11. Bildung von Strukturen. Fig. 11.1 2dF-Programm. Die inhomogenen Verteilung von mehr als 63000 Galaxien und deren Rotverschiebung wurde in einem scheibenförmigen Sektor gemessen. Das Ganze besteht aus zwei 4°-Ausschnitte aus einer Gesamtmenge von 210 000 Galaxien. 11.1. Dichtekonstrast im linearen hydrodynamischen Modell Die Verteilung der leuchtenden Materie im heutigen Kosmos ist sehr ungleichmäßig. Neben Sternen gibt es Sternassoziationen, Sternhaufen, Galaxien. Diese wieder bilden Galaxienhaufen (s. Fig. 11.1), die wieder in Superhaufen zusammenhängen und durch riesige Hohlräume voneinander getrennt sind. Es ist die Frage, die uns in diesem Kapitel beschäftigen wird, wie denn aus den Fluktuationen der Hintergrundstrahlung (s. z.B. Fig. 9.4 und 9.7), −5 deren relative Amplitude δT = ΔT / T ≈ 10 nur eine winzige Abweichung von der Homogenität darstellt, die heutigen Strukturen und ihre Hierarchien entstanden sind. Wir interessieren und dabei für den Dichtekontrast r r ρ( x ) − ρ δ( x ) = ρ (11.1) Er hängt mit der Temperaturfluktuation (CMB) wie folgt zusammen r r ΔT ( x ) δ( x ) = 3 ⋅ T 141 (11.1a) Anstelle der Dichtestörung im x-Raum wird häufig deren Fourier-Transformierte benutzt () r 1 r r δ k = ∫ δ( x )exp ikx ⋅ d 3 x V (11.2) wobei V das Volumen bedeutet. Fig. 11.2 zeigt eine eindrucksvolle Darstellung der heutigen Kenntnis von δ(r ) und den entsprechenden Beobachtungsmethoden. () Fig. 11.2. Dichtefluktuationen δ r , zusammengestellt vom Team des „Sloan Digital Sky Survey“ (SDSS). Die Beobachtungen beziehen sich auf CMB, die Häufigkeit von GalaxienCluster (gut im Röntgengebiet durch die Strahlung des heißen intergalaktischen Gases zu beobachten), die Auswertungen von SDSS, die Häufigkeit von Gravitationslinseneffekten und der intergalaktische neutrale Wasserstoff, beobachtet als Lyman-Alpha-Wald. Nach Max Tegmark’s Cosmological Library. http:/www.hep.upenn.edu/~max/2df1.html Die Entfernungsskala in Fig. 11.2 kann auch als Zeitskala interpretiert werden. Bei etwa 109 Lj ist der Dichtekontrast bereits auf Prozente abgeklungen. Es sind mitbewegte Abstände, also Entfernungen bezogen auf den heutigen Kosmos, wobei die Grenze durch den Teilchenhorizont rH = 3.38 DH ≈ 15,26 ⋅ 10 9 pc gegeben ist. Neben dem Dichtekontrast wird häufig auch die Streuung angegeben δ( x ) = σ 2 = konst. 2 (11.3) Im k-Raum erhält man das Leistungsspektrum δ (k ) 2 = (2π ) 3 P (k ) ⋅ δ (k − k ′) 142 (11.4) was mit σ auf folgende Weise zusammenhängt 2 σ2 = 4π P(k )k 2 dk 3 ∫ (2π ) (11.5) Die Größen in eckigen Klammern sind Mittelbildungen über das Ensemble. Die Auswertungen von Daten der Himmelsdurchmusterungen zeigen, dass das sich das Spektrum P(k) für r > 100 Mpc oder k < 10-2 Mpc-1 nicht mehr bestimmen lässt. Über größere Abstände herrscht praktisch Homogenität (s. a. Fig. 11.10). r Um die zeitliche Entwicklung kleiner Störungen δ( x, t ) ≡ δ zu untersuchen, werden in Newtonscher Näherung die hydrodynamischen Gleichungen und die Poisson-Gleichung des Gravitationspotentials herangezogen. Daraus lässt sich eine Wellengleichung ableiten, welche in einem stationären Medium die Form annimmt 1 && δ − ∇ 2δ = 4πGρ c S2 (11.6) wobei ρ ≡ ρ die mittlere Dichte ist. Gl. 11.6 unterscheidet sich von der Wellengleichung in der Elektrodynamik durch das Glied auf der rechten Seite, dass die Selbstgravitation der Materie beschreibt. Setzt man die Wellenlösung ein [( )] rr δ ∝ exp i k x − ωt , (11.7) so erhält man als Fourier-Transformierte von Gl. 11.6 eine Dispersionsbeziehung ω2 = k 2 cS2 − 4πG ρ = cS2 (k 2 − k J2 ) (11.8) mit der so genannten Jeans-Wellenzahl ⎛ 4πG ρ ⎞ k J = ⎜⎜ 2 ⎟⎟ ⎝ cS ⎠ 1 2 (11.9) wobei m die mittlere Masse der Gasatome, M und R Masse und Radius der Materie bedeuten. Wellenausbreitung ist nur möglich, wenn k > k J ist. Für k < k J ist ω < 0 . Es gibt keine laufende Welle mehr, stattdessen zwei Lösungen, eine exponentiell wachsende und eine exponentiell abklingende. Aus (11.09) lässt sich eine charakteristische Masse, die JeansMasse ableiten 2 4π ⎛ π M J = ⎜⎜ 3 ⎝ kJ 3 ⎞ ⎟⎟ ρ oder ⎠ 1/ 2 3/ 2 ⎛k T ⎞ ⋅ ⎜⎜ B ⎟⎟ ⋅ ( ρ ) −1 / 2 (11.10) ⎝Gm ⎠ Der Begriff Jeans-Masse, Jeans-Wellenzal oder Jeans-Radius taucht hier neu auf. Diese Größen spielen als Kriterien eine Rolle, ab wann eine sphärische Gaswolke instabil gegenüber Gravitation wird und z.B. zu Sternen kondensieren kann. Dazu muss E kin ≤ E grav ⎛6⎞ MJ = ⎜ ⎟ ⎝π ⎠ 143 oder 3M 3GM 2 kT ≤ 2m 5R (11.11) Das Gleichheitszeichen steht