Gynäkologie 18 Hormonell aktive Eindringlinge Neue Aspekte zur Ätiologie und Pathogenese der Endometriose. Sie stellt durch die vielfältige Morphologie und diverse Beschwerdebilder eine schwer fassbare Entität dar. Von M.M. Wölfler, P. Klein, M. Zalewski, N. Maass Die Endometriose ist eine der häufigsten gutartigen gynäkologischen Erkrankungen und tritt hauptsächlich in der reproduktiven Lebensphase auf. Bei Frauen mit chronischen Unterbauchschmerzen beträgt die Prävalenz bis zu 80 Prozent, Frauen mit Fertilitätsstörungen sind zu etwa 30 Prozent von Endometriose betroffen. Symptome und Ausprägung der Erkrankung sind vielfältig, wodurch sich Diagnosestellung und Therapie häufig verzögern. Die Ätiologie und die Pathogenesemechanismen der Endometriose sind auch heute noch teilweise ungeklärt. nanztomografie) und teils vielversprechenden wissenschaftlichen Ansätzen zur Etablierung von Biomarkern für diese Erkrankung bis heute nur invasiv mittels Laparoskopie, idealerweise ergänzt durch histomorphologische Untersuchungen des Gewebes zur Diagnosesicherung, möglich. Eine Reihe von Theorien zur Ätiologie und Pathogenese wurde seit der Erstbeschreibung dieser Erkrankung vorgestellt. Einerseits gibt es umfangreiche Evidenz, dass Endometriose eine vom eutopen Endometrium ausgehende, also eine uterogene Erkrankung ist; andererseits gibt es Theorien und zum Teil Evidenz, dass Endometrioseläsionen auch aus anderen Geweben entstehen können: durch Metaplasie von Peritoneum oder Induktion von peritonealen Zellen zur Differenzierung zu endometriotischen Läsionen. Neuerdings muss auch die mögliche Entstehung von insbesondere extragenitalen Endometrioseläsionen aus (extra)uterinen Stammzellen berücksichtigt werden, welche die lymphovaskuläre Metastasierungstheorie der Entstehung von Endometrioseläsionen in extrauterinen Geweben, wie etwa dem Gehirn, zum Teil relativiert. Die Theorie der „Müllerianosis“, also einer Entstehung von Endometrioseläsionen aus embryonalen Residuen der Müller-Gänge, beschreibt die Entstehung von Endometriose aus diesen Zellen durch hormonelle Stimuli, wie physiologisch durch die zunehmende Hormonproduktion ab der Pubertät, beziehungsweise durch sog. endokrine Disruptoren mit östrogenähnlicher Wirkung auf den Organismus. Inwiefern diese Agenzien für Endometriose durch endokrine oder immunologische Dysregulation, Induktion von Stammzellen oder epigenetische Modifikationen prädis27. August 2015 Endokrine Disruptoren erhöhen die Prävalenz der Endometriose in epidemiologischen Studien. ponieren, ist ungeklärt. Epidemiologische Studien unterstreichen jedenfalls eine erhöhte Prävalenz von Endometriose nach DiethylstilbestrolExposition (selektiver Östrogenrezeptormodulator) in uteri sowie Exposition an endokrine Disruptoren wie unter anderem Dioxin, Phthalate, polychlorierte Biphenyle (PCB), Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) und Bisphenol A (BPA). Uterine Dysfunktion Das Endometrium ist ein hoch dynamisches Gewebe und zyklischen hormonellen Veränderungen unterworfen. Sofern keine Schwangerschaft entsteht, wird das Endometrium nach Proliferation und anschließender Sekretionsphase monatlich im Rahmen der Menstruation abgestoßen. Obwohl bei bis zu 90 Prozent aller Frauen neben der an- tegraden auch retrograde Menstruation beschrieben wurde, beträgt die Prävalenz von Endometriose nur etwa zehn Prozent. Der retrograde Transport von überlebensfähigen endometrialen Zellen in das Cavum peritonei ist höchstwahrscheinlich eine „conditio sine qua non“ für die Entstehung von Endometriose. Für die Etablierung der Erkrankung sind jedoch zusätzliche Faktoren, wie ein verändertes Potenzial der dislozierten endometrialen Zellen sowie eine verminderte Immunreaktion intraperitoneal erforderlich, damit Adhäsion, Invasion, Neurovaskularisation und Progression der Läsionen erfolgen können. Uterine Dysperistalsis und Hyperperistalsis Die Dislokation von basalen endometrialen Schichten