Robert Schumann Symphonie Nr. 4 Do 19. November 2015, 19.30 Uhr Fr 20. November 2015, 19.30 Uhr Konzerteinführung jeweils 18.30 Uhr Stuttgart, Liederhalle, Beethoven-Saal RSO Konzertzyklus 3 Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR Dirigent: Michel Tabachnik Außerdem im Programm: Lachenmann: „Schreiben“ (2003/04) Mozart: Violinkonzert A-Dur KV 219 (Live-Übertragung zeitversetzt ab 20.03 Uhr auf SWR2 am 20.11.2015) Erstellt von Christoph Wagner Inhalt 1. Vorwort ........................................................................................................................................... 3 2. Zur Entstehungsgeschichte ............................................................................................................. 5 3. Analytischer Abriss .......................................................................................................................... 8 4. Gliederung und thematisches Material......................................................................................... 11 4.1. Tabellarischer Überblick ........................................................................................................ 11 4.2. Arbeitsblatt - Thementafel 1. Satz......................................................................................... 13 4.3. Arbeitsblatt - Thementafel 2. Satz......................................................................................... 14 4.4. Arbeitsblatt - Thementafel 3. Satz......................................................................................... 15 4.5. Arbeitsblatt - Thementafel 4. Satz......................................................................................... 16 5. Autograph des Beginns der 4. Symphonie .................................................................................... 17 6. Notenpuzzle zum 1. Satz ............................................................................................................... 18 7. Mitspielsatz zur Romanze (2. Satz)................................................................................................ 19 8. Dokumente .................................................................................................................................... 20 9. 8.1. Aus den Ehetagebüchern von Robert und Clara Schumann: ................................................ 20 8.2. Robert Schumann über die Uraufführung in einem Brief vom 8.1.1842: ............................. 21 8.3. Allgemeine musikalische Zeitung (AMZ), Leipzig, Dezember 1841: ...................................... 21 8.4. Aus einem Brief Schumanns an Johann Verhulst vom 3. Mai 1853 ...................................... 22 8.5. Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler. Cöln, den 21. Mai 1853 ............ 23 Zwei Lebensläufe - Clara Wieck und Robert Schumann ................................................................ 24 9.1. Robert Schumann (1810 - 1856) ........................................................................................... 24 9.2. Clara Schumann (geb. Wieck) (1820 - 1896) ......................................................................... 25 10. Quellenangeben ............................................................................................................................ 26 2 1. Vorwort Die vorliegende Handreichung bietet unterschiedliche Materialien, die einen Zugang zu Robert Schumanns 4. Symphonie d-Moll ermöglichen sollen. Ein Zugang, der sich vor allem für die Oberstufe eignet, geht von den Quellen (S. 20ff.) aus. Sie machen deutlich, wodurch der Entstehungsprozess gekennzeichnet ist: die Komposition zunächst einer 2. Symphonie im für Schumann ertragreichen Jahr 1841 und deren Neufassung zwölf Jahre später, die dann schließlich als 4. Symphonie Eingang in das gängige Konzertrepertroire gefunden hat. Ein zumindest ansatzweise analytischer Blick auf die Thementafeln bietet die Möglichkeit sich mit dem motivisch-thematischen Material vertraut zu machen. Hierbei wird im Vergleich deutlich, was auch im Kapitel „Analytischer Abriss“ (S. 8) angesprochen wird: nämlich die aus der thematischen Verflechtung sich ergebene Formproblematik. Schumann setzt keine vier unabhängigen Einzelsätze nebeneinander, sondern schafft eine zusammenhängende und komplexe Einheit an Neuem und Wiederkehrendem, das durch die Untersuchung der Themen deutlich werden kann. Die Arbeitsblätter sind so verfasst, dass genügt Raum bleibt für schriftliche Eintragungen. Vorbereitend hierfür kann vor allem für Mittelstufenklassen das Notenpuzzle sein. Die einzelnen Thementeile sollen zunächst anhand ihrer unterschiedlichen Faktur einander zugeordnet werden (am besten auf Folie kopieren und ausschneiden!). Dies kann ansatzweise auch ohne vorheriges Vorspielen