AFOK Klimawandel in Berlin: Gewissheiten und Unsicherheiten von Carsten Walther und Dr. Matthias K. B. Lüdeke (PIK) Wer den anthropogenen Klimawandel in Berlin untersucht, kommt nicht umhin, den Blick zunächst auf die globalen Zusammenhänge zu richten. Dies beginnt mit der Verursachung: unabhängig, wo auf der Welt Kohle, Öl oder Gas verbrannt werden, verteilt sich das dabei notwendigerweise entstehende CO2 innerhalb eines Jahres über die gesamte Erdatmosphäre und bewirkt den zusätzlichen “Treibhauseffekt”. Das heißt, die Nutzung der Erdatmosphäre als globale Deponie für Kohlendioxid (z.B. 1.5 kg CO2 nach 10km Autofahrt) verändert deren Strahlungshaushalt, die Abgabe von langwelliger Wärmestrahlung wird erschwert und die untere Atmosphäre dadurch im Mittel erwärmt. In der Folge verändern sich die globalen Zirkulationsmuster, also die großräumigen Luftund Meeresströmungen, die zusammen mit dem lokalen Strahlungshaushalt das Klima an jedem Ort auf der Erde bestimmen. Auch wenn man sich in erster Linie für Berlin interessiert, braucht man belastbare Aussagen über die zu erwartende Änderungen im globalen Klimasystem. Diese werden mit globalen Klimamodellen (AOGCMs = atmosphärisch-ozeanische globale Zirkulationsmodelle ) gewonnen, die die komplexen räumlich-zeitlichen Wechselwirkungen aller wichtigen Klimavariablen berücksichtigen – wie etwa Luftdruckänderungen und Luftströmungen, damit verbundener Transport von Wasserdampf und Wärmeenergie, Verdunstung und Kondensation und viele mehr. Die komplexe Topographie der Erde (Land- Wasserverteilung, Gebirge etc) sowie die Notwendigkeit, viele Atmosphärenschichten zu berücksichtigen, macht solche Modelle extrem rechenintensiv, weshalb es überhaupt erst seit wenigen Jahrzehnten möglich ist, sie auf den modernsten Großcomputern zu betreiben. Es ist jedoch bis heute extrem aufwendig und teuer, sodass es derzeit weltweit nur wenige wissenschaftliche Institutionen gibt, die die notwendige Expertise und Computerkapazität besitzen (in Deutschland ist das z.B. das Klimarechenzentrum in Hamburg). Alle diese 20 AOGCMs folgen den gleichen physikalischen Grundgleichungen (Navier-Stokes, GasZustandsgleichungen etc.). Deren Anwendung auf die komplexe Topographie der Erde und die Beschreibung einiger komplizierterer Prozesse wie z.B. der Wolkenbildung läßt jedoch Spielraum in der Implementierung (Numerik, Parametrisierungen), was zu kleinen Unterschieden zwischen den Modellen führt. Es ist vom heutigen Standpunkt aus nicht zu entscheiden, welches dieser Modelle „das richtige“ ist, da sie einerseits alle im Großen und Ganzen die bisher beobachtete jüngere Klimaentwicklung richtig beschreiben, andererseits jedes Modell in unterschiedlichen Bereichen (bestimmten Klimavariablen oder Erdregionen) einige Schwächen aufweist, zumindest soweit dies aufgrund der begrenzten globalen Meßnetzdichte zu beurteilen ist. Unser gegenwärtig bestes Wissen über den globalen Klimawandel wird also durch dieses Ensemble von Modellen repräsentiert, nicht durch ein einzelnes, „bestes“ Modell. Geht man nun also von einem bestimmten Szenario der zukünftigen globalen CO2-Emissionen aus, um die daraus resultierende Erhöhung der globalen Jahresdurchschnittstemperatur zu bestimmen, dann wird man mit Resultaten der folgenden Form leben müssen: „ für das Ende des Jahrhunderts sagen zwei Drittel der Modelle eine Temperaturerhöhung zwischen 2,7° und 3,7°C voraus“. Das hat den Nachteil einer gewissen Sperrigkeit, entspricht aber im Grunde eher unserer Vorstellung von Vorhersagen zukünftiger Entwicklungen, die auch