PRAXIS PRACTICE NEUE TECHNOLOGIEN Vibrationsfrei und exakt fixiert Bei der Aufhängung des Infrarot-Teleskops in der zur fliegenden Sternwarte umgebauten Boeing 747 SP kam es darauf an, alle Vibrationen abzufangen und das Teleskop exakt in seiner Position zu fixieren. Gelöst wurde diese Aufgabe mit Hilfe eines Luftfedersystems auf Basis eines selbstverlöschenden Elastomeres, das die hohen Anforderungen der Nasa erfüllt. Von der für die astronomische Forschung umgebauten Boeing 747 SP aus wollen Wissenschaftler weitere Geheimnisse des Weltraums ergründen. SICHERER HALT FÜR WELTRAUMTELESKOP LUFTFEDERSYSTEM An Bord der fliegenden Sternwarte Sofia (Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie) sorgt ein komplexes System aus 24 Luftfedern für vibrationsfreie Arbeitsbedingungen. Sofia ist eine zum Labor umgebaute Boeing 747 SP, die in 14 km Höhe die Entstehung von Sternen und Planetensystemen erforschen wird. D as Projekt Sofia soll grundlegende Fragen der galaktischen und extragalaktischen Astronomie beantworten, zum Beispiel die Bildung von Sternen und Planetensystemen sowie den Ursprung des Sonnensystems. Herzstück ist ein 17 t schweres Infrarot-Teleskop mit höchster räumlicher Auflösung, das im Flugzeugheck durch eine Luke nach draußen blickt. Aus 14 km Höhe öffnet es den Blick für diejenigen Bereiche des Infrarot-Spektrums, die erdgebundenen Observatorien verschlossen sind, weil die Beobachtung der vielen infrarot strahlenden Himmelskörper durch den Wasserdampf in der Erdatmosphäre sprichwörtlich vernebelt wird. Der Primärspiegel des Teleskops hat einen Durchmesser von 2,7 m. Damit wird So- Autor Bernd Stöter, Produktentwicklung, ContiTech Air Spring Systems, Hannover, [email protected], www.contitech.de 656 KGK ‚ Dezember 2007 fia um ein Vielfaches höher aufgelöste Messergebnisse liefern, als es das bis 1995 betriebene Kuiper Airborne Observatory, eine umgebaute Lockheed Transporter L200, vermochte. Die Luftfedertechnik, ansonsten überwiegend in Nutz- und Schienenfahrzeugen sowie in Maschinen und Anlagen eingesetzt, spielt an Bord von Sofia eine Schlüsselrolle. Das Teleskop ruht auf einem Vibrations-Isolationssystem (VIS), das aus einem Luftfedersystem und silikonölbefüllten Dämpfern besteht. Es garantiert die Funktionalität des Teleskops auf mehrfache Art und Weise: Es absorbiert störende Vibrationen, die einerseits vom Flugzeug selbst ausgehen andererseits bei geöffneter Luke durch die Windströmung verursacht werden. Mit Hilfe seiner Regelelektronik und -sensorik hält es außerdem das Teleskop exakt in seiner Position. Dadurch bleibt das hochempfindliche Instrument jederzeit perfekt auf das Beobachtungsziel ausgerichtet und liefert einwandfreie Bilder. Das Luftfedersystem arbeitet selbst bei den extremen Einsatzbedingungen in dem Stratosphären-Observatorium sehr präzise. In der vom Laborraum separierten Teleskopkammer herrschen bei geöffneter Beobachtungsluke -60 °C und ein Fünftel des normalen Luftdrucks. Trotz des mit jeder Flughöhenänderung variierenden Luftdrucks fixiert das Luftfedersystem das Teleskop unverrückbar in seiner ursprünglichen Stellung. Im sicheren Griff von 24 Luftfedern Hersteller des aus 24 Ein- bzw. Zweifaltenbälgen bestehenden Systems ist ContiTech Air Spring Systems, Hannover. Das gesamte Engineering von der Auslegungsberechnung bis zur Endmontage am amerikanischen Nasa-Stützpunkt übernahm der Systempartner CFM Schiller aus Roetgen. Zwölf Luftfedern der komplexen Konstruktion sind in axialer Richtung angeordnet, um die Druckdifferenz zwischen dem Flugzeuginneren und der Teleskopkammer auszugleichen und Vibrationen der x-Achse zu isolieren. Weitere zwölf Luftfedern in radialer Ausrichtung haben die Aufgabe, das Teleskop anzuheben und es von Vibrationen der yund der z-Achse zu isolieren. Drei Dämpfer, die sich im 120°-Winkel zwischen Die speziell für Sofia entwickelten Luftfedern sind für die Arbeit unter Extrembedingungen ausgelegt und erfüllen unter anderem die Nichtbrennbarkeitsanforderungen der Nasa. den radial angeordneten Luftfedern befinden, sind in allen sechs Freiheitsgraden wirksam. Die Druckluftzufuhr erfolgt über Höhenregelventile, die unabhängig voneinander einzelne Gruppen von Luftfedern ansteuern. Die axial ausgerichteten Luftfedern werden über ein redundantes Leitungssystem versorgt. Redundant heißt hier, dass jeder Luftfeder ein Ventil vorgeschaltet ist, das bei Stromausfall schließt und den Druck in den Luftfedern aufrechterhält. Für Frequenzen oberhalb der Eigenfrequenz des Vibrations-Isolationsystems (etwa 2,5 Hz) ist der Isolierungsgrad des Luftfedersystems ausreichend. Bei langsamen Bewegungen, wie sie durch Windströmung auftreten, wird das Teleskop durch Regulierung der Luftmenge in seiner Position gehalten. Ein System aus 24 axial und radial ausgerichteten Luftfedern isoliert störende Vibrationen und hält das 17 t schwere Infrarot-Teleskop exakt in seiner Position. Hohe Anforderungen an den Werkstoff Das Projekt Sofia bedeutet einen völlig neuen Anwendungsfall für Luftfedertechnik. Auch materialtechnisch stellt es eine besondere Herausforderung dar. Die speziell entwickelten Luftfederbälge sind aus einem selbstverlöschenden Elastomer gefertigt; das Brandverhalten der Luftfedern war ein wichtiges Kriterium für die Werkstoffwahl. Darüber hinaus ist das verwendete Elastomer beständig gegen UV-Einwirkung und kosmische Strahlung. Ferner schützt sein geringer Oberflächenwiderstand das Teleskop vor elektrostatischer Aufladung. Sofia absolvierte in diesem Jahr bereits erfolgreich die ersten Testflüge. Weitere sollen folgen, ehe ab Ende 2008 der Forschungsbetrieb aufgenommen wird. Die fliegende Sternwarte wird von Kalifor- nien, Neuseeland und Deutschland aus rund 160-mal jährlich zu Beobachtungsexkursionen abheben. Insgesamt ist für das Observatorium eine Betriebsdauer von rund 20 Jahren vorgesehen. Nasa und DLR forschen gemeinsam Sofia ist ein Gemeinschaftsprojekt der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa und des Deutschen Zentrums für Luftund Raumfahrt (DLR). Mit der Vorbereitung und Durchführung der Betriebsphase ist das neu gegründete Deutsche Sofia-Institut (DSI) an der Universität Stuttgart beauftragt. Rund 20 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker übernehmen wissenschaftliche und organisatorische Aufgaben im Nasa-Betriebszentrum nahe San Francisco und in Stuttgart. KGK ‚ Dezember 2007 657