geschehen. Sobald eine Vorsortierung vorgenommen wurde, sollte die Lehrkraft die Themen mehrmals ganz auf dem Klavier vorspielen, bis alles in der richtigen Reihenfolge auf dem Overheadprojektor sichtbar ist. Anschließend wird dann das Arbeitsblatt zum 1. Satz ausgeteilt und beschriftet. Durch das mehrmalige Hören und den konzentrierten Blick auf die Motive, die sich allmählich zu Themen zusammenfügen, üben sich die Schülerinnen und Schüler nicht nur im analytischen Umgang mit Notentext, sondern sie werden auch vertraut mit der musikalischen Thematik des gesamten Satzes. Ähnlich und ohne Mehraufwand kann auch mit den anderen Sätzen verfahren werden. Man benötigt lediglich die auf Folie kopierten Arbeitsblätter (S. 14 - 16) und Schere. 3 Einen praktischen Zugang zum 2. Satz ermöglicht der Mitspielsatz (S. 19), der auf diversen Instrumenten ausgeführt werden kann, z. B. auf einem Melodieinstrument + Monochorden. Das Faksimile der ersten Partiturseite (S. 17) veranschaulicht den Schülerinnen und Schülern, wie genau Schumann gearbeitet hat, was sich in einer differenzierten und feinen Notenschrift wiederspiegelt. Die beiden Lebensläufe (S. 24) schließlich runden das Bild des Komponisten und seiner berühmten Gattin ab, das auch als Einstieg verwendet werden kann. Die daran anschließende Aufgabe das Alter aus den Jahresangaben zu errechnen wirkt vordergründig billig, bietet aber Anlass z. B. über den Altersunterschied der beiden Eheleute, den frühen Beginn der musikalischen Laufbahn Claras oder den frühen Tod Roberts ins Gespräch zu kommen. Auf Hörbeispiele wurde bewusst verzichtet, da im Internet auf www.youtube.com genügend Beispiele der Symphonie zu hören und zu sehen sind, die herangezogen werden können. Außerdem sei empfehlend auf das Notenportal der Petrucci-Musikbibliothek verwiesen, wo das gesamte Notenmaterial der Partitur legal einseh- und ausdruckbar vorhanden ist (zu Schumann: http://imslp.org/wiki/Category:Schumann,_Robert). 4 2. Zur Entstehungsgeschichte1 Anfang des Jahres 1841 hatte Robert Schumann in kurzer Zeit seine Frühlings-Symphonie entworfen dem Leipziger Publikum eine glanzvolle Uraufführung beschert. Kurz darauf begann er mit einer weiteren orchestralen Arbeit, „wir wissen es noch nicht zu benennen -, es besteht aus Ouvertüre, Scherzo und Finale“ - (später als op. 52 veröffentlicht), wie Clara Schumann im Ehetagebuch vermerkte. Das dritte abgeschlossene und sogar uraufgeführte Orchesterwerk des Jahres 1841 wurde die Symphonie d-Moll, die jedoch erst zehn Jahre später in einer neuen Fassung veröffentlicht wurde, da Schumann vor einer Drucklegung erst noch eine endgültige Überarbeitung anstrebte, denn die Werke dieses Jahres 1841 trugen allesamt in gewisser Weise experimentelle Züge, die Schumanns hohen Ansprüchen noch nicht genügten. Die zum Teil weit auseinander liegenden Daten zur Entstehung der d-Moll-Symphonie werden im Haushaltbuch von Hinweisen auf andere Aufgaben ergänzt, die den Fortgang unterbrechen, so z. B. die Vorbereitungen zum Druck der ersten Symphonie, später dessen fällige Korrekturen, oder die Arbeit an der a-Moll-Phantasie, die Clara am 13. August bei einer Probe im Gewandhaus gespielt hat. Die Eintrag Claras im Hauhaltbuch verrät bereits Einzelheiten der Konzeption, über die Schumann offensichtlich gesprochen und an denen er festgehalten hat: dass die Symphonie im Prinzip einsätzig sein soll, jedoch auch einen langsamen Teil sowie ein Finale enthalten soll (s. Quellen). Die Daten des Haushaltbuches begrenzen die Entstehung auf die Zeit vom 30. Mai bis zum 9. September 1841, und es erscheint plausibel, dass Schumann mit der Instrumentation am 7. Juni begonnen hat; denn dieses Datum erscheint auf dem Titelblatt der ersten Fassung. Eine längere Arbeitspause wird indirekt bestätigt durch Schumanns Eintrag in sein Kompositionsverzeichnis: „1841 Juni 2te Symphonie in D Moll ziemlich fertig ... doch noch nicht so fertig wie die 1ste". Nach der Probe am 4. Dezember 1841 äußert Schumann etwas zurückhaltend „Freude im Ganzen". Die Uraufführung am 6. Dezember im Gewandhaus leitete, da Mendelssohn abwesend war, der Konzertmeister Ferdinand David. Während die Besprechung in der „Leipziger 1 vor allem nach Draheim 1998 u. Just 1982 (s. Literaturverzeichnis) 5 Allgemeinen Zeitung" vom 9. Dezember das Werk pauschal lobt, daneben Romanze und Scherzo hervorhebt, setzt sich die „Allgemeine musikalische Zeitung" (AMZ) kritischer mit der Komposition auseinander (s. Quellen). Vornehmlich der Passus über den angeblichen Mangel „an Sorgfalt, an der letzten Hand, die noch einmal Alles genau sichtet, hier davon und dort dazu thut", mag Schumann getroffen haben, zumal im Haushaltbuch ab und an „Symphoniescrupel" laut geworden sind (9. bis 11. Februar 1841), die ein labiles Selbstvertrauen verraten - sein Vertrauen