Zwischen Psychose, Psychosomatik und Spiritualität Psychotherapie in Grenzbereichen Kurt Gemsemer zwischen 1990 und 2012 Kurt Gemsemer: Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in privater Praxis, bis 2014 auch als Leitender Arzt einer psychosomatischen Tagesklinik beim Tannenhof Berlin Brandenburg tätig. Mitglied der Deutschen Vereinigung für Gestalt Therapie (DVG), Gestalt-Körpertherapiefortbildung. Fortbildung in systemischer Aufstellungsarbeit bei A. Mahr. Langjährige Therapieerfahrung in der Arbeit mit Menschen in und nach psychotischen Krisen. Supervisionstätigkeit. Veröffentlichungen zur Psychotherapie von Psychosen. Praxis: Eisenacherstr. 43 10823 Berlin Fon: 03078711717 Email: [email protected] Publikationen 1990 1997 2003 2008 2012 Psychose als Erscheinungsform eines kritisch veränderten Bewusstseins. In: Gestalttherapie 1/90, S. 32-43 Transpersonale Aspekte der Gestalttherapie in der Psychosetherapie. In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie (TPP) S. 6577 Transpersonales Containment in der Arbeit mit Psychosen. In: Galuska, J.: Den Horizont erweitern. Die transpersonale Dimension in der Psychotherapie. S.154-181. Berlin, 2003 Psychose, Trauma und Bewusstseinsevolution. In: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. 1/2008 S. 19-34 Meditation und Psychotherapie. Die Vertiefung des Bewusstseins als heilende Funktion. In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie (TPP) 2/2012, S. 53-66 2 Inhaltsverzeichnis I. Psychose als Erscheinungsform eines kritisch veränderten Bewusstseins In: Gestalttherapie 1/90, S. 32-43 1. Die Erschütterung des schulmedizinischen Krankheitsmodels in meinem Erleben. 1.1. Der Widerspruch 1.2. Die Entdeckung der Konfluenz in der Gestalttherapie mit dem biographischen psychoanalytischen Interpretationsmodell 1.3. Das körpertherapeutische Potential 2. Emotion - Körper - Psychose 2.1. Die Identifikation mit dem Aggressor 2.1.1. Die Neuroleptika in der Konfluenz mit der Aggressorposition 2.2. Entfremdung - Depersonalisation 3. Die Grofsche Erweiterung der Kartographie der Psyche. 3.1. Eine Skizze 3.3. Synchronizität als Beispiel eines transpersonalen Wahrnehmungsphänomens. 3. 4. Die perinatalen Grundmatrizen / Systeme verdichteter Erfahrung 3.4.1. Die erste perinatale Grundmatrix: Das amniotische Universum. 3.4.2. Die zweite perinatale Grundmatrix: Kosmisches Verschlungenwerden und Ausweglosigkeit. 3.4.3. Die dritte perinatale Grundmatrix: Der große Kampf vor Tod und Wiedergeburt. 3.4.4. Die vierte perinatale Grundmatrix: Tod und Wiedergeburt. 3.5. Psychotische Symptome im Verständnis des Grofschen Modells 4. Der Übergangsbereich zwischen integrierten und desintegrierten veränderten Bewusstseinszuständen 3 4.1. Ein altes Fallbeispiel von C.G. Jung 4.2. z.B. Maslows Entdeckung 4.3. z.B. Moodys Entdeckung 4.4. z.B. Jane Roberts Erfahrungen 4.5. Methoden, die die existentielle Bedrohung des Organismus benutzen. 5. Der Einfluss des kulturellen Weltbildes auf das Integrationspotential einer gegeben Situation 6. Zusammenfassung 7. Literatur II. Transpersonale Aspekte der Gestalttherapie in der Psychosetherapie. In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie (TPP). I/97, S. 65-77 1. Der Grenzprozess als vollendete Gestalt. Das mystische Erlebnis von R. Maharshi 2. Maharshis Selbstbegriff 3. Der Grenzprozess als offene Gestalt 4. Praxisbeispiele Fallbeispiel I 5. Veränderung der Wahrnehmungsmodalitäten Fallbeispiel II 6. Die zu erweiternde Persönlichkeitsfunktion an der Existenzgrenze 7. Aus der Sicht der Gestalttherapie birgt der gelungene Kontakt Heilungspotential 8. Literatur 4 III. Transpersonales Containment in der Arbeit mit Psychosen. In: Galuska, J.: Den Horizont erweitern. Die transpersonale Dimension in der Psychotherapie. S.154-181. Berlin, 2003 1. Einleitung: Die Begegnung mit Psychoseerfahrenen in der Psychotherapiepraxis 1.1 Erstes Fallbeispiel 1.2 Zweites Fallbeispiel 2. Landkarten für Desintegrationsprozesse Helmut Pauls Begriff des „inneren Kindes und S. Grofs perinatale Matrizen 2.1 Das Traumselbst und die holotrope Wahrnehmung nach Grof 2.2 das Kernselbst 2.3 die Entwicklung des subjektiven Selbst 2.4 Das sprachliche Selbst 2.5 Bildung des Ich als emergierendes Holon 2.6 Abwehrvorgänge 3. Psychose als Emergency 3.1 Betrachtung der Desintegration von verschieden Strukturebenen aus und therapeutische Konsequenzen 3.2 Drittes Fallbeispiel 3.3 Psychosetherapie in der Einzeltherapie 4. Resonanzphänomene in Teams 4.1 Viertes Fallbeispiel 4.2 Übergangsformen 4.3 Supervisionsarbeit 5. Schlussfolgerungen 6. Zusammenfassung 7. Literatur 5 IV. Psychose, Trauma und Bewusstseinsevolution In: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. 1/2008, S. 19 -34 1. Einleitung 1.1 Die Holone als Träger von Individuation und Kooperation 1.2 Die vier Quadranten 2. Quadrant links unten Trauma versus Konflikt 3. Quadrant rechts oben Neurobiologie 4. Quadrant links oben Subjektives Erleben des Traumas 5. 5.1. 6. 7. Trauma und Psychose – Zerstörung von Bindung Zahlen und Fakten Quadrant rechts unten Auf welche Stimmen hören wir? Diese Frage gilt immer und für jeden von uns. Quadrant rechts unten Daraus möchte ich folgende Schlüsse ziehen Systemische Betrachtung Beide untere Quadranten der Schmerzkörper Spiritualität als Resilienzfaktor 8. 9. 10. 11. 12. 13. Aufbau von Bindung Zusammenfassung Abschluss Literatur: Summary: Psychosis, Trauma and Evolution of Awareness Psychosis, Trauma and Evolution of Awareness 5.2 5.3 5.4 6 V. Meditation und Psychotherapie Die Vertiefung des Bewusstseins als heilende Funktion In: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. 1/2008, S. 53-66 1. Einleitung 2. Das funktionale und das dysfunktionale Dreieck 3. Krise versus »Jetzt, die heilende Kraft der Gegenwart (Tolle 2002)« 4. Veränderung 5. Achtsamkeit 6. Kontakt als wesentlicher Vertiefungsvorgang 7. Evolution 8. Zusammenfassung 9. Literatur 7 Psychose als Erscheinungsform eines kritisch veränderten Bewusstseins In: Gestalttherapie 1/90, S. 32-43 In dem folgenden Beitrag geht es mir um die Entwicklung eines Modells, welches das psychotische Erleben als Ausdrucksform eines (kritisch) veränderten Bewusstseins versteht. Dieses veränderte Bewusstsein gehört in diesem Denkmodell der gleichen Erlebenstiefe an, die auf der Reise der Selbsterforschung unter Einbeziehung der perinatalen und transpersonalen Erlebensräume entdeckt werden kann. Es geht darum zu verstehen, wann der Erlebensstrom als integrierter Zustand veränderten Bewusstseins erscheint und unter welchen Bedingungen eine psychotische Erlebnisproduktion resultiert, und dass folglich Übergangszustände existieren. 1. Die Erschütterung des schulmedizinischen Krankheitsmodels in meinem Erleben 1.1. Der Widerspruch Das im Folgenden Dargestellte gründet auf zwei sehr unterschiedlichen Erfahrungsbereichen. Der eine Bereich ist die Erfahrung in der institutionellen Psychiatrie, der andere Bereich ist eine Gestalt- und danach eine körpertherapeutische Ausbildung und die damit verbundene (Selbst) Erfahrung. In dieser Aufteilung ist recht bald für mich ein Spannungsfeld erschienen : In der Gestaltarbeit geht es um Kontakt, um Emotion, um Öffnung, um Vertiefung des Erlebens, um Begleitung eines sich zwischen Klient und Therapeut entwickelnden Prozesses, dessen Entfaltung idealerweise eben gerade nicht durch vorgegebene Denkstrukturen blockiert werden soll. Eher werden vorhandene Denkstrukturen hinterfragt hinsichtlich ihrer Tauglichkeit, den fliessenden Prozess zu begleiten. Ja, als Gestalttherapeuten versuchen wir geradezu spontane Bereiche der Persönlichkeit zu aktivieren. In meiner täglichen psychiatrischen Arbeit habe ich nun aber die Erfahrung machen müssen, dass genau das Gegenteil von mir im Vollzug des schulmedizinischen Krankheitsverständnisses erwartet wurde. Hier geht es in erster Linie um Beherrschung der (psychotischen) Symptome. Erregung ist sozusagen ein psychopathologischer Begriff, und die Wirkung der Neuroleptika ist abzulesen am Verschwinden der zuvor als Symptome einer Krankheit definierten Phänomene. In der Gestaltarbeit dagegen lernte ich zur gleichen Zeit Techniken, um "excitement" zu fördern, und lernte Unterstützung und Vertrauen in meinem eigenen spontanen emotionalen Prozess zu finden. Die Haltung der meisten Psychiater ist dagegen, dass ein aufdeckendes Verfahren wie die Gestalttherapie im Falle von Psychose oder Psychosegefährdung kontraindiziert ist. Es gibt also einerseits eine (psychiatrische) Haltung, welche das Verschwinden bzw. Verringern der Symptome zu ihrem Ziel erklärt, während andererseits die (gestalttherapeutische) Haltung, die dem Prozess folgt, die vorübergehende 8 Verschlechterung der Symptome durchaus in Kauf nimmt, sofern der Klient sich für diesen Weg entschieden hat. Diese Haltung ist dem homöopathischen Verständnis eines Heilungsprozesses verwandt. Für mich war also die Frage zu beantworten, ob für mein eigenes Erleben und das Erleben der von einer Psychose betroffenen Person eine gemeinsame Basis existiert, ob es ein Kontinuum des Erlebens gibt, welches das psychotische Erleben umfasst, in dem unfertige Gestalten ihren Abschluss suchen, oder ob das völlig verschiedene, nicht mehr vergleichbare, unzusammenhängende Erlebensformen sind, die dann auch nicht mehr den in der Gestaltarbeit beschriebenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Dass es kein Erlebenskontinuum gibt, ist die Sichtweise der Schulmedizin bis heute, die das psychotische Erleben als einen Ausdruck nur noch nicht verifizierter physischer Fehlfunktion sieht und somit als mehr oder weniger sinnlosen Bruch mit der Realität beschreibt; wenn man inzwischen auch zubilligt, dass es gewisse familiäre und soziale entwicklungsgeschichtliche Einflüsse im Sinne von sog. Stressoren gibt. Die Suche nach der organbiologischen Grundlage der Psychose wird aber fortgesetzt.(vgl. Szasz 1979, S.83 ff) 1.2. Die Entdeckung der Konfluenz in der Gestalttherapie mit dem biographischen psychoanalytischen Interpretationsmodell In meiner Gestalt-Ausbildungszeit habe ich auch erfahren, wie die Gestalttherapie, anlehnend an das psychoanalytische Konzept, die im therapeutischen Setting auftretenden Ereignisse ausschließlich biographisch interpretierte. Nicht immer sind meine Gestaltlehrer dem therapeutischen Prozess gefolgt. So habe ich erlebt, wie spontan einsetzende Hyperventilation als hysterisches Phänomen denunziert wurde und der Betroffene aufgefordert wurde, das sein zu lassen. Noch verstand ich nicht, dass die mangelnde Bereitschaft, mit diesem (Körper-)Prozess mitzugehen, in einem Verharren auf der biographischen Ebene begründet liegt; und dass hier eine Konfluenz mit dem psychoanalytischen, psychologischen und medizinischen Denken vorliegt, welches sich keine früheren Erinnerungen und Einflüsse als die, an einen bestimmten Reifezustand des ZNS gekoppelten, vorstellen kann; frühestens also postnatale Einflüsse (vgl. Grof 1985,S. 184). Wie S. Grof gezeigt hat, überschreitet unter Umständen der therapeutische Prozess mittels Hyperventilation den biographischen Kontext (vgl. Grof 1987, S. 28 ff). Inzwischen arbeiten wir dementsprechend gezielt mit dem sog. holotropen Atmen Hyperventilation in einem von S. Grof (Grof 1987, S. 201) definierten Setting -, um den biographischen Kontext zu überschreiten und tieferliegenden Gestalten zum Abschluss zu verhelfen. Ich selbst habe die Erfahrung der Hyperventilation erstmals in der Körpertherapieausbildung erlebt, und zwar als positives bereicherndes Erlebnis, und habe erstmals auch mit einem damaligen Lehrer eine perinatale Erfahrung gehabt. Es ist das eigene Erleben, das diesen Erfahrungen ihre Qualität gibt; und ich bin mir wohl bewusst, dass ich niemanden von der Existenz solcher Erfahrungen überzeugen 9 kann, der sie nicht selbst hatte. Allerdings hat jeder die Freiheit, diese Erfahrungsmöglichkeiten in einem entsprechend definierten Setting zu prüfen. 1.3. Das körpertherapeutische Potential Zu dieser Zeit etwa machte ich mich auf die Suche nach einem neuen Persönlichkeitsmodell. Die Väter der Körpertherapie - Reich und Lowen - beziehen ihre Erfahrungen auch immer wieder auf die Biographie, obwohl A. Lowen in seinem Buch "Körperausdruck und Persönlichkeit" die perinatale Symbolik der Psychose und die Existenz transpersonaler Wahrnehmungsmuster beschreibt, ohne sich dabei auf dieses (Grof´sche) Modell zu beziehen: "Der Schizophrene ist das Kind im Mutterleib (S. 417)." "Und wir können mit besonderer Übung, ähnliche Phänomene beobachten. Diese Welt besteht aus Energiewellen, energetischen Feldprozessen, die uns in der Atmosphäre umgeben. Soweit halluziniert der Schizophrene nicht (S. 412)." "Dass der Raum selbst unter allen Umständen im Sinn von Bewegung und Vibration lebendig ist, ist eine Tatsache, die die impressionistischen Maler so lebhaft porträtiert haben, und die heute nur wenige Künstler leugnen würden. Der Schizophrene ist viel empfindlicher für derartige Phänomene als der Durchschnittsmensch. (S. 428)" Unzweifelhaft wohnt aber dem körpertherapeutischen Vorgehen selbst ein Potential inne, den Klienten mit den tieferen Schichten seines Bewusstseins (perinatale, transpersonale Bereiche) zu konfrontieren. 2. Emotion - Körper - Psychose 2.1. Die Identifikation mit dem Aggressor Wichtigste Erkenntnis in diesem Zusammenhang aus der Körpertherapieausbildung ist die einfache Tatsache, dass Emotionen psychische und physische Vorgänge sind, ja dass sich in der Emotion das "Lebendige" (vgl. Reich 1970, S. 359f) selbst im Körper ausdrückt. "Es ist nämlich der Körper, der vor Liebe vergeht, vor Furcht erstarrt, vor Zorn bebt und sich nach Wärme und Kontakt sehnt (Lowen 1980, S.14)." In der emotionalen Äußerung verschmolzen sozusagen Körper und Seele in einer Ausdrucksbewegung, und zwar umso intensiver, je vollständiger der Körper bereit war, das Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Hier begann für mich ein neues Erleben und Verstehen des Katharsisbegriffes. (Grof 1985, S. 286 ff, 363) und es ist anzunehmen, dass bisherige Vorstellungen von Katharsis nicht diese Intensität kannten, wie sie in der tiefen Körperarbeit vorkommt. Es gab also zu dieser Zeit in meinem Erfahrungsbereich Erlebnisstürme, die absichtlich und mit entsprechender therapeutischer Erfahrung hervorgerufen wurden, und Erlebnisstürme in der psychiatrischen Aufnahmestation, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterdrückt wurden. 