62 BZB April 15 Wissenschaft und Fortbildung Intraoperative DVT-basierte Diagnostik in der Endodontie DVT-Aufnahmen sind in ausgewählten Fällen gerechtfertigt E i n B e i t r a g v o n O A D r. C h r i s t i a n D i e g r i t z , M ü n c h e n Bis vor Kurzem beschränkte sich die radiologische Diagnostik in der Endodontie auf Einzelzahnaufnahmen oder Panoramaschichtaufnahmen. Diese Röntgentechniken ermöglichen aber lediglich die zweidimensionale Darstellung einer dreidimensionalen Struktur. Trotz der Möglichkeit exzentrischer Röntgentechniken ist der Informationsgewinn, zum Beispiel durch Überlagerungen anatomisch benachbarter Strukturen, oft eingeschränkt. Hier ermöglicht die digitale Volumentomographie (DVT) zum ersten Mal in der Geschichte der Zahnmedizin die nicht verzerrte, dreidimensionale Darstellung der Zahnbögen sowie der angrenzenden Gewebe in einer sehr hohen Auflösung und bei verhältnismäßig geringer Strahlenbelastung [1,2]. Dieser Artikel stellt die Möglichkeiten und die Einschränkungen dieses Verfahrens dar, angefangen bei der richtigen Indikationsstellung anhand der im Jahr 2013 aktualisierten Leitlinie der DGZMK bis hin zu einem Behandlungsfall aus der täglichen Praxis, der die Möglichkeiten der intraoperativen DVTDiagnostik in der Endodontie exemplarisch darstellen soll. Bedeutung der digitalen Volumentomographie in der Endodontie Die digitale Volumentomographie, deren Einsatz in der Zahnheilkunde erstmals 1998 von Mozzo et al. beschrieben wurde, hat in den vergangenen Jahren in allen Bereichen der Zahnheilkunde als wichtiges Hilfsmittel in der radiologischen Diagnostik und der Behandlungsplanung Einzug gehalten. So finden sich bei einer Recherche in der Literaturdatenbank „Pubmed“ insgesamt 1 303 Publikationen für die Suchbegriffe „CBCT (cone beam computed tomography) and Dental“. Zumeist handelt es sich um Publikationen aus den Bereichen Kieferchirurgie und -orthopädie, jedoch belegen 255 Publikationen aus dem endodontischen Bereich (Suchbegriff „CBCT and Endodontics“), dass die endodontische Diagnostik mithilfe der dritten Dimension zunehmend an Bedeutung gewinnt (Stand: Februar 2015). Anforderungen an ein DVT-Gerät für endodontische Fragestellungen Die Zahl der im Dentalbereich erhältlichen DVTGeräte und die damit verbundenen Weiterentwicklungen haben in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen. Die Geräte unterscheiden sich teilweise deutlich in entscheidenden Merkmalen: · Patientenpositionierung (liegend, sitzend oder stehend) · einstellbare Größe des Volumens (field of view, FOV) · verwendete Detektortechnologie wie Bildverstärker oder Flachpanel-Detektoren. Als weitere wichtige Entscheidungsgröße bei der Auswahl des geeigneten Gerätes ist die Voxelgröße zu erwähnen. Ein Voxel lässt sich als „dreidimensionales Pixel“ beschreiben und stellt eine Größe der Ortsauflösung und damit ein Maß für die diagnostische Leistungsfähigkeit dar. Die Bandbreite der zurzeit auf dem Markt erhältlichen Geräte reicht von 75 µm (NewTomVGi) bis zu 600 µm (z.B. ProMax 3DMid). Für die Endodontie eignen sich DVTGeräte mit einem begrenzt einstellbaren, einem sogenannten „limited FOV“ von etwa 5 x 5 cm mit einer Auflösung von unter 200 µm, also der durchschnittlichen Breite des Desmodontalspalts. Die Vorteile für die Auswahl eines kleinen FOV in der Endodontie liegen auf der Hand: · erhöhte diagnostische Genauigkeit