pdf. Die Originalwebseiten des PNAC
sind seit langem gelöscht.
34 Entscheidungen, S. 695–697; das Zitat ist auf S. 696. Im selben
Kapitel berichtet HRC auch über ein Treffen in Genf am 30. Juni
2012, bei dem sie und der britische Außenminister mit einem Vertreter
aus Katar und dem türkischen Außenminister Ahmed Davutoglu
sprachen. Über Letztere heißt es dort: »Beide bestanden darauf, wir
sollten in Betracht ziehen, die Rebellen unabhängig von dem Ergebnis
[der sonstigen zu der Zeit stattfindenden Gespräche] in Genf mit
Militärhilfe zu unterstützen.« Ebd. S. 686. Im Weißen Haus unterlagen
Clinton und Petraeus zunächst, aber später wurden die Pläne
durchgeführt und endeten in einem völligen Desaster (siehe Vorwort zu
diesem Buch). Einen nützlichen Überblick über Hillary Clintons
Darstellung ihrer Rolle im Syrienkonflikt in Entscheidungen ist Rick
Sterling, »The Wicked War on Syria: Hillary Clinton in Her Own
Words«, Counterpunch, 30.9.2015
35 »US ambassador defends calling veto of Syrian resolution >disgusting
and shameful<«, The Telegraph, 6.2.2012
36 »Syria: Hillary Clinton calls Russia and China >despicable< for
261
opposing UN resolution«, The Telegraph, 25.2.2012
37 Das heißt natürlich nicht, dass die gesamte Bevölkerung Assad
unterstützt, und auch nicht, dass nicht auch das Regime der BaathPartei in Syrien für etliche Gräuel verantwortlich wäre. Aber jüngste
Meinungsumfragen scheinen zu zei gen, dass immer noch die Mehrheit
der Syrer hinter Assad steht, was sicher auch mit den
Hauptalternativen al-Nusra (der syrische Flügel von al-Qaida), ISIS
und diversen weiteren islamistischen Rebellengruppen zu tun hat.
Siehe Stephen Gowan, »Bashar Al-Assad Has More Support Than
The
Western-Backed
Opposition«,
11.12.2015,
http://www.informationclearinghouse.info/article43728.htm.
Ein
rascher Überblick findet sich unter »Western poll: Assad supported by
most Syrians«, offguardian, 19.12.2015
38 Tatsächlich ist diese Gruppe der syrische Zweig der Terrororganisation
al-Qaida.
39 »Putin slams West for plan to arm Syrian rebels«, The Times of Israel,
22.6.2013
40 Siehe den wenige Monate nach den Ereignissen erschienenen Artikel
von Matthew Shofield, »New analysis of rocket used in Syria
chemical attack under-cuts U.S. claims«, McClatchyDC, 15.1.2014, in
dem eine Verantwortung der syrischen Regierung für die SarinAngriffe von August 2013 explizit verneint wird. Es heißt dort, die
Autoren eines Berichts mit dem Titel »Possible Implications of Faulty
U.S.
Technical
Intelligence«
(https://www.voltairenet.org/IMG/pdf/possible-implications-of-badintelligence.pdf), der frühere UN-Waffeninspekteur Richard Lloyd und
der MIT-Professor für Wissenschaft, Technologie und Nationale
Sicherheit Theodore Postol seien zu dem Schluss gekommen, »ihre
Untersuchung der Bauweise der Rakete, ihrer mutmaßlichen Ladung
und ihrer möglichen Flugbahnen zeige, dass diese Rakete unmöglich
aus Gebieten unter Kontrolle der Regierung des syrischen Präsidenten
Bashar Assad abgefeuert worden sein könne«. Siehe außerdem
Seymour Hersh, »The Red Line and the Rat Line. Seymour M. Hersh
on Obama, Erdoǧan and the Syrian rebels«, London Review of Books,
Vol. 36, S. 8, 7.4.2014, außerdem weitere Berichte Hershs zu diesem
Thema. Zur generellen Frage des Einsatzes von Chemiewaffen im
syrischen Bürgerkrieg siehe auch Chris Tomson, »OPCW Report:
Rebels Used Chemical Weapons – not Assad«, Al-Masdar News,
8.1.2016. Der fehlende Willen führender US-Politiker, derlei Berichte
überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn zu diskutieren, ist
262
sehr besorgniserregend.
41 Andrea Mitchell und Carrie Dann, »Hillary Clinton supports president
on Syria«, NBC News, 3.9.2013
42 Patrick J. McDonnell, »U.S., Israel worry Syria rebels could get
chemical weapons«, Los Angeles Times, 5.12.2012
43 Harriet Alexander, »Syria: If Bashar al-Assad hands over chemical
weapons we will not attack, says John Kerry«, The Telegraph,
9.9.2013; Amy Davidson, » Six Interviews Later, a Way Out for
Obama on Syria?«, The New Yorker, 9.9.2013
44 Vladimir V. Putin, »A Plea for Caution From Russia«, New York Times,
11.9.2013. Deutsche, hier zitierte Übersetzung: »Wir müssen aufhören,
die Sprache der Gewalt zu sprechen«, Junge Welt, 13.9.2013
45 Vincenzo Capodici, »Die Anwendung von C-Waffen zu einem Tabu
gemacht«, Tagesanzeiger, 11.10.2013
46 »A global elite gathering in the Crimea«, The Economist, 24.9.2013
47 Die deutsche Bezeichnung lautet »Freihandelsabkommen mit der
Europäischen Union«. Für eine interessante Studie aus Sicht der EU,
siehe Ina Kirsch van de Water, »Das Freihandelsabkommen mit der
Europäischen Union (DCFTA)«, Friedrich-Ebert-Stiftung Kiew,
August 2011, http://library.fes.de/pdf-files/id/08359.pdf
48 »Ukrainian Integration With The European Union: Economic
Convergence Or Economic Collapse?«, 23.9.2013, siehe
http://www.forbes.com/sites/markadomanis/2013/09/23/ukrainianintegration-with-the-european-union-economic-convergence-oreconomic-collapse/#2715e4857a0b1dd923b212e5
49 Carl Gershman, »Former Soviet states stand up to Russia. Will the
U.S.?«, Washington Post, 26.9.2013
50 Siehe http://www.politforums.net/eng/ukraine/1423090124_0.html;
dort heißt es, die Antiregierungskräfte in der Ukraine seien nicht mit
dem Rücktritt Asarows Anfang 2014 und anderen Konzessionen
zufrieden gewesen und hätten keinen Kompromiss gewollt, sondern
hätten das Land in einen Rammbock gegen Russland verwandeln
wollen: »They needed a battering ram against Rus-sia.«
51 Die heutige Hauptstadt der Ukraine, Kiew, gilt als die Geburtsstätte
des russischen Reichs.
