Zyklische Voltammetrie: Kinetik elektrochemischer

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Versuch PCF 3
Zyklische Voltammetrie: Kinetik elektrochemischer Reaktionen
Aufgabenstellung
Typische Ad- und Desorptionsprozesse an einer Platinelektrode in einer schwefelsauren Lösung sollen mit zyklischer Voltammetrie identifiziert werden.
Untersuchung der Kinetik des Redoxsystems Fe2+/Fe3+ an einer Platinelektrode in 0.5 M wäßriger Schwefelsäure
Grundlagen
Die zyklische Voltammetrie ist ein klassisches Untersuchungsverfahren der Elektrochemie,
sie hat sich seit vielen Jahren als ein Standardverfahren zur Charakterisierung elektrochemischer Prozesse an der Phasengrenze Elektrode/Elektrolytlösung etabliert.
Bei diesem Verfahren wird, wie schon aus dem Namen entnehmbar, das Elektrodenpotential
E zyklisch zwischen zwei Grenzen mit konstanter Geschwindigkeit v = dE/dt verändert. Die
dabei benutzte Sollspannung, die dem elektrochemischen System über ein als Potentiostat bezeichnetes Meßgerät aufgeprägt wird, hat die Form eines Dreiecks. Die Methode wird daher
auch als Dreiecksspannungsmethode bezeichnet.
Potential-Zeit-Verlauf an der Arbeitselektrode bei der Dreiecksspannungsmethode.
Das Verfahren zählt zu den instationären Methoden. Um die erwünschte Veränderung des
Elektrodenpotentials zu erreichen, müssen an der Phasengrenze entsprechend der NernstGleichung Konzentrationsveränderungen erreicht werden. Dies wird bewirkt, in dem durch
die zu untersuchende Elektrode und eine weitere, als Gegen- oder Hilfselektrode bezeichnete
Elektrode ein Strom geeigneter Stärke und Polarität geschickt wird, bis sich die Lösungszusammensetzung an der elektrochemischen Phasengrenze so eingestellt hat, daß das Potential
der Arbeitselektrode vom Potentiostaten gegen die stromlose Bezugselektrode gemessen
gleich dem Wert der Sollspannung ist. Die Verwendung von drei Elektroden (Arbeits- (AE,
WE), Bezugs- (BE, RE) und Gegenelektrode (GE, CE)) hat der Meßanordnung (nicht etwa
der Methode) zum Namen "Dreielektrodenanordnung" verholfen. Eine Aufzeichnung von
Elektrodenpotential (ersatzweise auch der Sollspannung, beide sind im Fall idealer Regeleigenschaften des Potentiostaten ja gleich) und fließendem Strom liefert ein als zyklisches
Voltammogramm (oder "Dreieckspannungsdiagramm") bezeichnetes Bild. Aus ihm sind charakteristische Potentiale zu entnehmen, bei denen an der Elektrode Prozesse (Oxidation, Reduktion, Metallauflösung, Adsorption, Desorption) einsetzen. Typische Anwendungsgebiete
der zyklischen Voltammetrie liegen u.a. in der Aufnahme von Deckschichtdiagrammen, der
Untersuchung von Redoxsystemen und der Metallabscheidung. Aus Cyclovoltammogrammen
(CV) lassen sich Informationen über die Thermodynamik von Redoxsystemen und die Kinetik
von heterogenen Elektronentransferreaktionen sowie angekoppelten chemischen Reaktionen
erhalten. Eine genauere Analyse der Bilder vor allem nach einer systematischen Variation der
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verschiedenen einstellbaren experimentellen Parameter erlaubt außerdem den Zugang zu einer
Vielzahl weiterer Daten des elektrochemischen Systems. Weiterhin wird die zyklische Voltammetrie zur Aufklärung komplexer Reaktionsfolgen angewendet; diese Aufgabenstellung
wird auch z.B. mit der rotierenden Scheibe-Ring-Elektrode und der Methode der differentiellen elektrochemischen Massenspektrometrie bearbeitet. Die Dreieckspannungsmethode eignet
sich wegen des geringen Aufwands auch für kinetische Messungen an Redoxsystemen.
Um die kinetischen Daten j0 und α zu bestimmen, muß der Stofftransport zu einer ruhenden
Elektrode in ungerührter Lösung rechnerisch behandelt werden. Dieser erfolgt ausschließlich
durch Diffusion. Einzelheiten zu diesen sehr umfangreichen Rechnungen sind in der Literatur
nachzulesen. An dieser Stelle wird lediglich ein Zusammenhang zwischen den experimentellen Beobachtungen und den zu bestimmenden Größen hergestellt.