für den kritischen Fall, den der britische Physiker James Jeans (1877 – 1946) am Anfang des 20. Jahrhunderts zuerst untersucht hat. Die Situation ändert sich, wenn man die kosmische Expansion berücksichtigt. Dazu setzt man r r r x= a(t ) (11.12) und erhält unter Vernachlässigung von Druckkräften c S2 k 2 3 & & & δ + 2 Hδ + 2 δ − ΩH 2δ = 0 2 R (11.13) wobei wir unter Benutzung der Friedmann-Gleichung 8πG ρ = 3H 2 Ω (11.14) gesetzt haben. Raum-und Zeitvariable lassen sich trennen. Für ein Universum mit Ω = Ω 0 = 1 ( R → ∞) gibt es zwei Lösungen r r δ( x , t ) = D± (t ) ⋅ δ( x ) (11.15) mit D+ (t ) = A ⋅ t 2 3 ∝ a(t ) und D− (t ) = B ⋅ t −1 (11.16) Die Expansion scheint das Anwachsen (und Abklingen) der Störung zu behindern, denn anstelle eines exponentiellen Wachstums (oder Abklingens) mit Gl. 11.7 und 11.8 ergibt sich ein moderates Potenzgesetz. Wir können das Verhalten der Jeans-Masse für Baryonen untersuchen, wenn wir k J = k J′ / a schreiben. Es ist nach Gl. 11.10 M J ∝ ρ . In der strahlungsdominierten Epoche −3 ist ρ ∝ T . Andererseits ist k J ∝ T (Gl. 11.6). Also wird mit Gl. 11.7 M J ∝ T . In Fig. 11.3 ist der Übergang von der strahlungsdominierten zur materiedominierten Epoche abrupt 4 2 eingezeichnet. Dabei fällt die Schallgeschwindigkeit von c S = c / 3 = 1,7 ⋅ 10 8 m/s auf c 2 S = 5 / 3 ⋅ k B T / μm P und c S = 4,7 ⋅ 10 3 m/s ab, was zu einem Absinken der Jeansmasse um viele Zehnerpotenzen führt ( mP Protonenmasse, μ mittlere Massenzahl pro Teilchen). 144 Fig. 11.3. Jeans-Masse der Baryonen MB-J und die Baryonen-Masse innerhalb des Horizonts MBMS ist die Silkmasse, s. dazu den Text. Als baryonische Dichte wurde HOR. Ω B h 2 = 0,047 angenommen. Nach E.W. Kolb, M.S. Turner : The Early Universe. Addison Wesley 1990. Sie liegt vor der Rekombination zwischen 1014 und 1018 Sonnenmassen, wobei die untere Grenze etwa der Größe von Galaxienhaufen entspricht. Unmittelbar nach der Rekombination ( z ≈ 1090 ) liegt sie jedoch bei ca. 106 Sonnenmassen, das ist etwa die Größe eines Kugelsternhaufens. Auch Dämpfungseffekte können in der strahlungsdominierten Epoche eine Rolle spielen. Sie wurden von J. Silk zuerst behandelt und in Fig. 11.3 als „Silkmasse“, MS, eingetragen. Es muss aber festgestellt werden, dass diese Abschätzungen die Entstehung von Galaxien nicht erklären kann. Außerdem kann man leicht zeigen, dass die Entwicklung des Dichtekontrastes mit baryonischer Materie allein völlig unzureichend ist. Wir gehen zur r −5 Zeit der Rekombination von einem Dichtekontrast δ( x , t rec ) ≈ 5 ⋅ 10 aus. Nach Gl. 11.15 würde der Wert dann in der Gegenwart auf r r δ( x , t 0 ) ≈ δ( x , t rec ) ⋅ ( z rec + 1) ≈ 10 −2 r (11.17) anwachsen. Notwendig wäre aber δ( x , t 0 ) ≈ 1 , damit der Gravitationskollaps einer Gaswolke einsetzt. Wenn wir für den Beginn der Galaxienbildung z = 10 einsetzten, wird das Ergebnis um noch eine Größenordnung kleiner. Man sieht hier schon, dass während der Expansion nach dem Standardmodell die Baryonen allein den Kontrast nicht genügend verstärken können. Dunkle Materie muss hinzukommen. Diese breitet sich offensichtlich stoßfrei und ohne Dissipation der Energie aus. Baryonische Materie dagegen kann kinetische Energie nur durch Abstrahlung verlieren. In einer Wolke aus dunkler und baryonischer Materie wird sich die baryonische unter Verlust von kinetischer Energie und Drehimpuls in das Innere der Wolke bewegen. Dort kann daher leicht ein ausreichenden Dichtekontrast entstehen. Die dunkle Materie bildet dagegen einen nahezu stationären Potentialtopf, in welchem die baryonische Materie einer Galaxie eingeschlossen ist. Man kann auch für eine dunkle, stoßfreie fermionische Materie eine maximale Jeansmasse ableiten. Doch diese ist abhängig von der Masse der Teilchen der dunklen Energie. Diese ist 145 noch völlig unbekannt, weshalb mit diesen Überlegungen wenig gewonnen ist (s. z.B. G. Börner: The Early Universe. 