Stoeckli 2009

Werbung
21.01.2009
Personen-Schaden-Forum 2009
Die besondere Problematik des
medizin. Kausalitä
Kausalitätsgutachtens
spezifische Fragen des Kausalitätsgutachtens:
Medizinisches
Kausalitä
Kausalitätsgutachten
ƒ Frage nach der natürlichen Kausalität eines Gesundheitsschadens
ƒ Frage nach Kausalitätswahrscheinlichkeit
ƒ Frage nach Relevanz von konkurrierenden Vorschäden oder
ereignisfremden Folgeschäden (konkurrierende Kausalitäten) am
vorliegenden Gesundheitsschaden
ƒ Frage nach prozentualem ereignisbedingten Schadenanteil am
gesamten Gesundheitsschaden
Probleme aus Sicht des Gutachters
Hans Rudolf Stöckli
Neurologe FMH, Leiter Gutachterkurse SIM
Æ oft schwierige Fragen
Seite 2
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
Die besondere Problematik des
medizin. Kausalitä
Kausalitätsgutachtens
Die Fragen nach Kausalität und nach konkurrierenden
Kausalitäten erfordern verlässliche Daten über den
natürlichen medizinischen Verlauf von
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Krankheiten, Unfallfolgen
degenerativen Veränderungen
angeborenen Dispositionen
Æ epidemiologische Daten sehr wichtig
Æ medizinische Erfahrungswerte von grosser Bedeutung
ƒ
ƒ
Personen-Schaden-Forum 2009
Referatsinhalt
1. Bestimmung der ereignisbedingten natürl. Kausalität
2. Die Beurteilung von konkurrierenden Kausalitäten
3. die Grenzen des medizinischen Gutachters
kollektiver Erfahrungsschatz
(Einfliessen von gesellschaftlich-kulturellen Elementen etc)
persönliche Erfahrung des Experten (persönliche Einfärbung)
ƒ Divergente Experten-/LehrmeinungenÆ Konsensuspapiere
Seite 3
Stöckli Hans Rudolf
Seite 4
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
A. Grundsätzliches
A. Grundsätzliches
B. Das Problem der Beweisgrad-Bestimmung
B. Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
1. bei anlagebedingten Prädispositionen
C. Die nat. Kausalität bei psychischer Symptomatik
2. bei vorbestehenden internistischen Krankheiten
D. Die Wertigkeit der Neuropsychologie und des
funktionellen MRI bei Kausalitätseinschätzung
3. bei vorbestehenden Nacken- oder Rückenschmerzen
E. Problem der Aktenlage
5. bei psychischen Vorerkrankungen
F. Die Zukunft der Beweisgradbestimmung
6. bei mehreren Unfallereignissen
Seite 5
Stöckli Hans Rudolf
4. bei vorbestehenden degenerativen Veränderungen
Seite 6
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
A. Grundsätzliches
Definition (Art. 6 Abs. 1 UVG)
Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhanges
sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein der
eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in der
gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten
gedacht werden kann.
Die natürliche Kausalität wird vom Arzt, die adäquate durch
die Administration respektive die Justiz beurteilt.
Seite 7
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
Stöckli Hans Rudolf
ƒ 1. Frage: liegt überhaupt ein Gesundheitsschaden vor?
ƒ 2. es ist nachvollziehbar und begründet darzulegen,
ƒ ob einem schädigenden Ereignis, das in zeitlicher Korrelation
zu einer gesundheitlichen Störung steht, mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit eine ursächliche Bedeutung zukommt,
ƒ oder ob es sich um eine nicht genügend zu begründende
ƒ oder um eine rein zufällige, nicht kausale Korrelation
handelt.
ƒ bei rein somatischen, klinisch nachvollziehbaren Unfallfolgen
lässt die Faktenlage meist keine Zweifel an der natürlichen
Kausalität aufkommen.
Seite 8
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
A. Grundsätzliches
B. Das Problem der Beweisgrad-Bestimmung
Für Gutachter schwieriger zu beurteilen sind Fälle
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
mit vorbestehenden Krankheiten
mit vorbestehenden Unfallfolgen
mit psychischen Begleitsymptomen
mit vorbestehenden psychischen Beschwerden
mit in zeitlicher Latenz zum Ereignis aufgetretenen
psychischen Symptomen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 117 V 194)
in Grenzfällen dennoch
schwierig:
Æ Entscheid nur in Kenntnis aller
Daten und Fakten möglich
Æalle medizin. Beweismittel pro
und contra indizienhaft darlegen
Æunter Berücksichtigung der
gesamten medizinischen
Faktenlage resp. Evidenz
gesamte medizinische
Faktenlage / Evidenz
• ereigniskorrelierte Anamnese
• frühere Anamnese, Fremdanamn.
