1012 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM Eine onkologische Notfallsituation Maligne Hyperkalzämie Dr. med. Catharina Balmelli a , Dr. med. Silvia Hofer b , Dr. med. Katrin Conen a a Medizinische Onkologie, Universitätsspital Basel; b Medizische Onkologie, Luzerner Kantonsspital Eine maligne Hyperkalzämie kann bei allen Tumorentitäten auftreten und wird mit einer Inzidenz von 10–30% angegeben. Die klinischen Symptome sind in der Regel unspezifisch und infolge von Multimorbidität im Kontext der Krebsdiagnose nicht immer einfach zuzuordnen. Auch wenn heutzutage wegen des frühen Einsatzes von antiresorptiven Therapien bei Knochenmetastasen die Inzidenz vermutlich gesunken ist, bleibt die maligne Hyperkalzämie eine onkologische Notfallsituation. Einführung Die maligne Hyperkalzämie wurde erstmals 1921 beschrieben und ist definiert durch eine erhöhte Kalziumkonzentration im Serum bei gleichzeitigem Vorliegen eines Malignoms. Sie wird mit einer Inzidenz von ca. 10–30% beschrieben und stellt damit eine der häufigsten tumorinduzierten Stoffwechselkomplikationen dar [1, 2]. Während vor wenigen Jahren die Inzidenz der tumorassoziierten Hyperkalzämie noch höher war, wird heute von einer deutlich gesunkenen Inzidenz ausgegangen [2–4]. Dies ist vor allem auf den frühzeitigen Einsatz von Bisphosphonaten beziehungsweise Denosumab bei Nachweis von Knochenmetastasen zurückzuführen. Internationale Richtlinien publiziert von der Amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie (ASCO) [5] und der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) [6] empfehlen den Beginn einer antiresorptiven Therapie, sobald Knochenmetastasen gefunden werden, mit dem Ziel, die Inzidenz sogenannter skelettabhängiger Ereignisse («skeletal-related events», SREs), die in Zulassungsstudien antiresorptiver Medikamente als Endpunkt sub- Catharina Balmelli sumiert werden, zu senken. Eine Ausnahme bildet onkologisches Notfallereignis zu betrachten, das bei das hormonsensitive Prostatakarzinom, wo ein früher fehlender Behandlung lebensbedrohlich ist. Eine mali- Einsatz von antiresorptiven Medikamenten keinen gne Hyperkalzämie kann grundsätzlich bei allen Tumor- Vorteil bringt. Unter den Begriff der SREs fallen patho- erkrankungen auftreten [2, 3]. Die häufigsten zugrunde logische Frakturen, spinale Kompression, der Bedarf liegenden Tumorerkrankungen sind in Tabelle 1 aufge- einer Radiotherapie oder Operation am Knochen und führt. eben die maligne Hyperkalzämie. In diesem Kontext Der Nachweis einer malignen Hyperkalzämie bei Kar- wird die Inzidenz der malignen Hyperkalzämie mit ca. zinompatienten ist prognostisch ungünstig. Eine ältere 10% beschrieben [7, 8]. Auch wenn somit von einer ge- Studie zeigt, dass ca. 50% dieser Patienten innerhalb nerellen Reduktion der Inzidenz maligner Hyperkalz- von 30 Tagen verstarben [9]. Die Patienten erleiden ämien ausgegangen werden kann, sind hyperkalzämi- progressive mentale Veränderungen bis hin zum Koma sche Entgleisungen weiterhin präsent und als ein sowie ein Nierenversagen. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(47):1012–1018 1013 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM Tabelle 1: Tumorerkrankung und Häufigkeit des Auftretens einer malignen Hyperkalzämie. Tumorerkrankung Häufigkeit in % Lungentumoren 25 Mammakarzinom 20 Multiples Myelom 10 Kopf-Hals-Tumoren 8 Tumoren des Urogenitaltraktes 8 Ösophaguskarzinom 6 Gynäkologische Tumoren 5 Lymphome 4–5 3. Schliesslich wird eine maligne Hyperkalzämie auch durch eine Mehrsekretion von 1,25-Dihydroxycholecalciferol, auch 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D genannt, induziert. Es ist die biologisch aktive Form von Vitamin D im Körper. Dieses wird vor allem bei Patienten mit einem Lymphom beobachtet. Ähnlich wie bei der Sarkoidose liegt hier eine erhöhte extrarenale Bildung von 1,25-Dihydroxycholecalciferol vor. Die Hyperkalzämie entsteht als Folge einer erhöhten intestinalen Kalziumabsorption sowie einer erhöhten Knochenresorption (Osteoklastenaktivierung) [2, 4]. Therapeutisch hat dies Konsequenzen, da diese Form der Hyperkalzämie auf die Gabe von Glukokortikoiden gut anspricht (s. Therapie). Pathogenese 4. In sehr seltenen Fällen entsteht die Hyperkalzämie Die Ursache für die maligne Hyperkalzämie ist multi- durch eine ektope Bildung von echtem PTH durch faktoriell. Es werden vier Typen unterschieden. Tumorzellen. In der Literatur finden sich Einzellfall- 1. Am häufigsten (80%) tritt eine paraneoplastische berichte diverser Tumorerkrankungen ohne Häu- Bildung von sogenanntem Parathormon-related fung bei einer speziellen Malignomart [10, 11]. Peptid (PTHrP) auf [1]. Man bezeichnet diesen Typ der malignen Hyperkalzämie daher als humorale maligne Hyperkalzämie. PTHrP wird von den Tu- Symptome morzellen sezerniert und besitzt eine dem PTH Die Organsymptome, die auftreten können, sind in ähnliche Struktur. Es bindet an einen gemeinsamen Tabelle 2 dargestellt und unterscheiden sich wenig von Rezeptor und führt zu dessen Aktivierung. Daher denen eines primären Hyperparathyreoidismus. Die sind die laborchemischen wie auch klinischen Ver- meisten Symptome sind unspezifisch und im Gesamt- änderungen weitestgehend vergleichbar mit dem kontext einer komplexen fortgeschrittenen Krebser- primären Hyperparathyreoidismus. Die Hyper- krankung nicht immer einfach zu beurteilen. Die Pa- kalzämie wird hierbei durch die PTH-ähnlichen Wir- tienten schildern Müdigkeit, Durst, Polyurie, Übelkeit, kungen auf den Knochen (erhöhte Knochenresorp- Erbrechen, diffuse Bauchschmerzen und Obstipation, tion) und die Nieren (erhöhte Kalziumretention) aber auch Bewusstseinstrübungen und Desorientiert- verursacht. Insbesondere bei Plattenepithel- und heit. Im schlimmsten Fall stellen sich Koma und/oder Nierenzellkarzinomen entsteht die Hyperkalzämie akutes Nierenversagen ein. Erste Symptome treten in über diese humorale Wirkung, und zwar auch ohne der Regel ab Serumkalziumwerten >2,7 mmol/l auf, Vorliegen von Knochenmetastasen. schwere Symptome ab Werten >3,5 mmol/l. Ein solcher 2. Ein weiterer Grund für das Entstehen einer Hyper- Zustand wird auch als hyperkalzämische Krise be- kalzämie sind osteolytische Metastasen des Kno- zeichnet und stellt einen akut lebensbedrohlichen chens. Ursache des erhöhten Kalziumabbaus aus Zustand dar. dem Knochen ist eine Mehrsekretion von knochen- Es wurde beschrieben, dass vor allem die neurologi- abbauenden Zytokinen, insbesondere Interleukin 1, schen und renalen Symptome mit steigendem Kal- Tumornekrosefaktor (TNF), Interleukin 6 und «trans- ziumwert korrelieren. Der Schweregrad der Symptome forming growth factor» (TGF). Voraussetzung sind ist aber auch abhängig vom Zeitverlauf (rascher Anstieg multiple Knochenläsionen, typischerweise bei Mam- versus langsamer Anstieg über Wochen), Alter (früh- makarzinomen, Myelomen und Lymphomen [2, 4]. zeitige