durch die höhere Auflösung bei endodontischen Fragestellungen wie kalzifizierten oder zusätzlichen Kanalstrukturen · reduzierte Strahlenbelastung des Patienten · Zeitersparnis hinsichtlich der Aufnahme sowie der Rekonstruktionszeit · begrenzter Befundungs- und somit Verantwortlichkeitsbereich für den Anwender · Fokussierung auf den anatomischen Bereich des Interesses (region of interest, ROI). Die Tabelle 1 zeigt eine Übersicht aktueller, für endodontische Fragestellungen geeigneter DVT-Geräte. Wissenschaft und Fortbildung Gerätename Hersteller kleinstes FOV (cm) geringste Auflösung (µm) effektive Dosis nach ICRP 2007 (µSv) Kosten (Euro) CS 8100 3D Carestream 4x4 75 n.b. 54.999 CS 9000 3D Carestream 5 x 3,7 76 19 – 43 54.999 CS 9300 Select Carestream 5x5 90 52 – 87 89.999 Morita 3D Accuitomo 170 Morita 4x4 80 48 * 224.000 Veraviewepocs 3D Morita F40 4x4 125 15 – 22 76.000 Veraviewepocs 3D Morita R100 4x4 125 26 – 178 100.000 Promax 3D Classic Planmeca 4x5 100 12 – 153 79.900 Newtom Giano 115 S QR 5x5 75 33 – 78 “ 87.200 Newtom VGi QR 6x6 75 124 170.000 Orthophos XG 3D Sirona 5 x 5,5 100 64 89.000 PaX-i-3D 5x5 120 44 ab 74.900 VATECH/ OrangeDental BZB April 15 Tab. 1: Auszug der für endodontische Fragestellungen geeigneten DVT-Aufnahmegeräte nach Herstellern geordnet (n.b. = nicht bekannt, * = Unterkiefermolaren-Region, “ = bei einem FOV von 11 x 8 cm) Strahlenbelastung des Patienten Bei einer in der Endodontie verwendeten dentoalveolären DVT-Aufnahme mit limitiertem FOV ist eine durchschnittliche Strahlenbelastung (sogenannte effektive Dosis) von 19 bis 44 µSv zu erwarten [3]. Die relativ große Spanne der effektiven Dosis ist darin begründet, welche Organe im Strahlenfeld liegen. Die effektive Dosis einer Aufnahme der Oberkieferfront beträgt beispielsweise bei dem CS 9000-Gerät mit einer FOV-Größe von 5 x 3,7 cm 5,3 µSv, während bei einer Aufnahme der Unterkiefermolaren eine effektive Dosis von 38,3 µSv auftritt (Tab. 2). Der Grund hierfür sind röntgensensitive Organe wie das Knochenmark, die Schilddrüse, die Speicheldrüsen und das Gehirn, die bei einer Unterkieferaufnahme mehr im Strahlenfeld liegen, als dies bei der Aufnahme der Oberkieferfront der Fall ist. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Strahlendosis durch das kleinstmögliche FOV, die geringste Voxelgröße, die kleinstmögliche mA-Eineffektive Strahlendosis (µSv) DVT (kleines FOV 4 x 4 cm) 19 – 43 Panoramaschichtaufnahme 2,9 – 11 Einzelröntgenaufnahme (Molar) 0,6 – 5 CT (Schädel bimaxillär) 2 100 Mammographie 700 Ein Tag Hintergrundstrahlung auf Meereshöhe 7–8 Kosmische Strahlung während eines Fluges Paris – Tokio – Paris 150 Tab. 2: Effektive Strahlendosis verschiedener Röntgentechniken sowie Vergleichswerte stellung und die kürzeste Expositionszeit in Verbindung mit einem gepulsten Expositionsmodus am effektivsten verringert werden kann [4]. Einschränkungen der DVT-Technologie Wie jede diagnostische Methode weist auch die DVTTechnik einige Limitationen in der Anwendung auf. Neben der Strahlenbelastung für den Patienten ist zum einem die geräteabhängige, unterschiedlich lange Umlaufzeit pro Aufnahme zu erwähnen. Die dabei möglicherweise entstehenden Bewegungsartefakte können nur durch eine Fixierung des Patienten oder durch eine Reduzierung der Umlaufzeit begrenzt werden. Anamnestisch zu beachten sind daher Patienten mit neurologischen Grunderkrankungen