• Klinische Befunde
• Bildgebung, Labor, anderes
• Verhalten etc.
• Kritische Überprüfung und Wertung
von Stimmigkeiten und Diskrepanzen
reifliches Abwägen aller Indizien pro u. contra Æ Wahrsch.grad
Seite 9
Stöckli Hans Rudolf
Seite 10
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
Beweisgradbestimmung und evidenzbasierte Medizin
Definition EBM
(evidence based medicine)
«Evidenzbasierte Medizin ist der
gewissenhafte und vernünftige
Gebrauch der gegenwärtig besten
wissenschaftlichen Evidenz für
Entscheidungen in der medizin.
Versorgung individueller Patienten.
Die Praxis der EBM bedeutet die
Integration individueller klinischer
Expertisen mit der bestmöglichen
externen Evidenz aus der
systematischen Forschung»
Straus S.E.,Scott Richardson et al.: Evidence-Based Medicine.Elsevier Churchill
Livingstone, 3rd ed., 2005
Sackett L., Rosenberg WMC et al.: Evidence-based Medicine: British Medical
Journal. 312, 1996, S. 71-72
Seite 11
EBM leitet er sich vom englischen
"evidence" ab (= Beweis, Ergebnis).
Bezieht sich auf Informationen aus
wissenschaftlichen Studien und klinischen
Erfahrungen, die einen Sachverhalt
erhärten / widerlegen.
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
Beweisgradbestimmung und evidenzbasierte Medizin
Grad
Evidenz-Grad Bestimmung
Ia
mehrere kontrollierte*, randomisierte** Studien, die Wirksamkeit belegen. Dies
wurde in Metaanalysen (systematische Übersichtsarbeiten) festgehalten.
Ib
Es gibt mindestens eine randomisierte, kontrollierte Studie.
II a
Es gibt mindestens eine kontrollierte Studie (ohne Randomisierung).
II b
Es gibt mindestens eine experimentelle Studie.
Evidenzbasierte Medizin =
beweisgestützte Medizin
III
Es gibt nicht-experimentelle, beschreibende (= deskriptive) Studien,
z. B. Vergleichsstudien ohne randomisierte Gruppenzuweisung
IV
Expertenmeinungen aufgrund klinischer Erfahrungswerte (Experten-Komitees)
Kritiker: EBM steht der individuellen
Behandlung des Einzelnen entgegen.
Studiendesigns nicht praxisnah.
I-IV
Hoher Evidenzgrad = Ia ; niediger Evidenzgrad = IV
Stöckli Hans Rudolf
*
**
Seite 12
kontrollierte Studie = Vergleich zweier Gruppen z.B. mit Medikament versus Placebo ohne Zufallszuteilung
randomisierte Studie = teilnehmende Patienten werden völlig zufällig einer Behandlungen zugeteilt.
Verblindung: weder Patient (noch Arzt) wissen z. B., ob der Proband Substanz a oder b erhalten hat.
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
Beweisgradbestimmung und evidenzbasierte Medizin
ƒ
die EBM ist v. a. ein Instrument zur rationalen Beurteilung von
therapeutischen Massnahmen
ƒ
Versicherungsmedizin hat schlechte Evidenzlage:
extrem wenige Studien Grad II, mehr Grad III, meistens Grad IV
(v. a. epidemiolog.Studien, Konsensuspapiere)
ƒ
Wissen basiert aber auch auf
ƒ von der Fachwelt allgemein anerkannten Erfahrungswerten
ƒ auf der persönlichen Erfahrung des Experten
Seite 13
Stöckli Hans Rudolf
Beweisgradbestimmung und evidenzbasierte Medizin
EBM-Kriterien für Gutachter:
natürliche und konkurrierenden Kausalitäten sind nach folgenden
Stufenkriterien einzuschätzen:
1. Beizug von wissensch. Literatur mit hohem Evidenzgrad (I–II),
soweit für den Fall notwendig und vorhanden.
2. Beizug von wissensch. Lit. mit niedrigem Evidenzgrad (III IV),
soweit für den Fall notwendig und vorhanden (meist epidemiolog.