durch uterine Dysperistalsis und Hyperperistalsis als Pathogenesefaktor in der Entstehung von Adenomyosis uteri und Endometriose wurde von Leyendecker et al. definiert und als TIAR („tissue injury and repair“)-Modell (siehe Abbildung) implementiert. Für das Verständnis der Pathogenese von Endometriose und Adenomyosis uteri ist die genaue Kenntnis der uterinen Architektur 2 und Funktion des Uterus – insbesondere des Endometriums und der subendometrialen Schicht des Myometriums (die gemeinsam die Archimetra bilden) von zentraler Bedeutung. Der nichtschwangere Uterus zeigt eine mechanische Aktivität, die periovulatorisch den gerichteten Spermientransport zum Ovar mit dem dominanten Follikel unterstützt und während der Menstruation den antegraden Transport des abgestoßenen Endometriums Richtung Vagina konzertiert. In der Lutealphase kommt die uterine Peristaltik durch den Einfluss von Progesteron zur Ruhe. Diese physiologischen Prozesse bringen eine mechanische Belastung und Beschädigung mit sich, die molekulare Reparaturme- chanismen erfordern, wie sie auch von anderen Geweben wie etwa dem kardiovaskulären System bekannt sind. Im Uterus können pathologische Prozesse wie die lokale Östrogenproduktion durch aberrante Expression von Aromatase im Endometrium zu einer vermehrten mechanischen Belastung durch Dys- und Hyperperistalsis führen und gesteigerte Anforderungen an diese Reparaturmechanismen darstellen – beziehungsweise die retrograde Menstruation verstärken. In der Lutealphase kann die persistierende Dysperistalsis die Implantation erschweren, was die oftmals reduzierte Fertilität bei Endometriosepatientinnen zum Teil erklären könnte. Im Endometrium sind außerdem epigenetisch abnorme Zellen für die Codierung von „pro survival“ Genen, wie „steroidogenic factor“ 1 und Östrogenrezeptor verantwortlich. Die vom eutopem Endometrium abstammenden ektopen Endometrioseläsionen zeigen eine Überexpression von diesen Faktoren, wodurch eine Kaskade von lokaler Östrogenund Prostaglandinbiosynthese aktiviert wird. Auf diese Weise verursachen sie lokale Inflammation und Apoptoseresistenz und führen damit Punkte Abkürzungen COX-2: PGE 2: P450arom: StAR: ER a: ER : Cyclooxygenase 2 Prostaglandin E 2 Aromatase „steroidogenic acute regulatory protein“ Östrogenrezeptor a Östrogenrezeptor © SENTELLO / fotolia.com Die standardisierte und sichere Diagnose von Endometriose ist trotz Weiterentwicklung der apparativen Diagnostik (Sonografie, Magnetreso- Gynäkologie zur Etablierung und Persistenz von Endometriose. Das intakte Mesothel des Peritoneums stellt eine protektive Barriere gegen Implantation von disseminierten endometrialen Gewebe dar. In-vitro-Studien zeigten, dass endometriale Fragmente hauptsächlich an freigelegter extrazellulärer Matrix nach Oberflächenschädigung implantieren. Außerdem wurden in der Peritonealflüssigkeit und im Peritoneum selbst veränderte Expression von proinflammatorischen Zytokinen (IL-6, TGF- , Matrixmetalloproteinasen [MMP-3] und Adhäsionsmolekülen [ICAM-1]) gezeigt, die ein fruchtbares Mikromilieu für die Implantation von endometrialen Zellen bieten und eine immunologische Dysfunktion im Sinne einer verminderten peritonealen Clearance begünstigen. Im Rahmen der retrograden Menstruation werden auch vermehrt potenziell toxische Hämolyseprodukte wie Hämoglobin, Häm und Eisen ins Cavum peritonei transportiert. Für die Entstehung von peritonealen Läsionen scheint die Akkumulation von Häm und Eisen bedeutsam zu sein, da dies oxidativen Stress sowie Inflammation an der peritonealen Oberfläche verursacht und durch die Freilegung der mesothelialen Basalmembran die Implantation von endometrialen Zellen fördert. Bei Patientinnen mit peritonealen Endometrioseläsionen ist nachweislich der Eisenmetabolismus in der Peritonealflüssigkeit und in den Makrophagen verändert. Hormonelle Dysregulation Während des gesamten Menstruationszyklus wird die Funktion des Endometriums durch den Einfluss von