Konzepte der Schulterchirurgie

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5.2 Konzepte der Schulterchirurgie: Instabilität
Hoffmann F
Die geschätzte Inzidenz der Oberarmkopfluxation beträgt 1 bis 2 % in der
Gesamtbevölkerung. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass die
glenohumerale Artikulation das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers
darstellt. Die komplexe Funktion des Schultergelenks trägt zu den Schwierigkeiten bei, eine Schulerinstabilität zu diagnostizieren und von anderen
Schultererkrankungen zu differenzieren. So sind die multidirektionale
Instabilität und die Subluxation des Gelenks diagnostische Herausforderungen.
Eine exzessive Translation allein ist nicht ein Kriterium für eine Instabilität
sondern eher für eine Laxität. Eine Instabilität ist erst dann manifest, wenn durch
die Vorgeschichte und die klinischen Zeichen festgestellt wird, dass eine
exzessive Translation die Ursache von Symptomen ist.
In der Therapie von Schulterinstabilitäten konkurrieren offene und
arthroskopische Verfahren. Bei den arthroskopischen Verfahren werden meist
Nahtanker verwendet, die in letzter Zeit auch als resorbierbare Anker angeboten
werden. Es gibt verschiedene Techniken die Anker einzubringen; so kann zuerst
der Anker am Glenoid gesetzt werden und dann die entsprechenden Nähte durch
den Kapselligamentkomplex transportiert werden. Es kann aber auch eine Naht
durch den Kapselligamentkomplex geführt werden, an der dann der Anker
befestigt und im Glenoid versenkt wird. Eine dritte Möglichkeit stellt die
Perforation des Kapselligamentkomplexes mit dem Anker und der Naht
zusammen dar. Eine weitere Möglichkeit zur Schulterstabilisation ist die so
genannte Thermokapsulorrhaphie unter Verwendung eines Holmium YAG
Lasers (Laser assisted capsular shrinkage LACS) oder elektrothermischen
Sonden (electrothermal assisted capsular shrinkage ETACS).
Die Indikation für eine arthroskopische Stabilisierung bei vorderer
Schulterinstabilität ist die posttraumatische vordere Schulterinstabilität mit
weniger als 6 Luxationen ohne Vorliegen einer Hyperlaxität (Typ 2 nach
Gerber) [Gerber C, 1997] und die posttraumatische vordere Schulterinstabilität
mit weniger als 6 Luxationen in Verbindung mit einer multidirektionalen
Hyperlaxität (Typ 3 nach Gerber.)
Die Vorteile einer arthroskopischen Stabilisation liegen in der geringeren
Morbidität. So sind die postoperativen Schmerzen geringer; der Musculus
subscapularis bleibt intakt, im Gegensatz zu den offenen Verfahren, wo er
abgelöst oder durchtrennt wird. Durch die kleineren Inzisionen ergibt sich eine
verbesserte Kosmetik. Ob die arthroskopischen Verfahren auch zu einer
geringeren Arthroserate führen, muss die Zukunft zeigen.
Durch die Arthroskopie ist auch ein verbessertes Erkennen der vorliegenden
Pathologie möglich. Das Ausmaß und die Lokalisation einer Bankart- oder
ALPSA-Läsion (anterior labral periosteal sleeve avulsion) kann ebenso erfasst
werden, wie das Vorliegen einer knöchernen Bankartläsion, intrakapsulärer
Risse oder einer HAGL (humeral avulsion of glenohumeral ligaments lesion).
Auch die Größe und Tiefe einer Hill-Sachs-Läsion kann genau bestimmt
werden. Weitere Vorteile einer arthroskopischen Diagnostik sind die Diagnostik
einer Labrumläsion oder einer Läsion des IGHL (inferior glenohumeral
ligament), das Vorliegen von freien Gelenkkörpern, partiellen Rotatorenmanschettenrupturen, SLAP-Läsionen, einer Tendopathie der langen
Bizepssehne, chondrale Defekte oder Veränderungen im Sinne eines internen
Impingements.
