Modellschule Obersberg Bad Hersfeld Primordiale Nukleosynthese und Baryogenese Das Universum als Fusionsreaktor Besondere Lernleistung im Fachbereich Physik Marcel Kiel Abgabedatum: 23.03.2016 1 f = 0.15 f = 0.20 f = 0.25 Anteil freier Protonen y 0.95 0.9 0.85 0.8 0.75 45 50 55 60 65 70 75 80 85 kBT [keV] Schulische Betreuer Roland Lächa & Michael Bortfeld Erster externer Betreuer Prof. Dr. Matthias Bartelmann, Universität Heidelberg Zweiter externer Betreuer Michael Kolpin, LHCb CERN, PI Heidelberg Inhaltsverzeichnis Symbolverzeichnis iv Einleitung / Überblick v Danksagung vi 1 Kosmologische Weltbilder 1.1 Die antiken Weltbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Kosmologie der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Das kosmologische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 2 4 2 Die 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 Ausdehnung des Universums Die Friedmann-Gleichung in Newton’scher Näherung . . . . . . . . . . . Die kritische Dichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Friedmann-Gleichung in dimensionsloser Darstellung . . . . . . . . . Die Geometrie des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die euklidische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die sphärische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Die hyperbolische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materie-Strahlungs-Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Alter des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Lösung für die strahlungsdominierte Ära . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Lösung für die materiedominierte Ära . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3 Übergangszeitpunkt von Strahlungsdominanz zur Materiedominanz Die Temperatur im sehr frühen Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Mengenverhältnis von Strahlung zu Materie . . . . . . . . . . . . . . 2.8.1 Anzahldichte der Photonen im Universum . . . . . . . . . . . . . 2.8.2 Anzahldichte der Baryonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.3 Das Baryonen-Photonen-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Grundlagen der Thermodynamik 3.1 Die mittlere thermische Energie 3.2 Der Boltzmann-Faktor . . . . . 3.3 Die Zustandssumme . . . . . . 3.4 Die Helmholtz’sche freie Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 6 9 10 11 11 12 12 13 13 13 14 14 15 15 15 15 16 17 17 17 18 19 4 Protonen und Neutronen 20 4.1 Aufbau von Protonen und Neutronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 ii Inhaltsverzeichnis 4.2 Der Beta-Zerfall und der Zerfall freier Neutronen . . . . . . . . . . . . . 21 5 Die primordiale Nukleosynthese 5.1 Protonen und Neutronen im thermischen Gleichgewicht . . . . . . . . . . 5.2 Die Deuterium-Fusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Das Minimum der Helmholtz’schen freien Energie . . . . . . . . . 5.2.2 Die Teilchenzahlen während der primordialen Nukleosynthese . . 5.2.3 Die Saha-Gleichung der Deuterium-Fusion . . . . . . . . . . . . . 5.3 Das Verhältnis von Protonen und Neutronen zu Beginn der Nukleosynthese 5.4 Die Fusion von Helium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Der Ursprung der Elemente, die schwerer als Helium sind . . . . . . . . . 5.5.1 Schwere Elemente während der primordialen Nukleosynthese . . . 5.5.2 Schwere Elemente aus Sternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Sehr schwere Elemente aus Supernovae . . . . . . . . . . . . . . . 23 23 24 25 25 26 31 31 33 33 34 34 6 Die Baryogenese 6.1 Materie und Antimaterie im Universum . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Sacharowkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Verletzung der Baryonenzahl-Erhaltung . . . . . . . . 6.2.2 Verletzung von C- und CP-Invarianz . . . . . . . . . 6.2.3 Thermodynamisches Nichtgleichgewicht . . . . . . . . 6.3 Das LHCb Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Mesonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Erster experimenteller Nachweis der direkten CP-Verletzung 36 36 38 38 38 39 39 40 40 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall Experiment 7.1 Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Suche einer fit-Funktion . . . . . . . 7.2.3 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Konsequenz für die Baryogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . von Bs -Mesonen am LCHb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 42 43 43 45 47 49 Zusammenfassende und weiterführende Gedanken 51 Abbildungsverzeichnis 53 Literaturverzeichnis 54 Selbstständigkeitserklärung 56 iii Symbolverzeichnis Verwendete Naturkonstanten im CGS-System Symbol G c kB h̄ mp mn Bedeutung Newton’sche Gravitationskonstante Lichtgeschwindigkeit Boltzmann-Konstante red. Plank’sches Wirkungsquantum Proton-Ruhemasse Neutron-Ruhemasse Wert 6, 673 · 10−11 299, 792 · 108 1, 380.650 · 10−16 1, 054.571 · 10−27 1, 672.622 · 10−24 1, 674.927 · 10−24 Einheit [cm3 g −1 s−2 ] [cm s−1 ] [cm2 g s−2 K −1 ] [cm2 g s−1 ] [g] [g] Variablen1 Symbol H r x t a T k % Ω Λ ζ(x) n η Z f N Ñ Y X ACP 1 Der Index Bedeutung Hubble-Konstante physikalischer Abstand mitbewegter Abstand Zeit kosmologischer Skalenfaktor Temperatur Krümmungsparameter Massendichte normierter Dichteparameter kosmologische Konstante Riemann’sche Zetafunktion Anzahldichte Baryonen-Photonen-Verhältnis thermodynamische Zustandssumme Protonen-Neutronen-Verhältnis Anzahl freier Teilchen Anzahl gebundener Teilchen Helium-4-Häufigkeit Wasserstoff-Häufigkeit Zerfallsasymmetrie 0 bezeichnet im Folgenden immer den heutigen Wert der jeweiligen Variablen iv Einleitung / Überblick Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist. (Douglas Adams) Seit Anbeginn der Menschheit sind verschiedenste Völker auf der Erde vom gestirnten Nachthimmel und den sich öffnenden Tiefen des Weltalls fasziniert. So ist die Astronomie sogar eine der ältesten Naturwissenschaften überhaupt. Auch mir ergeht es seit einigen Jahren so. Mein besonderes Interesse liegt in der Kosmologie, also der Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung des Universums. So stand für mich sehr schnell fest, dass ich über dieses interessante und vielseitige Thema eine besondere Lernleistung für mein Abitur anfertigen möchte. Da mein weiteres Interesse auch der Erforschung der allerkleinsten Bausteine des Universums, also der Teilchenphysik, gilt, war ich auf der Suche nach einem Thema, welches diese beiden Schwerpunkte verknüpft und mir zugleich einen ersten Einblick in die aktuelle Grundlagenforschung erlaubt. Um diese Idee zu verwirklichen, nahm ich zu Beginn des Jahres 2015 mit Prof. Dr. Matthias Bartelmann aus Heidelberg Kontakt auf, welcher mir seine Betreuung für mein Projekt zusagte. Von einigen möglichen Themen entschied ich mich für eine genauere Betrachtung der primordialen Nukleosynthese und der Baryogenese, also dem Ursprung der Elemente im frühen Universum. Dieses Themengebiet lässt sich sowohl unter kosmologischen, als auch unter teilchenphysikalischen Aspekten betrachten, ist mit relativ einfachen mathematischen und physikalischen Konzepten zu bearbeiten und zudem nah an der aktuellen Forschung. Somit erfüllte es alle meine gewünschten Vorstellungen und ich begann die Arbeit an meinem Projekt. Für eine intensivere Auseinandersetzung mit den Themen verbrachte ich jeweils zwei Wochen am Institut für Theoretische Astrophysik in Heidelberg und am CERN in Genf. Die aus den dort gewonnen Ergebnissen entstandene Arbeit lässt sich in zwei große Themengebiete einteilen. So beschäftigen sich die Kapitel 1-5 nach einem kurzen historischen Überblick mit den kosmologischen Aspekten der primordialen Nukleosynthese aus Sicht der theoretischen Physik, während die Kapitel 6 und 7 mit einer teilchenphysikalischen Betrachtung der Baryogenese und einer experimentellen Datenanalyse anschließen. Am Ende folgt eine Zusammenfassung meiner Ergebnisse. v Danksagung Besonderer Dank gilt Prof. Dr. Matthias Bartelmann, ohne den diese Arbeit in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Für die sehr angenehme Betreuung von der ersten Idee der Arbeit, über den zweiwöchigen Aufenthalt am Institut für Theoretische Astrophysik in Heidelberg und der Vermittlung ans CERN, bis zur endgültige Fertigstellung möchte ich mich vielmals bedanken. Daran knüpft sich mein Dank an Michael Kolpin an, der mich während meiner Zeit am CERN betreut hat und so entscheidend zur Entstehung des zweiten Teils der Arbeit beigetragen hat. Zu guter Letzt möchte ich noch Roland Lächa und Michael Bortfeld für die schulische Betreuung und Beratung zu meiner Arbeit danken. vi 1 Kosmologische Weltbilder Auf einem stark abgekühlten Aschehaufen stehend, beobachten wir das allmähliche Verlöschen der Sonnen, und wir versuchen uns des entschwundenen Glanzes des Ursprungs der Welten zu erinnern. (Georges Lemaître) Im Laufe der Zeit haben sich die kosmologischen Weltbilder der Menschen stark verändert. Die Vorstellung, die Erde liege im Zentrum des Sonnensystems wurde mehr und mehr fallen gelassen. Wichtige Schritte dieser Entwicklung und der Weg zum kosmologischen Prinzip, welches ein wichtiger Pfeiler des kosmologischen Standardmodells ist, soll im folgenden Kapitel kurz dargestellt werden. 1.1 Die antiken Weltbilder Die Babylonier Die babylonische Kosmologie ging unter anderem von einer scheibenförmigen Erde aus, welche auf dem Weltmeer schwimmt und von einer Kuppel umgeben ist. Getragen wird die Erde von den Säulen der Erde, die tief in den Ozean ragen. Sämtliche astronomische Ereignisse spielen sich auf der Oberfläche der Kuppel oder in ihr ab. Die Griechen Im alten Griechenland war der Philosoph Pythagoras (um 550 v. Chr.) einer der Ersten, der sich ernsthafte Gedanken über die Kosmologie machte. So stellte er sich die Erde kugelförmig und von einer Sphäre mit Fixsternen umgeben vor. Die Planeten sind in dieser Vorstellung noch nicht enthalten. Später fügte Eudoxus (um 350 v. Chr.), ein Schüler von Platon, die Planeten in dieses Modell ein. Da zu dieser Zeit bereits deren retrograde Bewegung bekannt war, stellte er sich die Bahn der Planeten als kleine Kreisbahnen auf Großkreisen vor, ähnlich wie es Ptolemäus 500 Jahre später mittels der Theorie der Epizykel erneut tat. Das Modell von Eudoxus wurde von Aristoteles (384 v. Chr. - 322 v. Chr.) überarbeitet. Er ergänzte es auf insgesamt 56 Sphären, die die Erde umgeben, um alle bekannten 1 1 Kosmologische Weltbilder astronomischen Erscheinungen zu erklären. Die Planeten waren zu dieser Zeit nur bis zum Saturn bekannt. Für Aristoteles war das Universum als Ganzes endlich, ohne zeitlichen Anfang und Ende und ohne, dass darin eine Bewegung je zum Stillstand kommt. Da damals Kreise als perfekt galten, waren alle Sphären kugel- und die Planetenbahnen kreisförmig. Allerdings konnte dieses Modell nicht die Änderung der scheinbaren Helligkeit der Planeten in der Opposition erklären, genauso wenig wie deren scheinbare rückläufige Bewegung. Zur Lösung dieses Problems verschob Aristoteles die Erde ein wenig aus dem Mittelpunkt der Sphären, womit zumindest die Helligkeitsänderung erklärbar ist, da die Planeten nun beim Umlauf keine gleichbleibende Entfernung zur Erde haben. Der Philosoph und Mathematiker Ptolemäus (um 100 n. Chr. - um 160 n. Chr.) führte in seinem Modell, welches auch die Erde nicht perfekt im Mittelpunkt der Sphären sieht, die Epizykel ein. Dies sind Kreisbahnen auf den kreisförmigen Planetenbahnen, auf denen sich die Planeten bewegen sollen. Damit konnte er die zeitweise rückläufige Bewegung der Planeten erklären. Die Genauigkeit der Bahnvorhersagen sorgte dafür, dass sein Weltbild bis zum Ende des Mittelalters anerkannt war. 1.2 Die Kosmologie der Neuzeit Das über 1400 Jahre gültige geozentrische Weltbild wurde von dem Astronom Nikolaus Kopernikus (1473 - 1543) zum Einsturz gebracht, als er, wie es bereits Aristarchos von Samos fast 2000 Jahre zuvor erdachte, die Erde aus dem Zentrum des Modells des Sonnensystems nahm und die Sonne dort platzierte. Dieses neue heliozentrische Weltbild war nun in der Lage, die retrograde Planetenbewegung ohne Epizykel zu erklären. Da sich allerdings die Planeten in seiner Vorstellung auf Kreisbahnen bewegten, waren die Berechnungen in seinem Modell nicht so genau wie mittels der Epizykeltheorie und somit wichen die Vorhersagen von der Wirklichkeit ab. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit das kopernikanische Prinzip, welches besagt, dass sich die Erde und somit auch die Menschheit an keinem speziellen Ort im Universum befinden, wie es bis dahin angenommen wurde. Der dänische Hofastronom Tycho Brahe (1546 - 1601), der für seine Zeit über sehr „moderne“ Geräte verfügte, war ein herausragender Beobachter. So entdeckte er im Jahr 1572 eine Supernova im Sternbild Kassiopeia und stellte die genausten astronomischen Tabellen der damaligen Zeit zusammen. Auch entwickelte er ein neues Konzept des Sonnensystems. In diesem steht wieder die Erde im Mittelpunkt, aber die Planeten umkreisen die Sonne, welche wiederum die Erde umkreist. Die daraus folgenden Berechnungen erwiesen sich als sehr genau. Aus den umfassenden Beobachtungsdaten Brahes entwickelte Johannes Kepler das bis heute gültige heliozentrische Weltbild. In diesem ist die Sonne der Mittelpunkt des Sonnensystems und die Planeten umkreisen sie. Allerdings sind die Planetenbahnen kei- 2 1 Kosmologische Weltbilder ne perfekten Kreise, sondern Ellipsen. Dieses einfache Modell stimmt perfekt mit den Beobachtungsdaten überein. Von diesem ausgehend fand Kepler drei fundamentale Gesetze der Planetenbewegung, die heute als die drei keplerschen Gesetze bekannt sind. Thomas Wright (1711 - 1786), ein englischer Philosoph und Astronom, wies die Hypothese der gleichmäßigen Verteilung der Sterne im Universum zurück und entwickelte die Idee einer scheibenförmigen Anordnung, in der sich die Sonne und andere Sterne befinden. Auch sah Wright „Nebel“ durch sein Fernrohr, welche er als centres of creation bezeichnete und für ähnliche Anordnungen wie die Milchstraße hielt. Auch der Königsberger Philosoph Immanuel Kant vermutete, dass diese „Nebel“ Galaxien wie die unsere darstellen und bezeichnete sie daher als Welteninseln. Diese Galaxien bilden seiner Meinung nach Haufen, die wieder größere Haufen bilden und somit immer größere, aufeinander aufbauende Strukturen darstellen. Im Jahr 1823 formulierte Heinrich Wilhelm Olbers die Fragestellung, wie denn bei einem unendlich ausgedehnten Universum der Nachthimmel dunkel sein könne. Nach seiner Einschätzung müsste in jede Blickrichtung irgendwann ein Stern zu sehen sein, vergleichbar mit einem Blick in einen tiefen Wald, bei dem in jeder Blickrichtung irgendwann ein Baum steht. Somit wäre der Nachthimmel so hell wie die Oberfläche eines Sternes. Diese Problemfrage ist heute noch als Olbers’sches Paradoxon bekannt. Lösen lässt es sich dadurch, dass das Universum nur ein begrenztes Alter besitzt und selbst bei einer unendlichen räumlichen Ausdehnung aufgrund der endlichen Lichtgeschwindigkeit nur Licht aus einem endlichen Bereich (der sogenannten Hubble-Sphäre) zum Beobachter vordringen kann. Zwar waren die Geschwister Caroline und Wilhelm Herschel bereits Ende des 18. Jahrhunderts aufgrund ihrer detaillierten astronomischen Messungen in der Lage, die Scheibenstruktur unserer Galaxie vorherzusagen, aber sie vermuteten die Erde in deren Zentrum. Erst Harlow Shapley (1885 - 1972) konnte diese Annahme zu Beginn des 20. Jahrhunderts widerlegen, nachdem er festgestellt hatte, dass sich das Sonnensystem rund zwei Drittel des Radius vom Zentrum der Milchstraße entfernt befindet. Vesto Slipher (1875 - 1969) gelang als Erstem die Messung der Radialgeschwindigkeit von Galaxien und deren Rotation. Auch entdeckte er zuerst die Rotverschiebung in den Lichtspektren der vermessenen Galaxien. Im Jahr 1923 konnte der Astronom Edwin Hubble (1889 - 1953) erstmals den Randbereich der Andromedagalaxie M31 in Einzelsterne auflösen und nachweisen, dass sie weit außerhalb unserer Milchstraße liegt und somit eine eigenständige Galaxie darstellt. Für diese Messung nutzte er die Eigenschaften einer bestimmten Art von Sternen, den Cepheiden, die ihre Helligkeit periodisch ändern. Da die Pulsationsfrequenz auf die absolute Helligkeit schließen lässt, war es möglich, über die scheinbare Helligkeit die Entfernung zu errechnen. Hubble entdeckte im Jahr 1929 nach weiteren Untersuchungen der von Sli- 3 1 Kosmologische Weltbilder pher entdeckten Rotverschiebung einen linearen Zusammenhang zwischen dieser und der Entfernung. Dazu trug er die Geschwindigkeiten der Galaxien gegen deren Entfernung auf, woraus sich das sogenannte Hubble-Diagramm ergibt. Hubbles damals erstelltes Diagramm ist in Abbildung 1.1 zu sehen. Die mathematische Formulierung dazu ist heute Abbildung 1.1: Diagramm aus Hubbles Arbeit von 1929 als Hubble-Gesetz bekannte und lautet cz = v = H0 r , (1.1) wobei z die kosmologische Rotverschiebung und H0 die Hubble-Konstante als Proportionalitätsfaktor ist. Dieser lineare Zusammenhang gilt allerdings nur für kleine kosmische Entfernungen. Hubbles Entdeckung, dass das Universum expandiert und nicht, wie bis zu diesem Zeitpunkt vermutet, statisch ist, führte zu einem Paradigmenwechsel in der Kosmologie des 20. Jahrhunderts. 1.3 Das kosmologische Prinzip Aus den Weltmodellen der vergangenen Jahrhunderte hat sich eine Hypothese über die Struktur des Universums als Ganzes entwickelt, welche heute die Grundlage der modernen Kosmologie bildet und als kosmologisches Prinzip bekannt ist. Dieses besagt, dass sich die Erde, unser Sonnensystem und somit auch unsere Galaxie, an keinem besonderen Ort im Universum befinden. Dafür geht es von folgenden zwei Grundannahmen aus: • das Universum ist homogen. Das heißt, egal an welchem Punkt sich ein Beobachter befindet, nimmt er im Mittel das Gleiche wahr. Das Universum ist also ortsunabhängig. 4 1 Kosmologische Weltbilder • das Universum ist isotrop. Dies bedeutet, dass ein Beobachter im Mittel keinen Unterschied wahrnimmt, egal in welche Richtung im Raum er blickt. Somit ist das Universum richtungsunabhängig. Beobachtungen der kosmischen Mikrowellenstrahlung bestätigen diese Annahmen. So ist die Hintergrundstrahlung, nachdem man die Rotverschiebung durch die Pekuliarbewegung des Sonnensystems und der Galaxie herausrechnet, nahezu perfekt isotrop und weicht nur um 0,001 % davon ab. Das kosmologische Prinzip ist allerdings erst auf möglichst großen Skalen jenseits von Größenordungen im Bereich von Megaparsec anwendbar, da man erst dann von einer im Mittel gleichmäßigen Materieverteilung ausgehen kann. So ist die Materieverteilung im Sonnensystem sehr ungleichmäßig. Betrachtet man dagegen z.B. großskalige Aufnahmen wie das Hubble-Deep-Field, erscheinen die Galaxien sehr gleichmäßig im Universum verteilt. 5 2 Die Ausdehnung des Universums Meine Vermutung ist, dass das Universum nicht nur seltsamer ist, als wir uns vorstellen, sondern seltsamer als wir uns vorstellen können. (J. B. S. Haldane) Die Friedmann-Gleichung, welche die Expansion des Universums beschreibt und somit eine der wichtigsten Gleichungen der Kosmologie darstellt, lässt sich nicht nur über die allgemeine Relativitätstheorie herleiten, sondern auch in einer Newton’schen Näherung. Im weiteren Verlauf des Kapitels werden mittels der so gewonnenen FriedmannGleichung einige wichtige Grundlagen zur Ausdehnung des Universums untersucht, die später noch eine wichtige Rolle spielen werden. 2.1 Die Friedmann-Gleichung in Newton’scher Näherung Laut Newtons Gravitationsgesetz ziehen sich zwei Massen M und m gegenseitig an und die zwischen ihnen wirkende Kraft wird durch die Formel Fgrav = GM m r2 (2.1) beschrieben. G ist hierbei die Gravitationskonstante und r der Abstand zwischen den beiden beteiligten Massen. Die potenzielle Energie im Gravitationsfeld ist gegeben durch die Formel Epot = − GM m . r (2.2) Nun ist noch wichtig zu nennen, dass, wie bereits von Newton 1686 in seinem Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica bewiesen, nur die Masse innerhalb einer zu betrachtenden sphärisch symmetrischen Masseverteilung einen Beitrag zur Gravitationskraft leistet. Dies ist auch als newton’sches Schalentheorem bekannt, bzw. in der verallgemeinerten Version als Birkhoff-Theorem in der allgemeinen Relativitätstheorie. Betrachtet man nun ein gleichförmig expandierendes Medium, dass die Massendichte (Masse pro Volumen) % hat, beträgt die Masse einer beliebigen Kugel in diesem Medium unter der Annahme der Isotropie und Homogenität M = 34 πr3 %. Setzt man dies in 6 2 Die Ausdehnung des Universums Gleichung (2.1) ein, folgt daraus Fgrav = 4πGmr% . 3 (2.3) Die entsprechende potenzielle Energie nach Einsetzen in (2.2) ist daher Epot = − 4πGmr2 % . 3 (2.4) Betrachtet man jetzt ein beliebiges Teilchen mit der Geschwindigkeit v, so ist dessen kinetische Energie gegeben durch 1 1 dr Ekin = mv 2 oder mṙ mit ṙ = . 2 2 dt (2.5) Setzt man die Ergebnisse aus Gleichung (2.5) und Gleichung (2.4) in den Energieerhaltungssatz Eges = Ekin + Epot , folgt 1 4πGmr2 % Eges = mṙ2 − . 2 3 (2.6) Aufgrund der Homogenität des angenommenen Mediums gilt die Gleichung (2.6) für den Abstand zweier beliebiger Teilchen zueinander. Daher ist es sinnvoll, für den Abstand mitbewegte Koordinaten einzuführen, die der Expansion des Mediums folgen. Der wirkliche Abstand der Teilchen ~r errechnet sich dann aus dem Produkt aus dem mitbewegten Abstand ~x und dem sogenannten Skalenfaktor a(t): ~r = a(t)~x . (2.7) Veranschaulichen lässt sich dies durch ein Koordinatensystem, welches sich im Verlauf der Zeit vergrößert. Die betrachteten Teilchen verharren während dieser Expansion an den festen Punkten im ~x-Koordinatensystem. Somit sind während der Expansion die ~xAbstände gleich und nur durch den zeitabhängigen Skalenfaktor ist die Berechnung der realen Abstände möglich. Beispielsweise führt eine Verdoppelung des Skalenfaktors zu einer Verdoppelung der realen Abstände zwischen zwei Punkten, falls die beiden Punkte ihren mitbewegten Abstand nicht ändern (z.B. durch eine Pekuliargeschwindigkeit). Nimmt man an, dass es sich bei dem Medium um das Universum handelt, beschreibt der Skalenfaktor die Veränderung des Abstandes zwischen zwei Punkten innerhalb des Universums, beispielsweise zwischen zwei Galaxien. Setzt man nun die Gleichung (2.7) in Gleichung (2.6) ein, erhält man 4πGma2 x2 % 1 . Eges = mȧ2 x2 − 2 3 7 (2.8) 2 Die Ausdehnung des Universums Die Multiplikation mit 2/ma2 x2 auf beiden Seiten und die anschließende Substitution von kc2 für −2Eges /mx2 führt nach einigen Umformungsschritten zur bekannten Standardform der Friedmann-Gleichung: 2 8πG kc2 ȧ (2.9) = %− 2 a 3 a Auf diese Lösung stieß der russische Mathematiker und Physiker Alexander Friedmann im Jahr 1922, als er die Einstein’schen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie untersuchte. Auch Albert Einstein fand bereits zuvor ähnliche Lösungen. Da sie aber nur ein kollabierendes oder expandierendes Universum zuließen und Einstein davon ausging, dass das Universum statisch sei, erweiterte er seine Gleichungen um einen zusätzlichen Term, welcher die kosmologische Konstante Λ enthält. Damit sieht die FriedmannGleichung wie folgt aus: 2 8πG kc2 Λc2 ȧ = %− 2 + . (2.10) a 3 a 3 Die kosmologische Konstante ermöglicht, dass die anfänglichen Lösungen der Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie ein statisches Universum zulassen, das einen zeitlich konstanten Skalenfaktor a besitzt. Sie wirkt somit wie ein Druck, der genau der gravitativen Kontraktion oder Expansion entgegenwirkt und das Universum stabilisiert. Nachdem in den 1920er Jahren vermehrt Hinweise auf ein nicht-statisches Universum auftauchten, revidierte Einstein die Einführung von Λ. Nachdem Einstein von Friedmanns Lösungen erfuhr, lehnte er diese zunächst ab und erklärte sie für mathematisch falsch. Erst ein ehemaliger Studienkollege von Friedmann, der Mathematiker und Physiker Juri Krutkow, konnte ihn von der Richtigkeit überzeugen. Daraufhin zog Einstein seine Aussage zurück und erkannte seinen Fehler. Im Jahr 1927 entdeckte der belgische Priester und Physiker Georges Lemaître unabhängig von Friedmann dessen fünf Jahre zuvor gefundene Gleichungen. Lemaître versuchte daraufhin seine theoretischen Ergebnisse mit den damals bekannten astronomischen Beobachtungen in Einklang zu bringen. So nutze er die Beobachtungsdaten von Slipher und Hubble und die Entdeckung der Instabilität der Friedmann-Modelle und kam zu dem Schluss, dass diese Daten einem expandieren Universum entsprachen, was letztendlich zum heutigen Urknall-Modell führte. Als im Jahr 1998 von den Astrophysikern Saul Perlmutter, Brian P. Schmidt und Adam Riess bei Untersuchungen von Supernovae des Typs Ia in weit entfernten Galaxien entdeckt wurde, dass diese schwächer leuchteten als erwartet, schlossen sie daher, dass sie weiter entfernt sind als gedacht. Daraus entwickelte sich die Theorie, dass das Universum beschleunigt expandieren muss. Diese Entdeckung führte für die drei Forscher 2011 zum Physik-Nobelpreis. Die beschleunigte Expansion wird der Theorie nach durch die Dunkle Energie ausgelöst. Um dies zu erklären, wurde die kosmologische Konstante wieder eingeführt, welche beschreibt, wie die Dunkle Energie das Universum auseinander treibt. 