52 Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der
Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München 1998, S. 264
53 Ebd.
54 Ebd., S. 267
55 Ebd., S. 267–268
263
56 Siehe Ian Traynor, »Analysis US campaign behind the turmoil in
Kiev«, The Guardian, 26.11.2004, wo es heißt: »Aber während die
Errungenschaften der in orange gehüllten >Kastanienrevolution< die
der Ukraine sind, handelt es sich bei der Kampagne um eine
amerikanische Schöpfung, eine ausgeklügelte und brillant geplante
Übung in westlichem Markenmanagement und Massenmarketing, das
innerhalb von vier Jahren in vier Ländern eingesetzt wurde, um
Wahlfälschungen zu begegnen und unappetitliche Regimes zu stürzen.«
Siehe außerdem auch Andrew Osborne, »We Treated Poisoned
Yushchenko, Admit Ameri-cans«, The Independent, 12.3.2005;
Gerald Sussman, »The Myths of >Democracy Assistance<: U.S.
Political Intervention in Post-Soviet Eastern Europe«, Monthly
Review, Dezember 2006, und Paul Blumenthal, »U.S. Obscures
Foreign Aid To Ukraine, But Here’s Where Some Goes«, Huffington
Post, 3.7.2014
57 Das Ukrainische wurde früher als »Kleinrussisch« bezeichnet. Das
heißt nicht, dass es keine gravierenden Unterschiede zum Russischen
gibt. Aber den ukrainischen Nationalisten liegt an einer künstlichen
Vertiefung dieser Unterschiede, um die Verständigung zwischen
Sprechern des Russischen und Sprechern des Ukrainischen zu
behindern.
58 Für eine Diskussion der Opferzahlen unter Stalin, sei es während der
Hungersnot 1932/1933 oder überhaupt, ist hier nicht der Platz. Es
verdient aber angemerkt zu werden, dass diese Zahlen oft gewaltig
übertrieben werden, oft in der Absicht, zu suggerieren, Stalin und
damit die Sowjetunion seien eigentlich noch schlimmer als Hitler
gewesen. Siehe hierzu das Buch des trotzkistischen Autors Wadim S.
Rogowin, Gab es eine Alternative zum Stalinismus? Artikel und
Reden, Essen 1996, außerdem sein mehrbändiges, scharf kritisches
Werk zur Geschichte der Sowjetunion. Zur Frage, ob es sich bei der
tragisch hohen Zahl von Toten in der Ukraine Anfang der 1930er Jahre
um einen Völkermord handelte, siehe Michael Haynes und Rumy
Hasan, A Century of State Murder. Death and Policy in Twentieth
Century Russia, London 2003, S.72–73, wo die Autoren zu dem
Schluss kommen, eine Isolation des »ukrainischen Volkes« als
spezielle ethnische Zielscheibe der Ereignisse erscheine »eher als
Werkzeug des späteren ukrainischen Nationalismus, durch das die
Geschichte verfälscht wird und das all den anderen, die ebenfalls
während der Hungernot litten und starben, einen schlechten Dienst
erweist«. Auf Deutsch siehe Mark B. Tauger, »War die Hungersnot in
264
der Ukraine intendiert?«, in Jens Mecklenburg und Wolfgang
Wippermann (Hg.), Kritik des Schwarzbuchs des Kommunismus,
Hamburg 1998, S. 158–167. Sehr ausführlich die Studie von Donald
Tottle, Fraud, Famine and Fascism. The Ukranian Genocide Myth
from Hitler to Harvard, Toronto 1987.
59 Entscheidungen, S. 526
60 Ebd., S. 616
61 Robert Gates, Duty. Memoirs of a Secretary at War, New York 2014
62 Washington Talk: Briefing; Departing Official, New York Times,
18.3.1988
63 »Jazenjuk bittet um Unterstützung« – Der ukrainische Ministerpräsident
Arsenij Jazenjuk im Gespräch mit Pinar Atalay, Tagesthemen,
7.1.2015,
https://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-jazenjuk101.html
64
Als
Video
mit
deutschem
Voice-Over:
https://www.youtube.com/watch?v=fk6SvNzRDL8. Das Voice-Over
ist nicht ganz akkurat, aber dennoch ist das hier zur Gänze auf Deutsch
wiedergegebene Gespräch höchst aufschlussreich. Für das Original,
siehe https://www.youtube.com/watch?v=8YSFNOaJupE. Zu den
Reaktionen in Deutschland siehe Barbara Junge, »Angela Merkel
empört über Nulands verbale Entgleisung«, Tagesspiegel, 7.2.2014
65 Victoria Nuland, »Remarks at the U.S.-Ukraine Foundation
Conference«, U.S. Department of State, 13.12.2013. Für deutsche
Kommentare, siehe Hans Springstein, »5 Milliarden Dollar für den
Staatsstreich«, Freitag, 1.3.2014; Alice Bota und Kerstin Kohlenberg,
»Haben die Amis den Maidan gekauft?«, Zeit Online, 17.5.2015
66 Die Vorläuferorganisation der Swoboda-Partei war die rechtsextreme
»Sozial- Nationale Partei der Ukraine«. Parubij schloss sich später
einer Reihe anderer Parteien an. An seiner politischen Haltung änderte
dies wenig; in seiner Funktion als »Kommandeur des Maidan«
arbeitete er eng mit dem Führer der paramilitärischen Organisation
»Rechter Sektor«, Dmytro Jarosch, zusammen.
67 Philipp Jahn, Olga Sviridenko und Stephan Stuchlik, »Neue Hinweise
auf
Maidan-Schützen«,
ARD-Monitor,
10.4.2014
(https://www.youtube.com/watch?v=kfN__DbkjNI); später auch Sonja
Tjong, »Neue Hinweise: Schossen auch prowestliche Demonstranten
in die Maidan-Menge?«, Focus Online, 16.2.2014, außerdem der
BBC-Bericht, auf den dieser ausführliche Artikel sich stützt:
https://youtu.be/Ib7EkJD08e4?t=11
68 »The >Snipers’ Massacre< on the Maidan in Ukraine« von Ivan
265
Katchanovski,
Ph.D.,
University
of
Ottawa.
