DAS DOLLAR-PROBLEM Wirtschafts- und Währungspolitik der USA in langfristiger Perspektive Heinz-Peter Spahn1 It is the duty of every bank and most of all a central bank to be rich. R.S. Sayers (1936: 27) The country whose currency is functioning as a key or reserve currency in international monetary relations, and therefore as the currency of denomination in international transactions, must act as if it is on a gold standard. H.P. Minsky (1979: 119) I Die Vorgeschichte: Aufstieg und Krise des Dollar-Standards Der Goldstandard fiel in den 30er Jahren, weil - nach herrschender Meinung - die internen Ziele der Wirtschaftspolitik im Zuge der Entwicklung zu Demokratie und Wohlfahrtsstaat immer wichtiger geworden waren und die Verpflichtung, die externe Währungsparität zu wahren, als politisch nicht mehr durchsetzungsfähig galt. Zu beachten ist dabei, daß der Goldstandard in der Praxis niemals ein durch reine Marktmechanismen hervorgerufener "Sachzwang" war; stets waren vielmehr wirtschaftspolitische Entscheidungen involviert. So funktionierte dieses System nie in der Weise, wie dies die quantitätstheoretischen "rules of the game" vorsahen: Diese hatten bei Inflationsdifferentialen und Handelsbilanzungleichgewichten Goldbewegungen und entsprechende Veränderungen der nationalen Geldmengen angenommen, so daß national wie international das monetäre Gleichgewicht wiederhergestellt werden würde. Tatsächlich verteidigten die führenden Länder ihre Goldbestände aber durch eine Zinspolitik, die bei einer drohenden Gefährdung des externen Geldwertes über eine Restriktion den Goldverlust bremste. England praktizierte diese Politik so erfolgreich, daß es die dominierende Rolle des Pfundes in der Weltwirtschaft mit vergleichsweise geringen Goldbeständen zu wahren vermochte. Umgekehrt ließen Länder, denen Gold zuströmte, keineswegs regelmäßig eine entsprechende Geldmengenexpansion (und damit eine Anpassungsinflation) zu, sondern betrieben eine Sterilisierungspolitik, d.h. in diesem Fall eine Aufschatzung von Gold-, oder allgemein Devisenbeständen. Die USA bauten mit einer solchen Politik, auch wenn diese in erster Linie binnenwirtschaftlich motiviert gewesen sein mag, den Dollar objektiv zu einer neuen Reservewährung auf. Keynes warf den USA vor, sie hielten sich nicht an die Regeln des Goldstandards. Aber diese Kritik "übersieht", daß England sich in Prinzip nicht anders verhalten hatte. 1 Für Diskussionen und nützliche Anregungen danke ich Hansjörg Herr. 2 Entscheidend ist für Keynes letztlich auch nicht, daß die USA den Goldstandard damit unterhöhlten, sondern: "Tatsächlich haben sie einen Dollar-Standard eingeführt" (Keynes 1924: 203; vgl. 172, 202; Crabbe 1989). Die USA hielten in einer Phase der Währungskonkurrenz den Dollar knapper als das Pfund, weil der Bank von England angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in England die Hände gebunden waren. Daß England den Kampf um die monetäre Vorherrschaft in der Weltwirtschaft verloren hatte, zeigte sich dann endgültig in den Ergebnissen der Verhandlungen von Bretton Woods, indem der Dollar auch institutionell die Funktion der Weltwährung übernahm. Die möglicherweise gehegte Hoffnung, daß das Post-Goldstandard-System von Bretton Woods eine Abkehr von den Zahlungsbilanzzwängen der nationalen Wirtschaftspolitik bedeute, erwies sich jedoch als eine Illusion. Daß dies allgemein weniger wahrgenommen wurde - die externen Restriktionen der Wirtschaftspolitik sind erst seit den 80er Jahren in die Diskussion gerückt -, lag daran, daß die USA als Leitwährungsland selbst die Zügel schleifen ließen und insbesondere in den 60er Jahren nicht bereit waren, sozial- und militärpolitische Ziele währungspolitischen Nebenbedingungen unterzuordnen2. Eine weiche Leitwährung bedeutete für die übrigen Länder jedoch letztlich keinen Gewinn an außenwirtschaftlicher Handlungsfreiheit - sondern den Zusammenbruch des Währungssystems zu Beginn der 70er Jahre. Bretton Woods hätte nur bestehen können, wenn die USA eine ähnliche Politik wie England in der Ära des Goldstandards betrieben hätten: England spielte praktisch für die Weltwirtschaft die Rolle einer Bank. Ausländer hielten zur Abwicklung von Zahlungen im Handelsverkehr kurzfristige Einlagen in London, und London vergab langfristige Kredite an das Ausland. Aufgrund dieser Zinsdifferenz, die aus der Dienstleistung der Fristentransformation, aber auch aus der Liquiditätsprämie des Pfundes gegenüber anderen Währungen folgte, war England "reich": Der Zins auf seine Verschuldung war niedriger als Zins auf seine Forderungen. Damit war eine leicht positive Leistungsbilanz trotz passiver Handelsbilanz möglich - die englische Volkswirtschaft konsumierte ihren "Bankgewinn". Bei drohenden Zahlungsbilanzungleichgewichten wurde der Zins zur außenwirtschaftlichen Absicherung eingesetzt. Aufgrund des immensen Bestandes von Pfund-Forderungen und -Verpflichtungen in der Welt reagierte die englische Kapitalbilanz mit absolut ausreichend großen Beträgen, um den Wechselkurs zu stabilisieren. Im günstigsten Fall blieb dabei die Zinssteigerung auf das "kurze Ende" des Marktes beschränkt oder war so moderat, daß die inländische Konjunktur nicht tangiert wurde. Die notwendige Voraussetzung dazu war eben die im Prinzip ausgeglichene Leistungsbilanz. Gerade weil England auf diese Weise außenwirt2 Damit wird eine prekäre Interdependenz zwischen Währungs- und Innenpolitik deutlich. England konnte seine Rolle als dominantes Finanzzentrum der Weltwirtschaft nicht zuletzt deshalb lange Zeit verteidigen, weil die "City" als innenpolitischer Machtfaktor eine an finanziellen Interessen orientierte Wirtschaftspolitik durchsetzen konnte. Volcker (1978/79: 7) beschrieb die Einstellung der politischen Administration in den USA folgendermaßen: "A nation, most of all a great world power, does not want to be hampered in its domestic policies, or in its international security or political objectives, by external economic constraints, and specifically by the need to guard against a breakdown of the monetary system." 3 schaftliches Gleichgewicht ohne substantielle binnenwirtschaftliche Opfer wahren konnte, war - in die Sprache der Theorie rationaler Erwartungen übersetzt - die Glaubwürdigkeit der englischen Geld- und Währungspolitik hoch, was dem Pfund wiederum zusätzliche Stabilität verlieh. Demgegenüber verschlechterte sich die Zahlungs- bzw. "Bank"-Bilanz der USA jedoch gegen Ende der 60er Jahre zusehends. War zunächst noch nach Abzug der langfristigen Ausleihungen ein Überschuß zu verzeichnen, so markierte spätestens das Jahr 1971 die Wegscheide, als die Grundbilanz erstmals ins Defizit geriet (vgl. Minsky 1979). Die ab Mitte der 70er Jahre verfolgte Strategie "Talking the Dollar Down", um mittels Abwertung das Handelsbilanzdefizit zu bekämpfen, war nicht erfolgreich und beschleunigte den Verfall des Dollar auf den internationalen Finanzmärkten: Nun wirkte der - im Vergleich zum Pfund - umgekehrte Erwartungseffekt, denn eine angekündigte oder offenbar erwünschte Abwertung mußte angesichts des riesigen Bestandes von Dollar-Titeln in der Welt zu unkontrollierbaren Kapitalbewegungen in andere Ersatzanlagewährungen führen. Jedes Land kann (unter bestimmten Bedingungen) eine Abwertungsstrategie verfolgen - ein Leitwährungsland nicht. In den Jahren 1976-78 konnten nur umfangreiche Stützungsoperationen im Rahmen des öffentlichen Kapitalverkehrs, d.h. Käufe amerikanischer Schuldpapiere durch ausländische Institutionen (vgl. im Anhang Tabelle "Zahlungsbilanz USA" und Abbildung 2) den freien Fall des Dollar verhindern. Allmählich merkte die US-Administration, daß ein fallender Dollar keinen Vorteil, sondern eine Gefahr darstellte: Das Handelsbilanzdefizit nahm zu, die interne Geldentwertung wurde durch die Abwertung angetrieben (vgl. Abbildung 3). Zwar wurde das Haushaltsdefizit in der zweiten Hälfte der 70er Jahre kontinuierlich