Sympathie und Vertrauen als Steuerelemente in Gruppen

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Sympathie und Vertrauen
als Steuerelemente in Gruppen
Hausarbeit
Im Studienfach „Gruppendynamik“
Studiengang „Organisation Studies“
Stiftung Universität Hildesheim
Dozent: Professor Müller
WS 2004/5
Antje Pluns
Geibelstr. 60
30173 Hannover
Tel.: 0511-4583376
[email protected]
Matrikel 194954
im März 2005
Einleitung
„Vertrauen erlangen“ gehört mittlerweile zu häufig angebotenen Seminarangeboten (Beispiel: Vereinigung für Bankberufsbildung, www.vbb.de, Seminar „Gruppendynamik“). Diese
Kursangebote basieren auf der Annahme, dass man Vertrauen, dass einem entgegen gebracht wird, beeinflussen kann, indem man seine „Ausstrahlung“ oder „Wirkung“ analysiert
und schult.
Worauf aber basiert Vertrauen? Wie entsteht es und wie lässt sich Vertrauen nutzten oder
missbrauchen? Inwieweit hat Vertrauen eine steuernde Funktion in zwischenmenschlichen
Beziehungen und in Gruppen? Diesen Fragestellungen wird in der folgenden Hausarbeit
nachgegangen.
Zunächst sollen die entscheidenden Begriffe definiert werden, so wie sie in diesem Zusammenhang verstanden und verarbeitet wurden. Danach erfolgt eine Zusammenfassung
eines Textes von Neidhardt (1999), welcher der Frage nachgeht, inwieweit Gefühle als
Steuerelement und Stabilisator von Gruppen fungieren. Im Anschluss wird das Thema Vertrauen im Kontext der eigenen Firma reflektiert.
Begriffsklärung
Vertrauen
Vertrauen macht das tägliche Miteinander organisier- und beherrschbar. Es ermöglicht
langfristige Planungen und erfordert Gegenseitigkeit. Das Einlösen von Vertrauen kann
aufgeschoben werden (Vertrauensvorschuss). Aus Vertrauen entsteht Vertrauen. Vertrauen in eine Person kann einem das Leben erleichtern. Scheitert die Vertrauensperson,
muss man letztendlich doch selbst die Verantwortung für die delegierte Aufgabe überneh men.
„Aus Vertrauen kann man lernen, aus Misstrauen dagegen nicht“(Lange 2001).
Misstrauen
Misstrauen führt im Extremfall zum Verlust der Handlungs- und Lebensfähigkeit. In adäquater Dosierung (Sensibilität für echte Gefahren) dient es dem Überleben und schützt
vor Verlusten, Nachteilen und Misserfolg. „Wer das Risiko meidet, ist dem Misstrauen zugewandt“(Lange 2001).
Sympathie und Antipathie
Sympathie und Antipathie sind menschliche, subjektive, nicht messbare und für den Betrachter nicht nachvollziehbare Gefühle.
Sympathie ist als distanziertes Wohlwollen zu verstehen, dass rationale Entscheidungen
nicht überlagert, wie das etwa bei der Liebe der Fall sein kann. Entscheidungen bleiben
also beim Gefühl der Sympathie rational kontrollierbar. Sie unterscheidet sich somit vom
Affektzustand, in dem der Mensch gefühlsgesteuert und in seiner rationalen Urteilskraft
beeinträchtigt ist.
Sympathien und Antipathien entstehen spontan und lassen sich nur schwer ins Gegenteil
verwandeln. Der Körpergeruch wird als Impulsgeber diskutiert.
Gefühl, Emotion, Stimmung
Die drei Begrifflichkeiten werden von den Autoren unterschiedlich verwendet, teils abgrenzend, teils überschneidend.
Das Gefühl wird hier als Zustand der Psyche betrachtet. Das Gefühl im Sinne von Tastsinn
bleibt unberücksichtigt. Gefühle reichen von kurzfristigen Affekten (Wutanfall) bis hin zu
andauernden Stimmungen (Depressionen).
Emotionen sind eher kurz und intensiv und lassen sich in der Regel direkt einem auslösenden Moment (Situationen, Personen, Orten, Erinnerungen) zuordnen. Neben der seelischen Erregung kommt es auch zu körperlichen Reaktionen, wie beispielweise Schweißausbrüchen, erhöhtem Pulsschlag, Erröten usw..