4th Edition Ch. 10.2.2.). In Fig. 11.4 ist ein jüngst publiziertes Beispiel zu sehen, wo sich im Innern einer großen Wolke dunkler Materie viele Galaxien befinden. Man geht davon aus, dass die Galaxien oder Protogalaxien alle ihr Halo aus dunkler Materie mitbringen und dass im Laufe der Zeit weitere Vereinigungen zu größeren Strukturen ganz wesentlich von den Halos der dunklen Materie bestimmt werden. Während heftiger Sternbildung kommt es häufig zu SupernovaExplosionen, bei welchen große Mengen heißer Gase (d.h. H, He und geringe Mengen schwerer Elemente) in den intergalaktischen Raum ausgeschleudert werden. Fig. 11.4. Ein Bild-Komposit von „Abell 520“. Die Galaxien des Cluster sind als diffuse weiße Flecken zu sehen. Die rot dargestellte Wolke aus intergalaktischen Materie (IGM), welche im Lichte der emittierten Röntgenstrahlung (Chandra) zu sehen ist, hat die fast 10fache Masse der leuchtenden baryonischen Materie. Schließlich stellt die blaue Wolke die Verteilung der dunklen Materie dar, die indirekt durch „Scannen“ mittels des Gravitationslinseneffektes bestimmt wurde. Ihre Masse überwiegt die der gesamten baryonischen Materie um etwa einen Faktor 7. Quelle der Aufnahme X-ray: NASA/CXC/CfA/ M. Markkevitsch et al. Lensing: NASA/STScI, ESO WFI, Magellan/U. Arizona/D.Clowe et al. Optical: NASA/STScI, Magellan/U. Arizona/D.Clowe et al. 2006 11.2. Die weitere Entwicklung des Dichtekontrasts. Das sphärische Kollapsmodell. In der von Materie dominierten Epoche wächst δ( x ) rasch an, so dass einer linearen Behandlung, wie wir sie bisher dargestellt haben, nicht mehr vertraut werden kann. Stattdessen werden wir ein sphärisches Kollaps-Modell (s. dazu A.R. Liddle, D.H. Lyth : Cosmological Inflation and Large-Scale Structure, Chap. 11. Cambridge Univ. Press 2000) 146 benutzen. Dazu betten wir in das Universum mit kritischer Dichte, ( Ω = 1) , ein sphärisches Volumen ein mit einer „Überdichte“ Ω = 1 + δ > 1. Fig. 11.5. Entwicklung des Skalenfaktors. Untere Kurve für Ω0 = 1 + δ exakt gerechnet. Mittlere Kurve für Ω 0 = 1 + δ in linearer Näherung. Obere Kurve für Ω 0 = 1 (kritische Massendichte des Hintergrunds). Nach A.R. Liddle, D.H. Lyth : Cosmological Inflation and Large-Scale Structure. Cambridge Univ. Press 2000. Das Gebiet außerhalb entwickelt sich wie ein Universum mit kritischer Dichte. Dagegen gelten jetzt für das kollabierende Gebiet Ω > 1 die beiden Gleichungen 2.21 a(t ) 1 Ω (1 − cos θ) = a(t 0 ) 2 Ω − 1 H 0t = 1 Ω (θ − sin θ ) 2 (Ω − 1)3 2 (11.18) (11.19) Die Funktion Gl. 11.18 erreicht ein Maximum bei θ = π , daher können wir Gl. 11.18 und 11.19 in a max und t max ausdrücken (was in Fig. 11.5 untere Kurve als „non-linear“ dargestellt ist) a(t ) 1 t 1 = (1 − cos θ ) und = (θ − sin θ ) amax 2 t max π (11.20) Um Gl. 11.20 auch im linearen Bereich zu untersuchen, entwickeln wir bis zur zweiten Ordnung a(t ) θ 2 θ 4 t 1 ⎛ θ3 θ5 ⎞ ⎟ ≅ − und ≅ ⎜ − 4 48 amax t max π ⎜⎝ 6 120 ⎟⎠ 147 (11.21) Setzen wir t in a(t) ein, so erhalten wir in „linearer“ Näherung alin (t ) 1 ⎛ t ⎞ ⎟ ≅ ⎜⎜ 6π amax 4 ⎝ t max ⎟⎠ 2 3 2 ⎡ ⎛ ⎞ 3⎤ 1 t ⎟⎟ ⎥ ⋅ ⎢1 − ⎜⎜ 6π ⎢ 20 ⎝ t max ⎠ ⎥ ⎦ ⎣ (11.22) Diese Funktion wird in Fig. 11.4 durch die mittlere Kurve (linear) dargestellt. In Gl. 11.17 beschreibt der erste Faktor auf der rechten Seite den kritischen Fall Ω = 1 und entspricht damit Gl. 2.20. Wir nehmen an, dass der Skalenfaktor des Hintergrunds dem kritischen Fall, also der euklidischen Geometrie im Materie dominierten Universum entspricht, siehe obere Kurve „background“ in Fig. 11.4. Wir können jetzt den Dichtekonstrast für verschiedene Entwicklungsstadien ausrechnen. Wie verhält sich z.B. der lineare Dichtekonstrast 3 ρ lin aback = 3 1 + δ lin = ρback alin (11.23) Der letzte Ausdruck auf der rechten Seite von Gl. 11.23 läßt sich aus Gl. 11.22 gewinnen, indem wir zunächst beachten dass der erste Faktor auf der rechten Seite von Gl. 11.17 die Entwicklung des Hintergrundes beschreibt und zur 3. Potenz im Zähler und im Nenner von 11.18 auftritt, d.h. er kann herausgekürzt werden. Es bleibt die eckige Klammer aus dem Nenner stehen mit dem folgenden Ergebnis 2 ⎡ ⎞ 3⎤ ⎛ 1 t ⎢1 − ⎟ ⎥ ⋅ ⎜ 6π ⎢ 20 ⎜⎝ t max ⎟⎠ ⎥ ⎣ ⎦ und −3 ⎡ 3 ⎛ t ≈ ⎢1 + ⋅ ⎜⎜ 6π ⎢ 20 ⎝ t max ⎣ 3⎛ t ⎞ ⎟ δ lin = ⎜⎜ 6π 20 ⎝ t max ⎟⎠ 2 ⎞ ⎟⎟ ⎠ 2 3 ⎤ ⎥ ≈ 1 + δ lin , ⎥ ⎦ 3 (11.24) Dieser Ausdruck wird am Umkehrpunkt, bei t = t max δ lin (t max ) = 2 3 (6π) 3 = 1,06 20 (11.25) Der Dichtekontrast ist also praktisch „1“, wenn bei der nichtlinearen Lösung der Umkehrpunkt zum Kollaps erreicht ist. Das ist auch die Grenze der Anwendbarkeit der linearen Näherung. Am Endpunkt des Kollaps, bei t = 2t max ist der Dichtekonstrast in der linearen Theorie δ lin (2t max ) = 2 3 (12π ) 3 = 1,686 20 (11.26) Interessanter ist es, jetzt 1 + δ(tmax) in der nichtlinearen Theorie auszurechnen 3 Der Nenner ergibt nach Gl. 11.22 „eins“, so dass nur aback im Zähler etwas beiträgt 3 aback (6π ) 1 + δ(t max ) = 3 = 3 = 5,55 amax 4 2 148 (11.27) Damit wird der Dichtekonstrast über 4-mal so groß wie in der