und damit verbundenem unterschiedlich ausgeprägten Tremor, wie etwa bei Morbus Parkinson. Bei diesen Patienten ist die Notwendigkeit einer DVT-Diagnostik besonders abzuwägen. Zudem können Artefakte durch röntgendichte Materialien wie Implantate oder metallische Stiftaufbauten und Kronen die Aussagekraft einer 3-D-Aufnahme für endodontische Belange erheblich reduzieren. Neben der Strahlenstreuung („scattering“) sind die Strahlaufhärtung („beam hardening“), die Überlappungsverzerrung („aliasing“) und das Bildrauschen („noise“) zu nennen. Diese Artefakte nehmen umso mehr zu, je mehr röntgendichte Materialien sich im Untersuchungsfeld befinden. Somit kann eine Reduzierung auf das kleinstmögliche FOV zu einer deutlichen Abnahme der Artefakte führen. Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass trotz 63 64 BZB April 15 Wissenschaft und Fortbildung teilweise widersprüchlicher Datenlage DVT-Aufnahmen weniger stark von Artefakten betroffen sind als CT-Aufnahmen. Mögliche Indikationen einer DVT-Aufnahme für endodontische Fragestellungen Im Oktober 2013 löste die von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erarbeitete neue S2k-Leitlinie „Dentale Digitale Volumentomographie“ die bisher gültige S1-Empfehlung „Dentale Volumentomographie“ ab. Somit verfügt der zahnärztliche DVT-Anwender zum ersten Mal nicht nur über eine von Experten erarbeitete Handlungsempfehlung (S1), sondern auch über eine strukturierte Konsensfindung eines fachkundigen Gremiums (S2k). Eine systematische evidenzbasierte Leitlinie mit hohem Evidenzgrad (S2e) ist aufgrund der geringen Datenlage nicht vor dem Jahr 2018 zu erwarten. Die S2k-Leitlinie stellt für den Themenkomplex Endodontie unmissverständlich klar, dass vor jeder DVT-Aufnahme zu einer endodontischen Fragestellung eine umfangreiche Basisdiagnostik erfolgt sein sollte [5]. Zu dieser Basisdiagnostik gehört auch entsprechend der ALARA („as low as reasonably achievable“)-Prinzipien der radiologischen Diagnostik eine strahlungsärmere zweidimensionale Röntgenaufnahme [6]. Genügt diese nicht, um eine eindeutige Diagnose stellen zu können, kann anhand dieser Aufnahme das geeignete „field of view“ für eine DVT ausgewählt werden. Das FOV soll laut Richtlinie „auf die fragliche Region begrenzt sein“ und es soll „eine möglichst hohe nominelle Auflösung angestrebt werden, im Sinne einer Voxelgröße von 125 µm oder weniger“ [7]. Als mögliche Indikationen für eine DVT-Aufnahme in der Endodontie werden genannt: Apikale Veränderungen mit klinischer Symptomatik, die in 2-D-Aufnahmen nicht detektierbar beziehungsweise räumlich korrelierbar sind. Hier zeigt die DVT-Technologie ihr Potenzial. Mit einer 26 bis 38 Prozent höheren Sensitivität gegenüber Einzelzahnaufnahmen und Panoramaschichtaufnahmen [8,9] können apikale Entzündungsprozesse früher und sicherer diagnostiziert und somit auch früher behandelt werden. Dies kann für die Prognose des betroffenen Zahnes von Bedeutung sein, denn eine Wurzelkanalbehandlung an einem Zahn mit einer irreversiblen Pulpitis hat eine Erfolgsrate von etwa 90 Prozent, ein Zahn mit einer apikalen Parodontitis (im zweidimensionalen Zahn- film diagnostiziert) hingegen eine Erfolgsrate von 60 bis 70 Prozent [10-12]. Eine sichere Differenzialdiagnose zwischen einem apikalen Granulom und einer radikulären Zyste ist zum heutigen Zeitpunkt auch mit einer DVT nicht möglich [13]. Nach wie vor ist und bleibt die histologische Untersuchung des kompletten Resektats Goldstandard. Jedoch ermöglicht eine DVT-Aufnahme die deutliche Differenzierung von apikalen Läsionen dentogenen Ursprungs von nicht dentogenen Veränderungen wie zum Beispiel Neoplasien. Wurzelfrakturen, da diese mathematisch bedingt sowie auch klinisch nachgewiesen sicherer identifiziert werden können als mit 2-D-Aufnahmen. Mehrere Studien, die für die DGZMK-Stellungnahme herangezogen wurden, zeigen die Überlegenheit einer dreidimensionalen Diagnostik mittels DVT im Vergleich zu herkömmlichen zweidimensionalen Methoden [14-16]. Neuere Studien belegen jedoch, dass sowohl die verwendeten DVT-Geräte bezüglich ihrer Unterschiede in den Expositionsparametern, der Detektorsensitivität, der Voxeleinstellung und den Rekonstruktionsalgorithmen, als auch der Einfluss von röntgendichten Strukturen wie Wurzelfüllungen beziehungsweise Wurzelstiften aufgrund von Artefaktbildung einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Detektion von Wurzellängsfrakturen haben. In der Abbildung 1 kann man eine für eine Vertikalfraktur typische J-förmige Aufhellung vermuten. Die in Abbildung 2 dargestellte DVT-Aufnahme zeigt die erschwerte Diagnostik der Wurzellängsfraktur aufgrund der für röntgendichte Wurzelfüllungen typischen Röntgenartefakte. Daher sollte nach Befunden, die für eine Wurzelfraktur sprechen, das DVT-Volumen gescreent werden. So bei: · Knochenverlust bis in das mittlere Wurzeldrittel mit Restknochen koronal wie apikal · Verlust der bukkalen Kompakta · Radioluzenz im Bereich des Übergangs Stift und Wurzelkanal · erweitertem Parodontalspalt zwischen bukkalem Knochen und Wurzeloberfläche. Somit wird nach dem aktuellen Stand der Literatur die Indikation für eine DVT-Aufnahme zur Diagnostik von Wurzellängsfrakturen nur eingeschränkt empfohlen. Interne zervikale, apikale und externe Wurzelresorptionen. Das rechtzeitige Erkennen von extern wie auch intern gelegenen Wurzelresorptionen ist entscheidend Wissenschaft und Fortbildung Abb. 1: Zirkumferent um die Wurzel des Zahnes 35 imponierende Osteolysezeichen in „J-Form“ mit starkem vertikalen Knocheneinbruch distal. Verdacht auf Längsfraktur. Abb. 3: Röntgenkontrollaufnahme fünf Monate nach Trauma. Die Diagnose vor fünf Monaten: unkomplizierte Kronenfraktur 11, 21 und 22. Es imponiert ein vertikaler Knocheneinbruch mesial des Zahnes 22, der bis in das apikale Wurzeldrittel reicht. für den Erhalt eines Zahnes [17-20]. Ein Beispiel für den Informationsgewinn eines DVTs gegenüber einer Einzelaufnahme im Fall einer externen Resorption ist in den Abbildungen 3 und 4 dargestellt. Anderweitig nicht detektierbare Perforationen und Stiftperforationen, da eine 2-D-Aufnahme eine räumlich korrekte Korrelation besonders in bukko-lingualer Richtung nicht zulässt (Abb. 5 und 6) [21]. Diese Empfehlung der Leitlinie gilt es ebenfalls bei vorhandenen metallischen wie keramischen Stiften zurückhaltend anzuwenden, da Artefakte eine vorhersagbare Diagnostik nur begrenzt oder gar nicht erlauben [22]. Komplexe Wurzelanatomie und Morphologie. Zu erwähnen wären hier anatomische Besonderheiten an Prämolaren und Molaren wie das Vorliegen eines zweiten beziehungsweise dritten Wurzelkanals an unteren Prämolaren, eines dritten Wurzelkanals an oberen Prämolaren und die sichere BZB April 15 Abb. 2: DVT-Aufnahme mit axialer