Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen

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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
Georg Huhs
letzte Änderung 9. März 2006
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen
2.1 Die Wellenfunktion
2.2 Messung . . . . . .
2.3 Unschärferelation .
2.4 Verschränkung . .
2
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3 Schrödingers Katze
3.1 Das Gedankenexperiment .
3.2 Kopenhagener Deutung . .
3.3 Dekohärenz . . . . . . . . .
3.4 Weitere Deutungen . . . . .
3.4.1 Statistische Deutung
3.4.2 Vielweltentheorie . .
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4 Wigners Freund - und noch mehr
5 EPR-Paradoxon und Verschränkung
5.1 Das Experiment . . . . . . . . . . .
5.2 Der Begriff der Lokalität . . . . . . .
5.3 Die Lichtgeschwindigkeitsgrenze . . .
5.4 Die Überprüfung . . . . . . . . . . .
6 Schlussbemerkung
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
1
Version 1.0
Einleitung
Es gibt keine Paradoxien in der Quantenmechanik.
Wie kann nun der Titel dieses Aufsatzes diese beiden Dinge in Verbindung
bringen, wenn in dessen ersten Paragraphen behauptet wird, dass es keine Paradoxien in der Quantenmechanik gibt? Würde eine Theorie, im streng mathematischen Sinne gesehen, sich selbst widersprechen, so wäre sie falsch. Die
Quantenmechanik hat sich jedoch in ihrem Geltungsbereich als konsistent und
äußerst erfolgreich erwiesen. Allerdings gibt es Probleme mit jenen Wesen, deren Geist die Quantenmechanik als Beschreibung der Natur entsprungen ist:
den Menschen. Ein Mensch fängt üblicherweise mit einem reinen mathematischen Konstrukt nicht viel an, insbesonere wenn es eigentlich seine Umwelt,
also direkt Erfahrbares, beschreiben soll. Menschen verglichen die neue Theorie mit ihrem Wissen und ließen sie in dieses einfließen. Dabei geschahen zwei
Dinge:
• Die Gesetze der Quantenmechanik widersprachen (widersprechen noch immer) unserer alltäglichen Wahrnehmung, man konnte sich paradoxe Szenarien ausdenken, die jedoch im Einklang mit der Quantenmechanik standen.
• Es entstanden verschiedene Interpretationen der Quantenmechanik.
Welche Interpretation man wählt ändert nichts an den Gesetzen und Vorhersagen der Quantenmechanik - die Mathematik ist stets die selbe. Aber diese Wahl
bestimmt unser Weltbild, legt fest, was die Quantenmechanik für uns bedeutet
und ist sogar wichtig für die Frage, welche Rolle wir Menschen im Universum
spielen.
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
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Version 1.0
Grundlagen
Wie bereits angesprochen ist die Ursache für Verwirrung und Streitigkeiten
schon in den Grundgesetzen der Quantenmechanik zu suchen. Da dies jedoch
keine Einführung in diesen Zweig der Physik ist, werden lediglich ein paar dieser
Gesetzmäßigkeiten hier kurz genannt.
2.1
Die Wellenfunktion
Ein quantenmechanischens System wird durch die Wellenfunktion beschrieben.
Für jeden möglichen Zustand dieses Systems gibt es eine solche. Nun ist es
möglich, dass sich Wellenfunktionen, gleich wie Wasserwellen, überlagern, womit
sich auch die durch sie beschriebenen Zustände überlagern. Dies und noch vieles
mehr, was man mit Wellenfunktionen anstellen kann, ist reine Mathematik, und
bringt keinerlei Probleme mit sich. Wenn man allerdings versucht dies direkt auf
unsere Umgebung umzulegen, ... - wir werden noch sehen was daraus wird.