Daten, Guidelines, offizielle Experten–Konsensuspapiere)
3. Expertenmeinungen (ohne Guideline- oder Konsensus-Wert)
4. eigener Erfahrungswert
Seite 14
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
C. Natürl. Kausalität bei psychischer Symptomen
C. Natürliche Kausalität bei psychischer Symptomen
Abschätzung der Kausalitätswahrscheinlichkeit nach 4 Kriterien*:
1. objektiver Schweregrad des schädigenden Ereignisses
2. überindividueller Schweregrad des subjektiven Erlebens:
Todesangst, Miterleben von Tod /Schädigung von Nahestehenden,
Ohnmachtserleben, schwere eingreifende psychosoziale Auswirkungen
3. individuell biographisch bedingte Schweregrad des subjektiven Erlebens bei
a. erhöhter unspezifischer Vulnerabilität in der Bewältigung auch von
geringeren Lebensbelastungen/ Ereignissen
b. bei erhöhter spezifischer Vulnerabilität in Bezug auf Ereignis (z.B.: durch
vorangegangene Traumatisierung)
4. Mögliche sekundäre Motive:
1. bewusstseinsferne Motive (nicht willentlich steuerbar)
2. bewusste / bewusstseinsnahe Motive (Aggravation, Simulation)
* Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin (DGPM): AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/022,
www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/index.html
Seite 15
Stöckli Hans Rudolf
Möglichkeiten bei psychischer Symptomatik:
1.
rein ereignisbedingte psychische Symptomatik
2.
vorbestehende psychische Erkrankung wird durch Ereignis verstärkt
(u. a. depressive Störung, Persönlichkeitsstörung, dissoziative Störung)
3.
vorbestehende schlummernde psychische Erkrankung wird durch das
Unfallereignis symptomatisch (affektive, schizophrene Psychose)
4.
ein Unfallereignis löst akute Belastungsreaktion, Anpassungsstörung,
posttraumatische Belastungsstörung aus
5.
labile soziale Situation führt zu psychischen Symptomen (reaktive depressive
Symptomatik bei finanziellen Sorgen, Zukunftsängsten)
6.
bewusstseinsnahe oder -ferne Begehrenshaltungen führen zu Verdeutlichung,
Aggravation oder gar zur Simulation
[1]
www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/index.html AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/022,
Seite 16
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
D. Wertigkeit der Neuropsychologie in der Kausalitätsbestimmung
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
D. Wertigkeit des funktionellen MRI in der Kausalitätsbestimmung
ƒ
Spezifität der neuropsychologischen Befunde viel zu niedrig, um eine
verlässliche ursächliche (ätiopathogenetische) Aussage zu machen 1/2
ƒ
ƒ
neuropsychologische Befunde müssen unter Berücksichtigung der
gesamten medizinischen Evidenz beurteilt werden und mit diesen in
widerspruchsfreiem Einklang stehen: Anamnese, initialer Gesundheitsschaden,
nach Durchsicht aller relevanten Publikationen zum Schluss gelangt:
Æ Methode hat notwendigen wissenschaftlichen Evidenzgrad noch nicht erreicht
klinisch-neurologische Befunde, Verlauf, ev. psychiatrische Begleitsymptomatik etc. 2/3
Æ derzeit für Routinediagnostik bei HWS-Beschleunigungstraumen noch nicht eignet.
EVG-Urteil vom 10.11.2004 (U 174/03), 9.8.2006 (U 273/06):
EVG-Urteil vom Aussagen der Neuropsychologie zur Unfallkausalität sind
«nur im Rahmen einer gesamthaften Beweiswürdigung bedeutsam, sofern sie
überprüf- und nachvollziehbar, mithin überzeugend sind und sich in die
anderen (interdisziplinären) Abklärungsergebnisse schlüssig einfügen».
ƒ
ƒ
ƒ
1.
2
3
ARMIN SCHNYDER ET AL., Beschwerdebild nach kraniozervikalem Beschleunigungstrauma. Bericht der Kommission «Whiplash-associated
Disorder» der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft. Schweizerische Ärztezeitung 2000;81;Nr.39: 2218–2220.
HANS RUDOLF STÖCKLI ET AL., (Oltener Konsensusgruppe): Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen in der chronischen Phase nach
kranozervikalem Beschleunigungstrauma (sog. Schleudertrauma) (ohne Commotio cerebri). Schweiz Med Forum 2005;5:1182–1187.