Siehe
https://www.academia.edu/8776021/The_Snipers_Massacre_on_the_Maidan_in_U
Siehe außerdem einen der ersten deutschsprachigen Berichte über die
Forschungen Katchanovskis, Stefan Korinth, »Aufklärung der MaidanMorde: >Ich bin nicht sicher, wann ich wieder in die Ukraine reisen
kann<«, Telepolis, 12.12.2014, und das Video https://
www.youtube.com/watch?v=pxx5W--cymI (»Ivan Katchanovski: The
>Snipers’ Massacre< on the Maidan in Ukraine«); ferner zuletzt:
»Studie: Vom Westen un terstützte Opposition hat Maidan-Massaker
verübt«, Deutsche Wirtschafts Nachrichten, 2.1.2016
69 Gerhard Lechner, »Offene Fragen zu Ereignisse auf dem Maidan«,
Wiener Zeitung, 19.2.2015. Zu möglichen Urhebern des
Scharfschützenmassakers befragt sagt Kirsch: »Es gibt einen
Untersuchungsbericht. Der wird aber nicht veröffentlicht, weil darin
Unangenehmes über Andrij Parubij, den nationalistischen
Kommandanten des Maidan, stehen könnte. Das würde sich auch mit
dem decken, was die BBC jetzt veröffentlicht hat: dass nämlich die
Schüsse aus dem Konservatorium und dem Hotel Ukraina gekommen
sind. Das Konservatorium aber war unter vollständiger Kontrolle des
Maidan. Und im Ukraina, das am 20. Februar zu einem MaidanLazarett wurde, nächtigten die westlichen Journalisten. Niemand kam
ins Ukraina, ohne dass die Maidan-Leute das bemerkt hätten.«
70 So geschehen in mehreren vielfach geklickten Videos auf Youtube, die
mittlerweile vermutlich gelöscht sind. In einem davon äußerte sich
eine Frau auf den Stufen eines Gebäudes in dieser Richtung und in
einem anderen wurde ein Mann interviewt, der sich dafür aussprach,
die »Russen« in der Ostukraine zu vertreiben, um die dortigen
Ressourcen nutzen zu können. Es ist indes nicht nötig, sich auf meine
Erinnerung an diese Youtube-Videos zu verlassen. Denn die bekannte
Ikone des »antirussischen Widerstandes« in der Ukraine, Julia
Timoschenko, sprach sich höchstselbst in einem abgehörten und dann
geleakten Telefongespräch dafür aus, »zu den Waffen [zu] greifen und
diese verdammten Russen [zu] töten, zusammen mit ihrem Anführer«.
Siehe »Timoschenko-Tonband aufgetaucht: Tötet die Russen!«,
Deutsche Wirtschafts-Nachrichten, 25.3.2014. Über Wladimir Putin
sagte sie: »Ich bin bereit, selbst eine Maschinenpistole zu nehmen und
diesem Bastard in den Kopf zu schießen.« Timoschenko räumte die
Echtheit des Mitschnitts ein, behauptete aber, dieser sei an einer Stelle
manipuliert worden: Sie habe nie, wie in der veröffentlichten
Aufnahme, über die acht Millionen »Russen« (gemeint sind russische
266
Muttersprachler) gesagt, »man sollte sie mit Nuklearwaffen
erledigen«. Siehe Julia Smirnova, »>Bin bereit, dem Bastard in den
Kopf zu schießen<«, Die Welt, 25.3.2014. Siehe auch Adam Taylor,
»In latest wiretapping leak, Yulia Tymoshenko appears to say >nuclear
weapons< should be used to kill Russians«, Washington Post,
25.3.2014, und die Youtube-Videos https://www.youtube.com/watch?
v=m6t5PQ3rQ8U
(englische
Übersetzung)
und
https://www.youtube.com/watch?v=5vT_FMlstaQ (Deutsch).
71 Die mächtigen Gouverneure der Regionen der Ukraine werden bis
heute von der Zentralregierung in Kiew ernannt.
72 Siehe http://stormcloudsgathering.com/the-odessa-massacre-whatreally-happened (»The Odessa Massacre – What REALLY
Happened«), 12.5.2014 für eine schockierende und glaubwürdige
Analyse der Ereignisse. Siehe außerdem das elfminütige Video
https://www.youtube.com/watch?v=H4dJRnI-X8Q, das mit der
vorgenannten Quelle verlinkt ist, und das umfassendere Video
https://www.youtube.com/watch?v=QxcB0PI4ZLg. Interessant wäre
auch ein Vergleich des fast völligen Schweigens, das auf das
erwiesene Massaker in Odessa folgte, mit der Reaktion auf das – aller
Wahrscheinlichkeit nichtexistente – Raçak-»Massaker«, das den
Kosovokrieg auslöste.
73 Die internationalen Wahlbeobachter wurden in der deutschen Presse oft
pauschal als Angehörige rechter europäischer Parteien diffamiert.
Siehe hierzu »3sat Kulturzeit: Lügen über Wahlbeobachter beim KrimReferendum«, Propagandaschau (online), 14.3.2014
74 Für beide Zitate siehe »Kerry on Russia: «You just don’t invade
another country on a completely trumped up pretext”, Salon, 2.3.2014
75 »The World from Berlin: >Belgrade Must Rethink Its Destructive
Kosovo Policy<«, Spiegel Online International, 23.7.2010
76 »Unsere anhaltende Stärke spiegelt sich auch in unserer Achtung für
die internationale Ordnung wieder«, Rede von US-Präsident Obama
an die europäische Jugend (im Wortlaut), AG Friedensforschung,
Veranstalter des Friedenspolitischen Ratschlags, http://www.agfriedensforschung.de/regionen/USA1/obama-bruessel.html
77 Der Artikel »Obama fordert stärkere Abgrenzung von Russland«, Zeit
Online, 26.3.2014, lässt diesen peinlichen Patzer weg, ebenso Gregor
Peter Schmitz, »US-Präsident Obama in Brüssel: Dank Putin wieder
beste Freunde«, Spiegel Online, 26.3.2014
78 Gegenüber der Lokalzeitung Long Beach Press-Telegram. Siehe
»Fragwürdiger Vergleich: Clinton zog Parallele zwischen Putin und
267
79
80
81
82
Hitler«, Spiegel Online, 5.32014
Rede mit deutschem Voice-Over auf https://www.youtube.com/watch?