Schichtung des dritten Quadranten. Die blauen Pfeile zeigen den Verlauf des Frakturspalts, der grüne Pfeil zeigt das Phänomen des „beam hardening“ und der rote Pfeil das sogenannte „scattering“. Abb. 4: Ausgeprägte entzündlich bedingte externe Resorption mit lateraler Osteolyse an den Zähnen 22 und 21 Darstellung eines zweiten mesio-bukkalen Kanals an oberen Molaren sowie eines mesio-zentralen Kanals an unteren Molaren, aber auch Anomalien in der Zahnentwicklung wie etwa ein Dens invaginatus an oberen Frontzähnen [23,24]. Planung und Durchführung endodontischer Chirurgie unter Einbeziehung gefährdeter Nachbarstrukturen. Eine DVT-Diagnostik ist indiziert zur Darstellung der Relation der apikalen Osteolysezone zu wichtigen anatomischen Strukturen wie des N. alveolaris inferior oder des Sinus maxillaris [25,26]. Instrumentenfrakturen, wenn die Fragmente mit optischen Hilfsmitteln nicht zu detektieren sind. Ein Beispiel hierfür liefern die Abbildungen 7 und 8. Beurteilung der Qualität von eingebrachten Wurzelfüllungen. Dies hinsichtlich Homogenität und Randständigkeit (Dichtigkeit), Ausdehnung (Wurzelfülllänge) und 65 66 BZB April 15 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 5: Präoperative 2-DDiagnostik mit Verdacht auf Perforation des Glasfaserstiftes an Zahn 22 Abb. 6: Sowohl die axiale als auch die koronale und die sagittale Schichtung zeigen im DVT den „extra-axialen Verlauf“ der Stiftbettbohrung. Die Stiftbettbohrung und der eingebrachte Stift befinden sich gerade noch in der Zahnhartsubstanz. Abb. 7: Die zweidimensionale Röntgendiagnostik erlaubt es nicht, die Lagebeziehung des Instrumentenfragments in der mesialen Wurzel des Zahnes 16 zum Sinus maxillaris abschließend zu klären. Abb. 8: Lagebestimmung des frakturierten Wurzelkanalinstruments zum Sinus maxillaris im DVT Vollständigkeit der Obturation des Wurzelkanalsystems [27]. Diagnose und Behandlung des dento-alveolären Traumas, vor allem beim Vorliegen von Wurzelfrakturen, Luxationsverletzungen und Frakturen des Alveolarfortsatzes (Abb. 9a und b). Gerade bei horizontal verlaufenden Wurzelfrakturen ist der Frakturverlauf von prognostisch entscheidender Bedeutung. Je weiter koronal dieser liegt, desto eher besteht eine Kommunikation der Fraktur mit dem Sulkus, wodurch eine ständige Rekontamination des Bruchspaltes zu erwarten ist [28]. Bornstein et al. [29] konnten zeigen, dass von 44 anhand von Einzelzahn- und Okklusalaufnahmen untersuchten Zähnen lediglich 11 Prozent einen Frakturverlauf im zervikalen Bereich vermuten ließen, während die DVT-Aufnahmen in 68 Prozent einen zervikalen Frakturverlauf darstellten. Auch hinsichtlich der Sensitivität von Wurzelfrakturen scheint die DVT-Technik der Einzelzahnaufnahme überle- gen zu sein [30]. Somit gilt es gerade bei Kindern und Jugendlichen gemäß den ALARA-Kriterien kritisch abzuwägen, ob bei Verdacht auf Wurzelfraktur beziehungsweise Luxationsverletzung oder auf eine Fraktur des Alveolarfortsatzes eine DVT-Aufnahme angefertigt werden soll, oder ob die Einzelzahnaufnahme in Kombination mit einer Aufbissaufnahme, die nach wie vor als Standard zu betrachten ist, zur Diagnosestellung ausreicht. Intraoperative Diagnostik mithilfe des DVTs Neben der Leitlinie der DGZMK hat die American Association of Endodontics in Zusammenarbeit mit der American Association of Oral Maxillofacial Radiology bereits 2011 eine Stellungnahme