Letztendlich sind jedoch nicht mathematische Spielereien, und seien sie noch so korrekt, das Ziel eines Physikers, sondern eine
Beschreibung der Natur. Und diese steckt in
der Wellenfunktion. So liefert das Betragsquadrat der Wellenfunktion eines Elektrons
an einem Punkt die Aufenthaltswahrscheinlichkeit dieses Elektrons an dieser Stelle. Eine wichtige Aussage ist, dass so ein Teilchen nicht an einem Punkt im Raum konzentriert, sondern über ein ganzes Gebiet
verschmiert ist, so wie es in Abb. 1 angedeutet ist. Dies mag für uns ungewohnt klingen, weil damit auch keine Flugbahn eines
Elektrons um einen Atomkern mehr definiert ist, aber an sich scheint diese Formulierung recht eindeutig zu sein. Wie man be- Abbildung 1: H-Atom Orbitale
reits erahnen kann, ist die Mathematik da- (Quelle [Wikipedia])
hinter das einzige Eindeutige. Vor allem in den Anfangstagen der Quantenmechanik wurde diese Verschmierung als Massen- oder Ladungsdichte interpretiert,
ein anderer Ansatz wurde von Max Born formuliert, nämlich die Wahrscheinlichkeitsdeutung der Wellenfunktion. Die eingangs in diesem Absatz erwähnte
Formulierung entspricht dieser Deutung. Ein weiterer Ansatz ist durch die statistische Interpretation gegeben. Dabei betrachtet man eine große Anzahl von
gleichen Teilchen. Misst man eine Eigenschaft dieser und trägt die erhaltenen
Häufigkeiten der Messergebnisse auf, so erhält man genau jenen Verlauf, den
man als Wahrscheinlichkeitsverteilung aus der Wellenfunktion gewinnt.
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
2.2
Version 1.0
Messung
Es ist bereits das Wort Messung verwendet worden. Auch dieser uns vertraute Begriff gewinnt in der Quantenmechanik eine gänzlich andere Bedeutung.
Und zwar beeinflusst die Messung das gemessene System, aber nicht nur durch
eine Rückwirkung, wie sie ja auch in unserer klassischen Welt gegeben ist, sondern wesentlich tiefergehend. Durch eine Messung wird das untersuchte System
nämlich in den durch das Messergebnis gegebenen Zustand versetzt. Führen
wir z.B. eine Ortsmessung an unserem Elektron, welches irgendwie um seinen
Atomkern herumschmiert, durch, so erhalten wir als Ergebnis irgendwelche Koordinaten (die man nicht voraussagen kann), und genau dort befindet sich das
Elektron dann auch - keine Spur mehr vom verwaschenen Zustand.
Man kann so weit gehen, dem Elektron eine eigene Existenz vor der Messung
abzuerkennen, da es ja als solches nicht vorhanden ist. Vielleicht wurde man
schon einmal von einem Philosophen gefragt: Wenn ein Baum in einem Wald
”
umfällt und niemand es hört, ist er dann umgefallen? Existiert er überhaupt
wenn ihn niemand sieht?“ Man ist versucht dies für einen Scherz zu halten und
wundert sich zugleich darüber, dass der Fragesteller immer noch ein so ernstes
Gesicht macht. Die unabhängige Existenz von Dingen ist im Weltbild vieler tief
verwurzelt, jedoch wird genau das von der Quantenmechanik in Frage gestellt.
Manifestiert sich ein Elektron erst wenn man es ansieht?
2.3
Unschärferelation
Aber dass eine Messung eine existenzbestimmende Rolle spielt reicht noch nicht.
Vielmehr kann man nicht einmal alles messen, was man gerne messen würde. Es
gibt nämlich viele Paarungen von Größen, die man nicht zugleich beliebig genau
messen kann. Wäre dies der Fall, könnte man viele lange Diskussionen einfach
durch Experimente beenden. Und es gibt auch keine Hoffnung darauf, dass sich
das mit fortschreitender Messtechnik ändert, diese so genannte Unschärfe ist
nämlich eine prinzipielle Eigenschaft, die sich nicht durch auch noch so gefinkelte
Messtechnik umgehen lässt.
2.4
Verschränkung
Hierbei handelt es sich einfach um die Tatsache, dass Systeme so verbunden
sein können, dass sie nicht mehr unabhängig sind. Klingt einfach, ist es mathematisch auch und wurde auch vielfach experimentell nachgewiesen. Aber die
Konsequenzen daraus können unser Denken wieder ganz schön durcheinander
bringen. So ist es zum Beispiel möglich ein Paar von verschränkten Teilchen zu
erzeugen und diese an weit voneinander entfernte Orte zu bringen. Misst man an
einem Teilchen eine Eigenschaft, so wird dieses Teilchen in einen gewissen Zustand gebracht, und das andere Teilchen im selben Augenblick ebenso in einen
bekannten Zustand versetzt.
Dies mag wie eine Verletzung der Lichtgeschwindigkeitsgrenze klingen, ist es
aber nicht, da durch diesen Vorgang keine Information direkt übertragen werden
kann.
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
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Version 1.0
Der Klassiker: Schrödingers Katze
Bisher wurden viele Dinge kurz angeschnitten. Es wird nun Zeit, dieses anhand
eines Beispiels zu erläutern, wozu hier das wohl bekannteste angebliche Paradoxon herangezogen wird.