v=hTc4nU2QF5M; Zitat Benjamin Bidder, »Putin-Rede zur KrimKrise: Der Großmächtige«, Spiegel Online, 18.3.2014
Siehe hierzu unter anderem Matthias Bröckers und Paul Schreyer, Wir
sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die
Medien manipulieren, Frankfurt/Main 2014
»Russischer Außenminister Lawrow: Sanktionen haben Machtwechsel
in Moskau zum Ziel«, n-tv.de, 16.12.2014
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich der Schwerpunkt
der US-Kontrolle von den US-Truppenstützpunkten auf die NATO
verlegt, in der die USA gegenüber allen anderen Staaten nach wie vor
der militärische Gigant sind. Auch heute noch sind mehr als 60 000
US-Soldaten in Europa stationiert, vorwiegend in Deutschland, Italien
und Großbritannien, aber auch in neu errichteten Stützpunkten wie
Camp Bondsteel im Kosovo. Theoretisch unterliegen sie dort den
jeweiligen nationalen Gesetzen, aber de facto sind diese Militärbasen
kleine US-Kolonien auf fremdem Boden. Siehe unter anderem »US
military to close 15 bases in Europe«, BBC News, 8.1.2015. Ferner
haben die USA bereits mit der Stationierung neuer Atomwaffen in
Deutschland begonnen; siehe hierzu Eric Zuesse, »U.S. Will Station
New Nuclear Weapons in Germany Against Russia«, Washington’s
Blog, 21.9.2016. Dort heißt es: »Der deutsche öffentliche
Fernsehsender ZDF bringt am morgigen Dienstag, dem 22. September,
die Schlagzeile >In Deutschland sollen neue Atomwaffen stationiert
werden<, und berichtet, die USA würden zwanzig neue Atombomben
nach Deutschland bringen, von denen jede das Vierfache der
Destruktionskraft der Hiroshimabombe hat. […] Ein früherer
parlamentarischer
Staatssekretär
im
deutschen
Verteidigungsministerium, Willi Wimmer, der Merkels eigener
konservativer Partei angehört, warnte, diese >neuen Angriffsoptionen
gegen Russland< stellten >eine bewusste Provokation unserer
russischen
Nachbarn<
dar.«
Auch
die
Deutschen
WirtschaftsNachrichten berichteten am selben Tag (»Merkel
einverstanden: USA stationieren neue Atombomben in Deutschland«)
kurz darüber: »Die USA beginnen mit der Stationierung neuer
Atomwaffen in Deutschland. Der Bundestag hatte erst im Jahre 2009
mit Mehrheit beschlossen, die USA sollten ihre Atomwaffen abziehen.
Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel ist offenkundig untätig
geblieben. Stattdessen müssen nun die deutschen Steuerzahler die
268
Modernisierung der Flughäfen für die US-Air Force bezahlen.« Im
Hinblick auf die US-Hegemonial-politik gegenüber Europa gilt das
Sprichwort »plus ca change plus c’est la meme chose« – die Formen
mögen sich ändern, aber das Ziel wird mit derselben Konsistenz wie
immer weiterverfolgt. Einer der Aspekte dieser zielstrebigen USPolitik ist natürlich, dass US-Truppen nun auch in Osteuropa
stationiert sind, so etwa im bulgarischen Luftwaffenstützpunkt Besmer
und natürlich im Kosovo.
83 George Soros, »Wake Up, Europe«, The New York Review of Books,
20.11.2014 (für eine deutsche Zusammenfassung siehe Christoph
Sackmann, »George So-ros: >Wach auf, Europa!<«, Finanzen100,
24.10.2014) und »A New Policy to Res-cue Ukraine«, The New York
Review of Books, 5.2.2015. Siehe auch Soros langen Beitrag in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung, »Helft der neuen Ukraine!«, FAZ.
net, 8.1.2015 und die Kurzreportage »Georges Soros: >Rettung der
neuen Ukraine muss oberste Priorität Europas sein<«, Wallstreet
Online, 17.9.2015
84 Soros, »Wake Up, Europe«
85 Ebd.
86 Siehe u. a. Katy Barnato, »Russia sanctions may get >much worse<
after crash«, CNBC, 18.7.2014
87 Bei diesem Zwischenfall im August 1964 erhoben die USA die
Beschuldigung, Kampfboote Nordvietnams hätten im vietnamesischen
Golf von Tonkin ein US-Kriegsschiff angegriffen. Die Beschuldigung,
die sich später als haltlos erwies, diente den USA als Vorwand zum
Beginn der Bombardierung Nordvietnams, was dann der Auslöser des
weitere elf Jahre währenden Indochinakriegs der USA war.
88 Sasha Goldstein, »Hillary Clinton to Charlie Rose on Malaysia
Airlines Flight MH17: >Should be outrage in European capitals< if
Russia shot down plane over Ukraine«, New York Daily News,
17.7.2014
89 »Downing of Malaysian jet highlights urgency of resolving Ukraine
crisis – UN official«, mit Video, UN News Centre, 18.7.2014
90 Für Bushs Rede siehe https://www.youtube.com/watch?
v=10qatUWwIeg
91 »Fmr. Sec. Hillary Clinton to Fareed Zakaria: Putin indirectly
responsible for MH17«, CNN, 27.7.2014
92 James O’Neill, »Why the Secrecy on the MH17 Investigation«,
Counterpunch, 19.-21.12.2014
93 Haris Hussain, »US analysts conclude MH17 downed by aircraft«,
269
New Straits Times Online, 7.8.2014. Der Artikel bezieht sich auf
Robert Parrys Bericht »Flight 17 Shoot-Down Scenario Shifts«,
consortiumnews.com, 3.8.2014
94 O’Neill, »Why the Secrecy on the MH17 Investigation«
95 »Did Major Countries Agree Not to Disclose Key Details in Downing
of Malay-sian Airlines Flight 17?«, Interview mit Stephen Cohen,
Democracy Now!, 5.9.2014
96
http://transcripts.cnn.com/TRANSCRIPTS/1407/26/ndaysat.03.html
(Transkript CNN News, 26.7.2014)
97 »Ukraine in the White House Press Briefing by Press Secretary Josh
Earnest and Deputy National Security Advisor Tony Blinken«,
Embassy of the United States, Kyiv, Ukraine, 28.7.2014
98 Jeff Wise, The Plane That Wasn’t There: Why We Haven’t Found
Malaysia Airlines Flight 370, Kindle 2015
99 Gesche Wüpper, »Frankreich wegen Rüstungsdeal in der
Zwickmühle«, Die Welt, 30.10.2014; inzwischen hat Russland auf
Strafzahlungen verzichtet: »Kreml einigt sich mit Paris im
Kriegsschiff-Streit«, Die Welt, 15.8.2015
100 Joe Biden, »Remarks by the Vice President at the John F. Kennedy
Forum«, The White House, 3.10.2014
101 Victoria Nuland, »Keynote at the 2014 U.S.-Central Europe Strategy
Forum, U.S. Department of State«, 2.10.2014
102 Laut dem britischen Satiriker John Oliver mindestens sechs Mal; siehe
Tim Molloy, The Wrap, »John Oliver’s New HBO Show >Last Week
Tonight< Is Getting Mixed Reviews«, Business Insider, 28.4.2014
103 »The president on dealing with Russia«, The Economist, 2.8.2014
104 »US-Präsident: >Russland wird für seine Aggressionen bezahlen««,
Focus Online, 24.9.2014; für die vollständige Rede siehe »Gegen das
>Geschwür des gewalttätigen Extremismus««, AG-Friedensforschung,
25.9.2014
105 »Remarks by the President in State of the Union Address«, The White
House, 20.1.2015
106 »Saakashvili eats his tie«, https://www.youtube.com/watch?