in die Qualität der Symphonie scheint einen Dämpfer bekommen zu haben. Für fast zehn Jahre zieht er sie zurück. Allerdings hat sie ihn in Gedanken noch beschäftigt, denn bei seiner Rückkehr von Hamburg nach Leipzig - Clara war nach Kopenhagen weitergereist — notiert er in seinem Reisetagebuch zwischen dem 6. und 13. März 1842 noch einmal das Thema des ersten Satzes, ohne es aber weiter zu kommentieren. Noch am 6. Oktober 1843 bietet er das Werk als „2te Symphonie in D Moll, op. 50" vergeblich dem Verlag C. F. Peters an. Erst 1851 finden sich wieder Hinweise, dass sich Schumann mit dem Werk weiter auseinandersetzt, was vor allem die Instrumentierung anbelangt. Das Datum der Fertigstellung wird vom Autograph der zweiten Fassung bestätigt; am Schluss heißt es: „Düsseldorf, d. 19. Dez. 1851 Von Neuem instrumentiert". Auch der zusammenfassende Eintrag im Projektenbuch kommt damit überein: „3. - 19. Dezember: Klavierauszug des Manfred und neue Instrumentation der älteren Sinfonie in d-moll". Das ursprüngliche Titelblatt der Neufassung, das jetzt am Schluss mit eingebunden ist, gibt den weiteren Hinweis: „Zum Abschreiben d. 26.12. 51". Der Gedanke, das Werk nunmehr eine Phantasie zu nennen, tauchte offenbar nur kurz auf. Immerhin lautet auch auf dem ursprünglichen Titelblatt von 1851 die Überschrift „Symphonistische Phantasie für großes Orchester". Selbst die erste Notenseite hatte zunächst als Kopftitel „Phantasie für Orchester". Schumann hat dann das Wort „Phantasie" gestrichen und „Symphonie" davor gesetzt. Im Dezember des folgenden Jahres hat Schumann ein Arrangement für vier Hände angefertigt. Unter dem 30. Dezember 1852 finden wir im Haushaltbuch die Bemerkung „d. 4hdge Arrang. d. Symphonie in D moll beendigt". Es dauerte aber immerhin bis zum 3. März 1853, bis die Symphonie in ihrer revidierten Form öffentlich zu hören war. Dies Datum trägt Schumann selbst auf dem Vorsatzblatt seines Druck-Exemplars ein: „In der2ten [Bearbeitung] zum 1ten mal Düsseldorf, den 3. März 1853 unter meiner [Leitung]". Im Haushaltbuch liest 6 man unter diesem Datum „Abends Konzert. D-Moll-Sinfonie und Freude daran". In größerem Rahmen, bei der Eröffnung des 31. Niederrheinischen Musikfests, das vom 15. bis 17. Mai 1853 in Düsseldorf stattfand, erklang die Symphonie nochmals unter Schumanns Leitung. Das Echo der beiden Aufführungen in der Presse reichte von rhetorischen Allgemeinheiten — „Wer [sollte] sich nicht hingerissen gefühlt haben von der leidenschaftlichen, schwungvollen Symphonie?" - bis zu bilderreichen, lobenden Ausführungen. Der nachdrückliche Hinweis darauf, dass die Symphonie vor acht bis zehn Jahren geschrieben sei, wird durch die Mahnung: „Werde wieder was Du warst, stoße die holden Melodien nicht absichtlich von Dir ..." allerdings zu einem Tadel an neueren Werken. Schumann selbst war überzeugt, dass die Symphonie „besser und wirkungsvoller" sei „als sie früher war". Sie erschien aber wohl erst Anfang 1854 bei Breitkopf und Härtel im Druck. Noch am 15. Oktober 1853 schreibt Clara Schumann an Ferdinand Hiller in Köln: „... Er [Schumann] läßt Ihnen sagen, daß er seine geschriebene Partitur von der Symphonie habe, und Ihnen gerne leiht, da die gedruckte wahrscheinlich bis dahin noch nicht fertig sein wird." Aufführungen in Köln im November 1853 in Köln sowie im folgenden Jahr in Leipzig, Kassel, Bremen, Berlin, Hannover, Weimar und Rostock belegen letztlich den Erfolg, den Schumann mit seiner nun überarbeitetem und als 4. Symphonie herausgegebenem Werk erzielte. Am 23. Dezember 1853 schenkte Schumann das Autograph der zweiten Fassung Joseph Joachim. Zur Widmung benutzte er ein neues Titelblatt; sie lautet: „Als die ersten Klänge dieser Symphonie entstanden, da war Joseph Joachim noch ein kleiner Bursch; seitdem ist die Symphonie und noch mehr der Bursch größer gewachsen, weshalb ich sie ihm auch, wenn auch nur im Stillen — widme. Robert Schumann. Düsseldorf, d. 23. Dec. 1853." 7 3. Analytischer Abriss2 Die Ausdrucksweise Claras vom 31. Mai 1841, eine Symphonie, welche aus einem Satze bestehen, jedoch Adagio und Finale enthalten soll", kehrt im Titel des Druckes von 1854 teilweise wieder: „Symphonie Nr. IV, D moll. Introduction, Allegro, Romanze, Scherzo und Finale in einem Satze ..." Beide Formulierungen enthalten einen Gegensatz. Einerseits schreibt er „in einem Satze", andererseits drückt die Nennung der Einzelteile deren Selbständigkeit in Funktion und Charakter aus, was sogar für die Introduktion gilt. Die Ausdrucksweise des Rezensenten vom 8. Dezember 1841 dagegen mildert diesen Gegensatz zu einer nüchternen Beschreibung: „Schumanns Symphonie ..., welche in fünf Teilen ein Ganzes bildet, doch ohne die bisher üblichen Pausen zwischen den einzelnen Sätzen ...". Das Spannungsverhältnis zwischen dem Ganzen und den einzelnen