Durch das Vermeiden einer Inzision oder Durchtrennung der Sehne des
Musculus subscapularis ergibt sich in der Regel eine bessere postoperative
Beweglichkeit und eine verbesserte Funktion. Dadurch können Wurfsportler
leichter zum gleichen Aktivitätsniveau zurückkehren; außerdem bestehen
geringere Schmerzen bei den Überkopfsportarten. Da die degenerativen Veränderungen häufig mit einer Einschränkung der Außenrotation in Verbindung
stehen, sind hier in der Zukunft auch bessere Ergebnisse zu erwarten.
Eine gewisse Einsparungstendenz der arthroskopischen Stabilisation besteht in
der Tatsachen, dass diese ambulant durchgeführt werden kann, und dass die
Operationszeit beim Geübten kürzer ist als in der offenen Technik. Dem stehen
die höheren Investitionskosten für die Instrumente und die Implantate entgegen.
Das Ausmaß der postoperativen Außenrotation ist in der arthroskopischen
Technik häufig schwierig festzulegen. Außerdem haben manche Chirurgen
Schwierigkeiten mit dem Fadenmanagement und der arthroskopischen Knotentechnik bei der Verwendung von Nahtankern. Vielleicht können die bereits jetzt
schon auf dem Markt erhältlichen so genannten Knotless-Anker hier Abhilfe
schaffen.
Es gibt folgende Risikofaktoren für eine Refluxation:
1.
2.
3.
4.
Es findet sich intraoperativ keine Bankartläsion
Es handelt sich um eine atraumatische Luxation
Die glenohumeralen Ligamente sind nicht abgrenzbar
Die Patienten betreiben einen Kontaktsport (z. B. American Football,
Eishockey oder Ringen)
Findet sich keiner dieser Risikofaktoren, beträgt die Reluxationsrate für eine
arthroskopische Stabilisation 3 %, bei einer Kombination von 3 dieser
Risikofaktoren erhöht sich die Reluxationsrate auf 43 % [Pagnani et al.].
Relative Kontraindikationen für die arthroskopische Stabilisation stellen eine
pathologische Kapsellaxität, die humerale Ablösung der glenohumeralen
Ligamente (HAGL-Läsion), große knöcherne Defekte am Glenoid, große HillSachs-Läsionen und eine geringe Kompliance der Patienten dar.
In der Literatur beträgt die Reluxationsrate bei den arthroskopischen
Stabilisationen 4 bis 49 %. Als Ursache für diese große Streuungsbreite ergibt
sich eine mangelhafte Auswahl der Patienten, die für eine arthroskopische
Stabilisation geeignet sind. So sind in der Regel Patienten mit ausgeprägter
multidirektionaler Instabilität für eine arthroskopische Stabilisation nicht
geeignet. Es ist auch sinnlos, einen an sich insuffizienten Ligament-LabrumKomplex ohne Straffung nach kranial zu refixieren. Weitere operative Fehler
leigen in der zu weit medial durchgeführten Refixation des Kapsel-LabrumKomplexes oder der Insuffizienz von Nähten, Ankern oder Dübeln. Auch eine
insuffiziente Rehabilitation kann zu Rezidiven führen.
Der Schlüssel zum Erfolg bei arthroskopischen Schulterstabilisationen
beinhaltet folgende Punkte:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Weniger als 6 Luxationen
Gut abgrenzbare glenohumerale Ligamente
Vorliegen einer traumatischen Instabilität
Vorliegen einer Bankart- oder ALPSA-Läsion
Keine schwere Hill-Sachs-Läsion
Kein Kontaktsport (Ringen, Eishockey, Football)
Keine größeren knöchernen glenoidalen Defekte
Die Zunahme der intraartikulären Defekte bei Anstieg der Luxationen wird
unterstützt durch eine prospektive Multizenterstudie der AGA. Es wurden 303
Patienten mit einer posttraumatischen anterior-inferioren Instabilität der
Schulter in die Studie aufgenommen. In der Gruppe 1 handelt es sich um 61
Patienten (20,1 %) mit 1 Luxation und in Gruppe 2 um 242 Patienten (79,9 %)
mit mehr als 1 Schulterluxation. Es fanden sich in Gruppe 1 in 60,7 % IGHLLäsionen, in 50,8 % MGHL-Läsionen und in 67,2 % Hill-Sachs-Lösionen. In
Gruppe 2 fanden sich IGHL-Läsionen zu 75,2 % (P = 0,02), MGHL-Läsionen in
71,1 % (P = 0,002) und Hill-Sachs-Läsionen in 83,9 % (P = 0,003) [7]. Die
Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Reluxationen nach primärer
posttraumatischer anterior-inferiorer Schulterluxation zu einer vermehrten
Schädigung der Ligamente und zu einer Vermehrung von Hill-Sachs-Läsionen
im Schultergelenk führen. Aus dieser Studie könnte abgeleitet werden, dass eine
frühere chirurgische Stabilisation nach posttraumatischer anterior-inferiorer
Schulterluxation notwendig ist, um größere Schäden innerhalb des
Schultergelenks zu vermeiden.
