Ist HDL-Cholesterin überhaupt protektiv wirksam?

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MEDIZINREPORT
KARDIOVASKULÄRE PRÄVENTION
Ist HDL-Cholesterin überhaupt
protektiv wirksam?
Einige genetische Mechanismen, die HDL-Cholesterin im Plasma erhöhen,
scheinen das Risiko für einen Herzinfarkt nicht zu senken. Damit steht
das Konzept der medikamentösen Anhebung dieses Parameters infrage.
er Ruf des „guten“ Highdensity-Lipoproteins (HDL),
das Cholesterin zur Leber zuführt,
hat in den letzten Jahren Schaden
genommen. Zuerst ist es nicht gelungen, mit Medikamenten, die
das HDL-Cholesterin deutlich steigern, Herzinfarkte zu verhindern.
Jetzt stellte eine sogenannte Mendel-Randomisierung-Studie (Lancet
2012; doi:10.1016/S0140–6736[12]
60312–2) auch die Rationale der
Therapie infrage.
Der Dualismus von „schlechtem“
Low-density-Lipoprotein (LDL)
und „gutem“ High-density-Lipoprotein basiert auf den Aufgaben
der beiden Transportvehikel im
Cholesterintransport im Blut. LDL
schafft das Cholesterin zum Gewebe. Es wird dort als Baustein von
Membranen benötigt, es kann sich
aber auch in den Gefäßwänden ablagern und die Bildung atherosklerotischer Plaques fördern. Ein
hoher LDL-Cholesterinwert gilt
deshalb als kardiovaskulärer Risikofaktor. Epidemiologische Studien
erbrachten hierfür zahlreiche Hinweise. Den Beweis für diese Hypothese lieferten die Statine, die mit
der Senkung des LDL-Cholesterins
auch die Herzinfarktrate signifikant
reduzierten.
D
CEPT-Inhibitoren sollten
endgültigen Beweis liefern
Das HDL ist für den Rücktransport
von Cholesterin an die Leber zuständig. Dort wird es metabolisiert und
als Gallensäure ausgeschieden. Ein
hoher HDL-Cholesterinwert gilt deshalb als kardioprotektiv. Epidemiologische Studien erbrachten hierfür
zahlreiche Hinweise. Den endgültigen Beweis sollten die Choleste-
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rinester-Transferprotein(CETP)-Inhibitoren liefern. Diese Wirkstoffe
können den HDL-Wert deutlich steigern.
Doch der erste CETP-Inhibitor
Torcetrapib (von Pfizer) scheiterte
vor fünf Jahren in einer großen randomisierten Studie. Statt die Patienten vor Herzinfarkten zu schützen, kam es zu einem Anstieg der
kardiovaskulären Ereignisse und
der Todesfälle (NEJM 2007; 357:
2109–22). Der Hersteller gab daraufhin die Entwicklung auf. Vor
wenigen Tagen ereilte einen weiteren CETP-Inhibitor das gleiche
Schicksal. Nach einem enttäuschenden Zwischenergebnis einer PhaseIII-Studie beendete der Hersteller
Roche die klinische Entwicklung
von Dalcetrapib.
Jetzt stellt eine Mendel-Randomisierung-Studie die Grundlage für
die protektive Wirkung von HDL
infrage – nämlich die Annahme,
dass hohe HDL-Werte vor HerzKreislauf-Erkrankungen schützen.
Die Mendel-Randomisierung-Studie ist ein Äquivalent zu einer randomisierten klinischen Studie.
Bei der randomisierten klinischen Studie wird untersucht, ob die
Änderung eines Parameters (Steigerung des HDL-Wertes durch einen
CETP-Inhibitor) ein gewünschtes
Ereignis (weniger Herzinfarkte) erzielt. Dabei werden die Teilnehmer
nach dem Zufallsprinzip auf die
beiden Therapiearme randomisiert.
Dies soll verhindern, dass die Therapie (mit einem CETP-Inhibitor)
nur deshalb ein günstiges Ergebnis
erzielt, weil in der Gruppe Nichtraucher und andere Personen mit
geringem kardialem Risiko überrepräsentiert sind.