abgebaut (vgl. Abbildung 6), aber ein sinkender Außenwert des Dollar mußte langfristig das Verteidigungsbudget belasten, wollten die USA ihre internationale Militärpräsenz aufrechterhalten. Wenn keine Streichungen an anderer Stelle möglich waren, würde das Budgetdefizit wachsen, mit vermutlich wiederum negativen Auswirkungen auf das Vertrauen in den Dollar ein circulus vitiosus. In realwirtschaftlicher Hinsicht war die Lage der USA in der zweiten Hälfte der 70er Jahre recht gut (vgl. Abbildung 4), in währungs- und geopolitischer Hinsicht war der Verfall der "American Power" unübersehbar geworden (vgl. Calleo 1980/81). Zunächst strebten die USA eine "billige" Sanierung an, die den Dollar ohne allzu große volkswirtschaftliche Kosten stabilisieren sollte (vgl. OECD 1988: 25ff). Eine Expansionspolitik der übrigen Industrieländer sollte eine Restriktion in den USA entbehrlich machen. Auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel von 1978 verpflichteten sich auch die Bundesrepublik und Japan nach amerikanischem Druck zu einer finanzpolitischen Nachfrageförderung; angesichts der Weigerung der Bundesbank, an einer Stützung des Dollar mitzuwirken, wurde die Schwäche der amerikanischen Währung jedoch nicht überwunden3. 3 Aus der Sicht der Bundesbank erschien es wohl vorteilhaft, die USA nach den nur als halbherzig eingeschätzten Stabilisierungsbemühungen zu einer grundsätzlichen Revision ihrer Politik zu zwingen, um die D-Mark von dem für die deutsche Exportwirtschaft unangenehmen Aufwertungsdruck zu 4 Neben Großbritannien hatten die USA schon 1978 mit einem härteren geldpolitischen Kurs begonnen (vgl. Abbildung 7). Kurz darauf zog jedoch neben Japan, das trotz steigender Zinsen eher auf eine Abwertung des Yen setzte, die Bundesrepublik nach; somit blieb die Zinsdifferenz unzureichend, um die Nachfrage nach Dollar-Forderungen grundlegend zu stabilisieren. Im Laufe des Jahres 1979 verengte sich diese Zinsdifferenz sogar, als der Zinssteigerungsprozeß in den USA zum Stillstand kam. Zugleich stießen ausländische öffentliche Stellen (u.a. Zentralbanken), die in den Jahren zuvor den amerikanischen Kapitalimport getragen hatten, nun Dollar-Forderungen ab (vgl. Tabelle). Deshalb blieb den USA keine Alternative zu einer äußerst scharfen monetären Restriktion, als sich die Hoffnungen auf eine währungspolitische Kooperation endgültig zerschlugen. Nachdem entsprechende Verhandlungen in Hamburg im September 1979 gescheitert waren, verkündete Fed-Präsident Volcker die "monetaristische Wende" der amerikanischen Geldpolitik4. Das Ergebnis dieses geldpolitischen Kurswechsels in den USA war eine Wirtschaftskrise, die sich bis zu ihrem Tiefpunkt 1982 hinzog5, und vor allem eine völlig überraschende Renaissance des Dollar als führende Weltwährung. Allerdings war die neue Geldpolitik zunächst nur in der Lage, die Dynamik des Abwertungstrends des Dollar zu stoppen; sein Aufstieg begann erst mit der konservativen "Revolution" der (Wirtschafts-) Politik unter Reagan (vgl. Abbildung 3). Es ist deshalb angebracht, den institutionellen Hintergrund der vergangenen währungspolitischen Entscheidungen zum Dollar-Problem zu betrachten. II Der Mythos: Reaganomics als wirtschaftspolitische Strategie Entgegen ihrem Anspruch hatten die Reaganomics mit Angebotspolitik letztlich wenig zu tun. Die in der Konzeption zentralen angebotsseitigen Zielsetzungen wurden entweder nicht realisiert (Arbeitsangebot, Spartätigkeit) oder haben die Entwicklung nur am Rande beeinflußt (Produktivität, Deregulierung). Rückblickend wurde die Angebotspolitik auch von ihren Protagonisten als eher langfristiges Programm gesehen (Feldstein 1986; Chimerine/Young 1986), während sich die kurz- und mittelfristige makroökonomische Entwicklung durchaus im Rahmen der keynesianischen Theorie analysieren läßt (Sachs 1985; Kregel 1985; Müller 1987). Eine Bestätigung des Mundell-Fleming-Modells, das eine fiskalische Globalsteuerung bei befreien (vgl. dazu im einzelnen Emminger 1986: 318ff, 372ff; Spahn 1988a: 91ff). 4 "Dieser Beschluß vom 6. Oktober 1979 hat Wirtschaftsgeschichte gemacht, nicht nur für die Vereinigten Staaten selbst, sondern für die ganze Welt: Denn mit ihm begann die amerikanische Desinflationspolitik, welche die ganze Weltwirtschaft umgekrempelt hat" (Emminger 1986: 397). Da der Monetarismus auf einer güterwirtschaftlich orientierten (neoklassischen) Theorie aufbaut, in der Geld letztlich keine wesentliche Bedeutung hat, ist es fruchtbarer, die oftmals von den Vermögens- und Devisenmärkten her erzwungenen wirtschaftspolitischen Strategiewechsel einzelner Länder in den 70er und 80er Jahren mit Hilfe einer monetär-keynesianischen Theorie zu analysieren (vgl. Spahn 1988b). 5 Eine parallele konjunkturelle Entwicklung zeigte sich in der Bundesrepublik, wo die Phase währungspolitischer Stärke 1980 angesichts steigender Leistungsbilanz- und Budgetdefizite unvermittelt in eine DM-Krise umschlug, die zu einer monetären Stabilisierungskrise zwang. 5 gleichzeitiger Politik des "schweren Geldes" propagierte, läßt sich dabei allerdings insoweit nicht finden, als der Aufschwung 1983 erst nach dem Übergang zu einer expansiven Geldpolitik - ablesbar an sinkenden Zinsen - einsetzte (vgl. Abbildungen 4 und 7)6. Die partiell höchst unterschiedlichen Zielsetzungen der am wirtschaftspolitischen Willensbildungsprozeß beteiligten Gruppen lassen sich z.T. auf wirtschaftstheoretische Widersprüche zurückführen, die sich dann in einer inneren Inkonsistenz des Gesamtprogramms - gemessen am Ideal einer rational komponierten Strategie - niederschlugen7. Aber andererseits sollte man den Einfluß der Wirtschaftstheorie überhaupt auf Formulierung und Umsetzung der Supply-Side Policy nicht überbewerten. Diese These wird durch den immer wieder beschworenen propagandistischen Rekurs auf Prinzipien der marktwirtschaftlichen Lehre, auf Say und Schumpeter, nicht widerlegt, sondern bestätigt: Offensichtlich waren diese Dogmen im wissenschaftlichen Bereich seit vielen Jahrzehnten bekannt; die Vorstellung, daß Erkenntnisfortschritte der Ökonomen die neue wirtschaftspolitische Konzeption angeleitet hätten, ist abwegig (und wohl auch in allgemeiner Hinsicht ein Mythos). Sicherlich waren viele Positionen der Supply-Sider mit modernen ökonomischen Theorien vereinbar; aber der unerschütterliche Glaube an die Selbstregulierungsfähigkeit des Marktsystems beispielsweise entsprang wohl eher subjektiven Vorurteilen oder der neuerlichen (bzw. erstmaligen) Lektüre einseitig ausgewählter ökonomischer Klassiker als einer fundierten Beschäftigung mit der zu diesem Problem einschlägigen Kontroverse zwischen Neuer Keynesianischer und Neuer Klassischer Makroökonomie. Die Reaganomics sind aus heutiger Sicht in erster Linie als Fallstudie über die Eigentümlichkeiten der Entstehung und Verfolgung wirtschaftspolitischer "Strategien" interessant. Im extremer Weise wurden traditionelle Vorstellungen einer theoretisch fundierten, intern abgestimmten und insoweit rationalen Wirtschaftspolitik ad absurdum geführt. Ein sachlicher Dialog zwischen den im Prozeß der Politikformulierung involvierten Gruppen von marktgläubigideologisch gefärbten Hobby-Ökonomen, harten Monetaristen, auf politische Wiedererstarkung Amerikas bedachten Militaristen und auf Haushaltskonsolidierung fixierten Konservativen scheint nicht stattgefunden zu haben. Die verschiedenen Fraktionen fanden lediglich in dem ideologischen Konsens über das Ziel der Wiedererstarkung Amerikas zueinander und diese Utopie war offenbar ergiebig genug, um vorhersehbare Widersprüche zu überdecken. 