Bedeutung der Endoskopie für die Diagnostik, Therapie und Palliation gastrointestinaler Tumorerkrankungen Prof. Dr. Karl Hermann Wiedmann Endoskopische Untersuchungen sind für die Diagnostik maligner Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes die entscheidenden Untersuchungenmethoden, da sie zusätzlich zur Entdeckung und visuellen Beurteilung einer Läsion eine histologische Sicherung ermöglichen. Besonders wertvoll ist ihr Einsatz auch im Screening prämaligner und frühmaligner Veränderungen des Gastrointestinaltraktes. Bestes Beispiel ist die Vorsorgekoloskopie, die seit 2003 zunehmend systematisch durchgeführt wird und die zu einer Senkung des colorektalen Karzinoms führen wird. Durch technische Geräteentwicklungen haben sich die Möglichkeiten der gastrointestinalen Endoskopie enorm verbessert. Die Videoendoskopie hat die Glasfaserendoskopie abgelöst. In zunehmendem klinischen Einsatz befinden sich die hochauflösende Videotechnik, die Vergrößerungsendoskopie und das Narrow-Band-Imaging ("digitales Färben"). Dieses benutzt spezielle Filter, die im wesentlichen Grün- und Blaulicht passieren lassen, was zu einer besseren Erkennung von Gefäßen und mukosalen Strukturen führt. Auch der Einsatz von Färbetechniken (Chromoendoskopie) führt zu einer verfeinerten Diagnostik von Schleimhautläsionen und dadurch zu einer möglichst frühen Behandlung prämaligner Veränderungen. Mini-Endoskope, die in den Gallengang und Pankreasgang eingeführt werden, ermöglichen die histologische Abklärung von tumorverdächtigen Strukturen. Endoskopische Therapie von Karzinomen und Karzinomvorläufern Die sog. endoskopische Mukosaresektion (EMR) zur definitiven Behandlung von Karzinomvorläufern und früheren Karzinomen des Gastrointestinaltraktes verbreitert sich zunehmend. Für die endoskopischen Verfahren am geeignetsten sind tumoröse Veränderungen, die auf die Mukosa und die oberflächlichen Schichten der Submukosa beschränkt sind. Auch wenn die Eindringtiefe einer Läsion oft erst nach deren Entfernung durch den Pathologen festgestellt werden kann, wird in der Regel durch eine präinterventionelle endoskopische Ultraschalluntersuchung angestrebt, die Tiefe der Tumorinvasion vor einer endoskopischen Resektion festzulegen. Die Kriterien (Größe der Läsion, Erhabenheit, Eingesenktheit) für eine endoskopische Therapie müssen sorgfältig beachtet werden, da sie für den Erfolg entscheidend sind. Zum Beispiel wachsen eingesenkte kleine Läsionen (>1cm) oft schon invasiv und sind für eine endoskopischen Therapie nicht sinnvoll (1). Selbstverständlich spielt die Erfahrenheit des Untersuchers hier eine große Rolle. Seite 1 von 4 © Prof. Dr. Karl Hermann Wiedmann: Bedeutung der Endoskopie für die Diagnostik, Therapie und Palliation gastrointestinaler Tumorerkrankungen Polypöse Läsionen, zum Beispiel Polypen im Darm, können meist durch eine einfache Schlingenektomie entfernt werden (Abb.1). Sessile und flache Läsionen erfordern eine aufwendigere Technik (endoskopische Mukosaresektion, EMR) und viel Erfahrung. Um eine flache mukosale Läsion von der Tunika muskularis abzuheben, wird eine submukosale Injektion (z.B. 50 % Glukose oder verdünnte Adrenalinlösung) nach Koagulationsmarkierung der Läsion durchgeführt. Dadurch wird das Perforationsrisiko gesenkt und eine weitgehend saubere Abtrennung der Submukosa von der Tunika muskularis ermöglicht. Die Abtragung der angehobenen Läsion erfolgt anschließend mit einer einfachen Schlingenektomie (Abb. 2a) oder nach Einsaugen der angehobenen Läsion in eine auf das Endoskop fixierte transparente Kappe mit einer Schlinge, die in der Kappe platziert ist (Abb. 2b). Auch großflächige Läsionen können auf diese Weise entfernt werden. Eine Variante der EMR ist die mukosale Dissektion (ESD) mit diathermischen Nadelmessern, die die Schleimhautläsion von der Tunica muskularis dissoziieren. Der Vorteil dieser Technik ist, dass der Tumor