immer eine Einschätzung ihrer Sicherheit/Unsicherheit beinhalten müssen. Wer Entscheidungen trifft, handelt immer unter einer gewissen Unsicherheit. Im Falle der zukünftigen Klimaänderung lässt sie sich über die Häufigkeitsverteilung der Modelle sogar quantifizieren. Klimawandel in Berlin Die derzeitigen globalen Klimamodelle (AOGCMs) erlauben trotz ständigen Wachstums der Computerkapazitäten nach wie vor nur recht grobe räumlich Auflösungen (etwa 100km x 100km), die noch keine gesicherten Aussagen über eine Region wie Berlin zulassen. Die fortgeschrittenste Herangehensweise, dieses in der Fachwelt „Downscaling“ genannte Problem zu lösen, ist das Antreiben eines begrenzten, feiner aufgelöstes Regionalmodells (RM, Auflösung etwa 10km x 10km) mit den Resultaten des globalen Klimamodells (AOGCM). Damit wird sowohl der Änderung der großräumigen, globalen Zirkulation als auch den kleinräumigen topogrphischen Gegebenheiten (Gewässer, Gebirge etc) in der betrachteten Region Rechnung getragen. Zum Modellensemble der globalen Modelle (AOGCMs) treten nun für regionale Klimaprognosen auch noch die Regionalmodelle hinzu, von denen es ebenfalls einige mit leicht unterschiedlichen Eigenschaften gibt (die Gründe hierfür ähneln den für die AOGCMs genannten). Für die regionalisierte Projektion vergrößert sich also das zu betrachtende Modellensemble: jedes RM muss mit jedem AOGCMs kombiniert werden. Diese aufwendige Organisationsaufgabe wurde mit dem internationalen CORDEX – Projekt (COordinated Regional climate Downscaling EXperiment) begonnen, einem Teil des von WMO und UNESCO koordinierten World Climate Research Programme. Als eines von vielen Instituten trägt übrigens auch das PIK zu CORDEX bei. Im Rahmen von EURO-CORDEX liegen derzeit Resultate von 12 unterschiedlichen AOGCM-RM Modellkombinationen für unterschiedliche globale CO2-Emissionsszenarien vor. Die im Folgenden beschriebenen Klimaprojektionen für Berlin gehen von einem globalen Businessas-Usual-Emissionsszenario (RCP8.5) aus, also von der Annahme, dass sich die globalen CO2Emissionen so weiterentwickeln, wie in der Vergangenheit beobachtet. Dies beschreibt den ungünstigen (aber leider nicht auszuschließenden) Fall des Scheiterns der globalen Emissionsminderungsanstrengungen und damit die obere Grenze der zu erwartenden Klimaänderungen. Abbildung 1: Darstellung der projizierten Änderung der jährlichen Mitteltemperatur des Modellensembles samt Interpretationsmöglichkeiten Abbildung 1 zeigt am Beispiel der zu erwartenden Änderung der Jahresmitteltemperatur, welche Besonderheiten bei der Interpretation von Modellensemble-Projektionen zu beachten sind. Die zu erwartende Temperaturänderung ist auf der horizontalen Achse dargestellt. Die senkrechten, gestrichelten Linien zeigen die Einzelresultate des Modellensembles, deren Dichte von der darüberliegenden roten Kurve angezeigt wird. Sie gibt in etwa an, welcher Anteil der Modelle für die entsprechende Temperaturänderung „votiert“. Man sieht ein Maximum über 3,2°C und einen Bereich von 2,7 – 3,7°C, innerhalb dessen zwei Drittel der Modellresultate liegen. Es bleibt letztlich der Anwenderin überlassen, welche Eigenschaften dieser Kurve sie ihren Adaptationsentscheidungen zugrunde legt. Im unteren Teil der Abbildung schlagen wir eine Taxonomie der unterschiedlichen Orientierungen vor: Es reicht von der Hoffnung, das optimistischste Modell (d.h. das Modell mit der geringsten vorhergesagten Klimaänderung) möge das richtige sein („Spieler“), über die Orientierung an der Mehrheit der Modelle („ModellDemokrat“) bis zum „Risiko-Vermeider“, der sicherheitshalber annimmt, dass das pessimistischste Modell die Wirklichkeit beschreibt. Der „Hasardeur“ („es wird schon nichts passieren“) und der „Apokalyptiker“ („es kommt sowieso viel schlimmer, als alle denken“) beziehen ihre Zukunftseinschätzungen jeweils aus Bereichen jenseits wissenschaftlich begründbarer Projektionen. In AFOK halten wir es mit dem „Modell-Demokraten“, d.h. wir bevorzugen die Orientierung an der Zweidrittelmehrheit der Modelle. Im Fall, dass man anstelle der daraus resultierenden Spannbreite (2,7-3,7°C) unbedingt einen einzelnen Wert angeben möchte, schlagen wir die obere Grenze des 2/3-Bereichs (3,7°C) vor. Basierend auf unseren bisherigen Auswertungen können wir bereits einige Klimaprojektionsergebnisse für Berlin angeben. So sagen 2/3 der verfügbaren Klimamodelle eine Zunahme des Frühlingsniederschlags voraus: bis 2050 um 12-18%, bis 2100 um 18-26%. Während der Sommerniederschlag sich gegenüber heute kaum verändern dürfte, werden die Winter ebenfalls feuchter. Gleichzeitig wird es im Winter weniger Eistage geben (Tagesmaximaltemperatur unter 0°C, derzeit an durchschnittlich 20 Tagen im Jahr): bis 2050 werden sie sich um 33-60% verringern, bis 2100 um 77-88%. Es wird also aller Voraussicht nach mildere Winter mit weniger Eis und Schnee geben. Aber Vorsicht: In den letzten Jahren hat es immer wieder sehr kalte Winter gegeben – die Forschung vermutet derzeit, dass sich aufgrund des Klimawandels auch die Drucksysteme auf der Erde verändern, was immer wieder zu Polarlufteinbrüchen führt. Auch in Zukunft kann es den einen oder anderen sehr kalten Winter geben – im Schnitt aber wird es wärmer. Das Auftreten „heißer Tage“ (Tagesmaximaltemperatur über 30°C, derzeit an durchschnittlich 10 Tagen im Jahr) wird sich mit der allgemeinen Erwärmung verstärken: bis 2050 um den Faktor 1,6-2, bis 2100 um den Faktor 2,6-3,6. Im schlimmsten Fall müssten wir dann in Berlin mit 36 heißen Tagen im Jahr rechnen, nicht mehr nur mit 10. Diese Faktoren geben auch direkt die klimawandelbedingte Erhöhung der gegenwärtigen Schäden an, die durch solche Hitzetage entstehen (Krankenhauseinlieferungen, Verkehrsunfälle etc.) – falls keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergriffen werden (bessere Durchlüftung und Kühlung der Stadt, weniger Autoabgase etc.). Eine weiteres kritisches Wetterphänomen stellen Starkregenereignisse dar: der Straßenverkehr wird beeinträchtigt, die Klärwerke müssen wegen Überlastung Abwässer ungeklärt in die Spree ablassen etc. Hier sagen alle Modelle eine Zunahme von Starkregentagen voraus. Beispiel: Für derzeit einjährige Niederschlagsereignisse (also Ereignisse, die nur einmal pro Jahr vorkommen) ist ein Anstieg der Häufigkeit um 6-42% bis 2050 und 13-85% bis 2100 zu erwarten (siehe Abbildung 2). Auch hier liegt die Notwendigkeit von vorausschauenden Anpassungsmaßnahmen auf der Hand, z.B. bei der Planung und Bemessung von Stadtentwässerungsanlagen oder der Nutzung der Stadtoberfläche als temporärer Wasserspeicher („Schwammstadt“-Prinzip; vgl. Beitrag „Auswirkung des Klimawandels auf die Stadtentwicklung“). Abbildung 2: Darstellung der projizierten Änderung [%] der Häufigkeit einjähriger Starkregenereignisse (Dauer: 1 Tag) Die für das AFOK angewandte Methodik der Klimaszenarien-Berechnung sowie der Vulnerabilitätsabschätzung repräsentiert den derzeit neuesten Stand der (regionalen) Klimawirkungsforschung und wird auch vom Umweltbundesamt in seinen neuesten Publikationen empfohlen. Gefördert im Rahmen der Nationale Klimaschutzinitiative durch