8 2 Die Ausdehnung des Universums (a) A. Friedmann (b) A. Einstein (c) G. Lemaître Abbildung 2.1: Die Forscher hinter der Expansionstheorie des Universums aus den 1920er Jahren Bis heute ist die Natur der Dunklen Energie nicht geklärt, so könnte sie beispielsweise ein Effekt der Quantenfeldtheorie sein. Allerdings deuten aktuelle Forschungsergebnisse darauf hin, dass über 68,4%1 der Energiedichte des Universums von ihr erzeugt werden. Da die Effekte der kosmologischen Konstante für sehr frühe Zeiträume im Universum unbedeutend sind, kann sie für die weiteren Berechnungen zur primordialen Nukleosynthese vernachlässigt werden. 2.2 Die kritische Dichte Im Laufe der Expansion des Universums gibt es genau eine Dichte %krit , die auch als kritische Dichte bezeichnet wird, bei der keine Krümmung des Raums vorliegt. Sie lässt sich leicht aus Gleichung (2.6) herleiten, wenn man fordert, dass sich die Bewegungsenergie Ekin und das Gravitationspotential Epot genau ausgleichen: 4πGmr2 % 1 = 0. Ekin + Epot = mṙ2 − 2 3 (2.11) Berücksichtigt man ṙ = dr/dt = v und verwendet (1.1), ergibt sich 1 4πGmr2 % 8πG% mH02 r2 − =0 ⇒ = 1. 2 3 3H02 Nach % umgestellt, folgt: %krit0 1 3H02 = . 8πG Quelle: Planck, 2015 9 (2.12) (2.13) 2 Die Ausdehnung des Universums Diese Dichte ist zeitabhängig, da sie eine Funktion von H0 ist und trotz der obigen klassischen Herleitung über die Energie eines Testteilchens ist die Gleichung auch in der relativistischen Kosmologie gültig. Dadurch, dass H(t) zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Werte annimmt, ergibt sich zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung des Universums eine charakteristische kritische Dichte. Der heutige Wert liegt bei ≈ 10−27 g m−3 . Diese Dichte entspricht ungefähr einem Atom pro Kubikmeter im Universum oder einer durchschnittlichen Galaxie pro Mpc3 . Im Vergleich zu den irdischen Dichten hat sie somit einen extrem geringen Wert. 2.3 Die Friedmann-Gleichung in dimensionsloser Darstellung Betrachtet man nun den Dichteparameter % aus Gleichung (2.9) noch einmal und stellt ihn als Summe der heutigen Dichte der Materie (%m0 ) und der Strahlung (%r0 ) dar, ergibt sich folgender Ausdruck: %m0 %r0 (2.14) %= 3 + 4 . a a Die dritte Potenz des Skalenfaktors a bei der Materiedichte besagt, dass diese bei der räumlichen Ausdehnung des Universums um den Faktor a−3 abnimmt. Die Anzahldichte der Photonen nimmt auch um den Faktor a−3 ab, aber da die Photonen auf ihrem Weg zudem eine Rotverschiebung erfahren, die eine Abnahme um a−1 zur Folge hat, ergibt sich insgesamt eine Abnahme der Strahlungsdichte um den Faktor a−4 . Setzt man dieses Ergebnis in die ursprüngliche Friedmann-Gleichung (2.9) ein und erweitert die rechte Seite um H02 , ergibt sich daraus: 2 kc2 2 8πG 2 %m0 %r0 ȧ H + − H . = a 3H02 0 a3 a4 a2 H02 0 (2.15) Untersucht man die obige Gleichung, dann lässt sich feststellen, dass der Term 8πG/3H02 den Kehrwert einer Dichte darstellt. Dies ist die so genannte kritische Dichte %krit , welche in Abschnitt 2.2 genauer beschrieben wurde. Definiert man nun die dimensionslosen Terme Ωm0 := %m0 , %krit0 (2.16) Ωr0 := %r0 und %krit0 (2.17) Ωk0 := kc2 , H0 2 (2.18) 10 2 Die Ausdehnung des Universums lässt sich die Friedmann-Gleichung (2.15) umschreiben zu 2 ȧ Ωm0 Ωk0 2 Ωr0 = H0 + 3 − 2 . a a4 a a (2.19) Je früher der Zeitpunkt ist, zu dem man das Universum betrachtet, desto kleiner wird der Skalenfaktor a. Damit ist in der obigen Gleichung leicht zu erkennen, dass zuerst der Krümmungsparameter Ωk0 /a2 und danach der Materiedichteparameter Ωm0 /a3 vernachlässigbar klein werden, da der Strahlungsdichteparameter Ωr0 /a4 die anderen beiden überwiegt. Für das sehr frühe Universum gilt also: Ωm0 Ωr0 Ωk0 3 4 . 2 a a a 2.4 Die Geometrie des Universums Der zuvor als Variable substituierte Krümmungsparameter k in der Newton’schen Näherung der Friedmann-Gleichung (2.9) stellt im klassischen Sinne die Energie pro Teilchen dar, während er in der Allgemeinen Relativitätstheorie die Krümmung des Raumes wiedergibt. Diese Krümmung des dreidimensionalen Raums wird durch die in ihm enthaltenen Massen hervorgerufen. Im Folgenden werden die drei global in Frage kommenden Geometrien untersucht. 2.4.1 Die euklidische Geometrie Entspricht die tatsächliche Dichte des Universums zur Zeit t nun genau der kritischen Dichte %ges =1 (2.20) Ωges := %krit ist k = 0. Dann wird die Geometrie der Raumzeit als f lach oder genauer als euklidisch bezeichnet. Diese Art der Geometrie ist uns auf der Erde am vertrautesten und wurde bereits von Euklid vor rund 2300 Jahren beschrieben. So ist dort die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten eine Gerade, die Winkelsumme in einem Dreieck beträgt genau 180◦ und der Umfang eines Kreises mit dem Radius r beträgt genau 2πr. Der Abstand zweier paralleler Geraden in der euklidischen Geometrie ändert sich nicht und ist immer gleich, weder konvergieren sie, noch divergieren sie daher. Nach aktuellen Forschungsergebnissen ist unser Universum als flach anzusehen, das heißt, die globale Dichte entspricht genau der kritischen Dichte. Ist dies wirklich der Fall, ist unser Universum als unendlich ausgedehnt zu betrachten, da ein Rand dem kosmologischen Prinzip widersprechen würde. Allerdings ist diese Aussage nach aktuellen Forschungsergebnissen der Topologie und der Differenzialgeometrie nicht ganz korrekt. 11 2 Die Ausdehnung des Universums So ist es durchaus möglich, dass ein Torus mit einer bestimmten f raktalen Struktur eine flache Geometrie aufweist.2 2.4.2 Die sphärische Geometrie Die zweite mögliche Geometrie ist die sphärische Geometrie. Sie liegt bei einer Dichte vor, die größer als die kritische Dichte (Ωges > 1 oder k > 0) ist. Sie ist vor allem für geometrische Betrachtungen der Erde, also z.B. der Kartografie oder der Himmelssphären, relevant. Im zweidimensionalen Anschauungsraum entspricht sie der Oberfläche einer Kugel. Die zuvor genannten Eigenschaften der euklidischen Geometrie gelten hier nicht mehr. So ist die Winkelsumme eines Dreiecks stets größer als 180◦ und der Umfang eines Kreises größer als 2πr. Zwei ursprünglich parallel verlaufende Geraden werden hier als Großkreise bezeichnet, laufen unweigerlich aufeinander zu und schneiden sich. Dies kennt man von der Erde durch die Längenkreise. Die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist nun keine Gerade mehr, sondern wird durch Kreisbögen, die so genannten Geodäten, beschrieben. Besitzt nun das Universum eine solche Geometrie, ähnlich der Oberfläche der Erde, ist es endlich, aber räumlich unbegrenzt. Ein Reisender, der in eine bestimmte Richtung gradlinig aufbricht, landet irgendwann wieder an seinem Startpunkt. Ein solches Universum wird auch als geschlossen bezeichnet. 2.4.3 Die hyperbolische Geometrie Die dritte Möglichkeit ist die hyperbolische Geometrie. Sie lässt sich am ehesten als sattelförmige Oberfläche im zweidimensionalen Anschauungsraum beschreiben und tritt auf, wenn die Dichte geringer als die kritische Dichte (Ωges < 1 oder k < 0) ist. Auch sie erfüllt nicht die Forderungen der Postulate von Euklid. So ist der Kreisumfang hier kleiner als 2πr und die Winkelsumme von Dreiecken ist immer kleiner als 180◦ . Zwei parallele Linien laufen in der hyperbolischen Geometrie auf ewig auseinander. Ähnlich dem flachen Universum ist ein hyperbolisches Universum unendlich groß und wird daher auch als offenes Universum bezeichnet. Die drei möglichen Geometrien des Universums sind in Abbildung 2.2 dargestellt. 2 Vgl. Spektrum der Wissenschaft 01.2015 - „Glatte Fraktale“ - Seite 44 bis Seite 52 12 2 Die Ausdehnung des Universums Abbildung 2.2: Zweidimensionale Darstellung der möglichen Geometrien 2.5 Materie-Strahlungs-Gleichheit Fordert man, dass die Materiedichte und die Strahlungsdichte gleich sein sollen, also: Ωm0 ! Ωr0 = 4 , a3eq aeq ist dies bei einem Skalenfaktor Ωr0 (2.21) Ωm0 der Fall. Wie sich später zeigen wird, findet die primordiale Nukleosynthese bei a aeq statt. aeq = 2.6 Das Alter des Universums 2.6.1 Lösung für die strahlungsdominierte Ära Für sehr frühe Phasen des Universums, in denen die Friedmann-Gleichung durch die Ergebnisse der Eigenschaften von (2.19) zu frühen Zeitpunkten zu 2 ȧ 2 Ωr0 ≈ H0 . (2.22) a a4 13 2 Die Ausdehnung des Universums vereinfacht ist, lässt sich das Alter des Universums für den Fall a aeq zu einem bestimmten Skalenfaktor wie folgt berechnen: Zuerst bildet man das Integral von Null bis t über t0 und stellt dieses um: Z Z Z a Z t da da da0 0 dt = = = t= 0 da/dt ȧ 0 aH 0 Nach dem Einsetzen von Gleichung (2.22) für H im letzten Integral folgt daraus: Z a da0 √ t= . (2.23) 1 0 0 a H0 Ωr0 a0 2 Dieses Integral lässt sich einfach lösen: Z a 1 a2 1 √ √ a0 da0 = . t= H0 Ωr0 0 H0 Ωr0 2 Somit beträgt die Zeit t bei gegebenem Skalenfaktor a: a2 √ t= . 2H0 Ωr0 (2.24) (2.25) 2.6.2 Lösung für die materiedominierte Ära Während der frühen materiedominierten Ära vereinfacht sich die Friedmann-Gleichung zu 2 Ωm0 ȧ 2 Ωr0 ≈ H0 + 3 . (2.26) a a4 a Durch eine weitaus umfangreichere Rechnung als die für die strahlungsdominierte Ära ergibt sich i hp 2 2 √ t= a + aeq (a − 2aeq ) + 2aeq 3 (2.27) 3H0 Ωm0 als Lösung. 2.6.3 Übergangszeitpunkt von Strahlungsdominanz zur Materiedominanz Durch Einsetzen von (2.21) in (2.27) lässt sich der Zeitpunkt berechnen, an dem die Strahlungsphase in die Materiephase übergeht: hp i 2(2 − √2) Ω 23 2 2 r0 √ √ 2aeq (−aeq ) + 2aeq 3 = . (2.28) t(aeq ) = 3H0 Ωm0 3H0 Ωm0 Ωm0 Nach dem Einsetzen der kosmologischen Parameter ergibt sich für den Übergang ein Zeitpunkt ca. 50.000 Jahre nach dem Urknall. Dieses Ergebnis wird später bei der qualitativen Betrachtung der primordialen Nukleosynthese noch wichtig sein, da diese in einem deutlich früheren Zeitraum stattgefunden hat und somit lediglich die Strahlungsdichte zur Berechnung zu berücksichtigen ist. 14 2 Die Ausdehnung des Universums 2.7 Die Temperatur im sehr frühen Universum Bei näheren Untersuchungen der kosmischen Hintergrundstrahlung wurde festgestellt, dass es sich dabei um eine fast perfekte Schwarzkörperstrahlung handelt. Deren Energiedichte ist proportional zu T 4 und a−4 . Daraus folgt, dass die Temperatur T ∝ a−1 ist. Somit ist T0 T0 =⇒ a = , (2.29) T = a T wobei T0 ≈ 2, 726 K beträgt. Setzt man nun die erhaltene Gleichung (2.29) in Gleichung (2.24) ein, erhält man: t= T0 T 2 1 √ . 2H0 Ωr0 (2.30) Dies lässt sich durch Umstellen und Ziehen der Quadratwurzel nach der Temperatur auflösen: 1 T0 √ . (2.31) T =p √ 2H0 Ωr0 t Mit dieser Formel lässt sich nun die Temperatur in der strahlungsdominierten Ära des Universums zu einer gegebenen Zeit t berechnen. 2.8 Das Mengenverhältnis von Strahlung zu Materie 2.8.1 Anzahldichte der Photonen im Universum Eine weitere, später sehr wichtige Größe ist die Anzahldichte der Photonen im Universum. Sie lässt sich mit Hilfe der Quantenstatistik aus der kosmischen Hintergrundstrahlung ermitteln. Dort ist die Anzahldichte nγ gegeben als: ζ(3) nγ = 2 2 π kB T h̄c 3 . (2.32) Hier ist ζ die Riemann’sche Zeta-Funktion, kB die Boltzmann-Konstante der Thermodynamik und h̄ das um 2π reduzierte Plank’sche Wirkungsquantum h. Nach Einsetzen des bekannten Wertes von 2,726 K für die Temperatur T der kosmischen Hintergrundstrahlung, ergibt sich eine Photonendichte im Universum von rund 405 Photonen pro cm3 . 