Verschlechterung von neurologischen Sympto- Tabelle 2: Organsymptome der malignen Hyperkalzämie. Gastrointestinale Symptome Inappetenz, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Bauchschmerzen, Pankreatitis, peptische Ulzera Renale Symptome Polyurie, Polydipsie, Nykturie, Exsikkose Kardiale Symptome Arrhythmien, QT-Verkürzung im EKG, arterielle Hypertonie Neurologische Symptome Müdigkeit, Adynamie, Muskelschwäche, Hyporeflexie, Verwirrtheit, Verhaltensstörung, Depression, Bewusstseinstrübung, Koma SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(47):1012–1018 1014 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM men bei milder Hyperkalzämie bei vorbestehenden PTH suggeriert eine humorale maligne Hyperkalzämie. neurokognitiven Einschränkungen bei älteren Patien- Osteolyseassoziierte Hyperkalzämien zeigen in der Re- ten) und Komedikation (begleitende Einnahme von Se- gel niedrige PTH-, nicht nachweisbare PTHrP- und supprimierte Viatmin-D-Spiegel. Hingegen spricht ein er- dativa, Neuroleptika) [2, 4]. höhtes Vitamin D mit niedrigem PTH und nicht nachweisbarem PTHrP für eine ektope Vitamin-D-Bil- Diagnostik dung. Zusätzlich zur Labordiagnostik gehört ein EKG Zur Diagnostik gehört neben Anamnese (Medika- zum Ausschluss einer QT-Zeit-Verkürzung, eines AV- mente [insbesondere Thiazide, Vitamin D, Calcitriol Blocks 1. Grades und von Arrhythmien. Gegebenenfalls und Lithium], granulomatöse Erkrankungen, 1° Hyper- sollte eine Bilddiagnostik zum Nachweis von Knochen- parathyreoidismus resp. 3° bei chronischer Nierenin- läsionen erfolgen (konventionelles Röntgen, Compu- suffzienz, Hyperthyreose, Nebennierenrindeninsuffi- ter- und/oder Magnetresonanztomographie). zienz) und körperlicher Untersuchung, die Messung Eine wichtige differentialdiagnostische Besonderheit des Kalziums, gegebenenfalls auch des ionisierten Kal- ist das gleichzeitige Vorliegen eines Hyperparathyreoi- ziums. Ergänzend wird eine venöse Blutgasanalyse dismus zusammen mit einer malignen Hyperkalzämie, und die Messung von Phosphat, Kalium, Magnesium die bei ca. 10% aller Patienten mit maligner Hyperkalz- und Kreatinin empfohlen. Zur Differentialdiagnose ämie auftritt und durch ein unpassend hohes PTH der malignen Hyperkalzämie sollten PTH, PTHrP und auffällt. Diese Patienten zeigen in der Regel eine chro- Vitamin D (1,25(OH)2 D3) nach dem in Abbildung 1 vor- nische und milde Hyperkalzämie, die im Verlauf akut geschlagenen Algorithmus bestimmt werden. Ein er- symptomatisch werden kann, was auf eine malignom- höhter PTHrP-Spiegel mit einem niedrig-normalen assoziierte Hyperkalzämie hindeutet [12]. Hyperkalzämie Ca ≥2,6 mmol/l Milde-moderate Hyperkalzämie Ca ≥2,6–3,4 mmol/l Schwere Hyperkalzämie Ca ≥3,5 mmol/l Ggf. erneute Bestimmung von ionisiertem Ca bei Unklarheit umgehend Bestätigte Hyperkalzämie: PTH und PTHrP parallel Bestimmung von PTH, PTHrP, Vitamin D und skelettale Metastasensuche Wenn PTH und PTHrP normal bzw. nicht nachweisbar, Vitamin-DBestimmung und/oder skelettale Metastasensuche Therapiebeginn Abbildung 1: Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf maligne Hyperkalzämie. Abkürzungen: Ca = Kalzium, PTH = Parathormon, PTHrP = Parathormon-related Peptid. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(47):1012–1018 1015 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM Therapeutische Überlegungen Grundsätzlich muss dem behandelnden Arzt bewusst sein, dass die alleinige antihyperkalzämische Therapie nur einen kurzfristigen Effekt hat und das Überleben des Tumorpatienten nicht beeinflusst. Daher sollte die Bei milden Hyperkalzämien sollten baldmöglichst eine tumorspezifische Therapie sowie supportive Massnahmen eingeleitet werden. Bei moderaten und schweren Hyperkalzämien sind zusätzliche antiresorptive Therapiestrategien angezeigt (siehe unten). tumorspezifische Therapie immer zuerst geprüft und nach Möglichkeit umgehend eingeleitet werden. Gibt es realistische Chancen, ein Tumorleiden prognostisch Therapiestrategien im Detail zu beeinflussen, ist die antihyperkalzämische Therapie Die optimale Therapie einer malignen Hyperkalzämie zur kurzfristigen Kontrolle der Situation bis zum Wirk- basiert auf verschiedenen Behandlungspfeilern und beginn der tumorspezifischen Therapie von grossem wird im Folgenden erläutert. Eine Zusammenfassung Wert. Bestehen keine solche Chancen mehr, ist das Vor- ist in Tabelle 3 dargestellt. enthalten oder Sistieren einer einmal begonnenen antihyperkalzämischen Therapie ein angebrachter und Tumorspezifische Therapie humaner Weg, der zum Koma oder Tod führen kann. Primär sollte der baldmöglichste Beginn einer tumor- Gerade im Kontext der heutigen, oben genannten spezifischen Therapie geplant werden. frühzeitigen Therapie mit Antiresorptiva bei Knochenmetastasen sollte man das «Weglassen» dieser Behand- Supportive Massnahmen lung in einer terminalen Tumorsituation immer wie- Die gezielte antihyperkalzämische Behandlung sollte der gezielt evaluieren. zunächst mit supportiven Massnahmen beginnen. Bei Grundsätzlich wird zwischen drei Schweregraden der der Evaluation von Begleitmedikamenten müssen Hyperkalzämie unterschieden [3]: gezielt Kalzium induzierende Stoffe wie Kalziumsup- – mild: Kalzium: 2,6–2,9 mmol/l; plemente, Lithium, Vitamin D und Thiaziddiuretika – moderat: Kalzium 3,0–3,4 mmol/l; gestoppt werden. Wird der Patient parenteral ernährt, – schwer: Kalzium >3,5 mmol/l. sollte eine kalziumfreie parenterale Ernährung begon- Tabelle 3: Therapieansätze der malignen Hyperkalzämie (modifiziert nach [2]). Intervention Dosis Hydratation oder Calciuresis Volumensubstitution NaCl 0,9% i.v. 200–500 ml/Stunde abhängig vom kardiovaskulären und renalen Status des Patienten Furosemid 20–40 mg i.v., nach Rehydratation Phosphatrepletion PO4 per oral Bei Serum PO4 <0,97 mmol/l Erstlinienmedikamente Intravenös Bisphosphonate – Pamidronat 60–90 mg i.v. alle 3–4 Wochen oder: – Zoledronat 4 mg iv alle 3–4 Wochen Denosumab 120 mg s.c. 1×/Woche für 4 Wochen, dann monatlich (keine Zulassung in der Schweiz) Zweitlinienmedikamente Glukokortikoide Prednison 60 mg/Tag p.o. über 10 Tage Calcitonin 4 IU/kg KG s.c. 12-stündlich Supportive Ansätze Stopp einer exogenen Kalziumzufuhr Stopp Sedativa Hämodialyse Bei schwerer Niereninsuffizienz und/oder schwerer Herzinsuffzienz Tumorspezifisch Gezielte tumorspezifische Behandlung zur Kontrolle des Grundleidens so schnell als möglich beginnen Therapieverzicht Diskutieren bei terminalen Tumorpatienten ohne Option für Therapie des Grundleidens SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(47):1012–1018 1016 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM nen werden. Bei Anwendung von Sedativa und Analge- über eine Blockade der osteoklastenvermittelten Kno- tika mit sedativer Wirkung sollte eine Umstellung auf chenresorption [15]. weniger sedativ wirkende Medikamente geprüft werden, Wegen ihrer hohen