§7 Der kleine Satz von Fermat Polynomkongruenz modulo p. Sei p eine Primzahl, n ≥ 0 und c0 , . . . , cn ∈ Z. Wir betrachten die Kongruenz (∗) c0 + c1 X + . . . + cn−1 X n−1 + cn X n ≡ 0 mod p d.h.: Wir suchen alle x ∈ Z mit der Eigenschaft c0 + c1 x + . . . + cn−1 xn−1 + cn xn ≡ 0 mod p Diese Zahlen nennt man die Lösungen von (∗). Nach 5.5 gilt: (1) Die Lösungsmenge ändert sich nicht, wenn man in (∗) die Koeffizienten c0 , . . . , cn ersetzt durch c00 , . . . , c0n mit ci ≡ c0i mod p. (2) Mit einer Lösung x0 von (∗) ist auch jedes y mit y ≡ x0 mod p eine Lösung von (∗). Also ist die Lösungsmenge von (∗) die Vereinigung von vollen Restklassen modulo p. Daher erklärt man: Definition. Die Anzahl der Lösungen von (∗) ist die Anzahl der Restklassen modulo p, deren Elemente (∗) lösen. (Diese ist auch gleich der Anzahl der Lösungen x0 mit 0 ≤ x0 < p.) 7.1 Satz. Ist p kein Teiler von cn , so hat (∗) höchstens n Lösungen. Beweis. Für n = 0 ist dies klar. Induktionsannahme. 7.1 ist richtig für n − 1. Schluß von n − 1 auf n. Angenommen (∗) habe n + 1 paarweise inkongruente Lösungen x0 , x1 , . . . , xn . Setze für x ∈ Z f (x) := c0 + c1 x + . . . + cn xn . Es gilt dann (wie man nachrechnet) n P i−1 f (x) − f (x0 ) = (x − x0 ) ci (xi−1 + x0 xi−2 + . . . + xi−2 0 x + x0 ) i=1 = (x − x0 )g(x), wobei g(X) ein Polynom der Form g(X) = b0 + b1 X + . . . + bn−1 X n−1 ist mit bn−1 = cn , p - bn−1 Speziell gilt für X = xk , k = 1, . . . , n: (xk − x0 )g(xk ) = f (xk ) − f (x0 ) ≡ 0 − 0 ≡ 0 mod p, und nach Annahme ist 1 (xk − x0 ) 6≡ 0 mod p. Also gilt p|(xk − x0 )g(xk ), p - xk − x0 =⇒ p|g(xk ), d.h. die Kongruenz g(X) ≡ 0 mod p hat die n paarweise inkongruenten Lösungen x1 , . . . , xn . Dies widerspricht der Induktionsannahme. Also ist die Annahme falsch, daß (∗) n + 1 inkongruente Lösungen hat. Definition. Die zahlentheoretische Funktion ϕ : N\{0} −→ N\{0} m 7−→ Anzahl der zu m teilerfremden Zahlen b mit 1 ≤ b ≤ m heißt Eulersche ϕ–Funktion. Beispiele. ϕ(1) = 1, ϕ(2) = 1, ϕ(3) = 2, ϕ(4) = 2, ϕ(5) = 4, ϕ(6) = 2, ϕ(7) = 6, ϕ(8) = 4, ϕ(9) = 6, ϕ(10) = 4, ϕ(11) = 10, ϕ(12) = 4, . . . Ist b ≡ a mod m, so gilt nach 5.6: (a, m) = (b, m). Insbesondere: Es gibt genau ϕ(m) Restklassen modulo m, welche sämtlich aus zu m teilerfremden Zahlen bestehen. Sie heißen die primen Restklassen modulo m. Die übrigen