2.8.2 Anzahldichte der Baryonen Auch die Anzahldichte der Baryonen lässt sich leicht für das Universum berechnen. Ausgehend von der kritischen Dichte und dem bekannten Dichteparameter ΩB0 der baryonischen Materie von ungefähr 0,049 lässt sich mit der Masse des häufigsten Baryons, 15 2 Die Ausdehnung des Universums des Protons, die Anzahldichte nB0 bestimmen: ΩB0 = %B0 =⇒ %B0 = %cr0 ΩB0 %cr0 (2.33) %cr0 ΩB0 mp (2.34) nB0 = Dies ergibt einen Wert von ≈ 2, 5 · 10−7 Baryonen pro cm3 . 2.8.3 Das Baryonen-Photonen-Verhältnis Nun lässt sich aus den beiden oben erhaltenen Anzahldichten das Verhältnis η von Baryonen zu Photonen berechnen. Es ergibt sich aus: η= nB 2, 5 · 10−7 ≈ ≈ 6, 17 · 10−10 . nγ 405 (2.35) Während der Expansion des Universums verhalten sich die Anzahldichten der Photonen und der Baryonen proportional zu r−3 , also genau in dem Maße, wie sich das Raumvolumen vergrößert. Allerdings verändert sich zusätzlich die Photonenenergie durch die Expansion proportional zu r−1 . Daher ist das Verhältnis η zu jeder Zeit eine Konstante, da im Zuge der Expansion keine Teilchen erzeugt oder vernichtet werden. Der berechnete Wert ist dahin gehend auffallend, da er angibt, dass es pro Baryon jeweils ungefähr 1, 6 · 109 Photonen gibt, was eine überraschend hohes Verhältnis darstellt. Für die späteren Betrachtungen zur primordialen Nukleosynthese und der Baryogenese wird dieses Ergebnis noch von großer Bedeutung sein. 16 3 Grundlagen der Thermodynamik Thermodynamik ist ein komisches Fach. Das erste Mal, wenn man sich damit befasst, versteht man nichts davon. Beim zweiten Durcharbeiten denkt man, man hätte nun alles verstanden, mit Ausnahme von ein oder zwei kleinen Details. Das dritte Mal, wenn man den Stoff durcharbeitet, bemerkt man, dass man fast gar nichts davon versteht, aber man hat sich inzwischen so daran gewöhnt, dass es einen nicht mehr stört. (Arnold Sommerfeld) Für die späteren Betrachtungen der primordialen Nukleosynthese sind vor allem zwei Ergebnisse der statistischen Thermodynamik zu berücksichtigen. Dies sind der BoltzmannFaktor und die Zustandssumme, welche zwei sehr mächtige physikalische Werkzeuge darstellen. 3.1 Die mittlere thermische Energie Es ist möglich, die mittlere thermische Energie eines Teilchens aus der Temperatur des umgebenden Mediums zu berechnen. Durch die universelle Boltzmann-Konstante kB , die als Proportionalitätsfaktor fungiert, ergibt sich für die thermische Energie die Gleichung Etherm = kB T . (3.1) 3.2 Der Boltzmann-Faktor Aus der klassischen Mechanik ist seit Newton bekannt, dass die Beschleunigung einer Masse eine Kraft erfordert: m~x¨ = F~ . (3.2) Um eine solche Bewegungsgleichung, die mathematisch eine Differentialgleichung zweiter Ordnung darstellt, nun aber lösen zu können, müssen bestimmte Anfangsbedingungen gegeben sein. Diese sind in diesem Fall (~x, ~x˙ ), ausgewertet zu einem bestimmten Zeitpunkt. Alternativ lässt sich die Gleichung auch mit den Anfangsbedingungen (~x, p~) lösen, da der Impuls p~ als p~ = m~v definiert ist. Es müssen also der Ort und die Geschwindigkeit, oder alternativ der Ort und der Impuls eines Teilchens vorgegeben sein, damit man den weiteren Verlauf der Bewegung vorhersagen kann. 17 3 Grundlagen der Thermodynamik Nun kann man den Begriff des Phasenraumes einführen. Der Phasenraum stellt in diesem einfachen Beispiel ein Koordinatensystem dar, in dem der Impuls p~ auf die vertikale Achse und der Ort ~x auf die horizontale Achse aufgetragen werden. p~ (~x1 , p~1 ) ~x 0 0 Führt man im Phasenraum den sogenannten Boltzmann-Faktor ein, kann man mit diesem beschreiben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ein Teilchen bei (~x, p~) zu finden: E(~ x,~ p) E(~x, p~) − k T B oder exp − e . (3.3) kB T In der klassischen Thermodynamik werden die Teilchen eines idealen Gases als vernachlässigbar klein angenommen und können sich frei bewegen. Das heißt, dass, außer bei Stößen, keinerlei Kräfte auf sie wirken. Stöße zwischen den Teilchen müssen allerdings möglich sein, da sich sonst kein thermisches Gleichgewicht einstellen könnte. Bei der Betrachtung von freien Gasteilchen ist E die kinetische Energie, die sich auch als 2 m p~ p~ 2 1 2 = Ekin = m~v = 2 2 m 2m darstellen lässt. Daraus folgt als Boltzmann-Faktor für freie Gasteilchen p~ 2 exp − . 2mkB T (3.4) 3.3 Die Zustandssumme Ein bestimmter Punkt mit den Komponenten (~x, p~) im Phasenraum wird nun als Zustand bezeichnet. Die Zustandssumme Z ist als als Summe über alle erlaubten BoltzmannFaktoren in diesem Phasenraum definiert. Dafür bildet man das Integral ZZZ E(~x, p~) d3 x d3 p , (3.5) Z= exp − kB T das sich in einer aufwändigen Rechnung zu Z = V N (2πmkB T )3N/2 18 (3.6) 3 Grundlagen der Thermodynamik lösen lässt. In dieser Gleichung steht V für das zu betrachtende Volumen und N für die Anzahl an Teilchen. Aus (3.6) ergibt sich durch weitere thermodynamische Betrachtungen die EinteilchenZustandssumme für klassische Teilchen eines idealen Gases (2πmkB T )3/2 mc2 − µ . (3.7) Z = gV exp − (2πh̄)3 kB T Hier ist g = 2s + 1 (3.8) der sogenannte Spin-Entartungsfaktor, der sich daraus ergibt, dass jeder Zustand durch g Teilchen besetzt werden kann, sofern diese den Spin s haben, und µ ist das chemische Potential. Dieses ist nötig, da eine Änderung der Teilchenzahl Energie erfordern oder freisetzen kann. Zudem erfolgt hier eine zusätzliche Normierung durch die Heisenberg’sche Unschärferelation mittels (2πh̄)3 , welche das Volumen einer Zelle im Phasenraum angibt. 3.4 Die Helmholtz’sche freie Energie Die Helmholtz’sche freie Energie ist die Energie, bei der sich ein System bei gegebener Temperatur und bei gegebenem (und festem) Volumen im thermischen Gleichgewicht befindet. Im Gleichgewichtszustand nimmt die freie Energie den kleinstmöglichen Wert an. Sie hängt nur von der Temperatur und den Teilchenzahlen ab, welche die einzigen freien Parameter sind und ist definiert als: F = −kB T ln Z . (3.9) Hieraus lässt sich durch Differenzierung nun beispielsweise einfach das ideale Gasgesetz ableiten: ∂ 3N 1 ∂F − =− −kB T N ln V + ln(2πmkB T ) = kB T N = P . (3.10) ∂V ∂V 2 V 19 4 Protonen und Neutronen In der Wissenschaft brauchen wir vor allem Fantasie. Es geht nicht nur um Mathematik oder Logik, sondern ein wenig auch um Schönheit und Poesie. (Maria Mitchell) 4.1 Aufbau von Protonen und Neutronen Die Protonen und Neutronen, welche auch als Nukleonen bezeichnet werden, da sie die Bestandteile von Atomkernen sind, gehören zur Klasse der Hadronen, da sie der starken Wechselwirkung unterliegen. In den späten 60er Jahren entwickelten die Wissenschaftler Murray Gell-Mann, George Zweig und André Petermann die Theorie der Quarks. Nach dieser Theorie sind die Nukleonen aus Quarks aufgebaut, die dann die elementaren und nicht weiter teilbaren Teilchen darstellen. Spätere Experimente in Teilchenbeschleunigern bestätigten diese Hypothese und bis heute gilt die Theorie der Quarks als bestätigt. Sie ist fester Bestandteil des Standardmodells der Teilchenphysik. Nach diesem gibt es sechs verschiedene Arten von Quarks, die sogenannten Flavours. Teilchen, die aus Quarks aufgebaut sind, werden auch als Baryonen bezeichnet, somit gilt dies auch für die Nukleonen. Des Weiteren bestehen die Protonen und Neutronen zusätzlich zu den Quarks aus Gluonen. Diese Teilchen übermitteln die starke Wechselwirkung und sorgen somit für die Stabilität der Nukleonen. Ihr Name stammt von dem englischen Wort „glue“, welches ihre Funktion als Klebstoff untermalen soll. Durch die starke Wechselwirkung werden auch die Nukleonen untereinander zusammengehalten und stabile Atomkerne ermöglicht. Theoretisch ist dies in der Quantenchromodynamik beschrieben. Die im Universum vorhandene Materie ist nur aus zwei der 6 verschiedenen Arten von Quarks aufgebaut, den Up- und Down-Quarks. Das Up-Quark besitzt eine Ladung von +2/3 e und das Down-Quark −1/3 e. Damit ein Proton die bekannte Ladung von +1 besitzen kann, ist es aus zwei Up- und einem Down-Quark und das Neutron aus zwei Down- und einem Up-Quark aufgebaut. Dies ist in Abbildung 4.1 dargestellt. 20 4 Protonen und Neutronen u u u d d d (a) Aufbau des Protons (b) Aufbau des Neutrons Abbildung 4.1: Der Quark-Aufbau der Nukleonen 4.2 Der Beta-Zerfall und der Zerfall freier Neutronen Da die Nukleonen jedoch auch der schwachen Wechselwirkung unterliegen, können sie aufgrund dieser zerfallen. Ein Beispiel dafür ist der β − -Zerfall, bei dem sich ein Neutron in ein Proton umwandelt. Dabei wird die schwache Wechselwirkung durch ein W-Boson vermittelt und führt dazu, dass sich ein Down-Quark in ein Up-Quark umwandelt und dabei ein Elektron e− und ein Antineutrino v̄e freisetzt, die dann den Kern verlassen. Das Feynman-Diagramm der Reaktion ist in Abbildung 4.2 dargestellt. Abbildung 4.2: Feynman-Diagramm des β − -Zerfalls Freie Neutronen haben, anders als gebundene Neutronen oder Protonen, eine begrenzte 21 4 Protonen und Neutronen Lebensdauer und zerfallen gemäß dem β − -Zerfall nach einer mittleren Lebensdauer τ von ≈ 880 Sekunden1 . Die mittlere Lebensdauer lässt sich mit τ ln 2 = λ1/2 (4.1) in die Halbwertszeit λ1/2 umrechnen. Daraus ergibt sich eine Halbwertszeit des Neutrons von rund 610 Sekunden. Diese Zeit gibt an, nach welcher Zeit die Hälfte der ursprünglichen freien Neutronen zerfallen ist. Die mittlere Lebensdauer hingegen gibt an, wann noch der Bruchteil von 1/e ≈ 0, 368 der Teilchenzahl vorhanden ist. Bei einer Teilchenzahl N0 beim Start der Zerfallsreaktion, kann man mittels N = N0 exp(−λ1/2 t) (4.2) berechnen, wie viele Teilchen N im Mittel nach der Zeit t übrig sind. 1 Quelle: Particle Data Group (http://pdg.lbl.gov/2015/AtomicNuclearProperties/neutron. html) 22 5 Die primordiale Nukleosynthese Daher endet die Erforschung des Weltraums im Ungewissen ... Irgendwann erreichen wir einen schwachen Rand - dort am Ende der Sehweite unserer Teleskope. Dort messen wir Schatten und suchen in trügerischen Messfehlern nach Orientierungspunkten, die kaum noch Substanz haben. (Edwin Hubble) Für die Fusion von Atomkernen im sehr jungen Universum, der sogenannten primordialen Nukleosynthese, ist es notwendig, die gegenseitige elektrostatische Abstoßung der Kernbausteine zu überwinden, um diese in eine so geringe Entfernung zu bringen, dass sie durch die starke Wechselwirkung zusammen gehalten werden können. Dies ist in einer Umgebung mit einer sehr hohen Temperatur möglich, wie man sie kurz nach dem Urknall vorfindet. Sobald die Bedingungen dafür passend sind, finden eine Reihe von Reaktionen innerhalb kürzester Zeit statt, die im Folgenden dargestellt werden. 5.1 Protonen und Neutronen im thermischen Gleichgewicht Bis zu einer thermischen Energie Etherm ≈ 109 eV oder 1 GeV entstehen sowohl Protonen als auch Neutronen im frühen Universum. Sie gehen im Wesentlichen aus der vorhandenen Strahlung hervor und befinden sich im thermischen Gleichgewicht. Diese Energie entspricht ungefähr der Ruhemasse der beiden Teilchen, wie im vorherigen Kapitel dargestellt. Nach (3.1) entspricht diese Energie einer Temperatur von ≈ 1013 K. Zu dieser Zeit war das Universum rund 10−5 Sekunden alt. Sinkt nun die Temperatur unter ≈ 1013 K können sich keine Nukleonen mehr bilden, da ihre Ruhemasse größer als die zur Verfügung stehende thermische Energie ist. Aufgrund der schwachen Wechselwirkung finden nun verschiedene Kernreaktionen statt, so z.B.: n ⇒ p + e− + v e (5.1) p + e− ⇔ n + ve (5.2) n + e+ ⇔ p + v e (5.3) Es gilt zu berücksichtigen, dass die Reaktion (5.2) nur stattfinden kann, solange die kinetischen Energien des Protons und des Elektrons zusammen größer sind als die Ruhemasse 23 5 Die primordiale Nukleosynthese des Neutrons. Diese beträgt rund 0,8 MeV/c2 , wobei die Masse des hier entstehenden Neutrinos zu vernachlässigen ist. Diese Massendifferenz entspricht einer Temperatur von ≈ 9 · 109 K. Aus den thermodynamischen Überlegungen aus Kapitel 3 und der Gleichung (3.4) folgt die Wahrscheinlichkeit, ein Neutron oder Proton bei einer bestimmten Temperatur zu finden, durch 3 mn c2 2 (5.4) nn ∝ (mn ) exp − kB T und mp c2 np ∝ (mp ) exp − . kB T Das Verhältnis f von Neutronen zu Protonen ist somit gegeben als: 3 3 (mn − mp )c2 ∆ nn mn 2 mn 2 exp − exp − f := = = np mp kB T mp kB T 3 2 (5.5) (5.6) mit ∆ = 1,29 MeV / c2 , also genau der Massendifferenz zwischen Proton und Neutron. Nach Einsetzen der bekannten Werte ergibt sich ein Verhältnis am Ende des thermischen Gleichgewichts von 1 (5.7) f≈ . 