linearen Theorie. Es ist nicht realistisch jetzt den Fall t = 2t max zu untersuchen, denn die Dichte divergiert. Wir können uns aber vorstellen, dass zu Beginn eine Masse M der Ausdehnung R im wesentlichen potentielle Energie besitzt E ges ≈ U = −α GM 2 R (11.28) Hier ist α ein Faktor von der Größenordnung „1“ der häufig 3/5 gesetzt wird. Der Kollaps heizt die Materie auf, ihre thermische (oder kinetische ) Energie verhindert zunächst den weiteren Kollaps. Man spricht von Virialisierung, wenn sich stabile, zeitlich konstante Mittelwerte der potentiellen Energie U und der kinetischen Energie T eingestellt haben. Dann ist 1 1 T =− U und E ges = U (11.29) 2 2 Wenn die Gesamtenergie ungefähr konstant geblieben ist, wird nach (11.23) RVir ≈ R 2 (11.30) Damit wäre die Virialisierung abgeschlossen. Wir wollen hier nicht berücksichtigen, dass die kollabierende Wolke im Infraroten Strahlungsenergie abgibt. Stattdessen berücksichtigen wir die Virialisierung indem wir a und aback bei t = 1,82 tmax berechnen, wenn a/amax auf ½ gefallen ist. Das Ergebnis ist ⎛ a(1,82 ) ⎞ 1 + δ(vir ) = ⎜ ⎟ = 157 0 , 5 ⎝ ⎠ 3 (11.31) Der Wert für den Dichtekonstrast bei abgeschlossener „Virialisierung“ (wenn ein stationärer Zustand erreicht ist), den man aus numerischer Simulation gewinnt, liegt bei 178. Bei Annahme eines Universums mit Ω M und Ω Λ = 1 − Ω M erhält man näherungsweise 1 + δ(vir ) ≅ 157 ⋅ Ω −M0, 6 . 149 (11.32) 11.3. Katalogisierungen von Galaxien und Galaxienhaufen Fig. 11.6. Einbringen von Glasfasersträngen in die Brennebene des 2,5m Teleskops des „Sloan Digital Sky Survey„ (Kitts Peak Observatory). Fig. 11.7. Ein 2,5° Ausschnitt mit 24 915 Galaxien aus der SDSS-Durchmusterung. Der äußere Kreis entspricht z = 0,2. Aus V.J. Martinez & E. Saar : Statistics in Cosmology. SPIE Proceedings Vol. 4847, 2002, Astronomical Data Analysis. J.L. Stark and F. Murtagh, eds. 150 Die empirische Untersuchung des Dichtekontrasts bezieht sich auf umfangreiche Kataloge von Galaxien, deren Position und Rotverschiebung. Moderne Multi-Glasfaser-Techniken ermöglichen es gegenwärtig, 70 – 2000 Rotverschiebungen von Galaxien pro Nacht spektroskopisch zu vermessen, während es vor Einführung dieser Technik nur 5 – 10 waren. Die Grenz-Größenklasse im blauen Spektralbereich stieg von 14 auf 19,5, ein Fortschritt der nicht nur größeren Teleskopen sondern vor allem auch dem Einsatz von CCD-Platten, den elektronischen Fotoplatten (s. Fig. 11.5), zu verdanken ist. Zwei zur Zeit laufende große Projekte sind das 2dF (2 degree field) und der SDSS (Sloan Digital Sky Survey). Die SDSSDurchmusterung ist z.Zt. die umfangreichste. Sie wird in 5 Wellenlängenbereichen mit einer Mosaik-CCD-Kamera durchgeführt. Die Photometrie erreicht dabei Objekte bis 23. Größe, die Analyse der Rotverschiebung reicht bis zur Größe 17,7. Diese Untersuchungen sind nicht nur für die Massenverteilung von großem Interesse, sondern auch für das Verständnis der Entwicklung morphologischer Merkmale. Jede Galaxie wird durch 3 Angaben charakterisiert: Position ( α, δ, r = comoving distance), n (r ) = radiale Selektionsfunktion, n (rˆ ) = r Winkelselektionsfunktion mit rˆ = r / r . Der gesamte untersuchte Raumwinkel beträgt 2499 Quadratgrad. Das zweite Großprojekt ist der „Anglo-Australian 2dF Galaxy Redshift Survey“ (Mt. Stromlo Observatory). Im Jahr 2001 wurden die ersten 105 Galaxien des Südhimmels mit Rotverschiebungen publiziert (M. Colless et al. : MNRAS 328, 1039, 2001). Die Objekte sind heller als Größe 19,5. Das untersuchte Gebiet umfasst 2000 Quadratgrad und erreicht z = 0,2 ( ca. 600 h-1 Mpc). Man rechnet bei Beendigung des Projekts mit 250 000 Galaxien, deren Position und Rotverschiebung vermessen wurden. Fig.11.8. Fornax Cluster im Röntgenlicht, gemessen von Chandra bei 1 keV. Credit: NASA /CXC/Columbia U./C.Scharf et al. 2004 Die Verteilung der Galaxiencluster kann am besten an Hand ihrer Röntgenbremsstrahlung untersucht werden, wobei die Energie bei 1 – 10 keV liegt. Diese Methode hat sich auch als der beste Weg erwiesen, große, homogene Cluster zu identifizieren. und wurde im Projekt REFLEX (ROSAT-ESO Flux Limited X-ray) bis zum Jahre 2002 auf 452 Cluster angewandt. Durch Messung des Röntgenspektrums kann man aus der Temperatur des heißen (und sehr dünnen) Plasmas direkt die Masse bestimmen. Man geht dabei vom Virialsatz aus 151 3 1 GμmP M vir 1 = μmP σ 2υ k BT = 2 2 r 2 (11.31) wobei mP die Protonenmasse, μ die mittlere Massenzahl der