6 "One might be tempted to conclude (...) that simply abandoning the restrictive monetary policy that has produced the cyclical downturn is all that is necessary to get the economy back on track" (Eichner 1988: 551). Diese Formulierung läßt allerdings noch die typischen Vorbehalte eines Postkeynesianers gegenüber der Wirksamkeit der Geldpolitik erkennen. Auf der anderen Seite wurden Prognosen, die expansive Geldpolitik werde zur Inflationsbeschleunigung führen, eindrucksvoll widerlegt; der markante Strukturbruch in der Relation von Geldmenge und (nominellem) Sozialprodukt (vgl. Friedman 1988) erschütterte die Reputation des Monetarismus. 7 Beispielsweise empfanden die eigentlichen "Supply-Sider" den anfänglichen geldpolitischen Restriktionskurs Volckers als äußerst hinderlich für die intendierte Freisetzung der Unternehmerinitiative - gleichsam ein Konflikt zwischen Friedman und Schumpeter. Auf diesen wenig beachteten Widerspruch innerhalb der angebotspolitischen Philosophie hat, mit Blick auf die bundesdeutsche Diskussion, insbesondere Flassbeck (1982) hingewiesen. 6 Die internen Koordinationsprobleme wurden durch Nicht-Thematisierung "gelöst". Das oft beschworene Ideal einer rationalen, in sich abgestimmten Politik hätte nur ein ausgewogenes Minimalprogramm hervorbringen können. Ironischerweise muß man bezweifeln, ob dies die USA zu Anfang der 80er Jahre aus ihren Problemen herausgeführt hätte. Die eigentlichen Besonderheit der Reaganomics liegt auch nicht in ihrer zweifelhaften bzw. stellenweise als unseriös eingeschätzten theoretischen Fundierung, sondern darin, daß diese Politik ihre Wirksamkeit gerade aus der Nichtabstimmung zwischen einzelnen Maßnahmebündeln, d.h. aus dem unkoordinierten Nebeneinander bezog. Die Widersprüche zwischen den einzelnen Politikfraktionen führten nicht zu einer gegenseitigen Blockade und Handlungsunfähigkeit oder zu einem "muddling through" auf der Ebene eines Minimalkonsensus; vielmehr entstanden aus der Nicht-Einigung gleichsam Maximallösungen, bei denen die einzelnen Gruppierungen ihre Ziele ohne Abstriche zu realisieren trachteten. Bei einem solchen Verfahren muß es natürlich einen Puffer geben und so zogen beispielsweise Steuersenkungen (als Marktanreiz und erster Schritt zur Verkleinerung des Staatssektors) sowie höhere Verteidigungsausgaben (um die USA weltpolitisch wieder zu stärken) enorm steigende Budgetdefizite nach sich. Das ungeplante Deficit Spending war dann die Schlüsselgröße für die Einkommens- und Beschäftigungssteigerung und für die Dollar-Aufwertung (die wiederum maßgeblich zum Inflationsabbau beitrug). In spieltheoretischer Perspektive lassen sich so nicht nur die Akteure auf der Einnahmenund Ausgabenseite des Budgets einander gegenüberstellen; Sargent (1986) charakterisiert auch das zumindest zeitweilige Gegeneinander der geld- und finanzpolitischen Akteure als ein "game of chicken", bei dem beide Spieler unvereinbare Strategien verfolgen und früher oder später einer von ihnen unvermeidlich (als "chicken") nachgeben muß8. Die Reaganomics litten demnach von Beginn an einem Glaubwürdigkeitsproblem, einfach weil das Programm nicht konsistent war. Die Marktakteure waren dabei mit einer Unsicherheit darüber konfrontiert, wer wann aufgeben würde. Entsprechend konnten künftige Steuersätze, Zinsen und Inflationsraten nicht sicher kalkuliert werden. Sargent interpretiert denn auch die hohen langfristigen Nominalzinsen der Jahre 1981/82 (vgl. Abbildung 8) als Ausdruck von Inflationserwartungen, die sich auf die Annahme gründeten, die Fed werde einen großen Teil der amerikanischen Staatsschuld monetisieren. Diese Einschätzung kann allerdings nicht überzeugen, da dann nach dem tatsächlichen Übergang zu einer expansiven Geldpolitik die Zinsen noch stärker hätten steigen müssen, was 8 "The monetary authority had promised to stick to a tight-money policy of M(t)-M(t-1)=0 for all future t's, come hell or high water, but meanwhile the fiscal authority had set in place tax and expenditure plans that implied large values of G(t)-T(t) into the indefinite future. On the one hand, if the monetary authority could successfully stick to its guns and forever refuse to monetize any government debt, then eventually the arithmetic of the government's budget constraint would compel the fiscal authority to back down and to swing its budget into balance. On the other hand, if the fiscal authority were to stick to its guns and simply refuse to reduce the stream of G(t)-T(t), then eventually the arithmetic of the government budget constraint would compel the monetary authority to monetize large parts of the deficit" (Sargent 1986: 34f). 7 jedoch nicht der Fall war. Grundsätzlich aber leidet Sargents Analyse an der in der modernen Makrotheorie weit verbreiteten Attitüde, die Notenbank - in dem Bestreben, die staatliche Budgetbeschränkung zu berücksichtigen - implizit als Teil des Fiskus zu modellieren. Sie wird damit zu einer regierungsabhängigen Steuerbehörde und die Inflation erscheint entsprechend als Vermögenssteuer. Eine solche institutionelle Annahme ist nicht nur für Länder mit einer ausgesprochen autonomen Zentralbank wie die Bundesrepublik, sondern wohl auch für die USA unangemessen9. Faktisch gab und gibt es für die amerikanische Notenbank keine Veranlassung, die Staatsschuld zu monetisieren, und gerade nach der konsequenten Neuausrichtung der Geldpolitik durch Volcker entbehrten auch derartige Erwartungen jeder Grundlage. Feldstein (1984) wies zu Recht darauf hin, daß gerade der erfolgreiche Abbau der Inflationserwartungen im internationalen Vergleich die Besonderheit der amerikanischen Finanzpolitik ausmachte - nämlich ein Deficit Spending mit Währungsaufwertung verbinden zu können. Die damit angesprochene außenwirtschaftliche Seite der Reaganomics eröffnet für das von Sargent angesprochene Glaubwürdigkeitsproblem eine (von ihm nicht erwähnte) neue Lösung in Gestalt der Aktionen ausländischer Akteure. Portfolioentscheidungen auf den internationalen Finanzmärkten (d.h. die nicht antizipierte Nachfrage nach Dollar-Forderungen) besorgten zunächst die im nationalen Maßstab nicht gegebene makroökonomische Konsistenz der amerikanischen Wirtschaftspolitik10. Sachs (1985) bescheinigte der in der ersten Hälfte der 80er Jahre verfolgten "Strategie" durchaus eine gewisse (Ex-post-) Rationalität, da die expansive Finanzpolitik Einkommen und Beschäftigung förderte, während die hohen Zinsen über eine Aufwertung zu einem Inflationsabbau beitrugen - allerdings spielte auch der deutliche Rückgang der Lohnstückkosten eine maßgebliche Rolle (vgl. Abbildung 3). Die Gefahr, daß die spätere Abwertung vermittelt über eine Lohnreaktion die Inflation wieder anheizen könnte, wurde dann durch den unvorhergesehenen Verfall der Ölpreise neutralisiert, so daß Dornbusch (1987: 15) konstatierte: "The timing of appreciation and depreciation thus looked like a masterpiece of political economy". III Die USA: Eine Bank vor dem Zusammenbruch? Wechselnde Konstellationen auf dem Devisenmarkt Die in der ersten Hälfte der 80er Jahre einsetzende Dollar-Aufwertung wurde zunächst noch durch das krisenbedingte Verhalten der US-Banken gebremst, die in Ermangelung inländi9 "Die Notenbank als Staatshauptkasse und die Inflation als öffentliche Abgabe, das sind Vorstellungen, die Monetaristen wohl infolge ihrer zu häufigen Reisen in Südamerika aufgelesen haben" (Streissler 1988: 122). 10 "Capital flows under Reagan have enabled the United States to run a current account trade deficit much larger than the one which international capital refused to permit Nixon to undertake" (Bliss 1986: 13). 