ANWENDERBERICHT Von Fall zu Fall: Parodontaldiagnostik mit Real-Time-PCR in der Praxis Destruktive Parodontitis ist die Hauptursache für Zahnverlust in vielen industrialisierten Ländern. Dass parodontopathogene Mikroorganismen dabei eine sehr große Rolle spielen, ist unbestritten. Gekennzeichnet ist die Parodontitis durch die Destruktion von Alveolarknochen und Desmodont, d. h. durch den Verlust von parodontalem Attachment. Man unterscheidet chronische und aggressive Parodontitis-Formen. Letztere betreffen primär – aber eben nicht immer – Patienten zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr. Thorsten Gehrke 32 Es finden sich bei Diagnose meist bereits massive Attachmentverluste, der Röntgenbefund zeigt deutliche vertikale Einbrüche. Die primäre Ursache sind parodontopathogene Bakterien, die einen Biofilm auf der Zahn(wurzel)oberfläche bilden. Der Nachweis parodontopathogener Erreger, insbesondere Actinobacillus actinomycetemcomitans (A. a.) und Porphyromonas gingivalis (P.g.), sichert die Diagnose und hat Konsequenzen für die zu empfehlende Therapie. Hier werden drei Patientenfälle vorgestellt, die Abb. 1: Mikrobiologisches Ergebnis zu Therapiebeginn. DS 3/2004 Aktuelle Reisetipps / www.FranzMedien.com mit Hilfe von meridol Paro Diagnostik (GABA GmbH, Lörrach) untersucht wurden und aufgrund der gefundenen Ergebnisse evidenzbasiert behandelt werden konnten. Dieser Test basiert auf der Real-Time-PCR, einer modifizierten PCR (Polymerase chain reaction = Polymerasekettenreaktion), mit der die Spezifität und Sensitivität weiter erhöht wird und eine quantitative Aussage hinsichtlich der in der Probe vorhandenen Bakterien möglich ist. /// MATERIAL UND METHODE: DREI PATIENTENFÄLLE AUS DER PRAXIS Pat. A (Abb. 1–7): Weiblich, 49 Jahre alt, medizinische Anamnese ohne Besonderheiten, Nichtraucherin. Mehrere Parodontalbehandlungen (deep scaling ohne Antibiotika) in den letzten Jahren alio loco, Prophylaxe. Therapie: Aufgrund der zahnmedizinischen Vorgeschichte und des mikrobiologischen Abb. 3: Röntgenstatus Oberkiefer (Prämolaren/Molaren) zu Therapiebeginn. Alle Zähne reagieren positiv auf den Kältetest. Ergebnisses mit meridol Paro Diagnostik (A.a. stark erhöht) wurde das sogenannte „full mouth desinfection“Protokoll angewandt: Nach ausführlicher Mundhygieneinstruktion und supragingivaler Reinigung geschlossenes full-mouth-deep scaling (innerhalb von 24 Stunden), Chlorhexidin Spüllösung (0,2 %) und aufgrund des mikrobiologischen Ergebnisses Antibiotikagabe (Metronidazol 400 mg + Amoxicillin 500 mg, 7 Tage, je 3x täglich). ANWENDERBERICHT Abb. 2: Klinische Situation zu Therapiebeginn 2003. 35 Abb. 4: Parodontalstatus zu Therapiebeginn.Gelb: Sondierungstiefen 4 - 5 mm; Rot: > 5 mm. Abb 5: Klinische Situation drei Monate nach Therapie: Straffe, reizlose Gingivaverhältnisse. PAR-Sonde bei 14 zeigt 4 mm Sondierungstiefe ohne Sondierungsblutung. Abb. 6: Parodontalstatus drei Monate nach Therapie. Gelb: Sondierungstiefen 4 - 5 mm; Rot: > 5 mm. Sondierungsblutung: Rot umrandet. Abb. 7: Mikrobiologisches Ergebnis drei Monate nach Therapie. Die parodontopathogenen Keime – einschließlich A.a. – wurden bei Pat. A durch die Therapie