Pflichtliteratur: Einführung in die Soziale Organisation

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2013
Pflichtliteratur: Einführung in die Soziale Organisation
Hier gesammelte Zusammenfassungen von mir und einigen KollegInnen.
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BARTH, Fredrik. 1992. Towards greater naturalism in conceptualizing societies. In:
Kuper, Adam (Ed.): Conceptualizing Society. London und New York; S.17 bis S.33
…zusammengefasst von Sabrina Welter (Quelle: Moodle-Forum)
_ Barth weitet Problematik des Kulturbegriffs auf Konzept der Gesellschaft aus, da
_ Diese zwar in der Vergangenheit oft in direkter Verbindung standen, letzterer Begriff aber
selten kritisch hinterfragt wurde
_ Zitiert Firth, der die 2 Begriffe verband: Gesellschaft als Set sozialer Beziehungen und
Institutionen, Kultur als deren Inhalt.
_ Zitiert Leach, der „Kultur“ kritisch gegenüberstand, Gesellschaft aber lasch definierte und
lediglich klare Trennung zwischen „small-scale“ und „large-scale societies“ vermied.
_ Inzwischen Allgemeinwissen: Weltsystemtheorie, Interdependenztheorie- Welt ist keine
Sammlung einer Anzahl voneinander abgetrennter Regionen. Bis heute hält sich jedoch
simplifizierte Vorstellung.
_ Anthropologisches Dilemma: Vergleich von verschiedenen Gesellschaften ist tief in
Methoden und Forschungsgeschichte verankert und teilt „Forschungsobjekte“ Regionen und
Kulturen zu.
6 Falsche Auffassungen von „Gesellschaft“ sind
1. Gesellschaft als Netzwerk sozialer Beziehungen  werden soz. Bez. als soziale Interaktionen
aufgefasst, trifft dies nicht zu: Industrialisierte, hochstratifizierte G. funktioniert ohne dass
sich Individuen gegenseitig kennen bzw. ohne genauen Durchblick von Institutionen zu
haben. Barth sieht seine Interessen und Handlungen geleitet von weltweiten unsichtbaren
Ereignisketten, von Intellektuellen, öffentlichen Rednern geformt, die selbst von
Massenmedien und Marktanforderungen manipuliert agieren.
2. Gesellschaft als die Summe all ihrer Institutionen  minimiert soziale Realität auf ihre normative
Form
– Schwierigkeit der Rekonstruktion der tatsächlichen Beziehungen.
3. Gesellschaft kann generell nicht als ein Ganzes, durch eine Summe abgesteckter, definierter Teile
erfasst werden. -> selbst wenn man Individuen als das kleinste aller Teile hernimmt, sieht
man, dass sie zwar Mitglieder in Gruppen sind, dass diese aber Diversität beinhalten und sich
immer über Regionale Grenzen erstrecken. -> nimmt man den Status als minimale Einheit, ist
auch dieser eine Zusammensetzung überlappender Strukturen (kooperative Gruppen, Status
Set aus reziproken Interaktionen und Komposition als soziale Person)
Komplexität soz. Orga kann weder begrenzt werden in abgesteckte Teile, noch geordnet als
Einheit.
4. Die ganze Welt als Einheit zu bezeichnen ginge hingegen auch zu weit, wir sind zwar alle in
einem Weltsystem verbunden, die Bez. sind aber meist asymmetrisch und indirekt (-> staatl.
Entscheidungen können das Leben von Indigenen nachhaltig schädigen, ohne dass dieser
Staat je Raum in ihren Gedanken/Gesprächen eingenommen hat, und umgekehrt)
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5. Gesellschaft kann nicht von ihrer Umwelt extrahiert werden. Materielle Kontexte
beeinflussen soziale Gegebenheiten, und umgekehrt
6. Gesellschaft (wie Kultur) dient der Homogenisierung und Essentialisierung von Sozietät -> Nicht
nur Interessen, auch Werte und Realitäten werden ständig ausverhandelt in stabilen sozialen
Interaktionen. Wir haben kein Recht zur Annahme, dass 2 Personen je ein Ereignis gleich
interpretieren.
Problem: Sobald wir eine Population in einer gewissen Region als „Gesellschaft“ deklarieren, sind wir
gezwungen, einen holistischen Rahmen für unsere Beschreibungen zu entwerfen. Wir müssen
geteilte, kulturelle, endogen stattfindende Prozesse von jenen unterscheiden, die exogen, durch
kulturellen Kontakt, Wandel und Modernisierung entstanden sind.
Was aber bleibt übrig, wenn wir alle oben genannten Täuschungen aufheben?
Wir brauchen eine Wiederherstellung des Begriffs, um die Flut anthropologischen Materials richtig zu
handhaben.
Barth schlägt vor, dass wir zuallererst verstehen müssen, dass Gesellschaften ungeordnete Systeme
sind, charakterisiert durch ein Fehlen von Geschlossenheit.
Eine Revision sollte im Fokus die kulturelle Konstruktion von Realität haben.
(menschlich-soziales Verhalten ist intendiert und interpretiert nach kulturellen Auffassungen und
nicht transparent, objektiv oder unumstritten)
Barth möchte zwei Aspekte menschlichen Verhaltens differenzieren:
1. Events und 2. Acts
1. Ist die direkte Konsequenz von Verhalten: objektiv, positivistisch messbare Daten (Event steht
immer in Proportion zum Akteur)
2. Ist die beabsichtigte und interpretierte Bedeutung von Verhalten, deren Wichtigkeit für eine
gewisse Gruppe Menschen, die ein Set von ‚Glauben‘ und Erfahrungen teilen
2.a. zwei zeitliche Richtungen von Acts: vorige Beabsichtigung und spätere Interpretation
Intention sollte dabei nicht mit Rationalität verwechselt werden. Handlung kann Ausdruck einer
Laune, genauso wie vorausschauendes Denken zum erreichen gewisser Ergebnisse zum Ziel
haben.
Interpretation bewertet schließlich Effekt und Effizienz einer Handlung.
Sie werden gemeinsam durch Interaktion durchgeführt und beinhalten oft einen Austausch mit
einer 3. Partie.
Interpretation wird natürlich nicht automatisch im gleichen Sinn, wie des Akteurs gedeutet.
Event als Act bleibt daher immer umstritten und dehnbar(?)
Konsequenzen eines Acts können weitreichend sein und Umwelt sowie mögliche Situationen des
Akteurs und Anderen beeinflussen -> Ereignisketten können ausgelöst werden-> Wissen wird
reproduziert bzw. transformiert = Barths Auffassung sozialer Handlungen - Interaktionen sind
eingebettet in breitere soziale Netzwerke und brauchen mind. 3 Partien
Eine solche Annahme…
1. …führt das soziale nicht direkt auf Normen und geteilte Ideen zurück. System ist seiner
Meinung nach das Ergebnis, nicht eine vorher existierende Struktur, nach der sich
Handlungen richten müssen.
2. … wird dem Aspekt des Ungeordneten gerecht: gemeinsames Leben in unterschiedlich
aufgefassten Welten
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3. … zeigt die problematische Verbindung zwischen objektiven Konsequenzen und deren
Interpretation auf. Möglichkeit eines Wandels von ehemaligen Annahmen, jedoch kein Muss:
Wissen wird nicht selten durch Erfahrung akkumuliert, sondern meist im Konsens gebildet.
4. … beleuchtet die Wandelbarkeit der Bedeutung früherer Ereignisse und ihre heutige Sicht auf
die Vergangenheit (?) Acts bleiben immer umstritten, Bedeutung neuformuliert.
Diese Punkte definieren aber, wenn überhaupt, nur einen schwachen Grad an Ordnung: Ein
durchgehender Fluss des Ausverhandelns vergangener und heutiger Geschehnisse,
überlappende Strukturen mit überkreuzenden (Grenzüberscheitenden?) Verbindungen u die
Fähigkeit zur Übereinstimmung von Interpretation in stabilen Beziehungen. Diese Ansicht ist aber
zu schwammig und kann dem Grad an geteiltem Verhalten, von dem in KSA Monographien
berichtet wird, nicht gerecht werden.