10 2.1.1. Die Neuroleptika in der Konfluenz mit der Aggressor Position Ja, die Gegensätzlichkeit der Auffassungen manifestiert sich m. E. sogar in der Wirkungsweise der antipsychotischen Medikamente (Neuroleptika): Der Körpertherapeut löst, um die Emotionen zum Ausdruck hin zu unterstützen, die verspannten Muskeln. Er identifiziert die in der Verspannung liegende Charakterhaltung, das Muster an muskulärer Beteiligung, welches dem Ausdruck einer Emotion entgegensteht, als Identifikation mit dem Aggressor auf einer traumatisch fixierten somatischen Ebene. Die Neuroleptika dagegen erhöhen die Muskelspannung (vgl. Haase 1977, S. 121 ff) mit genau dieser Intention, nämlich, die psychotische Erregung zu unterdrücken. So bilden sie (die Neuroleptika) in dieser Hinsicht eine Verifizierung der intrapsychisch sowieso vorhandenen Aggressor Position bei dem Betroffenen. 2.2. Entfremdung - Depersonalisation Beeinflusst durch die Körpertherapie sah ich nun in meiner Arbeit in der Psychiatrie und mit "psychiatrischen" Patienten zunehmend deren Schwierigkeiten sich in ihrem Körper zu Hause zu fühlen, ja zuweilen sich dieses Körpers überhaupt gewahr zu sein. Das Phänomen ist auch soweit bekannt und heißt Depersonalisation. Lowen beschreibt dies als die Flucht aus dem Körper, um der existentiellen Angst, die sonst gefühlt werden müsste, zu entkommen. Seiner Auffassung nach kann sich der psychotische Mensch nicht mit seinem Muskelsystem identifizieren, ohne in panische (Todes-) Angst zu geraten (vgl. Lowen 1980, S. 47 ff), und im Erleben des Betroffenen gibt es noch keine Vorstellung davon, sich von jemanden halten oder trösten zu lassen, das heißt ein wesentliches Element dieser Flucht aus dem Körper ist die Isolation in der materiellen/sozialen Realität; und Isolation meint hier, dass die Emotion bisher kein Gegenüber gefunden hat. Aus dem soweit Gesagten ist leicht nachvollziehbar, dass ich meine Klienten, mit denen ich in diesen Prozessen arbeite, unterstütze ihre körperliche, emotionale Realität wieder zu fühlen. Hier finden die vielfältigen Möglichkeiten der Gestalt/Körperarbeit ihre Anwendung, in dem Maße, in dem dies der Kontakt zu meinem Klienten erlaubt. Aber wo finde ich jemanden, wenn er einmal aus seiner körperlichen Wirklichkeit geflohen ist? Welche Landkarte gibt mir Auskunft, wo ich mich aufhalte, wenn ich versuche, jemandem zu folgen, der diese Flucht vor seiner körperlichen, emotionalen Realität antreten musste. 3. Die Grof`sche Erweiterung der Kartographie der Psyche. 3.1. Eine Skizze Bis in die ersten Lebensmonate hinein haben sich Therapeuten wie B. Bettelheim (vgl. Bettelheim 1983, S. 15 ff) und M. Mahler (vgl. Mahler 1978) in die individuelle 11 Lebensgeschichte ihrer Klienten eingefühlt. Im folgenden werden nun die Schritte über diese Zeitraum hinaus, in den perinatalen und transpersonalen Bereich der menschlichen Psyche, nachvollzogen: 1. 2. 3. 4 5. 6. 7. Gegenwart (Hier und Jetzt) aktuelle Lebenssituation weitere Biographie psychodynamische Entwicklung (ödipale Phase) frühe Ich-Entwicklung (präödipale Phase) perinatale Muster transpersonale Muster Die Erfahrungsmöglichkeiten der Ebenen 6 und 7 entfalten nun andere Wahrnehmungsqualitäten als die Ebenen 1 bis 5, welche S. Grof holotrope Wahrnehmungsmodalität nennt, und die das westliche wissenschaftliche Denkmodell heftig konfrontieren (ebenda S. 330). In diesem Erleben ist die Identifikation mit einem grenzenlosen Bewusstseinsfeld gegeben; es gibt echte Alternativen zum dreidimensionalen Raum und zum linearen Ablauf der Zeit; die Festigkeit und Diskontinuität von Materie ist Illusion; derselbe Raum kann von verschiedenen Objekten eingenommen werden usw. D. h. die holotrope Wahrnehmung führt in die Bereiche veränderten Bewusstseins, in die perinatalen und transpersonalen Felder. "Der gemeinsame Nenner dieser sehr reichhaltigen und weitläufigen Gruppe von transpersonalen Phänomenen ist das Empfinden, dass das eigene Bewusstsein über die normalen Grenzen des Ich hinausgegangen ist und die Beschränkungen von Raum und Zeit überwunden hat (Grof 1987, S. 63)". In außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen kann die Welt der Urbilder des von C.G. Jung beschriebenen kollektiven Unbewussten zum Leben erwachen. Sie kann die Form verschiedener mythologischer und legendärer Wesen und Ereignisse, von Szenen aus Märchen, guter und böser Gottheiten aus verschiedenen Kulturen oder transkultureller Archetypen und universeller Symbole annehmen".(ebenda S.139) 3.3. Synchronizität als Beispiel eines transpersonalen Wahrnehmungsphänomens. Eine alltägliche Erscheinungsform der Wahrnehmungsmodalität aus der transpersonalen Ebene ist das Erleben sogenannter Synchronizitäten. Hierbei treffen Ereignisse in der materiellen Welt und Erfahrungsmuster im individuellen Leben so zusammen, dass die betroffenen Personen in diesen Ereignissen einen auf sie gerichteten Sinn entdecken (Grof 1985 S. 187ff und 1987, S. 185). Psychiatrisch wäre die Definition Beziehungswahn erfüllt. Die von Synchronizitäten betroffenen Menschen können sich aber bester geistiger und körperlicher Gesundheit erfreuen. Jung hat beobachtet, dass solche Synchronizitäten zu Zeiten heftiger Identitätswandlungen erfolgen. Es wundert daher nicht weiter, wenn Grof bemerkt, dass Menschen, die von bewusstseinsverändernden Prozessen betroffen sind, häufig Synchronizitäten wahrnehmen, und dass dies besonders auch für Menschen in psychotischen Krisen gilt. Ich selbst kenne ein ausführliches Fallbeispiel aus meiner Praxis. Bei diesem Klienten 12 blieben die sich zunächst in wiederholenden psychotischen Episoden manifestierenden Synchronizitäten nach der gelungenen Integration des psychotischen Erlebens weiterhin überdurchschnittlich häufig wahrnehmbar, hoch geschätzt von dem Betroffenen. 3. 4. Die perinatalen Grundmatrizen / Systeme verdichteter Erfahrung Grof hat nun in den letzten Jahren m.E. einen wesentlichen Beitrag geleistet, die Erfahrungsmöglichkeiten in den Erfahrungsräumen 6 und 7 verständlich zu machen. Zunächst einmal beschreibt er (Grof 1983, S.67 ff) "Systeme verdichteter Erfahrung (systems of condensed experience = COEX-Systeme)" und meint damit assoziativ verknüpfte Erfahrungsmuster, "deren gemeinsamer Nenner eine starke emotionale Besetzung von der gleichen Qualität, eine intensive Körperempfindung der gleichen Art oder irgend ein anderes wichtiges (assoziativ verbindendes) Element ist."(Grof 1987, S. 22) "Die COEX-Systeme enthalten Erinnerungen aus unterschiedlichen Lebensabschnitten."(ebd.) Enthält nun ein solches Muster - man könnte auch - Gestalt - dazu sagen - ein existentiell bedeutendes Thema, dann ist es eben deshalb mit den perinatalen Grundmatrizen verknüpft. Irgendein Ereignis im Hier und Jetzt, dessen existentieller Charakter für den Betroffenen gegeben ist, kann also nach diesem Modell die perinatalen Grundmatrizen (-gestalten) aktivieren. Die perinatalen Matrizen ihrerseits sind in diesem Modell wiederum assoziativ mit Mustern aus dem transpersonalen Bereich verbunden. Damit verändert sich aber auch mit zunehmender Annäherung an die perinatalen Gestalten die Wahrnehmungsmodalität von hylotrop nach holotrop. Grof´s Kartographie umfasst eine Einteilung in 4 perinatale Matrizen und eine Unterteilung in verschieden Formen transpersonalen Erlebens (Grof 1987, S. 32 ff). 3.4.1. Die erste perinatale Grundmatrix: Das amniotische Universum. Diese Erlebensgestalten umfassen Eindrücke des Fötus aus der Schwangerschaft bis zur beginnenden Geburt. Die Identifikation mit dieser Ebene öffnet nun wiederum entsprechende Erfahrungsmuster im transpersonalen Feld. "Alle beschriebenen Erfahrungen haben einen sehr starken numinosen Charakter. Am deutlichsten aber kommt das heilige und spirituelle Element der ersten perinatalen Grundmatrix in den Erfahrungen der kosmischen Einheit und der unio mystica zum Ausdruck. Solche Erfahrungen sind gekennzeichnet durch die Überwindung von Zeit und Raum, überwältigende ekstatische Gefühle, das Empfinden der Einheit alles Seienden ohne Grenzen sowie tiefe Ehrfurcht und Liebe gegenüber der ganzen Schöpfung (ebd. S. 33)". 3.4.2. Die zweite perinatale Grundmatrix: Kosmisches Verschlungenwerden und Ausweglosigkeit. Diese Erfahrungsgestalt beschreibt das Erleben des Fötus bei der beginnenden Geburt: Einsetzen der Wehen, Abschied aus der Geborgenheit des Mutterschosses, 13 der aber auch zum Ende der Schwangerschaft immer enger geworden war. Hier werden "überwältigende, immer stärker werdende Angstgefühle und die Wahrnehmung einer unmittelbaren Gefahr für das Leben (ebd. S. 37 ff)" erfahren. Transpersonale Themen, die hiermit verknüpft sind, sind "... die Erfahrung der Ausweglosigkeit oder Hölle...das lineare Zeitempfinden geht verloren...(man) ist blind für alles Positive in der Welt... metaphysische Einsamkeit, Hilflosigkeit, Minderwertigkeit, ...existenzielle Verzweiflung und Schuldgefühle (ebd. S. 39). " Diese Matrix ist aktivierbar durch Lebensumstände, "in denen man passiv und hilflos von einer destruktiven Kraft überwältigt wurde, ohne entfliehen zu können (ebd. S. 39)". Einer meiner Klienten kam mit dieser Matrix in Berührung, nachdem er eine lange vor sich hergeschobene Zahnarztbehandlung über sich ergehen ließ. Er hyperventilierte und wurde mit Blaulicht in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht und entsprechend schulmedizinisch behandelt. 3.4.3. Die dritte perinatale Grundmatrix: Der große Kampf vor Tod und Wiedergeburt. Dieses Muster umfasst die Erfahrungen des Fötus während der Austreibungszeit, also das Erleben der zunehmenden Wehentätigkeit, intensive (brennende) Hautempfindungen, eventuelle Kreislaufdepressionen durch Einschränkung der Blutzufuhr mit entsprechenden Erstickungsgefühlen, Berührung von Körpersubstanzen (Blut, Schleim, Urin, Kot). Es scheint hier ein Kampf ums pure Überleben erfahrbar zu sein, bei dem alle Empfindungen enorm gesteigert sind, insbesondere auch das sexuelle Erleben. Dieses findet durch die Verknüpfungsmöglichkeiten dieser Matrix mit entsprechenden transpersonalen Themen vielfältige Ausdrucksformen. Der Phantasie sind hier im wahrsten Sinne des Wortes keine Grenzen mehr gesetzt. Entsprechende transpersonale Themen sind: Kriegsszenen, entfesselte Naturelemente, Begegnung mit dem Feuer, Bedrohung durch Dämonen, mythologische Opferrituale, Kreuzigung Christi etc. (vgl. ebd. S. 43-53). Nachvollziehbar ist nunmehr, dass Erlebnisse von Gewalt (Prügel, sexueller Missbrauch, Unfälle) dieses Muster aktivieren können. 3.4.4. Die vierte perinatale Grundmatrix: Tod und Wiedergeburt. Hier erlebt der Fötus (im Regelfall) das Durchtreten des Kopfes aus dem mütterlichen Becken, die erste Begegnung mit der Welt und ihrer Atmosphäre, Willkommen Sein oder Nichtwillkommen geheißen werden, abgenabelt, getrennt werden, ankommen, unendliche Erschöpfung... Die Erfahrung des völligen Loslassen des Egos wird erlebt: der Ich-Tod; "Was aber tatsächlich in diesem Prozess stirbt, ist eine im Grunde von Angst geprägte Einstellung zur Welt, in der die negativen Erfahrungen des betreffenden Menschen... zum Ausdruck kommen (ebd. S. 54 ff)." Im transpersonalen Muster kann hierbei tiefe spirituelle Befreiung erlebt werden. Im Folgenden sollen nun die Einflüsse dieser Muster auf das psychotische Erleben dargestellt werden. 14 3.5. Psychotische Symptome im Verständnis des Grofschen Modells Mit dem Berühren der perinatalen Erfahrungsmuster verändert sich das Erleben in charakteristischer Weise. Der Mensch, der sich der Aktivierung dieser Erfahrungsgestalten ausgesetzt sieht, ohne dafür ein geeignetes inneres oder äußeres Bezugssystem zu besitzen, wird den Kontakt zur inneren und äußeren Wirklichkeit verlieren. Das entspräche in der Zuspitzung dem Manifestieren eines psychotischen Geschehens. Falls er in die äußere Wirklichkeit zurückfindet oder - und das ist die therapeutische Alternative - einen Rahmen findet, der ihm das Erleben der inneren Bewusstseinsräume erlaubt (holotropes setting) würden gemäß diesem Modell keinerlei psychopathologische Phänomene resultieren. "Die Emotionen und Körperempfindungen, die zum Ereignis der Geburt voll und ganz passen, werden in anderem Zusammenhang zu psychopathologischen Symptomen...