8 scher Kreditnachfrage ihre Ausleihungen an das Ausland verstärkten11. Der Rückgang insbesondere dieses Kapitalexports in den Jahren 1983-85, als die amerikanischen Banken sich nun verstärkt im Inland engagierten, sowie Wertpapierkäufe durch Ausländer12 führten den Dollar dann in einen Aufwertungsboom, der zu den meist diskutierten Rätseln der makroökonomischen Diskussion der 80er Jahre avancierte. Die Stärke des Dollar war generell erstaunlich, weil die Wechselkurstheorie das keynesianische Thema des "Vertrauens" in die Solidität einer Währung entdeckt hatte und die amerikanische Wirtschaftspolitik danach, insbesondere angesichts einer rasch ansteigenden Staatsverschuldung, den internationalen Vermögensmärkten viele Argumente für eine Abwendung von Dollar-Titeln bot (vgl. Herr/Spahn 1989). Mit der rhetorischen Frage, ob man auch bei einer Verdreifachung des britischen Budgetdefizits eine entsprechende Aufwertung des englischen Pfundes erwarten könne, wies Goodhart (1987: 19) zu Recht darauf hin, daß die Dollar-Stärkung vor allem auf der Reputation von Volckers Geldpolitik beruhe. Eine allgemeine Bestätigung des Mundell-Fleming-Szenarios, wonach ein Deficit Spending mechanisch zu einem zinsinduzierten Kapitalimport führen werden, bietet der amerikanische Fall sicherlich nicht. Der Dollar-Aufstieg erschien aber auch vor dem Hintergrund moderner Wechselkurstheorien vielen als rätselhaft. Die aus der Retrospektive offensichtliche Überbewertung des Dollars in der ersten Hälfte der 80er Jahre konnte auch nicht mit Dornbuschs Theorie "überschießender Wechselkurse" (1976) erklärt werden: Die Aufwertung erfolgte nicht sprunghaft, um dann schrittweise revidiert zu werden, sondern hielt kontinuierlich mehrere Jahre an13. In diesem Zusammenhang wurden auch Zweifel an der Rationalität der Devisenmärkte deshalb geäußert, weil mit der Dauer der Aufwertungsphase eine "harte Landung" des Dollar als immer wahrscheinlicher gelten mußte, während andererseits die internationale Zinsdifferenz noch unmittelbar vor dem Ende des Dollar-Booms im Frühjahr 1985 eben diese erwartete Abwertung in keiner Weise widerspiegelte (vgl. Bliss 1986)14. Der in der Tat rasche Prozeß der Dollar-Abwertung ging auch nicht primär von veränderten Anlagepräferenzen auf den internationalen Finanzmärkten aus, sondern wurde von einer geldpolitischen Lockerung eingeleitet, die sich bereits im vierten Quartal 1984 an sinkenden Geldmarktzinsen zeigte und die in den folgenden Jahren fortgeführt wurde (vgl. Abbildung 7; Sachs 1988: 660f). Das Plaza-Abkommen westlicher Notenbanken im September 1985 be- 11 Diese kompensierende Bewegung zwischen Auslands- und Inlandskreditvergabe von finanzstarken Ländern ist ein in der Wirtschaftsgeschichte zwar häufiges, jedoch nicht allgemeingültiges Muster (vgl. Kindleberger 1987: 257f). 12 Anzumerken ist, daß nicht identifizierbare Zuflüsse, die im Restposten der Zahlungsbilanz ausgewiesen werden, insbesondere zu Beginn der 80er Jahre einen großen Teil des amerikanischen Kapitalimports ausmachten (vgl. Tabelle und Abbildung 2). 13 Es wird im übrigen selten darauf hingewiesen, daß Dornbuschs Modell ohnehin auf recht restriktiven Annahmen beruht; so ergibt sich ein Überschießen des Wechselkurses i.d.R. nur dann, wenn Output und Realeinkommen auch in der kurzen Frist fix sind - eine extrem neuklassische und schlicht unrealistische Prämisse. 14 Zum Stand der Diskussion zur Frage der Effizienz von Devisenmärkten siehe z.B. Levich (1989). 9 kräftigte noch den Wunsch nach einer weiteren Dollar-Abwertung, was eben heißt, daß der Markt keineswegs von einer befürchteten Flucht aus dem Dollar beherrscht war. Die veränderten Kräfteverhältnisse auf dem Devisenmarkt waren denn auch nicht eine Folge ausbleibender Kapitalimporte, sondern steigender Kapitalexporte: Während die Wertpapierkäufe des Auslands bis einschließlich 1986 weiter stiegen15, nahmen amerikanische Direktinvestitionen und die Kreditvergabe der US-Banken deutlich zu (vgl. Tabelle und Abbildung 1). Erst die Jahre 1987-88 waren von einer Dollar-Schwäche gekennzeichnet. Nicht nur im Gefolge des spektakulären Börsenkrachs im Oktober 198716 waren erhebliche Stützungsoperationen zugunsten des Dollar notwendig; der amerikanische Kapitalimport wurde jetzt bei rückläufigen privaten Portfolioinvestitionen des Auslands vermehrt durch Verpflichtungen gegenüber öffentlichen ausländischen Institutionen getragen (vgl. Tabelle und Abbildung 2). Allerdings fand Sachs (1988: 659) auch für diese Phase keine Anzeichen für eine gestiegene Risikoprämie des Dollar. Im Jahr 1989 war dann wieder eine Stabilisierung zu verzeichnen, als der Dollar sogar gegenüber der D-Mark an Wert gewann (vgl. Abbildung 3). Damit stellt sich die Frage, wie die Position der US-Ökonomie nach dem eigenwilligen Kurs der amerikanischen Wirtschaftspolitik und den ausgeprägten Schwankungen des DollarKurses in den 80er Jahren zu beurteilen ist. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um binnenwirtschaftliche Aspekte, sondern vor allem um eine Einschätzung der USA als "Bank", d.h. als Kreditproduzent und Anbieter von "Weltgeld" sowie verzinslichen Finanzforderungen, die in der internationalen Geldwirtschaft bis heute eine bedeutende Vermögenssicherungsfunktion übernehmen. Die Staatsverschuldung Das "Zwillingsdefizit" in Staatshaushalt und Leistungsbilanz gilt als schwerwiegender Negativposten in der Hinterlassenschaft der Reaganomics. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen war das propagierte Ziel, die faktisch verfolgte Politik war demgegenüber expansiv. Dabei ist allerdings anzumerken, daß die amerikanische Finanzpolitik auf der Ausgabenseite zu Beginn der 80er Jahre lediglich den bis dahin fallenden Trend des Staatsanteils am Sozialprodukt gestoppt hat (vgl. Abbildung 5). Spätere Ansätze einer gesetzlichen Regelbindung haben dann die jährlichen Budgetdefizite nicht entscheidend einzudämmen vermocht. Jedoch ist das Pro- 15 Gerade die rasche Dollar-Abwertung machte es für Ausländer nicht sinnvoll, die bei ihrem Bestand amerikanischer Wertpapiere eingetretenen Buchverluste zu realisieren, sondern regte vermutlich sogar Zukäufe an, um den durchschnittlichen Einstandspreis der Papiere zu verringern. 16 Dieses Ereignis wurde weithin als Bestätigung der von fundamentalkeynesianischer Seite immer wieder betonten These einer finanziellen Instabilität des Marktsystems gewertet. Während die Prognosen für den realwirtschaftlichen Bereich deutlich nach unten revidiert und Vergleiche zur Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren beschworen wurden, erwies sich die aggregative Stabilität des Systems bei exogenen Störungen - wenn die Geldpolitik Liquiditätskrisen verhindert - dann doch rasch als weitaus höher als erwartet: Die quantitätstheoretische Position konnte einen Punktsieg verbuchen (vgl. Brunner/Meltzer 1988). 10 blem der amerikanischen Staatsverschuldung in der Öffentlichkeit wohl übertrieben worden. Dem rasch gewachsenen Defizit im Bundeshaushalt sind die weiterhin bestehenden Überschüsse der lokalen Gebietskörperschaften gegenzurechnen. Das Gesamtdefizit blieb auch in der expansivsten Phase der Finanzpolitik gemessen am Bruttosozialprodukt unter 4%; das Niveau der Defizite liegt in einigen europäischen Ländern weitaus höher. Beim Tempo der Konsolidierung ab Mitte der 80er Jahre konnten die USA im Vergleich mit der Bundesrepublik, Japan und Großbritannien zwar nicht ganz mithalten (vgl. Abbildung 6), aber ohne Zinszahlungen gerechnet ist das Budget nun etwa ausgeglichen und die Relation zwischen Schuldenstand und Sozialprodukt hat sich bei etwas über 40% stabilisiert (vgl. OECD 1989: 49ff)17. Auch wenn deshalb das interne Staatsschuldenproblem auf keine instabile Dynamik hindeutet, so bleibt die These zu prüfen, die Finanzierung des amerikanischen Budgetdefizits erfordere in großem Umfang ausländische Ersparnisse, womit einerseits die USA in eine für sie neue und unbequeme Abhängigkeitsposition geraten sei und andererseits damit das Deficit Spending über steigende Zinsen die Investitionen in anderen Ländern behindere. Im Hinblick auf die Einkommensströme "absorbiert" das amerikanische Haushaltsdefizit jedoch keine ausländischen Ersparnisse, sondern schafft diese: Kreditfinanzierte Staatsausgaben in den USA verlangen an anderer Stelle einen Konsumverzicht, der unter der Bedingung eines Handelsbilanzdefizits vom Ausland geleistet wird. Dabei bleibt freilich offen, ob den ausländischen Exporten in die USA ein freiwilliger