Ein zyklisches Voltammogramm eines Redoxsystems zeigt folgendes Bild:
Zyklisches Voltammogramm eines Redoxsystems bei einmaligem Potentialdurchlauf.
Charakteristisch sind:
1. die Höhe der beiden Strompeaks (ip)
2. die Differenz der Peakpotentiale (∆Ep)
Die Theorie ergibt folgenden Zusammenhang zwischen der Höhe des Peakstroms ip und der
Geschwindigkeit des Potentialdurchlaufs (v = dE/dt)
1/2
0
ip = 3,01·105·A·n3/2·(1-α)½ Dox
⋅ cox
·v½
Die Auftragung von ip gegen v½ ergibt eine Gerade, aus deren Steigung der Durchtrittsfaktor α
berechnet werden kann. Die Messung der Differenz der Peakpotentiale ∆Ep kann zur Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten k0 herangezogen werden. Aus k0 erhält man über die
Beziehung
α
(1-α)
j0 = F·k0· cox
⋅ cred
die Austauschstromdichte j0.
Die Peakpotentialdifferenz ∆Ep steht im Zusammenhang mit der Funktion Y
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Y
20
7
5
4
3
2
∆Ep / mV
61
63
65
66
68
72
Y
1
0,75
0,5
0,35
0,25
0,1
∆Ep / mV
84
92
105
121
141
212
Die Geschwindigkeitskonstante k0 erhält man aus dem ermittelten Wert für Y über die folgende Gleichung:
α
 Dox 1/ 2 

  ⋅ k0
 Dred  
Y=
n⋅ F
π ⋅ Dox ⋅ v
R ⋅T
Mit Dox = Dred kann die Gleichung vereinfacht werden.
Als Umkehrpotentiale der "Dreieckspannung" werden in wäßriger Lösung meist die Potentiale der beginnenden anodischen Sauerstoffentwicklung und der kathodischen Wasserstoffentwicklung gewählt oder Potentiale, die außerhalb der Redoxpeaks liegen.
Zur Erzeugung des gewünschten Potentialverlaufs an der Meßelektrode dient folgende
Schaltung:
Potentiostatische Schaltung zur Aufnahme von zyklischen Voltammogrammen; RE: Bezugselektr., WE: Arbeitselektr., CE: Gegenelektr.
Im Versuch sollen zunächst Deckschichtdiagramme einer Platinelektrode im Kontakt mit einer wäßrigen Schwefelsäurelösung aufgenommen und interpretiert werden. Anschließend
sollen die bei Zugabe einer elektrochemisch aktiven Substanz (Eisenredoxsystem) auftretenden Veränderungen der CVs ausgewertet werden.
Ausführung
Geräte und Chemikalien
Potentiostat
X-Y-Schreiber
2 Platinelektroden
1 Wasserstoffbezugselektrode
0,5 M H2SO4
0,1 M Fe2+/Fe3+-sulfatlösung (Stammlösung)
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Aufbau
Der Versuch kann mit einem Potentiostaten, einem analogen Funktionsgenerator und einem
XY-Schreiber zur Datenaufzeichnung durchgeführt werden, alternativ ist eine Potentiostat/Rechnerkombination benutzbar. Im zweiten Fall ist für die Auswertung Software (z.B.
Sigmaplot, Origin) erforderlich, die Daten können auf Diskette (kein anderes
Speichermedium) im ASCII-Format mitgenommen werden. Umkopieren der Daten auf
andere Medien ist in den Poolräumen des URZ möglich. Die zu benutzende Kombination
wird bei Terminabsprache mit dem Betreuer abgestimmt.