5 Wenn das Universum nun durch die Expansion auf eine niedrigere Temperatur als ungefähr 9 · 109 K abgekühlt ist, können keine Neutronen mehr entstehen. Das Verhältnis von Protonen zu Neutronen ändert sich ab diesem Moment nur noch durch den Zerfall der Neutronen und die ursprüngliche Gleichgewichtsreaktion friert aus. Das Universum ist zu diesem Zeitpunkt inzwischen rund eine Sekunde alt. 5.2 Die Deuterium-Fusion Nun finden zwei Prozesse statt, die maßgeblich den weiteren Verlauf der Nukleosynthese beeinflussen. Zum einen zerfallen mit Fortschreiten der Zeit immer mehr der freien Neutronen nach (5.1). Zum anderen findet zwischen den Protonen und den Neutronen die Fusion zu Deuteronen, den Kernen des Deuteriums, und Photonen statt: p+n⇔D+γ. (5.8) Vereinfacht könnte man nun erwarten, dass die Deuteronen nicht weiter durch die energiereichen Photonen zerstört werden, sobald deren durchschnittliche Energie unter die Bindungsenergie der Deuteronen von 2,225 MeV fällt. Allerdings überwiegt die Anzahldichte der Photonen die der Baryonen bei weitem, wie in (2.35) festgestellt wurde. Deswegen gibt es im Energiespektrum der Photonen selbst bei einer durchschnittlichen Energie kleiner als 2,225 MeV noch genügend energiereiche Photonen, die die Deuteronen weiterhin zerstören können. Daher ist nun die Temperatur im Universum gesucht, bei welcher eine genügend große Anzahl an Deuteronen erhalten bleibt, um die weiteren Fusionen der Nukleosynthese zu ermöglichen. 24 5 Die primordiale Nukleosynthese 5.2.1 Das Minimum der Helmholtz’schen freien Energie Um eine Gleichung für das Verhältnis von Deuterium zu den ungebundenen Protonen zu erhalten, gilt es nun zuerst die Helmholtz’sche freie Energie im betrachteten System zu minimieren, da sie im Gleichgewichtszustand ihr Minimum annimmt. Die freie Energie ist wie in (3.9) durch F = −kB T ln Z gegeben und die gesamte Zustandssumme ist N Z= ND Zp p ZnNn ZD , Np !Nn !ND ! (5.9) wobei Zp,n,D den jeweiligen Einteilchen-Zustandssummen der Teilchenarten und Np,n,D ihren jeweiligen Anzahlen entspricht. Die freie Energie ist hier nur von der Temperatur T und den Teilchenzahlen Np,n,D abhängig, da es die einzigen freien Parameter dieser Gleichung sind. Die Temperatur im frühen Universum ist jedoch durch den Verlauf der kosmischen Expansion festgelegt und verhält sich gemäß Gleichung (2.31). Das Minimum der freien Energie lässt sich bestimmen, indem man sie nach einer der Teilchenzahlen ableitet und fordert, dass das Ergebnis gleich Null ist: ∂F ! = 0. ∂Np (5.10) Da die Teilchenzahlen voneinander abhängig sind, ist die Wahl der abzuleitenden Teilchenart frei, da es jeweils zum selben Ergebnis führt. Weil die jeweiligen Fakultäten der Teilchenzahlen sehr große Werte annehmen, kommt die Stirling’sche Näherungsformel ln N ! ≈ N ln N − N (5.11) zum Einsatz. Mittels Anwendung von (5.11) auf (5.9), ergibt sich (5.10) zu ln Zp − ln Np + ∂ND ∂Nn (ln Zn − ln Nn ) + (ln ZD − ln ND ) = 0 . ∂Np ∂Np (5.12) 5.2.2 Die Teilchenzahlen während der primordialen Nukleosynthese Die Gesamtzahl der Baryonen NB im Universum ist nach der klassischen Kosmologie und dem Standardmodell der Teilchenphysik eine Erhaltungsgröße und somit zu jeder Zeit konstant. Daraus ergibt sich NB = Np + Nn + 2ND = konst . (5.13) Berücksichtigt man das Verhältnis f der Protonen und Neutronen zu Beginn der Deuteriumfusion aus Abschnitt (5.1), zeigt sich, dass die Gesamtzahlen der freien Protonen ep,n und Neutronen Np,n , bzw. der gebundenen Protonen und Neutronen N en = f (Np + N ep ) Nn + N 25 (5.14) 5 Die primordiale Nukleosynthese beträgt. Da alle gebundenen Nukleonen in Deuteriumkernen vorliegen und diese aus jeweils einem Proton und einem Neutron bestehen, ergibt sich für deren Anzahlen daraus en = N ep = ND . N (5.15) Nn = f Np + ND (f − 1) . (5.16) Mittels (5.15) ergibt sich aus (5.14) Setzt man dieses Ergebnis in (5.13) ein, folgt für die Gesamtzahl der Baryonen NB = Np + ND + f (Np + ND ) = (1 + f )(Np + ND ) . (5.17) Die Anzahl der Deuteriumkerne ergibt sich aus (5.17) zu ND = NB − Np 1+f und für die Anzahl der Neutronen folgt mittels Einsetzen von (5.18) in (5.16) NB 1−f Nn = f Np + (f − 1) − Np = Np − NB . 1+f 1+f (5.18) (5.19) Bildet man nun die Ableitung von Np nach ND und von Nn nach NP ∂ND = −1 ∂Np (5.20) ∂Nn = f − (f − 1) = 1 , ∂Np (5.21) sind die Ergebnisse leicht nachvollziehbar. Denn für jedes Proton, welches in einem Deuteriumkern gebunden wird, muss auch ein Neutron in diesen Kern einfließen und am Ende eben dieser Deuteriumkern übrig bleiben. 5.2.3 Die Saha-Gleichung der Deuterium-Fusion Nutzt man die zuvor gewonnenen Ergebnisse (5.20) und (5.21), ergibt sich Gleichung (5.12) zu ln Zp − ln Np + ln Zn − ln Nn − ln ZD + ln ND = 0 . (5.22) Nach Anwendung der Exponentialfunktion auf beiden Seiten und anschließender Umformung mittels der Potenzgesetze ergibt sich daraus Zp Zn Np Nn = . ND ZD 26 (5.23) 5 Die primordiale Nukleosynthese Mittels (5.18) und (5.19) lässt sich die linke Seite der Gleichung umformen zu 1−f N N − N p p 1+f B Np ((1 + f )Np − (1 − f )NB ) Np Nn = = . NB ND N − (1 + f )N − N B p p 1+f (5.24) Definiert man nun noch χ als den Anteil der freien Protonen χ := Np , NB (5.25) vereinfacht sich (5.24) zu Np Nn (1 + f )χ2 − (1 − f )χ = NB . ND 1 − (1 + f )χ (5.26) Damit erhält man schließlich aus (5.23) die Bedingungsgleichung NB (1 + f )χ2 − (1 − f )χ Zp Zn = . 1 − (1 + f )χ ZD (5.27) Um die rechte Seite von (5.27) zu berechnen, muss man die jeweiligen Zustandssummen der Teilchenarten genauer betrachten. Die Einteilchen-Zustandssumme für klassische Teilchen eines idealen Gases lautet, wie bereits in Gleichung (3.7) im Abschnitt (3.3) dargestellt, (2πmkB T )3/2 mc2 − µ Z = gV exp − . (5.28) (2πh̄)3 kB T Für das chemische Potential µ der Reaktion p + n * ) D gilt im Reaktionsgleichgewicht µp + µn − µD = 0 , (5.29) denn das ist eine Bedingung dafür, dass eine chemische Reaktion abläuft. Führt man zudem ϕD als die Bindungsenergie des Deuteriumkerns ϕD = (mp + mn − mD ) c2 = 2, 225 MeV (5.30) ein, ergibt sich die rechte Seite von (5.23) zu gp gn Zp Zn =V ZD gD mp mn mD 3/2 kB T 2πh̄2 3/2 ϕD exp − , kB T (5.31) im Grundzustand eines Deuteriumkerns ist gD = 1 und gp = 2 = gn . Damit und mit der Näherung mp ≈ mn ≈ mD /2 vereinfacht sich (5.31) zu Zp Zn V = ZD 2 mp kB T πh̄2 3/2 27 ϕD exp − kB T . (5.32) 5 Die primordiale Nukleosynthese Setzt man dieses Ergebnis in (5.27) ein, ergibt sich 1 (1 + f )χ2 − (1 − f )χ = nB 1 − (1 + f )χ 2 mp kB T πh̄2 3/2 ϕD exp − , kB T (5.33) wobei nB = NB /V und somit nun die Baryonendichte ist. Sie berechnet sich durch ζ(3) nB = ηnγ = 2η 2 π kB T h̄c 3 . (5.34) Die Werte von nγ und η sind bereits schon aus (2.32) sowie (2.35) bekannt. Setzt man nun (5.34) in (5.33)ein, ergibt sich 3/2 √ π mp c2 ϕD (1 + f )χ2 − (1 − f )χ = exp − 1 − (1 + f )χ 4ζ(3)η kB T kB T (5.35) Diese unhandliche Gleichung ist die sogenannte Saha-Gleichung für die Deuteriumfusion, mit der man nun das Verhältnis χ der freien Protonen zur Gesamtzahl der Baryonen berechnen kann (mit einer ähnlichen Gleichung lassen sich im späteren Verlauf des Universums auch die Verhältnisse von Ionen und Atomen während der Rekombination beschreiben). Berücksichtigt man dazu den Faktor f aus (5.7) zeigt sich, dass rund 1/5 der Protonengesamtzahl Np im Universum zu Deuterium gebunden werden könnte, da für jedes Neutron fünf Protonen vorliegen und ein Deuteriumkern jeweils ein Proton und ein Neutron benötigt. Allerdings ist die Saha-Gleichung für diese Reaktion nicht analytisch lösbar, sondern muss iterativ oder numerisch berechnet werden. Die rechte Seite der Gleichung (5.35) lässt sich zur Funktion h(T ) der Temperatur zusammenfassen: 3/2 √ π mp c2 ϕD exp − (5.36) h(T ) := 4ζ(3)η kB T kB T Mit ζ(3) ≈ 1.202 und mp c2 = 938.27 MeV lässt sich dies zu 8 h(T ) = 6.14 · 10 938.27 MeV kB T 3/2 2.225 MeV exp − kB T (5.37) zusammenfassen. Die Funktion h(T ) ist in Abbildung 5.1 gezeigt. h(T ) lässt sich als Anzahl der physikalischen Zustände deuten, in denen die Fusionsreaktion zu Deuteriumkernen möglich ist. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass ihr Maximum ungefähr dort liegt, wo es aufgrund der Bindungsenergie des Kerns von ≈ 2, 225 MeV zu erwarten ist. Da χ in Gleichung (5.35) zwischen 0 und 1 liegen muss, ergibt die linke Seite der Gleichung ein Ergebnis in der Größenordnung um 1. Da allerdings beide Seiten gleich sein müssen, muss die Energie auf wesentlich geringere Werte fallen, damit die Gleichung gelöst werden kann. Dies sieht man daran, weil h(T ) solche großen Werte 28 5 Die primordiale Nukleosynthese 2.5e+12 2e+12 h (T) 1.5e+12 1e+12 5e+11 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 kBT [MeV] Abbildung 5.1: Die Funktion h(T ). annimmt. Erst bei dieser niedrigeren Energieskala ist somit eine effiziente Fusionsreaktion möglich. Mit Hilfe der Funktion h(T ) lässt sich (5.35) zu einer gemischt-quadratischen Gleichung umformen: (1 + f )χ2 − [1 − f − h(T )(1 + f )] χ − h(T ) = 0 . (5.38) Deren beiden Lösungen sind: q 1 2 [1 − f − h(T )(1 + f )] ± [1 − f − h(T )(1 + f )] + 4(1 + f )h(T ) , χ± = 2(1 + f ) (5.39) wobei für die folgenden Betrachtungen nur die positiven Lösungen physikalisch sinnvoll sind, da χ per Definition größer als 0 ist. Die positive Lösung lässt sich nun zu s 2 1−f 4h(T ) 1 1−f − h(T ) + − h(T ) + (5.40) χ= 2 1+f 1+f 1+f vereinfachen. Anschaulicher lässt sich dieses Ergebnis allerdings interpretieren, wenn man nicht vom Anteil der freien Protonen an der Gesamtzahl der Baryonen χ, sondern vom Anteil der freien Protonen an der Gesamtzahl der Protonen y ausgeht. Dieser ergibt sich aus (5.18) zu Np Np y= = (1 + f ) = (1 + f )χ . (5.41) Np + ND NB Eingesetzt in (5.40) ergibt sich so q 1 2 y= (1 − f ) − (1 + f )h(T ) + [1 − f − (1 + f )h(T )] + 4(1 + f )h(T ) . (5.42) 2 29 5 Die primordiale Nukleosynthese 1 0.98 0.96 Anteil freier Protonen y 0.94 0.92 0.9 0.88 0.86 0.84 0.82 0.8 45 50 55 60 65 70 75 80 85 kBT [keV] Abbildung 5.2: Anteil freier Protonen für f = 0.2 als Funktion der Temperatur. Die Abbildung 5.2 zeigt den Protonenanteil y für den in (5.7) berechneten Wert f = 0, 2. Wie leicht zu erkennen ist, beginnt die Deuteriumfusion bei ≈ 80 keV und endet bei ≈ 50 keV. Somit musste die Temperatur des Universums von den ursprünglichen ≈ 2, 6 · 1010 K bei 2,225 MeV auf ≈ 9, 3 · 108 K, was 80 keV entspricht, fallen. Der Funktionsgraph ist dabei charakteristisch für eine Saha-Gleichung, denn nach dem Start der Reaktion läuft diese sehr effizient ab und endet schnell wieder. Betrachtet man in Abbildung 5.3 den Reaktionsverlauf für zwei zusätzliche Werte für f , zeigt sich, dass die Reaktion immer in der gleichen Energieskala abläuft und somit das Protonen-Neutronen-Verhältnis f lediglich festlegt, wie viele Protonen am Ende noch übrig sind. Durch Einsetzen von (2.29) in Gleichung (2.25) ließe sich prinzipiell der Zeitraum der oben genannten Reaktionen berechnen. Diese Rechnung ist allerdings stark abhängig von den kosmologischen Parametern, denn sofern man exakte Zeiten erhalten will, müssen sie sehr genau bekannt sein. Jedoch berücksichtigt diese Abschätzung nicht, dass die drei Neutrino-Familien zu dieser frühen Zeit noch nicht, bzw. erst seit kurzem (rund eine Sekunde nach dem Urknall), von der Materie entkoppelt sind und somit noch einen nicht vernachlässigbaren Beitrag zur Strahlungsdichte leisten. Damit liefern sie einen weiteren Beitrag zu Ωr , dessen Berechnung allerdings den Rahmen dieser Arbeit übersteigen würde. Einfache Abschätzungen mittels (2.25) führen zu einem Alter des Universums bei Beginn der Deuteriumfusion von ungefähr 22 Sekunden, was allerdings dem Literaturwert von rund einer Minute beachtlich nahe kommt, sofern man dies im Verhältnis zum Alter des Universums betrachtet. 