(dann) erlebt ein solcher Mensch weder die Gegenwart noch die biologische Geburt. In einem gewissen Sinne steckt er im Geburtskanal fest und ist noch nicht geboren worden (Grof 1985, S. 329). Es hat deshalb den Anschein, als ob die biographischen Elemente nicht an sich, sondern auf Grund ihrer Verknüpfung mit perinatalen Matrizen für die Entwicklung einer Schizophrenie verantwortlich sind. ...Während in der Neurose die Elemente perinataler Matrizen in abgeschwächter Form erscheinen und durch dramatische Ereignisse nach der Geburt gefärbt sind, werden sie in der Psychose in nicht gemilderter reiner Form erlebt (ebd. S 290 ff)"; ohne dass jedoch der Betroffene sich in der Lage sähe, das Erlebte zu integrieren. Grof beschreibt dann im Einzelnen, welches typische psychotische Erleben welcher Matrix zugehört: "Die frühen Stadien der zweiten perinatalen Grundmatrix scheinen die Basis für die undifferenzierte Angst und das Gefühl der allgemeinen Bedrohung zu bilden, die charakteristisch für die Paranoia sind. ...Der intrauterine Kosmos des Fötus, sein Lebensraum...bekommt feindselige Züge. ... Erlebt ein erwachsener Mensch diese Situation wieder, ohne ihre wahre Natur zu erkennen, neigt er dazu, sie auf seine gegenwärtigen Lebensumstände zu projizieren und aus dieser Sicht zu interpretieren. Das entscheidende Element seines Erlebens ist ein Zustand intensiver Angst. ...sie (die Betroffenen) sehen darin Auswirkungen schädlicher Strahlen..., wittern Machenschaften, Beeinflussung durch außerirdische Lebewesen. ... In ihrer voll entwickelten Form trägt die zweite perinatale Grundmatrix zur schizophrenen Symptomatologie die Atmosphäre der ewigen Verdammnis sowie die Motive der unmenschlichen Folterung durch erfindungsreiche Vorrichtungen, des nie endenden Leids in der Hölle und anderer auswegloser Situationen bei. ...Der zweiten perinatalen Matrix entspringt auch das Gefühl des Schizophrenen, in einer sinnlosen bizarren Welt mit "gemachten" Figuren und leblosen Robotern zu existieren oder ein Teil einer phantastischen Zirkusvorstellung zu sein (ebd. S 291 ff)". Auch aus den Prägungsvorgängen der dritten perinatalen Grundmatrix führt Grof reichhaltiges Material an, welches, wenn es in seinem ursprünglichen Kontext nicht verstanden wird, ebenfalls auf die Umstände im Hier und Jetzt projiziert wird und damit zu der typischen psychotischen Fehlinterpretation führt.("... archetypische Motive von gewaltiger Dimension..., Gewalttätigkeit, Selbstverstümmelung...sowie ihre Visionen und Erlebnisse von Grausamkeiten aller...Art, ...Koprophilie und Koprophagie...(verraten) unzweifelhaft ihre Herkunft ...(von der ) dritten Matrix"; ebd. S. 292). Zu den psychotischen Abkömmlingen der vierten Matrix zählt Grof die Vorstellung 15 vom Weltuntergang, Identifikation mit Jesus Christus, das Sendungsbewusstsein und den damit einhergehenden Größenwahn. "Viele psychotische Patienten haben Erlebnisse der ekstatischen Vereinigung mit Gott und dem Universum, manchmal zusammen mit Gefühlen der symbiotischen Einheit mit dem mütterlichen Organismus... Zu einem Erlebnis der Einheit mit dem Göttlichen, das gut verarbeitet und integriert ist, gehört ein Gefühl des tiefen inneren Friedens, der Ruhe und der Gelöstheit. Der betreffende Mensch erkennt, dass seine göttliche Herkunft nicht etwas Außerordentliches ist, und nur für ihn gilt, sondern auch für jeden anderen Menschen... So scheint es eine ... eindeutige Verbindung zwischen Störungen des embryonalen Daseins zu geben...(z.B. versuchte Abtreibung, toxische Einflüsse; d. Verf.) und den schizophrenen Verzerrungen der Spiritualität....(ebd. S. 293 ff). Ebenso können psychotische Phänomene ihren Ursprung im transpersonalen Feld haben. Dass hier Ordnungen/Muster in Form verschiedener Erlebensgestalten anzutreffen sind, geht schon aus der Jungschen Auffassung der Archetypen hervor. Hier spätestens wird deutlich, "dass es eine ziemlich fließende Grenze zwischen der Psychose und dem Prozess der spirituellen Transformation gibt... (ebd. S. 295) ". 4. Der Übergangsbereich zwischen integrierten und desintegrierten veränderten Bewusstseinszuständen Zum Verstehen dieses ganzen Ansatzes ist es wesentlich zu betonen, dass in der Jungschen, aber auch in der Grofschen Auffassung diese tiefen Dimensionen der menschlichen Psyche ein großes Heilpotential beinhalten (ebd. S.350 ff). Anders als das von Freud beschriebene Unbewusste ist diese Dimension der menschlichen Psyche nicht primär destruktiv und muss daher nicht ständig kontrolliert werden. Wesentlich in der Grofschen Auffassung ist, ein Gewahrsein darüber zu besitzen, welcher Bereich der Psyche derzeit aktiv ist. Überwiegt die holotrope Wahrnehmungsmodalität auf Grund starker Aktivierung unabgeschlossener Gestalten aus den Ebenen 6 und 7, so erfordert dies eine bestimmte gesicherte Verankerung in Raum und Zeit. Die holotrope Wahrnehmung ist nicht geeignet für Interpretationen in der Welt der newtonschen Mechanik. Die transpersonalen Phänomene können die Qualität eines echten Transzendierens von Raum und Zeit annehmen. Wenn also jemand die Identität von z. B. Judas Ischariot annimmt, dann kann er sich in dieser Identität so authentisch fühlen, dass die damit verbundenen Schuldgefühle zum Suizid führen können! Oder anders herum: Die an die Oberfläche des Bewusstseins drängenden Schuldgefühle (unabgeschlossene emotionale Gestalten) können in ihrer Intensität so mächtig sein, dass sie die Grenzen des individuellen Fühlens überschreiten ("unfassbar, unglaublich,...kann nicht wahr sein", etc.) und somit Kontakt zu einem transpersonalen Muster herstellen, und dieses als "Judas Ischariot" in Erscheinung tritt. Dies wiederum macht sich die "Technik" in einem holotropen setting zu Eigen. Indem heftige kathartische emotionale Reaktionen ausgelöst werden, ergeben sich solche Grenzüberschreitungsphänomene. Hierbei besteht nun das therapeutische Interesse darin, sog. "negative Gestalten" zum Abschluss zu bringen und den Übergang zu positiven Mustern zu ermöglichen (vergl. S. 334). Bei dem erwähnten Patienten ("Judas Ischariot") bestand der Übergang darin, dass 16 er später ein Erleben hatte, welches ihm sein Leben eingebunden und sinnvoll im Kosmos erscheinen liess. Er nannte dies sein "samadhi-Erlebnis". Dies entspräche im Grofschen Modell einer Aktivierung der ungestörten perinatalen Matrix I und den damit verknüpften transpersonalen Mustern. Insbesondere in der Arbeit mit diesem Mann fand ich die Auffassung von Grof und Jung bestätigt, dass diese Bereiche unserer Psyche großes Heilpotential und eine spirituelle Qualität jenseits von dogmatisch verstandener Religion besitzen. "Nach den neuen Erkenntnissen ist Spiritualität eine der Psyche innewohnende Eigenschaft und tritt spontan in Erscheinung, wenn der Prozess der Selbsterforschung tief genug fortgeschritten ist (ebd. S. 351)." Dieser Auffassung zufolge ist also der transpersonale Bereich der Psyche ein im Bewusstseinskontinuum und unter bestimmten Bedingungen aktivierbarer Wahrnehmungsbereich. Ob dieser nun heilsam integrativ wirkt oder sich mit Todesangst verbunden manifestiert, hängt von benennbaren Bedingungen ab. Diese sind in erster Linie in der aktivierten, zugrunde liegenden Gestalt, den Integrationsmöglichkeiten der Person und in dem äußeren materiellen und emotionalen Rahmenbedingungen zu suchen, in dem die betreffende Person dieses Erlebnis hat. 4.1. Ein altes Fallbeispiel von C.G. Jung "Etwa im Jahr 1906 stellt Jung fest, dass einer seiner Patienten..., ein paranoider Schizophrener die Sonne anblinzelte und gleichzeitig den Kopf von einer Seite zur anderen drehte. Der Patient erklärte Jung, dass die Sonne einen Penis besäße, der der Ursprung des Windes sei... (Die archetypische Verbindung wurde klar), als Jung auf einen griechischen Bericht über ein altes Mithras-Ritual stieß, der von einer Röhre berichtete, die vom Antlitz der Sonne herabgelassen wurde und den Ursprung des Windes darstellt (Peat 1989, S. 120) ". In Jungs Beispiel wird offensichtlich die ursprüngliche mythologische Gestalt durch biographische Einflüsse entstellt, ist aber dennoch gut zu erkennen. Solche Verzerrungen gründen dann im individuellen Unbewussten und sind m. E. Hinweise auf eine existentiell bedrohliche Erlebnisdimension in der Geschichte des Betroffenen, eben weil sie von Archetypen durchflutet sind. Daher haben sie auch die Eigenschaft, perinatale und transpersonale Muster zu aktivieren. D.h. : lebensbedrohliche Traumata, Unfälle, Gewalt, Missbrauch, Misshandlungen, Deprivation, aber auch Zeiten von Wandel, wie Pubertät, Tod von Angehörigen oder Nahestehenden, Geburt eines Kindes etc., also Ereignisse, die an die Grenze der eigenen Existenz rühren, können assoziative Aktivierungsmuster für perinatale oder transpersonale Gestalten sein. Die biographisch begründete Verzerrung des transpersonalen Feldes muss verstanden werden, um ein Weiterfließen in demselben zu ermöglichen. Generell, - so Grof - besteht die therapeutische Arbeit in der kathartischen Entladung der negativen COEX-Systeme und in der Unterstützung der Wahrnehmung positiver Systeme (Gestalten), wie sie z.B. in der ungetrübten Wahrnehmung der perinatalen Matrix I oder im Abschluss der perinatalen Matrix IV und den damit verbundenen transpersonalen Feldern enthalten sind. Die Situation der Psychose wäre also als ein zu Tode geängstigtes Ego im Niemandsland an der Grenze von individuellem und kollektivem Unbewussten zu 17 beschreiben, welches auf Grund der vorhandenen Angst nicht loslassen kann, um sich den tieferen Schichten anzuvertrauen, weil es den Glauben an sich selbst - seine spirituelle Dimension - verloren hat. Hier findet nun auch die unheilvolle Konfluenz zwischen Arzt und Patient statt, wenn der Patient beim Arzt auf Abwehr trifft, deren Hintergrund ebenfalls Angst vor diesen Schichten des Bewusstseins sein mag. Positiv formuliert: Der Arzt oder Therapeut kann nur in diese Bewusstseinsräume hinein begleiten, wenn er deren Existenz für möglich hält, am besten wenn er sich dort auskennt. Einmal wurde ich an dieser Stelle gefragt, ob das denn hieße, dass man selbst psychotisch werden müsste, um mit den entsprechenden Patienten arbeiten zu können. Natürlich nicht, jedoch ist das Erleben eines veränderten Bewusstseinszustandes zum Verstehen psychiatrischer Patienten eine unermessliche Hilfe. Bemerkenswert ist Jungs eigene Entwicklung in dieser Hinsicht: "Seit Tagen schon spukte es im Jungschen Haus,... und eines Sonntagmorgens ging die Türklingel. Niemand stand draußen. Die Luft war dick, sage ich Ihnen. Da wusste ich, es muss etwas geschehen, Das ganze Haus war angefüllt wie von einer Volksmenge, dicht voll von Geistern. Sie standen bis unter die Tür, und man hatte das Gefühl kaum atmen zu können. Natürlich brannte in mir die Frage: "Um Gottes Willen, was ist denn das?" Da riefen sie laut im Chor: "Wir kommen zurück von Jerusalem, weil wir nicht fanden was wir suchten (ebd. S. 21)." Was von Kritikern als Zeichen einer Geisteskrankheit gewertet wurde, ist m. E. zu verstehen als das Eintauchen in ein transpersonales Feld. Vermutlich wusste Jung 1916 noch nicht um die Notwendigkeit, die Eindrücke aus diesem Feld nicht mit der Alltagswelt zu durchmischen. Dennoch gelang es ihm, durch die Niederschrift der "Sieben Reden an die Toten" in den drei auf den "Zusammenbruch" folgenden Nächten enorm viel kreatives Material aus diesem Zustand mitzubringen, welches die Nähe des Jungschen Denkens zur Philosophia perennis begründet. Es existieren also fließende Übergänge zwischen Integration und Desintegration eines kritisch veränderten Bewusstseinszustandes. Das was uns klinisch als "psychotisches" Phänomen beeindruckt, gehört demselben Bewusstseinskontinuum an wie z. B. die Erfahrung des bekannten amerikanischen Mediums Jane Roberts u. a., bei denen diese Erfahrung gut integriert erscheint. 4.2. z.B. Maslows Entdeckung Auf der Seite der Integration ist das Erleben eines veränderten Bewusstseinszustandes möglich ohne psychopathologische Erscheinungsform. Voraussetzung hierfür ist die vorbereitete Persönlichkeit (bewusst oder unbewusst), mit einem Ego, welches bereit ist, sich tieferen Schichten jenseits seiner selbst anzuvertrauen. Dazu gehört auch ein sozialer Kontext, der dies ermöglicht, - eine Verankerung in der materiellen, körperlichen Welt. Man könnte einfach sagen: "Eine Liebe zum Leben." Hier ist die Arbeit von A. Maslow zu erwähnen, der in seiner "Wachstum-Gipfel-Probe" herausfindet, dass Individuen mit solchen Voraussetzungen spontan zu sog. Grenzerfahrungen neigen. "Wenn man sich … auf die Gipfelerlebnisse konzentriert und damit fast alle Merkmale findet, die traditionell den universellen religiösen Erfahrungen zugeordnet werden (unabhängig vom Ort und vom Glaubensbekenntnis), dann kann man vom 18 Wiedererleben des Religiösen und vom Heiligen des gesamten Lebens sprechen (Maslow 1984, S. 207) ." Hier ergibt sich also das Bild, dass das Ego in seiner fortgeschrittenen Entwicklung spontan tieferen Bereichen des Bewusstseins Raum schafft. In dem Bereich zwischen Desintegration und Integration sind alle möglichen Übergangsformen denkbar, in denen die betreffende Personen mehr oder weniger Integrationsarbeit zu leisten hätte. 4.3. z.B. Moodys Entdeckung Die von A. Moody erstmals dokumentierte Nahtoderfahrung scheint mir ebenfalls hierzu zu gehören, obwohl Moody selbst versucht seine Entdeckung von "Geisteskrankheit" abzugrenzen. Die durch das Ereignis des klinischen Todes charakterisierte Todesnähe konfrontiert den Organismus soweit, dass das körperliche Ego anscheinend wirklich losgelassen wird. Gerade die "out-of-body"- Erfahrungen sind ja gut dokumentiert. Damit ist jedoch genau die Voraussetzung zur spirituellen Integration gegeben: das völlige Loslassen vom (Körper-) Ego. Folgerichtig ist die spirituelle Erfahrung ein fast regelmäßiger Bestandteil der von Moody Interviewten (vgl. Moody 1977 und 1989). 4.4. z.B. Jane Roberts Erfahrungen Das Beispiel von Jane Roberts zeigt eine weitere Möglichkeit der Integration von Einflüssen aus dem transpersonalen Feld auf Seit 1963 empfing sie eine Stimme, deren Identität sich selbst als eine Wesenheit - in einer anderen als der physischen Realität zentriert - bezeichnete. J. Roberts unterzog sich diversen psychologischen Untersuchungen. Sie erfreute sich über Jahre hinweg guter geistiger und seelischer Gesundheit und förderte ein unglaubliches umfassendes und philosophisch dichtes Material mit "Seths" Hilfe zu Tage. Hier erwähnenswert erscheint mir dieses Phänomen insofern, als J. Roberts selbst einen deutlichen autobiographischen Hinweis liefert, aus dem hervorgeht, dass sie ein ungewolltes, ungeliebtes Kind war. Die Mutter gab der Schwangerschaft und der Geburt die Schuld an ihrer späteren Arthritis. "Das Kind im Erwachsenen hat immer noch das Gefühl, dass die Mutter, sogar jetzt noch, die Macht hätte, das Kind in den Mutterleib zurück zu zwingen und sich zu weigern es zu gebären (Roberts 1989, S. 202)." Das wäre im Grofschen Modell die biographische Verknüpfung zum perinatalen und transpersonalen Erfahrungsraum. Gleichzeitig zeigt dieses Beispiel ein hohes Maß an Integration und die Möglichkeit der Integration des biographischen Erlebens durch den Kontakt zum transpersonalen Feld, da "Seth" reichhaltiges Material zu J. Roberts Selbstverständnis liefert. 