Abläufe sollen herausgearbeitet werden
Systeme, wie ungeordnet sie auch sind, haben ihre bestimmte Form durch historische Umstände und
Prozesse erhalten.
1. Forschungsmethode soll entwickelt werden, die zeigt, was G. sind: Welchen Grad an Ordnung sie
in der jeweils beforschten Situation haben.
2. Dies muss entdeckt und beschrieben werden (nicht definiert und angenommen)
3. Jedes System und sein Kontext sollen auf eine Weise spezifiziert werden, dass es die Umstände
ihres Entstehens offenlegt.
 so können vergleichbare Parameter geschaffen werden
Forschung nicht von oben, sondern mit seinen Akteuren und ihren Aktivitäten + Netzwerken
beginnen. (Bezug auf Grönhaug, der Felder verknüpfter Aktivitäten identifizierte und keine
Grundlage für Gesellschaft ausmachen konnte) -> Methode: Following the loops (nach Batesons
Terminologie)
Beispiele für grenzübergreifende bzw. multiethnische Gemeinschaften
1) Bsp. Multiethnische Stadt: in Sohar treffen sich Mitglieder religiöser Gemeinschaften mit denen
anderer durch ihre Arbeit, Freizeit, als Mitbürger- haben unterschiedliche Weltvorstellungen,
Dogmas, Moralvorstellungen, Rechtssysteme, Kultur und Politik: diese Unterschiedlichkeiten, wurden
in entfernten Metropolen entwickelt: Mekka, Kairo, Teheran, Qom, Nizwa,… von Personen, die ein
völlig anderes Leben als die heutigen Soharier führten.
Bei der Frage, wie die Gesellschaft von Sohar heute gebildet wird, scheint ihm das Konzept des
„Ausverhandelns“, das oft angeführt wird, als zu schwach und zu wenig umfassend – es steht zwar
für unterschiedlichen Meinungen, aber geht von einer geteilten Basis aus – dies trifft nicht auf Sohar
zu.
2) Bsp. Grenzübergreifende G. durch politische Umbrüche: in Herat wurde, durch eine kleine Elite
und fremde Invasionen massive Umbrüche ausgelöst. Die Bevölkerung, die wenig bis gar nichts dazu
beigetragen hatte, kämpfte dagegen an oder floh später. Landnutzung hat sich seither stark
verändert, Marktangebot und Handel haben neue Wege erschlossen, Mujahid Kommandanten sind
zu politischen Schlüsselfiguren aufgestiegen,… Menschen antworteten darauf mit Auflehnung gegen
die Regierung, Entwicklung einer noch nie dagewesenen politischen Organisierung, Flucht und
Netzwerkknüpfung in neuen Gebieten.
Solche G. können als aufstrebende Systeme mit einem niedrigen Grad an Ordnung angesehen
werden, es entwickeln sich gerade innovative Beziehungen zwischen Fremden und alten Bekannten,
die mit ihrer Interpretation neuer Umstände bzw. mit dem Verhalten anderer hadern und vorsichtig
Gegenseitiges Verständnis suchen.
Natürlich sind in Herat auch einige Dinge gleich geblieben, diese können jedoch nicht für
Schlüsselcharakteristika für eine generelle Gesellschaftsdefinition herhalten.
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Traditionelle Forschungsobjekte der KSA
„abgeschottete, einfache Gesellschaften“ = nach Barths Auffassung Fiktion der KSA. Wurden gern
beforscht, weil die Konzepte der KSA nicht ausgereift waren, um sie auf westliche/large-scale und
urbane Zentren anzuwenden + man musste weniger Gegenteilig- aussagendes Material befürchten.
Barths fragt sich, ob die vormalige Gesellschaftsdefinition zumindest für diese Regionen (und zu jener
Zeit) adäquat war. Dazu analysiert er Firths Arbeit zu Tikopia: selbst auf einer so abgeschnittenen,
kleinen Insel wurden verschiedene Grundhaltungen, Meinungen und Wissen diskutiert und
ausgehandelt.
Teilweises Zugeständnis: größeres Einvernehmen, als üblich. Aber: dies ist gerade die Besonderheit
durch geografische Gegebenheiten entstanden (-> hohe gegenseitige Abhängigkeit, lebenslange
Kooperationsgemeinschaften, kleinstmögliche Gemeinschaft) - sollte nicht generelles Paradigma für
Gesellschaft sein.
Differenzen in der Gesellschaft waren zwar schon immer klar, führten aber meist nur bis zur Frage,
wie man zur bestinformiertesten Informantin gelangt.
Differenzen (in der gleichen Altersgruppe/Gender,…) stellten sich während der FF oft raus.
Barths möchte, dass zukünftig folgenden Fragen nachgegangen wird:
Wie sind Differenzen entstanden?
Wie beeinflussen sie Interaktion?
Was sind ihre weiteren Implikationen?
Was ist mit dem tiefen Skeptizismus, der Manche von der traditionsverbundenen Gemeinschaft
abspaltet?
Wie wird solche intellektuelle Unabhängigkeit und Macht erlangt
Und was sagen sie über die Verbindung von Glauben und sozialen Handlungen aus?
…. Fragen zu Bikulturalismus, Effekte von lokaler Exogamie,…
Barths Erklärung für frühere Verkennung von Differenz:
- Fremdartigkeit der Erforschten (Differenzen treten nur in blassen Nuancen auf)
- Forscher erklärten sich Differenzen als von außen kommend (forschten oft in kolonialer Situation)
Erklärung als „trash can“ für ungewollte Daten
- Daten sind oft zu rar aufgenommen worden, Homogenisierung durch Verknüpfung mit anderen
Daten als negative Konsequenz
- Furcht einer Dekonstruktion von Gesellschaft, die die Ethnologie und ihre Methoden in Frage
stellen könnte, bzw. zu einer Verkomplizierung der FF führen könnte
Die gute Feldforscherin weiß jetzt:
- sie muss mit größerer Präzision, besseren Methoden, gerechtfertigtem Selbstbewusstsein forschen
- und Gesellschaft nicht als Ding, sondern als Kontext von Handlungen und deren Ergebnissen
sehen/darstellen
- und außerdem eine Perspektive einnehmen, die sie Differenzen erkennen und richtig einordnen
lässt
…sonst wird ihre Arbeit nur dazu beitragen Daten zu mystifizieren und anthropologische Arbeit zu
trivialisieren!!!!!!!!!!!
ERIKSEN, Thomas Hylland. 1995. Small Places, Large Issues. An Introduction to
Social and Cultural Anthropology. London und Chicago - Kapitel 4: Local
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Organisation; S.47 bis 62
zusammengefasst von Nadine Gabron
Die Anthropologie erhält viel von ihrem empirischen Material durch Studien lokaler Gemeinden.
Anthropologische Analysen basieren auf detaillierten Beschreibungen von kulturellen und sozialen
Organisationen in einem begrenzten System (Dörfer, städtische Umgebungen).
Die sozialen Gesellschaften sind aus der Verwandtschaft entstanden. Das älteste System war die
soziale Organisation. Eine zweite Form war das politische System, welches auf Besitz basiert
(politische Gesellschaft=Staat). Was der Staat in komplexen Gesellschaften leistet, leistet die
Verwandtschaft in den einfachen.
Jedes soziale System hat Regeln. Diese Regeln, ob sie öffentlich gemacht werden oder einfach eine
stillschweigende Übereinkunft sind, nennt man Normen. Einige Normen betreffen alle Mitglieder
einer Gesellschaft, andere nur kleine Gruppen, während wieder andere, wie z.B. die
Menschenrechte, wertvoll für die gesamte Menschheit sind.
Positive Sanktionen ziehen Belohnung nach sich, negative Bestrafungen. Die Möglichkeit Sanktionen
einzuführen, stellt die Macht in jeder Gesellschaft dar. Erst durch die Sanktionen bekommen die
Normen ihre Gültigkeit.