30 5 Die primordiale Nukleosynthese 1 f = 0.15 f = 0.20 f = 0.25 Anteil freier Protonen y 0.95 0.9 0.85 0.8 0.75 45 50 55 60 65 70 75 80 85 kBT [keV] Abbildung 5.3: Anteil freier Protonen als Funktion der Temperatur für drei verschiedene Werte von f . 5.3 Das Verhältnis von Protonen und Neutronen zu Beginn der Nukleosynthese Aufgrund der Zeit, die im Universum zwischen kB T ≈ 800 keV und kB T ≈ 80 keV vergangen ist, ist ein Teil der Neutronen bereits gemäß (5.1) zerfallen und steht nicht mehr für die Fusion schwererer Kerne zur Verfügung. Da ihre mittlere Lebensdauer rund 880 Sekunden beträgt und die Nukleosynthese nach rund 3 Minuten zum Erliegen kommt, ergibt sich ein neues Verhältnis f von Neutronen zu Protonen von: f≈ 1 7 (5.43) 5.4 Die Fusion von Helium Sobald genügend Deuteronen im Universum vorhanden sind, beginnt eine Reihe von Fusionen das Universum mit neuen Elementen anzufüllen. Diese Reaktionen sind beispielsweise: 2 H + 2H ⇒ 3H + p (5.44) 2 H + 2H ⇒ 3He + n (5.45) 3 He + 2H ⇒ 4He + p (5.46) 3 (5.47) He + 3H ⇒ 7Li + γ 31 5 Die primordiale Nukleosynthese Zur Abschätzung der Helium-4-Häufigkeit nach Masse Yp nach der Nukleosynthese lässt sich eine einfache Gleichung aufstellen. Dazu definiert man zusätzlich Xp als übrige Wasserstoffhäufigkeit nach Masse. Somit ergibt sich: Yp := 1 − Xp . (5.48) Dies lässt sich nun mit Hilfe der Gesamtzahl an Protonen np und Neutronen nn und einiger Umformungsschritte umschreiben zu: Yp ≈ 1 − 2nn 2(nn /np ) np − nn = = . np + nn np + nn 1 + (nn /np ) (5.49) Setzt man für nn /np nun das Ergebnis aus (5.43) ein, ergibt sich eine Helium-4-Häufigkeit nach Masse 1 Yp ≈ . (5.50) 4 Somit enthält das Universum nach Ende der primordialen Nukleosynthese ≈ 25 Massenprozent Helium und ≈ 75 Massenprozent Wasserstoff. Dies entspricht einem Heliumkern pro 12 Wasserstoffkernen. Aufgrund der verhältnismäßig hohen Bindungsenergie des Heliums von ≈ 28 MeV bleiben so gut wie alle entstandenen Heliumkerne erhalten. Auffällig ist hierbei, dass die Fusion zu Helium nur von dem Verhältnis der Neutronen zu den Protonen abhängt. Somit stellt die Deuteriumfusion den Engpass der primordialen Nukleosynthese dar und wird daher auch als Deuterium-Flaschenhals bezeichnet. Die oben angeführte Rechnung zur Helium-4-Häufigkeit stellt offensichtlich nur eine Näherung dar. Für eine detailliertere Analyse müssten die weiteren möglichen nuklearen Reaktionen berücksichtigt werden. Auch müsste das Verhältnis der Kernreaktionsraten zur Expansionsrate des Universums, die sich aus den Friedmann-Gleichungen ergibt, analysiert werden. Solche Rechnungen erfolgen nicht mehr analytisch, sondern mittels numerischer Methoden wie Monte-Carlo-Simulationen. Diese Simulationen ergeben eine Helium-4-Massenanteil von 23% bis 24%, somit entspricht die obige Abschätzung in sehr guter Näherung dem detailliert berechneten Wert. Mittels moderner astronomischer Untersuchungen1 zeigt sich, dass die theoretisch berechneten Häufigkeiten den heute beobachtbaren Elementhäufigkeiten im Universum annähernd entsprechen und dadurch das Modell des Urknalls und der primordialen Nukleosynthese bestätigt wird. 1 Vgl.: „Cosmology - The Origin and Evolution of Cosmic Structure“ - Peter Coles / Francesco Lucchin - Seite 182 bis Seite 185 32 5 Die primordiale Nukleosynthese 5.5 Der Ursprung der Elemente, die schwerer als Helium sind 5.5.1 Schwere Elemente während der primordialen Nukleosynthese Im vorherigen Abschnitt wurden die Berechnungen der Wasserstoff- und Heliumhäufigkeit im Universum dargestellt. Schaut man sich um, wird man leicht feststellen, dass das Universum zweifellos noch aus anderen, schwereren Elementen aufgebaut ist. In der primordialen Nukleosynthese konnten sich, abgesehen von Wasserstoff und Helium, allerdings nur noch geringe Anteile von 3 He und durch Fusion von 3 H mit 4 He geringe Mengen 7 Li bilden. Da jedoch 3 H nur sehr selten vorkam, war diese Reaktion sehr unwahrscheinlich. Die Fusion der schwereren Elemente stellt sich jedoch als hochgradig ineffizient dar, da es einerseits keine stabilen Kerne mit einer Massenzahl A = 5 und A = 8 gibt und andererseits die zunehmend höheren Coulomb-Barrieren die Reaktionen sehr erschweren und die Temperatur im frühen Universum durch die Expansion rasch abfällt. Die Grafik 5.4 zeigt noch einmal alle Fusionsreaktionen und die zuvor genannten Fusionsbarrieren. Die 7 Li-Häufigkeit lässt sich ähnlich zu den zuvor durchgeführten Abschätzungen Abbildung 5.4: Die möglichen Nukleosynthese berechnen und führt zu: 7 Li 1H Kernreaktionen ≈ 10−10 bis 10−9 . 33 während der primordialen (5.51) 5 Die primordiale Nukleosynthese Die Häufigkeiten noch schwererer Elemente nach der primordialen Nukleosynthese sind noch geringer und somit vernachlässigbar. Damit stellt sich nun jedoch die Frage nach dem Ursprung der Elemente, die schwerer als Helium sind, da diese ja nicht oder nur in geringsten Mengen direkt nach dem Urknall entstanden sein konnten. 5.5.2 Schwere Elemente aus Sternen Nachdem die Elemententstehung der primordialen Nukleosynthese nach rund 3 Minuten nach dem Urknall abgeschlossen war und das Universum aus Wasserstoff, Helium und geringen Spuren Lithium bestand, dauerte es viele Millionen Jahre, bis die ersten großen Gaswolken im Universum unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabierten. Dabei steigt die Temperatur in deren Zentren immer weiter an, bis bei ungefähr 10 Millionen Kelvin Kerntemperatur das Wasserstoffbrennen einsetzt und mittels des Proton-Proton-Zyklus aus vier Wasserstoffkernen ein Heliumkern entsteht und der neu entstandene Stern somit die erste Stufe der stellaren Kernfusion erreicht. Im Laufe der Zeit steigt die Temperatur im Inneren immer weiter an und der Stern fusioniert immer schwerere Elemente. So entstehen Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff beispielsweise im CNO-Zyklus. Die Kernfusion im Inneren von Sternen ist allerdings nur bis zum Element Eisen möglich, da bei der Fusion aller schwereren Elemente keine Energie frei wird, sondern benötigt wird. Beide genannten Reaktionszyklen sind in Abbildung 5.5 dargestellt. 5.5.3 Sehr schwere Elemente aus Supernovae Hat ein Stern eine genügend große Masse (≥ 8 Sonnenmassen), kollabiert er am Ende seiner Kernbrennphase und erzeugt eine gewaltige Explosion, welche als Supernova bezeichnet wird. Alternativ kann auch ein weißer Zwerg in einem Doppelsternsystem von seinem Begleiter genügend Gas akkretieren, damit seine Masse 1,4 Sonnenmassen, die sogenannte Chandrasekhar-Grenze, erreicht, denn bei dieser Masse kollabiert er ebenfalls unter seiner eigenen Gravitation. Da ein weißer Zwerg jedoch noch große Mengen an fusionsfähigen Elementen wie Kohlenstoff enthält, beginnt bei dem Kollaps eine erneute Fusionsreaktion im Inneren des Sternes, die so viel Energie freisetzt, dass auch hier der Stern in einer mächtigen Explosion endet. Während diesen Explosionen werden die bisher im Inneren der Sterne erbrüteten Elemente ins All gestoßen. Da bei den Supernovae auch große Mengen an Protonen und Neutronen freigesetzt werden, können durch Protonenanlagerungen (p-Prozess) und Neutronenanlagerungen (r-Prozess) neue Elemente gebildet werden, die schwerer sind, als das im Inneren der Sterne maximal fusionierte Eisen. So entstehen dort beispielsweise Gold und Uran. 34 5 Die primordiale Nukleosynthese (a) Proton-Proton-Zyklus (b) CNO-Zyklus Abbildung 5.5: Beispiele für mögliche Kernfusionsprozesse innerhalb von Sternen 35 6 Die Baryogenese Betrachten wir das Universum und die vielen Zufälle in Physik und Astronomie, die sich zu unseren Gunsten auswirken, dann scheint es beinahe, als ob das Universum irgendwie geahnt hätte, dass wir kommen werden. (Freeman Dyson) 6.1 Materie und Antimaterie im Universum Bei den Betrachtungen zur Nukleosynthese im vorherigen Kapitel wurden die Protonen und Neutronen als die einzigen Baryonen im Universum angesehen. Dass diese vereinfachte Betrachtung nicht die Realität widerspiegeln kann, zeigt sich, wenn man sich anschaut, wie die Nukleonen entstanden sind. Treffen zwei Photonen mit ausreichender Energie aufeinander, kann bei dieser Kollision gemäß der relativistische Energie-Impuls-Beziehung E 2 = p2 c2 + m2 c4 deren Energie in Masse umgewandelt werden und steht somit zur Erzeugung neuer Teilchen zur Verfügung. Schematisch sei diese Reaktion zwischen Photonen (γ) und beliebigen Baryonen (b) als γγ ⇒ b + b̄ (6.1) gegeben. Dabei entsteht aufgrund der Ladungserhaltung zugleich auch das entsprechende Antibaryon (b̄). Bekanntermaßen findet aber beim Kontakt zwischen Materie und Antimaterie eine Annihilationsreaktion statt, bei der die Teilchen wieder in Energie zerstrahlen. Daher stellt sich bei dieser Reaktion ein Reaktionsgleichgewicht ein: γγ ⇔ b + b̄ . (6.2) Kühlt nun das Universum soweit ab, dass dieses Gleichgewicht nicht weiter bestehen kann, stoppt diese Reaktion. In diesem Fall haben die Photonen nicht mehr genug Energie, um weiterhin Materie-Antimaterie-Paare zu erzeugen und deren Anzahlen ändern sich ab diesem Zeitpunkt nur noch durch die gegenseitige Annihilation. Eine solche Zerstrahlung von Materie und Antimaterie ist in Abbildung 6.1 für ein Elektron (e− ) und ein Positron (e+ ) dargestellt. Dies würde im Laufe der Zeit dazu führen, dass sich bei gleichen Anzahlen n von b und b̄ zu Beginn irgendwann keine Baryonen und somit keine bekannte Materie mehr im Universum befindet. nB = nb − nb̄ = 0 . 36 (6.3) 6 Die Baryogenese Time γ γ e+ e- Space Abbildung 6.1: Feynman-Diagramm der Annihilationsreaktion zwischen einem Elektron und einem Positron Aufgrund empirischer Erfahrungen ist bekannt, dass sich sowohl auf der Erde als auch im Sonnensystem keine großen Mengen Antimaterie befinden können, da sonst beispielsweise Raumsonden im All bei Kontakt zerstrahlen würden. Diese Reaktion würde sich dann durch die entstehende Strahlung erkennen lassen. Auch lassen sich größere Bereiche außerhalb des Sonnensystems ausschließen, da sonst an den Grenzflächen wiederum Annihilationsreaktionen stattfänden, welche sich durch die entstehende Hochenergiestrahlung nachweisen ließen. Selbst in der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung ist kein erhöhter Gammastrahlenfluss nachweisbar, daher ist auch die Existenz sehr großer Antimateriebereiche im Universum auszuschließen. Zwar würde ein Universum, welches zur Hälfte aus Materie und zur anderen Hälfte aus Antimaterie bestünde, die Frage nach dem Verbleib der Antimaterie lösen, aber aufgrund der oben dargelegten Gründe kann es nicht die Lösung darstellen. Eine andere Erklärung wäre, dass eine Asymmetrie im Verhältnis der Materie und der Antimaterie schon von Beginn des Universums an existiert habe. Dies widerspricht allerdings vor allem dem Modell der kosmologischen Inflation, da dieses Verhältnis dann im Laufe der exponentiellen Expansion stark verdünnt worden wäre und zu Beginn sehr groß gewesen sein müsste, was aber nicht erklärbar ist. Somit ist dieses Modell auch nicht tragfähig. 37 6 Die Baryogenese Daher bleibt nun als Lösung die Vorstellung, dass sich die Asymmetrie erst im Laufe der Entwicklung des Universums, aber natürlich noch vor der primordialen Nukleosynthese, entwickelt hat. Das ursprüngliche Verhältnis von Materie und Antimaterie im frühen Universum ergibt sich aus dem heutigen Verhältnis η der Anzahlen von Photonen (nγ ) und Baryonen (nB und nB̄ ) nB − nB̄ . (6.4) η= nγ Dies ist dasselbe Verhältnis η, welches bereits in Abschnitt 2.8.3 berechnet wurde. Es besagt in diesem Zusammenhang, dass rund eine Milliarde Antibaryonen einer Milliarde und einem Baryonen gegenüberstehen. Nach der Annihilation blieb dann jeweils ein Baryon über. Eben diese übrig gebliebenen Baryonen bilden demnach heute die uns bekannte Materie. Wie diese Asymmetrie zwischen den Baryonen zustande kam, ist seit der ersten Entdeckung der Antiteilchen und der Frage nach deren Verbleib im Universum ein wichtiger Forschungszweig. 