Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Mo

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Katharina Walgenbach
Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Modelle und Perspektiven
Katharina Walgenbach
Abstract
This text asks for the theoretical perspective, which gives further clarification for the intersectional subject positions. The term “subject position” is
at the focus, as it might mediate between the dichotomy of confrontation
of subjects or identity. The text discusses three different models:
- The model of serial positions (Iris Marion Young)
- Poststructural perspective on subject positions (Dorthe Staunaes)
- Perspectives of cultural studies on subject positions (Stuart Hall)
The author especially finds further impulses within cultural studies to develop a theoretical model, which might grasp the term of subject positions
intersectionally.
In der aktuellen Diskussion über Intersektionalität wird mitunter eine Dichotomie zwischen ‚Identitäten‘ und ‚Strukturen‘ aufgemacht. Beispielsweise kritisieren Vertreter_innen gesellschaftstheoretischer Ansätze eine
Reduktion intersektionaler Analysen auf ‚Identitätspolitiken‘, die den
Blick auf gesellschaftliche Strukturen vernachlässigen würden. So kritisiert Gudrun-Axeli Knapp, dass sich insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum Studien zu Intersektionalität primär auf Diskriminierung und Identitätskonstruktionen konzentrieren.1
Auch nach Cornelia Klinger lässt sich in der Intersektionalitätsdebatte
der letzten zwanzig Jahre eine Tendenz ablesen, den Analysefokus auf Erfahrungen, Bewusstsein und Identitäten zu legen. Sie selbst sieht zwar eine Verbindung zwischen Erfahrung, Erleben und Handlungen von Subjekten und der Makroebene gesellschaftlicher Strukturierung, doch seien diese Dimensionen weder miteinander identisch noch würden sie einander
vollkommen widerspiegeln. Aus diesem Grund geht Klinger zwar eben-
1
KNAPP, Gudrun-Axeli (2008): Verhältnisbestimmungen. Geschlecht, Klasse,
Ethnizität in gesellschaftstheoretischer Perspektive, in: KLINGER, Cornelia /
KNAPP, Gudrun-Axeli, ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleichheit, Differenz,
Dampfboot Verlag, Münster, 141-142.
1
Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Modelle und Perspektiven
falls davon aus, dass ‚Subjektidentitäten‘ indefinit sind, die Anzahl gesellschaftlicher ‚Strukturkategorien‘ sei hingegen begrenzt.2
In diesem Beitrag möchte ich den Terminus Subjektposition in den Mittelpunkt stellen, der möglicherweise einer dichotomen Gegenüberstellung
der beiden Perspektiven entgehen könnte. Der Beitrag dokumentiert somit
den Suchprozess nach einem theoretischen Modell, welches subjektorientierte und strukturorientierte Perspektiven in dem Begriff intersektionale
Subjektposition zusammenführt. Ein solches Unterfangen ist in mehrfacher Hinsicht komplex: Es geht nicht allein um Verhältnisbestimmungen
zwischen Struktur und Subjekt, sondern auch um Wechselbeziehungen
zwischen unterschiedlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen, durch
die Subjekte positioniert werden.
Um sich diesem Ziel zu nähern, werden drei theoretische Modelle diskutiert, die den Terminus Subjektposition aus unterschiedlichen Perspektiven aufgreifen. Diese drei Modelle sind zwar nicht genuin aus der Debatte über Intersektionalität heraus entstanden, sie werden aber von verschiedenen Theoretiker_innen und Praktiker_innen produktiv gemacht, die sich
positiv auf das Paradigma Intersektionalität beziehen. Sie sind demnach
durchaus anschlussfähig an intersektionale Fragestellungen. Aufgrund seiner ambitionierten Zielsetzung ist dieser Beitrag notwendigerweise als
work in progress zu verstehen, welcher erste Überlegungen skizziert.3
2
3
2
KLINGER, Cornelia (2008): Überkreuzende Identitäten – Ineinandergreifende
Strukturen. Plädoyer für einen Kurswechsel in der Intersektionalitätsdebatte, in:
KLINGER, Cornelia / KNAPP, Gudrun-Axeli, ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleichheit, Differenz, Dampfboot Verlag, Münster, 38-31. Die Aussage, dass
Subjektidentitäten indefinit sind, rekurriert auf das Problem des ‚etcetera‘, welches in der Intersektionalitätsdebatte ausführlich diskutiert wird. Siehe dazu
bspw. WALGENBACH, Katharina (2007): Gender als interdependente Kategorie, in: WALGENBACH, Katharina / DIETZE, Gabriele / HORNSCHEIDT,
Antje / PALM, Kerstin: Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität, Budrich Verlag, Opladen,
42ff.
Ich danke Caroline Voithofer für ihre wertvollen Hinweise, wenn es um Beispiele aus der Praxis der Gesetzgebung und Rechtsprechung geht.