Östrogenen, insbesondere dem biologisch aktiven Östradiol (E 2) und Progesteron (P) reguliert und kontrolliert. Diese Hormone sind die Liganden für die zugehörigen intrazellulären Östrogenrezeptoren ER a und ER . Die für Progesteron prädominanten Isoformen PR-A und PR-B werden durch zwei verschiedene Promotoren von einem Gen transkribiert. Auf diese Weise werden im weiblichen Zyklus hunderte von Genen zu verschiedenen Zyklusphasen aktiviert und reguliert. nen sowohl das Wachstum als auch die Symptome der Endometriose gemindert werden. Ektope endometriale Zellen zeigen im Vergleich zum normalen eutopen Endometrium eine veränderte Östrogenrezeptordichte, vor allem ER wird vermehrt exprimiert. Im eutopen Endometrium hingegen ist ERa der dominante Rezeptor der östrogengesteuerten Aktivität. Die Ursache der ausgeprägten Expression des ER ist wahrscheinlich ein epigenetischer Defekt an einer Promoterregion des zuständigen Gens in Endometrioseläsionen. Hohe ER Konzentrationen in den Zellen führen zur Inhibition der Expression von ERa. ER ist in der Lage, einen relevanten Promoter des ERa-Gens zu verändern, sodass die ERa-Expression inhibiert wird und auf diese Weise eine atypische ERa-ER -Ratio entsteht. Progesteronresistenz Die veränderte ERa-ER -Ratio hat multiple Auswirkungen auf die betroffenen Zellen. Auch im Progesteronsystem führt dies zu einem Ungleichgewicht. Die beiden Progesteronrezeptoren PR-A und PR-B sind im Endometrium für die Regulation wichtiger Zielgene des ERa bedeutungsvoll. Als Folge des verhältnismäßig niedrigen Anteils an verfügbarem ERa wird trotz des hohen Anteils an E2 sekundär die PRA- und vor allem PR-B-Expression deutlich vermindert. Daher ist die zelluläre Antwort auf das verfügbare Progesteron in Endometrioseläsionen, trotz der hohen Progesteronkonzentration, signifikant reduziert. Insbesondere PR-B ist ein wichtiger Aktivator vieler progesteronabhängiger Zielgene. Die relative Progesteronresistenz führt zur verminderten Transkription entsprechender Zielgene, so ist beispielsweise die Dezidualisierung primär progesteronabhängig und verläuft durch Defekte der epithelialen Zellen in Endometrioseläsionen inadäquat. Eine Erhöhung der Expression der PR und damit eine Verminderung der Progesteronresistenz kann durch Veränderung der ERβ-ERβRatio beispielsweise durch die Gabe von Dienogest erzielt werden. Die erhöhte Expression von ER greift jedoch auch in andere, nichthormonelle Systeme ein. So wird Vermehrte retrograde Menstruation prädisponiert durch Schädigung der peritonealen Oberfläche für Endometrioseläsionen. durch die lokale Hyperöstrogenämie auch die Expression der Cyclooxygenase-2 (COX-2) und somit Inflammation induziert. Die hohen Mengen von COX-2 führen zudem zur deutlich erhöhten Produktion von Prostaglandin E2, was schmerzinduzierend wirkt. Aus diesem Grunde ist speziell die Therapie mit COX-Inhibitoren bei Patientinnen mit Endometriose zur analgetischen und antiphlogistischen Therapie geeignet. Über die Hemmung des inflammatorischen Prozesses und die Reduktion der Prostaglandinsynthese werden die endometriosetypischen Symptome deutlich verbessert. Auch Gestagene, insbesondere Dienogest, können durch Veränderung der ER Dichte die Expression von COX-2 hemmen. Immunologische Dysfunktion Untersuchungen der Peritonealflüssigkeit von Endometriosepatientinnen im Vergleich zeigen sowohl Veränderungen in der Konzentration von Entzündungszellen als auch von Ein komplexes Zusammenspiel proinflammatorischer Prozesse steigert die Suszeptibilität für Endometriose. verschiedenen Proteinen, insbesondere Zytokinen und Chemokinen. Einige dieser Veränderungen sind Folgen des hormonellen Ungleichgewichts bei Endometriosepatientinnen. Im eutopen Endometrium ist Progesteron der wichtigste Regulator immunologischer Funktionen durch Suppression von Matrixmetalloproteinasen (MMPs), die wiederum die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine kontrollieren. MMPs spielen