Versuchsablauf
1. Aufnahme von Deckschichtdiagrammen
Die Meßzelle wird mit 0.05 M Schwefelsäure gefüllt, als Arbeits- und Gegenelektrode werden Platin-Elektroden und als Bezugselektrode eine Wasserstoffelektrode eingesetzt. Die
verwendete Wasserstoffelektrode RHE besteht aus einem platinierten Platinnetz in einem
nach unten geöffneten Glasröhrchen. Das Röhrchen wird mit der jeweils verwendeten Elektrolytlösung gefüllt, dann wird am Platinnetz durch Elektrolyse so viel Wasserstoff entwickelt,
daß das Netz halb vom Gas und halb von der Lösung umgeben ist. (Falls die Wasserstoffblase
nicht zu sehen ist, muß durch Elektrolyse mit einer weiteren als Anode geschalteten Platinelektrode erneut H2 erzeugt werden, lassen Sie sich im Zweifel vom Betreuer beraten). Vor
der Aufnahme des Deckschichtdiagramms wird etwa 10 Minuten mit Stickstoff oder Argon
gespült, um den gelösten Sauerstoff zu entfernen. Die Messung selbst wird in ruhender Lösung vorgenommen. Zur Festlegung des Nullpunktes und des Achsenkreuzes werden ggfs. die
Schreibereingänge auf "zero" geschaltet und dann Nullpunkt und Achsen (mit pen up/down)
markiert (Die Festlegung und Markierung des Nullpunktes muß vor jeder Aufnahme eines
Diagramms erfolgen).
Die Empfindlichkeitseinstellungen (am Potentiostat und am Schreiber) sind so zu wählen, daß
das komplette Deckschichtdiagramm vom X-Y-Schreiber aufgenommen werden kann. Berücksichtigen Sie dabei, daß der durch die Arbeitselektrode fließende Strom am Meßwiderstand eine Spannung hervorruft, die nach dem Ohmschen Gesetz mit dem Strom zusammenhängt. Der Durchlauf soll etwa den Bereich 20 < ERHE < 1660 mV umfassen. Um eine reproduzierbar aktive Oberfläche der Arbeits-Elektrode zu erhalten, wird diese vorher durch
schnelle Zyklen (v = 1 V/s) im eingestellten Potentialbereich aktiviert.
Ein typisches Bild:
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Zyklisches Voltammogramm von Platin in 0,05 M H2SO4, dE/dt = 100 mV/s, N2-gespült.
Zeichnen Sie den Bereich von ca. 20 < ERHE < 800 mV bei größerer Auflösung getrennt auf.
Anschließend soll der Bereich von 300 < ERHE < 500 mV, also der Doppelschichtbereich,
aufgezeichnet werden. Die Spannungsanstiegsgeschwindigkeit wird von 20 - 100 mV/s in 20
mV-Schritten variiert. Es ist sinnvoll, mit der größten Spannungsanstiegsgeschwindigkeit zu
beginnen, um den Meßbereich (der Strom wächst mit steigender Spannungsanstiegsgeschwindigkeit). Vor Aufnahme des jeweils neuen Diagramms sollte der Durchlauf etwa 3 mal wiederholt werden. Ein typisches Ergebnis zeigt Bild 3.7.
CVs im Doppelschichtbereich bei verschiedenen Durchlaufgeschwindigkeiten
2. Untersuchung der Kinetik des Eisen-Redoxsystems
In diesem Versuch wird das System Fe2+/Fe3+ an Pt in 0,5 M Schwefelsäure untersucht. Die
Diffusionskoeffizienten sind:
Dred = 5,04·10-6 cm2 s-1
Dox = 4,65·10-6 cm2 s-1
Die Zelle wird mit 0,005 M Fe2+/Fe3+ -Lösung gefüllt. Diese Lösung wird durch Verdünnen
der Stammlösung von 0,1 M Fe2+/Fe3+ -Ionen mit 0,5 M Schwefelsäure hergestellt. Die Lösung wird mit Argon oder Stickstoff entlüftet. Anschließend werden CVs im Bereich 400 <
ERHE < 1200 mV mit verschiedenen Potentialanstiegsgeschwindigkeiten aufgenommen (v =
100, 200, 400, 600, 800 und 1000 mV/sec). Ein typisches Ergebnis zeigt folgendes Bild.
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CVs des Eisenredoxsystems bei verschiedenen Durchlaufgeschwindigkeiten.
Auswertung
1. Aufnahme des Deckschichtdiagramms
Bereich 20 < ERHE < 1620 mV
Das Potential hat den Bereich zwischen beginnender Wasserstoff- und Sauerstoffentwicklung
durchlaufen. Im anodischen Durchlauf wird zunächst die Wasserstoffbelegung der Oberfläche
oxidiert. Die zwei ausgeprägten Stromspitzen entsprechen mindestens zwei Arten atomar adsorbierten Wasserstoffs Had. Zwischen 350 < ERHE < 800 mV fließt nur der Ladestrom für die
Doppelschicht. Etwa bei ERHE = 800 mV beginnt die Ausbildung der Sauerstoff-Chemisorptionsschicht. Um ERHE = 1600 mV setzt die Sauerstoff-Entwicklung ein. Im kathodischen
Rücklauf wird die Sauerstoff-Belegung mit einer Überspannung von mehreren 100 mV reduziert. Ab ERHE = 350 mV belegt sich die Oberfläche wieder mit atomarem Wasserstoff.