oder unfreiwilliger Konsumverzicht der Exportländer entspricht. Entscheidend ist aber, daß bei geringerem US-Budgetdefizit über geringere US-Importe insoweit auch die ausländische Ersparnis geringer wäre. Dies ist nur eine Implikation des Sachverhalts, daß eine Haushaltskonsolidierung in den USA für sich genommen im Ausland zunächst einmal zu Nachfrage- und Einkommensausfällen führen müßte. In monetärer Sicht, d.h. in bezug auf die Allokation von Geldvermögensbeständen, sind die USA dagegen auf die Bereitschaft des Auslands angewiesen, amerikanische Staatsschuldtitel (bzw. andere Dollar-Papiere) zu kaufen. Da Auslandswährungen im strengen Wortsinne jedoch niemals Wirtschaftsprozesse im Inland finanzieren können18, ist für die USA der Reflex dieser Kapitalbewegung, der Importüberschuß, von Bedeutung, der gleichsam die güter- 17 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, daß die konventionelle Messung von Budgetdefiziten stets kontrovers ist. In jüngerer Zeit hat insbesondere Eisner (1989) herausgearbeitet, daß in realer Rechnung, bei Berücksichtigung der notwendigen Trennung zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben sowie unter Einschluß einer marktgerechten Bewertung der Aktiva und Passiva das Defizit praktisch verschwindet. Allerdings trifft dieses Meßproblem auch auf andere Länder zu und ist hier deshalb nicht weiter zu verfolgen. 18 In diesem Zusammenhang ist das verbreitete Mißverständnis auszuräumen, daß z.B. DM-Anlagen im finanztechnischen Sinne für eine Deckung der Lücken im amerikanischen Staatshaushalt sorgen könnten. Die DM-Beträge eines auf den Erwerb von US-Staatsanleihen gerichteten deutschen Kapitalexports bewirken vielmehr auf dem Devisenmarkt eine Wechselkursänderung, induzieren damit einen zusätzlichen Güterexport in die USA und fließen so als DM-Gegenwert der Exporterlöse zu deutschen Unternehmen. Umgekehrt werden die Käufe amerikanischer Wertpapiere i.e.S. aus dem Dollar-Kreislauf in den USA finanziert, indem die Zahlungen amerikanischer Importeure vom Devisen- zum USBondsmarkt umgelenkt werden. 11 wirtschaftliche Finanzierung des Budgetdefizits besorgt. Diese "Realbesteuerung" des Auslands, das mit Ressourcenexporten zur Wahrung des güterwirtschaftlichen Gleichgewichts in den USA beiträgt, steht auch der Befürchtung entgegen, die Kombination von expansiver Finanzpolitik und (anfangs) kontraktiver Geldpolitik werde zu einem langsameren Wachstum des Kapitalstocks führen als sonst zu erwarten gewesen wäre (Kregel 1985: 120). Faktisch zahlt das Ausland den Preis in Form eines vergleichsweise geringeren Kapitalstocks, indem Exporte an die Stelle heimischer Investitionen treten. Der Anteil der Investitionen am Bruttosozialprodukt ist jedenfalls in den USA seit Beginn der 80er Jahre (wie auch in langfristiger Perspektive) gestiegen (vgl. Abbildung 5), während er bekanntlich in der Bundesrepublik im gleichen Zeitraum - parallel zum gestiegenen Außenbeitrag - zurückging (vgl. Spahn 1988a: 215). Auf der anderen Seite sind die USA aufgrund der Importabhängigkeit in gewisser Weise zu einer Politik vergleichsweise hoher Zinsen gezwungen: Bei einem auf deutliche Zinssenkungen gerichteten Kurs, der Kapital- und Güterimport vermindert würde, müßte der Konsumverzicht nicht vom Ausland, sondern im Inland geleistet werden. Eine Absenkung von Zins und Wechselkurs würde Investition und Export stimulieren, so daß bei weiterhin hohen Budgetdefiziten der makroökonomische Einkommensreflex - die volkswirtschaftliche Ersparnis - statt in Importen nun in inflationsbedingt auftretenden unverteilten Unternehmensgewinnen bestehen würde. Dieses Szenario droht zumindest dann, wenn die privaten Ersparnisse nicht entsprechend zunehmen (und so an die Stelle der Unternehmensersparnis treten). Die Sparquote hat sich von 7,7% im Jahr 1981 mittlerweile nahezu halbiert - obwohl bei steigenden Budgetdefiziten nach neuklassischer Lehre eigentlich das Gegenteil zu erwarten gewesen wäre (vgl. OECD 1989: 51f, 133). Das angebliche Problem der Staatsverschuldung in den USA erweist sich somit als ein Problem der zu hohen privaten Verschuldung. Dies betrifft auch den Unternehmenssektor, der aufgrund gestiegener Zinsverpflichtungen bei einer geldpolitischen Restriktion sehr krisenanfällig wäre. Aber damit verschiebt sich die Frage zu den möglichen Anlässen eines derartigen Kurswechsels der Geldpolitik. Im Vergleich zu den 70er Jahren erscheinen die internen Faktoren einer drohenden Geldentwertung, Lohndruck und Produktivitätsentwicklung, weitgehend unter Kontrolle - wobei das Auftreten konjunktureller Verspannungen natürlich nicht auszuschließen ist (vgl. Abbildung 3; OECD 1989: 17ff). Somit bleibt die Gefahr eines krisenhaften Verfalls des Dollar-Außenwertes, der die Notenbank direkt oder vermittelt über den Inflationseffekt zur Stabilisierung zwingen könnte. Wie ist die außenwirtschaftliche Lage der USA? Das gefährdete externe Gleichgewicht "The Second Debt Crisis Is Coming!" Mit dieser Warnung prognostizierte Bergsten (1985) am 12 Wendepunkt der Dollar-Kursentwicklung neben den Entwicklungsländern auch den USA ein Verschuldungsproblem. Der zentrale Unterschied zur Situation der Entwicklungsländer ist freilich, daß die USA eben nicht über Exporte Devisen zur Schuldtilgung verdienen müssen. Die Verschuldung in eigener Währung bedeutet, daß die USA (im Gegensatz zu den Entwicklungsländern) über das Instrument der Entwertung ihrer Verpflichtungen über Währungsabwertung verfügen (vgl. Riese 1989: 196ff). Da die USA den ausländischen Anlegern Dollar zu zahlen haben, die sie selbst "produzieren" können, ist die reale, in Gütern gerechnete Rückzahlung der amerikanischen Außenverschuldung in Form eines Exportüberschusses nicht wie bei den Entwicklungsländern die Voraussetzung der Tilgung, sondern ihre Folge: ein Vorgang, der von den USA zwar einen Konsumverzicht verlangt, der aber zugleich einen Impuls ökonomischer Dynamik darstellt, während auf der anderen Seite die Gläubigerländer über diesen Realtransfer insofern nicht froh sein können, als er in ihren Wirtschaftsräumen für sich genommen zu partiellen Produktionsund Beschäftigungsverlusten führt. Die Rückzahlungsverpflichtung der amerikanischen Auslandsverschuldung ist insoweit fiktiv - sie stellt für die USA praktisch keine Last dar und wäre im Falle ihrer Realisierung eben auch für das Ausland mit Anpassungskosten verbunden19. Aber die Vorstellung, daß die Gläubiger insgesamt auf einer Rückzahlung ihrer Kredite bestehen werden, negiert ohnehin eine zentrale ökonomische Funktion der USA in der Weltwirtschaft: nämlich als Bank u.a. verzinsliche Formen der Vermögenssicherung anzubieten, die von den Anlegern als Gruppe permanent gehalten werden, wenn Sicherheit, Rentabilität und Liquidität dieser Depositen i.w.S. als gegeben gelten. Diese kollektive Erwartung ist der eigentlich kritische Punkt. Im "klassischen" Fall eines Leitwährungslandes ist seine Bankfunktion und die Akzeptanz seiner Währung als Weltgeld (wie in Abschnitt I beschrieben) von der Bindung an eine "Sicherheit" (wie z.B. Gold), vor allem aber von der erkennbaren Bereitschaft und Fähigkeit der betreffenden Notenbank zur Verteidigung der Währungsparität abhängig. Im Hinblick auf beide Aspekte sind Zweifel angebracht. Zum einen hat die amerikanische Geldpolitik spätestens seit den 70er Jahren zumindest phasenweise immer wieder zu erkennen gegeben, daß nationale Interessen in der Praxis einen höheren Stellenwert einnehmen als Erfordernisse zur Stabilisierung des Weltwährungssystems - zumal Flexibilität und Veränderung der Paritäten eben auch als ökonomische Notwendigkeiten dargestellt werden konnten. Zum anderen ist die Macht der US-Notenbank zur Regulie- 19 In ähnlicher Weise beurteilte Emminger (1934: 324) die Position Englands zu Beginn der 30er Jahre, als der Goldstandard aufgegeben wurde: Andere, in fremder Währung verschuldete Länder mußten auf eine Devisenbewirtschaftung zurückgreifen, weil eine Abwertung die Kreditabzüge nicht bremste. "Für England hingegen, das in der günstigeren Lage war, hauptsächlich Pfundverpflichtungen zu haben, war es das Natürlichste, die fremden Gläubiger oder die mißtrauischen Volksgenossen ihre Panik mit einem entsprechenden Disagio des Pfundes bezahlen zu lassen; dieses Disagio mußte dann ganz von selbst dafür sorgen, daß die Kreditabzüge zum Halten kamen." 