TA G U N G S B E I T R A G ❚ E. Tausche1, W. Harzer1, M. Schneider2 Gaumennahterweiterung mittels implantatverankertem Distraktor bei Patienten mit einem offenen Biss Die forcierte Gaumennahterweiterung, bei der die Apparatur an den Kronen der Seitenzähne im Oberkiefer befestigt wird, führt neben der transversalen Expansion zu Wurzel- und Knochenresorptionen sowie zur Kippung der Verankerungszähne und der Kiefersegmente. Diese Nachteile können nur mit der direkten Fixierung der Expansionsschraube am knöchernen Gaumen vermieden werden [8, 9]. Ziel der Arbeit war die Anwendung der implantat-fixierten Hyraxschraube bei Patienten mit einem skelettal offenen Biss. Bei allen Probanden wurde eine Kortikalisschwächung nach Glassmann vorgenommen. Die Expansion von ca. 8 mm wurde ohne Komplikationen nach durchschnittlich 11,8 Tagen erreicht. Die Apparatur wurde sehr gut toleriert, da sie hoch im Gaumen sitzt. Bei Vergleich der Zahnachsen im Molarenbereich im CT dominierte bei allen Patienten eine parallele Führung und Expansion. Es traten keine Wurzelresorptionen, Drucknekrosen oder Gingivaretraktionen auf. Durch die zahnunabhängige Fixation konnten noch in der transversalen Retentionszeit weitere orthodontische Aufgaben gelöst werden. Dies bedeutete kürzere Behandlungszeiten. Schlüsselwörter: direkte Gaumennahterweiterung, orthodontische Implantate, Hyraxschraube, Dysgnathie, Schmalkiefer Rapid palatal expansion by implant-anchored distractor in patients with open bite. In addition to the transversal expansion the forced rapid maxillary expansion in which the appliance is fixed to the bands of the first premolars and to the first molars of the upper jaw leads to root resorptions and pathologic loss of buccal cortical bone at the anchorage teeth as well as to the tilting of the anchorage teeth and jaw segments. In order to prevent these disadvantages direct force must be applied by fixing the Hyrax expansion screw to the hard palate. The aim of this study consisted in the application of implant-fixed hyrax screw to patients with skeleton open bite. All patients had been subjected to a presurgical bilateral osteotomy according to Glassmann. The expansion of about 8 mm had been reached uncomplicatedly after an average of 11.8 days. The appliance had been well endured because it is highly situated in the palate. In comparison with tooth axes in the molar section of CT a parallel guidance and expansion dominated in all the test persons. There were no root resorption, pressure necrosis or gingival retraction. By tooth-independent fixation further orthodontic problems could be solved already during the transversal retention time. This means consequently a reduction of treatment time. 1 2 Poliklinik für Kieferorthopädie, Klinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 61 (2006) 4 Keywords: direct maxillary expansion, orthodontic implants, hyrax screw, dysgnathia, transverse maxillary deficiency 1 Einleitung Die forcierte Gaumennahterweiterung (GNE) ist ein unverzichtbares kieferorthopädisches Therapieverfahren bei extremer transversaler Enge des Oberkiefers [1, 12]. Der Expander, eine sog. Hyraxschraube zur transversalen Erweiterung, wird im permanenten Gebiss an den Bändern der ersten Molaren und ersten Prämolaren angeschweißt. Das forcierte Vorgehen besteht im zwei- bis dreimaligen täglichen Verstellen der Erweiterungsspindel, d.h. die beiden Kiefersegmente