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1. Serielle Positionierungen (Iris Marion Young)
Das erste Modell, das hier diskutiert werden soll, ist Iris Marion Youngs
Konzept von ‚Geschlecht als serielle Kollektivität‘.4 Hier bezieht sich die
Autorin auf den Begriff der ‚serialisierten Positionierung‘ (serialized positioning). Gleichwohl Young nicht explizit auf das Paradigma Intersektionalität zurückgreift, lässt sich ihre Ausgangsfragestellung durchaus mit
dem historischen Entwicklungskontext von Intersectionality in Verbindung bringen.5 Denn Young stellt fest, dass jeder Versuch feministischer
Politik, die spezifischen Eigenschaften oder die Identität von Frauen zu
definieren, andere Frauen ausgeschlossen habe. Aber wie lassen sich ‚soziale Realitäten‘ bzw. Diskriminierung von Frauen kritisieren, wenn man
nicht mehr von ‚den Frauen‘ sprechen kann? Auf welcher theoretischen
Basis bleibt feministische Politik handlungsfähig? Für dieses Problem
sucht Young nach einem neuen begrifflichen Entwurf des gesellschaftlichen Kollektivs.6
In ihrer Definition von Geschlecht als serielle Kollektivität bezieht sich
Young auf Sartres Unterscheidung zwischen den Begriffen ‚Gruppe‘ und
‚Serie‘.7 Diese Differenzierung entwickelte Sartre ursprünglich im Hinblick auf die soziale Kategorie Klasse. Eine Gruppe ist nach Sartre durch
das gemeinsame Handeln in Bezug auf ein gemeinsames Ziel bzw. Projekt
verbunden. Eine Gruppe zeichnet sich demnach durch ein Gruppenbe-
4
5
6
7
YOUNG, Iris Marion (1994): Geschlecht als serielle Kollektivität: Frauen als soziales Kollektiv, in: Institut für Sozialforschung, Geschlechterverhältnisse und
Politik, suhrkamp, Frankfurt am Main, S.223-261.
Youngs Artikel ‘Gender as Seriality: Thinking about Women as a Social Collective’ erschien 1994 in der Zeitschrift Signs und wurde 1997 in ihrem Essayband
‚Intersecting Voices‘ wiederabgedruckt. YOUNG, Iris Marion (1997): Gender as
Seriality: Thinking about Women as a Social Collective, in: YOUNG, Iris Marion, Intersecting Voices: Dilemmas of Gender, Political Philosophy, and Policy,
Princeton University Press, Princeton NJ, 12-37. Der Titel des Essaybandes verspricht zwar einen Bezug auf Intersectionality, in den dort publizierten Artikeln
nimmt Young allerdings keinen expliziten Bezug darauf. Insofern ist Nina Lykke’s Zuordnung des Konzepts der seriellen Kollektivität als originären Beitrag
zur Debatte über Intersektionalität nicht präzise. LYKKE, Nina (2010): Feminist
Studies: a Guide to Intersectional Theory, Methodology and Writing, Routlegde,
New York.
Young (1994), 224.
SARTRE, Jean-Paul (1960): Critique de la raison dialectique (Précédé de Question de method). Tome I: Théorie des ensembles pratiques, Gallimard, Paris.
3
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wusstsein aus. Des Weiteren basiert eine Gruppe auf der gegenseitigen
Anerkennung ihrer Gruppenmitglieder. Serien hingegen sind:
»[…] soziale Kollektive, deren Mitglieder passiv durch die Objekte vereint werden, um die sich ihr Handeln strukturiert, und/oder durch die objektivierten Ergebnisse der materiellen Auswirkungen des Handelns der anderen«.8
In diesem Sinne können auch rechtliche Rahmenbedingungen zur Formierung einer Serie beitragen. Gruppen hingegen bilden sich außerhalb des
Rechts, sie werden höchstens durch rechtliche Vorgaben – wie bspw.
durch Versammlungsgesetze – reguliert.
Für die Unterscheidung zwischen Gruppe und Serie verweist Sartre
exemplarisch auf eine wartende Menschenmenge an einer Bushaltestelle.
Die Individuen warten zwar isoliert voneinander, sie sind als Serie allerdings miteinander verbunden durch den gemeinsamen Bus, die Verkehrsplanung, die Regeln zur Verkehrsteilnahme, Wetterbedingungen usw. Serien haben allerdings auch das latente Potenzial, Gruppen zu bilden. Etwa
wenn der Bus nicht kommt und man sich über die Busverbindungen beklagt, Schauergeschichten von Verspätungen erzählt oder gemeinsam ein
Taxi nimmt.9
Wichtig ist für Young des Weiteren Sartres Definition der oben genannte Objekte als ‚praktisch-inerte‘ Objekte. Mit ‚praktisch‘ meint Sartre,
dass gesellschaftliche Objekte Resultate menschlicher Handlungen sind.
‚Inert‘ bedeutet hingegen, dass materielle Objekte auch Einschränkungen
und Widerstände konstituieren. Als Beispiel verweist Young auf die bauliche Umgebung: Straßen und Gebäude als Produkte menschlicher Handlungen sind inert, denn ihre materiellen Eigenschaften ermöglichen und
beschränken viele Aspekte des Handelns von Individuen.10 Young macht
somit deutlich, dass die Mitgliedschaft in einem seriellen Kollektiv auch
die Möglichkeiten und Grenzen eigener Handlungen moduliert.
Nach Young erlaubt nun die Unterscheidung zwischen Gruppe und Serie, Frauen als ‚serielles Kollektiv‘ zu identifizieren, ohne ihnen gemeinsame Eigenschaften oder Identitäten zuschreiben zu müssen. Sie sind
vielmehr durch ihre strukturelle Beziehung zu materiellen Objekten miteinander verbunden. Für die Kategorie Geschlecht benennt Young dabei
folgende praktisch-inerte Realitäten:
8
9
10
4
Young (1994), 240.