Sätzen ist doch offensichtlich ein Merkmal des Werkes, das nicht nur dem Komponisten wichtig war, sondern das auch der kundige Hörer als wesentlich neu gegenüber klassischen Symphonien wohl empfunden haben dürfte. Die Einheit der klassischen Symphonie beruht auf dem Mit- und Gegeneinander selbständiger Sätze. Der Versuch Schumanns, aber auch Mendelssohns und Liszts, durch ununterbrochenen Vortrag Zusammenhang im Äußeren zu stiften, verrät eine latente Unsicherheit. Dem äußeren Mittel entspricht das innere, den Zusammenhang durch Querverbindungen zu stützen, die von tongetreuen Zitaten bis zu vagen Assoziationen reichen, was sich unschwer am Vergleich der einzelnen Themen und Motive erkennen lässt (s. Thementafel). Für das Verständnis des Werkes war es ein glücklicher Gedanke, dass Schumann an dem Begriff Symphonie festhielt, ober er zwischenzeitlich das Wort Phantasie im Titel erwogen hatte. Denn die Erwartungen, die der Hörer an eine Symphonie knüpfte, werden weithin erfüllt: Folge, Besetzung und allgemeine Charakteristik der Sätze, zum Teil auch deren Formverlauf, bleiben erhalten. Die vom Begriff Symphonie hervorgerufenen Assoziationen durften nicht eliminiert werden, weil nur gegen deren normative Kraft die neuartigen Züge ihre eigentliche Bedeutung gewinnen, während sie in einer Phantasie zur Unverbindlichkeit hätten verblassen können. Das Neuartige der Symphonie liegt in Formprinzipien, welche bei Schumann, seiner lyrischen Veranlagung entsprechend, immer wieder durchbrechen. Das Wesen der Lyrik, einen Ge2 nach: Just 13 - 15 8 danken, eine Stimmung auszuleben, findet seine angemessene Gestalt in der Geschlossenheit der kleinen Form, in der unterschiedlichen Beleuchtung des im Kern Gleichen mit den Mitteln der Wiederholung, der Variation und der Abrundung. Die Einheit einer Stimmung, eines musikalischen Gedankens duldet in der Regel keine quasi-logische Verknüpfung oder kontrastierende Ausarbeitung, vielmehr ist der Einfall etwas Endgültiges, Vollendetes, das deshalb auch eine relativ begrenzte Dauer nicht überschreiten darf, soll sein Zauber nicht zerstört werden. Man kann diese Charakteristika leicht an Klavierstücken wie Träumerei oder Warum? (aus den Kinderszenen bzw. aus den Fantasiestücken) verifizieren. Eine Fortsetzung geschieht eher durch Assoziation neuer, ebenso in sich ruhender Bilder oder Stimmungen, nicht durch folgerichtigen Anschluss. Das Neue wird oft in einfacher Nebenordnung angefügt, dem dann reprisenhaft wieder der erste Gedanke folgt. Dem steht das Sonatenprinzip diametral gegenüber. Es ist auf Konflikt und Steigerung, auf ein Ziel gerichtet, das durch Aktion, durch Arbeit erreicht wird. Somit tun sich hier für Schumann elementare Probleme auf. Seine Formen, die im Charakterstück für Klavier am vollkommensten erscheinen, die zu Ende gehen, wenn der Gedanke ausgesprochen ist, bestehen im Großen aus einer Reihung von eher unterschiedlichen Gebilden, die durch Wiederholungen und Reprisen mannigfacher Art zueinander in Beziehung gesetzt werden. In kleinen wie in großen Dimensionen erleben wir ein Kreisen um eine Mitte, ein Zurückkehren zum Ausgangspunkt. Die weitgehende Selbständigkeit der einzelnen Teile schafft sich in großen Formen Zusammenhänge eigener Art: einmal äußerlich durch den Versuch, alles „in einen Satz" zu binden, d. h. vollständige Zäsuren zwischen den Sätzen zu vermeiden, sodann, auf den einzelnen Satz bezogen, in einer beibehaltenen Bewegungsart, die in schwächeren Fällen etwas ermüdend wirken kann, schließlich aber auch subtiler, indem Hauptgedanken sich verwandeln, zu neuen thematischen Gestalten werden, die wiederum einen eigenen Bereich um sich bilden, und in denen das Wesen der ursprünglichen Gestalt nicht mehr als Spannung nachwirkt. Themen verschiedenen Charakters erkennt oft erst der aufmerksam Analysierende als aus einander abgeleitet. Im Gegensatz zur klassischen Auseinandersetzung zwischen Kontrasten, die zu einem Ergebnis führt, in welchem die Ausgangspositionen aufgehoben, noch wirksam sind, treibt Schumann ein Spiel mit Ähnlichem oder Gleichem, das sich ständig wandelt, auch zu kontrastierend erscheinenden Gedanken, oft aber nur zu Nuancen auf gleicher Ebene. Solche Prinzipien schaffen nicht nur viele Arten des Übergangs, sondern auch Zwischenbereiche, Partien des träumerischen Verweilens, Ausschwingens oder Zurückkeh9 rens, die mit den Begriffen der klassischen Symphonie nur unzutreffend zu bezeichnen sind, Inseln im Verlauf, in denen die Aktion pausiert. Demgegenüber sind wichtige Stadien des Ablaufs überdeutlich, wie durch Wegweiser markiert, durch ein Wiederaufgreifen auffälliger Strukturen, Signale oder Klänge. Solch' ein musikalisches Geschehen zu beschreiben, führt notwendig in einen Bereich, in welchem sich Schumanns soeben skizzierte Kunst der Andeutung und