Teilchen (μ ≅ 0,6), σ 2υ = 3 υ r die Geschwindigkeits-Dispersion der Galaxien in radialer Richtung und Mvir 2 die Virialmasse des Clusters bedeuten. Fig. 11.9. Räumliche Verteilung der „X-ray Cluster“ des REFLEX Survey. Jeder Punkt stellt einen Galaxienhaufen mit hunderten bis tausenden Galaxien dar. Kettenartige Strukturen sind zu erkennen. Nach s. Borgani, L. Guzzo : Nature 410, 169, (2001). Die Intensität der Röntgenstrahlung verhält sich zur Dichte n des Plasmas und der Temperatur T wie I X ∝ n 2T 1 2 (11.32) Da die optische Intensität nur mit dem Quadrat von n geht, folgt, dass IX für diesen Zweck einen wesentlich besseren Kontrast erwarten lässt als optische Untersuchungen. Unter Zugrundelegung eines Dichteprofils kann man den Massenanteil des Plasmas bestimmen. Die ermittelte Clustermasse umfaßt die Gesamtmasse, d.h. dunkle Materie und baryonische Masse. Dabei ist der Anteil des heißen intergalaktischen Plasmas an der Gesamtmasse gleich f gas = 0,113 , dabei aber um etwa einen Faktor 6 größer als die optisch leuchtende Masse der Galaxien (s. S.W. Allen et al. astro-ph/0205007). Schließlich sei noch der „IRAS Point Source Catalogue (PSC) Redshift Survey“ erwähnt, der 24 500 Galaxien enthält, bei 60 µm über 84% des Himmels abdeckt und alle Punktquellen mit einem Fluß ≥ 1,2 Jansky einschließt. Von IRAS PSC sind Leistungsspektren P(k) publiziert 152 worden (s. W. Sutherland et al. astro-ph/9901189), auf die wir später noch zurückkommen werden. 11.4. Leistungsspektren der Massenverteilung Fig. 11.10. Links (unten): Leistungsspektren P(k ) von je 147 000 2dF-Galaxien und 105 SDSS-Galaxien, (oben) P(k ) von REFLEX-Cluster. Rechts: ZweipunktKorrelationsfunktionen ξ(r ) von 2dF- , SDSS- und Las Campanas-Galaxien Wir wollen hier zunächst noch die Zweipunkt-Korrelationsfunktion definieren. Dazu sei die r r Dichte an jeweils zwei verschiedenen Punkten gegeben durch x und y . Es wird nun das r r Produkt ρ ( x ) ρ ( y ) gebildet und über das Ensemble gemittelt (Eckige Klammer) r r r r r r ρ ( x ) ρ ( y ) = ρ 2 [1 + δ ( x )][1 + δ ( y )] = ρ 2 [1 + ξ ( x , y )] wobei r r r (11.33) r r bedeutet. Auf kleinen Skalen x − y = r < 12 Mpc lässt sich r ξ ( x , y ) = δ ( x )δ ( y ) ξ durch ein Potenzgesetz darstellen ⎛r ⎞ ξ (r ) = ⎜ 0 ⎟ ⎝r⎠ 1,8 (11.34) mit r0 / h = 5 Mpc . Aus der Korrelationsfunktion lässt sich das Spektrum P(k) ausrechnen ξ (r ) = 1 (2π ) 2 ∫ dk k 2 P(k ) sin(kr ) kr (11.35) Alternativ bietet auch Gl. (11.4) eine Möglichkeit. Für einen Vergleich mit Modellen wird das r Spektrum P(k ) dem Dichtekontrast δ( x ) (Gl. 11.2 und Fig. 11.2) vorgezogen. Man kann das Leistungsspektrum durch ein Potenzgesetz annähern 153 P(k ) = A ⋅ k n Im Strahlungsuniversum (z > 3000) und im Bereich sehr großer Raumdimensionen (kleiner kWerte) nähert sich n ≈ 1 (aus Fluktuation des CMB). Man spricht vom Harrison-ZeldovichSpektrum. Für kleine Raumdimensionen (große k-Werte) wird n ≈ −1,8 . Den entsprechenden Übergangsbereich liefert bei den berechneten Kurven nur das „Cold Dark Matter“(CDM-)Modell. In Fig. 11.12 ist das Leistungsspektrum von IRAS-Galaxien aufgetragen. Sie überdecken einen größeren Raumbereich. Hier ist die Andeutung eines Maximums zu sehen. Bei der Normierung der P(k ) -Kurven muss beachtet werden, dass die leuchtende Materie der Galaxien nur einen Bruchteil von etwa 0,005 der Gesamtmasse ausmacht. Man definiert deshalb zur Normierung einen Bias-Faktor b2 = PGal (k ) PM (k ) (11.36) Viele Messungen von Massen und Massendichten sind von sicheren Bestimmungen der Entfernung abhängig. Es wäre deshalb hilfreich, wenn es neben Standardkerzen auch ein kosmisches Standard-Metermass gäbe. Tatsächlich wurde etwas Entsprechendes gefunden. Untersucht man nämlich das Spektrum der Dichtekorrelationen gewonnen aus Daten des Sloan Digital Sky Atlas (SDSS), so findet man Oszillationen, die wohl auf akustische Oszillationen zurückgehen zur Zeit der Rekombination. Da dieser Effekt überall im für uns beobachtbaren Kosmos auftreten sollte, hätten die Astronomen damit eine universellen Massstab. a) Korrelationsfunktion ξ (s) für „Luminescent Red Galaxies“ des SDSS. Der „fit“ wurde innerhaln des ΛCDMModells mit 3 verschiedenen Massendichten Ω M h 2 = 0,12; 0,13 und 0,14 von oben nach unten ausgeführt.. Die durchgezogene Linie ohne akustisches Maximum benutzte Ω M h 2 = 0,105 b) Auftragung von ξ ( s ) s 2 mit den gleichen Massendichten wie in a). Eone zu große Massendichte Verschlechtert