Ibid, 241.
Ibid, 242.
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1) Den weiblichen Körper, den sie als regelgebundenen Körper definiert, in dem vergangene Praktiken eingeschrieben sind (bspw. Tabuisierung sexueller Kontakte während der Menstruation).
2) Die Struktur der institutionalisierten Heterosexualität, welche Frauen
als Objekte männlichen Tausches und männlicher Aneignung serialisieren.
3) Die verbalen und visuellen Repräsentationen von Frauen, die soziale
Bedeutungen von Geschlecht produzieren sowie das Handeln und die Interpretationen des Handelns durch andere bestimmen.
4) Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, welche die praktischinerten Objekte strukturieren. Wobei der Inhalt dieser Arbeitsteilung historisch, kulturell und sozial variiert.11
Diese praktisch-inerten Realitäten strukturieren demnach soziale Realitäten von Frauen. Selbstverständlich modulieren diese vier Dimensionen
auch die sozialen Realitäten der ‚Serie‘ Männer, allerdings geht es Young
vornehmlich um die Bestimmung von Diskriminierung bzw. Unterdrückung von Frauen. Deren kontextbedingten Varianten sind dabei auch
durch das Recht geprägt. Beispielsweise durch rechtliche Bestimmungen,
die von einem männlichen Ernährermodell ausgehen (Unterhaltsrecht,
Ehegattensplitting, Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit etc.) oder in der
differenten rechtlichen Behandlung von heterosexuellen Ehen und homosexuellen ‚Lebenspartnerschaften‘.
Wie Frauen mit diesen praktisch-inerten Strukturen umgehen und sich
zu ihnen verhalten, ist nach Young allerdings variabel: In Bezug auf die
institutionalisierte Heterosexualität können Frauen zum Beispiel die weiblichen Normen internalisieren, sexuelle Interaktionen ganz vermeiden oder
andere Frauen lieben.
Interessant an Youngs Modell eines seriellen Kollektivs ist meines Erachtens, dass sie ein strukturelles Verständnis von Subjektpositionen offeriert. Denn die soziale Positionierung von Individuen führt sie auf‚ materielle Strukturen‘ zurück. Der von Young verwendete Begriff der ‚serialisierten Positionierung‘ lässt sich zudem durchaus mit intersektionalen Perspektiven in Verbindung bringen,12 gleichwohl Youngs Ausführungen da11
12
Ibid., 247-249.
Lykke (2010), siehe auch KASCHUBA, Gerrit (2009): »Gender – all inclusive?«
– Zur Bedeutung von Intersektionalität für Gender-Qualifizierungen, in:
DERICHS-KUNSTMANN, Karin / KASCHUBA, Gerrit / LANGE, Ralf /
SCHNIER, Victoria, Gender-Kompetenz für die Bildungsarbeit. Konzepte – Erfahrungen – Analysen – Konsequenzen, Verlag Forschungsinstitut Arbeit, Bildung, Partizipation, Recklinghausen.
5
Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Modelle und Perspektiven
zu leider theoretisch nicht sehr elaboriert sind. Die Autorin selbst weist
aber darauf hin, dass auch Class, Race und Nation sich als serielle Kollektive bzw. kollektive Strukturen begreifen lassen.13
In ihrer jeweiligen Definition der praktisch-inerten Realitäten von Gender und Race gibt es jedoch wenige Hinweise, wie die materiellen Strukturen im intersektionalen Sinne zusammengedacht werden können. Der
Hinweis auf eine sich »überlappende Gruppe von Strukturen und Objekten«14 bleibt im Wesentlichen theoretisch unausgearbeitet. Insofern ist die
Kritik an einer universalen Definition der Kategorie ‚Frau‘ zwar der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, allerdings werden die praktisch-inerten
Realitäten von Frauen in der Tendenz wieder universal definiert. Da hilft
meines Erachtens auch kein Hinweis, dass geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen historisch, sozial und kulturell variabel sind. Hier fehlt ein theoretisch fundiertes Verständnis, wie sich die praktisch-inerten Realitäten
von Geschlecht, Ethnizität und Klasse gegenseitig konstituieren.
Allerdings kann Young erklären, warum es sehr variabel sein kann,
wann und ob ein Individuum seinen seriellen Zugehörigkeiten (hier im
Plural) Bedeutung beimisst. Dies kann sich zudem je nach Kontext ändern. Serielle Strukturen definieren niemals notwendig die individuelle
Identität und auch nicht ein etwaiges Set von Eigenschaften. Meines Erachtens ist Youngs Modell der ‚serialisierten Positionierung‘ interessant,
da es durch das Absehen von Eigenschaftszuschreibungen vermeidet, auf
Essentialisierungen von sozialen Kollektiven zurückzugreifen. Des Weiteren lassen sich Subjektpositionen mit Young als Effekte von Strukturen
bzw. Herrschaftsverhältnissen begreifen. Young erlaubt es uns also, den
Begriff ‚strukturelle Subjektpositionen‘ weiterzudenken.
2. Poststrukturalistische Perspektiven auf Subjektpositionen (Dorthe
Staunaes)
Exemplarisch für eine poststrukturalistische bzw. sozialkonstruktivistische
Perspektive auf Subjektpositionen soll im Folgenden ein international häufig zitierter Artikel von Dorthe Staunaes aufgegriffen werden. Der Artikel
trägt den aussagekräftigen Titel: »Where Have All the Subjects Gone?«.15
13
14
15
6
Young (1994), 251f.