6.2 Die Sacharowkriterien Die Frage nach dem dynamischen Ursprung der Asymmetrie hat sich im Jahr 1967 der russische Physiker Andrei Dmitrijewitsch Sacharow (1921 - 1989) gestellt. Sacharow gab dafür drei Bedingungen an, deren Erfüllung dafür sorgt, dass sich aus einem Zustand mit gleich vielen Baryonen und Antibayronen ein asymmetrischer Zustand entwickeln kann: 1. Verletzung der Baryonenzahl-Erhaltung 2. Verletzung von C- und CP-Invarianz 3. Thermodynamisches Nichtgleichgewicht 6.2.1 Verletzung der Baryonenzahl-Erhaltung Nun ist die Verletzung der Baryonenzahl-Erhaltung quasi selbstverständlich, denn wenn immer gälte: B = 0, dann gäbe es keine Asymmetrie in der Verteilung, sofern diese symmetrisch begonnen hat. Allerdings ist die Baryonenzahl im Standardmodell der Teilchenphysik eine Erhaltungsgröße in allen bekannten Wechselwirkungen. Dies deutet bereits hier auf eine neue Physik jenseits des Standardmodells hin, wie beispielsweise der Großen Vereinheitlichten Theorie (GUT). 6.2.2 Verletzung von C- und CP-Invarianz Als C-invariant (C = charge) bezeichnet man in der Physik einen Vorgang, sei es eine Wechselwirkung oder ein Zerfall, der genau gleich abläuft, wenn man ein Teilchen mit 38 6 Die Baryogenese dessen Antiteilchen austauscht. Dies ist auch theoretisch und experimentell vor einiger Zeit bestätigt worden. So laufen Wechselwirkungen der starken und der elektromagnetischen Kraft auch beim Austausch mit den Antiteilchen gleich ab, sie sind also C-invariant. Anders ist dies hingegen bei Wechselwirkungen der schwachen Kraft, da hier z.B. Neutrinos nicht C-invariant sind. So unterscheiden sich ein Neutrino und das Antineutrino durch deren sogenannte Helizität. Die Helizität lässt sich auch als Händigkeit bezeichnen. Linkshändigkeit bedeutet, dass der Spin eines Teilchens gegen die Bewegungsrichtung (Neutrino) und bei Rechtshändigkeit in die Bewegungsrichtung (Antineutrino) zeigt. Da sich nun aber bei der C-Invarianz ein linkshändiges Antineutrino oder ein rechtshändiges Neutrino ergeben sollte, welches aber bisher nicht nachgewiesen werden konnte, ist hier die Symmetrie maximal verletzt. Auch verletzen die W-Bosonen, die Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung, die C-Invarianz, da sie nur an linkshändige Fermionen oder rechtshändige Antifermionen koppeln, obwohl die Symmetrie auch die gegenteiligen Kopplungen fordert. Ein Vorgang ist P-invariant (P = Parität), wenn er bei einer Umkehr aller Vorzeichen der drei Ortskoordinaten ((x, y, z) → (−x, −y, −z)) genau gleich abläuft. Auch hier verletzt die schwache Wechselwirkung wieder diese Symmetrie, da sie nur Wechselwirkungen von Teilchen mit links-drehendem Spin und Antiteilchen mit rechts-drehendem Spin zulässt. Bei der CP-Invarianz läuft ein Vorgang dementsprechend genau gleich ab, auch wenn man seine Ladung und seine Parität umkehrt. Dies löst auch die Verletzung der C- und der P-Invarianz der schwachen Wechselwirkung, da diese beim gleichzeitigen Durchführen der beiden Operationen wieder keinen Unterschied feststellen lässt. 6.2.3 Thermodynamisches Nichtgleichgewicht Wäre das Universum dauerhaft im thermodynamischen Gleichgewicht, könnte sich keine Asymmetrie einstellen, da die Raten der Reaktionen zur Erzeugung der Antimaterie denen der Wiederauslöschung entsprächen. Somit ist ein thermodynamisches Nichtgleichgewicht nötig, in welchem die Reaktion zur Erzeugung bevorzugt in eine bestimmte Richtung auslaufen kann und so die Erzeugung ermöglicht. Dass das Universum sich durch seine Expansion nicht im thermodynamischen Gleichgewicht befindet, war bereits in Kapitel 2 zu sehen. Somit ist diese Bedingung auch erfüllt. 6.3 Das LHCb Experiment Der LHCb-Detektor ist zusammen mit ATLAS, CMS und ALICE einer der vier großen Detektoren des Large Hadron Colliders (LHC) am CERN in Genf. Hauptsächlich werden dort CP-Verletzungen im Zerfall von B- und D-Mesonen untersucht. Im Gegensatz zu den anderen großen Detektoren weist LHCb einen anderen Aufbau auf. Er ist ein Vorwärtsspektrometer, was bedeutet, dass nur eine Richtung instrumentiert wird. Der Aufbau des Detektors ist in Abbildung 6.2 zu sehen. 39 6 Die Baryogenese Abbildung 6.2: Schnittbild vom Aufbaus des LHCb-Detektors 6.4 Mesonen Mesonen unterscheiden sich von den Baryonen dadurch, dass sie aus einem QuarkAntiquark-Paar aufgebaut sind. Dies ist in Abbildung 6.3 dargestellt. Aufgrund ihrer sehr kurzen Lebenszeiten und dem darauf folgenden Zerfall kommen Mesonen nicht in gewöhnlicher Materie vor und können nur in Teilchenbeschleunigern für Sekundenbruchteile erzeugt werden. Aufgrund der großen Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten der 6 verschiedenen Quark-Flavours gibt es sehr viele verschiedene Mesonen, wobei die Lebensdauer stark von der Zusammensetzung abhängt. Als erstes Meson wurde 1947 von Cecil Frank Powell das Pion (π) in der kosmischen Höhenstrahlung bei Ballonexperimenten festgestellt. Zwei Jahre später gelang auch die Erzeugung der ersten Pionen in Teilchenbeschleunigern. Zudem erhielt im selben Jahr Hideki Yukawa, welcher das Pion 1932 theoretisch vorhersagte, den Nobelpreis für Physik. 6.5 Erster experimenteller Nachweis der direkten CP-Verletzung Der erste direkte Nachweis einer CP-Verletzung gelang James Cronin und Val Fitch im Jahre 1964, die dafür 1980 den Nobelpreis für Physik erhielten. Dafür untersuchten sie Kaonen (Teilchen aus der Gruppe der Mesonen) und deren Zerfall. Die zwei möglichen 40 6 Die Baryogenese u d Abbildung 6.3: Schematischer Aufbau eines Mesons aus zwei Quarks, in diesem Beispiel ein Pion aus einem Up- und einen Antidown-Quark Zerfallsreaktionen sind: K → π + e− v̄e K̄ → π − e+ ve (6.5) (6.6) Nun zeigte sich bei der Analyse der Daten, dass der zweite, CP-symmetrische Zerfall (6.6) rund 0,3 % seltener auftritt als Zerfall (6.5) und somit die Symmetrie schwach verletzt ist. 41 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs-Mesonen am LCHb Experiment Irgendwo wartet etwas Unglaubliches darauf, entdeckt zu werden. (Carl Sagan) Im folgenden Abschnitt soll mittels Nachweis einer Asymmetrie in der Zerfallsanzahl von neutralen Bs -Mesonen eine direkte CP-Verletzung nachgewiesen werden. 7.1 Theorie Diese Asymmetrie ACP definiert sich als Differenz der Anzahl N der Zerfälle zum Endzustand f (= final state) des Bs -Mesons und des B̄s -Mesons. Diese Differenz wird über die Summe der beiden Zerfälle normiert. Wenn ACP 6= 0 liegt eine direkte CP-Verletzung vor. ACP := N (B → f ) − N (B̄ → f¯) N (B → f ) + N (B̄ → f¯) (7.1) Das Bs -Meson besteht aus einem Antibottom-Quark und einem Strange-Quark und das B̄s -Meson aus einem Bottom- und einem Antistrange-Quark. Durch das StrangeQuark erhält es auch das „s“ in der Bezeichnung und unterscheidet sich vom B 0 -Meson, welches anstatt des Strange-Quarks ein Bottom- oder Up-Quark enthält. Beim Anti-Bs Meson ist der Aufbau genau umgekehrt, es besteht aus einem Bottom-Quark und einem Anti-Strange-Quark. Die mittlere Lebenszeit des Bs beträgt (1, 511 ± 0, 014) · 10−12 Sekunden. Ein möglicher Zerfallskanal zum Nachweis der CP-Verletzung ist dabei die folgende Reaktion, welche bei ungefähr 5 von 106 Zerfällen auftritt: Bs → K − π + (7.2) B̄s → K + π − (7.3) Beide Zerfälle sind in Abbildung 7.1 auch durch die zugehörigen Feynmangraphen dargestellt. Bei der Betrachtung der Feynmangraphen fällt auf, dass sich ein b-Quark in 42 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs -Mesonen am LCHb Experiment Bs0 s s b̄ ū d¯ W+ K− π+ u B̄s0 s̄ s̄ b u W− d K+ π− ū Abbildung 7.1: Feynman-Diagramme der Zerfälle eines Bs -Mesons und eines B̄s Mesons ein u-Quark oder ein b̄-Quark in ein ū-Quark umwandelt, was auch als Quark-FlavourWechsel bezeichnet wird. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein solcher Übergang stattfinden kann, lässt sich mit Hilfe der Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix oder auch CKM -Matrix V berechnen: Vud Vus Vub VCKM = Vcd Vcs Vcb . (7.4) Vtd Vts Vtb Die Variable V ist die Kopplungsstärke der jeweiligen Umwandlung und deren Betragsquadrat [Vij ]2 ist proportional zur Übergangswahrscheinlichkeit. Entlang der diagonalen Werte Vud , Vcs und Vtb liegt die Wahrscheinlichkeit nahe 1 und daher zerfällt beispielsweise ein Top-Quark weitaus häufiger in ein Bottom-Quark als in ein Strange- oder Down-Quark. 7.2 Praxis 7.2.1 Grundlagen Um eine mögliche Asymmetrie im Zerfall der Bs -Mesonen zu untersuchen, habe ich Daten des LHCb-Experiments benutzt, welche im Jahr 2011 gesammelt wurden. Die Abbildung 7.2 stellt die vorselektierten Zerfallskandidaten dar, die die Auswahlkriterien erfüllen, die vom oben genannten Zerfallskanal erwartet werden. Entries steht hier für die Anzahl der eingetragenen Ereignisse, Mean für den durchschnittlichen Wert der Einträge und RMS ist die Abkürzung root mean square, also für die mittlere quadratische 43 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs -Mesonen am LCHb Experiment mBs htemp 3000 Entries 32232 5253 Mean 234.2 RMS 2500 2000 1500 1000 500 0 4800 5000 5200 5400 5600 5800 6000 6200 mBs mBsbar htemp Entries Mean RMS 3500 3000 34891 5257 226.8 2500 2000 1500 1000 500 0 4800 5000 5200 5400 5600 5800 6000 6200 mBsbar Abbildung 7.2: Vorselektierte Daten des LHCb-Experiments, aufgetragen nach Anzahl der Detektionen und der Masse in M eV 44 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs -Mesonen am LCHb Experiment Abweichung der Einträge. In diesen Histogrammen sind die Anzahlen der detektierten Bs - und B̄s -Mesonen gegen ihre Masse in MeV aufgetragen. Auf diesen Rohdaten sind die Peaks der gesuchten Bs -Mesonen allerdings noch gar nicht ersichtlich, da die Peaks bei ungefähr 5280 MeV von weitaus häufigeren B 0 - und B̄ 0 -Mesonen stammen. Daher habe ich diese Rohdaten mittels des CERN-Frameworks ROOT1 weiterbearbeitet. Die von mir verwendeten Daten waren auch Grundlage für eine Veröffentlichung der LHCb-Kollaboration2 am 29.05.2012, welche genau diese Asymmetrie zuerst nachgewiesen hat. 7.2.2 Suche einer fit-Funktion Mittels ROOT habe ich die Grenzen der Masseverteilung auf einen Bereich von 5200 MeV bis 5800 MeV eingeschränkt und die Einträge feiner und mit dazugehörigem Fehlerbalken anzeigen lassen. Die Resultate der Überarbeitung sind in Abbildung 7.3 zu sehen. Nun ist bereits jeweils rechts der hohen Peaks der B 0 -Mesonen (≈ 5280 MeV) bei ungefähr 5370 MeV eine weitere, leichte Erhebung zu erahnen, welche von mir mittels eines roten Kreises markiert wurde. Um diese Erhebung genauer beschreiben zu können, musste ich als nächstes eine Funktion finden, die den Verlauf der Abbildungen erfüllt. Hierfür bietet ROOT bereits eine Funktion für diese fits an, allerdings ist diese für den recht komplexen Verlauf und vor allem für den Nachweises der zweiten Erhebung viel zu ungenau. Daher habe ich eine eigene fit-Funktion definiert, deren freie Parameter ROOT daraufhin numerisch ermitteln kann. Weil die zu erwartende Massenverteilung prinzipiell aufgrund der statistischen Betrachtung des Ereignisses einer Gaußkurve (normiert auf 1) folgt, bietet sich deren Nutzen hier auch an. Da ich jedoch besonderen Wert auf die genaue Abbildung des zweiten, kleineren Peaks legen muss, weil ich diesen für die weitere Auswertung benötige, ist die Nutzung der Summe von zwei Gauß-Funktionen, jeweils eine für jeden Peak, für die korrekte Beschreibung unumgänglich. Zur genaueren Analyse empfiehlt es sich, die Untergrundereignisse mittels der fit-Funktion zu beschreiben. Da für B-Massen keine Signalereignisse erwartet werden, lässt sich die Form des Untergrundes daraus sehr präzise bestimmen. Sie scheint einem linearen Verlauf zu folgen, daher habe ich zu der Summe der Gauß-Funktionen ein Polynom ersten Grades addiert. Damit sieht die fit-Funktion FF IT folgendermaßen aus: FF IT = p[2] · Gauß{p[0], p[1]} + p[5] · Gauß{p[3], p[4]} + p[6] + p[7] · x 1 2 https://root.cern.ch/ http://arxiv.org/pdf/1202.6251v2.pdf 45 (7.5) 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs -Mesonen am LCHb Experiment Abbildung 7.3: Weiterbearbeitete Daten, aufgetragen nach Anzahl der Detektionen und der Masse in MeV. Die Erhebung, die die voraussichtliche Masse der Bs - und B̄s -Mesonen zeigt, ist mittels roter Kreise markiert. 