4.5. Methoden, die die existentielle Bedrohung des Organismus benutzen. Angebracht scheint mir hier die Überlegung, dass bestimmte "therapeutische" Maßnahmen mehr oder weniger unbeabsichtigt den im veränderten Bewusstseinszustand Befindlichen existentieller Bedrohung ausgesetzt haben oder dies immer noch tun. Ich sehe die nun nicht mehr praktizierte Insulinschockanwendung, aber auch die Elektrokrampfbehandlung in diesem Licht. 19 Vorläufer solcher Art Maßnahmen waren im Altertum, wie S. Grof berichtet (1987, S. 265), z.B. das Aussetzen von Patienten in einer Schlangengrube mit Kobras, denen zuvor die Giftzähne gezogen worden waren, oder das Losstürmen eines dressierten Elefanten, der kurz vor dem Patienten stehen blieb. Die Wirksamkeit solcher Methoden liegt m.E. in der Aktivierung der entsprechenden COEX-Systeme im perinatalen oder transpersonalen Feld durch ihre assoziative Verknüpfung mit dem Tod/Wiedergeburt-Muster durch die Todesandrohung. Während die altertümlichen Methoden vielleicht sogar noch die Erforderlichkeit der existentiellen Tiefe zur Rechtfertigung ihres drastischen Vorgehens anführten, wird dieser Aspekt z.B. in der Elektrokrampfbehandlung völlig verleugnet oder verharmlost. 5. Der Einfluss des kulturellen Weltbildes auf das Integrationspotential einer gegeben Situation Das Phänomenale an der transpersonalen Erfahrung Jungs ist, dass er sich die Wertevorstellung zur Integration dieser Erfahrung pionierhaft selbst geschaffen hat, und dass das von ihm vertretene Modell die Grenzen damaliger und heutiger mechanistischer Weltsicht immer noch transzendiert, während die offizielle Wissenschaft mindestens von einem "völligen geistigen Zusammenbruch" sprach. Ebenso beinhaltet das von Jane Roberts gechannelte (vgl. Klimo 1988) Material die Information zu dessen Verständnis, welche ebenfalls die derzeitige wissenschaftliche Weltsicht völlig herausfordert. Solange unsere Kultur ein solches Werte/Weltbild (Existenz und Bedeutung der perinatalen und transpersonalen Muster) nicht bereithält, ist die Wahrscheinlichkeit, einen günstigen und unterstützenden Kontext zur Integration eines kritisch veränderten Bewusstseinszustandes vorzufinden, wesentlich geringer, als wenn kulturell eine solche Erfahrungswelt akzeptiert wäre oder gar die Bedingungen zu ihrer Integration kulturell unterstützt würden. Als Phantasie wäre ein Ort denkbar, in dem der Betroffene seine Erfahrung abschließen kann und die hierzu erforderlichen Mittel bereitgestellt würden. Solange unsere Kultur und Wissenschaft diese Erfahrung aber nicht anerkennt, kann der Einzelne seine Erfahrung nur im Konflikt mit dem herrschenden Paradigma anerkennen und wird gedrängt, auf diese Erfahrung z. B. den Begriff der Geisteskrankheit zu projizieren. Damit ist eine unheilvolle Konfluenz zwischen wissenschaftlicher Haltung und individueller Persönlichkeitsfunktion beschrieben. - Oder der Einzelne, sich gegen die Haltung der herrschenden Wissenschaft und Kultur auflehnend, muss sich auf den Weg machen, ein subkulturelles Supportsystem zu suchen, welches seine Erfahrung anerkennt. 6. Zusammenfassung Es gibt also verändertes Bewusstsein, das mehr oder weniger integriert sein kann. Mit zunehmender Desintegration wird im Kontakt mit dem Klienten zunehmende Angst deutlich. Die Herausforderung, diese Angst gemeinsam auszuhalten, auszudrücken ist gestellt. Aus einer sog. objektiven Position erscheint die zunehmende Desintegration als psychotische Erlebnisproduktion. Diese Position ist 20 aber Ausdruck einer Kontaktstörung zwischen dem Betroffenen im veränderten Bewusstsein und dem ihn Kategorisierenden. Der erste integrative therapeutische Schritt ist die Redefinition des Damoklesschwertes "geisteskrank-unentrinnbar-chronisch-prozesshaft-verlaufend" zu einem Zustand kritisch veränderten Bewusstseins. Die gefühlte Gefahr als Angst des Egos zu erkennen und loszulassen, ist das therapeutische Ziel. Das führt uns natürlich durch die Biographie, aber auch darüber hinaus. Die Übergänge von Desintegration des veränderten Bewusstseinszustandes in einen integrierten veränderten Bewusstseinszustand untermauern die Sichtweise des Bewusstseinskontinuums. Es sind die integrierten Zustände veränderten Bewusstseins, die die spirituelle Dimension der menschlichen Psyche verdeutlichen, ganz unabhängig von dem zuvor vorhandenen Glaubensbekenntnis. Diese Art Zustände wurden auf Grund des darin enthaltenen Heilpotentials von den Menschen durch alle Zeiten hindurch gesucht. D.h., in einem kritisch veränderten Bewusstseinszustand begibt sich der Organismus in eine Bewusstseinstiefe, die auch das Lösungspotential für die aufgeworfene existentiell bedrohliche Problemkonstellation beinhaltet. 7. Literatur Bateson, G. u. A.: Schizophrenie und Familie. Frankfurt 1969 Beaumont, H.: Ein Beitrag zur Gestalttherapietheorie und zur Behandlung schizoider Prozesse. In Gestalttherapie 2/88, S16-26 Bettelheim, B.: Die Geburt des Selbst. Frankfurt 1983 Capra, F: Der kosmische Reigen. Physik und östliche Mystik - ein zeitgemäßes Weltbild. Bern 1977 Capra, F: Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild. Bern 1983 Capra, F: Das neue Denken. Die Entstehung eines ganzheitlichen Weltbildes im Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und Mystik. Globe, F: Die dritte Kraft. A. Maslows Beitrag zu einer Psychologie seelischer Gesundheit. Freiburg/Brsg. 1979 Grof, S.: LSD-Psychotherapie. Stuttgart 1983 Grof, S.: Die Topographie des Unbewussten. LSD im Dienst der tiefenpsychologischen Forschung. Stuttgart 1983 Grof, S.: Geburt, Tod und Transzendenz. Neue Dimensionen in der Psychologie. München 1985 21 Grof, S.: Das Abenteuer der Selbstentdeckung. Heilung durch veränderte Bewusstseinszustände. München 1987 Grof, S.: Auf der Schwelle zum Leben. Die Geburt: Tor zur Transpersonalität und Spiritualität. München 1989 Grof, S. und Halifax, J.: Die Begegnung mit dem Tod. Stuttgart 1980 Haase, H.-J.: Therapie mit Psychopharmaka und anderen seelisches Befinden beeinflussenden Medikamenten. Stuttgart 1977 Hannah, B.: C.-G. Jung. Sein Leben und Werk. Fellbach -Oeffingen 1982 Klimo, J.: Channeling. Der Empfang von Information aus paranormalen Quellen. Freiburg 1988 LaBerge, S.: Hellwach im Traum. Höchste Bewusstheit im Schlaff Paderborn 1987 Laing, R.: Das geteilte Selbst. Eine existentielle Studie über geistige Gesundheit und Wahnsinn. Köln 1972 Leary, T: Denn sie wussten was sie tun. Eine Rückblende. 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Bern 1981 Wilber, K.: Das holographische Weltbild. Bern 1986 23 Transpersonale Aspekte der Gestalttherapie in der Psychosetherapie. In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. Nr. 1 Petersberg 1997 Zusammenfassung: In dem folgenden Beitrag geht es um den Versuch die Berührung der Gestalttherapie mit spirituellen Vorstellungen, insbesondere R. Maharshis zu beschreiben. In der Darstellung dieser Berührung wird die Persönlichkeitsfunktion herausgearbeitet, die erforderlich ist, um Menschen in existentiellen psychischen Krisen (Psychosen) begleiten zu können. Schlüsselworte: Psychose, Gestalttherapie, transpersonales Bewusstsein, Kontakt, Persönlichkeitsfunktion. Summary: the following article attempts to describe the interrelationship between gestalttherapy and spiritual concepts, particulary those of R. Maharshis. The personality function which is necessary to help people in existential psychic crisis (psychosis) is analysed in the discussion of this relationship. Key words: psychosis, gestalttherapy, transpersonal consciousness, contact, personality function. 1. Der Grenzprozess als vollendete Gestalt Das mystische Erlebnis von R. Maharshi Ramana Maharshi war als Heiliger und Weiser bekannt und lebte von 1879 - 1950 in Indien in der Nähe von Madras. Viele Europäer sind zu ihm gereist und brachten seine Lehren mit in den Westen. Persönlich hat mich die Einfachheit und Klarheit seiner Darstellung des spirituellen Weges beeindruckt. Der Wendepunkt in seinem Leben mit dem Durchbruch der in seiner Psyche schlummernden spirituellen Tiefe, manifestierte sich als er etwa 16 Jahre alt war. Hier Maharshis Darstellung dieses Ereignisses. "Der Schock der Todesangst trieb meinen Geist nach innen, und ich stellte innerlich fest, ohne es wirklich in Worte zu fassen: ` Dies also ist der Tod. Was bedeutet das? Was stirbt da? - Dieser Körper stirbt.´ Und ich begann, den Vorgang des Sterbens nachzuspielen. Ich lag steif mit ausgestreckten Gliedern, als ob die Totenstarre eingesetzt hätte und ahmte eine Leiche nach, wie um meinem Forschen eine größere Wirklichkeit zu verleihen. Ich hielt meinen Atem an und meine Lippen fest geschlossen, so dass kein Laut entschlüpfen konnte, weder ein `ich´ noch irgendein anderes Wort. `Schön´, sagte ich zu mir selbst, `dieser Körper ist tot. Er wird zur Verbrennungsstätte getragen und dort zu Asche verbrannt werden. Aber bin `ich´ tot mit dem Tod dieses Körpers? Bin `ich´ der Körper? Er ist still und gefühllos, ich aber fühle die ganze Kraft meiner Persönlichkeit und höre, getrennt von ihm, selbst die Stimme des Ichs in mir. So bin Ich also der Geist, der über den Körper hinausreicht. Der Körper stirbt, aber der GEIST, der ihn überschreitet, kann vom Tode nicht berührt werden. Das bedeutet, dass ich der todlose GEIST bin.´ All dieses waren nicht dumpfe Gedanken; es durchfuhr mich vielmehr lebhaft als lebendige Wahrheit, die ich unmittelbar wahrnahm, fast ganz ohne Denkvorgang. 24 `Ich´ war etwas sehr Wirkliches, das einzig Wirkliche meines gegenwärtigen Zustandes, und alle bewusste Aktivität, die mit meinem Körper zusammenhing, war auf jenes Ich konzentriert. Von dem Augenblick an hielt das Ich oder Selbst die Aufmerksamkeit durch eine machtvolle Anziehung auf Sich Selbst gerichtet fest. Die Todesangst war ein für allemal verschwunden. Seit jener Zeit hielt das Aufgesogensein im Selbst ununterbrochen an. Andere Gedanken mögen kommen und gehen wie eine Melodie, das Ich aber dauert an wie der Leitton, der allen anderen Noten unterliegt und mit ihnen verschmilzt. Ob der Körper redend, lesend oder anderweit beschäftigt war, ich blieb immer auf das Ich konzentriert. Vor dieser Krise hatte ich keine klare Vorstellung von meinem Selbst und fühlte mich bewusst nicht von ihm angezogen. Ich war gar nicht an ihm interessiert, viel weniger geneigt, dauernd in ihm zu verweilen." (Cornelsen, 1985, S. 21) Nach diesem Ereignis verließ er seine sozialen Zusammenhänge, und traf am 1. Sept. 1896 bei dem in der hinduistischen Religion als heilig verehrten Berg Arunachala ein. "Der Junge hatte alle Brücken abgebrochen, die ihn mit seinem bisherigen Leben verbanden. Nun entledigte er sich der letzten Habseligkeiten... Bald erregte er Aufmerksamkeit; Straßenjungen plagten ihn... Schweigend versunken in sein SELBST schenkte er Körper und Welt keine Beachtung mehr. Nach acht Wochen brachten Sannyasins den Jungen, dessen Körper abgemagert und von Ungeziefer zerfressen war, an einen anderen Ort... Erst zwei Jahre danach erfuhr seine Mutter den Aufenthaltsort... So traf sie ihn an: fast unkenntlich mit seinem verwahrlosten Leib. Doch ließ er sich nicht helfen und sie musste ohne ihn heimkehren... Im Jahre 1917 durfte die Mutter zu ihm ziehen. Sri Ramana (Maharshi), wie er jetzt genannt wurde, lebte zu dieser Zeit mit einigen Gefährten in einer höhlenartigen Behausung am Hang des Berges." (Cohen,1992, S.9 u. 10) Als die Mutter gestorben war, -1922- entstand in der Nähe des Grabes ein Ashram, der zu einem Magnet für Tausende von Besuchern wurde. Aus der biographischen Beschreibung geht deutlich hervor, dass die Rückkehr Maharshis zu einem "äußerlich normalen Leben" nur ganz allmählich vonstatten ging. (Cohen, 1992) 2. Maharshis Selbstbegriff Dieser indische Mystiker beschreibt in der o.g. Schilderung, wie er damals als 16jähriger junger Mann das Durchleben einer Todesangst, - einer existentiellen Grenzerfahrung - erfahren hat. Es gelang ihm, durch Annehmen und Loslassen diesem Prozess zu folgen und ihn zu einer geschlossenen Gestalt werden zu lassen, obgleich die Rückkehr zu einem äußerlich normalen Leben (Jahre) später erst vollzogen wurde. Ganz wie Grof dies auch, (Grof, 1983a, 1983b, 1985, 1987, 1989., 1990) - insbesondere in der Erfahrungsmöglichkeit der IV-ten perinatalen Matrix -, beschrieben hat, wird das Durchleben dieser existentiellen Bedrohung zu einer mystischen Erfahrung, da die Identifikation mit den angstbesetzten Überzeugungen im Ich losgelassen wurde.(Grof 1987, S. 54) (Diese angstbesetzten Überzeugungen im Ich werden oft schlicht als Ego bezeichnet.) Die geschlossene Gestalt des Durchlebens dieses Sterbeprozesses ist die Begegnung 25 mit dem SELBST. Das Beispiel von Maharshi zeigt, dass es die Möglichkeit gibt, diese existentielle Bedrohung durch einen der Psyche innewohnenden, spontan von statten gehenden Prozess, zu einem positiven bedeutenden Erfahrungsschatz werden zu lassen. Allerdings kann die Vollendung dieses Prozesses nur gelingen, wenn man sich ihm anvertrauen kann, Zeit und Raum für die vollständige Integration vorhanden ist und die Umgebung eine wertschätzende Haltung zeigt. Dies alles war in seinem Fall gegeben. Er wurde z. B. in seinem körperlich beeinträchtigten Zustand nicht in eine psychiatrische Klinik gebracht, sondern von Menschen, die ihn in einem tiefen spirituellen Wandlungsprozess begriffen, versorgt. Vertraut man sich diesem Prozess an, so wird erfahrbar, dass an der Grenze zwischen Leben und Tod keine Vernichtung des Lebens geschieht, sondern der Lebensprozess weitergeht und dies auch wahrgenommen werden kann, so dass der Tod vielmehr als eine Gestalt der Lebens-Veränderung erscheint, in der bisher gültige Strukturen der Psyche, aber nicht das Leben aufgelöst werden. Diesen Prozess der Lebens-Veränderung hin zur Begegnung mit dem SELBST hat L. Frambach in seinem Buch "Identität und Befreiung" untersucht (Frambach, 1993). Er hat dabei gezeigt, dass dieser Befreiungsprozess einen immanenten Verlauf hat und sowohl für den spirituellen Befreiungsprozess, von dem die Mystiker berichten, als auch für den psychotherapeutischen Befreiungsprozess von neurotischer Fixierung gilt, wie er in der Gestalttherapie von Perls beschriebenen wurde. In einer sich spirituell entwickelnden Persönlichkeit werden also die ängstlichen Kontraktionen im Ego-Prozess zunehmend aufgelöst und das Loslassen wird immer mehr zu einer selbst-verständlichen psychischen Funktion. Damit wechselt der Identifikationsfocus der Person hin zum Selbst. Würde man die Wahrnehmungsfunktionen nun weiterhin als Ichfunktionen beschreiben, so stünden diese nunmehr in inniger Verbindung mit den spirituellen Schichten der Psyche. 