Zahlen haben mit m einen Teiler t > 1 gemeinsam. Definition. Ein reduziertes Restsystem modulo m ist ein System von ϕ(m) paarweise inkongruenten Zahlen mod m, welche zu m teilerfremd sind. Man erhält es aus einem vollständigen Restsystem modulo m, indem man alle Zahlen wegläßt, die mit m einen Teiler t > 1 gemeinsam haben. Beispiele. m=6: 1 1 m=7: 0 1 − 1 2 − 2 2 3 − 3 3 4 − 4 4 5 5 5 5 6 − 6 6 ist ist ist ist ein ein ein ein vollständiges Restsystem reduziertes Restsystem vollständiges Restsystem reduziertes Restsystem Es soll nun gezeigt werden, daß ϕ multiplikativ ist. 7.2 Bemerkung. Ist a1 , . . . , aϕ(m) ein reduziertes Restsystem mod m und ist (a, m) = 1, so ist auch a1 a, . . . , aϕ(m) a ein solches. Dies ergibt sich sofort aus 5.6. 2 7.3 Lemma. Seien a > 0, b > 0 und (a, b) = 1. Durchläuft x ein vollständiges Restsystem mod b und y ein vollständiges Restsystem mod a, so durchläuft ax + by ein vollständiges Restsystem mod ab. Beweis. Zu zeigen: Die ab Zahlen ax+by sind paarweise inkongruent modulo ab, wenn x und y vollständige Restsysteme mod b bzw. mod a durchlaufen; M.a.W.: Aus ax1 + by1 ≡ ax2 + by2 mod ab folgt x1 ≡ x2 mod b und y1 ≡ y2 mod a. Bew.: ax1 + by1 ≡ ax2 + by2 mod ab =⇒ a1 x1 + by1 ≡ ax2 + by2 mod b =⇒ ax1 ≡ ax2 mod b. Wegen (a, b) = 1 folgt nach 5.6: x1 ≡ x2 mod b. Analog zeigt man y1 ≡ y2 mod a. 7.4 Lemma. Das Lemma 7.3 bleibt richtig, wenn man darin vollständig“ ” durch reduziert“ ersetzt. ” Beweis. Nach dem Beweis von 7.3 ist noch zu zeigen: (x, b) = (y, a) = 1 ⇐⇒ (ax + by, ab) = 1 ⇐=“: Sei d := (x, b) > 1 : d | x und d | b =⇒ d | ax + by ” und d | ab =⇒ (ax + by, ab) ≥ d > 1. Analog folgt (ax + by, ab) > 1 aus (y, a) > 1. =⇒“: Sei (x, b) = (y, a) = 1. Zu zeigen: (ax + by, ab) = 1 ” Angenommen die Primzahl p teilt (ax + by, ab) =⇒ p | ab. Wir können annehmen, daß p | a. Aus p | ax + by und p | a folgt p | by =⇒ p | y Wegen (a, b) = 1 und p | a folgt p - b p | a und p | y widerspricht aber (y, a) = 1. Aus 7.3 und 7.4 ergibt sich 7.5 Korollar. Seien a > 0, b > 0 und (a, b) = 1. Dann ist ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b) ϕ ist also eine multiplikative Funktion. Zur Berechnung von ϕ(a) müssen wir also nur noch ϕ(pn ), n ≥ 1, p Primzahl kennen. 