Potenz sind Pamidronat und Zole- um den mentalen Zustand des Patienten zu stabilisieren. dronat die beiden Bisphosphonate der Wahl [16]. Zole- Da eine Hypophosphatämie eine häufige Begleiterscheinung der malignen Hyperkalzämie ist und diese weiter verschlechtern kann, sollte der Phosphatspiegel regelmässig gemessen und zwischen 0,98–1,0 mmol/l gehalten werden (perorale Phos- Die gezielte antiresorptive Therapie mit Bisphosphonaten hat den grössten, in Studien belegten therapeutischen Nutzen bei maligner Hyperkalzämie. phatsubstitution zum Beispiel mit Phoscap® Kapseln dronat hat den Vorteil einer kürzeren Infusionsdauer mit einem Phosphatgehalt von 288 mg = 3 mmol anorga- (15 min versus 2 Stunden). Hingegen ist Pamidronat nisches Phosphat pro Kapsel). kostengünstiger, obwohl verschiedene generische Formen von Zoledronat mittlerweile im Handel sind (ca. Volumensubstitution CHF 90 versus CHF 150). Wirksamkeit wurde auch für Ein weiterer therapeutischer Pfeiler in der antihyper- Ibandronat und Clodronat beschrieben [9, 17, 18]. Letz- kalzämischen Therapiestrategie ist die Volumensubsti- tere haben in der Schweiz jedoch nur eine limitierte tution, da die Hyperkalzämie durch einen renalen Was- Zulassung (nicht für die maligne Hyperkalzämie). ser konzentrierenden Effekt (nephrogener Diabetes Die Bisphosphonattherapie sollte schnellst möglichst insipidus) eine Dehydratation verursacht. Daher sollte eingesetzt werden. Die Wirkung ist erst nach zwei bis normal konzentrierte Kochsalzlösung (NaCl 0,9%) pa- vier Tagen zu erwarten. In der Regel tritt der Nadir des renteral zugeführt werden. Ziel ist, die glomeruläre Fil- Klaziumspiegels fünf bis sieben Tage nach verabreichter trationsrate zu steigern und damit die renale Exkretion Therapie ein [19] und steigt nach einer bis drei Wochen von Kalzium im Glomerulum zu fördern sowie die Kal- erneut an. Der mediane Kalziumnadir gemessen bei ziumrückresorption im proximalen Nephron zu inhi- Zoledronat- und Pamidronat-Therapien lag bei 2,4, bzw. bieren (kalziuretischer Effekt von Kochsalz). Ein übli- 2,6 mmol/l und ist somit nicht herausragend. Die The- ches Hydrierungsschema umfasst die intravenöse Gabe rapie sollte alle 3–4 Wochen wiederholt werden. von 200–500 ml NaCl 0,9%/Stunde bei fehlenden Kon- Ein Problem stellen Patienten mit einer Niereninsuffi- traindikationen. Bei schweren malignen Hyperkalz- zienz dar, die sich wie oben beschrieben häufig bei Hy- ämien mit deutlicher Dehydratation und fehlenden Ko- perkalzämien einstellt. Bisphosphonate sollten bei ei- morbiditäten können zwischen 4–6 l 0,9% NaCl-Infusion ner eingeschränkten Nierenfunktion mit Vorsicht in den ersten 24 Stunden infundiert werden [13]. angewandt werden. Bei Patienten mit einer Kreatininclearance <30 ml/min wird laut Fachinformation eine Furosemid Behandlung mit Zoledronat nicht empfohlen. Die Kie- Nach dieser Stabilisierung der glomerulären Filtration ferostenekrose, eine mit 1% auftretende schwerwie- und des Volumenhaushaltes des Patienten ist der Ein- gende Komplikation der längerfristigen Bisphospho- satz vom Schleifendiuretikum Furosemid möglich, das nattherapie, ist vermutlich aufgrund der Kürze der seinerseits die renale Kalziumrückresorption in der Therapiedauer über wenige Monate unbedeutend. Henle'schen Schleife reduziert [14]. Furosemid sollte nur bei ausgeglichenem Volumenhaushalt des Patien- Denosumab ten angewendet werden, da eine weitere Dehydratation Eine neue Therapie zur Behandlung der malignen Hy- die Hyperkalzämie negativ beeinflusst. Thiaziddiuretika perkalzämie könnte Denosumab darstellen [20, 21]. Der sollten wegen ihres kalziumsparenden Effekts unbe- humane monoklonale Antikörper Denosumab wurde dingt vermieden werden. 