beträchtlich die Anpassung an den Peak Bei kleinen Abständen (30 Mpc). Nach D. Eisenstein et al:The Astrophysical Journal 12/31/2004 Fig.11.11. “Baryon Acoustic Oscillations” im Dichtespektrum des SDSS 154 Fig. 11.12. Transferfunktion für ein „Cold Dark Matter“ (CDM) Model für die Parameter Γ = 0,5; 0,4; 0,3; 0,2. Die heutigen Konkordanz–Werte ergeben Γ = 0,17 . Nach J.M. Bardeen et al. ApJ 304, 15 (1986). Geht man von einer Störung δ(k , t rec ) zur Zeit der Rekombination trec aus, dann wird eine Transferfunktion im Rahmen der linearen Theorie angesetzt, welche die Entwicklung der Störung zu einer späteren Zeit beschreibt δ (k , t ) = Τ(k , t ) ⋅ δ (k , t rec ) (11.37) Fig. 11.11 gibt ein Beispiel. Die Transferfunktion gilt für die gegenwärtige Beobachtung und ist für ein „Cold Dark Matter“ (CDM) Model berechnet. Die Abhängigkeit von der Wellenzahl wird qualitativ richtig dargestellt. Bei kleinen Wellenzahlen, d.h. großen Skalen nimmt T (k ) den Wert eins an, weil das ursprüngliche Leistungsspektrum durch CDMTeilchen nicht gestört wird; d.h. das Leistungsspektrum, wie es in der Rekombination-Phase vorliegt, ist k-unabhängig, wie von der Inflation gefordert (Gl. 10.6 und 10.7). Die Transferfunktion in Fig. 11.9 wird als Funktion T (q ) einer normierten Wellenzahl q angegeben. 155 Fig. 11.13. Das Leistungsspektrum P(k ) der IRAS-Galaxien (1,2 Jy) im Vergleich zu anderen Durchmusterungen. Gestrichelt ist das Ergebnis einer linearen CDM-Theorie für Γ = 0,2 und 0,5 sowie σ8 = 0,8 eingetragen. Bei der Berechnung von P(k ) aus den Meßdaten muß berücksichtigt werden, dass im Gegensatz zur mathematischen Form der Fouriertransformation, welche die Integration über einen unendlichen Raum erfordern, die Beobachtung immer nur ein endliches Raumelement überdeckt. Deshalb müssen Fensterfunktionen im k-Raum angesetzt werden, deren Effekt sorgfältig getestet werden muß. 11.5. N-Teilchen-Simulationen Erst in den letzten Jahren sind P(k ) -Auftragungen, die aus Beobachtungen gewonnen wurden, genau genug, um daran theoretische Modell zu testen. Das „Hot Dark Matter Model“ (HDM) hat dabei nur noch historische Bedeutung. Eine wichtige und testbare Vorhersage des Modells, war eine Entwicklung von großen zu kleinen Strukturen (top down model), welche von den Beobachtungen nicht gestützt wird. Das HDM wurde in den 80er Jahren von dem „Cold Dark Matter Model“ (CDM) abgelöst, das eine Entwicklung von kleinen zu großen Strukturen vorhersagt, was sehr viel besser mit den Beobachtungen übereinstimmt. Aus dem CDM entwickelte sich ein „Standard Cold Dark Matter Model“ (SCDM) mit den Parametern Ω 0 = 1 , h = 0,5 (Hubble Konstante in Einheiten von 100 km/s⋅Mpc), n = 1 (HarrisonZeldowich-Spektrum) und b = 1,5 – 2,5. Das SCDM konnte ausgeschlossen werden, da es die gemessenen Spektren nur unzureichend wiedergibt. So wird die Haufenbildung von Galaxien über größere Skalen beobachtet, als aus dem SCDM hervorgeht. Eine Alternative ist das Open Cold Dark Matter Model OCDM mit Ω 0 < 1. 156 Fig. 11.14. Simulationsergebnisse zu den unten im Text beschriebene Modellen. Es vergrößert den Horizont zur Zeit der Gleichheit von Materie und Strahlung, wodurch vermehrte Haufenbildung auf großen Skalen auftritt. In einem anderen Modell wird, unter Beibehaltung von Ω 0 = 1 , Ω M = 0,2 gesetzt, so dass Ω Λ = 1 − Ω M wird. Dieses Modell wird „Λ Cold Dark Matter Model“ (ΛCDM) genannt, wobei der größte Einfluß auf P(k ) von Ω M kommt, während Ω Λ kaum beiträgt. Wenn stattdessen der Anteil relativistischer 157 (heißer) Materie erhöht wird, schafft man einen ähnlichen Effekt. Dieses Modell wird τCDM gernannt. Unter dem Eindruck der Ergebnisse des WMAP-Projekts spricht man in jüngster Zeit vom „Concordance Model“ mit Parametern wie Ω M = 0,3 , h = 0,7 . Fig. 11.15. Ergebnisse der „Milleniums-Simulation, einer der größten bisher durchgeführten N-Teilchen Simulationsrechnung mit mehr als 1010 Teilchen Dargestellt ist die Entwicklung der Materieverteilung (dunkle Materie) in der Gegenwart 13,7 Gigajahre nach dem Big Bang. Das untere Bild zeigt das gleich Ergebnis wie oben aber mit mehr als 10-facher linearer Vergrößerung (nach Volker Springel, MPI f. Astrophysik Garching). Es muss noch einmal betont werden, dass die Strukturen, welche sich bei den Simulationen ergeben, aus dunkler Materie bestehen. Diese bilden Bereiche eines niedrigeren Gravitationspotentials, in welchen sich baryonische Materie sammelt. Offen ist noch die