3.1
Das Gedankenexperiment
Abbildung 2: Zu Schrödingers Katze“ (Quelle [Wikipedia])
”
Den Versuchsaufbau lassen wir uns am besten von Herrn Schrödinger selbst
schildern:
Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Eine Katze wird in
eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine
(die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muß): in einem
Geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver
Substanz, so wenig, daß im Laufe einer Stunde vielleicht eines von
den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais
ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat
man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so
wird man sich sagen, daß die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein
Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall würde sie vergiftet haben.
Die Psi-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck
bringen, daß in ihr die lebende und die tote Katze (s. v. v.) zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind. Das Typische an solchen
Fällen ist, daß eine ursprünglich auf den Atombereich beschränkte
Unbestimmtheit sich in grobsinnliche Unbestimmtheit umsetzt, die
sich dann durch direkte Beobachtung entscheiden läßt.
Erwin Schrödinger, Naturwissenschaften, November 1935.
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
Version 1.0
Damit wollte Schrödinger eigentlich auf eine Unvollständigkeit der Quantenmechanik hinweisen, aber gerade dieser Artikel war einer der Anstöße für Arbeiten, die bewiesen, dass die um solche Paradoxien aufzulösen gewünschte Ver”
vollständigung“ der Quantenmechanik durch verborgene Variablen nicht korrekt
ist. Dieser Beweis erfolgt durch die Bellschen Ungleichungen.
Aber gehen wir nun ein wenig genauer auf das Problem ein.
3.2
Kopenhagener Deutung
Schrödingers Schilderung der Situation folgt der Kopenhagener Deutung, welche
in den 1920ern von Niels Bohr und Werner Heisenberg entwickelt wurde. Eine
wichtige Rolls spielt die Beobachtung oder Messung, wobei bei einer solchen die
Überlagerung zerstört wird und sich das beobachtete System für einen Zustand
entscheidet. Diesen sprunghaften Vorgang, bei dem die Schrödingergleichung
einen Moment lang nicht gilt, nennt man Kollaps der Wellenfunktion. Dieser
kann jedoch nicht hergeleitet werden, sondern ist eine zusätzliche Annahme.
Für unser armes Kätzchen heißt dies, dass es solange halblebendig ist, bis jemand in die Kiste schaut.
3.3
Dekohärenz
In letzter Zeit gewann dieser Mechanismus für die Erklärung unserer makroskopischen Welt sehr stark an Bedeutung.
Eigentlich versteht man unter diesem Begriff das Auflösen von Überlagerungen.
Für die Interpretation der Quantenmechanik kommt noch einiges hinzu. Man
geht davon aus, dass ein System niemals abgeschlossen ist, sondern stets in
Wechselwirkung mit seiner Umgebung steht. Durch diese Wechselwirkungen
wird die Überlagerung der Zustände zerstört. Dabei ist der Kollaps der Wellenfunktion nicht mehr als zusätzliche Annahme nötig, sondern ergibt sich automatisch, jedoch wird dafür eine gewisse Zeit benötigt, die von den beteiligten
Massen und der Temperatur (oder Unordnung, Chaos) abhängt. So weiß z.B.
ein hyperaktiver Bernhardiner sehr viel schneller, ob er nun lebendig ist oder
nicht, als ein ruhig dahinschnurrendes Kätzchen.
Dazu wurden Berechnungen (siehe [Zurek2001]) und Versuche durchgeführt. So
konnte z.B. eine Gruppe um Anton Zeilinger von der Uni Wien mit Fullerenen beobachten, wie sich Interferenzen aufgrund der Wechselwirkung mit der
Umgebung mit der Zeit mehr und mehr auflösten ([Zeilinger2004]).
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
3.4
3.4.1
Version 1.0
Weitere Deutungen
Statistische Deutung
Besonders klar, einfach und vor allem nicht verwirrend wird das Dilemma mit
der Zufälligkeit und Unbestimmtheit wenn man nicht ein einzelnes Teilchen,
sondern einen ganzen Haufen dieser betrachtet. Man führt nun den Versuch
nicht nur ein Mal durch, sondern für jedes dieser Teilchen.