SUVA-Integritätsentschädigungstabelle 8
2007/2008 internat. Expertengruppe1
unter Mitarbeit der Schweiz. Neurolog. Gesellschaft:
BG 134 V 231 vom 26.5.2008 (8C_152/2007)
« .. Beweiswert des mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT;
fmri) erhobenen Befundes für die Beurteilung der Unfallkausalität von
Beschwerden nach HWS-Schleudertraumen und äquivalenten Unfallmechanismen
nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wird verneint ».
1. HANS CHR. DIENER, Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. aktualisierte
und erweiterte Auflage 2008, Thieme Verlag, 1000 S., 30 Abb., geb.ISBN: 9783131324146
oder http://www.dgn.org/images/stories/dgn/leitlinien/LL2008/ll08kap_076.pdf
EVG-Urteil vom 10.11.2004 U 174/03: 9.8.2006 (U 273/06):
Seite 17
Stöckli Hans Rudolf
Seite 18
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
E. Die Problematik der Aktenlage
E. Die Problematik der Aktenlage
Prozentsatz vollständig vorhandene Akten*
ƒ Experte ist auf eine vollständige Aktenlage angewiesen, andernfalls
Gefahr einer Fehlbeurteilung
ƒ zu Akten gehören:
ƒ alle relevanten medizinischen Akten in Zusammenhang mit Ereignis
ƒ alle klinischen Untersuchungsberichte
ƒ objektiven Untersuchungsresultate: Röntgenbilder, MRI, Labor, etc
ƒ frühere Gutachten inklusive IV-Gutachten
ƒ technischen Unfallakten (Polizeiberichte, unfallanalytische und
biomechanische Gutachten)
ƒ frühere medizinische Akten (für Beurteilung unfallfremder Faktoren)
ƒ ev. Schreiben der Parteien
ƒ Frühzeitakten resp. Echtzeitakten sehr wichtig für
ƒ Fragen nach der natürlichen Kausalität
ƒ Fragen nach konkurrierenden Kausalitäten (unfallfremde Faktoren)
Seite 19
Stöckli Hans Rudolf
100
* 15 ausgewertete Gutachten.
Zeit zwischen Ereignis
und Gutachtenauftrag
4.8 Jahre (Range 2.5 bis 8 Jahre)
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
unf all r el evant e
med iz ini sche
A kt en
r el evant e f r üher e
med iz ini sche
A kt en
Seite 20
R ö nt g enb i ld er
t echnische
U nf al lakt en
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
1. Bestimmung der
natü
natürlichen Kausalitä
Kausalität
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
A.Grundsätzliches
F. Die Zukunft der
Beweisgradbestimmung
die Beurteilung von
ƒ ereignisfremden, vorbestehenden, oder nach dem Ereignis erworbenen
Gesundheitsschäden,
ƒ ereignisfremden, vorbestehenden degenerativen Veränderungen oder
konstitutionellen Prädispositionen
Die Abgrenzung des ereignisbedingten Schadens vom konkurr.
Schaden erfordert
ƒ eine genaue Kenntnis der Spontanverläufe der
ƒ betreffenden konkurrierenden Gesundheitsstörungen
ƒ degenerativen Veränderungen od. konstitutionellen Prädispositionen
ƒ in nächsten Jahren Æ
neue diagnostische Verfahren zu erwarten
Æ z. B. zur Schmerzobjektivierung
ƒ Subjektive Beschwerden
Æ zumindest teilw. objektivierbar
Æ Evidenzlage Versicherungsmedizinn
Datenlagen zum Spontanverlauf von
konkurrierenden Schä
Schäden oft mangelhaft.
Jon-Kar Zubieta, MD, PhD, 2005
Seite 21
Par t eischr eib en
Stöckli Hans Rudolf
Seite 22
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
B.
Seite 23
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
1.
vorbestehenden Nacken- od. Rückenschmerzen
2.
vorbestehenden degenerativen Veränderungen
3.
psychische Vorerkrankungen
4.
mehreren Unfallereignissen
5.
vorbestehenden internistischen Krankheiten
6.
anlagebedingten Prädispositionen bei
Stöckli Hans Rudolf
1.
bei anlagebedingten Prädispositionen
ƒ
gesundheitsbedingte Schadensanfälligkeit (Veranlagung) des
menschlichen Organismus bzw. seine Neigung zu ungewöhnlichen
Reaktionen auf Schädigungen.