Frage, ob in Ω M nicht auch noch heiße dunkle Materie verborgen ist, z.B. „schwere“ 158 Neutrinos (μ- und τ-Neutrinos). Es ist möglich, dass diese Frage in den nächsten Jahren durch Präzisionsmessungen der Hintergrundstrahlung mit dem PLANCK-Satelliten der ESA gelöst werden kann. Die Modellrechnungen werden einerseits mit N-Teilchen-Simulationen durchgeführt, andererseits mit semianalytischen Methoden. Die umfangreichsten N-Teilchen-Simulationen werden z. Zt. vom Virgo-Team vorangetrieben, an welchem auch das MPI f. Astrophysik in Garching beteiligt ist. Das Model LCDM geht von den Werten Ω M = 0,3 , Ω L = 0,7 , h = 0,7 und σ8 = 0,9 aus. σ8 ist die Streuung in einem Würfel der Kantenlänge r = 8/h Mpc. Die jüngste Auswertung von WMAP- und SNIa-Daten ergibt den +0 , 036 Wert σ8 = 0,772 −0 , 048 . Der in den zitierten Modellen simulierte Würfel hat eine Länge von 3000/h Mpc mit 109 Massenelementen. Die Simulation beginnt bei z = 35. Fig. 11.13 zeigt das Ergebnis einer der umfangreichsten Modellrechnungen mit den Parametern des Konkordanzmodells. Zu den semianalytischen Modellen muß auf die Literatur verwiesen werden. Hinweise finden sich L. Guzzo : Large-Scale Structure from Galaxy to Cluster Surveys. Review in DARK2002, 4th Heidelberg Conf. On Dark Matter in Astro- and Particle Physics. H.-V. Klapdor-Kleingrothaus & R. Viollier eds. Springer 2002. H.J. Mo, S. Mao, S.D.M. White: The formation of galactic disks. MNRS 295 (1998) 319 11.6. Weitere Meßmethoden zur Massenverteilung Machen wir uns noch einmal klar : Nur 4% der Masse des Univesums ist baryonische Masse. 96% sind Materie- bzw. Energieformen, die uns noch völlig unbekannt sind. Diese Feststellung ist so ungeheuerlich, daß von Seiten der Beobachtung alles getan werden muß, das Ergebnis Ω B = 0,04 , Ω M = 0,3 , Ω Λ = 0,7 abzusichern. Das kann vor allem durch möglichst viele verschiedene, völlig unabhängige Meßverfahren geschehen. Wir wollen hier einige neue Verfahren kurz erwähnen, deren Anwendung sich noch in den Anfängen befindet, deren Bedeutung in Zukunft aber sehr wahrscheinlich zunehmen wird. 11.6.1.Der Sunyaev-Zeldovich-Effekt (SZE) beschreibt inverse Comptonstreuung von Photonen des CMB an heißen Elektronen des intergalaktischen Plasmas in Galaxienhaufen. Damit kann die Massenverteilung der Cluster untersucht werden. Solche Untersuchungen wurden bei 150, 210 und 275 GHz mit einem Bolometer-Array am ViperTeleskop gemacht, das am Südpol aufgestellt ist. Die 3 Frequenzkanäle gestatten es, die spektrale Verschiebung des CMB-Spektrums zu höheren Frequenzen zu detektieren. Mit der hier zitierten Messung wurden u.a. zwei Cluster untersucht, welche im REFLEXKatalog die größte Röntgen-Helligkeit besitzen: Abell S 1063 (z = 0,347) und 1E 0657-67 (z = 0,299). Fig. 11.12 zeigt die Ergebnisse von 1E 0657-67. Die Effekte erfordern eine hohe Empfindlichkeit der Messung, die z.Zt. knapp erreicht wird. Der SZE führt zu einer völlig unabhängigen Bestimmung von Cluster-Morphologien und Massen. 11.6.2.Gravitationslinsen-Effekte hängen i.a. von der dunklen Energie und im Detail von der Massenverteilung großer Galaxien ab, die für entfernte Galaxien und Quasare als Linsen wirken. Man unterscheidet normale Linseneffekte, d.h. Ablenkungen im Bereich von Bogensekunden, und Weitwinkelaufspaltungen ( Δθ ≥ 4" ), wobei diese sehr empfindlich auf Dichteverteilungen ansprechen. Auf der Grundlage der bisher beobachteten Systeme lassen sich die verschiedenen Effekte noch nicht trennen. 159 Fig. 11.16. Farbcodierte Bilder der CMB-Temperaturen des Galaxienhaufens 1E065767. Die darüberliegenden weißen Konturen sind ROSAT-Messungen. Der Strahldurchmesser des ACBAR –Mikrowellen-Teleskops beträgt 4,5 Bogenminuten. Die Farbcodierung umfaßt den Temperatur-Bereich von –200 bis +200 µK. Nach P. Gomez et al. astro-ph/0311263. Das sollte aber mit einer größeren Ansammlung von Beobachtungsmaterial möglich sein. Gravitationslinsen bieten eine interessante unabhängige Methode, die dunkle Energie zu untersuchen, deren Größe bis jetzt im Wesentlichen aus SN Ia-Beobachtungen und in jüngster Zeit aus den von WMAP mit großer Genauigkeit gemessenen Fluktuations-Spektrum des CMB bestimmt wurde. 