vollständig eliminiert. www.FranzMedien.com DS 3/2004 ANWENDERBERICHT Pat. B (Abb. 8–12): Männlich, 37 Jahre, medizinische Anamnese ohne Besonderheiten, Nichtraucher, sehr gute Mundhygiene, mehrere Parodontalbehandlungen (ohne Antibiotika) alio loco, u. a. offene Lappenoperationen 1996 und 1999, regelmäßige professionelle Zahnreinigung alle 4 Monate. Trotzdem weitere Verschlechterung der parodontalen Situation. Therapie: Professionelle Zahnreinigung, full-mouth-deep scaling unter Anästhesie innerhalb von 24 Stunden, Chlorhexidin Spüllösung (0,2 %), aufgrund des mikrobiologischen Ergebnisses Gabe von Metronidazol (400 mg) und Amoxicillin (500 mg) jeweils 3x täglich, 7 Tage. Abb. 8: Klinische Situation zu Therapiebeginn 2003. Abb. 9:. Klinische Situation zwei Monate nach Therapie. Rezession bei 36 distal und 37 mesial durch die Reduzierung der Infektion. Zahnverfärbungen durch Chlorhexidin bedingt. 36 a) b) Abb. 10: Linker Sextant (Unterkiefer). Deutlich sichtbarer, gravierender Attachmentverlust innerhalb kurzer Zeit (1996 bis 2003): a) Zähne 35 - 38, 1996; b) März 2003, 38 inzwischen entfernt; c) September 2003 mit Guttaperchaspitze im Fistelgang 36. 35-37 reagieren positiv auf den Kältetest. Abb. 11: Mikrobiologisches Ergebnis zu Therapiebeginn. Enorme Anzahl A.a. (21% der gesamten parodontalpathogenen subgingivalen Flora). DS 3/2004 www.FranzMedien.com c) ANWENDERBERICHT 37 Abb. 12: Mikrobiologisches Ergebnis zwei Monate nach Therapie. Die kombinierte mechanisch-antibiotische Therapie hat bei Pat. B zu einer vollständigen Elimination des vor Behandlung massiv vorhandenen A. a. und der weiteren parodontopathogenen Keime geführt. Pat. C (Abb. 13–17): Weiblich, 54 Jahre, starke Raucherin (gestoppt Dezember 2002), mehrfach Parodontalbehandlungen (ohne Antiobiotika), kein regelmäßiges Recall, alio loco, Mundhygiene mäßig. Therapie: Professionelle Zahnreinigung, Extraktion 15 und 24, full-mouth-deep scaling unter Anästhesie innerhalb von 24 Stunden, Chlorhexidin Spüllösung (0,2 %), aufgrund des mikrobiologischen Ergebnisses Gabe von Metronidazol (400mg, 3x täglich, 7 Tage). a) b) Abb. 14: Röntgenstatus Oberkiefer rechts. a) 1997, b) 2003. Rasant fortschreitende parodontale Destruktion. 15 wurde inzwischen extrahiert. Abb. 13: Klinische Situation zu Therapiebeginn 2003. a) b) Abb. 15: Röntgenstatus Oberkiefer links. a) 1997, b) 2003. Rasant fortschreitende parodontale Destruktion. 24 wurde inzwischen extrahiert. www.FranzMedien.com DS 3/2004 ANWENDERBERICHT 38 Abb. 16: Mikrobiologisches Ergebnis zu Therapiebeginn. Abb. 17: Mikrobiologisches Ergebnis nach Therapie. Die Therapie erzielte bei Pat. C keine nennenswerte Reduktion der parodontopathogenen Keime. Eine genauere Untersuchung der Ursachen muss sich hier anschließen. /// DISKUSSION Wenn man bedenkt, dass die Parodontitis eine Infektionskrankheit parodontopathogener Mikroorganismen ist, dann muss ein Ziel optimaler Parodontalbehandlung die Etablierung einer mit parodontaler Gesundheit assoziierten Flora sein. Auffallend sind Patienten, die innerhalb kurzer Zeit erhebliche Attachmentverluste entwickeln (Patienten B, C) oder in jungem Alter bereits deutliche parodontale Destruktion