v=Kid379OjuC0.
107 »Flashmob in Odessa – Ties for Mikhail Saakashvili May 30th«,
https://www.youtube.com/watch?v=A81SMesWWLk
108 Lechner, »Offene Fragen zu Ereignisse auf dem Maidan«, 19.2.2015
109 Siehe den Kommentar von Ron Paul: »Reckless Congress >Declares
War< on Russia «, Ron Paul Institute for Peace and Prosperity,
4.12.2014. Auf Deutsch siehe Sandra Tjong, »Republikaner Ron Paul
270
klagt an: >US-Kongress erklärt Russland den Krieg<«, Focus Online,
9.12.2014, und Gert Ewen Ungar, »Resolution 758 / Ukraine Freedom
Support Act«, Freitag, 26.12.2014
110
»Die
Waldai-Rede«,
Freitag,
25.10.2014,
https://www.freitag.de/autoren/mopperkopp/das-waldai-forum. Diese
Übersetzung ist hier teilweise etwas geglättet und modifiziert. Für ein
Video
der
Rede
mit
deutschem
Voice-Over
siehe
https://www.youtube.com/watch?v=Sx9G8X5aHfA
111 Aus der Diskussion nach Putins Rede (dieser Teil ist in der deutschen
Version nicht enthalten). Siehe Vladimir Putin, »New Rules or a Game
Without Rules?«, Counterpunch, 27.10.2014
7 Die Kriegspartei
1 »Remarks by Foreign Minister Sergey Lavrov at the XXII Assembly of
the Council on Foreign and Defence Policy«, Moskau, 22. November
2014, The Ministry of Foreign Affairs of the Russian Federation,
Official Site.
2 Siehe dazu unter anderem »Millionen-Spenden: Clinton-Stiftung
veröffentlicht Liste ihrer Geldgeber«, Spiegel Online, 18.12.2008.
Für aktuellere Daten, siehe Henry Paul, »Die Clinton Foundation im
Zwielicht«, Contra Magazin, zu finden unter http://politik-imspiegel.de/die-clinton-foundation-im-zwielicht/, 24.3.2015
3 David Usborne »Clinton >misspoke< over claims of sniper fire in visit
to Bosnia«, The Independent, 26.3.2008; siehe Kapitel 4,
»Jugoslawien: Der Beginn des clin-tonschen Kriegszyklus«, Fußnoten
9 und 10
4 Hillary Rodham Clinton, Entscheidungen, München 2014, S. 351
5 Ein am 26.10.2001 nach den Anschlägen des 11. September
verabschiedetes, Hunderte von Seiten umfassendes Gesetz, das unter
dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus und der nationalen
Sicherheit die bürgerlichen Freiheiten in den USA stark einschränkt.
Zum Zeitpunkt der Abstimmung darüber hatten etliche
Kongressabgeordnete das Gesetz noch nicht einmal gelesen.
6 Paul Craig Roberts, »The Neoconservative Threat to International
Order«, Counterpunch, 4.3.2015
7 US-amerikanischer Russlandgelehrter, Redakteur der linksliberalen
Zeitschrift The Nation und Autor zahlreicher Bücher über Russland,
zuletzt Soviet Fates and Lost Alternatives. From Stalinism to the New
Cold War, New York 2011
271
8 US-Politikwissenschaftler, der in Deutschland vor allem durch sein
gemeinsam mit Stephen Walt verfasstes Buch Die Israel-Lobby. Wie
die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird (Frankfurt am Main
2007) und seine Kritik an der westlichen Politik während der
Ukrainekrise 2014 bekannt wurde.
9 US-Politikwissenschaftler und Publizist; Mitverfasser von Die IsraelLobby (siehe Fußnote 8)
10 Ex-US-Diplomat im Nahen und Fernen Osten und engagierter Gegner
der US-»Antiterror«-Politik nach den Anschlägen vom 11. September
2001
11 Langjähriges Mitglied des Repräsentantenhauses für die Republikaner
und unabhängiger Präsidentschaftskandidat 1988. Paul vertritt
innenpolitisch wirtschaftsliberale Positionen, ist aber ein
entschiedener Gegner des Militärisch-Industriellen Komplexes und
aller gegenwärtig geführter US-Kriege. 2013 gründete er mit Dennis
Kucinich (siehe Fußnote 12) und anderen das »Ron Paul Institute for
Peace and Prosperity«.
12 Als langjähriges Mitglied des US-Repräsentantenhauses und Anwärter
auf die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten
2004 und 2008 hat Kucinich sich immer für Frieden, Abrüstung,
Bindung der US-Politik an das geltende Völkerrecht sowie für die
Belange der Arbeiter, Frauen und sonstigen Unterprivilegierten der
US-Gesellschaft eingesetzt.
13 Mit kurzer Unterbrechung Mitglied des Repräsentantenhauses für die
Demokraten von 1993 bis 2007, gehörte McKinney dem linken Flügel
ihrer Partei an, mit der sie 2007 brach, nachdem ihre erneute
Kandidatur zum Kongress offenbar maßgeblich von der USamerikanischen Israel-Lobby verhindert wurde (dazu Hanan Chehata
»Cynthia McKinney, Former US Presidential candidate, blames the
pro-Israel Lobby for ruining her political career«, Middle East
Monitor, 8.12.2011). 2008 war sie Präsidentschaftskandidatin der
US-Grünen.