Assoziation stärker als klassische Formen dem zugreifenden Wort entzieht. Eine Interpretation hat dennoch den Weg über musikalische Fakten zu nehmen, über den musikalischen Zusammenhang, aus dem allein der Versuch gewagt werden kann, Ausdruck und Gehalt im Medium des Wortes anzudeuten. Die interpretierende Sprache aber trägt mit ihren Satzkonstruktionen etwas von ihrer eigenen Logik in den beschriebenen Sachverhalt hinein, suggeriert Konnex und Zusammenhang auch dort, wo Assoziationskraft und Phantasie andere Konstellationen empfinden. Wie weit die Interpretation jeweils gehen darf, darüber wird kaum ein Konsens zu erzielen sein. 10 4. Gliederung und thematisches Material Die im vorigen Teil beschriebene Verflechtung der Themengebilde über das gesamte Werk macht es aus Sicht des Verfassers sinnlos die Themen einzelner Sätze jeweils für sich zu sehen. Daher entfällt die übliche Einteilung und damit einhergehende Nummerierung z. B. in 1. Thema und 2. Thema. Stattdessen wurden den Themen Buchstaben zugewiesen, die über die Einzelsätze hinaus fortlaufend sind. Somit werden thematische Zusammenhänge deutlich, die den inneren Zusammenhalt des Stückes kennzeichnen. Bei der Fülle der motivischen Entwicklung kann ein tabellarischer Überblick dies jedoch nur bruchstückhaft vor Augen führen. 4.1. Tabellarischer Überblick 1. Satz: Ziemlich langsam / Lebhaft T. 1 - 28 Langsame Einleitung Thema A (T. 1ff.) Ziemlich langsam, d-Moll, 3/4-Takt T. 29 - 86 Exposition Thema B (T. 29ff.) Thema C (T. 53ff.) Lebhaft, 2/4-Takt T. 87 - 312 Durchführung Verarbeitungen und Kombinationen der Themen 2 bis 5 neu: Thema D (T. 121ff.) neu: Thema E (T. 147ff.) [Reprise fehlt] T. 313 - 358 Coda (D-Dur) Thema E‘ (T. 313ff.) Thema B‘ (T. 337ff.) 2. Satz: Romanze: Ziemlich langsam T. 359 - 370 Teil A a-Moll, 3/4-Takt Thema F (T. 359ff.) Thema A‘ (T. 370ff.) Thema F (T. 380ff.) T. 384 - 400 Teil B D-Dur Thema G (T. 384ff.) T. 401 - 411 Teil A‘ a-Moll Thema F (T. 401ff.) 11 3. Satz: Scherzo: Lebhaft T. 412 - 475 Scherzo Thema H d-Moll, 3/4-Takt T. 475 - 523 Trio B-Dur Thema G‘ T. 524 - 587 (Scherzo) Thema H d-Moll T. 588 - 643 (Trio) B-Dur Thema G‘ 4. Satz: Langsam / Lebhaft T. 644 - 659 Überleitung Langsam, d-Moll, 4/4-Takt T. 660 - 720 Exposition Lebhaft, D-Dur Thema D‘ (T. 660ff.) (vgl. 1. Satz) Thema H (T. 682ff.) Schlussgruppe (T. 702ff.) T. 721 - 771 Durchführung (Beginn vgl. Durchführung 1. Satz), hauptsächlich aus Schlusssatz und Thema H T. 772 Reprise (1. Thema fehlt) Thema H (T. 772ff.) Schlussgruppe (T. 792ff.) T. 811 Coda (Beginn vgl. Durchführung T. 721) Codathema (T. 815ff.) Schneller (T. 831ff.) Presto (T. 854ff.) 12 4.2. Arbeitsblatt - Thementafel 1. Satz Aufgabe: Untersuche und charakterisiere die einzelnen Themen. Versuche mögliche Zusammenhänge zu erkennen. Thema A (Langsame Einleitung) Thema B (Hauptsatz) Thema C (Seitensatz; vgl. Thema B) Thema D Thema E Thema E‘ 13 4.3. Arbeitsblatt - Thementafel 2. Satz Thema F (Teil A) Thema A‘ (siehe 1. Satz) Thema G (Teil B) 14 4.4. Arbeitsblatt - Thementafel 3. Satz Thema H (Scherzo) Thema G‘ (Trio) (vgl. 2. Satz) 15 4.5. Arbeitsblatt - Thementafel 4. Satz Thema D‘ (Hauptsatz) Thema H (Seitensatz) Schlusssatz Codathema 16 5. Autograph des Beginns der 4. Symphonie3 3 http://imslp.org/images/8/80/TNSchumann%2C_Robert%2C_Symphony_No.4%2C_Op.120%2C_Autogr1851SBB.jpg 17 6. Notenpuzzle zum 1. Satz Aufgabe: a) Welche Teile gehören zusammen? Achte auch auf Zusatzangaben, wie etwa dynamische Zeichen oder Artikulation. b) Ordne die Teile in der richtigen Reihenfolge. 18 7. Mitspielsatz zur Romanze (2. Satz) 19 8. Dokumente4 8.1. Aus den Ehetagebüchern von Robert und Clara Schumann: 34te Woche, vom 2ten bis 9ten Mai. […] Robert befand sich auch wieder wohler, und ist jetzt, wo ich dies schreibe, munter wie ein Fisch, und aufgeweckten Geistes. Er instrumentirt seit 3 Tagen an seinem 2ten großen Orchesterwerk - wir wissen es noch nicht zu benennen, es besteht aus Ouvertüre, Scherzo und Finale, - und hat auch schon wieder neue Ideen […] 31. Mai. Die Feiertage sind herrlich! Roberts Geist ist gegenwärtig in gröster Thätigkeit; er hat gestern eine Symphonie wieder begonnen, welche aus einem Satze bestehen, jedoch Adagio und Finale enthalten soll. Noch hörte ich nichts davon, doch sehe ich aus Roberts Treiben, und höre manchmal das D moll wild aus der Ferne her tönen, daß ich schon im Voraus weiß, es ist dies wieder ein Werk aus tiefster Seele geschaffen. Der Himmel meint es doch gar gut mit uns - seeliger kann Robert im Schaffen nicht sein, als ich es bin, wenn er mir seine Werke dann zeigt. Glaubst Du mir das, mein Robert? ich dächte, Du könntest’s. Juni 1841 […] Robert componirt immerfort, hat 3 Sätze bereits veendet und ich hoffe er wird bis zu seinem Geburtstag fertig. Er kann mit Lust auf das vergangene Jahr