In der Mendel-Randomisierung
wird untersucht, ob bestimmte Gene, die den Parameter (HDL) steigern, mit einer geringeren Rate von
klinischen Ereignissen (Herzinfarkte) einhergehen. Die Randomisierung übernimmt dabei die Natur.
Bei der Meiose werden die Gene
nach dem Zufallsprinzip verteilt. Es
ist unwahrscheinlich, dass Patienten mit dem Parameter aus anderen
Gründen ein geringeres oder höheres Ereignisrisiko haben. Die Methode wurde bereits erfolgreich eingesetzt. Vor zwei Jahren bestätigten
britische Forscher die Hypothese,
dass hohe Triglyzeridwerte ein kardialer Risikofaktor sind (Lancet
2010; 375: 1634–9).
Daten aus 20 Studien: Kein
Hinweis auf Risikominderung
Jetzt prüfte die Gruppe um Sekar Kathiresan vom Massachusetts
General Hospital in Boston/USA,
ob eine Genvariante, die den HDLWert ansteigen lässt, mit einem
niedrigen Herzinfarktrisiko einhergeht. Bei der Genvariante (SNP,
für single nucleotide polymorphism) handelte es sich um LIPG
Asn396Ser. Diese „loss-of-function“ schaltet die endotheliale Lipase aus. Die Folge ist ein Anstieg
der HDL-Werte.
Etwa 2,6 Prozent der Bevölkerung sind Träger des SNPs LIPG
Asn396Ser. Ihr HDL-Cholesterin
steigt dadurch um 0,14 mmol/l an,
während andere Lipide (die ebenfalls das Herzinfarktrisiko beeinflussen könnten) gleich bleiben.
Nach den Berechnungen von Kathiresan müssten die höheren HDLWerte das Herzinfarktrisiko um
13 Prozent vermindern. Dafür lie-
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 24 | 15. Juni 2012
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ferten aber die Daten aus 20 Studien mit mehr als 100 000 Teilnehmern keine Hinweise. Die Träger
des Asn396Ser-Allels erlitten nicht
häufiger und nicht seltener als andere Personen einen Herzinfarkt
(Odds Ratio 0,99; 0,88–1,11).
Eine zweite Analyse bestätigte
die Ergebnisse: Ein genetischer Risikoscore aus 14 SNP, die mit einem erhöhten HDL-Cholesterinwert assoziiert sind, hatte keinen
Einfluss auf das Herzinfarktrisiko.
Für Kathiresan steht deshalb fest,
dass der Anstieg des HDL-Cholesterins allein keine kardioprotektive Wirkung verspricht.
Dieser Ansicht ist auch Steve
Humphries vom University College
London, der im Editorial auf zwei
weitere Mendel-RandomisierungStudien hinweist, die ebenfalls die
Annahme vom „guten“ HDLCholesterin nicht stützen konnten.
Die aktuelle Studie dürfte vor allem bei den Herstellern Merck
(MSD) und Eli-Lilly aufmerksame
Leser finden. Merck führt gerade
eine Studie mit 30 000 Patienten
zu dem CETP-Inhibitor Anacetrapib durch, der in früheren Studien
den HDL-Wert kräftig ansteigen
ließ. Ob dies aber auch zur einer
niedrigeren Rate von Herzinfarkten
führt, wird spätestens 2017 nach
Abschluss der Studie feststehen.
Eli-Lilly plant derzeit eine klinische Phase-III-Studie zu Evacetrapib, das ebenfalls den HDLWert steigert. Gegenstand der Studie soll sein, ob das Mittel die Rate
von Herzinfarkten senkt. Dies wäre wie bei Anacetrapib Voraussetzung für eine Zulassung als Me▄
dikament.
Rüdiger Meyer
Die Studie wurde finanziert von den US National
Institutes of Health, dem Wellcome Trust, der
Europäischen Union, der British Heart Foundation
und dem Bundesministerium für Bildung und
Forschung.
KOMMENTAR
Prof. Dr. med. Heribert Schunkert, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck
Epidemiologische Studien haben wesentlich
zu unserem pathophysiologischen Verständnis
der koronaren Herzkrankheit beigetragen. Risikofaktoren wurden identifiziert und deren
Behandlung steht – im Fall der Hypertonie
und Hypercholesterinämie – heutzutage im
Zentrum der kardiovaskulären Prävention.