Unsere Ergebnisse in einer Serie von 56 Patienten mit weniger als 6 Luxationen
präoperativ und einem Follow-up von durchschnittlich 36 Monaten ergab 71,4
% exzellente, 21,4 % gute und 7,1 % schlechte Ergebnisse entsprechend dem
Rowe score von 1978. Bei den 4 Reluxationen handelt es sich um 2 traumatische
und 2 atraumatische. Diese Ergebnisse zeigen, dass bei einem gut selektionierten
Patientengut mit einer arthroskopischen Stabilisation mit Hilfe von
resorbierbaren Nahtankern vergleichbare Ergebnisse erzielt werden können wie
bei den offenen Verfahren.
Die Grenzen der arthroskopsichen Stabilisationen liegen eindeutig beim
Vorliegen ausgedehnter ossärer Defekte. So konnten Itoi et al. zeigen, dass ein
Defekt am Glenoid in einer Ausdehnung von 21 % zu einer signifikanten
Abnahme der Stabilität in Abduktion und Innenrotation führen und dass die
Außenrotation dadurch deutlich eingeschränkt wird. Auch Burkhart wies nach,
dass knöcherne Defekte am Glenoid un am Humerus schlechere Ergebnisse der
arthroskopischen Stabilisation ergaben. So ist der Verlauf einer Hill-Sachs-Delle
entscheidend, ob diese sich in einer funktionellen Position der Abduktion und
Außenrotation am vorderen Rand des Glenoids einrastet oder nicht. Eine HillSachs-Delle, die bei Außenrotation und Abduktion einrastet, wird zu höheren
Reluxationsraten führen als eine Hill-Sachs-Delle, die in dieser Position
diagonal zum Vorderrand des Glenoids verläuft. Ein weiterer Faktor für
rezidivierende Luxationen sind, wie dies auch Itoi et al. nachgewiesen haben,
Defekte im Bereich des antero-inferioren Glenoids (umgekehrte Birne)
[Burkhart et al.]. Burkhart konnte bei 184 arthroskopischen BankartOperationen zeigen, dass die Reluxationsrate 4 % betrug, wenn keine
knöchernen Defekte vorlagen. Die Reluxationsrate stieg auf 67 % bei Defekten
am Glenoid (umgekehrte Birne) oder sich einrastenden Hill-Sachs-Defekten.
In den letzten Jahren wurden Schrumpfungen der Gelenkkapsel mittels Laser
oder elektrothermischen Geräten bei Schulterinstabilität zunehmend populär.
Bereits Hippokrates hat vor über 2400 Jahren die Behandlung von
Schulterinstabilitäten mit Hilfe von Hitze beschrieben. Er benutzte damals
glühende Holzstämme. Der thermische Effekt der heutigen elektrothermischen
Verfahren ist abhängig von 3 Faktoren: der Temperatur, der Einwirkungsdauer
und der Qualität des behandelten Kollagens. Durch die Hitzeeinwirkung kommt
es zu einer Zerstörung der Trippelhelix des Kollagens, verbunden mit einer
Denaturierung. Die kritische Temperatur für das Schrumpfen des Gewebes ist
65°, wobei allerdings der Zelltod bereits bei 45° eintritt. Durch Anwendung
einer schachbrettartigen Technik der Gewebeschrumpfung werden lebensfähige
Fibroblasten zwischen dem behandelten Gewebe erhalten. Dadurch lässt sich die
postoperative Heilungsphase verkürzen. Bei der so genannten Paintbrushtechnik werden sämtliche Fibroblasten und auch die entsprechenden Nervenzellen zerstört [Lu et al.]. Die Propriozeption nach monopolarer oder bipolarer
Schrumpfung verbessert sich [Lebhart et al.].