und Sich zurückblicken, meine ich! […] 39te und 40te Woche, vom 6ten bis 21ten Juni. […] Mit der neuen Symphonie in einem Satz ist Robert fertig, d. h. mit der Scizze; er hat auch schon angefangen sie zu instrumentieren, wurde jedoch durch Andere Arbeiten wieder davon abgehalten, und wird sie nun wohl erst nach unserer kleinen Reise vollenden. […] Nach der Uraufführung der Symphonie (1841): Sontag d. 5ten kam Liszt wieder, um Montag d. 6ten das Duo mit mir zu spielen. Wie das Publikum seine Gefälligkeit gegen uns aufnahm läßt sich denken. Es machte Furore, und wir mußten einen Theil davon wiederholen. Ich war nicht zufrieden, sogar sehr unglücklich diesen Abend, und die folgenden Tage, weil Robert von meinem Spiel nicht befriedigt war, auch ärgerte ich mich, daß Roberts Symphonieen nicht besonders ausgeführt wurden, und hatten sich diesen Abend überhaupt manche kleine Fatalitäten ereignet, mit Wagen, vergessenen Noten, wacklichen Stuhl beim Spielen, Unruhe vor Liszt etc: etc: Es vereinigte sich zu viel des Guten […] 4 zitiert in Just 58ff. 20 8.2. Robert Schumann über die Uraufführung in einem Brief vom 8.1.1842:5 Die beiden Orchesterwerke, eine zweite Symphonie und eine Ouvertüre, Scherzo und Finale […] haben den großen Beifall nicht gehabt wie die erste. Es war eigentlich zu viel auf einmal glaub‘ ich - und dann fehlte Mendelssohn als Dirigent. Das schadet aber alles nichts - ich weiß, die Stücke stehen gegen die 1ste keineswegs zurück und werden sich früher oder später in ihrer Weise auch geltend machen. 8.3. Allgemeine musikalische Zeitung (AMZ), Leipzig, Dezember 18416: Montags, den 6. Dezbr., gab Frau Dr. Clara Schumann ein Konzert im Saale des Gewandhauses. Das Repertoire bestand in: Ouverture, Scherzo und Finale für Orchester, komponirt von Robert Schumann (neu). — Capriccio für Pianoforte mit Orchester von F. MendelssohnBartholdy, vorgetragen von der Konzertgeberin. — Arie aus Don Juan von Mozart, gesungen von Herrn Schmidt. — Fantasie über Themen aus Lucia di Lammermoor von F. Liszt, gespielt von der Konzertgeberin. — Zweite Sinfonie von R. Schumann (neu). — Präludium und Fuge von Seb. Bach. — Allegretto aus den vierhändigen Diversions von W. St. Bennett und Etüde in C moll von Chopin, gespielt von der Konzertgeberin. — Die beiden Grenadiere von H. Heine, komponirt von R. Schumann, gesungen von Herrn Pögner. - Rheinweinlied von G. Herwegh, für Männerchor komponirt von F. Liszt. — Duo für zwei Pianoforte, gespielt von Herrn F. Liszt und der Konzertgeberin ... Herr Dr. Robert Schumann hat uns in diesem Konzert wieder mit einigen seiner neuen grösseren Orchesterkompositionen bekannt gemacht. Als wir Anfangs dieses Jahres seine erste Sinfonie hörten, über welche von uns in diesen Blättern (unterm 8. April d.J.Bl. 15 und 16 d.J.) ausführlich berichtet worden ist, rühmten wir an derselben vor Allem, und mit vollem Recht, die natürliche, gesunde Richtung des Geschmacks, so wie die für ein erstes Orchesterwerk überraschende technische Sicherheit und Gewandtheit. Wenn wir auch die Erfindung noch nicht eben sehr reich und entschieden originell ausgeprägt nennen konnten, so war doch Grund genug vorhanden, um auf das bereits Geleistete nicht unbedeutende Hoffnungen zu bauen. Herr Schumann hat nun seit dieser Zeit zwei umfangreiche Orchesterwerke wieder geschrieben, und dadurch bewiesen, dass es ihm weder an innerem Drange zur Komposizion noch an Fleiss und Gewandtheit, demselben zu genügen, fehlt. Wie dies unstreitig ein Beweis wirklichen Talents ist, so liegt aber auch zugleich die Gefahr sehr nahe, flüchtig in der Arbeit und einseitig in der Geschmacksrichtung zu werden, denn der Eifer zum Schaffen macht nur zu leicht unzugänglich für bildende Einflüsse von Aussen und mindert die Strenge der eigenen Kritik, die doch allein auch den Begabtesten in seinen Leistungen wahrhaft zu fördern vermag. Dieser Gefahr scheint Herr Schumann in diesen neuen Orchesterwerken nicht ganz entgangen zu sein. Sie sind nicht ohne gute Intenzion, man sieht überall, dass der Komponist Bedeutendes will, dass auch die Kraft nicht fehlen würde, es auszuführen, aber das wirklich Gute scheint mehr ein glücklicher Wurf als ein vollbewusst Gelungenes zu sein; es fehlt im Ganzen eine sichere Haltung, eine ruhige, klare Verarbeitung der Gedanken; Alles ist so gedrängt und gehäuft und scheint mehr ein ergibiger Entwurf als vollendete 5 6 zitiert nach Draheim Nr. 50 und 51, Spalte 1070/71 und 1078-80. Zitiert nach Just 59 21 Ausführung, mit einem Worte, etwas noch nicht Fertiges zu sein. Dies der Totaleindruck. Einzelnes wohl stellt sich entschieden gelungener heraus. So ist in dem ersten Orchesterstücke, das aus drei Sätzen, Ouverture, Scherzo und Finale besteht, die Ouverture ohne allen Zweifel sehr schön, ausserordentlich fließend geschrieben, fein