Ibid., 247.
STAUNAES, Dorthe (2003): Where Have All the Subjects Gone? Bringing Together the Concept of Intersectionality and Subjectivication., NORA 2, 101-110.
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Staunaes wendet sich hier explizit gegen strukturelle Ansätze von Intersektionalität, die aus ihrer Sicht ein eher deterministisches bzw. ideologisch aufgeladenes Verständnis von Subjekten bzw. Subjektpositionen haben. Exemplarisch dafür führt sie etwa Patricia Hill Collins Konzept der
»matrix of domination« an. Nach Staunaes können solche strukturellen
Perspektiven auf Unterdrückungssysteme die Prozesse der Ambiguität,
Verschiebungen, sowie Subversion auf der subjektiven Ebene nicht mehr
erfassen. Ihr geht es deshalb um eine Verschiebung des Fokus von ‚Identitätspolitik‘ zu ‚gelebter Erfahrung‘ (lived experience).16
Staunaes fragt aus einer sozialpsychologischen Perspektive, ob Subjekte wirklich immer nur Opfer von ‚Master-Identitäten‘ sind. In Anlehnung
an Foucault – sowie an sozialkonstruktivistische Ansätze in der Psychologie – definiert sie den Begriff ‚Subjektposition‘ als Effekt von Diskursen
und Praktiken:
»There are discourses that provide different possibilities of interacting and positioning and establish certain subject positions. The concept of subject positions
(Davis and Harré 1990) covers the positions people take up and make their own.
The act of positioning works in both verbal and non-verbal ways. It is an ongoing
process and its elaboration depends on actual comprehensible discourses, practices
and distributions of power, as well as the composition of actors.«17
Subjektpositionen sind demnach das Ergebnis von sozialen und diskursiven Praktiken, die wiederum in Machtverhältnisse eingebunden sind.18
Folglich gehen poststrukturalistische Ansätze keineswegs davon aus, dass
Subjekte alle Freiheiten der Welt haben, sich selbst zu definieren bzw. zu
positionieren. Vielmehr kanalisieren Diskurse auch, was gedacht und gesagt werden kann.19 Nach Staunaes kann eine poststrukturalistische Perspektive zudem die Momente in den Blick nehmen, in denen Subjektpositionen schwierig oder unangemessen werden. Beispielsweise wenn sie
16
17
18
19
Ibid., 102-103.
Ibid., 103-104, Hervorh. die Verfasserin.
Terminologisch manifestiert sich in dem obigen Zitat allerdings auch, dass Staunaes sich nicht stringent an Foucaults Begriffen hält, sondern mit sozialpsychologischen Theorie-Elementen vermischt. In einem unpräzisen Sinne eklektizistisch
wird diese Theorie-Mixtur dort, wo von konkreten Akteuren von Diskursen ausgegangen wird. Denn dies entspricht einer Perspektive auf die Produktion von
Diskursen, die Foucault gerade kritisiert.
FOUCAULT, Michel (1996): Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des
Wahns im Zeitalter der Vernunft, suhrkamp, Frankfurt am Main, 8.
7
Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Modelle und Perspektiven
Normalitäten in alltäglichen Interaktionen herausfordern. Diese Subjektpositionen bezeichnet Staunaes als troubled subject position.20
Im Gegensatz zu Young bezieht sich Staunaes explizit auf das Paradigma Intersektionalität. Entsprechend ihrem theoretischen Ansatz favorisiert Staunaes eine intersektionale Perspektive, welche die Herstellungsprozesse von sozialen Kategorien in konkreten Situationen untersucht. Da
die Autorin von ‚gelebten Erfahrungen‘ ausgehen möchte, bringt sie den
Ansatz Doing Intersectionality mit dem Begriff Subjektposition in Verbindung21:
»I will suggest bringing to the foreground the doing of intersectionality. This
means the doing of the relation between categories, the outcome of this doing and
how this doing results in either troubled or untroubled subject positions (…). I will
further suggest examining the details of how the concrete doings and intermingling of categories work in a specific context and where and how these doings result in troubled subject positions and where they do not.«22
Mit ihrem Fokus auf die Herstellungsweisen von sozialen Kategorien bzw.
Subjektpositionen im Prozess des Doing Intersectionality geht es Staunaes
weniger um Makro-Strukturen, sondern um die Analyse konkreter Situationen. Die Stärken ihres Ansatzes liegen aus meiner Sicht in dem Fokus
auf die Veränderbarkeit und Widersprüchlichkeit von Subjektpositionen
auf der subjektiven Ebene. Poststrukturalistische bzw. sozialkonstruktivistische Perspektiven vermögen demnach aufzuzeigen, wie Subjekte in alltäglichen Praktiken um Prozesse des Meaning-Making ringen.23
Allerdings ist Staunaes Perspektive auch begrenzt, da sie die strukturelle Dimension von Subjektpositionen vernachlässigt. Dieser Kritikpunkt
wird besonders deutlich, sobald man die Kategorie Klasse fokussiert. Sicherlich finden sich auch auf der subjektiven Ebene des Doing Intersectionality Kämpfe um Zuschreibungen bezogen auf Klasse, die sich mit
Staunaes Ansatz gut nachzeichnen lassen. Ein Beispiel dafür wären pejorative Äußerungen, die Kemper et al. als ‚Klassismus‘ ausweisen.24 Doch
20
21
22
23
24
8
Staunaes (2003), 104.