3. Der Grenzprozess als offene Gestalt Menschen, die mit ängstlicheren inneren Voraussetzungen als Maharshi an diese existentielle Grenze stoßen - und das sind die meisten von uns - können diesen Prozess nicht wie er zu einer geschlossenen Gestalt werden lassen, sondern bleiben irgendwo in diesem Prozess stecken. Das Steckenbleiben in einem Prozess an dieser existentiellen Grenze kann uns klinisch als Psychose erscheinen und entspräche in seiner Symptomatik den angstbedingten Alpträumen eines sich der Auflösung, dem Loslassen widersetzenden Ego-Prozesses, der (noch) seine Identität in seinen Kontraktionen erlebt. J. Perry, ein jungianischer Psychotherapeut und Begründer einer Einrichtung -Diabasis- zur nonpharmakologischen Begleitung akut Psychoseerkrankter, hat in seiner Arbeit gezeigt, dass diese immanente Verlaufsgestalt bei stecken gebliebenen Grenzprozessen immer noch erkennbar bleibt und dass mit entsprechender Unterstützung der Transformationsprozess zur Vollendung begleitet werden kann. Dabei werden die Patienten natürlich nicht automatisch zu Mystikern und Heiligen, aber sie haben die Erfahrungsmöglichkeit, einen Transformationsprozess zu durchleben und als sinnvolle Gestalt in ihrem Leben zu integrieren; und das ist eine spirituelle Erfahrung (Perry, 1986). 26 V. Aderhold hat sich in seiner Dissertation ausgiebig mit dem Thema "Die akute Schizophrenie als Prozess der Selbst-Gestaltung" (Aderhold, 1994) beschäftigt und ebenfalls herausgearbeitet, dass der psychotische Prozess in vielen Fällen diese immanente Verlaufsgestalt besitzt und daher mit entsprechender therapeutischer Begleitung zum Abschluss gebracht werden kann (ebd. S.162 ff). Insbesondere wird durch Aderholds Arbeit die Gefahr der Chronifizierung durch die Neuroleptika deutlich, da durch diese das Steckenbleiben zur Behandlung erhoben werden kann, wenn der Prozess nicht verstanden wird. Gleichzeitig arbeitet Aderhold heraus, dass nonpharmakologische Begleitung in den entsprechenden differentialdiagnostisch geklärten Fällen indiziert ist: "Es scheint eine große Gruppe schizophrener Menschen zu geben, die die biologischen, physiologischen, psychologischen und sozialen Voraussetzungen mitbringen, um ohne neuroleptische Behandlung in einem angemessenen psychosozialen Milieu aus einem akut schizophrenen Prozess wieder in einen normalen Wachbewusstseinszustand in relativ kurzer Zeit zurückzukehren (ebd. S.65)." 4. Praxisbeispiele Ich möchte nun in diesem Zusammenhang von Klienten sprechen, die von psychotischen Episoden betroffen waren, mit denen ich lange genug in der Praxis gearbeitet habe, um die inneren Zusammenhänge zu begreifen und für die zutrifft, psychische Traumatisierungen verarbeiten zu müssen, die sie an diese existentielle Grenze geführt hatten. Die Bedrohungen der eigenen Existenz waren durch körperliche Gewalt und sexuelle Übergriffe geschehen oder sind andere Katastrophen im Leben des Kindes, wie im nachfolgenden Beispiel. Wobei ausschlaggebend ist, dass für das Kind keine bergende, schützende Haltung in der Verarbeitung des Traumas zugegen war. Dann kann anscheinend lange Zeit noch eine Verleugnung aufrechterhalten werden, bis irgendein Auslöser an diese psychische Wunde erinnert und der psychotische Zusammenbruch erfolgen kann. Auf diese Weise wird im Grofschen Sinne ein COEX -System (system of condensed experience) (Grof, 1983b, 1985, 1987) aktiv und Erfahrungen aus den verschiedenen Ebenen des COEX-Systems drängen ins Bewusstsein. COEX-Systeme sind Erfahrungsmuster "deren gemeinsamer Nenner eine starke emotionale Besetzung von der gleichen Qualität, eine intensive Körperempfindung der gleichen Art oder irgendein anderes wichtiges Element ist (Grof 1987, S. 22)." "Die COEX-Systeme enthalten Erinnerungen aus unterschiedlichen Lebensabschnitten(ebd.).“ "Die meisten biographischen COEX-Systeme sind mit bestimmten Aspekten des Geburtsprozesses dynamisch verbunden (ebd.)." Enthält nun ein solches Muster - man könnte auch - Gestalt - dazu sagen - ein existentiell bedeutendes Thema, dann ist es eben deshalb mit den perinatalen Grundmatrizen verknüpft. Irgendein Ereignis im Hier und Jetzt, dessen Charakter für den Betroffenen assoziativ mit einer psychischen Grenzsituation verknüpft ist, kann also nach diesem Modell die perinatalen Grundmatrizen /gestalten) aktivieren. Die perinatalen Matrizen ihrerseits sind in diesem Modell wiederum assoziativ mit Mustern aus dem transpersonalen Bereich verbunden. 27 Hierdurch erklärt Grof eine Vielzahl möglicher psychotischer Phänomene (Grof 1985, S. 290 ff und 328 ff). Fallbeispiel I Im nachfolgenden Fallbeispiel geht es um eine jetzt 52-jährige Klientin, deren Mutter und Bruder ebenfalls an Schizophrenie litten, bzw. noch leiden und daher ihr Selbstverständnis sehr dem schulmedizinischen Modell, das ja in solch einem Fall den Vererbungsaspekt herauskehrt, gefolgt war. Sie glaubte zu Beginn unserer therapeutischen Arbeit, dass die Krankheit vererbt sei, dass sie also eine Behinderung habe, und lernen müsse, möglichst mit der Krankheit zu leben. Am Anfang der Behandlung schilderte sie Folgendes: Die Mutter habe sich suizidiert und das im unmittelbaren Zusammenhang mit einer frechen Bemerkung ihrerseits, als sie 10 Jahre alt war. Sie sei in der Küche an ihren Schulaufgaben gesessen, als die Mutter, die zu diesem Zeitpunkt psychotisch, wahnhaft war, hereingekommen sei und sie gestört habe. Daraufhin habe sie zur Mutter gesagt: "Hau endlich ab!" Die Mutter sei verschwunden und als sie selbst nach einer Weile nach draußen wollte und der Mutter Bescheid sagen wollte, konnte sie diese zunächst nicht finden, bemerkte dann aber die ungewöhnlicherweise offen stehende Schlafzimmertüre und fand dort die erhängte Mutter. Die Klientin konnte sich nicht mehr an das Bild der erhängten Mutter erinnern. Nur noch die Szene in der Küche und ihr Weg bis zur Schlafzimmertüre waren in ihrem Gedächtnis und die Szenerie danach vage, als sie um Hilfe zu holen, eine ganze Strecke durchs Dorf rennen musste und eine Verwandte benachrichtigte. Niemand hat sich im Gefolge um sie gekümmert, geschweige denn dieses Ereignis als ein Trauma für die Psyche eines 10-jährigen Kindes begriffen. Sie hatte seit dieser Zeit Schuldgefühle, dass sie durch ihre Bemerkung den Tod der Mutter verursacht habe. Diese Schuldgefühle bestanden zu Beginn der Behandlung massiv und sie war zunächst ganz abwehrend, als ich diese in Frage stellte. Nach der Kenntnis der für das Kind traumatischen Suizidszene, bewertete ich die Situation als eine Katastrophe im Leben des Kindes, die keinen Halt und Trost gefunden hatte. Entsprechend fanden sich auslösende Situationen, wenn die Klientin von der IchFunktion entschlossen "nein" zu sagen (Dreitzel, 1995) Gebrauch hätte machen müssen, bzw. wenn solche Situationen angehäuft worden waren. Dann berührten die in der aktuellen Situation ausgelösten Schuldgefühle das Trauma, das innere Katastrophengebiet, die unabgeschlossene Gestalt. Ich arbeitete mit der Klientin 1x pro Woche eine Einzelstunde gestalttherapeutisch aufdeckende und integrierende Arbeit. Ziel war es, ein Mitgefühl, - eine haltende bergende Haltung für das 10-jährige Kind zu entwickeln und es aus der Schuldvorstellung zu befreien. Dies also als Beispiel für eine Katastrophe existentiellen Ausmaßes, in der es der (kindlichen) Psyche nicht gelang (die durch das Trauma erzeugten Affekte) loszulassen, weil Verständnis, Halt und Trost fehlten, sondern stattdessen eine Fixierung an das Schuldgefühl und darüber an den Wahnsinn (der Mutter) erfolgte. Nach etwa einem Jahr, als wir uns schon beinahe sicher wähnten, ergab sich durch 28 eine berufliche Konfliktsituation erneut die auslösende Konstellation und der Eintritt in die Psychose geschah sozusagen vor meinen Augen. Das Schuldgefühl war wieder da und riesengroß: "Ich habe sie (die Mutter) umgebracht. Jetzt bin ich ganz sicher." Ich konnte die Patientin regelmäßig während der nun ca. 10 Tage dauernden psychotischen Episode sehen und in den Therapiestunden kleine "Inseln der Klarheit" (Podvoll, 1994) mit ihr erleben. Ich unterstützte ihr "grounding" und widersprach freundlich, penetrant den Schuldgefühlen; nährte so gut ich konnte den Zweifel an der wahnhaften Schuldverstrickung. Sie war in der Psychose nicht selbst- oder fremdgefährdet, nahm lediglich 3 Tage lang Neuroleptika, um die Familie zu entlasten, die für sie sorgte, befand aber, dass sie besser ohne Neuroleptika aus der Psychose herausfinden würde, was dann auch geschah. Erst im darauf folgenden 2-ten Therapiejahr konnte dann an Hand von Träumen die Integration der haltenden, bergenden Haltung verifiziert werden, deren Erarbeitung wesentlich in der Wiederherstellung der Ich-Funktion entschlossen "nein" zu sagen bestand. (Dreitzel, 1995, S. 26) Die Therapie wurde nach 2 Jahren gemeinsamer Arbeit in gegenseitiger Übereinstimmung vorläufig beendet, mit dem von der Patientin gewonnen Eindruck der Integration. Der weitere Verlauf muss dies noch bestätigen. 5. Veränderung der Wahrnehmungsmodalitäten Wird durch die Aktivierung eines COEX-Systems ein Wahrnehmungsbereich vor dem dritten Lebensjahr aktiv, und dies ist bei einer existentiellen Traumatisierung (immer) der Fall, so desintegrieren die Wahrnehmungsmodalitäten hylotrop (normaler Alltagswahrnehmungsmodus, auf das Teil gerichtet, analytisch, Raum und Zeit linear erfahrend) und holotrop in dem Masse, wie dieser frühe Wahrnehmungsbereich das Alltagsbewusstsein überflutet. Die Wahrnehmungsmodalitäten hylotrop/holotrop können sich offensichtlich gegenseitig durchdringen oder auch die jeweils andere vorübergehend dominieren, bzw. miteinander in Konflikt geraten. Überwiegt die holotrope Wahrnehmungsmodalität auf Grund starker Aktivierung unabgeschlossener Gestalten aus den frühen biographischen und perinatalen Erinnerungen, so erfordert dies eine bestimmte gesicherte Verankerung (Containment) in Raum und Zeit. Die holotrope Wahrnehmung ist nicht geeignet für die Alltagswelt. Die holotrope Wahrnehmung ist der Wahrnehmung im Traum vergleichbar und löst die normalerweise gültigen Wahrnehmungsgrenzen auf. Die holotrope Wahrnehmung kann unsere Sinne von innen her überlagern. Dann sehen wir unseren individuellen eigenen Film. Wir sind von Sinnen dergestalt, dass die kollektive Übereinstimmung der Interpretation von Sinnesdaten verlassen wird und andere Interpretationsmöglichkeiten entstehen. Affekte können wie im Traum unmittelbar szenisch erlebt werden. In diesem Erleben ist die Identifikation mit einem grenzenlosen Bewusstseinsfeld gegeben; es gibt echte Alternativen zum dreidimensionalen Raum und zum linearen Ablauf der Zeit, zeitliche Abläufe werden psychisch erlebt, was zur Folge haben kann, dass z.B. eine Sekunde sehr lange dauern kann. Die Festigkeit und Diskontinuität von Materie ist Illusion; derselbe Raum kann von verschiedenen Objekten eingenommen werden (Grof 1985, S.328-331). Somit könnte verstanden werden, dass eine Fixierung in einem COEX-system, einen chronischen Alptraum hervorbringt, in dem holotrope Wahrnehmung überaktiv ist, 29 die Angst und Schrecken sozusagen "traumhaft" übersetzt, anders gesagt: So wie eine nicht versorgte physische Wunde sich entzünden und eitern kann, so kann eine existentielle psychische Wunde alpträumen, also Psychose erzeugen. Diese Alpträume, welche die Alltagswahrnehmung (hylotrope Wahrnehmung) mehr oder weniger überlagern können, sind - so gesehen - also sich wiederholende Reinigungsversuche des betroffenen Organismus, der versucht, den psychischen Müll loszuwerden, um eine Erfahrung in sich (sterben)loszulassen. Klinisch mag uns das dann als Halluzination, Paranoia o.ä. erscheinen. Fallbeispiel II Die Klientin ist jetzt 35 Jahre alt. Sie leidet unter enormen Zwängen, die einen wesentlichen Teil ihres Tagesablaufes bestimmen und von der inneren Erfahrung voller Schmutz zu sein, geprägt sind. ` Im 6-ten Schwangerschaftsmonat der Mutter habe es einen Zwischenfall, mit erheblichem Fruchtwasserverlust gegeben.´ Dieses Ereignis war der Klientin zwar immer schon bekannt, sie erinnerte es jedoch in einer "Geleiteten-Phantasie-Sitzung" als bedrohliches intrauterines Ereignis wieder, und konnte es durch Nachfragen bei der Mutter bestätigt erhalten, `wobei die Angaben der Mutter eher bagatellisierend gewesen seien. Die Mutter habe mit der Sauberkeitserziehung im 4-ten!! Monat begonnen und diese sei bald nach der Geburt der ein Jahr jüngeren Schwester abgeschlossen worden. Insbesondere die Haltung der Mutter sei ihr gegenüber kontrollierend gewesen. Ordnung und Sauberkeit seien für die Mutter sehr wichtig. Sie habe sich als KleinKind eher lästig und irgendwie falsch gefühlt. Das später alles überlagernde Schuldgefühl,´ so meint sie, `sei schon sehr früh´also vor dem Trauma (s.w.u.) - ` da gewesen.