werden 0,22 mm bis 0,44 mm pro Tag voneinander entfernt. Damit wird die Kompensationsmöglichkeit von Parodont und alveolarer Kortikalis überschritten und es kommt zum Zerreißen im Bereich der Sutura palatina mediana. Im Kindes- und Jugendalter erfolgt auch an den Nahtstellen zum Os zygomaticum und zur Schädelbasis eine gute knöcherne und Weichteiladaption. Bei erwachsenen Patienten ist die Mineralisation dieser Verbindung zur Schädelbasis abgeschlossen, so dass eine Präformierung mittels bilateraler Osteotomie und Fraktur der Sutura palatina mediana notwendig wird. In diesen Fällen erfolgt die Expansion auf der Basis einer Distraktionsosteogenese. Trotz dieser weitgehenden Mobilisierung der beiden Kieferhälften kommt es bei der Fixierung der Hyraxschraube an den Molaren und Prämolaren nicht zu einer parallelen, sondern kippenden Bewegung der Segmente. Außerdem wurden Wurzelresorptionen an den Verankerungszähnen und pathologischer Abbau der bukkalen Kortikalis an diesen Zähnen beobachtet [2, 10]. Die dentale Verankerungsqualität kann auch durch eine weit nach kaudal ausladende Kieferhöhle reduziert werden [7]. Zur Vermeidung dieser Nachteile schlugen Mommarts [11] und Gerlach et al. [5] einen direkten Kraftangriff durch Fixierung der Hyraxschraube über Osteosyntheseplatten am Gaumen vor. Ziel der vorliegenden Studie war die Anwendung einer neuen Methode von Harzer et al. [8,9], bei der es zu einer Fixierung der Hyraxschraube mittels Implantat auf der einen und Osteosyntheseschraube auf der anderen Seite am Gaumen kommt. Das Implantat wird nach erfolgreicher Expansion während der Retention weitergenutzt. Da der Expansionsdruck über eine relativ kleine Fläche der Schraubenauflage auf den Knochen einwirkt, wurden experimentelle Voruntersuchungen zur notwendigen Auflagefläche durchgeführt [4]. Um eine bessere Führungsstabilität zu gewährleisten wurde zu dem Zweipunktangriff durch Implantat und Osteosyntheseschraube ein dritter Punkt durch orthodontische Führungsbögen im Schneidezahngebiet angelegt. © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 197 E. Tausche et al.: Gaumennahterweiterung Abbildung 1 Expansionsapparatur Abbildung 2 Anfangsbefund 2 Material und Methode der Expansion parallel Zahnbewegungen mit Teil- oder Ganzbögen durchgeführt werden. Um Parallelität bzw. Kippung der Kieferhälften zu eruieren, wurden Sägeschnitte durch das Oberkiefersituationsmodell in Höhe der 1. Prämolaren und 1. Molaren vor und nach der Gaumennahterweiterung durchgeführt und CT-Aufnahmen ausgewertet (Abb. 6). Das Entfernen des Implantates erfolgte im Zuge der Umstellungsosteotomie, so dass bei den Patienten keine zusätzlichen operativen Eingriffe notwendig wurden. An 12 adulten Dysgnathiepatienten (durchschnittlich 24,4 Jahre; 8 w / 4 m) mit starkem transversalem Defizit im Oberkiefer und offener Relation wurde zur forcierten Gaumennahterweiterung die Hyraxschraube mittels Implantat einerseits [EO Implantat (Firma Straumann AG, Basel, Schweiz); 4,0 mm Länge; 3,5 mm Durchmesser; Schulter 5,0 mm] und Osteosyntheseschraube auf der anderen Seite direkt im Gaumen verankert (Abb. 1 und 3). Die Sicherung der Parallelbewegung der beiden Kiefersegmente erfolgte mittels geteilter orthodontischer Bracket-Bogenapparaturen im Frontzahngebiet (Abb. 4). Bei allen Patienten wurde eine laterale und mediane Knochenschwächung nach Glassmann [6] durchgeführt. Diese erfolgte in