Müller-Stewens/Lechner * GMN Update * Seite 1 Die Rolle der Strategen Stichwort: Initiierung > Gestaltung > Beteiligte Einschub: Abschnitt 2.2.3 Dieser Text ist für die 2. Auflage unseres Buches "Strategisches Management" vorgesehen. Teilweise wurden im vorliegenden Text Bezüge zu anderen Stellen in dieser 2. Auflage hergestellt, die hier nicht nachvollziehbar sind. Der Text ist noch nicht publikationsfertig. So müssen mit "xxx" gekennzeichnete Textstellen noch bearbeitet werden. Wirft man die Frage nach den Beteiligten auf, dann ist es auch naheliegend, ungekehrt zu fragen, von wem in einer Organisation eigentlich die Strategien kommen und was die Rolle derer ist. Eine erste Arbeit dazu stammt von Ericson/Melander/Melin (2001, S. 65f.). Sie weisen darauf hin, dass in der Literatur nahezu durchgängig das Top Management als die Strategen gesehen wird. Das Spektrum, das sie in ihrer Rolle ausschöpfen können, wird durch eine Reihe von Kontingenzen beeinflusst (z.B. Corporate Governance). Das Top Management als Stratege hat inspirativ zu sein, muss die Organisation motivieren können, hat symbolisch zu führen etc. Insbesondere in der neueren Literatur wird auch darauf hingewiesen, dass das Top Management die Verzahnung der Strategien mit der organisatorischen Realität voranzutreiben und zu kontrollieren habe. Man sieht den Strategen auch als jemanden, der über lange Zeit eine bestimmte Art des Denkens über das Geschäft hartnäckig verfolgt. Da das Denkmodell so eng mit der Person verbunden ist, geht man davon aus, dass in Situationen radikalen Wandels oder eines Turnarounds in diesen Unternehmen dann auch das Top Management wechselt. Ericson/Melander/Melin (2001, S. 65f.) fordern jedoch, dass in der Forschung die Frage nach der Rolle des Strategen vom Top Management getrennt werden sollte, da diese Verbindung auch sozial konstruiert ist und einem den Blick für wichtige Einsichten zum Prozess der Formierung von Strategien verstellt.1 Um eine solche Unterscheidung treffen zu können, schlagen Ericson/Melander/Melin (2001, S. 66f.) folgende Typologie von Strategen vor: (1) Der fehlende Stratege: Hier wird seine Rolle systematisch nach unten gespielt. Im Prinzip führt die (Branchen-)Struktur die Organisation. Das "Structure-Conduct-Performance"-Paradigma der Industrial Organisation und die Business-Policy-Ansätze sind hierfür ein prominentes Beispiel. (2) Der grosse Stratege: Hier wird der Stratege von zentraler Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens gesehen. Er muss visionär und inspirierend sein. Dadurch bringt er Energie in die Organisation, um notwendigen Wandel zu bewältigen. (3) Der Stratege als Koalition: Hier denkt man nicht an Einzelpersonen, sondern an Koalitionen, die aufgrund Ihrer Macht in der Lage sind, die Entwicklung des Unternehmens signifikant zu beeinflussen. Dies kann das Top Management als Gruppe sein, es können aber auch andere Koalitionen von und mit anderen Stakeholdern sein (womit auch die Grenze der formalen Organisation überschritten werden kann). Um Strategien durchzusetzen muss intensiv innerhalb und ausserhalb der eigenen Koalition politisiert werden. (4) Der unsichtbare Stratege: Hier wird der Stratege entpersonalisiert und nur als Kraft mit einem dominanten Einfluss auf die Formierung von Strategien beschrieben. Gemeint sind damit z.B. die Werte und Einstellungen aus der Organisationskultur oder die verfolgte dominante Logik, im Prinzip also die Eigendynamik der Organisation, die unsichtbar das Schiff lenkt. Eine