´ Das überschattende Ereignis ihrer Kindheit, welches die Klientin bruchstückhaft und verzerrt erinnert, ereignete sich, als sie 4 Jahre alt war: Ein Landarbeiter, der in der elterlichen Landwirtschaft arbeitete, vergewaltigte das Kind an mehreren Tagen, mindestens aber 2 mal. Sie weiß nicht mehr wie häufig, ist sich aber sicher, dass es sich wiederholt hat, weil sie beim 2-ten Mal zu ihm gesagt habe, ` er solle ihr Kleid nicht schmutzig machen. ´ Sie erinnert deutlich die Berührung des Penis des Erwachsenen an ihrem kindlichen Genitale. Sie muss dann ins Wohnhaus zurückgekehrt sein, ohne von den Eltern bemerkt worden zu sein. Vermutlich geschah dies um die Mittagszeit und die Eltern hielten Mittagsruhe, die von den Kindern als "heilig " respektiert werden musste. Das Kind blieb nach dem Trauma sich selbst überlassen! Im Alter von 12 Jahren habe sie anlässlich ihrer Menarche all ihren Mut zusammengenommen und eines Tages der Mutter erzählt, was passiert sei, denn sie habe befürchtet, dass der Samen des Mannes noch in ihr sein könne und sie schwanger werden könne. Die Situation war sozusagen zwischen Tür und Angel, da die Mutter gerade im Aufbruch war. Die Schwester - zu diesem Zeitpunkt also 11 Jahre alt, kommentierte: "Vielleicht hat es Dir ja Spaß gemacht?" Die Mutter ging unter Zeitdruck stehend nicht weiter auf das Kind ein, sondern stellte lediglich einige Fragen: "Warum bist Du nicht weggegangen? Warum hast Du Dich nicht gewehrt? Hat er Dich festgehalten?", 30 wodurch das Kind aber in seiner Mitteilung unterbrochen wurde und sich wieder verschloss. Allerdings fragte die Mutter am nächsten und an den folgenden Tagen nicht weiter nach! Die Klientin blieb außer einer ihr eigenen Nervosität, und Schreckhaftigkeit klinisch unauffällig, bis sie eine tiefe Liebesbeziehung zu einem Mann erlebte. In der Intimität und Nähe dieser Beziehung brach das Trauma auf und die Zwänge begannen sich zu bilden. Für das Verständnis des vorliegenden Zwangs-Syndroms ist das oben geschildert Trauma und der familiäre Umgang damit grundlegend. Das Trauma selbst ist für die zu diesem Zeitpunkt vorhandene kindliche Identität zerstörend. Die kindliche Psyche fragmentierte in dieser Situation und verlor damit ein einheitliches "Ich". Der fixierte postraumatische Zustand ist ein regressiver Zustand vor der vollendeten Ich-Entwicklung und enthält entsprechend Desintegration zwischen hylotroper und holotroper Wahrnehmung. Sie kann die einzelnen Fragmente, die in und nach diesem existentiellen Trauma entstanden sind, wie folgt benennen: Es gibt ein weißes oder helles Kind und ein dunkles Kind. Das helle Kind erscheint manchmal in noch mehrere Fragmenten unterteilt. Dieses Kind hat den Ort des Traumas verlassen, allerdings unter Mitnahme der Erfahrung, verschmutzt zu sein und sich psychisch unter Verzicht der von dem dunklen Kind besetzten Funktionen weiterentwickelt. Dieser helle Teil stellt ihre Funktionsfähigkeit als erwachsener Mensch dar, soweit dies möglich ist. Das dunkle Kind hat den Ort des Geschehens nicht verlassen. In ihm sind noch alle Affekte des Traumas lebendig und es ist mit der Energie des Täters "kontaminiert". Dies erklärt das Erleben des Durchdrungen-Seins von Schmutz. Schmutz war das Schlimmste, was das Kind in den Augen der Mutter an sich haben konnte. Und das was dem Kind jetzt passiert war und in sein Inneres eingedrungen war, war das Schlimmste, was es je erlebt hatte. Es musste also Schmutz gewesen sein und dieser konnte von nun an immer und jederzeit in sie eindringen. Diese kindliche Rationalisierung bildete von jenem Ereignis an die Grundlage für alle Alptraumszenarien. Sie erlebt diese holotropen Wahrnehmungsphänomene aus dem wirksamen COEXSystem z.B. in ihrer Wohnung, wenn sie zwischen sich und den Gegenständen keine Grenze mehr empfindet; außerdem in der panischen Angst vor Berührung durch Hundehaare, wobei auch hier die Grenze unklar erlebt wird und ein in die Nähe kommender Hund dies schon auslösen kann. Die existentielle Dimension der Schuld und der Angst sind ebenfalls Erlebnisqualitäten, die aus dem wirksamen COEX-System stammen. Im Sinne von Grof ist hier ein COEX-System aktiv, welches ein schweres körperliches und seelisches Trauma mit einem intrauterinen Trauma verknüpft und die dortigen holotropen Wahrnehmungsphänomene einer negativen perinatalen Matrix I (bzw. perinatale Matrix II, da ein drohender Abort wie eine beginnende Geburt wirken kann) hervorruft. Dies würde die existentielle Dimension der vorhandenen Schuldgefühle (Grof, 1985, S. 109ff, S. 291) zusätzlich erklären, welche in dem Gedanken zusammengefasst sind: "Wäre ich bei dieser Schwangerschaftskrise gestorben, dann hätte ich dieses Trauma auch nicht herbeiführen können. Nur weil ich überleben wollte, bin ich in dieses Trauma geraten. Alleine, dass ich leben wollte, ist schon Schuld." 31 Es ist, als ob der dunkle Teil ihrer selbst aus dieser psychischen Wunde heraus mehr oder weniger fortwährend alpträumt. Die Zwänge erfüllen somit mehrere Funktionen: - Sie sind eine extreme Variante der mütterlichen Reinlichkeitserziehung. - Sie dienen der Aufrechterhaltung der Isolation, damit der Verleugnung der unabdingbaren Hilfsbedürftigkeit des Kindes und - gleichzeitig der Herstellung des Erlebens, durch endlose Wiederholungen doch alleine die Wahrnehmung von Grenzen erzeugen zu können, d.h. m. E. bilden die Zwänge eine Homöostase zwischen einem drohenden psychotischen Zusammenbruchs und der rituellen Erzeugung von Ich-Grenzen. Diese soeben erzeugten Grenzen werden aber durch die immense (Todes-) Angst immer wieder schnell zerstört. Der Anfang der Therapie diente beharrlich der Fokussierung des Traumas im frühen Kindesalter und der Bearbeitung der Verleugnung. Parallel hierzu wurde Kontakt zu einer erfahrenen Therapeutin aufgenommen, die dann dazukam. Vorbereitet und auch durchgeführt unter Durchschreiten sehr großer Angst und beginnender Affektlösung seitens der Klientin wurden dann symbolisch-rituelle Waschungen der "kontaminierten" Hände durch die Therapeutin. Schließlich wurden die Hände gewaschen und eingecremt, als symbolische, stellvertretende, tröstende Handlung, die eigentlich der gesamte Organismus bräuchte. Dadurch lernt die Klientin, das familiäre Muster - alleine mit dem Trauma zurechtkommen zu müssen - loszulassen und kann die im Trauma gestauten Affekte loslassen. 6. Die zu erweiternde Persönlichkeitsfunktion an der Existenzgrenze Wie dieses Beispiel zeigt, ist es von Bedeutung, ob der Mensch eine Fähigkeit in sich oder in seiner Umgebung vorfindet, mit der existentiellen Herausforderung umzugehen. Gäbe es diese innere Fähigkeit, so wäre dieses Trauma vom betroffenen Organismus aushaltbar, sozusagen verdaubar. Hat der betroffene Organismus diese Haltung schon in sich, so besitzt er bezüglich der Herausforderung eine Integrationsfähigkeit. Falls nicht, ist die Herausforderung an die Umgebung gestellt, diese bergende, haltende Haltung anzubieten und zu vermitteln, d.h., einen Kontakt zu finden, der die Betroffenen dort abholt, wo sie sind und deren beeinträchtigte Persönlichkeitsfunktion dadurch zu heilen, dass diese Kontaktmöglichkeit selbstverständlich wird. Das Problem hier ist, dass bezüglich dieser existentiellen Herausforderung (von psychotischen Phänomenen) die Persönlichkeitsfunktion im gesamten Kollektiv noch nicht funktionsfähig ist, solange die zu Grunde liegenden Gestalten ausgegrenzt bleiben und die psychischen Verletzungen in diesen existenziellen Prozessen noch nicht selbstverständlich genug erkannt und ausgehalten werden. Solange dies der Fall ist, besteht eine unheilvolle Confluenz zwischen der Persönlichkeitsfunktion der Betroffenen und der Persönlichkeitsfunktion ihrer potenziellen BehandlerInnen. Diese Confluenz rührt auf beiden Seiten aus der noch nicht vorhandenen Integrationsfähigkeit von Prozessen an der Existenzgrenze, schlicht gesagt, aus der Angst vor dem Tod. 32 Die potenziellen BehandlerInnen müssten demnach eine Persönlichkeitsfunktion entwickeln und diese im Kollektiv verankern, welche in der Lage ist, dieser existentiellen Herausforderung standzuhalten. 7. Aus der Sicht der Gestalttherapie birgt der gelungene Kontakt Heilungspotential Grof hat in seiner Arbeit immer wieder darauf hingewiesen, dass diese existentiellen Erfahrungen großes Heilungspotential besitzen, weil in diesen Dimensionen der Psyche die Berührungsfläche zwischen biographischen, individuellen Erfahrungsmustern und kollektiven, spirituellen Erfahrungsmöglichkeiten besteht. Da psychotische Prozesse diese Erfahrungsmöglichkeit beinhalten, besitzen sie auch prinzipiell dieses Transformationspotential (Grof, 1985, S. 279ff). Die oben zitierten Kartographien der psychischen Landschaft an dieser Existenzgrenze geben den TherapeutInnen Orientierung und Selbstsicherheit, wenn er/sie gelernt hat, sich dort zurechtzufinden. So kann z. B. mit der Hilfe des Grofschen Verstehens eine coänestetische Missempfindung wie das Hören von Geräuschen im Kopf oder ein Verschiebeempfinden im Kopfbereich auf der Ebene einer perinatalen Matrix interpretiert werden. Was also als psychotisches Phänomen anmutet, ist auf der regressiven Ebene ein gültiges, sinnvolles Erfahrungsphänomen. Das bedeutet in diesem Beispiel, dass der Therapeut eine Kontakterfahrung zu gestalten hätte, die diese perinatale Ebene erfahrbar macht. Im Erleben eines gelungen Kontaktes erscheint eine jeweilige Erfahrung kontextbezogen und dadurch plausibel. Das heißt, in einem gelungenen Kontakt erleben beide eine gemeinsame Erfahrung, von der jeder ein nicht wegzudenkender Teil ist. "Für den Gestalt-Werde-Prozess der psychotischen Erfahrung gelten meiner Meinung nach die gleichen Prinzipien wie für den Individuationsprozess im Sinne Jungs: er vollzieht sich nicht allein, sondern erst im mitmenschlichen Vollzug, am Gegenüber. Die psychische Gestalt kann sich erst vollständig im erkennenden Blick des anderen ausbilden. Selbsterkennen bedarf des Erkanntwerdens." (Aderhold, 1994, S. 181) Dies ist ohne Liebe, ohne Annehmen, nicht vorstellbar. Damit ist ebenfalls der Wertebereich in der Persönlichkeit gemeint, den Maslow beschreibt, wenn er von der Fähigkeit eines reifen Ich zur Transzendenz spricht (Maslow, 1984 und Globe, F., 1979). Der in der Gestalttherapie beschriebene Kontaktprozess zeigt, wie im Moment eines gelungenen Kontaktes das SELBST erfahren wird. (Perls, 1979, Dreitzel, 1992) Diese SELBST- Erfahrung ist die heilende integrative Qualität des Kontaktes, der in der prozessorientierten (Gestalt)-Psychotherapie angestrebt wird, denn die Idee des vollen Kontaktes beinhaltet die Vorstellung von Hingabe und damit von Liebe, während die Übung von Gewahrsein eine Desidentifikationsübung vom Denkprozess ist und den Meditations- und Kontemplationsübungen ähnelt, die in den spirituellen Schulungen angewendet werden, um das SELBST zu gewahren. Die grundlegende Methode ist also sowohl in der Gestaltherapie, als auch in der spirituellen Schulung z.B. Maharshis, das Üben von Gewahrsein um das SELBST zu erfahren. (Maharshi, 1993). Ich erlaube mir hieraus den Schluss zu ziehen, dass es sich insofern um einen sehr ähnlichen SELBST-begriff handeln muss. 33 Bei vollem Gewahrsein gibt es keinen Denkprozess und damit keinen angstvoll kontrahierten Egoprozess. Gewahrsein ist eine Schnittstelle zwischen dem von der Gestalttherapie beschriebenen Kontaktprozess und den der Psyche innewohnenden spirituellen Dimensionen. In der Gestalttherapie wird also durch die Kontakterfahrung das Annehmen und Loslassen des angstvoll kontrahierten Ego-Prozesses von Kontakt zu Kontakt immer wieder gelernt, indem immer wieder Gewahrsein geübt wird und damit wird das Erlernen des Annehmens und Loslassens zur Persönlichkeitsfunktion. Ist diese Funktion verfügbar, so besteht eine zunehmend dauerhafte Verbindung des Wachbewusstseins oder Ichbewusstseins zum SELBST. Der Identifikationsfokus verschiebt sich zum SELBST. Wie ein geworfener Kieselstein über die Wasseroberfläche schnellt, um beim Wiedereintauchen jedes Mal ein wenig länger im Wasser zu verweilen, um schließlich auf dessen Grund zu sinken, so können wir in jedem gelungenen Kontakt, in jedem spontanen unmittelbaren Tun, in jedem Moment, in dem wir ganz in Gewahrsein eintauchen, unser SELBST in seiner Ganzheit aufblitzend erfahren. In dieser Idee des Selbst im Kontaktprozess ist die Auflösung von Grenzen und die Verbindung mit dem Objekt des Kontaktes zu einer neuen Einheit enthalten. Im vollen Kontakt wird durch die Berührung von Subjekt und Objekt, von Ich und Du, die Einheit “ Wir“, also eine transpersonale Wahrnehmung erfahren, - eine neue Gestalt -, die nach und nach durch immer weitere Assimilation von Grenzen die Verbundenheit zum ganzen SEIN hervortreten lässt. Das Selbst ist die Kontaktgrenze, ist das System der Kontakte - so die Gestaltterminologie (Perlst, 1979). Im Gewahrsein des SELBST löst sich die Grenze zwischen Individuum und Umwelt auf, weil sie aus der Perspektive des SEBST nie da war (Maharshi, 1993) während sie (die Grenze) aus der Perspektive des Egoprozess nach vollendetem Kontakt wieder auftaucht. Die Wahrnehmung der Kontaktgrenze ist eine Ichfunktion, keine Funktion des SELBST. In der SELBST-Wahrnehmung wird also ein Aspekt der spirituellen Wirklichkeit geschaut, in der es keine Objektgrenzen gibt. Die Gestalttherapie benutzt Gewahrsein, kehrt aber wieder zur Ichperspektive zurück, während in der spirituellen Perspektive die Wirklichkeit aus der Perspektive des SELBST weiterhin erfahren wird. Das Kontaktmodell der Gestalttherapie ist daher eine Beschreibung der Verlagerung des Identifikationsfokus vom Ich zum SELBST zurück zum Ich. Entsprechend verschwindet gemäß der Theorie der Gestalttherapie das Selbst aus der Wahrnehmung nach dem gelungen vollen Kontakt. (Perls, 1979) In der spirituellen Perspektive verschwindet das SELBST nie (Maharshi, 1993), sondern ist das SEIN. Gewahrsein ist demnach keine Ichfunktion, sondern der Erkenntnismodus (Ellen, 1994) des SELBST. Reines Gewahrsein ist das SELBST, ist das SEIN. Reines Gewahrsein und SELBST sind also synonym (ebd.). Hier ist die Begegnung des (gestalt)psychotherapeutischen Selbstbegriffes mit dem spirituellen Begriff vom SELBST. In diesem spirituellen Verständnis ist das SELBST identisch mit dem SEIN/GOTT und DIESER ist das EINS OHNE EIN ZWEITES. (Wilber, 1988) 34 Alles was vom SELBST durchdrungen ist, wird in diesem Verständnis ganz, heil und immer wirklicher. Heilung entsteht dadurch, dass Gewahrsein für das SELBST erlernt wird, was durch jeden gelungenen Kontakt geschieht. Gewahrsein, Annehmen und Loslassen sind demnach die Grundelemente eines transpersonalen Bewusstseins aus der Perspektive der Gestalttherapie und unerlässliche Persönlichkeitsfunktionen für die Arbeit in den hier beschriebenen Grenzbereichen. "Ein solches Gefäß zu sein, ein solcher Container, der auch die energetische Dynamik spiritueller Krisen oder psychotischer Erlebnisse halten, tragen austragen kann, erfordert ein transpersonales Bewusstsein." u. w.: "Spirituelle Krisen, Psychosen, schwere Traumatisierungen sexueller oder gewalttätiger Natur sind nicht persönlich aushaltbar. Ihre Kraft zerstört die persönliche Identität. Hier kann nur existentielle Anwesenheit, liebevolle Präsenz, die Verankerung im Seinsgrund einen Raum für Heilung eröffnen. In jeder anderen nicht-spirituellen Perspektive könnten wir als Therapeuten den heftigen Stürmen der Übertragungen und unserer eigenen Gegenübertragung kaum etwas entgegensetzen und wären nicht in der Lage, ihre Qualitäten fruchtbar zu machen. (Galuska, 1996, S. 29) " Ob ein kritisch verändertes Bewusstsein als psychotischer Prozess verläuft oder ob dieses kritisch veränderte Bewusstsein als bestimmte qualitative Gestalt in Erscheinung treten kann, ergibt sich also aus Voraussetzungen, die nunmehr im Einzelfall durch Einfühlung (Resonanz) verstanden werden können. Als Voraussetzungen lassen sich beschreiben: - die Integrationsfähigkeit der Person im Hier und Jetzt, - die Rahmenbedingungen (kollektive Wertvorstellungen), in denen die kritische Bewusstseinsveränderung erlebt wird, - die Wertvorstellungen jenes Gegenübers, auf die der/die (Psychose)- Betroffene im Kontakt trifft. Bei einem adäquaten Verhältnis von persönlichen Voraussetzungen des Betroffenen und Verständnismöglichkeiten der BehandlerInnen kann aus einer psychotischen Erfahrung eine, vom Betroffenen erkennbare, bisherige Grenzen transformierende Erfahrung werden. Im Hier und Jetzt eines gelungenen Kontaktes kann demnach kein Wahnsinn existieren. 8. Literatur Aderhold, V.: Die akute Schizophrenie als Prozess der Selbstgestaltung. Köln 1994 Cornelsen,Lucy: Ramana Maharshi und die Suche nach dem Selbst. Interlaken 1985 Cohen, Samuel S.: Von der Illusion zur Wirklichkeit. Interlaken 1992 Dittrich, A., Hofmann, A. und Leuner H.: Welten des Bewusstseins. Berlin 1994 35 Dreitzel, H. P.: Reflexive Sinnlichkeit. Mensch, Umwelt, Gestalttherapie. Köln 1992 Dreitzel, H. P.: Das entschiedene "Ja" und das entschlossene "Nein" - Überlegungen zur Genese und Therapie von Persönlichkeitsstörungen. In: Gestalttherapie, Köln 1/95, S. 17-27 Ellen, G.: Ein Kurs in Wundern. Gutach i. Br. 1994 Frambach, L.: Identität und Befreiung in Gestalttherapie, Zen und christlicher Spiritualität. Petersberg 1993 Galuska, J.: Transpersonale stationäre Psychotherapie. In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. Nr. 1 Petersberg 1996 Gemsemer, K.: Psychose als Erscheinungsform eines kritisch veränderten Bewusstseins. In: Gestalttherapie, Köln 1/90, S. 32-43 Globe, F: Die dritte Kraft. A. Maslows Beitrag zu einer Psychologie seelischer Gesundheit. Freiburg/Brsg. 1979 Grof, S. und Halifax,J.: Die Begegnung mit dem Tod. Stuttgart 1980 Grof, S.: LSD-Psychotherapie. Stuttgart 1983 Grof, S.: Die Topographie des Unbewussten. LSD im Dienst der tiefenpsychologischen Forschung. Stuttgart 1983 Grof, S.: Geburt, Tod und Transzendenz. Neue Dimensionen in der Psychologie. München 1985 Grof, S.: Das Abenteuer der Selbstentdeckung. Heilung durch veränderte Bewusstseinszustände. München 1987 Grof, S.: Auf der Schwelle zum Leben. Die Geburt: Tor zur Transpersonalität und Spiritualität. München 1989 Grof, S.: Spiriuelle Krisen. Chancen der Selbstfindung. München 1990 Hutterer-Krisch, R.: Psychotherapie mit psychotischen Menschen. Wien 1994 Laing, R.: Das geteilte Selbst. Eine existentielle Studie über geistige Gesundheit und Wahnsinn. Köln 1972 Leuner, H.-C.: Halluzinogene. Psychische Grenzzustände in Forschung und Psychotherapie. Bern 1981 Maharshi, R.: Gespräche des Weisen vom Berge Arunachala. Interlaken. 1993 Maslow, A.: Die umfassendere Reichweite der menschlichen Natur. Düsseldorf 1984 36 Perls, Frederick, S.: Gestalt-Therapie: Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. Frederick, S. Perls; Ralph FF Hefferline; Paul Goodman. Stuttgart 1979 Perry, John Weir: Spirituelle Krisen und Erneuerung. Nachgedruckt aus Re-Vision, 8(2) 1986 in Grof, S.: Spirituelle Krisen. Chancen der Selbstfindung. München 1990, S 102-118 Podvoll, Edward M.: Verlockung des Wahnsinns; therapeutische Wege aus entrückten Welten. München 1994 Walsh, N. u. Vaughan, FF: Psychologie in der Wende. Grundlagen, Methoden und Ziele in der transpersonalen Psychologie - eine Einführung in die Psychologie des Neuen Bewusstseins. Bern 1985 Wilber, K.: Halbzeit der Evolution. Der Mensch auf dem Weg vom animalischen zum kosmischen Bewusstsein. Eine interdisziplinäre Darstellung der Entwicklung des menschlichen Geistes. Bern 1981 Wilber, K.: Das holographische Weltbild. Bern 1986 Wilber, K.: Die drei Augen der Erkenntnis. Auf dem Weg zu einem neuen Weltbild. München 1988 Wilber, K.: Das Spektrum des Bewusstseins. Hamburg 1991 37 Transpersonales Containment in der Arbeit mit Psychosen In: Galuska, J.: Den Horizont erweitern. Die transpersonale Dimension in der Psychotherapie. S.154-181. Berlin, 2003 1. Einleitung Immer noch schwebt über von Psychose betroffen Menschen das Bild einer unentrinnbaren, mit langsamer Verschlechterung einhergehender Krankheit, die auf einem Defekt beruht, ob dieser nun biologisch genetisch oder psychopathologisch strukturbedingt wäre. Es gibt in den vergangenen Jahren aber auch Ansätze die eine Dynamik zwischen Entwicklungsaspekten und Strukturproblematiken beschreiben und in denen dann „Psychose als Konflikt“ (Mentzos 1997, Aderhold 1994) erscheint. Ein transpersonales Verständnis von Psychose, wie ich es hier darzulegen versuche, greift diesen Ansatz auf. Darüber hinaus kann es aber unterscheiden, zwischen: spirituellen Krisen, die durch einen Entwicklungsschub hin zum transpersonalen Bewusstsein ausgelöst werden und die möglicherweise präpersonale oder personale ungelöste ProblemZonen (COEX-Systeme, s.w.u.) enthalten, deren Problematik jedoch nicht in einer präpersonalen Strukturschädigung liegt und psychotischen Prozessen, die durch das Hervortreten neuer entwicklungsbedingter Identitäten manchmal zu nicht bewältigbaren Herausforderungen und damit statt zu Integrations- zu Desintegrationsvorgängen führen, in denen dann wiederum die vorhandenen präpersonalen Strukturprobleme deutlich werden. Während letzteres noch mit einem dynamischen Ansatz, wie z.B. bei Mentzos (1997) und Aderhold (1994) erklärbar ist, droht dem Menschen in der spirituellen Krise Unverständnis und Psychiatrisierung. D.h. hier ist das transpersonale Verständnis des Therapeuten unabdingbar um zu einem adäquaten Vorgehen zu gelangen. 1.1 Erstes Fallbeispiel Ein ca. 45 jähriger Klient, der sich kürzlich bei mir vorgestellt hatte, kam mit der Anfrage an einer selbsterfahrungsorientierten therapeutischen Gruppe teilzunehmen. Vor ca. einem halben Jahr hatte er eine psychotische Episode durchlebt und durchlitten, deren Nachklänge noch zu spüren waren. Davor im Leben waren keine entsprechenden Störungen bekannt. Er war berufstätig als Lehrer bis vor der Erkrankung und inzwischen auch wieder nach der Erkrankung. 38 Außer einem dünnen sozialen Netz, das schon mehrere Jahre ohne Partnerschaft geblieben war, bedingt auch durch einen Umzug, war die starke Idealisierung des Meditationslehrers aufgefallen. Das Nachfragen ergab, dass er seit vielen Jahren aktiver Meditationsschüler war und regelmäßig und auch intensiv Vipassana Meditation praktizierte. Gleichzeitig berichtete er in diesem Vorgespräch aus seiner Lebensgeschichte, im Alter von Anfang 20 ein schweres Trauma erlebt zu haben. In der Psychose seien regelrecht körperliche Eindrücke aus diesem Trauma aktualisiert in seiner sinnlichen Wahrnehmung erschienen - und damit wie eine unmittelbar realistische Wiederholung des Traumas. In dem hier gemeinten Verständnis der Situation des Patienten entstand der Eindruck, dass durch die Meditationspraxis von ihm eine Bewusstseinsentwicklung angestrebt wurde und hierbei das in der Psyche enthaltene Trauma nach außen gelangte, im Sinne von Läuterung und Reinigung, was jedoch mit den vorhandenen Möglichkeiten der Persönlichkeit zu diesem Zeitpunkt nicht aushaltbar war. Das heißt die angestrebte Bewusstseinsentwicklung kollidierte mit einer Problemzone, in der ein Trauma enthalten war und einer zu vermutenden Strukturschwäche (starke Idealisierung des Meditationslehrers). Hier gäbe es nun also eine Vielzahl von Fallen, in die man als Therapeut gehen könnte. Zum Beispiel könnte man die Meditationspraxis der Psychose Auslösung bezichtigen, was, wie ich es in anderen Fällen schon erlebt habe, dazu führen könnte, dass Ärzte/Therapeuten der Patientin nahe legen würden, die Meditation überhaupt aufzugeben. Oder die Schizophreniediagnose würde so sehr im Vordergrund stehen und das würde zu einer länger andauernden medikamentösen Behandlung führen, ohne, dass die Inhalte näher beleuchtet werden würden. Auch könnte man als Therapeut befürchten, eine erlebnisorientierte Gruppe würde die Psychose reaktivieren. Oft stehen die Klienten in der postpsychotischen meist depressiven Phase noch stark unter dem Eindruck des existenziell erschütternden Erlebens der Psychose-Erfahrung. Fragen, wie „was ist mit mir geschehen? Wird das wiederkommen? Womit hängt das zusammen? Was hat das mit mir zu tun? Wie lange muss ich die Medikamente nehmen?“ sind dann sehr drängend. Während der akuten klinischen Behandlung stand die psychotische Symptomatik und deren medikamentöse Behandlungen meist so sehr im Vordergrund, dass wenig Zeit blieb lebensgeschichtliche und persönliche Zusammenhänge tiefer zu beleuchten und die akute Phase ist auch noch nicht der geeignete Zeitpunkt, diese Fragen zu beantworten. Die psychotherapeutischen Maßnahmen, wenn sie denn während einer Erstmanifestation stationär ergriffen werden, sind meist stützend und die Persönlichkeit stärkend und heute in einem sogenannten psychoedukativen Sinne, d. 39 h. über die Erkrankung aufklärend, frühe Symptome beschreibend und erkennen helfend, die Angehörigen beratend und eine gegebenenfalls längerfristige medikamentöse Behandlung und psychotherapeutische Maßnahmen vorbereitend. Sicher erfolgt heutzutage nach einer gelungenen Remission während der klinischen Behandlung die Überweisung an einen niedergelassenen Psychiater und auch zumeist die Empfehlung, ambulant eine Psychotherapie aufzunehmen (Finzen 2001). Wenn die Patienten im weiteren Verlaufe wieder zu einem wesentlichen Teil zu ihrer Persönlichkeit vor der psychotischen Krise zurückgekehrt sind, können wir eine viel genauere Einschätzung der Persönlichkeitsentwicklung bis hin zur Krise vornehmen. Und differenziertere Persönlichkeitsentwicklungen vor der Krise erlauben ein wesentlich anderes psychotherapeutisches Vorgehen in der Zeit nach der Krise, wenn ausreichende Stabilisierung der Ausgangspersönlichkeit wieder erreicht ist. Die dann zur Verfügung stehenden Ressourcen der Ausgangspersönlichkeit können und sollten im therapeutischen Prozess intensiv genutzt werden. Hier könnten stationäre und ambulante psychotherapeutische Angebote, die diesen transpersonalen Ansatz zur Verfügung stellen, äußerst hilfreich sein. Auch könnte am Ende eines ersten akuten klinischen Aufenthaltes eine tiefgehende Aufklärung über die zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten geschehen, welche die vorhandenen Ressourcen des Patienten nutzen. Diese Aufklärung könnte in einem transpersonalen Verständnis bei genauer Erforschung der Ausgangssituation gut herausarbeiten, ob wie im nachfolgenden Fallbeispiel eine spirituelle Krise vorlag und dann geeignete Angebote machen, die z.B. die Meditationspraxis des Klienten miteinbeziehen. Auch könnten bei ausreichender Differenzierung der Persönlichkeit vor der Krise gruppentherapeutische Angebote in erlebnisorientierten Selbsterfahrungsgruppen durchaus hilfreich sein, wenn die Therapeuten sich das zutrauen, während schwierigere Strukturproblematiken der Klienten wie z. B. die Struktur einer Borderlinepersönlichkeit besondere therapeutische Situationen und Maßnahmen der Strukturbildung erforderlich machen. Hier sind dann viel eher Nachreifungsprozesse in entsprechenden ambulanten oder stationären Einzel- oder Gruppensituationen gefragt und/oder gegebenenfalls sozialpsychiatrische Betreuungsmaßnahmen. 