eine zentrale Rolle im Remodelling der extrazellulären Matrix und der Zellinvasion. Progesteron reguliert auch die Aktivierung des Transkriptionsfaktors „nuclear factor k B“ (NF-k B), der im Zellkern die Transkription verschiedener proinflammatorischer Faktoren initiiert. Durch die relative Progesteronresistenz nimmt die Aktivität von NF-k B zu. Hierdurch werden unter anderem antiapoptotische Effekte und die Invasivität in umliegende Gewebe sowie die Ausschüttung von proinflammatorischen Zyto- und Chemokine stimuliert. Durch dieses Zusammenspiel entsteht ein proinflammatorisches Milieu in den Endometrioseläsionen. Weitere inflammatorische Komponenten wie beispielsweise die Chemokine Tumornekrosefaktor-a (TNF-a) und RANTES („regulated on activation, normal T expressed and secreted“) können in erhöhten Konzentrationen in der Peritonealflüssigkeit von Endometriosepatientinnen gefunden werden. Ob diese veränderten Zytokin- und Chemokinprofile Ursache oder Konsequenz der Endometriose sind, ist unklar. Durch die Ausschüttung dieser Chemokine kommt es zur gesteigerten Chemotaxis diverser Entzündungszellen. Endometriosepatientinnen zeigen eine deutlich erhöhte Konzentration von aktivierten Makrophagen sowie Lymphozyten in der Peritonealflüssigkeit, die allerdings nicht zur adäquaten Immunantwort mittels Elimination der defekten Zellen führt, da die phagozytotische Aktivität dieser Zellen reduziert ist. TNF-a hat zudem durch die Ausschüttung unterschiedlicher Zytokine andere proinflammatorische Effekte, insbesondere die Induktion von Interleukin-6 (IL-6) stimuliert Zellproliferation und Angiogenese. Auch führt die hohe Konzentration von TNF-a Hyperöstrogenämie Östrogene stellen nach derzeitigem Wissensstand den wichtigsten Wachstumsfaktor für Endometriose dar. Neben der physiologischen Östrogenproduktion im Ovar und der peripheren Östrogensynthese durch Aromatase im Fett- und Hautgewebe führt bei Endometriosepatientinnen aberrante Aromataseaktivität im eutopen Endometrium und in ektopen endometrialen Zellen in den Endometrioseläsionen selbst zu exzessiver Östrogenproduktion. Die zusätzlich verminderte Expression von 17 -Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 2 (17 -HSD2) verstärkt die Akkumulation von bioaktivem E2 und befeuert die lokale Hyperöstrogenämie. Die Aktivität der Aromatase wird über einen positiven Feedback-Mechanismus durch Prostaglandin E2 induziert. Durch hohe Aromataseaktivität akkumuliert Östradiol, das über seinen Liganden ER die Prostaglandin-E2-Konzentration erhöht. Dies induziert wiederum die Expression von Aromatase. Durch Unterbrechung dieses Feedback-Mechanismus kön- Mechanismus der Gewebeschädigung 19 zur Hochregulation des „nerve growth factor“ (NGF) und somit zur Ausbildung sensorischer Nervenzellen und Verstärkung des Schmerzgefühls in den von Endometriose betroffenen Regionen. Endometriale Stammzellen Der Nachweis endometrialer Stammzellen und ihre Rolle in der Pathogenese der Endometriose sind in den letzten Jahren in den Fokus der Forschungsaktivitäten gerückt. Erste Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der retrograden Menstruation als Pathomechanismus für den Transport endometrialer Stammzellen in die Peritonealhöhle. Aufgrund ihres hohen proliferativen Potenzials, der erweiterten Differenzierungsmöglichkeiten unter dem Einfluss des Umgebungsmilieus und der enormen Regenerationsfähigkeit begünstigen endometriale Stammzellen die Etablierung von Endometrioseherden. Stammzellen werden unterteilt in pluripotente embryonale und multipotente adulte. Adulte Stammzellen haben ein teilweise restringiertes Differenzierungspotenzial, zeichnen sich jedoch durch eine hohe Plastizität aus, die eine Differenzierung in verschiedene Zell- und Gewebetypen weiterhin ermöglicht. Adulte Stammzellen werden durch das sie umgebende Mikromilieu mit Signalen versorgt, der sog. „Stammzellnische“. Die weitere Entwicklung der Stammzellen wird hierdurch