Erneut zeigt sich ein gewisser Eklektizimus, da Staunaes nun Butlers performativitätsheoretische Analysen mit Zimmermann/Wests ethnomethodologischen Ansatz des Doing Gender in Verbindung bringt. Siehe Staunaes (2003),104.
Ibid., 105.
Ibid., 103.
KEMPER, Andreas / KAUFMANN, Dieter / WEINBACH, Heike (2009): Klassismus. Eine Einführung, Unrast, Münster. Zum Begriff der Pejorisierung siehe
auch: HORNSCHEIDT, Lann (Hg.) (2011): Schimpfwörter – Beschimpfungen –
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wird die Kategorie ‚Klasse‘ wirklich primär bzw. allein in alltäglichen Interaktionen konstituiert? Sind interaktive Aushandlungsprozesse wirklich
der Ort, von dem aus klassenspezifische Subjektpositionen gebildet werden? Was ist mit Faktoren wie Einkommen, Berufspositionen, Zugänge
zum Arbeitsmarkt, geschlechterdifferente und internationale Formen der
Arbeitsteilung?
Im Gegensatz zu Young vermag Staunaes mit ihrer subjektorientierten
Perspektive zwar die Widersprüchlichkeit von Subjektpositionierungen zu
fassen, allerdings lediglich auf der Ebene der Praktiken bzw. Interaktionen. Durch ihren theoretischen Bezug auf Foucault liegt der Schwerpunkt
der Analyse zudem weniger auf ökonomischen Lebenslagen, sondern eher
auf Prozessen der Normalisierung und Disziplinierung von Subjekten.
3. Zwischenresümee
Als Zwischenresümee lässt sich festhalten, dass sich Youngs Modell der
seriellen Positionierung dafür eignet, ein Verständnis der strukturellen
Dimensionen von intersektionalen Subjektpositionen zu entwickeln. Darüber hinaus weist Young darauf hin, dass sich aus der serialisierten Positionierung noch keine Selbstpositionierungen ableiten lassen. Staunaes hingegen weist auf die Widersprüche, Ambiguitäten und Veränderbarkeiten
von Subjektpositionen hin. Von ihrer Perspektive lässt sich lernen, dass
intersektionale Subjektpositionen in alltäglichen Praktiken auch verhandelt werden. Ihr Schwerpunkt liegt demnach auf der Analyse von Prozessen der Fremdpositionierung und Selbstpositionierung.
Beide Autorinnen verweisen auf einen wichtigen Aspekt von Subjektpositionen: sie sind auch das Ergebnis von Prozessen der Positionierung.
Dies manifestiert sich in prozessorientierten Termini wie serialisierten Positionierungen oder Selbstpositionierungen. Diese prozessorientierte Perspektive sollte m.E. in die Entwicklung eines Verständnisses von intersektionalen Subjektpositionen einfließen. Allerdings erscheint die dichotome
Gegenüberstellung zwischen Subjekt und Struktur bei beiden Autorinnen
nicht aufgehoben.
In der Gesamtschau der beiden theoretischen Modelle kristallisieren
sich unterschiedliche Facetten des Terminus ‚Subjektpositionen‘ heraus,
Pejorisierungen. Wie in Sprache Macht und Identitäten verhandelt werden, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main.
9
Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Modelle und Perspektiven
die bei der Entwicklung eines integrativen Modells, welches Subjekt und
Struktur verbindet, berücksichtigt werden müssten.
Potenziale für ein integratives Modell, welches alle drei Facetten von
Subjektpositionen verbindet, sehe ich in den Cultural Studies. Im Folgenden sollen deshalb einige theoretische Impulse von Stuart Hall aufgegriffen werden, welche meines Erachtens für die Entwicklung eines Modells
intersektionaler Subjektpositionen weiterführend sind.
4. Perspektiven der Cultural Studies auf Subjektpositionen (Stuart Hall)
Ziel der Cultural Studies ist die kritische Analyse kultureller Formen,
Praktiken und Prozesse, die stets im Kontext gesellschaftlicher Machtverhältnisse analysiert werden. Zentral interessieren sich die Cultural Studies
dabei für die Wechselbeziehungen zwischen Kultur, Macht und Identität.25
Als wichtiges intellektuelles Zentrum fungierte viele Jahrzehnte das 1964
gegründete Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham. Stuart Hall leitete das CCCS von 1968-1979 als Direktor.
25
10
MARCHART, Oliver (2008): Cultural Studies, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz, 33ff.
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Gegen eine eindimensionale Betrachtungsweise, die Kultur lediglich als
Widerspiegelung ökonomischer Strukturen begreift, führen die Vertreter_innen der Cultural Studies Autoren wie Althusser oder Gramsci an, die
von einem komplexeren Verhältnis zwischen Ökonomie und Kultur ausgehen. Nach Grossberg geht es den Cultural Studies nicht allein darum,
kulturelle Formen in ihren lokalen bzw. historischen Kontexten zu verorten, sondern die Kontexte selbst als Ergebnis von kulturellen Praktiken
und Identitäten zu begreifen.26 Struktur und Subjekt werden demnach von
den Cultural Studies in ihren Wechselbeziehungen analysiert.