2010 zur Behandlung von Osteoporose und zur Prävention von SREs bei soliden Tumoren und Knochenmetastasen zugelassen. In der Schweiz beinhaltet der Antiresorptive Therapie Zulassungstext eine Limitatio für oben genannte Er- Bisphosphonate krankungen, sodass Denosumab für die Behandlung Die gezielte antiresorptive Therapie mit Bisphospho- der malignen Hyperkalzämie formal nicht kassenzu- naten hat den grössten, in Studien belegten therapeu- lässig ist. tischen Nutzen bei maligner Hyperkalzämie. Da bei Denosumab ist ein Antikörper gegen RANKL («recep- peroraler Gabe nur eine geringe Menge absorbiert tor activator of nuclear factor-κB ligand»). Er inhibiert wird, ist die intravenöse Gabe zu bevorzugen. Bisphos- gezielt Reifung, Aktivierung und Funktion von Osteo- phonate entfalten ihre antihyperkalzämische Wirkung klasten. In den Zulassungsstudien, die Denosumab auf SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(47):1012–1018 1017 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM dessen Wirksamkeit in der Prävention von SREs versus getriggerten Konversion von 25-Hydroxyvitamin D Zoledronat verglichen, lag die maligne Hyperkalz- (Calcidiol) in die aktive Form 1,25-Dihydroxyvitamin D ämierate mit einer Inzidenz von 10% versus 6% bei (Calcitriol), womit die intestinale Kalziumresorption in- Zoledronat deutlich höher [22]. In Fallberichten zeigte hibiert wird. Trotz fehlender randomisierter Studien sich sogar ein antihyperkalzämischer Effekt bei malig- wird die Gabe von oralem Prednison 60 mg/Tag für ner Hyperkalzämie nach Versagen einer vorangegan- zehn Tage empfohlen. Die durchschnittliche Dauer bis genen Bisphosphonattherapie. In einer kürzlich publi- zum Ansprechen der Therapie liegt bei einer Woche. Zu zierten, prospektiven, kontrollierten Phase-II-Studie berücksichtigende relevante Nebenwirkungen sind zu- wurde 33 Patienten mit maligner Hyperkalzämie, die sätzliche Immunsuppression und Hyperglykämie. auf Bisphosphonate refraktär waren, Denosumab verabreicht [21]. Die Patienten erhielten 120 mg Deno- Hämodialyse sumab (Xgeva®) subkutan einmal pro Woche für vier Die Durchführung einer Hämodialyse bei maligner Wochen, gefolgt von monatlichen Injektionen. Es zeigte Hyperkalzämie gehörte zu den ersten gezielten anti- sich ein Abfall des Serumkalziums durchschnittlich hyperkalzämischen Massnahmen. Sie ist effektiv [28, 29], neun Tage nach Therapiebeginn. Die mediane An- jedoch seit dem Einsatz von Bisphosphonaten nur sprechdauer lag bei 104 Tagen. Unter Denosumab-The- noch bei selektionierten Patienten empfohlen, wenn rapie besteht ein ähnliches Risiko für Kieferosteonek- Tumorerkrankungen mit guter Prognose vorliegen, rose wie bei den Bisphosphonaten. Eine aus den aber ein akutes oder chronisches Nierenversagen zu- Zulassungsstudien bekannte und gefürchtete schwere grunde liegt. Ist bei diesen Patienten eine aggressive Hypokalzämie trat bei den 33 Patienten mit maligner Hydrierung nicht möglich und sind andere Therapien Hyperkalzämie unter Denosumab nicht auf. Zwei von wie etwa Bisphosphonate schwierig einzusetzen, kann 33 Patienten zeigten lediglich eine milde, nicht behand- die Dialyse ein effektiver, therapeutischer