bestimmt. Sie werden in einem undifferenzierten Stadium gehalten, wodurch eine Balance zwischen notwendiger Selbsterneuerung und Differenziegewährleistet rungsprozessen bleibt. Stammzellen können sich in Tochterzellen, sog. Progenitorzellen, oder in „transient amplifying cells“ teilen. Letztere durchlaufen einen Differenzierungsprozess durch repetitive Zyklen der Zellteilung, vermehren sich und akquirieren dabei stufenweise Marker, die einen ausdifferenzierten Phänotyp kennzeichnen. Dabei verlieren sie die Fähigkeit zur Selbsterneuerung. Erste Studien erbrachten den Nachweis adulter Stammzellen im Epithel des eutopen Endometriums und wurden im proliferativen und sekretorischen Endometrium aber auch im inaktiven Endometrium der Postmenopause gefunden. Endometriale Stammzellen und Progenitorzellen sind auch im Menstruationsblut nachweisbar. In vitro konnte das Differenzierungspotenzial endometrialer Stammzellen in osteogene, chondrogene und adipozytäre Zelllinien aufgezeigt werden. Bedeutung von Stammzellmarkern „Tissue injury and repair“ (TIAR) am endomyometrialen Übergang. Dargestellt ist der Mechanismus der Gewebeschädigung an den fundocornualen Raphe. Persistierende uterine Peristaltik und Hyperperistalsis verursachen fortwährend Gewebeschädigung und erhöhte die parakrine Östrogenwirkung. © Quelle: Mod. nach Leyendecker G et al; Arch Gynecol Obstet 280:529–538 Eine Reihe von endometrialen Stammzellmarker und stammzellverwandten Genen sind beschrieben und auf ihre Bedeutung bei der Differenzierung endometrialer Stammzellen/Progenitorzellen untersucht worden. Im Jahr 2005 wurde erstmals ein Octamer-bindender Transkriptionsfaktor-4 (OCT-4) im endometrialen Gewebe als ein pluripotenter Stammzellmarker nachgewiesen. Eine genaue Zuordnung des Zelltyps und der Lokalisation erfolgte nicht. In einer neueren Studie wurde OCT-4 ausschließlich in Single-Stroma-Zellen im eutopen Endometrium und in Endometrioseläsionen nachgewiesen. Eine ÜberexFortsetzung auf Seite 20 27. August 2015 20 Gynäkologie Fortsetzung von Seite 19 Fazit für die Praxis pression von OCT-4 in ektopen Stromazellen von Endometrioseläsionen führte experimentell zu einer Stimulation der Zellmigration, sodass der pluripotente Transkriptionsfaktor eine besondere Rolle beim endometrialen Wachstum spielen könnte. Eine Überexpression bestimmter Transkriptionsfaktoren (SOX-2, OCT-4, KLF-4 und NANOG) wurde im menschlichen Endometrium, Myometrium und in Endometrioseläsionen nachgewiesen. In Endometrioseläsionen fanden sich im Vergleich zu den eutopen Stromazellen gesunder Frauen während der sekretorischen Phase vermehrt SOX-2 positive Stromazellen. In einer kürzlich erschienenen Studie wurde nachgewiesen, dass in ovariellen Endometrioseläsionen die pluripotenten Faktoren SOX-2 und NANOG überexprimiert werden. Ihre Rolle in der Pathogenese der Endometriose ist noch unklar. Erhöhte Spiegel des neuen potenziellen Stammzellmarkers IPO-13 (zur Familie der Importin- -Nukleartransportproteine gehörend) zeigten sich in Endometrioseläsionen im Vergleich zum eutopen Endometrium. Stammzellrelevante Gene (UTF-1, TCL-1 und ZFP42) sind in ektopen Endometrioseläsionen im Vergleich zum normalen eutopen Endometrium als überexprimiert nachgewiesen worden. Inwieweit sie eine Rolle in der Pathogenese der Endometriose spielen ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Endometriose ist eine vielfältige Erkrankung mit multiplen klinischen Ausprägungsformen; für die Krankheitsentstehung spielt eine Reihe von pathogenetischen Prozessen eine Rolle. Zentrale Faktoren in der Ätiologie und Pathogenese der Endometriose sind • verstärkte retrograde Menstruation durch uterine Dysperistalsis und damit verbundener Dislokation von endometrialen Zellen und endometrialen Stammzellen, • Schädigung der peritonealen Oberfläche durch vermehrte retrograde Menstruation und Prädisposition für die Implantati- on von Endometrioseläsionen, • erhöhtes Potenzial zur ektopen