7.6 Satz. Für a = pn , n ≥ 1 ist 1 ϕ(pn ) = pn (1 − ) p 3 Beweis. Für k ∈ N = {1, 2, . . . , pn } gilt offenbar: (k, pn ) 6= 1 ⇐⇒ p | k ⇐⇒ k ∈ {1 · p, 2 · p, 3 · p, . . . , pn−1 · p} =: M M hat pn−1 Elemente; also besteht N \M aus pn − pn−1 Elementen und N \M = {x | 1 ≤ x ≤ pn und (x, pn ) = 1}, d.h. ϕ(pn ) = Anzahl der Elemente von N \M = pn − pn−1 = pn (1 − p1 ). 7.7 Korollar. Sei a > 1 und a = pe11 · . . . · perr , r ≥ 1, eρ ≥ 1 die kanonische Zerlegung von a. Dann ist ϕ(a) = a r Y ρ=1 1 1− pρ Beweis. Da die Zahlen pe11 , . . . , perr paarweise teilerfremd sind, ergibt sich rekursiv aus 7.5 ϕ(a) = ϕ(pe11 ) · . . . · ϕ(perr ) Wegen 7.6 gilt daher ϕ(a) = pe11 1 1− p1 · ... · perr 1 1− pr =a r Y ρ=1 1 1− pρ 7.8 Der kleine Satz von Fermat. Sei m > 1. Dann gilt (a, m) = 1 ⇐⇒ aϕ(m) ≡ 1 mod m Beweis. ⇐=“: Sei aϕ(m) ≡ 1 mod m. Dann ist nach 5.6 ” 1 = (1, m) = (aϕ(m) , m), also auch (a, m) = 1. =⇒“: Sei (a, m) = 1 und a1 , . . . , aϕ(m) ein reduziertes Restsystem mod m. ” Dann ist nach 7.2 auch aa1 , . . . , aaϕ(m) ein solches. Nach 5.6 folgt: aϕ(m) ϕ(m) Q n=1 ϕ(m) Q (aan ) ≡ n=1 ϕ(m) Q an ≡ 1 · ϕ(m) Q an mod m, also n=1 an mod m. Kürzen ergibt aϕ(m) ≡ 1 mod m. n=1 (Kürzen ist nach 5.6 wegen (a1 · . . . · aϕ(m) , m) = 1 erlaubt.) Mit ϕ(p) = p − 1 ergibt sich 4 7.9 Korollar. Für p - a ist ap−1 ≡ 1 mod p. Also gilt ap ≡ a mod p für jedes a ∈ Z. 7.10 Satz von Wilson. (p − 1)! ≡ −1 mod p. M.a.W.: (p − 1)! + 1 ist ein Vielfaches von p. Beweis. Betrachte das Polynom f (X) := X p−1 − 1 − p−1 Y (X − m) m=1 Es ist von der Form f (X) = c0 + c1 X + . . . + dp−2 X p−2 . Betrachte die Polynomkongruenz (∗) c0 + c1 X + . . . + cp−2 X p−2 ≡ 0 mod p Nach 7.9 gilt für a ∈ {1, 2, . . . p − 1} : f (a) = ap−1 − 1 ≡ 0 mod p, d.h.: (∗) hat p − 1 Lösungen. Nach 7.1 kann das nur sein, wenn ci ≡ 0 mod p für i = 0, 1, . . . , p − 2. p−1 Q Nun gilt aber c0 = f (0) = −1 − (−m) = −1 − (−1)p−1 (p − 1)! m=1 Also ist −1 ≡ (−1)p−1 (p − 1)! mod p. Für p ≥ 3 ist p ungerade, also (−1)p−1 = 1 und daher (−1) ≡ (p − 1)! mod p Es gilt auch (2 − 1)! ≡ −1 mod 2, da 1 ≡ −1 mod 2. 7.11 Satz. Sei d ein positiver Teiler von p − 1. Dann hat die Kongruenz X d ≡ 1 mod p genau d Lösungen. Beweis. Sei e ∈ N mit de = p − 1. Nach der Formel für die geometrische Reihe ist p−1 d d d 2 d e−1 X −1= X −1 1+X + X + ... + X = X d − 1 g (X) Wegen (X d )e−1 = X d(e−1) ist g(X) ein Polynom vom Grad d(e − 1). Es folgt 5 (1) g(X) ≡ 0 mod p hat