Soziale Institutionen (Familie, Polizei etc.) haben die soziale Kontrolle als eine ihrer Aufgaben
ernannt, mit dem Ziel, Übertretungen zu verhindern.
Normen unterliegen einer ständigen Veränderung, sie können zum Beispiel an Wichtigkeit verlieren
(Blasphemie). Regeln und Norme geben an, wie man mit Werten umgeht, wie man sich in der
Gesellschaft zu verhalten hat, sind aber trotzdem keine exakten Instruktionen. Der Mensch muss im
realen Leben improvisieren und selbstständige Entscheidungen treffen.
Sozialisation…
…ist der Prozess, in dem man ein vollständige Mitglied der Gesellschaft wird, das Wissen und die
Fähigkeit erwirbt als Mitglied der Gesellschaft zu funktionieren. Das Ziel der Sozialisation ist letztlich,
dass Menschen, Normen und Formen von Verhalten gegenüber der Gesellschaft verinnerlicht
werden.
Lebensabschnitte und Übergangsriten
Lebensabschnitte sind zum Beispiel gekennzeichnet durch: Taufe, Konfirmation, Firmung, bar mizvah
etc. Der Schritt ins Erwachsenenleben ist oft charakterisiert durch vorübergehendes Leid, Entzug
oder Verlust. Beschneidung der Genitalien oder Körpertatoos funktionieren als sichtbares Zeichen
um als erwachsen zu gelten. Gleichzeitig werden wichtige Erkenntnisse erworben und man gilt als
eine neue Art von sozialer Person.
In dieser Übergangsphase steht man gefühlsmäßig außerhalb der Gesellschaft. Die Kandidaten sind
das erste Mal fähig sich selbst und die Gesellschaft von außen zu betrachten und diese vielleicht
kritisch zu reflektieren.
Die Entwicklung einer sozialen Person kann als Zusammenspiel zwischen Individuum und Gesellschaft
gesehen werden.
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Der Haushalt
Die kleinste Einheit in der Sozialanthropologie ist die Familie bzw. der Haushalt.
Definition: Ein Haushalt ist dort, wo Menschen regelmäßig ihre Hauptmahlzeit zusammen
einnehmen.
Beispiele der lokalen Organisation
1) Fulani:
Die Fulani leben in Westafrika, zwischen dem Senegal und dem Sudan als Hirtennomaden. Die
wichtigste ökonomische Grundeinheit ist die Kernfamilie oder der Haushalt. Die Haushalte bei den
Fulani sind dadurch gekennzeichnet, dass sie überaus flexibel sind und von saisonalen, ökonomischen
Veränderungen beeinflusst sind.
2) Dogon:
Die Dogon leben in Mali und Bukina Faso als sesshafte Ackerbauern. In ihrer sozialen Organisation
spielt das Dorf eine zentrale Rolle. Die Hauptautorität liegt beim Hogon, welcher von einem
Ältestenrat bestimmt wird, welcher sich wiederrum aus den Linienoberhäupten zusammensetzt.
Es gibt auch Verbindungen und Allianzen zu anderen Dörfern. Diese sind nicht auf gemeinsame
Lineages begrenzt, sondern stehen auch in Verbindung mit religiösen Riten.
3) Yanomamö:
Die Yanomamö leben in Brasilien und Venezuela als Gartenbauer. Durch den Brandrodungsfeldbau
ergibt sich eine halbnomadische Lebensform, d.h. man lebt für die „Lebensdauer der Gärten“ (etwa 4
Jahre) in einem Dorf und zieht dann weiter um eine neue Fläche zu roden. Als Autoritäten treten nur
ein Dorfvorsteher und ein Schamane in Erscheinung. Die Position des Dorfvorstehers muss verdient
werden und wird nicht vererbt.
Obwohl die Arbeitsteilung sehr offen ist, gibt es dennoch Gründe, warum man sich in einer dörflichen
Struktur zusammenschließt, allen voran aufgrund von Konflikten mit Nachbarn und Ritualen.
Bei allen drei Gesellschaften spielt Verwandtschaft eine wichtige Rolle. Die zwei Ebenen, auf welchen
sich die Unterschiede ergeben, liegen zum Einen in der Größe der wichtigsten ökonomischen Einheit,
also z.B. Familie bzw. Dorf und zum Anderen in der politischen Organisation, d.h. vererbte Autorität
bzw. erworbener Status.
Das Dorf
In nahezu keinem Haushalt gibt es totale Selbstständigkeit. Es gibt immer eine Vielzahl an Problemen
(politisch, ökonomisch, religiös etc.), welche außerhalb des Haushaltes gelöst werden müssen.
ERIKSEN, Thomas Hylland. 1995. Small Places, Large Issues. An Introduction to
Social and Cultural Anthropology. London und Chicago - Kapitel 5: Person and
Society; S.63 bis S.81
fehlt.
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ERIKSEN, Thomas Hylland. 1995. Small Places, Large Issues. An Introduction to
Social and Cultural Anthropology. London und Chicago - Kapitel 8: Gender and Age;
S.111 bis S.128
zusammengefasst von Nadine Gabron
„All animals are equal but some are more equal than others.” (George Orwell)
Soziale Differenzierung und Ungleichheit sind universelle Phänomene. Es gibt keine einzige
Gesellschaft in der alle Personen exakt die gleichen Rechte, Pflichten oder gleich starken Einfluss
haben. Mit den ersten ethnographischen Feldforschungen stellte sich heraus, dass sogar in sehr
kleinen Gruppen und kaum technologisierten Gesellschaften unterschiedliche Rangordnung existiert.
Marx und Engels haben Mitte des 19 Jahrhunderts angenommen, dass es universelle Kriterien für
soziale Differenzierung gibt. Man Unterscheidet zwischen:
· alt und jung
· Männern und Frauen
· „Insidern“ und „Outsidern“
Nicht alle Formen sozialer Unterscheidung sind mit ungleicher Rang- und Machtverteilung
verbunden. Man differenziert zwischen
· Vertikaler Unterscheidung: bezieht sich auf Ungleichheiten in Macht und Rang
· Horizontale Unterscheidung: drückt keine soziale Ungleichberechtigung aus, bezieht sich z.B. auf
Arbeitsteilung.
Die meisten Formen sozialer Unterscheidung haben einen vertikalen oder hierarchischen Aspekt. Es
gibt viele Ausformungen und Varianten der Differenzierung. In „Jäger und Sammler“ Gesellschaft
wird sie häufig nur durch Geschlecht und Alter definiert. In komplexeren agrikulturellen
Gesellschaften gibt es meist politisch vererbbare Ämter, professionelle Bürokratie, professionelles
Militär, große Unterschiede zwischen arm und reich, mächtig und machtlos.
Geschlecht und Gender
• Biologische Aspekte: körperliche Unterschiede zwischen Mann und Frau (Aussehen, Frauen
gebären, Männer sind meistens größer…). Auf dieser Ebene ist von „Sex“ im Gegensatz zu „Gender“
die Rede.
• Geschlechtsunterschiede die sich auf sozialer und kultureller Eben auswirken. Hier spricht man von
„Gender“. Es ist nicht möglich auf der Ebene des Geschlechts zu generalisieren und allgemeine
Aussagen zu treffen. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau sind nicht überall gleich ausgeprägt.
„Gender“ kann am besten als Beziehung erforscht werden.
In vielen klassischen Studien wurden soziale Akteure mit Männern gleichgesetzt (=androzentrische
Perspektive, gr. andros = Mann). Die Vernachlässigung der „Gender Studies“ verbessert sich
zunehmend seit den 1970er Jahren und „Gender“ wurde zu einem zentralen Thema der Disziplin.
Einige Studien beschäftigen sich mit dem Begriff „original matriarchy“. Es handelt sich um die
Vorstellung dass die menschliche Gesellschaft ursprünglich von Frauen beherrscht wurde. Dies sind
wahrscheinlich von Männern erfundene Mythen um die eigene Macht über die Frauen zu
rechtfertigen (Bamberger 1974).