Wenden wir nun dies auf Schrödingers Katze an, so würde es bedeuten, dass wir
z.B. 1000 Katzen einsperren, nach einer Stunde 1000 Mal nachsehen, und dabei
500 lebende und eben so viele tote Katzen entdecken. (Dies mag wohl einer der
Gründe sein, weshalb der Versuch ein reines Gedankenexperiment ist.) Dieses
Resultat deckt sich exakt mit den Vorhersagen der Quantenmechanik und wirft
keinerlei Probleme auf.
Diese Einfachheit entsteht wohl dadurch, dass man den Prozess der Messung in
keinster Weise beleuchtet. In gewissem Sinne umgeht man das Problem, indem
man einfach die exakte und unumstrittene Mathematik in unsere Welt projeziert.
3.4.2
Vielweltentheorie
Eine weitere Sicht der Dinge hört sich sehr nach Science Fiction an: Und zwar
kann man annehmen, dass bei jeder Entscheidung (durch eine Messung), zu der
unser Universum gezwungen wird, es sich in mehrere aufspaltet, wobei in jedem
eine der möglichen Varianten realisiert wird.
Für viele mag sich das irgendwie an den Haaren herbeigezogen anhören, aber
einige Physiker bezeichnen das als die einfachste Deutung. Diese Theorie ist
sicherlich eine der umstrittensten Deutungen. So kritisieren manche, dass man
nichts von parallelen Welten hat, da man sie nicht bemerkt. Andere behaupten,
dass man noch etwas finden wird, womit man andere Welten nachweisen wird
können.
Weiters ergibt sich das Problem, dass man um den Moment der Aufspaltung
genau bestimmen zu können den Zeitpunkt der Messung festlegen muss, womit
man teilweise wieder am Anfang steht.
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
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Version 1.0
Wigners Freund - und noch mehr
Die Interpretation des geschilderten Tierversuchs wird jedoch schwieriger, wenn
eine Person, angenommen der Physiker Eugene Wigner, die Messung nicht für
sich, sondern für einen Freund durchführt. Für Wigner manifestiert sich ein
Messwert und damit auch ein Zustand des gemessenen Systems, sobald er misst.
Sein Freund jedoch weiß davon noch nichts, für ihn ist die Messung erst dann
abgeschlossen, wenn er von Wigner das Ergebnis mitgeteilt bekommt.
Bestimmt erst ein menschliches Bewusstsein eine Messung? Laut A. J. Wheeler
(übrigens ein Schüler Bohrs) ja. Es muss etwas erst beobachtet werden, damit es
real ist. Allerdings muss auch die Beobachtung beobachtet werden, damit diese
real ist, was aber auch für die Beobachtung der Beobachtung gilt, und so weiter.
Eine ähnliche Problematik ergibt sich, wenn man das beobachtete Teilchen (oder
was auch immer) gemeinsam mit der Messaparatur betrachtet. In diesem Falle
überträgt sich die Überlagerung der Zustände des gemessenen Objekts auf das
Gesamtsystem. Da Messgeräte üblicherweise sehr groß sind, insbesondere aus
der Sicht eines einzelnen Teilchens, wird die Auswirkung auf das Gesamtsystem
nur äußerst gering sein, aber es ist in einem Überlagerungszustand. Um dieses
System nun in einen definierten Zustand zu bringen, muss an diesem eine Messung durchgeführt werden - wofür man eine weitere Messeinrichtung braucht,
wodurch ein noch größeres System entsteht. Auch diese Kette kann man beliebig fortführen, aber mehr als unser gesamtes Universum kann man schwer
betrachten, und auch dieses ist nun aus Überlagerungen zusammengesetzt.
Kann diese Kette mit Hilfe einer Messung durch ein Bewusstsein durchbrochen
werden? Dies würde den Inhalt der Aussage Der Geist besiegt die Materie“
”
wiederspiegeln.
Nächste Frage: Muss das nötige Bewusstsein ein menschliches sein? Man könnte
ja auch sagen, dass die Katze sich selbst beobachtet, und damit ihre eigene
Überlagerung zerstört. Wenn dies für eine Katze gilt, was ist mit einem kleinen
Käfer. Wenn wir auf diese Art stets weiter fragen, kommen wir vielleicht auf
ein Virus, welches man ebenfalls als Lebensform sehen kann (auch dies ist ein
aktueller Streitpunkt in der Wissenschaft). Dieses ist zwar wesentlich größer als
ein einzelnes Teilchen, aber in dieser Größenordnung kann man getrost von einer
Ansammlung von Atomen sprechen, womit wir es mit einem quantenmechanisch
zu beschreibenden System zu tun haben. Kann man irgendwo auf dem Weg, den
wir mit unseren Fragen gingen, eine Grenzlinie ziehen, und falls ja: wo? Aber
eigentlich ist ein Mensch doch genauso ein quantenmechanisches System, womit
wir uns im Prinzip nicht von einem Virus unterscheiden. Unser Bewusstsein
ließe sich in diesem Fall auf eine hochkomplexe elektrochemisch gesteuerte Biomaschine namens Gehirn zurückführen. In diesem Fall wäre das, was wir freien
Willen nennen, bloß eine Ansammlung von zufälligen Ereignissen. Oder steckt
da mehr dahinter, etwas dass man als Seele bezeichnen kann?