höchstens d(e − 1) Lösungen (7.1) (2) X p−1 − 1 ≡ 0 mod p hat genau ϕ(p) = p − 1 Lösungen (7.8) a löst X p−1 − 1 ≡ 0 mod p =⇒ p | ap−1 − 1 = (ad − 1)g(a) =⇒ p | ad − 1 oder p | g(a) =⇒ a löst X d − 1 ≡ 0 mod p oder a löst g(x) ≡ 0 mod p. Also gilt (3) a ist Lösung von X p−1 − 1 ≡ 0 mod p =⇒ a ist Lösung von g(X) ≡ 0 mod p oder von X d − 1 ≡ 0 mod p. Aus (1) bis (3) folgt: X d −1 ≡ 0 mod p hat mindestens p−1−d(e−1) Lösungen. Aber p − 1 − d(e − 1) = d und nach 7.1 gilt auch (4) X d − 1 ≡ 0 mod p hat höchstens d Lösungen. p−1 7.12 Korollar. Sei p ≥ 3. Dann hat X 2 ≡ 1 mod p genau nämlich die Restklassen von 12 , 22 , . . . , ( p−1 )2 . 2 p−1 2 Lösungen, p−1 Beweis. (a2 ) 2 ≡ ap−1 ≡ 1 mod p für a 6≡ 0 mod p nach 7.8. Nach 7.11 ist noch zu zeigen: 12 , 22 , . . . , ( p−1 )2 sind paarweise inkongruent 2 modulo p. Angenommen es existieren a, b mit 1 ≤ a < b ≤ p−1 mit a2 ≡ b2 mod p. 2 Dann ist (p − a)2 ≡ (−a)2 ≡ a2 mod p und die Kongruenz X 2 ≡ a2 mod p hat die drei Lösungen a, b und p − a, wobei p>p−a≥p− p−1 p+1 = > b > a ≥ 1, 2 2 im Widerspruch zu 7.1. 7.13 Korollar. Sei p ≥ 3. Die Kongruenz X 2 ≡ −1 mod p hat eine Lösung (das ist ein x mit p | x2 + 1), wenn p ≡ 1 mod 4 und keine Lösung, wenn p ≡ 3 mod 4. Beispiele. 3 ≡ 3 mod 4 : 3 - 12 + 1, 3 - 22 + 1 = 5, also gibt es kein x ∈ N mit x2 ≡ −1 mod 3 5 ≡ 1 mod 4 : 5 | 22 + 1 = 5 22 ≡ −1 mod 5 13 ≡ 1 mod 4 : 13 | 26 = 52 + 1 52 ≡ −1 mod 5 7 ≡ 3 mod 4 : Nach 7.13 gibt es kein x ∈ N mit 7 | x2 + 1, d.h. x2 ≡ 1 mod 7 6 Beweis von 7.13 Ist a2 ≡ −1 mod p, so ist nach 7.8 (−1) p−1 2 ≡ ap−1 ≡ 1 mod p p−1 Dann muß (−1) 2 = 1 sein, da −1 6≡ 1 mod p für p ≥ 3. Es folgt: p−1 ist 2 gerade, d.h. 4 | p − 1, d.h. p ≡ 1 mod 4. Ist umgekehrt p ≡ 1 mod 4, so ist p−1 (−1) 2 ≡ 1 mod p und daher −1 ≡ a2 mod p mit 1 ≤ a ≤ p−1 nach 7.12. 2 Wir haben also gesehen: Zusatz. Ist p ≡ 1 mod 4, so gibt es ein a mit 1 ≤ a ≤ mod p. p−1 , 2 so daß a2 ≡ −1 7.14 Teilersummenformel. Für alle m ≥ 1 gilt X ϕ(d) = m d|m d≥1 Beweis. Nach 7.5 ist ϕ multiplikativ. Nach Satz 4.4 ist dann auch φ(m) = P ϕ(d) multiplikativ, ebenso wie χ(m) = m. d|m d≥1 Es genügt daher, 7.14 für Primzahlpotenzen pn , n ≥ 1 zu beweisen. Es ist ϕ(1) = 1 und ϕ(pk ) = pk − pk−1 für 1 ≤ k ≤ n. Daher ist φ(pn ) = ϕ(1) + ϕ(p) + . . . + ϕ(pn−1 ) + ϕ(p) = 1 + (p − 1) + . . . + (pn−1 − pn−2 ) + (pn − pn−1 ) = pn 7