und geschmackvoll instrumentirt; […] Fast dieselben Verhältnisse sind auch bei der zweiten Sinfonie vorhanden, deren Sätze (was Mendelssohn schon in seiner Sinfonie-Kantate sehr glücklich eingeführt hat) unmittelbar zusammenhängen, so zu sagen einer in den andern übergehen. In allen Sätzen finden sich gute Gedanken, die Anlage ist überall glücklich erfunden und mit Geschmack gezeichnet, ja es kommen fertige und gelungene Einzelheiten vor, die wirklich vortrefflich sind, aber auch hier verlangt man eben dieser trefflichen Einzelheiten wegen noch höhere Vollendung in Gehalt und Form, zu der alle Sätze reiche Keime in sich tragen. Es fehlt diesen neuen Orchesterwerken Herrn Schumanns nicht an Stoff und Gehalt, sondern an glücklicher Verarbeitung desselben, nicht an Talent, sondern an Sorgfalt, an der letzten Hand, die noch einmal Alles genau sichtet, hier davon und dort dazu thut. Wir können nicht läugnen, dass wir diesen Komposizionen Herrn Schumanns, in Folge seiner ersten Sinfonie, mit bedeutender Erwartung und Vorliebe entgegengekommen sind, und wenn wir auch unsere Erwartung nicht ganz befriedigt finden, so ist doch unsere Vorliebe für seine Leistungen dieselbe geblieben, denn immer noch halten wir die Ueberzeugung fest, dass sein Talent ihn ungewöhnlich befähigt, sein Sinn und Streben wahrhaft künstlerisch und würdig sind. Deshalb auchnur haben wir unsere Ansicht hier so offen ausgesprochen […] 8.4. Aus einem Brief Schumanns an Johann Verhulst vom 3. Mai 18537 ... Daß die alte Symphonie, deren Du Dich vielleicht noch erinnerst, bei solcher Gelegenheit wieder zum Vorschein kommen würde, hätte ich damals, als wir sie in Leipzig hörten, auch nicht gedacht. Es ist beinahe gegen meinen Willen, daß sie aufgeführt wird. Aber die Herren vom Comite, die sie vor Kurzem gehört, haben so in mich gedrängt, daß ich nicht widerstehen konnte. Ich habe die Symphonie übrigens ganz neu instrumentirt, und freilich besser und wirkungsvoller, als sie früher war ... 7 Briefe II, S. 371/72. Zitiert in: Just 61f. 22 8.5. Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler. Cöln, den 21. Mai 18538 ... Der erste Tag des Festes, Sonntag den 15. Mai begann mit der Aufführung einer neuen Sinfonie von Rob. Schumann. In diesem Werke begrüssen wir mit Freuden eine geniale Tonschöpfung des berühmten Meisters; in ihr ist Alles vereint, was einem musikalischen Kunstwerke das Gepräge der Ursprünglichkeit und Schönheit giebt. […] [In] dieser Sinfonie treten gleich von vornherein Tongestalten uns entgegen, welche nicht der grübelnde Verstand geschaffen, sondern die dem überquillenden Born des innersten musikalischen Lebens wie Meerjungfrauen entsteigen, welche durch die Liebe eine Seele bekommen haben. Und sie ziehen uns immer mehr zu sich hin, sie umschlingen sich zu herrlichen Gruppen, bei denen wir nicht wissen, ob ihre schönen Formen oder ihre lieblichen Gesänge uns am meisten fesseln, und immer umspült sie in mannichfaltigen, reizenden Figuren die stets klare, selbst im Aufschäumen helle und durchsichtige Woge der Töne. Die Sinfonie, deren Haupttonart D moll ist. besteht aus Einleitung, Allegro, Romanze, Scherzo und Finale in einem Satz, wird ohne Unterbrechung durchgespielt, ist jedoch keineswegs zu lang, da jeder Satz - vor allem aber die Romanze und das Scherzo, welche von wunderbarer Schönheit sind - sowohl die Aufmerksamkeit fesselt als Fantasie und Gemüth in Anspruch nimmt. Der Erfolg war denn auch ein ganz ausserordentlicher und bestätigte den oft von uns ausgesprochenen Satz, dass bei guter Aufführung das wahrhaft Schöne in der Musik auch bei dem ersten Hören uns sogleich ergreift und mit Macht in unser Gefühl dringt. Von allen Instrumentalwerken, welche für das niederrheinische Musikfest componirt oder zum ersten Male auf demselben aufgeführt worden sind, gebührt diesem unbedingt die Palme. Möge Düsseldorf stolz darauf sein, einen Tondichter wie Robert Schumann zu seinen Mitbürgern zu zählen! Das Schaffen ist dessen Beruf: und wer von Einem, den der Genius dazu geweihet hat, verlangt, dass er sich auch in allen praktischen Dingen wie andere Erdensöhne gebaren solle, der verkennt eben die Natur des Genius. Aber Eins dürfen wir nicht verschweigen, Eins müssen wir Schumann zurufen: „Schaue rückwärts! Werde wieder, was Du warst, stosse die holden Melodien nicht absichtlich von Dir, wenn sie Dich suchen wie vormals, vergrabe Dich nicht in das struppige Dickicht, wo die Ungethüme und absonderlichen Gebilde hausen, durchziehe wie sonst den hohen lichten Eichenwald, in den der blaue Himmel hereinblickt und auf dessen grünen Matten die Sonnenstrahlen wärmen und treiben!" Und wie kommen wir zu diesem Zuruf? Weil diese Sinfonie, die uns entzückt hat, nicht jetzt, sondern vor acht bis zehn Jahren geschrieben ist und von Schumann selbst vielleicht zum Begrabensein bestimmt war! Jetzt wird sie hoffentlich so bald wie möglich gedruckt; dann wird sie im nächsten Winter durch ganz Deutschland wandern und ganz Deutschland wird in unsern Ruf einstimmen. Aufgabe: a) Informiere dich anhand der Quellen über den Entstehungsprozess der Symphonie. b) Formuliere mit eigenen Worten zu welchen Urteilen die Musikkritiker in den Zeitungsartikeln 1841(nach der Uraufführung) und 1853 (nach der Umarbeitung) kommen. 