Anlagebedingte somatische wie psychische Prädispositionen können
Grund für einen verzögerten Heilverlauf sein.
ƒ
Beispiel Hyperlaxitätssyndrom:
angeborene Gelenks-Überbeweglichkeit: 10% der Bevölkerung
Æ erhöhte Veranlagung zu Gelenk- und Rückenschmerzen.
Æ kann aber auch lebenslänglich beschwerdefrei bleiben.
Æ kann mit unfallbedingtem Heilverlauf interferieren.
keine genügend verlässlichen epidemiolog. Daten über
Spontanverläufe, die versicherungsmedizin. genutzt werden könnten.
Seite 24
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
1.
bei anlagebedingten Prädispositionen
ƒ
Weitere Beispiele:
2. bei vorbestehenden Krankheiten
leichte psychische Störungen ohne (mit?) Krankheitswert:
ƒ leicht erhöhte Neigung zu depressiven Verstimmungen (Dysthymie)
ƒ leichte Persönlichkeitsstörung (Zwanghaftigkeit, Leistungsorientierung)
ƒ Æ keine genügend verlässlichen epidemiologischen Daten über
Spontanverläufe, die versicherungsmedizinisch genutzt werden könnten.
10 BGE 113 II 86… einfache, leichtere konstitutionelle Besonderheit (z.B. graziler Knochenbau od. Beleibtheit) ohne pathologisch-krankhaften Charakter
genügen nicht, um einen relevanten unfallfremden Faktor zu postulieren
Æ Beurteilung versicherungsrechtlich meist problemlos. Gilt auch für Fälle, in denen
erst Schadenereignis zusammen mit Prädisposition zum Gesundheitsschaden führt.
Bei konstitutionellen Prädispositionen von grenzwertigem od. leichtem
Krankheitswert sind quantitative Abgrenzung zwischen prädispositions- und
ereignisbedingtem Schaden aus medizinischer Sicht öfters schwierig…
Seite 25
Stöckli Hans Rudolf
Krankheiten interferieren nicht selten mit ereignisbedingtem Verlauf!
Beispiel Diabetiker:
bei vorbestehender schwerer Durchblutungsstörung mit «offenen Füssen»
Æ unfallbedingt Fussverletzung Æ komplikationsreicher Verlauf
Æ gestörte Wundheilung infolge diabetesbedingter Durchblutungsstörung
Æ sekundärer Wundinfekt wegen diabetesbedingt erhöhter Infektneigung
Æ infektbedingte Entgleisung des Diabetes etc.
Æ Teufelskreis Unfall versus Krankheit
Æ wo Anteil Krankheit, wo Anteil Unfall? wann Status quo sine erreicht?
dafür keine genügend evidenzbasierte epidemiologische Daten Æ
persönlicher Erfahrungswert wird entscheidende Rolle spielen.
Seite 26
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
epidemiolog. Studie 2006
n= 6000 zufällig Befragte*
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
3. bei vorbest. lumbalen Rückenschmerzen
3. Epidemiologie lumbale Rückenschmerzen (RüSz)
Alter
Tägliche
RückenSchmerzen
monatlich
mindestens
einmal
RückenSchmerzen
keine Rückenschmerzen
in letzen 12 Monaten
14- 19-Jährige
02 %
33 %
45 %
20 - 29-Jährige
03 %
42 %
33 %
30 - 39-Jährige
9%
36 %
32 %
40 - 49-Jährige
13 %
37 %
28 %
50 - 59-Jährige
23 %
38 %
24 %
60 + -Jährige
24 %
33 %
29 %
•http://www.starker-ruecken.com/bandscheibenblog/rueckenschmerzen-repraesentative-langzeitstudie-der-bkk
Seite 27
Stöckli Hans Rudolf
ƒ 1-Jahresprävalenz (Erkrankung pro Jahr in Bevölkerung) 40 – 70 %
ƒ AUF wegen RüSz innerhalb 1 Jahres
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
Seite 28
Stöckli Hans Rudolf
1.
2.
3.
4.