Stuart Hall interessiert sich für Subjektpositionen vor allem unter Bezugnahme auf den Begriff der kulturellen Identität. Charakteristisch für
seinen Ansatz ist folgendes Zitat:
»Identitäten [sind] die Namen, die wir den unterschiedlichen Verhältnissen geben,
durch die wir positioniert sind, und durch die wir uns selbst anhand von Erzählungen über die Vergangenheit positionieren.«27
Halls Verständnis von Subjektpositionen bzw. Identität ist inspiriert von
einer Vielzahl theoretischer Ansätze, wie Derrida, Lacleau, Marx,
Foucault, Lacan etc.28 Wenn Hall Subjekte in unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen positioniert sieht, dann geht es ihm zunächst
um die These, dass Subjektpositionen ökonomisch, historisch, sozial, politisch und kulturell hergestellt werden. In diesem Sinne gehört zu Stuart
Halls Verständnis von Subjektpositionen nicht allein eine kulturelle, sondern auch eine historisch-ökonomische Komponente.
Darüber hinaus berücksichtigt Hall sowohl passive als auch aktive
Momente bei seiner theoretischen Konzeption der Positionierung von Subjekten. Für die theoretische Bestimmung des passiven Moments, beruft
sich Hall auf Althussers Begriff der Interpellation oder Anrufung. Als Autor, der häufig autobiographisch argumentiert, berichtet Hall bspw., wie er
Ende der 1960er Jahre in Großbritannien als ‚Schwarzer Intellektueller‘
bezeichnet wurde und sich schließlich auch selbst so verstand.29 Das Sub26
27
28
29
GROSSBERG, Lawrence (1999): Was sind Cultural Studies?, in: HÖRNING
Karl H. / WINTER, Rainer: Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, suhrkamp, Frankfurt am Main, 43-83.
HALL, Stuart (1994): Rassismus und kulturelle Identität, Argument, Hamburg,
29.
SUPIK, Linda (2005): Dezentrierte Positionierung. Stuart Halls Konzept der
Identitätspolitiken, Transcript, Bielefeld.
HALL, Stuart (1993): Man met fiets, in: RAMADAS Anil: In mijn vaders huis,
Appiah, Amsterdam. zitiert nach Supik 2005.
11
Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Modelle und Perspektiven
jekt ist demnach nicht vorgängig, sondern wird durch den Akt der Anrufung erst hervorgebracht.
Aber – und dies ist ein zentraler Punkt bei Halls theoretischem Ansatz –
Subjekte nehmen diese Anrufungen an oder widersetzen sich diesen bzw.
entwickeln ihre eigenen politischen Identitätsstrategien, um mit ihnen umzugehen. Hier wird deutlich, dass Identität auch mit identifizieren zu tun
hat. Das Subjekt muss in seine Subjektpositionierungen auch investieren.
Als Beispiel für eine widerständige Subjektposition führt Hall die positive
Besetzung des Begriffs ‚Schwarz‘ an.30 Slogans wie Black Power oder
Black is Beautiful stehen hier für die politische Aneignung von Begriffen,
die in der Geschichte der Sklaverei und des Rassismus negativ konnotiert
waren. Durch die politische Aneignung wird ‚Schwarz‘ zum Ausdruck einer selbstbewussten Schwarzen Community. In diesem Verständnis ist
Identität sowohl das Produkt von Prozessen als auch von widerständigen
Praktiken:
»In diesem Kampf vollzieht sich eine Veränderung im Bewusstsein, in der
Selbstwahrnehmung, ein neuer Prozess der Identifikation, das Hervortreten eines
neuen Subjekts ins Sichtbare. Ein Subjekt, das immer vorhanden, aber, historisch,
im Entstehen begriffen war.«31
Widerständige Praktiken sieht Hall darüber hinaus in der Hinterfragung
‚normaler Identitäten‘, durch die das ethnisch-nationale Selbstverständnis
der Briten diversifiziert wird.32 Diese Beispiele demonstrieren, dass Halls
Interesse an Subjektpositionen vor allem ein politisches ist. Er verweist
somit darauf, dass durch Identitätspolitiken neue Subjektpositionen entstehen können bzw. erkämpft werden.
Für die Frage, wie Subjektpositionierungen in einer intersektionalen
Perspektive gedacht werden können, bietet Hall zwei theoretische Impulse. Erstens geht Hall mit seinem Begriff der ‚Modalität‘ davon aus, dass
soziale Kategorien bzw. Machtverhältnisse konstitutiv aufeinander verwiesen sind. Dies wird am folgenden Zitat deutlich:
»‚Rasse‘ ist also die Modalität, in der Klasse ‚gelebt‘ wird, das Medium, in dem
Klassenverhältnisse erfahren werden, die Form, in der sie angeeignet und ‚durchkämpft‘ werden.«33
30
31
32
33
12
Hall (1994), 79ff.
Ibid., 80.
Ibid., 204-208.
Ibid., 133.