14 Colleen Rowley war 24 Jahre lang FBI-Agentin und deckte nach dem
11. September 2001 massives Fehlverhalten ihrer Kollegen bei
Ermittlungen gegen »Terrorverdächtige« auf. Sie quittierte 2004 ihren
Dienst und ist seitdem als Publizistin und Friedensaktivistin tätig.
15 William R. Polk, geboren 1929, hat eine lange Karriere als
Politikberater hinter sich und ist bis heute als Publizist tätig. Er ist
scharfer Kritiker der US-Kriege im Irak, in Afghanistan und Libyen
und hat auf Deutsch zuletzt das Buch Aufstand. Widerstand gegen
272
Fremdherrschaft, Hamburg 2009, veröffentlicht.
16 »Die Sprüche Salomos«, Sprichwörter 16:18; siehe http://www.diebibel.de/bibelstelle/Spr16,18/
273
Namens- und Ortsregister
Abedin, Huma 72-75, 132, 251
Abedin, Saleha 72
Abedin, Zyed 72
Abramowitz, Morton 78–80, 83, 101, 106, 108, 251
Abrams, Elliott 37
Abromavičius, Aivaras 229
Adelson, Sheldon 42f.
Afghanistan 43, 64, 83, 125, 161, 177, 182, 187, 189, 233, 273, 283
Afrikanische Union 149, 165
Ägypten 132, 153, 155, 168, 189
Ahmadinedschad, Mahmud 64
al-Assad, Baschar 7–10, 86, 117, 144, 192–195, 257, 259, 273f.
al-Dschalil, Mustafa Abd 151
al-Megrahi, Abdel-Baset 151, 267
al-Nusra 193
al-Qaida 76, 153, 165, 171, 189
al-Qaradawi, Scheich Yusuf 154
ALBA 19, 22
Albanien 99, 102f., 134–136, 140f., 143, 146
Albright, Joseph 98
Albright, Madeleine 43, 54, 80, 84, 87f., 97f., 100–105, 138, 145, 164,
250, 252, 254, 256, 261
Algerien 172
Amanpour, Christiane 96, 101
Amnesty International 111f., 115f., 120, 155, 256–258
Annan, Kofi 100f.
Arabische Liga 160–162, 168
Arafat, Suha 40
Arafat, Jassir 40
274
Asarow, Mykola 199, 204
Ashton, Catherine 155, 209
Assange, Julian 52, 115
Australien 222
Avaaz 116f.
Bahrein 163
Ban Ki-moon 155, 206, 220
Bandera, Stepan 207
Bangladesch 15
Bank of America 237
Baratt, Mira 77
Barroso, José Manuel 231
Baruch, Bernard 30
Belgien 49, 222
Bengasi (Libyen) 148, 150, 152–155, 165, 170, 204, 225, 266, 270
Bernstein, Carl 178, 184
Biden, Hunter 228
Biden, Senator Joseph 77, 226, 228, 280
Bildt, Carl 197
Bin Laden, Osama 153, 162, 189, 267
Björk 114
Blair, Diane 178
Blair, Tony 103, 197, 256
Blinken, Anthony 224, 280
Bolivien 17, 23
Bonaparte, Napoleon 119, 187
Bosnien 72, 74, 80–82, 86f., 93, 100, 106–108, 127–130, 132, 135, 252,
257, 260, 263
Bouchuiguir, Dr. Sliman 155, 158f.
Boutros-Ghali, Boutros 87–89, 100
Brasilien 18, 23, 220
Brzezińscki, Zbigniew 177, 183, 188f., 199, 216, 272f.
Brockmann, Miguel D’Escoto 158
Bulgarien 152, 231
Burundi 87
Bush, George H.W. 126, 176, 221
275
Bush, George W. 34f., 76, 109, 112, 182, 190, 248f.
Cameron, David 194, 226
Cargill 228
Carter, Jimmy 177, 189
Casa Alianza 25
Castro, Fidel 18
Castro, Raúl 18f.
Chalabi, Ahmed 76f.
Chávez, Hugo 18–20, 22, 164
Cheney, Richard (Dick) 162, 205
Chile 18, 23
China 53, 83f., 86, 94, 117, 159f., 162, 172, 191f., 220, 235, 252, 258,
273
Chirac, Jacques 40
Christopher, Warren 97
Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 201, 211
Churchill, Winston 197
CIA 146, 170, 176, 189, 197, 257, 273
Ciappa, Olivier 122
Cleopatra 15
Clinton-Stiftung 237, 281
Clinton, Bill 22, 29, 32, 36, 39, 88, 95, 97f., 102, 126, 129, 132, 146, 176,
178, 191, 197, 248, 261, 265
Clinton, Chelsea 102, 129
Coe, Douglas 70f.
Cohen, Stephen 223, 241, 279
Cohen, Williams 84
Connors, Brenda 185
Costa Rica 20–22
Darfur 85
Davis, Lanny 22
Del Ponte, Carla 140
Demokratische Republik Kongo 90f.
Deutschland 7, 11, 16, 32, 49, 60, 65, 81, 126–127, 143, 175f., 178, 205f.,
208, 214–219, 245f., 259f., 262, 268, 270, 276, 278f., 281
276
Dinkins, David 74
DioGuardi, Joseph (Joe) 77
Doherty, Glen 170f.
Dole, Bob 77
Donbass 198, 209, 218, 224f.
Donezk 198, 214, 219
Drake, Thomas 52
Dschalil, Mustafa Abd al- 154
Dschibril, Mahmud 154, 159
Dubai 150, 221
Ecuador 17, 23
Eisenhower, Dwight D. 29
Elisabeth I. 16
Europäische Union 45, 49, 140, 152, 215–217
FBI 52, 242, 281
Feltman, Jeffrey 206, 220
Forte, Maximilian 172
Frank, Dana 23–25
Frankreich 9, 49, 60, 63, 121f., 127, 154, 160, 162, 194, 208, 216, 226,
245, 253, 269, 280
Freeman, Chas 241
Freeman, Derek 64, 250
Fuerth, Leon 80
Gaddafi, Muammar 7–9, 144f., 148–170, 172f., 206, 266–270
Gaddafi, Mutassim 169
Gaddafi, Saif al-Arab 167
Gaddafi, Saif al-Islam 151f., 165, 267
Gates, Robert 160, 205, 267, 269, 276
Georgien 110, 186, 229
Gershman, Carl 156, 199, 275
Goldberg, Jeffrey 147, 266
Goldwater, Barry 13
277
Gorbatschow, Michail 31, 125, 233
Gore, Al 80
Greenwood, Phoebe 50, 249
Griechenland 138, 143
Großbritannien 57, 87, 94, 127, 148, 162, 183, 194, 245, 269, 278
Guatemala 19, 23, 265, 267
Habyarimana, Juvénal 87, 253
Haliti, Xhavit 137, 264
Ham, Carter 165
Haradinaj, Ramush 139
Hedges, Chris 137, 257, 265
Hernández, Juan Orlando 24
Hitler, Adolf 11, 46, 60, 119, 127, 132, 144, 212, 214, 245
Hoenlein, Malcolm 41
Holbrooke, Richard 79, 111, 255
Hollande, François 122, 226, 259
Honduras 16–26, 246f.