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
3. Epidemiologie Nackenschmerzen
4. Bedeutung degenerativer Wirbelsäulenveränderungen
ƒ 1-Jahresprävalenz (n=7648)
35
%
1
ƒ über 6 Monat (chronisch)
ƒ Prävalenz chron. Nackenschmerzen
ƒ Männer
ƒ Frauen
ƒ Lebensprävalenz für Nackenschmerzen
ƒ Punktprävalenz (innert 1 Woche vor Tag x)
14
19
16
22
67
44
%
%
%
%
%
%
1
27
33
%
%
ƒ davon bei Arbeit beeinträchtigte Männer
ƒ davon bei Arbeit beeinträchtigte Frauen
2
(Norwegen)
(Schweden)
2
2
3
(Kanada)
4
(England)
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
degenerative Wirbelsäulen-Veränderungen = unfallfremde Faktoren
sind meist normale Altersveränderungen
sind extrem häufig
korrelieren nur sehr beschränkt (nicht) mit Schmerzsyndromen
BOVIM G./SCHRADER H./SAND T., Neck pain in the general population. Spine 1994;19:1307–1309.
GUEZ M./ et al G., The prevalence of neck pain. A population-based study from northern Sweden. Acta Orthop Scand 2002; 73 (4): 455–459 455.
CÔTÉ D. et al.:The Saskatchewan Health and Back Pain Survey. The prevalence of neck pain. Spine 1998; 23:1689–1698.
WALKER-BONE et al.: The anatomical pattern and determinants of pain in the neck and upper limbs: an epidemiologic study. Pain 109 (2004) 45–51.
Seite 29
Stöckli Hans Rudolf
% (n= 3000) 3
[1] Nachemson A, Waddell G, et al.: Epidemiology of neck and low back pain. Ch. 8: Neck and Back Pain, The Scientific
Evidence of Causes, Diagnosis, and Treatment, Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia; 2000
[2] Jeanneret B, Frey D, et al.: Chronische Rückenschmerzen. Schweiz Med Wochenschr 128(18): 706–718; 1998
[3] Hilmann M, Wright A, Rajatnam G, et al: Prevalence of low back pain in the community-Implication for service
provision in Bradford. UK J Epidemiol Commun Health 50 (3): 347352; 1996
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
6.4
1,2
Seite 30
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
4. Epidemiologie degenerative Veränderungen Wirbelsäule
4. Bedeutung degenerativer Wirbelsäulenveränderungen
Häufigkeit von degenerativen Veränderungen
der Lendenw irbeläule im MRI
1
bei 67 beschw erdefreien Menschen15
93%
100%
79%
80%
60%
40%
20%
56%
59%
Degenerative Arthrosen
50%
36%
34%
21%
22%
20-30 Jahre
40-59 Jahre
Diskushernie
Diskusvorw ölbung
Ähnliche Studienresultate von Halswirbelsäule
In einem Kollektiv von 497 gesunden, beschwerdefreien Japanern1
ƒ degenerative HWS-Veränderungen
ƒ 20-jährige Frauen
12 %
ƒ 20-jährige Männer
17 %
ƒ 60-+ Jährige Frauen
86 %
ƒ 60-+ Jährige Männer
89 %
0%
1.
60-80 Jahre
1. Matsumoto M, et al.: MRI of cervical intervertebral discs in asymptomatic subjects. J Bone Joint
Surg Br. 1998 ;80(1):19-24)
Boden SD, Davis DO, et al.: J Bone Joint Surg Am. 1990;72:403-408
Seite 31
Stöckli Hans Rudolf
Seite 32
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
epidemiologische Daten für Bewertung von
konkurrierenden Kausalitäten sehr wichtig!
ƒ ist kaum statthaft, z. B. bei Explorand, der seit Unfallereignis neu
an chron. Nacken-Sz leidet, welche medizinisch plausibel sind, einen
relevanten unfallfremden Faktor anzunehmen,
ƒ wenn Nackenschmerzen zuvor nur selten und kurzfristig
ƒ dies in weitgehender Übereinstimmung mit den epidemiologisch
bekannten Nackenschmerz-Daten der gleichaltrigen
Durchschnittsbevölkerung
ƒ noch zu häufig bei geringen Vorbeschwerden hohe unfallfremde Fakt.