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
5
Version 1.0
EPR-Paradoxon und Verschränkung
Neben Schrödinger, der seine Katze als Waffe gegen Bohr und Heisenberg einsetzte, war auch Albert Einstein ein erklärter Gegner der Kopenhagener Deutung. Zusammen mit Boris Podolski und Nathan Rosen formulierte er das nach
den Autoren benannte EPR Paradoxon (siehe [EPR1935]). Dies war neben
Schrödingers Text der zweite Artikel, welcher die Quantenmechanik in ihrer
damaligen Form stürzen sollte, jedoch im Endeffekt zu einer Untermauerung
dieser führte.
5.1
Das Experiment
Obwohl diese bei genauerer Betrachtung einige Komplikationen mit sich bringt,
ist hier die ursprüngliche Beschreibung von Einstein und Co wiedergegeben:
Und zwar möge man sich vorstellen, dass ein Teilchen durch eine Explosion in
zwei gleiche Hälften zerrissen wird. Diese fliegen nun mit gleicher Geschwindigkeit in entgegengesetzten Richtungen. Misst man an einem Teil, nennen wir
es A, den Impuls, so weiß man automatisch den Impuls des anderen Teilchens.
Durch Messen des Ortes von B kennt man nun Ort und Impuls beider Teilchen.
Bohr entgegnete darauf, dass man beide Teilchen nicht als unabhängig voneinander betrachten kann, und eine Messung einer Größe beide beeinflusst, und
zwar sofort, egal wie weit sie bereits voneinander entfernt sind. Weiters kann
ein Teilchen niemals einen definierten Ort und Impuls zugleich haben. Ob B nun
Ort oder Impuls besitzt, wird durch die Messung an A festgelegt, wobei man
sich erst im letzten Moment entscheiden kann, welche Messung durchgeführt
wird.
Einstein wollte das nicht glauben. Er bestand darauf, dass noch ein wichtiger
Teil der Quantenmechanik fehlte, diese also unvollständig sei.
5.2
Der Begriff der Lokalität
Ob die instantane Ausbreitung für jemanden ein Problem darstellt, hängt vom
Weltbild dieser Person ab.
Ein Mensch, der Newton sehr verbunden ist, versteht die Aufregung um die
Verschränkung nicht, da in der Newtonschen Mechanik Zeit eine für alle gleich
und absolut ablaufende Größe ist. Alles was vor einem Zeitpunkt passiert kann
diesen und alles danach beeinflussen, egal wie weit die Ereignisse räumlich voneinander entfernt sind. Dabei spricht man von Fernwirkung.
Einstein hat in der speziellen Relativitätstheorie das Verständnis von Raum
und Zeit jedoch umgekrempelt. Diese Theorie sagt unter anderem aus, dass sich
keine Beeinflussungen schneller als mit Lichtgeschwinkigkeit ausbreiten können.
Somit sind Punkte in der Raumzeit, die für einen Beobachter gleichzeitig, aber
räumlich getrennt liegen, gänzlich voneinander unabhängig. Man bezeichnet nun
Ereignisse lokal zueinander, wenn sie sich beinflussen können.
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
Version 1.0
In der Quantenmechanik ist die Relativitätstheorie jedoch nicht berücksichtigt,
wodurch die Lokalität keine Rolle spielt. Der Kollaps der Wellenfunktion breitet sich vom Ort der Messung nicht mit Lichtgeschwindigkeit, sondern instantan
aus (Quanten-Nichtlokalität). Ist dies nun reine Mathematik oder gar nur Spekulation? Nein - dieser Effekt ist experimentell nachweisbar und auch bereits
nachgewiesen.
5.3
Die Lichtgeschwindigkeitsgrenze
Warum ist dies nun kein Widerspruch zur Relativitätstheorie?