Als Grundgefühle werden Angst, Wut, Trauer und Freude definiert. Izard (1994) hat die
Liste um Interesse, Überraschung, Scham, Schuld, Widerwillen und Verachtung erweitert.
An anderer Stelle werden zusätzlich Enttäuschung, Mitleid, Neid, Stolz und Verliebtheit erwähnt. Bei Plutchik taucht außerdem der Begriff Vertrauen auf.
Interessant an den verschiedenen Auflistungen war, dass in unserer rational orientierten
Welt offenbar keinerlei Einigkeit darüber besteht, welche Gefühlsformen es vollständiger
Weise gibt, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, oder wie sie sich gegenseitig be dingen.
Emotionaler Konsens
Emotionaler Konsens ist das Ergebnis eines Gruppenprozesses, an dessen Ende sich die
Gruppe auf eine Lösung geeinigt hat, mit der alle ihre Mitglieder leben können. Es wird ein
Ausgleich der Wünsche und Interessen hergestellt und für ein Mindestmaß an Zufriedenheit gesorgt. Emotionaler Konsens ist Folge eines Gruppenpalavers, in dem Wünsche und
Vorstellungen gewichtet werden nach:
a. der Rangposition des Mitglieds
b. der Anschlussfähigkeit der Idee
c. dem Nachdruck und dem Geschick des Vorbringens des Anliegens
Emotionalem Konsens kann ein zäher Prozess vorausgehen, wenn dabei Antipathien aus gelebt und Rivalitäten ausgetragen werden.
Rationaler Konsens hingegen ist das Ergebnis einer analytischen Sachdiskussion.
Wenn man etwas bewegen will, müssen beide Konsenswege beschritten werden, da sie
sich ergänzen (Berner 2005).
Wie entsteht Vertrauen?
Vertrauen ist von verschiedenen Einflussfaktoren abhängig. Ganz am Anfang stehen Erfahrungen des Individuums aus dem Säuglings- und Kindesalter. Als Säugling kann das
Grundvertrauen in gewährten Schutz und ausreichende Nahrungszufuhr befriedigt oder
enttäuscht worden sein. Kinder werden durch das Weltbild ihrer Eltern geprägt und zu
mehr oder weniger vertrauensseeligen oder misstrauischen Menschen erzogen.
Regelmäßigkeit und Wiederholungen führen zu einem erhöhten Bekanntheitsgrad von Situationen oder Personen, welchen zunehmend erhöhtes persönliches Vertrauen entgegengebracht wird (vgl. dazu die Erklärungsansätze aus Sicht der Persönlichkeitstheoriker).
Putman beschreibt, dass Kommunikation innerhalb einer sozialen Schicht (horizontale
Kommunikation) auf einer höheren Vertrauensstufe angesiedelt ist, als wenn die sozialen
Schichten überschritten werden (vertikale Kommunikation).
Alte Menschen sind tendenziell misstrauischer als junge, ungebildete Menschen misstrauischer als gebildete.
Nur wer sich selbst gute Absichten und Wohlwollen gegenüber anderen zutraut, wird sich
auch vertrauensvoll an Dritte wenden können (Lange 2001).
Drei Vertrauenstypen nach Shapiro
Shapiro (1992) beschreibt drei Vertrauenstypen, die auch als verschiedene Entwicklungsstufen des Vertrauens betrachtet werden können, wobei die Entwicklung nicht linear erfolgen muss. Teilaspekte des Vertrauens können sich durchaus auf unterschiedlichen Ebenen befinden. Durch bestimmte Faktoren kann es auch zu einer Regression der Vertrauensebene kommen, ohne dass dies zwingend als Nachteil oder Vertrauensverlust einge-
stuft werden muss (siehe hierzu auch Abb. 1)
Calculus – Knowledge – Identification – Based – Trust
Vertauen auf der Basis von
Mischformen
Identifikation
Vertauen auf der Basis von
Kenntnis
Vertauen auf der Basis von
Kalkulation
Abbildung 1: Vertrauenstypen nach Shapiro
Calculus Based Trust
Das Vertrauen dieser Ebene gleicht einer kaufmännischen Aufrechnung im Sinne der Kosten – Nutzen – Analyse. „Lohnt sich der Aufwand, oder nicht?“ Das Vertrauen einer auf
Kalkulation basierenden Beziehung (in der Geschäftswelt Gang und Gebe und durchaus
ausreichend), wird auf verschiedene Arten abgesichert. Zunächst wird versucht eine Aus gewogenheit zwischen Geben und Nehmen herzustellen. Zunehmende und immer differenziertere und facettenreichere gegenseitige Abhängigkeiten führen zu einer Abnahme
von Alternativen. Der gute Ruf des (Geschäfts-)Partners dient als Pfand. Zusätzlich können verschiedene Formen der Aktionsüberwachung, sowie das Aussprechen von Drohungen und Bestrafungen im Falle des Vertrauensbruchs zur Absicherung dienen.