Die meisten Studien behandeln die Machtlosigkeit und die angeblich universelle Unterworfenheit der
Frauen. Die westlichen Vorstellungen von Diskriminierung und Macht werden allerdings auch in
Frage gestellt. Oft erscheinen Frauen aus europäischer Perspektive diskriminiert und machtlos (z.B.
im Mittleren Osten), empfinden die Situation aber selbst nicht so. Möglicherweise sind
anthropologische Konzepte welche die Diskriminierung betreffen ethnozentrisch voreingenommen.
Man hat festgestellt dass Frauen obwohl sie in vielen Gesellschaften wenig politischen Einfluss
haben, oft indirekt und in Privat- bzw. Haushalts-Angelegenheiten beträchtliche Macht ausüben.
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„Gender“ ist überall präsent, leicht sichtbar und wird oft als natürlich gesehen. Dies dürfte der Grund
für die lange Vernachlässigung seitens der Anthropologie sein.
Die unterschiedlichen Ausprägungen von Kultur zu Kultur beweisen dass „Gender“ nicht natürlich
bzw. „von Gott gegeben“ ist. Geschlechtliche Unterscheidungen wurden wie Ethnizität oder
Verwandtschaft von Menschen kreiert.
Gender in Bezug auf Arbeitsteilung
Bereits in Gesellschaften mit einfacher Arbeitsteilung wird die “Frauenarbeit” von der
„Männerarbeit“ unterschieden (zB: Yamamamö und Folami). Die „Jäger und Sammler“
Gesellschaften sind ein typisches Beispiel für Gesellschaften in denen die geschlechter-basierende
Arbeitsteilung am wichtigsten ist. Üblicherweise ist das Jagen die Aufgabe der Männer und die
Frauen übernehmen die Suche anderer Nahrungsmittel wie Knollen, essbare Pflanzen und kleine
Lebewesen. Nahrungsforschungen haben gezeigt dass die von den Frauen gesammelten Lebensmittel
die Hauptnahrungsquelle darstellen. Die Jagdaktivität hat sich als unregelmäßig erwiesen und bietet
keine sichere Verpflegungsbasis. Trotzdem wird der Arbeit der Frau nicht dieselbe (symbolische)
Wichtigkeit zugeschrieben.
Das Private und die Öffentlichkeit
Frauen sind fast universell für die Hausarbeit zuständig, während Männer für Beziehung zwischen
dem Haushalt und der Öffentlichkeit (Beschützen der Frau und der Kinder vor Gefahren, Ergreifen
von politischen Ämtern) zuständig sind. Die Unterordnung der Frau wird oft durch biologische
Gegebenheiten erklärt: Frauen sind während der Schwangerschaft und der Periode des Stillens nicht
so flexibel und belastbar. Daher sind sie eher an das Heim gebunden während Männer frei sind im
öffentlichen Bereich zu agieren.
Dominanz und Unterwerfung
Hier stellt sich die Frage ob die Unterordnung der Frau universell ist und Frauen generell einen
niedrigeren Rang/weniger Macht als Männer haben. AnthropologInnen meinen dass
Gleichberechtigung erwünschenswert sei, während in vielen Gesellschaften die Meinung besteht
dass die Geschlechter unterschiedlich und komplementär sein sollten.
Ein Beispiel für eine Gesellschaft mit hoher geschlechtlicher Gleichberechtigung ist die „Hopi soriety“
(nordwestlich USA). Die Hopi Gesellschaft hat ein matrilineales Verwandtschaftssystem: Familie und
Haushalt haben ein weibliches Oberhaupt. Männer haben einen starken Einfluss im politischen und
religiösen Bereich (auf der Ebene des Dorfes), aber auch Frauen sprechen ihre Meinung frei aus. Eine
mittlere Ebene zwischen Haushalt und Dorf bildet der „Clan“ welcher von einem Bruder-Schwester
Paar geleitet wird.
Arbeitsteilung: Männer jagen und Frauen züchten Blumen, beide beteiligen sich an der Feldarbeit.
Schlegel nimmt an dass das große Maß an Gleichberechtigung keine ökonomischen sondern kulturell
Gründe hat: das zentrale Thema der Gesellschaft ist Leben und man glaubt dass beide Geschlechter
gleich viel dazu beitragen dass Leben entsteht. In vielen männlich dominierten Gesellschaften wird
die Rolle der Frau bei der Reproduktion untergeordnet, der männliche Samen wird als das Wichtigste
gesehen.
Dies ist eine mögliche Erklärung für die Ungleichberechtigung zwischen Geschlechtern. Obwohl
Frauen offiziell meist untergeordnet sind haben sie oft indirekt einen großen Machteinfluss.
Männer : Frauen :: Kultur : Natur?
Hat die Beziehung zwischen Mann und Frau etwas mit der Beziehung zwischen Kultur und Natur zu
tun? In vielen Gesellschaften glaubt man dass Frauen naturverbundener als Männer wären
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(ungezähmt. Wild, schwierig zu kontrollieren). Sie stellen eine Gefahr für die Männer dar und müssen
daher gezähmt werden.
Ortner erwähnt drei Aspekte welche diese verbreitete Sichtweise unterstützen:
· Der weibliche Körper mit seinen Funktionen erfordert mehr Zuneigung (Geburt, Menstruation,
Stillen).
· Der weibliche Körper mit seinen Funktionen legt soziale Rollen fest welche als niedriger als jene der
Männer angesehen werden (kochen, putzen…).
· Die ersten zwei Aspekte verleihen Frauen eine mentale Struktur welch naturnaher und ungleich
jener der Männer ist. Weiters werden Frauen als passiv während Männer als aktiv gesehen werden
(Sexualakt, Aufrechterhaltung der Kultur).
Außerdem werden Frauen als naturverbundener gesehen weil sie viel Kontakt mit kleinen Kindern
haben welche noch als ungezähmt und ohne Kultur gelten. Gegenargument: Frauen haben auch viele
kulturelle Rollen, sie sind z. B. für die Erhaltung und Weitergabe von Traditionen zuständig. Weiters
wird oft als natürlich angenommen dass Frauen stärker religiös sind.
Eine Kultur-Natur Einteilung kann ein wichtiges Instrument um Machtunterschiede zu rechtfertigen
sein.
„Frauenwelten“ und „Männerwelten“
Männer und Frauen erleben die Welt auf unterschiedliche Art und Weise, sie haben unterschiedliche
„mentale Strukturen“ und Wertvorstellungen. Edwin Ardener: Frauen stellen en methodologisches
und theoretisches Problem für die anthropologische Forschung dar: sie sind eher schüchtern, still
und es ist schwierig sie in (für Anthropologinnen interessante) Gespräche zu verwickeln. Männer
sprechen eher über ihre Gesellschaft. Ardener nimmt an dass das männliche Universum dem
anthropologischen näher sei als das weibliche. Seiner Meinung nach hat die Anthropologie generell
eine Tendenz zum Männlichen (unabhängig vom Geschlecht des Forschers). Daher ist die Welt der
Frauen schwieriger zu erforschen als jene der Männer.
Sexualitäten
Henrietta Moore stellt fest dass Körperveränderungen (z. B. Tattoos), Transsexualität und
Homosexualität eine Herausforderung für die „normale“ binäre Form von Mann und Frau darstellen.
In vielen Gesellschaften werden homosexuelle Männer einer dritten zwischengeschlechtlichen Form
zugeordnet. Ebenso gibt es die Ansicht dass sich lesbische Frauen biologisch von heterosexuellen
Frauen unterscheiden. In diesem Bereich gibt es ein neues Untersuchungsfeld welches als „queer
theory“ bekannt ist. Es geht um die Beziehungen zwischen Genitalien, Geschlechtsidentitäten,
sexuellen Identitäten und sexuellen Praktiken.
Alter
Wie das Geschlecht ist auch das Alter ein universelles Prinzip der Unterscheidung und Klassifizierung.
Das Altern ist ein unverhinderbarer biologischer Prozess, es wird aber in gewissem Ausmaß auch von
der Gesellschaft konstruiert. In vielen Gesellschaften steigt der Rang einen Person automatisch wenn
sie älter wird, unabhängig vom Geschlecht.