13 rung des Dollar-Kurses beschränkt; eine Wechselkurspolitik gegen die Marktkräfte läßt sich bei der Empfindlichkeit und dem Volumen der heutigen internationalen Finanzmärkte nicht erfolgreich durchhalten. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Beurteilung des US-Leistungsbilanzdefizits durch die Akteure auf den Devisenmärkten, weil dieses die Notwendigkeit eines ständigen Kapitalstroms in die USA suggeriert20, um Abwertung und Kapitalverluste für die Halter von Dollar-Forderungen zu vermeiden. Solange dieses Defizit als Folge eines überbewerteten Wechselkurses - und das heißt: als Folge der Kapitalanlagen in den USA - aufgefaßt wird, ist die Marktkonstellation stabil. Ein Rückzug der Anleger beseitigt zugleich den Anlaß ihrer ursprünglichen Besorgnis, indem bei sinkendem Wechselkurs die Leistungsbilanz über die Reaktionen der Handelsströme wieder ins Gleichgewicht gelangt. Freilich benötigt diese Reaktion (zuviel) Zeit, so daß die im Gold-Pfund-Standard gültige Norm einer ausgeglichenen Leistungsbilanz eine solidere Basis abgibt. Auf der anderen Seite wird jedoch das Handelsbilanzdefizit stellenweise auf eine sich langfristig verschlechterte industrielle Wettbewerbsfähigkeit der US-Ökonomie zurückgeführt. Dabei wird das Ausbleiben bzw. die starke Verzögerung einer Handelsbilanzverbesserung im Nachgang zur doch deutlichen Dollar-Abwertung nach 1985 als ein Beleg für die Bedeutung nicht-preislicher Faktoren für die angeblich mangelnde Marktfähigkeit amerikanischer Exporte gewertet. Träfe diese Einschätzung zu, so wäre das währungspolitische Dilemma der USA perfekt: Der Prozeß der Dollar-Verfalls wäre einerseits deutlich genug, um Wohlfahrtsverluste via Terms-of-Trade-Verschlechterungen zu bewirken, andererseits jedoch nie ausreichend, um handelswirtschaftlich zu einem externen Gleichgewicht zurückzufinden. Die ökonomische Profession ist in der Haltung zu diesem neuerlichen "Elastizitätspessimismus", d.h. der These einer strukturell geringen Wechselkurs- und Preisreagibilität der amerikanischen Handelsströme, gespalten. Kritiker halten das Ganze für einen "Mythos" (Landmann 1988: 315). Einige Anmerkungen zu diesem Streit müssen hier genügen: Zunächst kann mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit grundsätzlich kein Argument für ein Handelsbilanzdefizit, sondern immer nur für einen "schlechten" Wechselkurs sein, d.h. sie wird ein für das betreffende Land ungünstiges Austauschverhältnis im Handel und darüber eine relative Verarmung bewirken. Preistheoretische Zusammenhänge werden nicht durch den Verweis auf "ungünstige Elastizitäten" aus der Welt geschaffen. Wenn also die USA aufgrund ungenügender Effizienz i.w.S auf vielen Märkten zurückfallen, so heißt dies nicht, daß der Wechselkurs nicht mehr für einen Handelsbilanzausgleich sorgen kann; vielmehr würde dann die Abwertung c.p. solange anhalten, bis dieses Gleichgewicht bei dann möglicherweise enormen Wohlfahrtsverlusten realisiert wäre. Weiterhin leiden ökonometrische Analysen zur Wechselkurselastizität von Handelsströ- 20 Daß die Marktlogik makroökonomisch eher vom Kapital- zum Leistungsbilanzsaldo führt und somit ein Defizit bei letzterem nicht gleichsam exogen vorgegeben kann, muß für den einzelnen Anleger nicht unbedingt eine Beruhigung darstellen. 14 men an ihrem partialanalytischen Ansatz, d.h. sie erfassen beispielsweise nicht jene einkommensbedingten Importsteigerungen, die im Gefolge einer abwertungsbedingten Exportsteigerung und ihrer Rückwirkung auf die effektive Nachfrage auftreten. Die Handelsbilanzentwicklung reagiert dann in der ökonometrischen Simulation bei Wechselkursänderungen positiver als im faktischen Verlauf, woraus dann aber eben nicht ohne weiteres auf die Existenz maßgeblicher nicht-preislicher Bestimmungsfaktoren geschlossen werden kann21. Ein Blick auf die groben Linien des Verlaufs der empirischen Entwicklung zeigt, daß die amerikanischen Exporte (neben den Investitionen) seit drei Jahren zu einem bedeutenden Träger des Wachstums geworden sind. Die am Sozialprodukt gemessene Zunahme des Imports hat sich dagegen abgeschwächt, wobei es durchaus plausibel erscheint, die sich nur langsam schließende Schere durch die Wirksamkeit von Einkommenseffekten zu erklären. Hierbei spielt das bereits erwähnte veränderte Sparverhalten der privaten Haushalte eine wichtige Rolle: Eine temporäre Erhöhung der Konsumneigung entkoppelte das "Zwillingsdefizit", so daß auch die Ansätze einer Budgetkonsolidierung nicht entsprechend auf das Handelsbilanzdefizit durchschlugen (vgl. Abbildung 5; OECD 1989: 12, 51, 55). Festzuhalten bleibt somit, daß schon aus methodischen Gründen ein Vorgehen verfehlt ist, zunächst - z.B. aufgrund der These einer strukturell verschlechterten amerikanischen Wettbewerbsfähigkeit - anhaltende Leistungsbilanzdefizite für die kommenden Jahre zu prognostizieren und dann die Frage zu stellen, ob sich genügend Vermögensbesitzer im Ausland finden werden, die mit ihren Kapitalanlagen in den USA für ein Zahlungsbilanzgleichgewicht sorgen. Denn wenn im Falle eines merklichen Vertrauensverlustes des Dollar der Strom des Nettokapitalimports versiegt, müßte eben auch das Leistungsbilanzdefizit verschwinden. Die Wechselkurselastizität der Handelsströme bestimmt dann nur den Abwertungssatz, bei dem sich das Gleichgewicht einstellt. Vor diesem Hintergrund wäre umgekehrt anzunehmen, daß ein anhaltendes Leistungsbilanzdefizit darauf hinweist, daß das Vertrauen in die Wertsicherheit von Dollar-Anlagen offenbar noch nicht geschwunden ist. Krugman (1989) wendet sich gegen diese Schlußfolgerung mit dem Argument, daß kurzfristig zumindest die Handelsbilanz aufgrund des J-Kurven-Effektes22 nicht in der notwendigen Weise reagieren wird, wenn eine Vertrauenskrise auf dem internationalen Vermögensmarkt zu einer Abwendung von Dollar-Titeln führt und es zu einer 21 "The initial increase in net exports will have income effects which generate greater import demand, and if little of this extra income is saved, the 'general equilibrium' improvement in the trade deficit will be small compared with the initial balance-of-payments effect of depreciation. (...) Confusion between the partial- and general-equilibrium effects of depreciation has often brought the competitive response of U.S. industry to the dollar's decline prematurely into question" (OECD 1989: 57). Auch Funke (1989: 92) sieht diesen Punkt, hält aber an seinem Ergebnis eines im wesentlichen strukturell bedingten US-Handelsbilanzdefizits fest. 22 Dieser wird in seiner Wirkung durch einen Hysteresis-Effekt verstärkt, weil bei starken und langanhaltenden Wechselkursausschlägen Kapazitätsentscheidungen induziert werden, so daß selbst bei einer Rückkehr des Wechselkurses zum ursprünglichen Niveau die Handelsbilanz nicht wieder ins Gleichgewicht gelangt (vgl. Dornbusch 1987: 9f). 