... unter Skotomisierung der epidemiologischen Daten
ƒ Umgekehrt sind Beschwerden, die über epidemiolog. Schnitt liegen,
als relevante konkurrierende Kausalitäten zu werten
Die Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten erfordert sowohl
Kenntnis der betreffenden epidemiol. Daten, aber auch genaue
Kenntnisse der Voranamnese vor dem zu beurteilenden Ereignis
Seite 33
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
Wichtige Bemerkung zu Kreuz- und Nackenschmerzen
ƒ Spontanverlauf der sporadischen (krankheitsbedingten)
Rückenschmerzen meist günstig
ƒ auch Verlauf von unfallbed. Rückenschmerzen meist günstig
ƒ allermeiste der ereignisgeschädigten Patienten erreichen
früher oder später Status quo ante oder quo sine.
Æ auf Grund der epidemiolog. Daten mit hoher Häufigkeit
von spontanen Rückenschmerzen muss die Latte für die
Annahme von unfallbedingt anhaltenden chronischen
Rückenschmerzen (lumbal oder zervikal) relativ hoch
angesetzt werden!
Seite 34
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
5. bei vorbestehenden psychischen Erkrankungen
6. bei mehreren Unfallereignissen
häufiger Grund für einen verzögerten Heilverlauf nach Unfallereignis
Zunehmend Gutachten mit Auftrag Kausalität mehrerer Ereignisse
zu beurteilen und gegeneinander abzugrenzen
• psychiatrische Vorerkrankungen aus dem depressiven Formenkreis
• vorbestehende Persönlichkeitsstörungen
• oft ähnliche oder sogar weitgehend identische Ereignisse (HWS!)
Ægemeinsame interdisziplinäre Beurteilung durch Somatiker und
Psychiater ist in diesen Fällen unerlässlich
• Vielfach liegen Vorunfälle, welche neben dem Hauptereignis zu bewerten
sind, Jahre zurück
ÆAbgrenzung zwischen direkten und indirekten Ereignisfolgen
(unfallbedingte Verschlechterung der psychiatrischen Erkrankung) und
dem Spontanverlauf der unfallfremden psychiatrischen Erkrankung ist
oft recht schwierig.
• Vorunfälle sind oft schlecht dokumentiert
Seite 35
Stöckli Hans Rudolf
Seite 36
Stöckli Hans Rudolf
Personen-Schaden-Forum 2009
2. Die konkurrierenden Kausalitä
Kausalitäten
Personen-Schaden-Forum 2009
3. Die Grenzen des med. Gutachters
Beurteilung der konkurrierenden Kausalitäten
Zunahme von Gutachten
6. bei mehreren Unfallereignissen
ƒ mit schwierigen Fragen zur Kausalität, v. a. mit schwierigen Fragen zur
Abgrenzung der ereignisbedingten Kausalität von konkurr. Kausalitäten
• sogenannte Brückensymptome von grosser Relevanz (persistierende
ereignisspezifische Restsymptome in Korrelation zum Einzelereignis).
ƒ mit Fragen zur Teil-AUF der einzelnen schwer abgrenzbaren Kausalitäten
ƒ mit schwierigen Detailfragen bei meist ungenügender Aktenlage
• Brückensymptome sind erfahrungsgemäss oft schlecht oder nicht
dokumentiert Æ Nachfragen bei früher oder aktuell behandelnden
Instanzen über gesundheitlichen Verlauf zwischen den Einzelereignissen
von ausschlaggebender Bedeutung.
• Dabei ist jedes Unfallereignis einzeln und in Korrelation zu den
Vorereignissen zu beurteilen, was insbesondere bei weitgehend
identischen Ereignissen mit weitgehend übereinstimmenden
Gesundheitsstörungen oft nicht oder nur annähernd möglich ist.
Seite 37
Stöckli Hans Rudolf
Seite 38
Personen-Schaden-Forum 2009
4. Probleme Kausalitä
Kausalitätsgutachten
Zusammenfassung
Probleme aus Sicht der
Gutachter
ƒ Abgrenzung Kausalität versus
konkurrierende Kausalitäten
KausalitätsBestimmung
Methode Dr. Darts
ƒ ungenügende epidemiol. Daten
ƒ oft ungenügende Aktenlage
ƒ Gutachten-Qualität oft ungenügend
Wünsche aus Sicht der
Gutachter
ƒ wenigere, aber klare Fragen
ƒ Fragen, die beantwortbar sind
ƒ vollständige Aktenlage
Seite 39
Stöckli Hans Rudolf
ungenügende
aktenmässige
Datenlage
wo Fakten fehlen
ungenügende
medizinische
Evidenz
ist Sache
der Justiz
Mutmassungen
ist nie Sache
des Gutachters
Stöckli Hans Rudolf
Herunterladen