Katharina Walgenbach
Diese Aussage ließe sich auch auf Geschlecht, Sexualität oder Behinderung übertragen. Für intersektionale Analysen ist der Begriff der Modalität
produktiv, da soziale Kategorien als untrennbar miteinander verbunden
konzeptualisiert werden. Der Nachteil liegt allerdings darin, dass lediglich
zwei soziale Kategorien bzw. Machtverhältnisse miteinander verkoppelt
werden. Es ergeben sich demnach vergleichbare Probleme wie bei den
Begriffen ‚racialized gender‘34 oder ‚KlasseGeschlecht‘.35 Solche begrifflichen Innovationen gehen zwar nicht mehr von distinkten Kategorien aus,
sondern bleiben auf Zweierkombinationen reduziert.36 Allerdings ließe
sich Halls Zugang eventuell abwandeln, indem man davon ausgeht, dass
Intersektionalität die Modalität ist, in der Klasse (oder jede andere Form
sozialer Ungleichheit) gelebt wird. Die hier angeführten Potenziale und
Schwierigkeiten eines solchen Zugangs bedürfen allerdings weiterer Diskussionen.
Zweitens offeriert Hall mit dem Begriff der Artikulation Anschlussperspektiven für intersektionale Analysen. Hall definiert den Begriff der Artikulation in einem Interview folgendermaßen:
»In England hat das Wort eine schöne Doppelbedeutung, weil ‚artikulieren‘ sprechen bedeutet, zum Ausdruck bringen, artikuliert sein. Es hat die Bedeutung von
ausdrücken, Sprache formen. Aber wir sprechen auch von einem verkoppelten (articulated) Lastwagen: Ein Lastwagen, bei dem das Führerhaus mit dem Anhänger
verkoppelt sein kann, aber nicht muss. Die beiden Teile sind miteinander verbunden, aber durch eine bestimmte Art der Verkoppelung, die gelöst werden kann.
Eine Artikulation ist demzufolge eine Verknüpfungsform, die unter bestimmten
Umständen aus zwei verschiedenen Elementen eine Einheit herstellen kann. Es ist
eine Verbindung, die nicht für alle Zeiten notwendig, determiniert, absolut oder
wesentlich ist.«37
Mit dieser Definition vermeidet Hall in seinem Konzept der Artikulation
jede totalitäre bzw. absolute Schließung. Gleichzeitig öffnet er einen theoretischen Raum, in dem auch neue Subjektpositionen entstehen können.
Wichtig ist allerdings, dass Hall dabei Einschränkungen vornimmt und betont, dass nicht alles mit allem artikulierbar ist. Die Wahl der Positionie-
34
35
36
37
TATE, Shirly Ann (2005): Black Skin Black Masks. Hybridity Dialogism Performativity, Ashgate, Aldershot, 31ff.
FRERICHS, Petra (1997): Klasse und Geschlecht, Bd.1. Arbeit, Macht, Anerkennung, Interessen, Leske + Budrich, Opladen 1997, 60.
Walgenbach (2007), 47.
HALL, Stuart (2000a): Postmoderne und Artikulation, in: HALL, Stuart: Cultural
Studies. Ein politisches Theorieprojekt. Argument, Hamburg, 65.
13
Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Modelle und Perspektiven
rungsoptionen ist nach Hall immer auch eingeschränkt durch historische
und kulturelle Bedingungen.38
Für die Intersektionalitätsforschung bedeutet dies, dass soziale Kategorien bzw. Machtverhältnisse nicht in jeder Situation bzw. historischen
Konstellation miteinander artikuliert sein müssen. Für die Konzeption intersektionaler Subjektpositionen wäre Halls Perspektive allerdings zu erweitern, da er mit seiner Metapher des verkoppelten Lastwagens lediglich
zwei verschiedene Elemente verknüpft.
Anwendung findet Halls Konzept der Artikulation nun auf unterschiedlichen Ebenen. Hier einige Beispiele, die m.E. für die Intersektionalitätsforschung relevant sind:
 Die Artikulation von Produktionsweisen. Zum Beispiel die Verknüpfung eines rassistischen Systems unfreier Sklavenarbeit mit einer kapitalistischen Produktionsweise, die auf ‚freier Arbeit‘ basiert.39
 Die Artikulation zwischen Subjekten und diskursiven Formationen.
Hier bringt Hall gegen Foucault in Stellung, dass Subjekte sich niemals passgenau in diskursive Formationen einfügen.40
 Die Artikulation zwischen Signifikanten (z.B. Schwarz, weiblich, behindert).
Intersektionalität als Analyseperspektive steht aus meiner Sicht quer zu
diesen drei Ebenen. Um Halls Artikulationstheorie für die Intersektionalitätsforschung produktiv zu machen, wäre allerdings weiterführende Theoriearbeit notwendig. Diese Feststellung beginnt bereits bei der Tatsache,
dass Stuart Hall selbst einräumt, er habe seine Artikulationstheorie eher
durch Anwendungen auf spezifische Problemfelder entwickelt, womit eine
differenzierte Theoriearbeit noch ausstehen würde.41 Erste Ansätze, welche sich um eine produktive Verbindung von Intersektionalität und Artikulationstheorie bemühen, sind bereits vorhanden.42
38
39
40
41
42
14
Siehe dazu auch Supik (2005), 112.
Hall (1994), 108ff.
HALL, Stuart (1996): Who needs Identity?, in: HALL, Stuart / DU GAY, Paul,
Questions of Cultural Identity, Sage, London, 3 u.14.