15 Dollar-Abwertung kommt. Bleibt so das Defizit in der Leistungsbilanz bestehen, sind die Anleger gleichsam "aus saldenmechanischen Gründen" zu einem weiteren entsprechenden Kapitalexport in die USA gezwungen, wobei eben nur der Wechselkurs sinkt23. Die markante Dollar-Abwertung nach 1985 bei im wesentlichen unveränderten Kapital- und Leistungsströmen legt Krugman zufolge also die Schlußfolgerung nahe, "that a loss of foreign confidence in the United States is not something that might happen in the future; it is something that has already happened" (1989: 34). Nun hebt die Saldenmechanik der Zahlungsbilanz nicht die Dispositionsfreiheit der Vermögensbesitzer auf. Krugman erklärt deshalb das Interesse ausländischer Anleger an amerikanischen Vermögenswerten damit, daß ein gesunkener Dollar nicht amerikanische Waren wettbewerbsfähig, sondern amerikanische Assets "billig" gemacht habe, so daß die USA zu "Ausverkaufspreisen" Vermögenswerte an das Ausland verliere ("fire sale theory"). Die gestiegene Attraktivität dieser Aktiva ergebe sich daraus, daß der Dollar unter sein langfristig erwartetes Niveau gefallen sei und so ausländischen Investoren eine höhere Rendite verspreche (Krugman 1989: 32f). Diese Begründung ist nun deshalb fragwürdig, weil sie einen anhaltenden Kapitalimport der USA mit langfristigen Aufwertungserwartungen im Hinblick auf den Dollar (in der Situation einer aktuell scharfen Abwertung) erklärt, d.h. auf die Vorstellung "überschießender Wechselkurse" rekurriert. Dabei ist jedoch unklar, wie trotz unterstellter Vertrauenskrise des Dollar der Markt langfristig wieder an einen auf höherem Niveau stabilisierten Dollar glauben kann. Entweder diese Krise wird ohnehin nur als kurzfristiges Phänomen interpretiert - dann wird sich kaum ein scharfer Dollar-Einbruch einstellen, weil die Erwartungen über seinen künftigen Wert schon den jeweils aktuellen Kurs beeinflussen. Oder es tritt ein fundamentaler Regimewechsel ein, der die bisherige Rolle des Dollar in der Weltwirtschaft unterminiert dann bleibt offen, worauf sich langfristige Aufwertungserwartungen gründen lassen. Um Krugmans Position zu stützen, wäre es besser, die erwartete Ertragsrate von US-Vermögenswerten nicht an spätere Kursgewinne beim Rücktransfer in die heimische Währung zu binden. Näherliegender wäre das Argument, daß für ohnehin transnational wirtschaftende Akteure, denen das geographische Element ihrer Bilanz eher zweitrangig ist, der Dollar-Kursverfall vor allem reale Vermögenswerte relativ, d.h. im Vergleich zu ihrem Preis in anderen Währungsräumen verbilligt hat. So werden z.B. multinationale Unternehmen, die einen bestimmten Wertanteil ihres Portefeuilles in Aktien oder Immobilien zu halten wünschen, vermehrt als Käufer in den USA auftreten. Die Ratio eines solchen Verhaltens liegt dann nicht in der Erwartung einer späteren Dollar-Aufwertung, sondern in der spekulativen Vorwegnahme künftiger Dollar-Preissteigerungen für die betreffenden Aktiva, wenn man gleichsam von einem "law of one price" für bestimmte Sachvermögenswerte ausgeht. 23 "Since the rate of capital inflow is by definition equal to the current account deficit, we have a paradoxical result: capital markets cannot determine the rate of capital inflow. All they can do is determine the value of the dollar" (Krugman 1989: 33). 16 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Direktinvestitionen in den USA in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben; aber andere bedeutende Posten des US-Kapitalimports, bei denen das "fire-sale"-Argument kaum eine Rolle spielen dürfte, wie der gestiegene Erwerb von Bankguthaben und die immer noch beträchtlichen Wertpapierneuanlagen (vgl. Tabelle und Abbildung 2), deuten darauf hin, daß Krugmans Analyse nur einen Ausschnitt des Marktgeschehens erklärt. Eine allgemeine Antwort auf die Frage nach den Grenzen des US-Kapitalimports kann nicht aus Überlegungen zur Notwendigkeit einer Rückzahlung der amerikanischen Auslandsschuld gewonnen werden, sondern muß umgekehrt an der Rate der Geldvermögensbildung in der Welt und den dabei zur Geltung kommenden Währungspräferenzen ansetzen. Das durch Nettokapitalimport zu deckende Leistungsbilanzdefizit der USA betrug zuletzt lediglich etwa ein Zehntel der laufenden Ersparnis Japans und der EG. Aus dieser Perspektive erscheint es keineswegs ausgeschlossen, daß die Überschußländer jährlich einen konstanten Teil ihres wachsenden Geldvermögens zum Kauf von Dollar-Titeln verwenden (vgl. Cooper 1985; Sachs 1988: 654f). Auf der anderen Seite wird jedoch die Erwirtschaftung der Zinszahlungen, die die USA als "Bank" für die ausländische Kreditaufnahme, d.h. für ihre "Einlagen" i.w.S. zu leisten hat, zu einem Problem. Denn erstens sind die USA nicht (mehr) in der komfortablen Position einer normalen Geschäftsbank, die von der Marge zwischen Soll- und Habenzinsen leben kann. Das Zinsniveau der USA ist vielmehr mittlerweile im internationalen Vergleich relativ hoch. Zweitens werden die USA etwa seit 1985 in der Position eines Nettoschuldnerlandes gesehen24, was ebenfalls der typischen Position einer Geschäftsbank widerspricht. Aus beiden Gründen ergibt sich eine Tendenz zu negativen Zinserträgen. Diese vermögenswirtschaftlich ungünstige Lage der USA schlägt sich nun auch immer mehr in der Entwicklung der Zahlungsbilanz nieder. Der Posten der Vermögenseinkommen, der in der Vergangenheit praktisch die gesamte Dienstleistungsbilanz bestimmt hat, ist stark geschrumpft und wird demnächst ins Defizit geraten. Selbst wenn aus der Perspektive der internationalen monetären Kapitalallokation ein bestimmtes Leistungsbilanzdefizit als dauerhaft finanzierbar gilt, so muß sich aufgrund der amerikanischen Nettozinszahlungen an das Ausland die Struktur dieses Defizits nach und nach ändern: Der Güterimportüberschuß muß tendenziell abgebaut werden und unter ungünstigen Bedingungen, d.h. bei einem über der Wachstumsrate liegenden Zinssatz, sogar sein Vorzeichen wechseln (vgl. Tabelle; OECD 1989: 58ff)25. 24 Aufgrund von vielfältigen Bewertungsproblemen läßt sich jedoch zumindest der Zeitpunkt dieses Umschlags nicht eindeutig bestimmen; so bewirkt die Veranschlagung der amerikanischen Direktinvestitionen zu historischen "Anschaffungswerten" eine systematische Unterschätzung der US-Auslandsaktiva (vgl. OECD 1989: 58). 25 Das Domar-Modell bei Auslandsverschuldung: Es sei D der Auslandsschuldbestand, r der Zins für Auslandsschulden und Z der Zinsendienst rD. Das Leistungsbilanzdefizit L = dD / dt setzt sich aus den Zinszahlungen Z und dem Handelsbilanzdefizit H zusammen. Das Einkommen Y wachse mit der 17 Somit erzwingt die Logik der vermögenswirtschaftlichen Stock-Flow-Beziehungen von den USA früher oder später eine Anpassung, die einen realen (relativen) Einkommensverzicht mit sich bringen wird. Allerdings ist zu bezweifeln, ob dieser Mechanismus aus einer historischen Sicht überhaupt die notwendige Zeit zur Entfaltung haben wird. Die Situation und das Schicksal von Leitwährungsländern wurde in der bisherigen Wirtschaftsgeschichte stets maßgeblich von externen Ereignissen und Entwicklungen geprägt; eine wichtige Rolle spielten dabei die Interessen und das Verhalten von potentiellen Konkurrenten um die Funktion einer "Weltbank". Konkret: Ob das Defizit der USA weiterhin von ausländischen Anlegern finanziert wird, hängt wahrscheinlich weniger von den Bemühungen der USA zur Stärkung ihrer "Angebotsbedingungen" ab, sondern vielmehr von der Fähigkeit und Bereitschaft anderer Länder, dem internationalen Vermögensmarkt ein besseres "Weltgeld" anzubieten. IV Resümee und Ausblick: Das Geld des Schuldners als Leitwährung? Betrachtet man die energische geld- und währungspolitische Stabilisierung am Ende der 70er Jahre und die nachfolgende Ära der Reaganomics als einen Versuch zur Wiederherstellung der monetären Führungsrolle der USA in der Weltwirtschaft, so wird man diesen Versuch als gescheitert ansehen müssen. Die Verteidigung des Dollar war nur dadurch möglich, daß die USA das für klassische Leitwährungsländer typische Zinsprivileg verloren. Noch in den 60er Jahren ließ der vergleichsweise (auch real) niedrige Zins auf langfristige Wertpapiere eine Liquiditäts- bzw. Sicherheitsprämie der Dollar-Titel erkennen; gegen Ende der 70er Jahre mußte dann eine markante Zinssteigerung im Vergleich zu wichtigen Anlageländern hingenommen werden; und in den 80er Jahren sind die USA ein Hochzinsland geblieben (vgl. Abbildung 8). Auch wenn die oft betonten Probleme der Staatsverschuldung und der angeblich mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der USA zu relativieren sind, spricht einiges für die These vom "unaufhaltsamen Abstieg eines Leitwährungslandes" (Stadermann 1987). Zunächst einmal gefährdet die Schuldnerposition der USA die Stabilität seiner Leitwährungsposition und die erRate g. Ein bestimmter Wert a = L / Y sei vorgegeben (weil vom Kapitalmarkt finanzierbar). Y = Y0 e g t t z b g D = D0 + a Y0 e g t dt = D0 + a Y0 e g t - 1 g 0 a f D Y = D0 Y0 - a g e - g t + a g lim D Y = a g t Æ• Bezeichnet man die Zinszahlungsquote Z / Y mit z und den relativen Importüberschuß H / Y mit h, so gilt a = z + h . Der Importüberschuß wird dann bei gegebenem a zur endogenen Größe, wenn z = r D / Y seinem Grenzwert r a / g zustrebt. a h = a- ra g = a 1-r g f bzw. a H = L 1- r g f Ein Güterimportüberschuß kann also nur dann aufrechterhalten werden, wenn die Wachstumsrate über dem Zinssatz liegt. 