Allgemeinnarkose und wurde gleichzeitig für das Einbringen der Hyraxschraube genutzt. Vorbereitend wurde eine Tiefziehbohrschablone zur Markierung der Insertionsstellen angefertigt. Drei Tage postoperativ erfolgte die transversalen Erweiterung. Bei allen Patienten wurde zweimal täglich die Hyraxschraube 2/4 Drehungen gestellt, d.h. die beiden Kiefersegmente wurden ca. 0,96 mm voneinander entfernt. Alle zwei Tage erfolgte die Kontrolle der Größe des Diastemas, sowie der transversalen Weite in der Prämolarenregion (14/24 Querfissur) und der Molarenregion (16/26 H-Fissur). Nach ausreichender Expansion wurde die Hyraxapparatur im Durchschnitt noch 3–4 Monate in situ belassen und nach Diastemaschluss durch einen implantatverankerten Transpalatinalbogen retintiert (Abb. 5). Durch die direkte Fixierung der Hyraxschraube am Gaumen konnten unabhängig von Abbildung 3 Oberkiefer nach Expansion 198 3 Ergebnisse Die durchschnittlich notwendige Expansion von ca. 8 mm wurde ohne Komplikationen nach 11,8 (±5,23) Tagen erreicht. Die vordere Zahnbogenbreite wurde um 9,4 mm (SD 1,56 mm) und die hintere um 8,1 mm (SD 1,71 mm) erweitert. Am Ende der Expansion betrug das Diastema durchschnittlich 6,3 mm (SD 1,09 mm). Das Öffnen des Diastemas spricht für einen Erfolg der Gaumennahtweiterung. Die Apparatur wurde sehr gut toleriert und es gab keinerlei Artikulationsbehinderungen oder Komplikationen. In zwei Fällen kam es zum asymmetrischen Öffnen der Sutur, dies ließ sich aber mit Hilfe der absoluten Verankerung (Gaumenimplantat) dental korrigieren. Das Expansionsergebnis wurde schneller als mit der herkömmlichen zahnfixierten Apparatur erreicht, da diese federt und die eingesetzten Kräfte zuerst auf die Zähne wirken und erst dann auf die Kieferanteile übertragen werden. Bei Vergleich der Zahnachsen im Molarenbereich im CT und an Modellsägeschnitten dominierte bei allen Patienten eine parallele Führung und Expansion gegenüber einer Kranialrota- Abbildung 4 Nach Expansion Ansicht von frontal Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 61 (2006) 4 E. Tausche et al.: Gaumennahterweiterung Abbildung 5 Transpalatinalbogen (implantatverankert) zur transversalen Retention Abbildung 6 CT-Schnitte vor und nach Expansion tion bei Anwendung der zahngestützten Hyraxschraube (Abb. 6). Im Durchschnitt betrug die die lateral-kraniale Rotation nur 1,9°. Durch die korrekte Achsenstellung der Molaren und die damit verbundene optimale postchirurgische Okklusionseinstellung wird der hohen Rezidivrate des offenen Bisses vorgebeugt. Es traten keine Wurzelresorptionen, Drucknekrosen oder Gingivaretraktionen auf. Durch die zahnunabhängige Verankerung kann parallel zu der Gaumennahterweiterung ohne zeitliche Verzögerung eine kieferorthopädische Behandlung mit Zahnbewegungen erfolgen. Dies bedeutet für den Patienten eine Verkürzung der Behandlungszeit von mindestens 5 – 6 Monaten und damit eine Reduzierung der allgemeinen Belastung und des Risikos für Gewebeschäden. • Durch die zahnunabhängige Fixation ergeben sich kürzere kieferorthopädische Behandlungszeiten. • Eine minimal invasive Fixierung an zwei Knochenpunkten erhält durch eine zusätzliche frontale Bogenführung die nötige Stabilität. • Das zur transversalen Retention belassene Implantat kann zusätzlich als orthodontische Verankerung zu weiteren Zahnbewegungen genutzt werden. 