aufweisen (Patient B). Bei Patient A konnten bei sehr guter Mundhygiene ohne chirurgische Intervention durch deep scaling und AntiDS 3/2004 www.FranzMedien.com biotikagabe die Sondierungstiefen von 7 - 9 mm auf 3 - 4 mm reduziert werden. Bei Patient B ist es sehr wahrscheinlich, dass trotz der ausgeführten Therapie die Zähne 36 und 37 wegen der immensen Destruktion von Knochen und Gewebe mittelfristig verloren gehen werden. Trotzdem wurde die Kombinationstherapie mit deep scaling und Antibiotika gewählt, weil nur die Herstellung einer gesunden Mundflora den Erfolg eines später notwendigen prothetischen Ersatzes sichert, seien es nun Implantate, herausnehmbarer Zahnersatz oder eine verkürzte Zahnreihe mit Prämolarenokklusion. Mikrobiologische Verfahren ermöglichen eine gezieltere Diagnose und Therapie. Bei Patient B zeigte die mikrobiologische Diagnostik mit Real-Time-PCR zum Beispiel sehr schön, dass 21 % der subgingivalen Flora aus A.a. bestanden. Damit wird die massive „Durchseuchung“ des Patienten mit diesem gefährlichen parodontopathogenen Keim deutlich. Bei Patient C bedeutet das mikrobiologische Resultat nach Therapie (s. Abb. 17), dass die Compliance hinsichtlich der vorgeschriebenen Einnahme des Antibiotikums hinterfragt werden muss. Gegebenenfalls muss ein erneuter mikrobiologischer Test in Kombination mit der Erstellung eines Antibiogramms durchgeführt werden und eine erneute Gabe eines geeigneten Antibiotikums erfolgen. Eine Infektion mit gramnegativen Anaerobiern (z. B. Porphyromonas gingivalis) sollte mit Metronidazol behandelt werden, bei Nachweis von Actinobacillus actinomycetemcomitans ist der sogenannte van Winkelhoff-Cocktail, also die Kombination von Amoxicillin und Metronidazol, in der Literatur als das Mittel der Wahl beschrieben. Selbstverständlich ist bei allen Patienten zur Sicherung des Therapieerfolges eine konsequente, stringente unterstützende Parodontitistherapie mit supraund subgingivalem Debridement des neu gebildeten Biofilms alle 3 - 4 Monate notwendig (Recall) und eine exzellente Mundhygiene seitens des Patienten eine conditio sine qua non. /// ZUSAMMENFASSUNG meridol Paro Diagnostik ist ein auf neuester molekularbiologischer Technologie beruhender Test zum Nachweis der wichtigsten parodontopathogenen Markerkeime. Durch die eingesetzte Real-Time-PCR wird neben der spezifischen und sensitiven Detektion der Mikroorganismen deren Quantifizierung und die Bestimmung der Gesamtkeimzahl ermöglicht. Insbesondere bei Patienten mit fortschreitendem Attachmentverlust finden sich parodontopathogene Keime, deren Reduzierung oder Elimination für den Therapieerfolg zwingend notwendig ist. Die durch den Test gewonnenen Ergebnisse helfen, die Qualität und die Effizienz der Therapie zum Wohle unserer Patienten zu verbessern. Das Testergebnis ist sehr übersichtlich aufgearbeitet und zur Diskussion mit dem Patienten für diesen verständlich und nachvollziehbar gestaltet. AUTOR Dr. Thorsten Gehrke, M.Sc. in Parodontologie (NL) Spezialist der dt. Gesellschaft für Parodontologie Zimmermannstr. 2, 12163 Berlin E-Mail: [email protected] KONTAKT UND LITERATUR E-mail: [email protected] Internet: www.gaba-dent.de