Holy stellt fest: Mit Ausnahme einiger Jäger- und Nomadengesellschaften in denen das Überleben
von der Fähigkeit umherzuziehen abhängt, sind die meisten nicht industriellen Gesellschaften
„oldage oriented“.
Alter wird oft mit tiefer Erfahrung und Weisheit assoziiert. In vielen Gesellschaften sind alte Männer
die politischen Forscher. Oft sind alte Frauen mächtiger als junge Männer. Gesellschaften in denen
alte Menschen im politischen Bereich vorherrschen nennt man Gerontokratien. In modernen
industriellen Gesellschaften genießen alte Menschen keine besondere Autorität. Sie erbringen keine
Leistungen mehr und sind deshalb relativ nutzlos für die Gesellschaft. Weisheit und kulturelles
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Wissen alter Menschen wird oft als veraltet und nutzlos angesehen da sich moderne Gesellschaften
so schnell weiterentwickeln und verändern.
Kinder und Jugendliche müssen erst sozialisiert werden, sie kennen weder Sünde noch Tugend. Sie
werden einerseits als unschuldig (=perfekt) und andererseits als unperfekt (noch nicht kultiviert)
angesehen. Geschlecht und Alter sind die fundamentalsten Kriterien für soziale Differenzierung.
Lebensabschnitte
Alle Gesellschaften differenzieren zwischen unterschiedlichen Lebensabschnitte.
Colin Turnball präsentiert fünf (seiner Meinung nach) universelle Lebensstufen welche überall zu
finden sind. Im Fall dass seine Annahmen stimmen können Lebensstufen als vergleichendes Konzept
angewendet werden:
1) Childhood (Kindheit): gekennzeichnet durch die Abhängigkeit von Anderen und den Erwerb
kultureller Kategorien
2) Adolescence (Adoleszenz): Zeit zwischen Kindheit und Reife, man entwickelt sexuelle Reife und
bereitet sich auf di volle soziale Verantwortung vor.
3) Youth (Jugend): Stufe zwischen Adoleszenz und Erwachsensein, wird als Periode höherer Bildung
beschrieben. !! Diese gilt nicht als universelle Lebensstufe!!
4) Adulthood (Erwachsensein): scheint langweiliger zu sein, geprägt von Arbeit Verantwortung und
Routine.
5) Old Age (fortgeschrittenes Alter): Physische und mentale Defekte setzen ein aber „Herz und
Seele“ sind vitaler denn je da die Personen viel Erfahrung gesammelt haben.
Das Altern und der Übergang zwischen Lebensstufen hat nicht in allen Gesellschaften die selbe
Bedeutung.
Zu einer Person mit sozialem Geschlecht werden
Geschlecht und Alter haben sowohl biologische als auch kulturelle Aspekte. Das Alter ist nicht immer
mit dem Geschlecht verbunden wie z. B. bei den Bakweri von Cameroon: Für einen Mann ist es fast
unmöglich zu heiraten bevor er 40 ist denn er muss Eigentum besitzen und politisch einflussreich sein
um eine Frau zu finden. Frauen hingegen werden schon kurz nachdem sie geschlechtsreif werden
verheiratet.
Kinder werden oft als relativ geschlechtslos gesehen. Die Erziehung verfolgt oft zwei Ziele: einerseits
ein Mitglied der Gesellschaft, andererseits Mann bzw. Frau zu formen. Beispiel: Völker die in PNG in
der Nähe des Berges Mount Hagen leben glauben dass Babies mit sowohl männlichen als auch
weiblichen Eigenschaften (properties) geboren werden. Um zu Mann oder Frau zu werden müssen
sie einen langen Lernprozess durchschreiten. Der Höhepunkt liegt bei Riten die während der
Pubertätszeit durchgeführt (rites of initiation) werden. Besonders für Burschen sind diese Rituale
sehr anspruchsvoll da man glaubt dass sie stärker geformt werden müssen.
Nach derartigen „rites of initiation“ sind die Kinder in den meisten Gesellschaften klar differenziert.
Die Rituale finden meist in der Zeit der Geschlechtsreife oder früher statt und gehen oft mit der
Beschneidung der Genitalien, „Tattooing“ oder anderen sichtbaren physischen Veränderungen
einher. Dies hat den Zweck dass man gleich af den ersten Blick zwischen Outsidern und Insidern bzw.
kompletten und unkompletten Menschen unterscheiden kann. Oft werden die Kandidaten
schmerzhaften Prüfungen unterzogen. Sie sollen beweisen dass sie der neuen Verantwortung als
volles Stammesmitglied gewachsen sind.
Übergangsriten
Der Begriff „rite of passage“ wird mit dem Namen von Arnold van Gennep verbunden da er 1990 das
Buch „Les Rites de passage“ veröffentlicht hat. Van Gennep: durch die Rituale reproduziert sich die
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Gesellschaft. Menschen bekommen einen neuen Status ohne dass sich die gesellschaftlich Struktur
ändert. Durch den öffentlichen Charakter der Zeremonien werden die Einwohner jährlich an die
Rechte, Pflichten und Verbundenheit die die Gesellschaft fordert erinnert. Turner hat die Rituale bei
den Ndembu im heutigen Zambia untersucht und Van Gennep’s Perspektive weiterentwickelt. Turner
teilt die Riten wie Van Gennep in 3 Phasen ein: separation (Trannung), liminality (?) und reintegration
(Wiederintegration).
Separation: zeichnet sich durch das Wegbewegen von bekannten Orten hin zu unbekanntem Gebiet
aus.
Liminality: die handelnden Personen befinden sich außerhalb der Gesellschaft in einer gefährlichen
Situation. Für die Gesellschaft besteht das Risiko dass sich die Person nicht wieder integrieren
möchte und die Werte und Machthierarchien nicht mehr annimmt. Für die betroffene Person
besteht die Gefahr einsam und heimatlos zu werden.
Reintegration: letzte Phase der Übergangsriten. Kantidaten kommen als neue Personen meist
höheren Ranges in die Gesellschaft zurück.
Heirat und Tod
Hochzeit und Tod sind andere Übergangsriten (befördern die Person von einem Status in einen
anderen). In „kinship based“ Gesellschaften kann durch Heirat die Verbindung zwischen
Verwandtschaftsgruppen entstehen. Die Heirat symbolisiert die Kontinuität der Gesellschaft. Mit
dem Tod ist das letzte Ritual verbunden.
Übergangsriten in modernen Gesellschaften
Derartige Rituale und Zeremonien existieren auch in modernen Gesellschaften, haben aber stark an
Bedeutung verloren. Die vier Hauptrituale sind Begräbnis, Taufe, Firmung (oder Erstkommunion) und
Hochzeit. Die drei letzteren verlieren immer mehr an Bedeutung und Verbreitung. Dies hängt sicher
damit zusammen dass sie mit Religion verbunden sind, welche in Europa schwächer geworden ist.
Außerdem spielen diese Rituale keine Rolle um einen bessern sozialen Status zu erlangen.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Geschlecht und Alter als Unterscheidungsprinzipien ist, dass man
automatisch die Zugehörigkeit zu bestimmten Altersgruppen wechselt, allerdings nur in den
seltensten Fällen das Geschlecht. In gerontokratischen Gesellschaften müssen Männer nur abwarten
bis sie alt genug sind um politische Macht zu erlangen. Dies ist für Frauen meist eine Sache der
Unmöglichkeit.
GROSSMITH, C.J. 2005. The cultural ecology of Albanian Extended Family
Households in Yugoslav Macedonia. In: Eugene COOPER and Andrei SIMIC (Eds.):
Readings in Anthropology. Dubuque, IOWA (Revised Printing(; Kendall/Hunt
Publishing Company; pp. 89 - 99
zusammengefasst von Claudia Kaiser (Quelle: Facebook-Forum)
Die Albaner leben bei den niedrigeren Hängen des Gebirges in Mazedonien in der Nähe von Skopje.
Die Albaner in diesem Gebiet sind patriarchalisch, patrilineal, und patrilokal strukturiert und
Moslems. Die 25 Dörfer in dieser Gegend formen eine mehr oder weniger endogame Gruppe.