18 wartete dauerhafte Akzeptanz des Dollar als Weltgeld. Üblicherweise geht man davon aus, daß das als "Weltbank" fungierende Land eine Gläubigerstellung innehaben müsse26. Denn in diesem Fall können die Märkte erwarten, daß dieses Land ein starkes Interesse an einer Stabilität des äußeren (und damit verbunden: des inneren) Geldwertes seiner Währung haben wird; eine Abwertung etwa würde zu Vermögensverlusten bei den in nationaler Währung fixierten Auslandsaktiva (vor allem Kredite) führen. Daß umgekehrt Kreditnehmer sich durch Emission eigenen Geldes entschulden können, widerspricht der Logik des Kredits ein einer Geldwirtschaft (vgl. Herr 1987). Somit befreit einerseits die Tatsache, daß die amerikanische (Netto-) Auslandsschuld in Dollar nominiert ist, die USA von dem Zwang, sich um einen Exportüberschuß zur Schuldenrückzahlung bemühen zu müssen; andererseits bringt das von den ausländischen Gläubigern zu tragende Abwertungsrisiko ein Unsicherheitsmoment in das Devisenmarktgeschehen, weil die Anleger auf seiten der USA eine Strategie der Schuldenentwertung über den Wechselkurs vermuten müssen. Man könnte allerdings auch argumentieren, daß gerade wenn - wie oben ausgeführt - die Auslandsschuld für die USA keine direkte Last darstellt, eben auch der unbedingte Anreiz entfällt, sich via Wechselkurspolitik davon zu befreien. Ein Abwertungskurs bleibt für die USA zweischneidig, weil er zwar zur Sanierung der Handelsbilanz führt, zugleich aber Preisgefahren im Inland mit sich bringt und vor allem Amerikas militärpolitische Ambitionen in der Welt behindert, indem sich die Aneignung ausländischer Ressourcen in Dollar gerechnet verteuert. Die Forderung, daß die USA aus letztlich finanzwirtschaftlichen Gründen Abstriche an verteidigungspolitischen Aufgaben vornehmen müsse und solle, ist seit einiger Zeit in der Diskussion (vgl. Calleo u.a. 1988), nachdem jahrelange Mahnungen an die Überschußländer, ihrerseits mit offeneren Handelsgrenzen und einer expansiveren Politik den USA aus außenwirtschaftlichen Problemen zu helfen (vgl. Feldstein 1985), letztlich wenig Gehör fanden. Daraus ergibt die einfache Schlußfolgerung, daß die USA eine Verteidigung des herrschenden Wechselkursniveaus anstreben, um die notwendige Abwägung zwischen den Vorund Nachteilen zugunsten einer Dollar-Abwertung hinauszuschieben. Ein "non-decision making" liegt auch deshalb nahe, weil die Frage nach der (mehr oder weniger informellen) Besetzung einer Leitwährungsposition politisch keinen allzu großen Stellenwert (mehr) genießt. Das "Primat der Innenpolitik" machte sich - wie eingangs erwähnt - bereits in den 30er Jahren bemerkbar; und auch heute verspüren potentielle Konkurrenten der USA offensichtlich wenig Neigung, gleichsam offiziell in den Wettbewerb um die monetäre Führungsposition einzutreten und die faktischen Verpflichtungen eines Leitwährungslandes zu übernehmen. Aber der Abschied von einer gleichsam monopolistischen Verfassung der Weltwirtschaft, 26 Als klassisches Beispiel wird hier England zur Zeit des Gold-Pfund-Standards angesehen. Allerdings ist die Nettogläubigerstellung Englands nicht unumstritten. Lindert (1969) weist darauf hin, daß dies zwar eindeutig beim langfristigen Kapitalverkehr galt (Auslandskredite, die der Exportfinanzierung dienten), daß aber unter Einbezug der kurzfristigen Einlagen des Auslands in London die Nettovermögensposition durchaus bei Null gelegen haben könnte. 19 die durch die überragende monetäre, wirtschaftliche und politische Macht eines Hegemons gekennzeichnet war, und das abnehmende Interesse an einer solchen Machtstellung bedeuten keineswegs, daß sich auch für die Vermögensbesitzer die Frage nach der währungsmäßigen Orientierung ihrer Dispositionen auf den Finanzmärkten nicht mehr stellt. Unabhängig von politischen Interessenlagen und institutionellen Gegebenheiten existiert seit einigen Jahren faktisch eine oligopolistische Struktur auf dem Weltkapitalmarkt, auf dem die Vermögenssicherungsqualität einiger weniger Anlagewährungen in einem permanenten Markttest geprüft wird. Planungen zu einer Harmonisierung der Geld- und Währungspolitik im EWS führen vielfach zu der Prognose, daß eine künftige Europa-Währung (vermutlich eine Art Euro-DM) den Dollar aus seiner bisherigen Rolle verdrängen wird; die Reputation der D-Mark und die Größe eines integrierten europäischen Wirtschafts- und Währungsraumes würden die Nachfrage nach Dollar-Titeln rasch vermindern27. Auf der anderen Seite ist aber keineswegs ausgemacht, daß eine europäische Einheitswährung auch eine starke, d.h. harte Währung sein wird (vgl. Spahn 1990). Auch hier wird sich die Marktreaktion auf neue währungspolitische Institutionen nicht vorhersehen oder steuern lassen. Somit könnte das Dollar-Problem weniger für den angeblichen Niedergang der US-Ökonomie und das Scheitern der amerikanischen Wirtschaftspolitik im Wettbewerb um eine monetäre Führungsposition in der Weltwirtschaft stehen, sondern vielmehr das Ende des bisherigen Musters einer historischen Sequenz von Leitwährungen markieren und eine Phase der "Privatisierung der Währungspolitik" einleiten. 27 "Adverse current account effects of Europe 1992 for the United States and financial integration with the creation of a competitive European asset are bound to imply a major dollar depreciation in the 1990s" (Dornbusch 1989: 362). 20 Literatur Bergsten, C.F., 1985: The Second Debt Crisis Is Coming. Challenge, May/June, 14-21. Bliss, C., 1986: The Rise and Fall of the Dollar. Oxford Review of Economic Policy, 2, 7-24. Brunner, K. / Meltzer, A.H., 1988: Money and Credit in the Monetary Transmission Process. American Economic Review, Papers and Proceedings, 78, 446-451. 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KAPITALBILANZ (+: Zufluß) -23 -12 15 2 -25 -23 -24 -20 37 83 102 122 133 141 Direktinvestitionen - der USA im Ausland - des Auslands in den USA -12 -14 3 -8 -12 4 -9 -13 4 -8 -16 8 -13 -25 12 -6 -19 14 14 -10 23 18 4 14 12 0 12 23 -3 25 2 -17 19 8 -26 34 3 -44 47 41 -18 58 Portfolioinvestitionen - der USA im Ausland - des Auslands in den USA -1 -6 5 -5 -9 4 -2 -5 3 1 -4 4 2 -5 6 5 -4 8 4 -6 10 5 -8 13 10 -7 17 31 -5 36 64 -7 71 71 -4 75 29 -5 34 39 -8 47 -13 -14 1 -10 -21 11 -5 -11 7 -18 -34 16 6 -26 33 -36 -47 11 -42 -84 42 -45 -111 66 20 -30 50 23 -11 34 40 -1 41 20 -60 80 47 -42 89 14 -54 69 Sonstige private Forderungen -1 -3 -1 -2 -2 4 0 4 -7 10 1 -10 8 5 Öffentlicher Kapitalverkehr - Forderungen der USA - Verpflichtungen der USA 3 -3 7 13 -4 18 33 -4 37 29 -5 34 -17 -4 -14 10 -5 16 0 -5 5 -2 -6 4 1 -5 6 -2 -5 3 -4 -3 -1 34 -2 36 46 1 45 42 3 39 3. RESTPOSTEN (+: Zufluß) 5 10 -1 11 25 30 22 33 11 27 18 11 2 -11 4. RESERVEÄNDERUNG (+: Gewinn) 1 3 0 -1 1 8 5 5 1 3 4 0 -9 4 1. LEISTUNGSBILANZ (-: Defizit) Handelsbilanz - Exporte - Importe Dienstleistungen, Transfers - Vermögenseinkommen Kreditverkehr der US-Banken - Forderungen - Verpflichtungen (Quelle: Federal Reserve Bulletin) 2 3 4