Ansatz sein. lungsbedürftige Hypokalzämie unter Denosumab. Da Denosumab nicht über die Nieren verstoffwechselt wird, wird es bei Patienten mit Niereninsuffizienz Fallbeispiel ohne Einschränkungen empfohlen. Dennoch muss bei Eine 54-jährige postmenopausale Patientin mit ausgedehnt metastasiertem Mammakarzinom präsentierte sich im August 2015 in unserer ambulanten onkologischen Sprechstunde. In der Vorgeschichte ab 2014 wurde ein gering differenziertes invasiv-lobuläres Mammakarzinom links pT2 pN1a (1/3) (sn) L1 V0 Pn1 R0 G3 diagnostiziert, die Hormonrezeptoren waren positiv, HER-2/neu negativ und Ki-67 betrug 30%. Nach der Mastektomie links erhielt die Patientin eine adjuvante Chemotherapie mit 4 Zyklen Doxorubicin und Cyclophosphamid, anschliessend Tamoxifen bei Unverträglichkeit gegenüber Letrozol. Ein Jahr später und unter adjuvanter antihormoneller Therapie mit Tamoxifen bestätigte sich histologisch ein Rezidiv des wenig differenzierten Mammakarzinoms in der Harnblasenhinterwand, bildgebend fanden sich auch ossäre Metastasen, sowie Metastasen retroperitoneal und mesorektal. Eine palliative Chemotherapie mit Paclitaxel wöchentlich 80 mg/m2 und eine antiresorptive Therapie mit Denosumab (Xgeva®) wurden eingeleitet. Nach 6 Gaben Pa- maligner Hyperkalzämie unseres Erachtens Vorsicht geboten sein und allenfalls eine Dosisreduktion erwogen werden, da das Risiko einer Hypokalzämie bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion bei gestörter Kalziumhomeostase erhöht ist [23]. Calcitonin Calcitonin hat den schnellsten kalziumsenkenden Effekt mit Ansprechraten innerhalb von 12–24 Stunden [24]. Dennoch sind die erreichten Effekte oft nur klein und von kurzer Dauer [25]. Calcitonin senkt das Serumkalzium durch Inhibition der Osteoklasten und über eine Verstärkung der Kalziumexkretion der Niere. Eine initiale Dosis von 4 IU/kg Körpergewicht wird subkutan oder intramuskulär injiziert und alle 12 Stunden wiederholt, bis ein kalziumsenkender Effekt gemessen werden kann. Bei Nichtansprechen kann die Dosis auf bis zu 8 IU/kg alle 6 Stunden kurzfristig gesteigert werden [26]. Calcitonin kann auch bei Niereninsuffizienz angewendet werden. Häufige Nebenwirkungen sind Nausea, Erbrechen, Flush und Schwindel. Glukokortikoide Glukokortikoide haben einen Stellenwert bei malignen Hyperkalzämien mit erhöhten 1,25-Dihydroxycholecalciferol-Werten, wie zum Beispiel bei Lymphomen [27]. Ihre Wirkung liegt in der Inhibition der 1-α-Hydroxylase- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(47):1012–1018 clitaxel wöchentlich kam es zu einem Tumorprogress. Die Chemotherapie wurde mit Carboplatin AUC2 wöchentlich zu Paclitaxel ergänzt und das Denosumab alle 4 Wochen weitergeführt. Innert weiterer 4 Wochen kam es zu einer akuten AZ-Verschlechterung mit Kopfschmerzen, Gangstörungen, Schwindel, zunehmender Müdigkeit und zunehmendem abdominalem Druckgefühl bei progredienter Hyperkalzämie (Albumin-korrigiertes Kalzium 3,54 mmol/l) sowie Aszites im Rahmen des Tumorprogresses. Es erfolgten notfallmässig die Aszitespunktion, Volumensubstitution und im Verlauf die forcierte Diurese mittels Furosemid. Trotz Zometa® 4 mg (Bisphosphonat) (insgesamt 2×) und Calcitonin-Gaben liess sich die Hyperkalzämie nicht beherrschen mit rasant steigenden Albumin-korrigierten Kalziumwerten bis über 4,3 mmol/l. Die Patientin zeigte sich zunehmend schläfrig und somnolent. Im Einvernehmen mit den Angehörigen wurde im Sinne der Patientin die Behandlung auf «best supportive care» umgestellt und die Patientin verstarb kurze Zeit später. 