HALL, Stuart (2000b): Struggle over Identifications. Interview with Stuart Hall,
verfügbar unter: http://www.uta.fi/viesverk/johdviest/Hallengl.html, ohne Seitenzahlen.
Zum Beispiel: SPIESS, Tina (2010): Migration und Männlichkeit. Biographien
junger Straffälliger im Diskurs, transcript Verlag, Bielefeld; LUTZ, Helma /
SCHWALGIN, Susanne (2006): Globalisierte Biographien: Das Beispiel einer
Haushaltsarbeiterin, in: BUKOW, Wolf-Dietrich / OTTERSBACH, Markus /
TUIDER Elisabeth / YILDIZ, Erol: Biographische Konstruktionen im multikul-
Katharina Walgenbach
4. Fazit
Ziel meines Beitrags war es, einen Suchprozess zu dokumentieren, der auf
die Entwicklung eines theoretischen Modells intersektionaler Subjektpositionen abzielt. Der Begriff der Subjektposition wurde dabei als mögliches
Bindeglied identifiziert, wenn es um die dichotome Gegenüberstellung
von Subjekt bzw. Identität und Struktur geht. Für das Erkenntnisinteresse
dieses Beitrags offerierten die drei diskutierten theoretischen Modelle unterschiedliche Impulse.
Youngs Modell der seriellen Positionierung hat aufgezeigt, dass die
strukturelle Positionierung von Subjekten in materiellen Strukturen nicht
bedeutet, dass Subjekte auch entsprechende Identitäten für sich beanspruchen. Zum Beispiel bedeutet die strukturelle Einbindung von Frauen in einer Geschlechterordnung nicht zwangsläufig, dass diese sich als ‚Frauen‘
oder ‚Feministinnen‘ identifizieren. Im Sinne Stuart Halls gibt es demnach
keine zwangsläufige Artikulation zwischen ‚Strukturen‘ und ‚Identitäten‘
(bzw. Selbstpositionierungen).
Für das Thema Antidiskriminierungsrecht ist diese Feststellung relevant, da Subjekte zunächst mit der strukturellen Subjektpositionierung
bzw. Fremdpositionierung als diskriminierte ‚Frauen‘, ‚Homosexuelle‘
oder ‚Behinderte‘ einverstanden sein müssen, um überhaupt als Kläger_innen aktiv werden zu können. Dieses Problem spitzt sich zu, wenn es
um intersektionale Diskriminierung geht, denn hier müssen sich Individuen mit Mehrfachdiskriminierungen bzw. multiplen Subjektpositionierungen überhaupt erst einmal identifizieren bzw. diese zumindest strategisch
kooptieren.
Der produktive Beitrag von Staunaes liegt darin, dass sie auf die Veränderbarkeiten von Subjektpositionen hinweist. Ihre Perspektive konzentriert sich allerdings primär auf die beiden Ebenen ‚Fremdpositionierungen‘ und ‚Selbstpositionierungen‘. Für diese beiden Ebenen konstatiert
Staunaes, dass Subjektpositionen in alltäglichen Praktiken auch verhandelt
werden. Kritisiert werden kann an Staunaes, dass sie die Ebene der ‚strukturellen Subjektpositionierungen‘ lediglich rudimentär berücksichtigt und
somit die Wandelbarkeit von historischen, ökonomischen oder politischen
turellen Bildungsprozess. Individuelle Standortsicherung im globalisierten Alltag, VS Verlag, Wiesbaden, 99-114.
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Intersektionale Subjektpositionen – Theoretische Modelle und Perspektiven
Strukturen durch einzelne Individuen womöglich überschätzt. Meines Erachtens wäre sozialer Wandel bzw. Widerstand zwar auch auf der Ebene
der ‚strukturellen Subjektpositionierungen‘ denkbar, allerdings erscheint
es historisch gesehen wahrscheinlicher, dass soziale Transformationsprozesse vor allem durch kollektive Anstrengungen erwirkt werden.
Die besondere Potenz der theoretischen Impulse von Stuart Hall liegt
meines Erachtens darin, dass er bei seiner Konzeption von Subjektpositionen sowohl aktive als auch passive Momente berücksichtigt. Bei ihm wird
am deutlichsten, was eine ‚strukturelle Subjektpositionierung‘ ausmacht
und wie diese mit ‚Fremdpositionierungen‘ und ‚Selbstpositionierungen‘
artikuliert ist. Für Fragen des Antidiskriminierungsrechts kann die ‚strukturelle Subjektpositionierung‘ nicht vernachlässigt werden. Denn hier wird
deutlich, dass Diskriminierung nicht allein auf Vorurteilen beruht (Fremdpositionierung), sondern eingebettet ist in historische, ökonomische, politische und juristische Strukturen bzw. soziale Realitäten.
Die Erarbeitung eines theoretischen Modells intersektionaler Subjektpositionen ist mit diesem Beitrag nicht abgeschlossen. Die Diskussion der
drei theoretischen Modelle hat jedoch gezeigt, dass ein solches Konzept
unterschiedliche Facetten des Begriffs Subjektposition abdecken müsste.
Ein integratives Modell von intersektionalen Subjektpositionen müsste
nicht allein die komplexen Artikulationen zwischen Machtverhältnissen
bzw. sozialer Ungleichheiten berücksichtigen, sondern auch zwischen
strukturellen Subjektpositionierungen, Fremdpositionierungen und Selbstpositionierungen.
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