Die Geschichte dieser Region ist eine raue. 500 Jahre Feudalismus unter dem osmanischen Reich, von
1916-1919 besetzt von Bulgarien. Danach lebte sie jahrelang in großer Armut. Seit dem 2. Weltkrieg
macht Mazedonien aber Fortschritte in Richtung moderner Industriegesellschaft.
In der Vergangenheit waren die Dorfhäuser zu sogenannten „mohullas“ oder Nachbarschaften
zusammengefasst, jedes „mohulla“ repräsentiert ein „fis“= eine patrilineale Deszendenzgruppe, wo
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man die Wurzeln nach Albanien zurück verfolgen kann. Die Funktionen der fis sind weniger
geworden, aber nach wie vor bieten die fis ökonomische und moralische Unterstützung bei der
Hochzeit oder bei der Beschneidung oder anderen finanziellen oder ökonomischen Bedürfnissen.
Männliche und weibliche Mitglieder der fis kommunizieren frei untereinander aber mit Mitgliedern
anderer fis dürfen die Frauen nicht kommunizieren. Keine einzige Frau in dem Dorf hat Einnahmen
außerhalb des Haushaltes.
Der Großfamilienhaushalt
Solche Zadrugas können in Serbien nicht mehr gefunden werden außer in Jugoslawien, unter den
Albanern, welche im Kosovo, Mazedonien oder Montenegro leben. 1973 lebten 17
Familienmitglieder in einem 4 Raum Haus mit einer Küche und einem Stauraum. Das Oberhaupt der
Familie hatte einen Raum für sich, und jeder der 3 Söhne hatte einen Raum mit seiner Frau und den
Kindern. Sie wollten 3 Häuser für die Familien bauen, diese aber hauptsächlich zum Schlafen
benutzen und zum Essen immer zusammenkommen.
Die Familie produziert die Nahrungsmittel alle selber: Früchte, Gemüse und Milch.
Unterschiedliche Haushaltstypen:
- Kernfamilie
- Ehemann/Ehefrau und verheirateter Sohn mit oder ohne Kinder
- Ehemann/Ehefrau mit 2 verheirateten Söhnen mit oder ohne Kinder
- Ehemann/Ehefraum mit 3 verheirateten Söhne mit oder ohne Kinder
- 2 Generationen Haushalt, mit 2 verheirateten Söhnen und Kinder
- 3 Generationen Hausalt, mit 3 verheirateten Söhnen und Kindern
Anhäufung von Reichtum
In Albanischen Großfamilien gibt es 2 Arten von Reichtum, den materiellen und den nichtmateriellen.
Ersteres bezieht sich auf Land und Einkommen und zweiteres auf Ehre. Land kann durch Erbschaft
oder Kauf erworben werden. Wenn jemand erbt dann nur der Sohn. Wenn eine Familie keinen Sohn
hat dann erbt der Schwiegersohn, er wird bei der Familie wohnen und das Land bearbeiten. Das geht
aber nur wenn der Schwiegersohn einen Bruder hat der bei der eigenen Familie bleiben kann. Die
Alternative ist es das Land zu verkaufen.
Heutzutage gibt es 4 unterschiedliche ökonomische Möglichkeiten für Männer:
-am Land zu arbeiten
-staatliche Arbeitsbeschäftigung
-Privatunternehmen
-Arbeitsmigranten im Ausland
Am Land zu arbeiten bedeutet sehr viel harte Arbeit, staatliche Arbeitsbeschäftigung bedeutet wenig
Geld und mit dem Geld der Arbeitsmigration werden Häuser gebaut, arrangierte Hochzeiten bezahlt,
Autos gekauft, Fernsehen usw. Luxus.
Haushaltsarbeitsmuster
Die Haushalte sind sehr stark von ihrer eigenen Landwirtschaft abhängig und produzieren ihre
Subsistenz selbst. Der Haushalt weist immer noch Charakterzüge der traditionellen bäuerlichen
Ökonomie auf. Viele Familien holen das Holz aus dem eigenen Wald, Brot wird jeden Tag gebacken
vom eigens angebauten Weizen, eigene Früchte und Gemüse wird angebaut und geerntet, Eier,
Milchprodukte und Gemüse wird haltbar gemacht und eingelagert. Auch die Kleidung und die Socken
sind teilweise selber gemacht. Alle Haushaltsmitglieder helfen mit auch die Kinder. Die härteste
Arbeitsperiode ist von Mai bis September. Die Schwiegermutter dirigiert und leitet.
Die Rolle der Ehre
Die Ehre kann auf unterschiedliche Art und Weise erhalten bleiben. Für den Haushalt zu arbeiten ist
ein Weg, sich an die Regeln zu halten ist ein anderer Weg. In einer patriarchalischen Gesellschaft, ist
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es wichtig Respekt den Älteren gegenüber zu zeigen. Ehre bedeutet auch sich an die Regeln des
Islams zu halten. Töchter und Frauen werden von fremden Männern außerhalb der
Abstammungsgruppe ferngehalten.
Frauen als trennendes Element
Die Frauen verlieren die Identität der eigenen fis (Abstammungsgruppe) wenn sie in den Haushalt
des Mannes wechseln und sie sind fremde dort. Sie wollen so schnell als möglich Kinder, am besten
Söhne, weil sie dadurch auch Prestige und Anerkennung ernten so in der Rangordnung aufsteigen.
Wenn sie keinen Sohn auf die Welt bekommen werden sie wahrscheinlich geschieden. Je schneller
sie einen Sohn bekommen und der heiratet desto schneller haben sie auch jemanden der das Land
bearbeitet. Auch die Geburt einer Tochter hat anfängliche Vorteile, weil sie bald im Haushalt
mithelfen kann, aber sie muss bis zur Pubertät gut behütet werden damit sie nicht vorehelichen
Kontakt mit Männern hat. Aber wenn sie Ausheiratet hat sie keinen Nutzen mehr für den eigenen
Haushalt. Es ist besser viele Söhne zu haben.
Die Frauen haben es in den fremden Haushalten oft nicht leicht. Sie müssen sich mit der
Schwiegermutter arrangieren und mit den Schwägerinnen und deren Kinder. Oft herrscht
Konkurrenzdenken, Eifersucht und Neid.
Diese Großfamilien existieren auch heute noch und bilden unabhängige ökonomische Einheiten.
Studien auf der ganzen Welt haben gezeigt, dass Arbeitsbeschäftigung unter Frauen reduziert die
Geburtenrate stark.
SCHWEIZER, Thomas. 1996 Muster sozialer Ordnung. Netzwerkanalyse als
Fundament der Sozialethnologie. Berlin; Dieter Reimer Verlag; Kapitel 2:
Sozialstruktur als Problem der ethnologischen Forschung. S.29 bis S.54, bes. S.29 bis
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zusammengefasst von Matthias Reitter (Quelle: ethnomitschriften.at)
1. Die Sozialstruktur als klassisches Problem
Die Sozialstruktur ist nach britischer Tradition „eine dauerhafte Anordnung von Positionen“.
Beobachtete Individuen spielen im soz. Leben Rollen, mit denen inhärente Rechte und Pflichten
verbunden sind. Das normierte Handeln der Individuen hält Institutionen aufrecht, die
zusammengenommen die soziale Struktur einer Gesellschaft bilden. (S. 31)
Die brit. Sozialethnologie unterscheidet hier 3 Formen: 1) Stammesgesellschaften, 2) Agrarische Ges.
(Einbindung der Gemeinschaften in übergeordneten Staat und Marktgeschehen), 3) Komplexe
Ges.(Größe, differenzierte Institutionen, Vielfalt an Lebensweisen). (S. 32)
„In ‚small-scale societies’ ist das Netz der sozialen Beziehungen sehr dicht und multiplex geknüpft,
(…) das Gesamtbild komplexer Gesellschaften (ist) durch sehr weitmaschige soziale Netze
gekennzeichnet. (…) die Mitglieder (sind) typischerweise durch uniplexe Beziehungen untereinander
verbunden.“ (S. 33)
Das Theorie- und Methodenproblem der britischen Sozialethnologie war die Verbindung der
„Detailanalyse individueller Akteure in speziellen Situationen zur Gesamtanalyse der Sozialstruktur“ –
das Erklären des sozialen Wandels mithilfe abstrakter Strukturmodelle (S. 33).