Hoover, J. Edgar 67
Horowitz, Jason 40, 248
Huntington, Samuel 200
Hussein, Saddam 36, 72, 76, 144, 162, 190f.
Idris, König von Libyen 148f., 153
Indien 15, 162, 220, 254, 268
Irak 29, 34–36, 38, 43, 74, 76–78, 104, 125, 161f., 166, 187, 190f., 195,
221, 227f., 233, 245, 269, 282
Iran 15, 64, 77f., 96, 150 161, 180, 182, 184, 186, 188f., 221, 248, 266,
272
ISIS 266, 270, 274, 279
Israel 34–37, 39–43, 74f., 78, 91, 111, 154, 156, 171, 188–191, 206, 240,
248f., 272–274, 281
Italien 49, 140, 148, 216, 231, 278
Izetbegović, Alija 80–83, 107, 128, 260
Jackson, Henry 34
Jackson, Jesse 74
278
Jalta 197
Janukowitsch, Viktor 197–199, 202–204, 208 f., 230
Jaresko, Natalja 229,
Jarosch, Dmytro 209, 276
Jazenjuk, Arsenij 206, 209, 276
Jelzin, Boris 67, 119, 127, 176 f.
Jugoslawien 79–81, 83 f., 92 f., 96, 98 f., 102, 110, 125 f., 129, 131 f.,
134–136, 139, 143, 145, 172, 176, 188, 225, 248, 251 f., 259 f., 262,
264, 281
Juschtschenko, Viktor 202 f.
Kadeer, Rebiya 94, 252
Kagame, Paul 88–91, 97, 253
Kagan, Robert 37, 43, 205,
Kambodscha 93, 107, 141, 246, 254
Kanada 68, 75, 203, 269
Kasachstan 225
Katar 156 f., 161, 168, 237, 273
Katchanovski, Ivan 209 f., 277
Katharina II. 15
Kelley, Craig 21
Kennan, George 13, 246, 271
Kerry, John 194, 213, 274, 278
KGB 176, 182
Khomeini, Ayatollah Ruhollah 162
Kiew 43, 121, 198, 201, 204, 207–212, 214, 218 f., 223–225, 229 f., 265,
274 f., 277
King, Larry 103
King, Martin Luther Jr. 157
Kirkpatrick, Jeane 95, 254
Kirsch, Ina 210, 230, 274, 277
Kissinger, Henry 102, 254, 271
Klitschko, Vitali 205
Korbel, Joseph 98
Kosovo 74, 93, 99–105, 107, 125, 131–147, 176, 213, 233, 249, 252, 255
f., 260–264, 277
Kouchner, Bernard 137, 141, 264
279
Krawtschuk, Leonid 201
Krim 197, 199, 201, 211–214, 218, 257, 270, 278
Kristol, William 43, 248
Kroatien 77, 82, 107, 126–128, 225, 252, 257, 259 f.
Kuba 17–19, 21, 23, 78, 246
Kubic, Charles 165
Kutschma, Leonid 201
Kucinich, Dennis 165 f., 232, 241, 281
Kwitaschwili, Alexander 229
Kuwait 237
La Madeleine 121
Lawrow, Sergej 182, 215, 237, 278, 280
Lévy, Bernard-Henri 81, 154, 161, 204, 207, 267 f.
Lewinsky, Monica 22, 29, 260
Libyen 147–173, 187, 191, 195, 225, 233, 245, 265–267, 269
Litauen 200, 229
Llorens, Hugo 19 f.
Lobo Sosa, Porfirio 23
Luhansk 214
Luxemburg 49
Madonna 114, 258
Malaysia 219, 221–223, 225, 279 f.
Mali 172, 195
Mandela, Nelson 149
Manning, Bradley/Chelsea 51, 112, 114,
Marokko 132
Martinelli, Giovanni 167
Marty, Dick 141, 264
Mazedonien 102, 136, 143, 260
Mbeki, Thabo 164, 269
McCain, John 74, 181, 204 f., 207, 227, 229, 231
McCarthy, Joseph 67
McCartney, Paul 114, 258
McKinney, Cynthia 91, 242, 270, 281
Mead, Margaret 64, 250
280
Mearsheimer, John 241
Medwedjew, Dmitri 182 f.
Merkel, Angela 16, 51, 205, 219, 276, 279
Milosević, Slobodan 249, 256
Mirzakhani, Maryam 15
Mitterrand, François 99
Modi, Narendra 220, 271, 280
Montenegro 99, 143, 261
Monti, Mario 197
Muller, Mike 160
Murdoch, James 237
Mursi, Mohammed 72
Muslimbrüder 76, 154
Nasser, Gamel 148 f.
NATO 34, 36, 49 f., 79, 81, 83, 89, 98–100, 102–104, 111, 126, 131 f.,
134–138, 140, 146, 150, 159 f., 164–168, 172, 175 f., 178, 180, 186
f., 199, 201, 206 f., 211 f., 214–216, 218, 222, 225, 245, 252, 255 f.,
259, 261–264, 266, 269–271, 278
Negroponte, John 21
Niebuhr, Reinhold 70
Netanyahu, Benjamin 42, 249
Neuer, Hillel 156
Nicaragua 17, 19, 23, 158, 205, 265
Niederlande 49, 122, 150, 222 f., 266
Nitze, Paul 217 f., 30
Nossel, Suzanne 109–112, 116, 120, 246, 257 f.
Ntaryamira, Cyprien 87
Nuland, Victoria 43, 105, 163, 205–207, 226 f., 280
Nye, Joseph 109, 246
O’Neill, James 223, 279
OAS 17 f.
