Garten der Gastfreundschaft Ueberall in unserer Nähe spriessen die bekannten Pflanzen der Bauerngärten. Sie sind uns treu seit Jahrhunderten, spenden uns ihre Liebe und sind eine unverzichtbare Unterstützung unserer vielen täglichen Bedürfnisse. Bäuerliche Blumen schmücken die gute Stube. Heilkräuter wie das Johanniskraut oder der Eibisch pflegen kleine und grössere Wunden. Saftige Früchte stillen unseren Appetit und Duftpflanzen erfreuen unsere Sinne. "Jedem seine Aufgabe, aber dass sich ja alle gegenseitig helfen! Nur so funktioniert der Haushalt", belehrt von oben herab der Speierling (Sorbus domesticus) in seiner Rolle als Gouvernante. Im Widerschein einer langen Geschichte, die ihre Früchte getragen hat (Cassis, Johannisbeeren, Erdbeeren, Holunder), atmen die Pflanzen Üppigkeit: das ausladende Blattwerk der Stockmalven, die stolz ausgebreiteten Blütenköpfe der Grossen Margerite, der reiche Wuchs der Skabiose, die prallen Blütenstände des Rittersporns. Angesteckt durch diese Fülle, vermehren sich Astern, Iris und Weiderich glücklich. Im Konzert vereinen sich das Rot, das Orange, das Gelb, das Grün, das Blau, das Violett und das Weiss, um miteinander zu feiern: die Kapuzinerkresse singt von Heimatliebe, die Iris verbreitet gute Neuigkeiten, der Lorbeer prahlt mit seinem Sieg. Mit der hereinbrechenden Nacht beginnen die Blasenkirschen im Hof zu leuchten. Der Beinwell ist auch ganz nahe und wacht wie eine gute Mutter darüber, die so wertvollen Bindungen zu pflegen. Garten der Leidenschaft Farbenprächtig und intensiv ist die leidenschaftliche Liebe, welche oft denjenigen in ermüdende Strudel reisst, der sich von ihr einfangen lässt. Es ist Sommer! Das Fest des Johannis feiert die am Zenith strahlende Sonne. Bei dieser Gelegenheit lassen die Färberkamillen ihre Freude in überquellenden Bouquets von goldenen Blütenköpfen explodieren. Die flammenden Tageslilien dienen als Glut, an der die Liebenden zehren. "Achtung, einige erwärmen sich daran, aber die anderen riskieren, sich zu verbrennen …" warnt der Apfelbaum der Versuchung. Seit Jahrtausenden die ewige und täglich wiederkehrende Geschichte: an irgendeinem Ort erhofft sich ein "Bonhomme" (Königskerze) eine Schöne für eine leidenschaftliche Nacht (-kerze). Es ist die Zeit der vergänglicher Liebschaften … das Herz kennt sowohl Höhen als auch Tiefen! Manchmal regt das unkontrollierte Verlangen schmerzhafte Gefühle, man kratzt sich auf an den Disteln und an den Dornen der Rosen, die rot sind vor Eifersucht. Aber die fremden Formen und die giftige Milch der Characcias-Wolfsmilch warnen vor den Gefahren des Abgleitens … Man geht daraus hervor wie die Indianernesseln, rot vor Wut und mit gesträubten Haaren. Dennoch sehnt sich die Seele nach anderen Orten, die von lila und purpur erhellt sind. Auf dem langen Weg, der zur glücklichen Liebe führt, heilt die Urkraft des PurpurSonnenhuts die Wunden des Herzens … und stärkt für neue Abenteuer! Garten des Kummers Die Seele leidet, das Herz ist wie zugeschnürt vor lauter Kummer... wie kann man diesen Zustand, der Beaudelaire so teuer war, beschreiben? Warum nicht mit den Pflanzen? Die schimmernden Halme des Blauschwingels widerspiegeln die triste Atmosphäre ebenso gut wie die blau bereiften Zweige der Bereiften Rose (Rosa glauca) oder das Grau des Heiligenkrauts. Die tief dunkelrote Stockrose, die Schwarzerle und die Dunkle Königskerze haben sich gar in Trauerkleidung gehüllt. Der Rainfarn, ganz allein in seiner Ecke, weint um seine Blütenblätter, die ihm beim Fragespiel «sie liebt mich, sie liebt mich nicht» abhanden gekommen sind. Die Wegwarte (Zichorie) neben dem Weg wartet auf bessere Zeiten… An solch quälenden Tagen hinterlässt die Abwesenheit eines geliebten Menschen einen bitteren Geschmack. Wer könnte unter diesen Umständen der Versuchung widerstehen, sich vom betörenden Duft des Muskatellersalbeis benebeln zu lassen, oder seinen Kummer in einem Glas Wermut zu ertränken? Kalt bis aufs Blut, das Herz wie gelähmt – all jene Pflanzen, die von starrem Wuchs sind, verkörpern diese Trägheit. Etwa der dichte Teppich des Gamanders oder des Habichtskrauts, die festen Blätter der Eselsdistel, die Stacheln der Kugeldistel, der unbiegsame Stengel des Eisenkrauts. Um sich zu schützen, entscheidet sich das Herz oft für die Gleichgültigkeit. Es ist, als ob die immergrüne Eibe und der Wacholder im Chor rufen würden: «Uns kann die Kälte des Winters nichts anhaben!» Aber kaum ist der Frühling da, beginnen auch die Gedanken wieder zu blühen, und der durchlebte Kummer ist nur noch eine schlechte Erinnerung... Und wer genau hinschaut, entdeckt, dass der Frauenmantel die Tränen, die auf seinen Blättern zurückgeblieben sind, in glitzernde Diamanten verwandelt hat... Garten der Romantik Der Romantik entsprechen das reine Weiss, das schüchterne Blau, das sanfte Rosa, der Duft des Geissblattes … In jeder Jahreszeit widerspiegeln die Pflanzen die Zerbrechlichkeit und die Unbefangenheit einer frisch keimenden Liebe. Die Blätter sind grazil, die Pflanzen zart. Beim kleinsten Flüstern des Windes beginnen das Leinkraut und die Gelbe Skabiose miteinander zu tanzen, ihre Blüten balancieren elegant auf den langen Stengeln. Im Frühling umschwärmen die poetisch veranlagten Dichternarzissen die rosarote Tulpe «Angélique» und lassen ihr parfümierte Nachrichten zukommen. Das Tränende Herz, ewigtraurig, behält seine wahren Gefühle für sich. Später läutet das Maiglöckchen die Rückkehr des Glücks ein. Der Mai ist da: Die schüchterne Pfingstrose, das prüde Veilchen und das treue Immergrün öffnen ihre Blüten. Die Akelei stellt verwirrt fest, wie nahe sie der Akeleiblättrigen Wiesenraute steht. Schlagenden Herzes schiesst es ihr in den Kopf: "Gleich und gleich gesellt sich gern". Ende Juni schliesslich laden die Malve, Symbol der Lieblichkeit, und der Lavendel, Zeichen für die respektvolle Zärtlichkeit, zur perfekten Hochzeit. Das Schleierkraut packt die Gelegenheit beim Schopf und übergibt der jungen Braut ein zartes Bouquet ganz in Weiss. «Wartet», ruft das Schmuckkörbchen mit seinen fein gefiederten Blättern. «Ist es ein Schmetterling oder eine Spinnenblume, die mit solcher Leichtigkeit davonfliegt?» Angesichts von so viel "Charme" (Hainbuche) erschaudert die Zitterpappel von Kopf bis Fuss …