Auf dieser Ebene führen Vertrauensbrüche nicht zu tiefgreifenden Enttäuschungen, da die
Erwartungshaltung noch nicht sehr hoch ist.
Knowledge Based Trust
Je besser man eine Person kennen lernt, um so sicherer kann man voraussagen, wie sie
sich verhalten wird. Die Vorhersagbarkeit wird die Quelle zukünftigen Vertrauens. Durch
konstanten kommunikativen Kontakt, wächst das Verständnis für das Verhalten des Partners. Zusätzlich wächst das Interesse an Bedürfnissen, Präferenzen und Probleme der
Person.
Auf dieser Vertrauensebene greifen Vertrauensbrüche bereits tiefer. Schmerz und Enttäuschung müssen verarbeitet werden. Es wird nach Erklärungen für das unerwartete Verhalten des Partners gesucht. Handelte er/sie vielleicht aus der Not heraus?
Auf dieser Vertrauensebene können die unterschiedlichsten Gründe zu einer Beendigung
der Beziehung führen (Sturm et al. 2001):
- man hatte andere Vorstellungen
- veränderte soziale oder emotionale Bedingungen führen zu unerwarteten Handlungen
- die ablehnende Beurteilung Dritter beeinflusst die eigene Wahrnehmung
Identification Based Trust
Auf dieser Vertrauensebene beginnt man sich, mit den Absichten des anderen zu identifizieren. Eine zunehmende Verinnerlichung der Ziele des Partners führt zu immer größeren
Übereinstimmungen. Unterstützt wird dieser Prozess durch die gemeinsame Nutzung von
Räumlichkeiten, die Wahl eines gemeinsamen Namens, Logos und Slogans. Am Ende stehen gemeinsame Projekte, Ziele und Werte.
Beziehungen dieser Ebene zeigen sich irrational widerstandfähig gegen Vertrauensbrüche. Möglicherweise ist dies Folge des Selbstschutzes: man müsste sich eingestehen sich
grundliegend im Partner geirrt zu haben. Grundwerte und Moralvorstellungen werden erschüttert, man hat das Gefühl der Niederlage.
Handlungsmöglichkeiten im Falle des Vertrauensbruchs
Nach einem Fehltritt erfolgt in der Regel eine Beurteilung der Situation auf kognitiver und
emotionaler Ebene. Hinzu kommt die Reaktion des „Sünders“: bereut oder leugnet er sei ne Tat, oder zieht er sich zurück? Je nach Situation kann es zum Abbruch der Beziehung,
zu Neuverhandlungen oder einer Fortsetzung der Beziehung auf anderer Ebene führen
(siehe Abbildung 2).
Beziehung
Fehltritt
Vertauensbruch
Situation kognitiv und
emotional bewerten
Reaktion
des
Partners:
- bereuen
- leugnen
zurückziehen
Beziehung
- abbrechen
- neu verhandeln
- - auf anderer Ebene fortführen
Abbildung 2: Handlungsmöglichkeiten nach Vertrauensbruch
Zusammenfassung „Gefühle als Steuerelement“
Durch Gefühle – und hier schwerpunktmäßig das Vertrauen – versucht ein System, sich
menschliche Verhalten und Handlungen erwartbarer zu machen (Neidhardt 1999).
Vertrauen bedeutet nach Neidhardt, dass „der Andere seine Freiheit, das unheimliche Potential seiner Handlungsmöglichkeiten, im Sinne seiner Persönlichkeit handhaben wird“,
dass die eigenen Erwartungen nicht enttäuscht werden und der Andere hinreichend kalkulierbar ist.