zweite Arbeit dazu stammt von Floyd/Wooldridge (2000), die auf die wichtige Rolle des mittleren Managements als Auslöser und Träger strategischer Initiativen hinweisen. Nach der Rolle der strategischen Planer im Strategieentwicklungsprozess frägt Kleine (1999). Meist sind die strategischen Planer in Stabsabteilungen für Unternehmensplanung oder -entwicklung organisiert. Diese Stäbe haben eine bewegte Vergangenheit in sich. In den 60er- und 70er-Jahren wurden in den Unternehmenszentralen sehr grosse Strategiestäbe aufgebaut, die dann aber stark abgebaut bzw. aufgelöst wurden, da man dann die Auffassung vertrat, dass Geschäftsstrategien auch in den Geschäften entwickelt werden sollen. Heute verfügen die meisten diversifizierten Konzerne nach wie vor über solche Stäbe. Sie haben heute aber eine ganz andere Rolle eingenommen. In Anlehnung an die Untersuchungsergebnisse von Kleine (1999, S. 225 ff.) lässt sich trotz aller firmenspezifischen Unterschiede dabei folgender Kern eines Rollenselbstverständnisses antreffen: (1) Die strategischen Planer haben eine mehrdimensionale Rolle wahrzunehmen: Sowohl der Prozess, der Inhalt als auch der Kontext soll beeinflusst werden. (2) Strategische Planer stellen eine wichtige Kraft für die Initiierung strategischer Denkprozesse dar. Sie geben Anstoss zu solchen Prozessen, wo man den Eindruck hat, dass sich Organisationseinheiten nicht ausreichend mit ihren dringenden strategischen Problemen beschäftigen. Durch ihre Einbindung soll auch die Qualität des strategischen Denkens positiv beeinflusst werden. Müller-Stewens/Lechner * GMN Update * Seite 2 (3) Die Verantwortung für das Design, das Management und die Implementierung der formalen strategischen Planungsprozesse liegt insbesondere bei den strategischen Planern. Dabei kann man wieder unterschiedliche Rollen einnehmen wie Prozesseigentümer, Coach, Unterstützer und Beschleuniger, Coach , Ratgeber der dezentralen Planungsteams etc. (4) Die strategischen Planer müssen inhaltlich eine holistische Sichtweise in das Unternehmen einbringen. Deshalb versuchen diese Stäbe ihr Recruiting auf Diversität (Herkunft aus verschiedenen Geschäftsfeldern, Berufserfahrung, Expertise, Nationalität etc.) auszurichten. Um für genügend gedankliche Erneuerung zu sorgen, ist eine Beschäftigung in diesen Stäben i.a. auch nur auf eine begrenzte Anzahl von Jahren ausgelegt. Nach wie vor ist die Rolle der strategischen Planung in Unternehmen oft umstritten. Es wird immer wieder die Frage nach ihrem Mehrwert für das Unternehmen gestellt und viele sehen in ihnen eine Tendenz zur Verbürokratisierung des Unternehmens. Egal welche Haltung man hier selbst einnimmt, so macht dies doch deutlich, dass es Mängel in der Positionierung dieser strategischen Planungsabteilungen und der Definition ihres Rollenverständnisses in den Unternehmen gibt. Literatur: Bourdieu, P. (1993): Sociology in Question, London. Ericson, T./Melander, A./Melin, L. (2001): The role of the strategist, in: S. 57-68, in: Volberda, H.W./Elfring, T. (Hrsg.): Rethinking strategy, London/Thousand Oaks/New Delhi. Goffmann, E. (1959): The presentation of self in everyday life, Garden City. Kleine, D. (1999): Adding value to strategic management: the role of strategic planners, Unveröffentlichte Dissertation an der Universität St. Gallen. 1 Vgl. hierzu auch Bourdieu (1993) oder Goffman (1959), der fordert, dass man in "back region" der Organisation eintreten müsse, um die wirklichen Strategen und deren Form der Einflussnahme zu verstehen.