zu der Verwendung des DVTs in der Endodontie veröffentlicht. Neben den Übereinstimmungen mit der Stellungnahme der DGZMK wurde eine intra- beziehungsweise postoperative Bewertung von endodontischen Behandlungskomplikationen wie überextendiertes Wurzelfüllmaterial, Instrumentenfrak- Wissenschaft und Fortbildung BZB April 15 Abb. 9a und b: Darstellung einer horizontal verlaufenden Wurzelfraktur im mittleren Drittel des Zahnes im Zahnfilm (links) und im DVT (rechts) tur, kalzifizierte oder obliterierte Kanalstrukturen sowie die Lokalisation von Perforationen als mögliche rechtfertigende Indikation angeführt. Die intraoperative Unterstützung durch eine dreidimensionale Diagnostik kann iatrogenen Schaden rechtzeitig abwenden und damit maßgeblichen Einfluss auf die Prognose der endodontischen Therapie nehmen. Nach Ball et al. [31] bestehen folgende Indikationen für eine intraoperative DVT-Diagnostik: · Lokalisation von kalzifizierten Kanalstrukturen · Evaluation von unerwarteten anatomischen Strukturen · Evaluation von nicht entdeckten Kanalstrukturen bei Revisionsbehandlungen · Evaluation von Wurzelresorptionen, iatrogenen Wurzelperforationen, Instrumentenfrakturen und überfülltem Wurzelmaterial. Die folgende Falldarstellung zeigt ein Beispiel für eine intraoperative DVT-Diagnostik. Behandlungsfall „natürliche Perforation“ Ausgangsbefund Ein 47-jähriger Patient wurde aufgrund der komplexen Wurzelkanalanatomie des Zahnes 26 zur Wurzelkanalbehandlung an die Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der LMU München überwiesen. Er berichtete von seit Tagen anhaltenden pochenden Beschwerden im linken Oberkiefer. Der Vitalitätstest an Zahn 26 fiel im Vergleich zu den Nachbarzähnen im zweiten Quadranten negativ aus, der Perkussionsbefund dagegen war stark positiv. Zusätzlich bestand eine deutliche Druck- dolenz im Bereich der Wurzelspitze. Die vom Überweiser angefertigte Einzelzahnaufnahme bestätigte die Diagnose einer symptomatischen apikalen Parodontitis. Der PAI (PeriApical Index) nach Orstavik betrug Grad vier. Therapieverlauf In der ersten Sitzung erfolgten nach einer bukkalen Infiltration mit Ubistesin 1 : 200 000 (3M Espe, Seefeld, Deutschland) die Präparation der Zugangskavität sowie die Darstellung der vier Kanaleingänge unter Kofferdam. Nach der Vorbereitung der Wurzelkanaleingänge (koronales Preflaring) wurden endometrische Längenmessungen durchgeführt. Hierbei ergaben sich widersprüchliche Messungen in der palatinalen Wurzel. Sowohl mit dem RootZX-Gerät (Morita, Tokio, Japan) als auch mit dem Raypex 6 (VDW Dental, München, Deutschland) konnte endometrisch lediglich eine Länge von 16 mm gemessen werden (im Vergleich zu den Längenmessungen in den Wurzeln mb1 25,5 mm, mb2 17,5 mm, konfluierend mit mb1 sowie db 24,5 mm). Die Röntgenmessaufnahme bestätigte den Verdacht einer zu kurzen Längenmessung in der palatinalen Wurzel (Abb. 10). Die endometrische Längenmessung wurde daraufhin wiederholt, es ergab sich jedoch keine Veränderung zu den zuvor gemessenen Werten. Daraufhin wurde der palatinale Kanal bis zur endometrisch gemessenen Länge mit einem Kalziumhydroxidpräparat (Ultracal XS, Ultradent Products, South Jordan, USA) gefüllt und provisorisch verschlossen. Der Patient wurde darüber aufgeklärt, 67 68 BZB April 15 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 10: Röntgenmessaufnahme des Zahnes 26 Abb. 11: In allen drei Schnittebenen ist an der palatinalen Wurzel des Zahnes 26 eine externe, entzündlich bedingte Resorption zu erkennen, welche die Zahnwurzel bis in die Pulpahöhle und die Kieferhöhlenwand penetriert. Als Nebenbefund ist in der Sagittal- und Koronalebene eine hyperdense Struktur am Boden des Sinus maxillaris zu erkennen, die als chronische Sinusitis zu deuten ist. dass die Ursache für die widersprüchlichen Ergebnisse der endometrischen und der radiologischen Längenbestimmungen trotz Einsatz des Mikroskops und einer zweidimensionalen Röntgenaufnahme nicht visualisiert werden konnte. Der Patient wurde über die Möglichkeit einer DVT-Aufnahme sowie deren Risiken (Strahlenexposition) informiert und er willigte in diese Maßnahme ein. Daraufhin erfolgte eine Aufnahme mit dem CS 9300 (Carestream Dental, Rochester, USA) (FOV 5 x 5 cm, 90 µm). Hiermit konnte eine fortgeschrittene pulpapenetrierende, externe, entzündlich bedingte Wurzelresorption an der palatinalen Wurzel diagnostiziert werden (Abb. 11). Dem Patienten wurden folgende Behandlungsmöglichkeiten erläutert: · Extraktion des Zahnes oder · Versuch des Zahnerhalts beziehungsweise Reduktion des entzündlichen Prozesses zur Regeneration der knöchernen Strukturen für den Fall der Insertion eines Implantats bei Verlust des Zahnes 26. Der Patient entschied sich für den Versuch des Zahnerhalts. Die Wurzelkanalbehandlung erfolgte zweizeitig. Nach initialer Aufbereitung mit C PilotHandfeilen (VDW) sowie Pathfiles (Dentsply Mailefer, Ballaigues, Schweiz) folgten eine chemisch ultraschallunterstütze Aufbereitung mit NaOCl in 2,5-prozentiger Lösung und EDTA in 17-prozentiger Lösung sowie die mechanische Aufbereitung der palatinalen Wurzel sowie der restlichen Wurzelkanäle jeweils bis zur endometrisch bestimmten Arbeitslänge mit dem Feilensystem MTwo (VDW). Eine zweiwöchige Einlage mit einem Calciumhydroxidpräparat schloss sich an. Bei der erneuten Vorstel- Abb. 12: Kontrollaufnahme nach der Wurzelfüllung lung war der Patient beschwerdefrei. Der Perkussionsbefund war negativ, sodass der palatinale Kanal mit MTA grau (Angulus, Londrina, Brasilien) bis zur endometrisch bestimmten Arbeitslänge verschlossen wurde. Die Obturation der übrigen Kanäle erfolgte in vertikaler Kompaktion mit erwärmter Guttapercha und dem Sealer Ah plus (Dentsply DeTrey, Konstanz, Deutschland) (Abb. 12). Nachsorge Der Patient ist in einem Jahr für ein DVT zur Kontrolle des Heilungsverlaufs wiederbestellt. Dann soll, falls nötig, über eine kieferchirurgische Interventionen im Sinne einer Resektion der palatinalen Wurzelspitze einschließlich der histologischen Aufbereitung des Resektats oder über die Extraktion des Zahnes entschieden werden. Falldiskussion Abschließend lässt sich für diesen Fall festhalten, dass das intraoperativ angefertigte DVT den Patienten vor einer möglichen iatrogenen Fehlbehandlung (Überinstrumentierung, Überpressung von Natriumhypochlorit in die Kieferhöhle und den damit verbundenen möglichen Folgen wie Nekrosebildungen) bewahrt hat und eine entscheidende Hilfe für das Auffinden der „natürlichen“ Perforation war. Schlussbetrachtung Eine möglichst akkurate wie auch profunde Diagnostik ist die Basis für die tägliche Arbeit. Die zweidimensionale Röntgentechnik gilt in der Zahnmedizin nach wie vor als Goldstandard, trotz zahlreicher Veröffentlichungen, die deren Limitationen Wissenschaft