Er beschreibt Vertrauen „als funktionales Äquivalent für Formalisierung“, denn in bestimmten Situationen ist Vertrauen unabdingbar, zum Beispiel in Momenten unzulänglicher Kon trollmöglichkeiten. Seiner Meinung nach erübrigt sich die Vertrauensbildung im Rahmen
normierter, institutionalisierter und kontrollierter Handlungsabläufe. Gruppen bieten aufgrund ihrer Dauerhaftigkeit den zeitlichen Rahmen für einen Vertrauensaufbau, welcher
eine „Serie von Vertrauensvorschüssen“ voraussetzt und in kleinen Schritten erfolgt. Wo
sich Personen nicht persönlich kennen lernen können, fehlt die Chance der emotionalen
und kognitiven Fundierung der Vertrauensbildung.
Neben dem Gefühl des Vertrauens sieht der Autor auch im Gefühl der Sympathie eine
Form der Gruppensteuerung. Neidhardt meint, dass Sympathien und Antipathien grundsätzlich darüber entscheiden, ob ein Gruppenmitglied überhaupt zugelassen wird, oder
nicht. Sympathie führt zu Konsens, der bei näherer Betrachtung nur als Konsensfiktion zu
betrachten ist, da tatsächlich feststellbare Übereinstimmungen fehlen. Durch Sympathie
wird das eigene Handeln auf die Wünsche der Anderen abgestimmt.
Problematisch an Formen der emotionalen Steuerung sieht der Autor mangelnde Kontrollierbarkeit, eine gewisse Irrationalität, die Gefahr der illusionären Einschätzung vorhandener Handlungspotentiale und das Risiko von Konflikteskalationen in Situationen des Ver trauensmissbrauchs.
Positiv sieht er , dass Gruppen in der Lage sind, Enttäuschungen und Konfliktlagen in
Form von Vertrauenskrediten und „enttäuschungsfesten Grundgefühlen“ abzufangen.
Persönliche Stellungnahme
Sympathie und Vertrauen, aber auch ihre Gegenteile Antipathie und Misstrauen, halte ich
für Grundsteuerelemente unserer Gesellschaft. Da die gegenwärtig aktiven Generationen
sehr stark vom Einfluss einer mechanistischen Weltanschauung geprägt sind, erscheint ihnen der Einfluss der Emotionalität unberechenbar und schwer kalkulierbar. Man könnte
das Problem aber auch dahingehend betrachten, dass wir verlernt haben, adäquat mit unseren Gefühlen umzugehen. Sie wurden lange Zeit der Kognition hinten angestellt und
tendenziell eher als störend empfunden. Hätten sich die Menschen – geprägt durch ein
anderes Weltbild – intensiver mit den „Bauchwahrnehmungen“ auseinandergesetzt, und
ihre Forschungsschwerpunkte in diese Richtung orientiert, würden wir möglicherweise
heute das Potential der Emotionalität viel sicherer und gezielter nutzen können, anstatt der
Thematik mit Unsicherheit und Skepsis zu begegnen.
Neidhardt sieht ganz klar die unterschwellige Stärke von Gefühlen und erkennt auch (mit
einem gewissen Unwohlsein?), wie sich dieser ignorierte Anteil unserer Persönlichkeit immer wieder „einmischt“, ja sogar wegweisend ist. An Äußerungen wie „mangelnde Kontrollierbarkeit“, „Irrationalität“, „illusionäre Einschätzungen“, „Konflikteskalation“, oder der Annahme, dass Gefühle einfach ins Gegenteil umschlagen können, erkennt man seine Unsicherheit und Skepsis bezüglich der unberechenbaren Macht der Emotion.
Ich persönlich halte eine beispielsweise rational – betriebswirtschaftliche Herangehensweise keineswegs für kalkulier- oder kontrollierbarer als eine gefühlsbetonte Steuerung, da
wir immer nur Teilaspekte des „Großen Ganzen“ erfassen können und die vermeintlich berechenbare Umwelt immer wieder völlig andere „Ergebnisse“ präsentiert als erwartet. Wieso kommen wir mit diesen Fehlschlägen besser zurecht als mit emotional bedingten? Meines Erachtens hängt dies mit einer völligen Überschätzung unserer geistigen und Unterschätzung unserer emotionalen Fähigkeiten zusammen. Die westliche Zivilisation spürt,
dass ihr etwas „abhanden“ gekommen ist. Wie sonst ist zu erklären, dass immer mehr
Menschen sich nach „Ganzheitlichkeit“ sehnen und beispielweise in der Medizin zunehmend eine Orientierung an der fernöstlichen Sichtweise zu beobachten ist?
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