Diese wissenschaftlichen Erfolge lassen vergessen, dass epidemiologische Studien bei
der Gedanke zugrunde: Wenn eine genetisch
getriggerte Erhöhung eines Risikomarkers
(gemessen durch ein Allel, welches den Risikomarker erhöht) auch das Erkrankungsrisiko
erhöht, so verläuft die Kette von der Genvariante über den Risikomarker zum Erkrankungsrisiko. Dies ist in der Regel unabhängig
von exogenen Faktoren. Kathiresan et al., wie
andere zuvor, konnten in diesem Sinne de-
THERAPIE EINES RISIKOMARKERS
Erwartungen gedämpft
signifikanter Beziehung zwischen Risikomarker und Erkrankung die Frage nach Henne
und Ei offenlassen (1). So setzt jedwede therapeutische Intervention eine klare Direktionalität in der Beziehung voraus: Der Risikofaktor muss aktiv die Manifestation der Erkrankung begünstigen.
Es kann aber auch umgekehrt sein. So ist
vorstellbar, dass eine inflammatorische Erkrankung wie die Arteriosklerose das C-reaktive Protein (CRP) erhöht – die Kausalkette
also in entgegengesetzter Richtung verläuft
(1). Schließlich können Erkrankung und
Risikomarker unabhängig von dritter Seite
beeinflusst werden. Auch in diesem Fall
macht die „Behandlung“ des Risikomarkers
keinen Sinn.
Genetische Studien können die Richtung
der Kausalkette aufklären. Dem liegt folgen-
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monstrieren, dass praktisch jede Genvariante,
die LDL erhöht, auch das Herzinfarktrisiko
steigen lässt (2, 3). Umgekehrt ging für HDL
in der aktuellen Studie diese Rechnung aber
nicht auf (2).
Bei HDL kommt die Besonderheit hinzu,
dass von diesem Partikel protektive Eigenschaften erwartet werden. Hier ist der Beweis
der Kausalität noch schwerer zu führen. So ist
noch unklar, welcher HDL-Bestandteil (sofern
es einen solchen gibt) die Protektion vermittelt.
Jetzt steht für HDL, welches durch eine genetische Variante im LIPG Gen (Asn396Ser) erhöht
wird, fest, dass es keinen Effekt auf das Herzinfarktrisiko hat (2). Auch die bislang durchgeführten Versuche, eine HDL-Erhöhung durch
CETP-Inhibition therapeutisch nutzbar zu machen, sind überwiegend frustran verlaufen.
Dies schließt nicht aus, dass es HDL-Bestand-
teile gibt, die protektiv wirken können. Aber
wenn es brennt, reicht der Feuerwehrwagen
(HDL) allein nicht aus, er muss auch mit Wasser und Schläuchen bestückt sein.
Welche Implikationen haben die Ergebnisse der Mendelschen Randomisierung zum
HDL (2)? Zunächst ist infrage gestellt, ob ein
hohes HDL die LDL-vermittelten Risiken neutralisieren kann. Damit ist auch die Bestimmung des LDL/HDL-Quotienten von sehr fraglichem Nutzen. Die therapeutische Absenkung
von LDL sollte also im Kontext des kardiovaskulären Gesamtrisikos gesehen werden – und
weniger in Relation zum HDL. Weiterhin sollte
die wissenschaftliche Aufmerksamkeit vom
Surrogatparameter HDL auf den Kern des
Problems gelenkt werden: den reversen Cholesterintransport (4).
Sollten die augenblicklich an vielen Tausend Patienten laufenden Studien mit Anacetrapib und Evacetrapib – also Medikamenten,
die HDL erhöhen – aufgrund der neuen Daten
gestoppt werden? Außer den enormen Kosten
und Mühen gibt es hierfür kein hartes Argument, aber die Erwartungshaltung bezüglich
des Nutzens dieser Substanzen ist nachhaltig
gedämpft worden.
Prof. Dr. med. Heribert Schunkert ist Koautor der Studie:
„Plasma HDL cholesterol and risk of myocardial infarction:
a mendelian randomisation study“, Lancet 2012,
doi:10.1016/S0140–6736(12)60312–2
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Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2412
A 1235
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