4 Diskussion Literatur Die direkte Fixierung der Hyraxschraube mittels Osteosyntheseschraube und extraoralem Implantat mit Schulterauflage ermöglicht ein minimalinvasives Vorgehen. Die zusätzliche Führung der Kieferhälften mittels überkreuzter Teilbögen gewährleistet eine ausreichende Stabilität während der Erweiterung. Die auftreffenden Kräfte während der Gaumennahterweiterung, die teilweise im Bereich von 40–80 N angegeben werden, können mit Hilfe der Auflagen ohne Schädigung auf den Knochen übertragen werden [4, 9]. Mit der direkten Fixierung werden Risiken an den Verankerungszähnen wie Wurzelresorptionen und Fenestration der bukkalen Kortikalis ausgeschaltet. Die körperliche Bewegung der Kieferhälften und die Vermeidung von Zahnkippungen im Vergleich zu zahngetragenen Apparaturen ermöglicht eine gute postoperative Okklusionseinstellung und dient zur Rezidivprophylaxe. Das während der Retention zur Fixierung des Transpalatinalbogens belassene Implantat kann als orthodontische Verankerung für spezielle weitere Aufgaben wie Molarendistalisierung und Lückenschluss verwandt werden. Durch die direkte Fixierung bekommt der Patient mehr Zungenfreiheit für die Artikulation. 1. 2. Derichsweiler H: Gaumennahterweiterung. München, Hanser (1956) Erverdi N, Okar I, Kucukkeles N et al: A comparison of two different rapid palatal expansion techniques from the point of root resorption. Am J Orthod Dentofacial Orthop 106, 47-51 (1994) 3. Feller K-U, Herzmann K, Schimming R et al: Gaumennahtsprengung nach Glassmann. Mund Kiefer GesichtsChir 2, 26-9 (1998) 4. Gedrange T, Köbel C, Harzer W: Hard palate deformation in an animal model following quasi-static loading to simulate that of orthodontic anchorage implants. Eur J Orthod 23, 349-54 (2001) 5. Gerlach KL, Zahl C: Transversal palatal expansion using a palatal distractor. J Orofac Orthop 64, 443-9 (2003) 6. Glassmann AS, Nahigian SJ, Medway JM et al: Conservative surgical orthodontic adult rapid palatal expansion: Sixteen cases. Am J Orthod 86, 207-9 (1984) 7. Haas AJ: The treatment of maxillary deficiency by opening the midpalatal suture. Angle Orthod 35, 200-17 (1965) 8. Harzer W, Schneider M, Gedrange T: Direct Palatal Expansion. J Orofac Orthop 5, 419-24 (2004) 9. Harzer W, Schneider M, Gedrange T: Direct Bone Placement of the hyrax fixation screw for surgically assisted rapid palatal expansion (SARPE). J Oral Maxil Surg (in press) 10. Jafari A, Sadashiva SK, Mohan K: Study of stress distribution and displacement of various craniofacial structures following application of transverse orthopedic forces –a three dimensional FEM study. Angle Orthod 73, 12-20 (2003) 11. Mommarts MY: Transpalatal distraction as a method of maxillary expansion. Br J Oral Maxillofac Surg 37, 268-72 (1999) 12. Timms DJ: A study of basal movement with rapid maxillary expansion. Am J Orthod 77, 500-7 (1980) 5 Schlussfolgerungen • Die direkte Fixierung der Hyraxschraube am palatinalen Knochen zur GNE hebt die Nachteile der zahngetragenen Apparatur auf. • Die Vermeidung von Wurzelresorptionen, Zahnlockerung und Kortikalisfenestration sowie die parallele Bewegung der Segmente sind Vorteile, welche den chirurgischen Eingriff rechtfertigen. Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 61 (2006) 4 ❙ Korrespondenzanschrift: Dr. med. dent. Eve Tausche Poliklinik für Kieferorthopädie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Fetscherstr. 74 D-01307 Dresden e-Mail: [email protected] 199