OAU 149
Oberg, Jan 99
Oman 169
OPCW 274
Orescharski, Plamen 231
281
OSZE 99 f., 102
Paet, Urmas 209
Pakistan 15, 72, 82, 162
Palästina 41, 161, 190, 206
Palin, Sarah 130
Pandith, Farah 73, 251
Parubij, Andrij 207, 210, 277, 276
Paul, Ron 232, 241, 280 f.
Peres, Schimon 197
Perle, Richard 190, 248, 273
Persischer Golf 143, 150, 156, 161, 163, 221, 248
Petraeus, David 191, 197, 273
Pintschuk, Wiktor 197, 237
PLO 149
Polen 176, 188, 197, 200 f., 208, 216
Polk, William R. 282
Poroschenko, Petro 197, 215, 219, 225, 229, 265
Portugal 231
Powell, Colin 104, 249 f., 256
Power, Samantha 92, 98, 105 f., 108 f., 160, 253–255, 257
Putin, Wladimir 7 f., 53, 65 f., 113–122, 144, 175–185, 187 f., 193, 195 f.,
198 f., 201, 203 f., 207, 212–214, 218, 220–222, 224 f., 226–228,
230, 233, 234 f., 239, 258 f., 271 f., 274, 276–280
Pyatt, Geoffrey 205 f.
Reagan, Ronald 57, 95, 125, 205, 240
Rice, Susan 105 f., 109, 159 f., 192, 204, 257
Richardson, Bill 198
Ries, Marcie 231
Roberts, Paul Craig 240, 281
Roosevelt, Franklin D. 197, 217
Rose, Charlie 219, 279
Rousseff, Dilma 220
Rowley, Coleen 242, 257, 281
Rozoff, Rick 187
Ruanda 87–92, 94, 252–254
282
Ruandische Patriotische Front 97
Rugova, Ibrahim 101, 137, 145
Rumänien 138
Rumsfeld, Donald 37, 162
Russland 8, 34 f., 37, 53, 60, 65–67, 81, 84, 86, 94, 115–122, 127 f., 130,
143 f., 159 f., 162, 175–178, 180–221, 223–231, 233–235, 250, 258,
270–272, 275, 278 f., 280 f.
Saakaschwili, Michail 229
Saban, Haim 39 f., 237
Samuzewitsch, Yekaterina 114
Santorum, Rick 71
Sarajevo 81, 260
Sarkozy, Nicolas 151 f.
Sarkozy, Cecilia 152
Saudi-Arabien 64, 66, 72, 75, 82, 163, 189, 237, 250
Schalit, Gilad 169
Scharanski, Anatoly 248
Scheffer, David 80, 251
Scheffer, Jaap De Hoop 180
Schottland 150, 245
Schröder, Gerhard 197
Schweden 99, 186, 197
Schweiz 137, 140, 150, 158, 268
Serbien 34 f., 77, 80 f., 93, 98–100, 103, 105, 107 f., 113, 126 f., 134 f.,
138–146, 213 f., 225, 252, 255, 260 f., 263, 265
Sewastopol 199, 211–213
Shakespeare, William 173
Shannon, Tom 21
Sharp, Gene 113, 145
Sheehy, Gail 131, 245, 260
Schewtschenko, Inna 121 f.
Sikorski, Radosław 197, 208
Slowakei 138
Slowenien 126, 259
Snowden, Edward 50 f., 249
Soros, George 49, 107, 210, 217 f., 225, 237, 279
283
Sotschi 65–67, 115, 233
Spanien 22 f., 81, 138
Srebrenica 82 f., 93, 108, 263
Sri Lanka 15
Stahl, Lesley 104
Stalin, Josef 30, 116, 119, 197, 275
Stevens, Christopher 170–172, 204, 266, 270
Strauss-Kahn, Dominique, 197
Südafrika 96, 164, 220
Sudan 29, 106, 110, 233, 265
Südossetien 229
Summers, Lawrence 197
Sunden, Jed 122
Swoboda 122, 207–209, 276
Syla, Azem 137
Syrien 7–10, 76, 86, 94, 96, 117 f., 120, 160, 170, 191–197, 206, 227,
251, 266, 269, 273 f.
Tarhouni, Ali 159
Taylor, William 224
Teil, Julien 158
Thaçi, Hashim 101 f., 137 f., 145, 256, 264
Thatcher, Margaret 16, 57, 95
Tillich, Paul 70, Tolokonnikowa, Nadeschda 114, 120
Truman, Harry S. 29, 190
Tschechische Republik 172
Tunesien 132, 147, 153
UdSSR (Sowjetunion) 13, 30–32, 37, 66, 81, 95, 122, 125 f., 143, 176 f.,
184 f., 189, 200–206, 212, 215–218, 230 f., 235, 271, 275, 278
Uganda 87, 89, 91, 253
Ukraine 14, 43, 49, 65, 78, 86, 96, 110, 116, 120–122, 144, 147, 186, 188,
197–235, 248, 257, 259, 265, 270, 272, 275–277, 279, 280 f.
UN (Vereinte Nationen) 24, 36, 65, 74, 80, 87, 89, 95, 98, 100, 104, 117,
134, 137, 145, 148, 159, 164, 206, 213, 227, 242, 249, 256
Ungarn 126, 143, 176
Ustascha 77, 127, 257
284
Vanik, Charles 34
Venezuela 17, 19–21, 23, 164
Vereinigte Arabische Emirate 156, 237
Villepin, Domenique de 234
Walker, William 100, 102, 255
Walt, Stephen 241, 281
Weiner, Anthony 74 f., 251
Williamson, John C. 141 f.
Wise, Jeff 225, 280
Wolfowitz, Paul 34, 36, 248, 273
Wolfson, Howard 130
Woods, Tyrone 170 f.
Xi Jinping 220
Zelaya, Manuel 16, 18–24, 26
Zguladze, Ekaterina 229
Zoellick, Robert 197
Zuma, Jacob 164, 220
Zypern 138
285
Inhaltsverzeichnis
Titel
Urheberrecht
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Einführung
1 Der Ritt auf dem Tiger: Hillary Clinton und der
Militärisch-Industrielle Komplex
2 »Multikulturalismus« ä la Hillary: unsere einzigartigen
»Werte« und »Interessen«
3 Die Zähmung durch die Widerspenstigen
4 Der Beginn des clintonschen Kriegszyklus
5 Libyen: Hillarys eigener Krieg
6 Russland verstehen? Nein, danke!
7 Die Kriegspartei
Anmerkungen
Namens- und Ortsregister
286
3
4
5
7
12
25
41
87
114
135
160
216
223
274
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