1018 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM Korrespondenz: Dr. med. C. Balmelli Universitätsspital Basel Zusammenfassung und Diskussion des Falles Petersgraben 4 Unser Fallbeispiel zeigt, dass sich eine maligne Hyper- CH-4031 Basel kalzämie mit unspezifischen Symptomen präsentieren catharina.balmellicattelan [at]usb.ch und trotz antiresorptiver Therapie bei ossären Metasta- sen in einem späten Krankheitsstadium manifestieren kann. In unserem Fall mit fortgeschrittenem Tumorleiden war die Hyperkalzämie nicht mehr kontrollierbar. Ausblick Die maligne Hyperkalzämie bleibt eine prognostisch ungünstige Komplikation einer Tumorerkrankung Das Wichtigste für die Praxis und kann lediglich durch die Kontrolle des Tumor- • Die Hyperkalzämie bei Malignomen tritt am häufigsten (80%) als Folge einer paraneoplastischen Bildung des Parathormon-related Peptids (PTHrP) auf. Die laborchemischen und klinischen Veränderungen sind weitgehend vergleichbar mit einem primären Hyperparathyreoidismus. Die Hyperkalzämie wird durch die Parathormon-ähnlichen Wirkungen auf den Knochen (erhöhte Knochenresorption) und die Nieren (erhöhte Kalziumretention) verursacht. Andere Ursachen sind osteolytische Metastasen, paraneoplastisch erhöhte extrarenale Bildung von 1,25-Dihydroxycholecalciferol und die ektope Bildung von echtem Parathormon durch Tumorzellen. • Symptome der malignen Hyperkalzämie sind unspezifisch und beinhalten Müdigkeit, Durst, Polyurie, Übelkeit, Erbrechen, diffuse Bauch- geschehens prognostisch beeinflusst werden. Da 80% aller malignen Hyperkalzämien durch die ektope Bildung von PTHrP ausgelöst werden, bleibt zukünftig die Entwicklung eines PTHrP-spezifischen Antikörpers von grossem Interesse. In einem murinen malignen Hyperkalzämie-Modell konnte mittels eines humanisierten antihumanen PTHrP-Antikörpers eine prompte und anhaltende Korrektur der Hyperkalzämie nachgewiesen werden [30]. Diese Daten zeigen, dass PTHrP ein vielversprechendes Ziel für die Weiterentwicklung neuer Modelle in der Behandlung der PTHrP-abhängigen maligen Hyperkalzämie darstellt. schmerzen und Obstipation, aber auch Bewusstseinstrübungen und Desorientiertheit. Im schlimmsten Fall stellen sich Koma und/oder akutes Nierenversagen ein. Erste Symptome treten in der Regel ab Serumkalziumwerten >2,7mmol/l auf, schwere Symptome ab Werten >3,5 mmol/l (auch als hyperkalzämische Krise bezeichnet). Ältere Patienten vor allem mit Komorbiditäten können bereits bei leicht erhöhten Kalziumwerten symptomatisch werden. • Die Therapie einer malignen Hyperkalzämie ist einerseits gegen den auslösenden Tumor gerichtet und andererseits kalziumsenkend (Weglassen von Kalziumquellen, Hydrierung, Furosemid, intravenöse Bisphosphonate, Calcitonin, Steroide). SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(47):1012–1018 Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Bildnachweis Schmuckbild S. 1012: © Andrianocz | Dreamstime.com Literatur Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch. LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix Literatur 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 SWISS MEDI CAL FO RUM (Hrsg.), S, Klinische Pathophysiologie. 9. Auflage, Georg Thieme Verlag Stuttgart, S. 306 ff. 2006. Stewart A.F. Clinical practice. 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