1. An jeder Kraftwirkung oder Informationsübertragung sind Austauschteilchen beteiligt, welche sich nicht schneller als Licht ausbreiten können. Ein
solcher Austausch findet zwischen verschränkten Teilchen nicht statt.
2. Und noch viel wichtiger: Man kann keine Information mit diesem Vorgang
austauschen. Durch eine Messung an Teilchen A ist zwar der Zustand von
B bestimmt, aber dieses teilt diese Veränderung seiner Umwelt ja nicht
mit. Man kann höchstens messen, wodurch man ein Messergebnis erhält,
aber ob und wann am anderen Teilchen eine Messung durchgeführt wurde,
kann man nicht sagen. Mit der Messung am anderen Teilchen kann man
erst dann etwas anfangen, wenn das Messergebnis irgendwie übertragen
wurde, was auf klassische Art und Weise erfolgen muss und damit nicht
schneller als mit Lichtgeschwindigkeit möglich ist.
5.4
Die Überprüfung
Wie bereits erwähnt führten die Einwände von Schrödinger und Einstein zu
den Bellschen Ungleichungen. Diese sagen aus, wie sehr Messergebnisse an verschränkten Teilchen maximal korreliert sein dürfen, wenn es versteckte Variablen gibt. Mit Hilfe dieser überprüfbaren Aussage war es möglich Experimente
durchzuführen (z.B. von Alain Aspect), welche ergaben, dass die Bellsche Ungleichung verletzt wurde, womit die Existenz versteckter Variablen widerlegt
wurde.
6
Schlussbemerkung
Liebe(r) Leser(in)! Dieser Artikel lässt sicherlich noch einige Fragen unbeantwortet. Aber seien Sie gewarnt davor, nur einen Fachman zu Rate zu ziehen,
denn viele Fragen sollte dieser Ihnen gar nicht absolut beantworten können.
Über viele Interpretationen, auch äußerst grundlegende, diskutieren (um es milde auszudrücken) Experten jetzt noch. Und noch viel mehr Dinge sind Teil
Ihres Weltbildes - da können nur Sie entscheiden, was Ihnen recht und was zu
verworren ist.
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Quantenmechanik - Paradoxien und Deutungen
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Literatur
[Wikipedia]
anonym, Wikipedia, http://de.wikipedia.org/, Juni 2005
[ScienceUp]
Birgit Bomfleur, ScienceUp Sturm und Bomfleur GbR,
Schrödingers Katze kann aufatmen - und sei es auch nur ein
letztes Mal,
http://www.quanten.de/schroedingers katze.html, März
2006
Sehr gute Schilderung der Kopenhagener Deutung und der Dekohärenz.
[Zeilinger2003] Anton Zeilinger, Quanten-Teleportation, Spektrum der Wissenschaft Dossier 1/2003
Anwendung der Verschränkung
[Feynman1999] Richard P. Feynman, Feynman Vorlesungen über Physik, Bd.3,
Quantenmechanik, Oldenbourg, 1999
Sehr anschauliches und verständliches Grundlagenwerk.
Kommt mit extrem wenig Mathematik aus!
[Davis1988]
P.C.W. Davis, J.R. Brown, Der Geist im Atom, Birkhäuser,
1988
Beinhaltet neben einer sehr guten Einführung in die Grundlagen, Fragen der Realität und Paradoxien einige Interviews mit
wichtigen Physikern zu diesen Themen und deren Interpretationen der Quantenmechanik.
[Embacher]
Franz Embacher, Quantentheorie,
http://www.ap.univie.ac.at/users/fe/Quantentheorie/
Sehr schöne Einführungen, u.a EPR-Effekt, Teleportation und
Quantencomputer
[EPR1935]
A. Einstein, B. Podolsky, and N. Rosen,
Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality Be
Considered Complete?, Physical Review 47, 777-780, 1935
Originaltext zum EPR-Paradoxon.
[Zurek2001]
Wojciech Hubert Zurek, Sub-Planck structure in phase space
and its relevance for quantum decoherence, Nature 412, 712717, 2001
Rechnungen zur Dekohärenz.
[Zeilinger2004] Anton Zeilinger et.al., Decoherence of matter waves by thermal
emission of radiation, Nature 427, 711-714, 2004
Versuch mit dem Dekohärenz beobachtet wurde.
[Aspect1999]
Alain Aspect, Bell’s inequality test: more ideal than ever, Nature 398, 189-190, 1999
Kurzer, sehr lesenswerter Artikel über Verschränkung und experimentelle Nachweise der Verletzung der Bellschen Ungleichung.
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