und Fortbildung unterstreichen. Ungeachtet der Überlegenheit der dreidimensionalen Röntgendiagnostik gilt es aus Gründen der Strahlenhygiene den Patienten gemäß den ALARA-Kriterien nur den geringstmöglichen Strahlendosen auszusetzen, um die notwendigen diagnostischen Information zu erhalten. Somit scheint es klar, dass der Einsatz der DVT zum aktuellen Zeitpunkt auf Grenzbereiche der endodontischen Therapie beschränkt ist und keinesfalls als Routinediagnostik vor jeder Wurzelbehandlung anzuwenden ist. Die DVT-Technologie besitzt jedoch das Potenzial, die endodontische Arbeitswelt ähnlich zu revolutionieren wie das Dentalmikroskop oder die Nickel-Titan-Instrumente. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Vorzüge einer zusätzlichen diagnostischen Information durch eine intraoperativ angefertigte DVTAufnahme in einigen ausgewählten Fällen das Risiko rechtfertigen, das mit einer begrenzten, aber im Vergleich zu Einzelröntgenaufnahmen höheren Dosis an Röntgenstrahlung verbunden ist. Denn BZB April 15 „man sieht nur, was man weiß“ (Goethe) und „nur was man sieht, kann man auch behandeln“ (Professor Kim, University of Pennsylvania). Hinweis Alle hier dargestellten DVT-Aufnahmen wurden mit dem CS 9300 (Carestream Dental) angefertigt. Der Autor erhält weder eine finanzielle Unterstützung noch ist er beratend für das Unternehmen Carestream Dental tätig. Korrespondenzadresse: Dr. Christian Diegritz Oberarzt Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie Klinikum der Universität München (KUM) Campus Innenstadt Goethestraße 70 80336 München [email protected] Literatur beim Verfasser Klarstellung Der Beitrag „Myofunktionelle Therapie mit ganzheitlichen vom 22.3.2005, dort unter Ziffer 13 auf Seite 8 infor- Aspekten – Eine Komplementärmethode für verschiedene miert. Da die myofunktionelle Therapie nicht Gegenstand medizinische Berufsgruppen” in BZB 3/2015, Seite 64 f., der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung enthält am Ende einen missverständlichen Hinweis zur ist, dürfen diese Leistungen nicht zulasten der GKV ver- Verordnungsweise. Im Fazit wird Folgendes aufgeführt: ordnet werden. „Da nach Auffassung der KZBV die Verordnung von myo- Eine Verordnung anderer Heilmittel, wie zum Beispiel funktionellen Maßnahmen nicht zur vertragszahnärztli- von Logopädie anstelle der gewollten myofunktionellen chen Versorgung gehört, müssen entsprechende geneh- Leistungen, stellt eine vertragszahnärztliche Pflichtverlet- migte Anträge oder Gutachten vorliegen. Das Abrech- zung dar, die eine disziplinarrechtliche Ahndung durch nungsproblem kann nach Ansicht der Referentin auch die KZVB zur Folge haben kann. mit der Verschreibung einer logopädischen Therapie um- Hierbei kann als Disziplinarmaßnahme eine Verwarnung, gangen werden.“ ein Verweis oder eine Geldbuße bis zu 10.000 Euro ausgesprochen werden. Außerdem erscheint es nicht aus- Hierzu stellt die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns geschlossen, dass dieses Vorgehen ebenfalls strafrechtlich Folgendes klar: verfolgt wird.” „Tatsächlich stellt die myofunktionelle Therapie keine Leistung dar, die zulasten der gesetzlichen Krankenversiche- Wir bitten, diese missverständliche Formulierung im ge- rung (GKV) zu erbringen ist. Hierüber hatte die KZVB ihre nannten Beitrag zu entschuldigen. Mitglieder zum Beispiel mit Rundschreiben Nr. 3/2005 Redaktion 69