46 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs -Mesonen am LCHb Experiment Die Variablen p[0] bis p[7] sind wie folgt definiert: p[0] = M eanGaus1 −→ Durchschnittlicher Wert der Gauß-Funktion 1 p[1] = W idthGaus1 −→ Standardabweichung der Gauß-Funktion 1 p[2] = Coef f Gaus1 −→ Koeffizient der Gauß-Funktion 1 p[3] = M eanGaus2 −→ Durchschnittlicher Wert der Gauß-Funktion 2 p[4] = W idthGaus2 −→ Standardabweichung der Gauß-Funktion 2 p[5] = Coef f Gaus2 −→ Koeffizient der Gauß-Funktion 2 p[6] = BackgroundA −→ Koeffizient der Untergrund-Funktion p[7] = BackgroundB −→ Steigung der Untergrund-Funktion Mit dieser Funktion FF IT ist ROOT nach der Festlegung passender Startparameter in der Lage, einen entsprechenden Graphen an die Histogramme anzupassen und die jeweiligen oben definierten Funktionswerte auszugeben. Das Ergebnis ist in Abbildung 7.4 zu sehen. Hier beschreibt χ2 /ndf zusätzlich die Qualität der fit-Funktion: Je näher dieser Wert bei 1 liegt, desto besser beschreibt die fit-Funktion den Verlauf der Messpunkte. 7.2.3 Auswertung Abschätzung der Asymmetrie Um die genaue Asymmetrie zu berechnen, benutze ich die Gleichung (7.1), welche sich für den untersuchten Zerfall folgendermaßen ergibt: ABs //B̄s = N (Bs ) − N (B̄s ) N (Bs → K − π + ) − N (B̄s → K + π − ) = . − + + − N (Bs → K π ) + N (B̄s → K π ) N (Bs ) + N (B̄s ) (7.6) Die Anzahl an Ereignissen N ermittelt ROOT bei der Auswertung der Gauß-Funktionen 1 und 2 und gibt diese im Terminal aus. Diese Werte entsprechen dem Integral über die Gauß-Funktionen inklusive der Koeffizienten und lauten: N (Bs → K − π + ) = 619, 3 N (B̄s → K + π − ) = 909, 7 . Damit ergibt sich gemäß (7.6) für ABs //B̄s ein Wert von -0,189. Abschätzung des statistischen Fehlers Aufgrund der Unsicherheit im fit der Verteilungen ergibt sich für die Werte N (Bs ) und N (B̄s ) jeweils ein statistischer Fehler. Diese beiden Fehler werden im Folgenden als σBs 47 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs -Mesonen am LCHb Experiment Masse_Bs Masse_Bs 450 Entries Mean RMS χ2 / ndf Mean Gaus1 Width Gaus1 CoeffGaus1 Mean Gaus2 Width Gaus2 CoeffGaus2 BackgroundA BackgroundB 400 350 300 250 200 150 100 32232 5378 153.6 371.6 / 292 5285 ± 0.3 20.95 ± 0.27 1.859e+04 ± 2.404e+02 5367 ± 2.5 21.04 ± 1.86 1239 ± 105.3 194.5 ± 15.4 −0.02983 ± 0.00275 50 0 5200 5300 5400 5600 5700 5800 Masse_Bsbar Masse_Bsbar 34891 Entries 5370 Mean 148 RMS 2 χ / ndf 389 / 292 5285 ± 0.2 Mean Gaus1 20.4 ± 0.2 Width Gaus1 2.207e+04 ± 2.609e+02 CoeffGaus1 5369 ± 1.5 Mean Gaus2 19.7 ± 1.3 Width Gaus2 1819 ± 126.8 CoeffGaus2 BackgroundA 230.6 ± 16.0 BackgroundB −0.03608 ± 0.00285 500 400 300 200 100 0 5200 5500 5300 5400 5500 5600 5700 5800 Abbildung 7.4: Weiterbearbeitete Daten inklusive fit-Funktion über alle Messpunkte, aufgetragen nach Anzahl der Detektionen und der Masse in MeV 48 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs -Mesonen am LCHb Experiment und σB̄s bezeichnet und betragen: N (Bs → K − π + ) = 619, 3 ± 52, 6 N (B̄s → K + π − ) = 909, 7 ± 63, 3 . Um nun den Fehler in der zuvor berechneten Asymmetrie anzugeben, lässt sich die Gauß’sche Fehlerfortpflanzung berechnen. Da die Funktion ABs //B̄s von den Parametern N (Bs ) und N (B̄s ) und den jeweiligen Fehlern abhängt, ist die Fehlerfortpflanzung durch s 2 2 ∂ABs //B̄s ∂ABs //B̄s σBs + (7.7) σB̄s ∂N (Bs ) ∂N (B̄s ) gegeben. Die beiden benötigten Ableitungen sind einfach zu berechnen und lauten: ∂ABs //B̄s 2N (B̄s ) = 2 ∂N (Bs ) N (Bs ) + N (B̄s ) (7.8) ∂ABs //B̄s 2N (Bs ) = − 2 . ∂N (B̄s ) N (Bs ) + N (B̄s ) (7.9) Mittels ROOT lässt sich diese Berechnung schnell durchführen und die jeweiligen Fehler aus den Anzahlen N werden zugleich mitberücksichtigt. Am Ende ergibt sich damit für die vorhandene Asymmetrie im Zerfall der Bs - und B̄s -Mesonen: ABs //B̄s = −0, 189 ± 0, 056 . Aufgrund des Fehlers ist die gemessene Asymmetrie als signifikant anzusehen und damit ist die direkte CP-Verletzung in diesem Zerfall nachgewiesen, allerdings wurde von mir nur der statistische Fehler berücksichtigt, nicht aber der systematische Fehler des Experiments. Ergebnis Mein Ergebnis der Auswertung gleicht daher annähernd dem der Auswertung in der zuvor genannten Veröffentlichung der LHCb-Collaboration, welche für die Asymmetrie im Zerfall der Bs -Mesonen auf einen Wert ABs //B̄s von 0, 27 ± 0, 08 kommt. Das unterschiedliche Vorzeichen und die leicht abweichenden Zahlenwerte lassen sich auf eine andere Definition der Asymmetrie-Funktion (7.6) und eine detailliertere und umfangreichere Analysearbeit der LHCb-Collaboration zurückführen. 7.3 Konsequenz für die Baryogenese Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, gibt es Zerfälle, bei denen eine CP-Verletzung auftritt, welche in den Sacharow-Kriterien für die Baryogenese gefordert wird. Diese 49 7 Untersuchung zur CP-Verletzung beim Zerfall von Bs -Mesonen am LCHb Experiment Asymmetrie ist in verschiedenen Zerfällen nachweisbar und ist auch mit dem Standardmodell der Teilchenphysik vereinbar. Allerdings ist die so erklärbare Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie viel zu gering, als dass sie der Ursprung für die Materiedominanz im Universum sein könnte. Möglicherweise ist dieser Prozess daher noch nicht gut genug verstanden oder er stellt einen Hinweis auf eine neue Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik dar, welches den Ursprung der Materie im Universum erklären kann. Danach wird aktuell an den großen Teilchenbeschleunigern, wie beispielsweise am LHCb-Experiment des CERN, gesucht. 50 Zusammenfassende und weiterführende Gedanken Kosmologen sind oft im Irrtum, aber nie im Zweifel. (Lew Landau) Wie sich gezeigt hat, konnte ich in meiner Arbeit mit den von mir genutzten mathematischen und physikalischen Methoden, begonnen bei den klassischen Newton’schen Gesetzen, die Elementhäufigkeiten im Universum nach der primordialen Nukleosynthese berechnen. Die gewonnenen Ergebnisse stimmen zudem von der Größenordnung mit den beobachtbaren Elementhäufigkeiten im heutigen Universum überein und bestätigen somit die Überlegungen. Diese basierten größtenteils auf der gut verstandenen klassischen Physik, hingegen enthält die Betrachtung zur Baryogenese viele Hypothesen zur Materie-/Antimaterie-Asymmetrie, welche sich mit dem bekannten Standardmodell der Teilchenphysik und dem Standardmodell der Kosmologie nicht abschließend erklären lassen. Allerdings zeichnet sich durch diese am LHC gewonnenen Daten und Ergebnisse ein erster Blick auf eine Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik ab, die bis heute aber nicht erklärbar ist und aktuell einen Forschungsgegenstand der Grundlagenforscher darstellt. Weiterführend und motiviert durch die gewonnenen Ergebnisse könnte man nun die Arbeit erweitern, indem man beispielsweise die Elementfusionen nach der Deuteriumfusion genauer numerisch untersucht. Dies ist allerdings aufgrund der benötigten Fusionsraten aller beteiligten Elemente und Isotope und der nötigen Simulationsrechnungen vom Schwierigkeitsgrad nicht mit den mir zum jetzigen Zeitpunkt bekannten und umsetzbaren physikalischen und mathematischen Fähigkeiten realisierbar. Daher wäre dies ein interessantes Projekt für spätere Arbeiten. Auch könnte man die erwartete Masse der nach der primordialen Nukleosynthese entstandenen Elemente zusammenrechnen und damit abschätzen, inwieweit die Masse der entstandenen Elemente eine Erklärung für die Beobachtungen, für welche die dunkle Materie verantwortlich sein soll, darstellen könnten, auch wenn hier die qualitative Antwort natürlich bereits vorab bekannt ist. Persönlich hat mir die Anfertigung der Besonderen Lernleistung sehr viel Spaß, aber auch viel Kopfzerbrechen bereitet. So konnte ich sowohl einen Blick in die Arbeit der theoretischen als auch der experimentellen Physik werfen und auch die Arbeitsmethoden und Umgebungen der aktuellen Grundlagenforschung kennen lernen. Für die schriftliche Ausarbeitung habe ich mich in das Textsatzprogramm LATEX eingearbeitet, was nach 51 Zusammenfassende und weiterführende Gedanken einigen anfänglichen Hürden sehr gut funktioniert hat und auch für spätere Arbeiten im Studium sehr nützlich sein wird. Auch konnte ich erste praktische Einblicke in die Programmiersprache C++ erhalten und dies während meiner Datenanalyse am CERN als Eingabesprache nutzen, um mittels ROOT die Analyse durchzuführen. Am Ende dieser Arbeit verbleibt bei mir die Faszination darüber, dass ich einen Prozess, der sich Sekundenbruchteile nach dem Urknall vor rund 13,7 Milliarden Jahren abgespielt hat, verhältnismäßig genau beschreiben konnte und die Ergebnisse der Realität der damaligen Prozesse zu entsprechen scheinen. Fast noch bedeutender ist die Tatsache, dass die Ergebnisse einen Blick hinter den „optischen Vorhang“ der kosmischen Mikrowellenstrahlung ermöglichen, der alle optischen Beobachtungen zwischen dem Urknall und der Rekombination 380.000 Jahre nach dem Urknall verhindert. So hat die Verbindung von der Kosmologie zu der Atom- und Quantenphysik über viele Größenordnungen hinweg einen tiefen Einblick in die fundamentalen Eigenschaften des Mikro- und Makrokosmos ermöglicht. 52 Abbildungsverzeichnis 1.1 https://thecuriousastronomer.files.wordpress.com/2014/03/hubble_ fig1_full.gif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.1 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/62/Aleksandr_ Fridman.png, https://de.wikipedia.org/wiki/Albert_Einstein##/ media/File:Einstein_1921_portrait2.jpg, https://goo.gl/WI1NJj 9 http://wmap.gsfc.nasa.gov/media/990006/990006_2048.jpg . . . . . 13 2.2 4.1 4.2 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/92/Quark_structu re_proton.svg, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/ 8/81/Quark_structure_neutron.svg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 http://atlas.physicsmasterclasses.org/wpath_files/img/Feynman/ betaminus.png . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 Matthias Bartelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Bartelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Bartelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sarah Aretz, CERN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . https://commons.wikimedia.org/wiki/File:FusionintheSun.svg, //commons.wikimedia.org/wiki/File:CNO_Cycle_de.svg . . . . . 6.1 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e0/Mutual_Annihi lation_of_a_Positron_Electron_pair.svg . . . . . . . . . . . . . . . 37 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/Lhcbview. jpg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/62/Quark_structu re_pion.svg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 6.2 6.3 7.1 7.2 7.3 7.4 Marcel Kiel . LHCb, CERN Marcel Kiel . Marcel Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 . . 30 . . 31 . . 33 https: . . 35 . . . . . . . . 43 44 46 48 Literaturverzeichnis [1] Bartelmann, Matthias, et al. Theoretische Physik Heidelberg: Springer Spektrum, 2015. [2] Bartelmann, Matthias Development of cosmology: From a static universe to accelerated expansion Heidelberg, 2012. [3] Bartelmann, Matthias Cosmology Vorlesungsskript Universität Heidelberg. [4] Bartelmann, Matthias Observing the Big Bang Vorlesungsskript Universität Heidelberg. [5] Bennett, Jeffrey, et al. Astronomie: Die kosmische Perspektive München: Pearson Deutschland GmbH, 2010 [6] Breskin, A., Voss, R. 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Der neue Kosmos Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 1988 [20] Weinberg, Steven The First Three Minutes: A Modern View Of The Origin Of The Universe New York: Basic Books, 1993 55 Selbstständigkeitserklärung Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe; ferner, dass diejenigen Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen wurden, als solche kenntlich gemacht sind. Ort, Datum Unterschrift 56