Drei Begriffliche Lösungsversuche dieser Diskrepanz:
1) Firth unterscheidet Sozialstruktur von sozialer Organisation, „working arrangements“, „dem, was
die Akteure in einer teilweise offenen sozialen Situation aus den Strukturrahmen machen.“ Leach
unterscheidet analog Sozialstruktur vom „davon abweichenden Handeln der Akteure“. (S. 34)
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2) Der nordamerikanische Ethnologe Ralph Linton verdeutlicht mit dem Begriffspaar Status und Rolle
(„subjektive Performance des Akteurs“) den Gegensatz „zwischen dem abstrakten Gefüge der mit
Normen versehenen Positionen (Status), d.h. der Sozialstruktur, (…) und dem situationsbezogenen
konkreten Handeln der Individuen“ (S. 34).
3) Lévi-Strauss differenziert „zwischen (a) den sozialen Beziehungen; (b) dem Modell, das die Akteure
von ihrer sozialen Ordnung selbst haben und (c) dem Modell, das Ethnologen über diesen
Gegenstand entwickeln.“ (S. 35)
Daraus ergeben sich zwei Hauptprobleme des klassischen Forschungsstands:
1) das Modellbildungsproblem, systematische und kontrollierbare Erkenntnisse über die
Sozialstruktur in formalen Modellen zu präzisieren, und
2) das Mikro-/Makroproblem und damit zusammenhängend das Problem des Wandels (S. 35 f.)
2. Aktuelle Lösungsmodelle
„Während die britische, aber auch die französische Sozialethnologie viele der Grundideen entwickelt
hatten, ist die heutige konstruktive Systematisierungsphase von der nordamerikanischen Ethnologie
bestimmt.“ Die (stärker interdisziplinären) Forschungsstränge der Netzwerkmodelle und der Theorie
des rationalen Handelns (Rational Choice) seien näher beschrieben: (S. 36)
2.1. Netzwerkmodelle der Sozialstruktur
„Man unterscheidet das an Einzelakteuren verankerte persönliche Netzwerk vom Gesamtnetzwerk
aller Akteure. Neben direkten Beziehungen werden auch indirekte analysiert (…) Die
Netzwerkanalyse zergliedert das Beziehungsgeflecht nach Inhalt und Form. So werden
akteursbezogen oder auf das Gesamtnetz ausgerichtet die Größe, Dichte, Verbundenheit,
Multiplexität, das Ausmaß der Zentralisiertheit und die typischen Muster der sozialen Beziehungen
unterschieden (…).“ Diese Begriffe erhalten „in Bezug auf die mathematische Graphentheorie,
Algebra und Mengenlehre eine präzise Bedeutung“ (S. 37).
„Netzwerkmodelle sind zwar teilweise abstrakt, aber sie bleiben empirisch. (…) Im Vergleich zu den
älteren Sichtweisen ist der Begriff der Sozialstruktur weiter gefaßt, weil er das Anordnungsmuster
aus sowohl institutionalisierten als auch schwächer standardisierten Beziehungen beinhaltet.“ (S. 37
f.)
Ungelöste Forschungsfragen bleiben allerdings bestehen, da „nicht jede in einem formalen Kalkül
definierte Reduktion auch eine empirisch sinnvoll deutbare Entsprechung aufweist“, woraus
allerdings „ein fruchtbares Wechselspiel zwischen ethnographischer Deutung und formaler
Modellbildung“ entstehen kann. (S. 38)
2.2. Theorie des rationalen Handelns
James Coleman („Foundations of Social Theory“) stellt diese Theorie „als die Lösung der Mikro/Makroproblematik und als Forschungsperspektive zum sozialen Wandel vor“ (S. 38 f.). Nach ihr
bestehen „Unterschiede zwischen Kulturen in den vorgegebenen Zielen und Mitteln. (…) Die
Grundsituation (…) ist der dyadische Austausch“ zwischen Akteuren, deren Handlungen „dergestalt
aufeinander bezogen (sind), daß sie sich wechselseitig auf die Ressourcenlage und Ereigniskontrolle
der Tauschpartner auswirken.“ Es kann durch verzögerte Gegengabe zur sozialen Dilemmasituation
kommen, was für beide schlechter ist als Kooperation. „Die Theorie des rationalen Handelns (…) ist
auch nicht auf den Austausch materieller Güter beschränkt, sondern bezieht Prestige, auch Werte
wie Altruismus in die Analyse ein.“ (S. 39)
Wie kommt es nun zum Wandelaspekt diachroner Veränderungen? „Die Sozialstruktur entsteht
folglich als beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkung der Handlungen auf der Mikroebene. (…)
Aus der Interessenslage und Ressourcenausstattung der am Austausch Beteiligten entstehen
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Veränderungsanreize für Einzelne, die im Handeln mit anderen Akteuren neue Spielregeln
herausbilden. (…) Die vorhandene Sozialstruktur stellt somit den institutionellen Kontext dar für das
individuelle Handeln auf der Mikroebene“ und kann durch individuelle Transaktionen ggf. verändert
werden. (S. 40)
Schweizer plädiert schließlich für die Verbindung dieser beiden Forschungsperspektiven:
„Netzwerkanalysen entwirren die aus dem Wechselspiel der individuellen Akteure entstandenen
sozialen Strukturen und präzisieren somit die Tatbestände, die von der Theorie des rationalen
Handelns zu erklären sind.“ (S. 42)
ORYWAL, Erwin und HACKSTEIN, Katherina. 1993. Ethnizität: die Konstruktior
ethnischer Wirklichkeiten. In: SCHWEIZER, Thomas; SCHWEIZER, Margarete;
KOKOT, Waltraud (Hrsg.): Handbuch der Ethnologie. Berlin; Dietrich Reimer Verlag;
S.593 bis S.608
zusammengefasst von Matthias Reitter (Quelle: ethnomitschriften.at)
1. Forschungsgeschichte
Der (in den 60ern entstandene) Begriff Ethnizität soll „das Phänomen des Entstehens und
Weiterbestehens ethnischer Identitäten in der Zeit der modernen Nationalstaatlichkeit“ erklären.
Verschiedene Untersuchungen der Ethinzitätsforschung beschäftigen sich unter anderem mit dem
Scheitern der ‚melting-pot’-Idee, mit dem „Phänomen der zunehmenden Revitalisierung ethnischer
Identitäten in den nachkolonialen Nationalstaaten“, sowie mit der Zunahme interethnischer
Konflikte. (S. 593)
„Bis in die 60er Jahre versuchten die Sozialwissenschaften, die Probleme in den außereuropäischen
Regionen (…) mit dem Begriff des Tribalismus oder Nativismus zu beschreiben“, die „als Synonyme
für ‚unzivilisiert’ (standen), gleichgültig, ob in pejorativer oder romantisierende Weise verwendet.“
Tatsächlich „waren es gerade die Städte, (…) die als Kristallisationspunkte von Ethnizität in den
Vordergrund traten.“ (S. 593 f.)
Bis in die 60er Jahre hatte sich ein „essentialistisches Verständnis von Ethnien etabliert“, das jedoch
„aufgrund der Vielfältigkeit von Klassifikationsmerkmalen (…) zu einer uneinheitlichen Terminologie“
führte. (S. 594)
F. Barth begründete mit seinem Konzept der ethnischen Grenzen ein konzeptionelles Umdenken, das
nicht mehr nach objektiven Merkmalen suchte, „sondern die Frage nach dem Entstehen und
Weiterbestehen von ethnischen Grenzen“ ins Zentrum stellte. Demnach würden sich „ethnische
Identitäten nur in einem Interaktionsprozess“ bilden, „in Form der In- und Exklusion von
Bevölkerungsgruppen“. „Dieser (…) Ansatz weise somit auch die nötige Flexibilität auf, um Fragen des
Wandels oder der Revitalisierung ethnischer Identitäten (…) behandeln zu können.“ (S. 594 f.)