8 III. Jahrgang Nro. 47, 2, S. 1201-03 23 9. Zwei Lebensläufe - Clara Wieck und Robert Schumann 9.1. Robert Schumann (1810 - 1856)9 Leben. Robert Schumann wurde 1810 als Sohn eines Buchhändlers in Zwickau geboren. Mit 11 Jahren schrieb er seine erste größere Komposition. Er zeigte bereits in seiner Jugend eine musikalische und literarische Doppelbegabung. Für kurze Zeit studierte er Jura in Leipzig und Heidelberg, widmete sich aber seit 1830 ganz der Musik. Schumann strebte eine Laufbahn als Klavier-Virtuose an, musste diese aber wegen einer sich selbst versehentlich zugefügten Fingerlähmung aufgeben. Danach widmete er sich der Komposition und der Tätigkeit als Musikschriftsteller. 1834 gründete er die Neue Zeitschrift für Musik, deren Leiter er bis 1844 war. 1840 heiratete er Clara Wieck. Im Jahre 1843 wurde er Lehrer am Leipziger Konservatorium. 1844 übernahm Schumann eine Stelle als Chorleiter in Dresden. 1850 wurde er städtischer Musikdirektor in Düsseldorf. In selbstmörderischer Absicht stürzte er sich 1854 in den Rhein. Danach wurde er in eine geschlossene Anstalt in Endenich bei Bonn gebracht, wo er 1856 starb. Werke (Auswahl). Weltliche Vokalmusik: eine vollendete Oper, ein Oratorium, 260 Lieder, Chöre - Geistliche Vokalmusik: 1 Requiem, 1 Messe - Sinfonische Instrumentalmusik: 4 Sinfonien, Ouvertüren, 1 Klavierkonzert, 1 Violinkonzert, 1 Cellokonzert - Kammer- und Klaviermusik. Schumanns Orchesterwerke zeichnen sich durch Leidenschaftlichkeit aus. In seinen Liedern überwiegen lyrische Stimmungen. Bedeutung Schumann war zu Lebzeiten einer der führenden deutschen Komponisten. Auch als Musikschriftsteller war er bedeutend. Vor der Hochzeit: Clara Wieck 1840 Robert Schumann 1839 (Lithographie von Kriehuber)10 9 nach Riede 178f. 24 9.2. Clara Schumann (geb. Wieck) (1820 - 1896) Leben. Clara Wieck wurde 1819 als Tochter des Klavierpädagogen Friedrich Wieck in Leipzig geboren. Sie erhielt ab 1824 Unterricht in Klavier, später auch in Violine, Gesang und Komposition. 1828 gab sie ihr erstes öffentliches Konzert als Pianistin. 1831 wurde ihre erste Komposition veröffentlicht. Seit diesem Jahr unternahm sie als Pianistin zahlreiche Tourneen, auch ins Ausland, und gewann bald europäischen Ruhm. 1835 wurde ihr erstes größeres Werk, ein Klavierkonzert, unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig uraufgeführt. Im selben Jahr liierte sie sich gegen den Willen ihres Vaters mit einem von dessen Schülern, Robert Schumann. Nach erbittertem Kampf mit dem Vater bis vor Gericht heirateten die beiden 1840. Zwischen 1841 und 1854 war Clara Schumann zehnmal schwanger. Sie brachte vier Jungen sowie vier Mädchen zur Welt und hatte zwei Fehlgeburten. Für ihre Karriere als Pianistin und Komponistin blieb ihr kaum noch Zeit. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1856 beendete sie ihre Kompositionstätigkeit. Sie blieb berühmt als Klaviervirtuosin und widmete sich vor allem den Werken ihres Mannes und denjenigen von Johannes Brahms, mit dem sie eng verbunden war. Trotz herausragenden Talentes besaß Clara Schumann keine wirklich großen Ambitionen als Komponistin. 1839 schrieb sie in ihr Tagebuch: „Ich glaubte einmal, das Talent des Schaffens zu besitzen, doch von dieser Idee bin ich gänzlich zurückgekommen, ein Frauenzimmer muss nicht komponieren wollen - es konnte es noch keine, sollte ich dazu bestimmt sein? Das wäre eine Arroganz, zu der mich bloß der Vater einmal in früherer Zeit verleitete." Werke (Auswahl): Lieder, ein Klavierkonzert, Kammermusik und Klavierwerke. Clara Schumann in der Abbildung auf einem 100-DM-Schein Aufgabe: Erstelle eine tabellarische Übersicht über wichtige Stationen von Clara und Robert Schumann. Errechne aus den Jahreszahlen das jeweilige Alter. (Alter….. Tätigkeit…..) 10 Zeck 82 25 10. Quellenangeben Demmler, Martin: Schumanns Sinfonien. Ein musikalischer Werkführer. München 2004. Draheim, Joachim: Vorwort zur Partitur (Breitkopf & Härtel). Wiesbaden, Leipzig Paris 1998. Gebhardt, Armin: Robert Schumann als Symphoniker. Regensburg 1968. Just, Martin: Robert Schumann, Symphonie Nr. 4 D-Moll. In: Meisterwerke der Musik. Werkmonographien zur Musikgeschichte. München 1982. Riede, Bernd: Vorbereitung auf das Abitur. Musikgeschichte bis 1900. Stuttgart 1999. Zeck, Paul Reiner. Rondo 9/10. Ein Musikwerk für die Sekundarstufe. Offenburg 2000. 26