Implantation und Proliferation der dislozierten endometrialen Zellen durch epigenetische Veränderungen bzw. durch Entstehung von Endometrioseläsionen aus Stammzellen, • hormonelle Dysregulation der eutopen und ektopen endometrialen Zellen, insbesondere lokale Hyperöstrogenämie und Progesteronresistenz sowie • veränderte immunologische Funktionen intraperitoneal (verminderte peritoneale Clearance) und an den Prädilektionsstellen für Endometriose (proinflammatorisches Mikromilieu). tonealhöhle begünstigt wird. Diese These könnte erklären, warum nur ein kleiner Teil der Patientinnen bei retrograder Menstruation eine Endometriose entwickelt. Weiterführend wird es sein, die Techniken zur Identifizierung der Stamm-/Progenitorzellen in Endometrioseläsionen mit gleichzeitigen genetischen bzw. epigenetischen Untersuchungen an den gleichen Zellen zu kombinieren. Die gesammelten Literaturhinweise zu diesem Artikel finden Sie auf www. springermedizin/fortbildung. Knochenmark als Quelle endometrialer Stammzellen Adulte Stammzellen aus dem Knochenmark können sich in multiple Zelltypen wie beispielsweise Hepatozyten, Neurone, Hautzellen, Kardiomyozyten und Endothelzellen differenzieren. Da sich bei Patientinnen mit vollständiger Endometriumablation häufig neue Endo- 27. August 2015 metriumzellen nachweisen lassen, lag die Hypothese nahe, dass diese Stammzellen nicht-endometrialen Ursprungs sind. Taylor et al. stellten im Jahr 2004 fest, dass nach Knochenmarkstransplantation ein Chimärismus in den endometrialen Drüsen und Stromazellen nachzuweisen war. Nachfolgende experimentelle Studien im Mausmodel unterstrichen die Hypothese, dass extrauterine Stammzell-/Progenitorzellen sich in normales endometriales Gewebe sowie in Endometriosegewebe differenzieren können und somit eine Funktion in der Entwicklung der Endometriose haben könnten. Extrauterine Progenitorzellen aus dem Knochenmark oder aus einer anderen Quelle könnten die lymphovaskuläre Metastasierungstheorie der Entstehung von Endometrioseläsionen in Gehirn, Lunge und Abdomen erklären. Es bleibt jedochunklar, inwieweit es sich um abnorme endometriale Stamm-/Progenitorzellen handelt, welche die Kapazität zur Implantation und zur Entwicklung von ektopem Endometrium haben oder ob es sich um normale Stammzellen handelt, deren Implantation durch ein verändertes Milieu in der Peri- Zentrale Pathogenesefaktoren sind lokale Hyperöstrogenämie und relative Progesteronresistenz. Dr. Monika Wölfler ist als Oberärztin an der Klinischen Abteilung für Geburtshilfe, Schwerpunkt Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin, Medizinische Universität Graz tätig. Dr. Petra Klein ist Oberärztin an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Kreiskrankenhaus Dormagen. Dr. Magdalena Zalewski arbeitet als Assistenzärztin an der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Universitätsklinikum der RWTH Aachen. Prof. Dr. Nicolai Maass ist Direktor an der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Ärztlicher Fortbildungsanbieter: Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Universität Graz, Prof. Uwe Lang Lecture Board: • PD Dr. Peter Oppelt, AKH Linz • Dr. Burghard Abendstein, LKH Hall Fragebogen im Web Den Fortbildungsartikel als Download (inkl. Literatur) und den dazugehörigen DFP-Fragebogen finden Sie unter www.springermedizin.at/ fortbildung oder direkt mithilfe dieses QR-Codes: Literatur 1. Guo SW, Wang Y (2006) The prevalence of endometriosis in women with chronic pelvic pain. Gynecol Obstet Invest 62:121–130 2. Guo SW (2009) Recurrence of endometriosis and its control. Hum Reprod Update 15:441–461 3.Sasson IE, Taylor HS (2008) Stem cells and the pathogenesis of endometriosis. Ann N Y Acad Sci 1127:106–115 4. Burney RO, Giudice LC (2012) Pathogenesis and pathophysiology of endometriosis. Fertil Steril 98:511–519 5. Bulun SE (2009) Endometriosis. N Engl J Med 360:268–279 6. 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