häufiger en-block entfernt werden kann und damit einer besseren histologischen Aufarbeitung zugänglich ist. Komplikationen der EMR und der ESD, die bei diesen Techniken auftreten können (Blutungen, kleine Perforationen), lassen sich in den meisten Fällen auch endoskopisch beherrschen. Anwendungsbeispiele der EMR Besondere Erfahrungen mit der EMR liegen bei der Behandlung der Highgrade-Dysplasie der Barrettschleimhaut, dem frühen Barrettkarzinom, dem Frühkarzinom des Magens und bei kolorektalen Neoplasien mit und ohne karzinomatöse Entartung vor. Auch wenn gelegentlich kontrovers diskutiert, scheint sich die Behandlung von Dysplasien und Frühkarzinomen der Barrettschleimhaut mittels endoskopischer Verfahren durch eine EMR oder ESD durchzusetzen, da ihre Ergebnisse mit der chirurgischen Resektion vergleichbar sind, aber mit weniger Komplikationen einhergehen (Abb. 3). Das Karzinom muss aber auf die Mukosa (kleiner 2 cm) begrenzt sein, da bereits bei Submukosabefall das Risiko einer Lymphknotenbeteiligung von 20 % vorliegt. Bei Beachtung der Kriterien zur endoskopischen Behandlung des Barrettkarzinoms (Läsion bis 2 cm, makroskopisch Typ 1, 2a, 2b, 2c, keine Lymphgefäß- und Veneninvasion, histologisches Grading gut bis mäßig differenziert) wurden ausgezeichnete Ergebnisse erzielt. Bei 99 % der Patienten wurde eine komplette lokale Remission erreicht (2). Ein Problem stellen metachrone Karzinome dar, die in den meisten Fällen jedoch endoskopisch therapiert werden konnten. Ernste Komplikationen sind extrem selten. Eine endoskopische Mukosaresektion von Magenfrühkarzinomen (Karzinom beschränkt auf Mukosa und Submukosa) kommt nur in Frage für gut differenzierte Tumore mit einer maximalen Größe von 2 cm (wenn makroskopisch erhaben bzw. flach erhaben) und bis maximal 1 cm, wenn makroskopisch leicht eingesenkt und nicht ulceriert, da diese Tumore in der Regel bei geringer Submukosapenetration ein sehr geringes Lymphknotenmetastasierungsrisiko (1,7 %) haben und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu Heilungsquoten führen, die den chirurgischem Vorgehen vergleichbar sind (Abb. 4). Seite 2 von 4 © Prof. Dr. Karl Hermann Wiedmann: Bedeutung der Endoskopie für die Diagnostik, Therapie und Palliation gastrointestinaler Tumorerkrankungen Kolorektale Neoplasien stellen im gastroenterologischen Alltag die größte Herausforderung dar. Bei jedem dritten Patienten über 50 Jahren lassen sich Darmpolypen nachweisen. Bei 75 % der Kolonpolypen handelt es um sich neoplastische Polypen (Adenome, niedrige intraepitheliale Neoplasie). Nach RO-Resektion ist in diesem Fall lediglich eine regelmäßige Nachsorge angezeigt. Die Karzinomrate im kolorektalen Polypen ist von der Größe der Polypen abhängig. Bei Polypen bis 3 cm finden sich in 25 % submukosainvasive Karzinome, bis zu einer Größe von 1 cm liegt diese Rate unter 1 %. Der Nachweis eines Karzinoms in einem Polypen erfolgt meist nach der endoskopischen Entfernung des Polypen, ohne dass vorher die Krebsdiagnose bekannt war. Der vollständig entfernte Polyp ist im Rahmen der pathologischen Untersuchung gemäß der sog. Lowriskund Highrisk-Kriterien zu beurteilen. Für die T1-Lowrisk-Situation gilt das Grading G1, G2 (gut bis mäßig differenzierter Tumor), die fehlende Lymphangioinvasion (L0) und das fehlende Tumorzellbudding an der Submukosafront (seifenblasenartige Dissoziation der Tumorzellen an der tiefsten Stelle der Submukosainvasionsfront) (4). Die Invasionstiefe der Submukosa darf bis zu 1000 µm betragen bzw. bis zum SM1- und SM2-Level reichen. Sind diese Kriterien erfüllt, ist eine endoskopische Mukosaresektion ausreichend, da bei dieser Situation die Lymphknotenmetastasierungsrate unter 2 % liegt (Abb 5). In der Highrisksituation (Grading G3, G4, Lymphangioinvasion (L+) und positives Budding) kann die Lymphknotenbeteiligung bis zu 20 % betragen, so dass nach Entfernung einer solchen Neoplasie