Zusammenfassend ergibt sich, dass die elektrothermische Schrumpfung der
Schultergelenkskapsel möglich ist, jedoch das Ausmaß der Schrumpfung von
der Temperatur, der Tiefe und damit des Nekrosenausmaßes und von der
applizierten Energie abhängig ist. Der Zelltod im Bereich des behandelten
Gewebes ist obligat. Durch die schachbrettartige Anwendung lösst sich die
Heilungsphase verringern. Das denaturierte Protein wird innerhalb von 6 bis 12
Wochen ersetzt. Die Indikation für die Kapselschrumpfung ist die
multidirektionale Instabilität, wobei die Ergebnisse bei den erworbenen Formen
besser sind als bei den angeborenen. Eine weitere Indikation könnte die
bidirektionale Instabilität in Kombination mit einer mechanischen Refixation
des Kapselligamentkomplexes, z. B. durch Nahtanker sein.
Es gibt bisher keine prospektiven, randomisierten, kontrollierten Studien, die
belegen, dass die arthroskopische Kapselschrumpfung Vorteile z. B. gegenüber
dem offenen Kapselshift bietet. Die Einfachheit der Anwendung sollte nicht
über die Gefahren hinwegtäuschen; diese liegen in der Re-Instabilität, der
Nekrose der Kapsel, Läsionen des Nervus axillaris und Ausbildung einer steifen
Schulter. Insgesamt scheint die elektrothermische Schrumpfung in milderen
Formen der multidirektionalen Instabilität gut zu funktionieren. Bei den
ausgeprägteren Fällen ergeben sich in der Zukunft vielleicht bessere Ergebnisse
mit der Kombination eines arthroskopischen Verschlusses des Rotatorenmanschettenintervalls. Bei Patienten, die Wurfsportarten ausüben, ist eine
bessere Kontrolle der Außenrotation wohl mit einer Kapsel-Shift-Operation zu
erreichen.
Literatur
Burkhart SS, DeBeer JF, Tehrany AM, Parten PM (2002) Quantifying glenoid
bone loss arthroscopically in shoulder instability. Arthroscopy 18: 488-491
Gerber C (1997) Observations on the classification of instability. In: Warner
JJP, Ianotti JP, Gerber C (eds.): Complex and revision problems in
shoulder surgery. Pp 9-18. Lippincott-Raven, Philadelphia
Itoi E, Lee S-B, Berglund LJ, Berge LL, An K-N (2000) The effect of a glenoid
defect on anteroinferior stability of the shoulder after Bankart repair: A
cadaveric study, J Bone Joint Surg 82-A, 1, 35-46
Lebhart SM, Myers JB, Bradley JP, Fu FH (2002) Shoulder proprioception an
function following thermal capsulorraphy. Arthroscopy 18: 770-778
Lu Y, Hayashi K, Edwards III RB, Fanton GS, Thabit III G, Markel MD (2000)
The effect of monopolar radiofrequency treatment pattern on joint capsular
healing. Am J Sports Med 28: 711-719
Pagnani MJ, Warren RF, Altchek DW, Wickiewicz TL, Anderson AF (1996)
Arthroscopic shoulder stabilization using transglenoid sutures. A four-year
minimum follow-up. Am J Sports med 24: 459-467
Spatschil A, Landsiedl F, Anderl W, Imhoff A, Seiler H, Vassilev I, Klein W,
Boszotta H, Hoffmann F, Rupp S (2002) Posttraumatic anterior-inferior
instability of the shoulder – arthroscopic findings and clinical correlations.
Multi-center study by the AGA.
Quelle:
Spezialgebiete aus der Schulter- und Ellenbogenchirurgie
Rüdiger Schmidt-Wiethoff, Thomas Schneider, Hans-Joachim Appell (Hrsg.)
ISBN 3-7985-1483-6 Steinkopff Verlag Darmstadt
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