Den Diskurs der 70er Jahre prägten zwei Richtungen, die Primordialisten und die Situationalisten
bzw. die Objektivisten und Subjektivisten. Die Vorstellung von in frühester Kindheit erworbenen
Merkmalen (Sprache, Abstammung, Religion), die zur affektiven Verbindung der Mitglieder
ethnischer Gruppen und so zum entsprechenden Gruppenselbstverständnis führen, stand hier im
Gegensatz zur „Idee einer flexiblen, kontextabhängigen Grenzziehung, (…) einer dynamischen
Definition von Identität und ethnischer Gruppe“ (S. 595 f.).
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Die heutige Forschung synthetisiert diese beiden Ansätze durch die Erkenntnis, dass „auch
primordiale Merkmale in Abhängigkeit von der Situation selektiert werden.“ Die immer noch
problematische Begriffsbildung zeigt sich jedoch angesichts spekulativer Reflektionen zur
Universalität von Ethnien, Klassifikatorisch-statischer Konzeptionen zu „ethnischer Konversion“ oder
Fällen kolonialer Konstruktion, sowie im Lichte radikal-situationistischer Definitionen (Cohen). (S.
596)
In den 80er Jahren wurde die Theorie „durch zahlreiche empirische, interkulturell gestreute Arbeiten
mit modernen Fragestellungen“ ergänzt. Zwei mögliche Herangehensweisen kristallisierten sich
heraus, in denen Ethnizität entweder als 1) erklärende oder als 2) abhängige Variable eingesetzt
wird. Während in ersterer in Anlehnung an Verfahren der Kognitionsforschung „Überzeugungen“ als
Datenbasis dienen, können in der anderen „sowohl sprachliche als auch Beobachtungsdaten“
herangezogen werden, die aufgrund nicht notwendiger Kongruenz „ferner zur gegenseitigen
Relativierung verwendet werden“ können. (S. 596 f.)
2. Definitionen
Folgende Definition verbindet situationistische mit primordialen Aspekten ebenso, wie sie die
definitorische Ausgrenzung anderer Gruppen (Vereine, Parteien, Interessensgruppen) miteinschließt
(S. 597 f.):
„Def.: Ethnische Gruppen sind endogame Gruppen, die mittels selektierter Traditionen ein sie
abgrenzendes Selbstverständnis postulieren.“
Die symbolische Manifestation ethnischer Gruppen in der Realität erfolgt durch einen
Gruppennamen, der Zugehörigkeit nach innen und nach außen signalisiert. Die sich daraus
ergebende taxonomisch abgestufte Ordnung von Gruppenidentitäten können je nach Kontext zur
Standortbestimmung herangezogen werden. (S. 598)
„Def.: Ethnizität ist der Prozeß der ethnischen Abgrenzung in Form der Selbst- und Fremdzuschreibung
spezifischer Traditionen.“
3. Drei daraus ableitbare Forschungsregeln
1) Ethnische Grenzen sind „das Ergebnis eines subjektiven Selektionsprozesses“ jener Traditionen
sind, „die in der Überzeugung der Akteure als Konstituenten ihres Selbstverständnis angesehen
werden“1 (wobei die gemeinsame Geschichte hier zentral ist), und die mit symbolischer Bedeutung
belegt werden, wodurch mit ihnen „Vorstellungen, Gefühle und Handlungen einer ethnischen
Zugehörigkeit verbunden sind“. „Die Beschreibung der (…) Traditionen gewährleistet somit die
Darstellung der sozial relevanten Gruppierungen“, wobei „die Mitglieder (…) nicht als homogen
denkender und handelnder Block gesehen werden sollten“, „auf der individuellen Ebene
abweichende Sicht- und Handlungsweisen“ also „in die Ethnizitätsforschung einbezogen werden“
können. (S. 599 f.)
2) Ethnische Grenzen sind „das Ergebnis eines reflexiven Selektionsprozesses“, die nur „in Opposition
zu anderen, ähnlich strukturierten Gruppen“ entstehen. In die Untersuchung sind daher „immer die
1
Sprache, Religion, Deszendenz, Wirtschaftsweise, Physiognomie, Ortsbezug, in weiterem Sinne Kleidung,
Hausformen, Namensgebung, Nahrung, Umgangsformen, oder gar Musik, Stereotype, sowie orale und
literarische Traditionen
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bestehenden oppositionellen Identitäten einzubeziehen“. Diese ‚holistische’ Sichtweise macht
Aussagen über Durchlässigkeit und Rigidität der ethnischen Grenzen möglich. (S. 600)
3) Nicht der Inhalt der Gruppen, sondern das Entstehen und Weiterbestehen kollektiver Grenzen ist
definitionsrelevant. Terminologische Konfusionen werden vermieden. Z.B. „nationale Umverteilung
von Ressourcen, die mit einem hohen demographischen Wachstum und einem (…) exorbitanten
Urbanisierungsgrad in den Schwellenländern einhergehen“ führt zur „Stärkung traditioneller oder
der Bildung neuer Gruppen zur Wahrung ihrer Ansprüche und Rechte“. „Ethnische Grenzen werden
situational ausgehandelt. Ethnizität ist somit eine von Zeit und Raum (Situation) abhängige
Variable.“2 „Der Zwang zur Anpassung minoritärer ethnischer Gruppen in einer fremdethnisch
dominierten Umwelt kann zu einer bewußten Manipulation der Eigenidentität führen (…), sei es auf
kollektiver oder individueller Ebene.“ (600 ff.)
Klare taxonomische Ordnungen ethnischer Identitäten sind nicht die Regel - mit einem Ethnonym
können Gruppen auf mehreren bzw. allen Ebenen der Taxonomie bezeichnet werden. „Eine
differenzierte Taxonomie besteht ebenfalls, wenn verschiedene ethnische Gruppen von
Außenstehenden einer Großkategorie zugeordnet werden. (…) Fremd- und Eigenzuschreibungen
müssen weder terminologisch noch in bezug (sic!) auf die jeweiligen Mitglieder übereinstimmen“.
„Vieldeutigkeiten von Ethnonymen können ebenfalls bewußt zur Identitätsmanipulation benutzt
werden.“ Mit solchen Fragestellungen beschäftigt sich die Richtung Ethnizitäts-Forschungsrichtung
des „impression management“. (S. 602 f.)
„Ethnizität ist ein immerwährender Prozeß“, das „Wissen um den Gegenüber sowie die Zuschreibung
(…) werden durch den Sozialisationsprozeß vermittelt. Es werden jedoch keine statischen
Überzeugungen (…) vermittelt,“ diese „können sich ändern und unterschiedliche Strategien
auslösen.“ Nicht notwendiger Weise müssen die Grenzen zu Konflikten führen. Dieses
„Strukturprinzip von Ethnizität in Form der situationsspezifischen In- und Exklusion durch
Zuschreibung gemeinsamer oder unterschiedliche Traditionen ist universell wirksam.“ (S 603)
4. Ausblick – Ergo
„Mit der dargestellten flexiblen Sichtweise sollte es der Ethnizitätsforschung möglich sein, sich in der
Ethnologie als Teilbereich des systematischen Gebiets der Sozialorganisation zu etablieren.“ (S. 604)
Mit nationalen Symbolen und Labels sind Traditionen verbunden, „die eben nicht in neutraler Weise
eine gemeinsame Identität repräsentieren, sondern Komponenten ethnisch identifizierbarer
Traditionen enthalten, die von anderen Gruppen als fremd, aufgezwungen und diskriminierend
empfunden werden“. „Die vieldiskutierte Revitalisierung ethnischer Identitäten wird daher in Zukunft
nicht abnehmen, (…) eine entsprechende Modifikation der europäischen und außereuropäischen
Landkarte hat eben erst begonnen.“ (S. 604 f.)
2
Bsp.: Kashmir-Konflikt, Jugoslawien, Nuristaner Afghanistans,…
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