Bereich 20 < ERHE < 800 mV
Die vergrößerte Aufnahme dieses Teils des Deckschichtdiagrammes ermöglicht die Bestimmung der tatsächlichen Oberfläche der Elektrode und des Rauhigkeitsfaktors Rf. Dazu wird
die Fläche unter der Kurve (Wasserstoff-Adsorptionsbereich) von 20 < ERHE < 360 mV bestimmt. Daraus wird die Wasserstoff-Ladung Q-H für die Bildung von Had zwischen 20 <
ERHE < 360 mV abzüglich der 2,25-fachen anodischen Doppelschichtaufladung QCD zwischen
480 < ERHE < 640 mV berechnet; diese Korrektur eliminiert den Beitrag des kapazitiven Ladestroms während der Had-Bildung.
Mit Werten aus einer typischen Messung wie z.B.: Empfindlichkeit: 0,06 mA/cm, 40 mV/cm,
Geschwindigkeit: 100 mV/s und einer Peakfläche von 37,17 cm2 ergibt sich für die kathodische Wasserstoffladung vor Abzug der anodischen Doppelschichtaufladung:
QH'− = 37,17 cm2·0,06 mA/cm * 40 mV/cm 1/100 s/mV = 0,89 mA·s = 8,9·10-4 A·s
Die anodische Doppelschichtaufladung beträgt:
Q = 0,8 cm2·2,25·0,06 mA/cm·40 mV/cm·1/100 mV/s = 0,043 mA·s = 4,3·10-5 As
Für Q-H ergibt sich also:
QH− = 8,9·10-4 Cb - 4,3·10-5 Cb = 8,47·10-4 Cb
Geht man davon aus, daß in dem Bereich von 20 < ERHE < 360 mV 90 % der Platin-Oberflächenatome ein Wasserstoff tragen (entspricht einem Bedeckungsgrad von 0,9), und legt man
einen Wert von 2,1·10-4 Cb/cm2 zugrunde (ergibt sich aus der Zahl der Platin-Atome pro Flächeneinheit = 1,3·1015 cm-2 und der Elementarladung = 1,6·10-19 Cb), so ergibt sich für die tatsächliche Oberfläche ein Wert von 4,03 cm2.
Der Rauhigkeitsfaktor ist der Quotient aus wahrer und geometrischer Oberfläche. Mit einer
geometrischen Oberfläche von 2,2 cm2 folgt also für den Rauhigkeitsfaktor: Rf = 1,83.
Bereich 350 < ERHE < 600 mV (Doppelschichtbereich).
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Bei ERHE = 500 mV werden die zu den jeweiligen Spannungsanstiegsgeschwindigkeiten gehörenden Stromwerte abgelesen und gegen v aufgetragen. Man erhält eine Gerade, d.h. die
Deckschichtströme sind proportional zur Anstiegsgeschwindigkeit des Potentials. Die Doppelschicht entspricht also dem Bild eines aufgeladenen Plattenkondensators.
2. Die Auftragung der Peakströme des Eisenredoxsystems gegen v½ sollte eine Ursprungsgerade ergeben. Anhand der Daten aus der Tabelle wird eine Kalibrierkurve erstellt. Nach der
Messung von ∆Ep bestimmen Sie den zugehörigen Y-Wert und berechnen daraus k0 und j00.
Vergleichen Sie ihre Ergebnisse mit aus der Literatur zugänglichen Resultaten.
Kontrollfragen
Ist die zyklische Voltammetrie eine stationäre Meßmethode?
Können Sie Redoxpotentiale aus den CVs der entsprechenden gelösten Substanzen entnehmen?
Wie unterscheiden sich geometrische und wahre Elektrodenoberfläche?
Literatur
R. Holze: Leitfaden der Elektrochemie, Teubner-Verlag, Stuttgart 1998.
R. Holze: Elektrochemisches Praktikum, Teubner-Verlag, Stuttgart 2001.
C.H. Hamann und W. Vielstich: Elektrochemie, Verlag Chemie, Weinheim 2005.
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