11.6.3. Neben der Hubble-Fluchtgeschwindigkeit besitzen alle Galaxien auch noch Eigenbewegungen. Ihre Geschwindigkeit oder genauer deren radiale Komponente wird als störender Effekt immer mitgemessen, wenn Rotverschiebungen bestimmt werden. Die Eigenbewegungen (auch Pekuliarbewegungen genannt), zeigen Beschleunigungen in Gravitationsfeldern an. Damit enthalten sie wichtige Informationen über Ω M im allgemeinen und über die Massenverteilung in Galaxienhaufen im Speziellen. Zur Bestimmung der Pekuliarbewegungen werden die Daten aus Galaxienkataloge, welche die Rotverschiebungen enthalten, 160 zu grunde gelegt. 11.5.4. Kreuzkorrelationen von Intensitäten der CMB und der Intensität der Röntgen-Hintergrundstrahlung führen dazu, inelastische Streuungen der CMBPhotonen an dem Gravitationspotential großräumiger Materieverteilungen zu detektieren. Dieser sogenannte Sachs-Wolfe-Effekt entsteht erst nach der Rekombination, wenn sich bereits erste Dichtekontraste gebildet haben. Fig. 11.13 zeigt die Ergebnisse. Eine ähnliche Kreuzkorrelation wurde vom gleichen Team zwischen CMB-Fluktuation und der Verteilung der Radiogalaxien gefunden. Fig. 11.17. Kreuzkorrelaltion zwischen der Intensität des Röntgenhintergrunds und der CMB-Intensität. Aus St. Boughn, R. Crittenden, Nature 427 (2004) 45. 11.7. Zusammenfassung. Die Physik der kosmischen Strukturbildung muss erklären, wie die Dichtefluktuationen δ ≈ 10 −5 bis zur ersten Sternbildung auf δ ≥ 1 anwuchsen, was ohne Hinzunahme der dunklen Materie nicht möglich ist. Im so genannten linearen Bereich wächst der Dichtekontrast etwa wie a (t ) ∝ t 2 / 3 . Hat sich eine dichtere Wolke gebildet, kann man auf weitere Verdichtungen die Lösungen der FriedmannGleichungen für Ω > 1 anwenden. Man erhält vor der Virialisierung eine Zunahme des Dichtekontrasts δ = 5,5 , welche dunkle und baryonische Materie betrifft. Nach der Virialisierung ist der Radius der Wolke um die Hälfte geschrumpft, der Dichtekonstrast hat um den Faktor 28 zugenommen. Der baryonische Anteil der Wolke hat sich aufgeheizt. Eine weitere Verdichtung ist nur möglich, wenn (kinetische) Energie durch Strahlung abgegeben wird, wozu nur der baryonische Teil der Materie in der Lage ist. Verschiedene Modelle (hot dark matter, cold dark matter und Λ-cold dark matter) wurden durch N-Teilchensimulationen darauf überprüft, wie sie die Evolution der Strukturen beschreiben. Vergleiche mit den gemessenen Dichtespektren wurden angestellt. Nur das frühe Universum zeigt Selbstähnlichkeit: P(a) ∝ k γ mit γ = 1 . Die spätere Entwicklung wird eher durch einen Exponenten γ = −1.8 beschrieben. Nur ein kleiner Teil der baryonischen Materie befindet sich in Sternen. Der größere Teil wird als stark verdünntes heißes Gas zwischen den Galaxien 161 durch seine Röntgenstrahlung gefunden. Der Sunyaev-Zeldovich-Effekt wird ebenfalls zum Aufspüren von Galaxien-Clustern verwendet. Er beruhrt auf einer Frequenzverschiebung der Hintergrundstrahlung durch Streuung an heißen Elektronen. Literatur A.R. Liddle, D.H. Lyth: Cosmological Inflation and Large-Scale Structure, Chap. 11. Cambridge Univ. Press 2000 P. Schneider: Extragalactic Astronomy and Cosmology. Springer Verl. 2006 L. Guzzo : Large-Scale Structure from Galaxy to Cluster Surveys. Review in DARK2002, 4th Heidelberg Conf. On Dark Matter in Astro- and Particle Physics. E.W. Kolb, M.S. Turner : The Early Universe. Addison Wesley 1990. G. Börner: The Early Universe. Facst and Fiction. Springer Verl. 2004 11.8. Aufgaben 1. Die Dichte einer sphärischen Molekülwolke beträgt 10 Teilchen pro cm3 bei einer Temperatur von 40 K. Wie groß in in diesem Fall die Jeans-Masse MJ und die JeansLänge lJ? 2. Berechne mit den obigen Werten die Schallgeschwindigkeit und und die Zeit tS, welche der Schall benötigt, um die Jeanslänge zu durchlaufen. Wenn Du 1) nicht gelöst hast, verwende lJ = 6,5 pc. Schätze die freie Fallzeit ab für einen Kollaps einer 1 sphärischen Masse mit Radius lJ. (in diesem Fall ist t 2ff ≈ ). Zeige, dass für die Gρ Jeans-Instabilität näherungsweise gilt t S ≈ t ff . 3. Die Kollabierende Wolke soll vor dem Kollaps eine Temperatur von 40 K und eine Gesamtenergie GM 2 E ges = − E pot = −α R gehabt haben die kinetische Energie konnte hier noch vernachlässigt werden). Nach dem Kollaps hat sich ein „Virial“ gebildet, ein neuer stationärer Zustand, für welchen der Virialsatz gilt 1 1 E ges = E kin + E pot = − E pot und E kin = − E pot 2 2 2 1 α GM mit E ges = − E pot = − und α = 3 / 5 2 2 R/2 Der Radius hat sich durch die Virialisierung halbiert. Es ist mittlere kinetische Energie entstanden. Schätze die mittlere kinetische Energie 3 / 2 ⋅ k B T pro Teilchen ab (10 cm-3). Um wie viel ist die Temperatur angestiegen? 162