eine anschließende onkologisch-chirurgische Darmresektion zu erfolgen hat. Die Komplikationen bei der endoskopischen Kolonpolypektomie sind gering (0,17 %) bei einer Mortalität von 0,001 %. In der Münchner Polypektomiestudie betrugen die Komplikationen 1,6 % (Blutungsschock, Operation, Perforationen bei 1,1 % bei einer Letalität von 0 %). Besonders treten Komplikationen bei sessilen und rechtslokalisierten Polypen bei einer Größe ab 2 cm von 11,7 % auf (5, 6). Die Langzeitergebnisse der endoskopischen Therapie von Lowrisk-Kolonkarzinomen sind ausgezeichnet. Nur in 1,9 % liegen ungenügende Behandlungsergebnisse vor. Das Risiko einer vorhandenen Lymphknotenmetastasierung beträgt 0,88 %. Dagegen liegt die Letalität bei operierten T1-Karzinomen bei 1-3 % und es besteht eine Komplikationsrate von 12,5 bis 30 %. Da die Letalität der operierten Gruppe der T1-Lowrisk-Karzinome höher ist als das Metasasierungsrisiko bei einer alleinigen endoskopischen Therapie, stellt sie heute bei dieser Tumorentität das Verfahren der Wahl dar (7, 8). Endoskopische Palliation Die endoskopische Palliation bei Tumoren des Gastrointestinaltraktes bietet vielfältige Möglichkeiten an. Hauptziel ist die Behandlung von Symptomen und eine Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten. Zur Eröffnung und Offenhaltung von Stenosen, insbesondere im Ösophagus, aber auch im Kolon und am Magenausgang oder zur Behandlung rezidivierender Blutungsereignisse können in Einzelfällen Lasertherapien oder Argonplasmakoagulation nützlich sein. Bei stenosierenden Ösophagustumoren haben sich heutzutage selbstexpandierende Metall- oder auch Plastikstents bewährt. Sie sind eindrucksvolle Verfahren, die zu einer deutlich verbesserten Lebensqualität (Nahrungsaufnahme, Ermöglichung des Schluckens von Speichel) führen (Abb. 6). In ausgewählten Fällen lassen sich mit dieser Technik auch maligne Magenausgangsstenosen (Abb. 7) und Kolonstenosen effektiv behandeln. Seite 3 von 4 © Prof. Dr. Karl Hermann Wiedmann: Bedeutung der Endoskopie für die Diagnostik, Therapie und Palliation gastrointestinaler Tumorerkrankungen Die Behandlung von Stenosen im Bereich der Gallenwege bei Vorliegen eines Ikterus mit Plastik-oder Metallstents ist eine sehr effektive Möglichkeit, über einen langen Zeitraum Juckreiz und Gelbsucht unter Kontrolle zu halten (Abb. 8). Nicht zuletzt sind verschiedene endoskopische Verfahren wie Legen von Nahrungssonden, perkutane Enterogastrostomie und Anlegen von Fistel) vorhanden, mit denen eine effektive Ernährung und damit auch Besserung des Allgemeinzustandes möglich ist, oft auch temporär während anderer spezifischer Tumorbehandlungen wie der Strahlen- und Chemotherapie. Abbildungen im Beitrag siehe Anlage: „Abbildungen_zum_Beitrag_Prof_KHW.pdf“ Literatur 1) Judo S, Kashida H, Tamara T et al. Management of nonpolypoid early colorectal cancer. World J Surg 200024:1081-1090 2) Pech, O, Max, A, Gossner, L, et al. Curative endoscopic resection of early esophageal adenocarcinomas (Barrett's cancer). Gastrointestinal Endoscopy 2000,561:506 3) Noda, M, Kodama, T, Atsuma, M, et al. Possibilities and limitations of endoscopic resection for early gastric cancer. Endoscopy 1997,29:3615 4) Ueno H, Mochizuki H, Hashiguchi Y et al. Risk factors for an adverse outcome in early invasive colorectal carcinoma. Gastroenterology 2004; 127:385-394 5) Kaneko E, Haradat H, Kasugai T et al. The result of a multicenter analysis from 1983 to 1992. Gsatroenterol Endosc 1995; 37:642-652 6) Heldwein W.et al The Munich Polypectomy Study(MUPS) Endoscopy2005,1116-1122 7) Fingerhut A, Msika S, Yahchouchi E et al. Neither pelvic nor abdominal drainage is needed after anastomosis in elective uncomplicated colorectal Surgery. Ann Surg 2000; 231:613-614 8) Herzog U, Schupisser JP, Tondelli P. Frühletalität in der Chirurgie des Rektumkarzinoms. Schweiz Med WSchr 1991; 121:1091-1094 Seite 4 von 4