1.2 Zweites Fallbeispiel Ein zu diesem Zeitpunkt 40-jährige Frau litt unter starken Ängsten und enormen Gefühlsschwankungen, bzw. traten Gefühle auf, die sie in solcher Intensität gar nicht kannte. Z. B. musste sie aus unerklärlichen Gründen anhaltend und heftig weinen. Sie litt an Schlafstörungen und Erschöpfung und war zu dieser Zeit arbeitsunfähig. Da auch Suizidgedanken vorhanden waren, bot sie psychiatrisch das Bild einer akuten schweren depressiven Phase, die durchaus von einer präpsychotischen Situation differentialdiagnostisch abzugrenzen war. Psychiatrisch hätte man sicherlich medikamentös, wenn nicht sogar stationär behandelt. Anamnestisch war beachtenswert, dass diese Klientin seit etlichen Jahren in einer sehr befriedigenden, liebevollen Beziehung lebte, lediglich mit ihrem Arbeitsplatz war sie nicht mehr einverstanden, was aber die Heftigkeit der Symptome so nicht plausibel erklärte, zumal sie diese Arbeit bisher sehr kompetent gemacht hatte. An eine durch sog. „burn-out“ verursachte Depression hätte man noch gedacht, aber 40 auch in dieser Hinsicht war zu eruieren, dass sie besser für sich sorgen konnte als manch’ andere Lehrerin. Die Erklärung dieser heftigen Krise ergab sich auf dem Hintergrund, dass sie seit ihrem 16-ten!! Lebensjahr intensiv meditierte, einschließlich mit den in ihrer Meditationsschule möglichen fortgeschrittenen Übungsweisen. Diese Praxis hatte sie langsam aber beständig aus dem personalen Bewusstsein hinausgeführt. Sie befand sich in einer Emergenzsituation hin zum transpersonalen Bewusstsein. Nachdem wir das so benannt und in aller Ausführlichkeit besprochen hatten und sie dies auch entsprechend verstanden hatte, löste sich die Angst vor der Veränderung und sie konnte sich mit ihren neuen Bewusstseinsprozessen langsam anfreunden. Z. B. wurde ihr dadurch klar, wie sehr sie in dieser Öffnung in Resonanzen schwieriger Schüler geraten war. Da ihr die bisherige Arbeit nicht mehr gefiel, bewarb sie sich auf verschiedene Stellenangebote und wurde bei einem sehr attraktiven Arbeitgeber unter 400 Bewerbern nach sehr intensiven Auswahlgesprächen ausgewählt. Hier wurde die progressive Dynamik des Prozesses besonders deutlich, da jeder Desintegrationsprozess in dieser anspruchsvollen Bewerbungssituation aufgefallen wäre. Meditation ist hier also nicht eine „dubiose esoterische Freizeitgestaltung“, die auch Psychosen oder Depressionen verursachen kann, sondern eine ernsthaft betriebene spirituelle Praxis und Suche nach tieferen Bewusstseinsräumen. Das Hervortreten (Emergenz) dieser tieferen Bewusstseinsräume wird angestrebt. Dabei kann es offenbar auch zu Notfallsituationen im Bewusstsein kommen (Emergencies), die durch das Betreten des neuen unbekannten Terrains und /oder durch das in Erscheinung treten alter ungelöster Problemzonen bedingt sind. Wir brauchen hier also zum einen ein Verständnis des Emergenzbegriffes und der damit verbundenen Fragestellung ‚was hervortreten wollte’ und zum anderen ein Verständnis der damit verbundenen kritischen Bewusstseinssituationen, eine Landkarte, die uns Anhalte gibt, wo sich der Klient in seinem Bewusstsein zwischen Progression und Regression aufhält: Um besser zu verstehen, wo sich ein Mensch in einer Notfallsituation (Emergency) des Bewusstseins aufhält, wenn er desintegriert, beziehe ich mich hier auf einen Aufsatz von Helmut Pauls (1994) über die frühen prä-ichhaften Selbstentwicklungen, die er mit dem Begriff des „inneren Kindes“ zusammenfasst und auf die Beschreibungen der Bewusstseinsräume der perinatalen Matrizes nach S. Grof, die ich zu diesem Thema an anderer Stelle schon ausführlich zitiert habe (1991). 1. Helmut Pauls Begriff des „inneren Kindes“ Pauls unterscheidet vier Selbsterfahrungsbereiche, das das das das Traum-Selbst (vorgeburtlich bis zum Alter von ungefähr 2-3 Monaten), Kernselbst (2 bis 6 bzw. 9 Monaten), subjektive/affektive Selbst (9 bis 18 Monaten) und sprachliche Selbst (15 bis 18 Monaten), welche die der jeweiligen Qualität entsprechenden grundlegenden frühesten 41 Erfahrungen zusammenfassen. Diese von Pauls dargestellten Selbsterfahrungsbereiche können wir im Wilberschen Sinne als Holone begreifen und zwar als die Subholone des späteren Ichs. Und eben in diesem Sinne bleiben alle diese Subholone erhalten und differenzieren sich im Laufe des Lebens weiter. Auch behalten sie ihre spezifischen Qualitäten. D.h. auch der erwachsene Mensch hat ein Traumselbst, Kernselbst usw. Und genau diese Selbsterfahrungsbereiche tauchen als Subholone des Ichs bei Desintegrationsvorgängen des Ichs wieder auf. Selbsterfahrungen sind in dieser Darlegung die grundlegendsten Begegnungen / Berührungen mit der Welt. Sie sind auch noch nicht der Bewusstheit zugängig, sondern zunächst einmal lediglich Erfahrungsansammlungen. Grundlegend jedoch ist, dass jegliche Erfahrung ein Gegenüber braucht, so dass die Grundbausteine der werdenden Entwicklung Kontakterfahrungen, Beziehungserfahrungen sind. Und so wie unser Organismus in seinem Wachstum verschiedene Erfahrungsmöglichkeiten entfaltet, benötigt er zum Vollzug der Erfahrung ein spezifisches Gegenüber. D.h., dass Selbst immer im Kontakt geschieht. Selbst ist also immer Resultat von Begegnung. Die Qualität dieser Beziehungserfahrungen bedingt wesentlich das, was ich hier unter Containment verstehe und zwar die Fähigkeit der Persönlichkeit eine Erfahrung mit den innerlich vorhandenen oder sozial verfügbaren Möglichkeiten persönlich erleben und dabei die kollektive Übereinstimmung der Sinnesdaten wahren zu können. 1.1 Das Traumselbst und die holotrope Wahrnehmung nach Grof Dies entspricht ganz der perinatalen Matrix I von Grof und hat entsprechend als Kontaktfläche den physischen - oder später dann den sozialen Uterus der Familie. Letzteren benötigt das Kind, wie wir wissen noch bis zu seinem 3-ten LJ, bevor es seine psychische Geburt vollzogen hat, welche dann einen Ich-Fokus als Struktur im Bewusstsein hervorgebracht hat. Das Traum-Selbst ist das auftauchende Selbst, das langsam sich in der Welt einfindende Selbst. Dazu ist der Uterus offensichtlich das geeignete Gegenüber. Das ist also eine klare Gemeinsamkeit mit dem Grofschen Model der perinatalen Matrizes, hier insbesondere der perinatalen Matrix I. Das aus Grofs Ausführungen wesentlich beizusteuernde ist die in diesem Selbsterfahrungsbereich dominierende traumähnliche Wahrnehmungsqualität, von Grof als holotrope Wahrnehmung beschrieben. Das ist deswegen so außerordentlich bedeutend, weil dadurch die in psychotisch verändertem Bewusstsein erscheinende Wahrnehmungsqualität ihre Erklärung findet. Der Unterschied zu Grof ist die fortbestehende Differenzierung dieses Selbstanteils im Verlauf des weiteren Lebens. Wir können hier nun leicht nachvollziehen, dass Desintegrationsvorgänge, die diese Ebene zum Vorschein bringen, der holotropen, traumähnlichen Wahrnehmung folgen und mit Erfahrungen, wie bei Grof beschrieben einhergehen können, und damit den dort auch beschriebenen Desintegrationsmustern gleichen, die sich klinisch als verschiedene psychotische Phänomene manifestieren können (Grof 1985). 2.2 das Kernselbst.... 42 ...stellt in dieser Beschreibung die Verankerung des Kindes im eigenen Körper da. Da es diese Erfahrung natürlich mit einem Gegenüber macht, entsteht entsprechend ein „Kern-Anderer“. Und wir sehen auch hier wieder, dass bei der Bildung dieser Kernselbsterfahrung, die primären Bezugspersonen in den Erfahrungen mit enthalten sind. Dieser Kern-Andere ist es, der in invasiven, traumatischen Erfahrungen dieser Entwicklungszeit dann als Verfolger in einer paranoiden Symptomatik auftauchen kann, von dem man sich dann nicht unterscheiden kann, wenn es auflösungsbedingt keine unterscheidungsfähige Instanz (Ich) gibt. 2.3 die Entwicklung des subjektiven/affektiven Selbst ... ...des inneren Kindes ist die Erfahrungszeit die in der Mahler’schen Darlegung (1980) die Zeit des Ausschlüpfens aus der Symbiose meint. Das ist die Zeit in der das Kind seine subjektive Affektivität zu entwickeln beginnt. Das Kind reagiert jetzt mit spezifischen, eigenen Gefühlen auf die Gefühle der Umgebung. Wie wesentlich diese frühen Selbsterfahrungen sind, wissen wir aus den Beschreibungen über das Borderlinesyndrom, weil hier grundlegende existentielle Gefühlsmissverständnisse und damit projektive Missdeutungen menschlicher Begegnungen geprägt worden sind. 2.4 Das sprachliche Selbst... ... nach Pauls beschreibt das Herauswachsen aus den vorsprachlichen, intuitiven, körperlichen und emotionalen Erfahrungen, die nun durch die Reifung des Organismus in Sprache übersetzt werden können. D.h. es werden nun wiederum qualitativ neue Kontakterfahrungen möglich. Und hier ist die Verbindung der Sprache mit den vorangegangen Bereichen das Wesentliche. Pathologien zeigen sich in einer vom Körper oder von den Gefühlen losgelösten Sprache. Pauls meint, dass Problemzonen aus diesen Feldern in schweren Depressionen auffindbar sind. Aber auch in psychotischen Desintegrationen kann man die Unverbundenheit der Sprache mit den vorangegangen Selbstbereichen beobachten und der psychoanalytische Begriff des „falschen Selbst“ findet hier seine Erklärung, wenn die vorangegangenen Selbsterfahrungen nun nicht durch die Sprache adäquat repräsentiert werden. 2.5 Bildung des Ich als emergierendes Holon Der zuletzt beschriebene Abschnitt der Selbstentwicklung entspricht am ehesten der Herausbildung des Ichs nach Mahler. Vergleicht man nun diese Beschreibung von Pauls mit der klassischen Beschreibung von M. Mahler, so ergeben sich weitgehende Übereinstimmungen in der Beschreibung der Selbsterfahrungsansammlungen, die das Kind zu bestimmten Zeiten macht, jedoch bleiben diese Selbstqualitäten, wie von Pauls beschrieben, als Subholone weiterhin im Lebenslauf existent und werden nicht als Phasen betrachtet, die dann abgeschlossen, wie im analytischen Modell, ein für alle mal vorbei sind. Das „innere Kind“ als Metapher dieser Subholone des Ichs bleibt ein Leben lang eine 43 wichtige innere Quelle, gespeist aus den verschieden Selbstqualitäten, auf denen die Ich-Bewusstheit gründet und deren Essenz in der Gestaltbildung aus den verschieden Subholonen heraus begründetet ist, also mehr ist als die Summe der Subholone. Dabei können wir uns jetzt vorstellen, dass sowohl die oben aufgeführten einzelnen Selbstbereiche als Subholone des emergierenden Ich's spezifische Qualitäten wie oben aufgeführt besitzen, dass aber insbesondere das integrative Zusammenspiel dieser Selbstqualitäten bei der Hervorbringung eines gesunden Ich's entscheidend ist. 2.6 Abwehrvorgänge Und wir können nunmehr verstehen, dass bei Desintegrationsvorgängen, die das Ich auflösen diese Selbsterfahrungsbereiche, als Subholone incl. der in ihnen enthalten Problemzonen im Bewusstsein wieder in Erscheinung treten. Bekannter Weise erzeugt dies z. B. das Phänomen der Spaltungen und/oder Fragmentierungen, bei dem ganze Bereiche wie nicht zur Person gehörig erlebt und weg projiziert werden. Diese Abwehrformen sind also nicht ichhaft, wenn die Desintegration das Ich weitgehend außer Funktion gesetzt hat und daher nunmehr die nicht integrierten Subholone des Ichs agieren. Das finden wir z. B. bei einer Borderline-Symptomatik (Stauss 1993). Ein wesentliches Merkmal der präichhaften Abwehrvorgänge ist, wie aus dem Prinzip Abb.1 der Selbsterfahrungsbereiche (Traum-, Kern-, subjektives-, sprachliches Selbst und perinatalen Matrizes) hervorgeht, die darin enthaltene spezifische Qualität der dortigen, damaligen Wahrnehmung und die darin erlebte Gestalt des Gegenübers dieser Erfahrung, also u. U. des Aggressors. Davon kann sich der Betroffene bei Desintegrationsvorgängen, die auf diese Ebene führen nicht unterscheiden, denn dafür bräuchte man ja ein Ich das sagt, „das bin ich und das bin ich nicht.“ 44 D.h. ohne die Identifikationsmöglichkeiten des Ichs ergibt sich eine szenische Darstellung der frühen Selbsterfahrungen, allerdings in der Psychose dann traumähnlich/holotrop verfremdet und verdichtet. Und aus der Borderlinebehandlung ist uns bekannt, wie wir als Therapeuten durch den Mechanismus der projektiven Identifikation des Klienten ziemlich genau in die Aggressorposition gedrängt werden (s. w. u.) können. Abb. 2 Inneres Gegenüber der nicht integrierten frühen Selbsterfahrung der innere Anteil der frühen Selbsterfahrung wird auf den/die Therapeuten projiziert. Prinzipiell kann aber jedes Fragment in einem Desintegrationsprozess projiziert werden und damit können in einem Team ganz unterschiedliche, sich auch z. T. widersprechende Wahrnehmungen eines Menschen, der sich in einer Spaltung oder Fragmentierung befindet, möglich sein. Dann müssen die unterschiedlichen Wahrnehmungen dieses Menschen zusammengetragen und zusammengesetzt werden und es darf nicht darum gestritten werden, wessen Wahrnehmung die richtigere ist. Abb. 3 45 2. Psychose als versuchte Emergenz In der weiteren Persönlichkeitsentwicklung werden nun immer neue Identitätsfelder auftauchen, wobei dem Ich die Aufgabe zukommt, diese zu organisieren und in die Persönlichkeit zu integrieren. Wenn wir uns nun die Emergenz eines neuen Identitätsfeldes in der Persönlichkeitsentwicklung in einem Zeitablauf vorstellen, so müssen in diesem Zeitintervall bisherige Ich-Konzepte losgelassen und neue, der emergierenden Gestalt entsprechende Konzepte aufgenommen werden. Diese neue auftauchende Gestalt und ihr Bezug in allen vier Holonquadranten ist also die zu integrierende Erfahrung. Insbesondere an den Knotenpunkten der Entwicklung, wie in der Adoleszenz (Dörner, Plog 1996) werden in diesem Sinne starke Anforderungen an die Integrationsfähigkeit gestellt. Der Vorgang des Loslassens alter und des Aufnehmens neuer Identitätskonzepte ist einem Sterben von etwas Altem und mit dem Geborenwerden von etwas Neuem assoziiert und kann daher entsprechend frühe Selbsterfahrungen mit den darin enthaltenen Problemzonen, des Traum-, Kern-, subjektiven-, sprachlichen Selbst nach Pauls und/oder der perinatalen Matrizes aktivieren, - also die COEX-Systeme im Grofschen Sinne, Systeme verdichteter Erfahrungen -, (1983, 1985, 1987). S. Grof hat insbesondere in seinem Buch Geburt, Tod und Transzendenz (1985) ausführlich dargestellt, wie durch die Wirkung der COEX-Ssysteme tief innen gelegene Gestalten des Bewusstseins nach außen dringen können und hat durch die Systematik der perinatalen Matrizes und der transpersonalen Felder die Möglichkeit eröffnet, zu verstehen, woher diese Gestalten stammen und wie man diese Tiefe in Selbsterfahrungsprozessen bewusst kennen lernen kann. 46 Erst wenn der Persönlichkeit hinsichtlich einer zu integrierenden Erfahrung gänzlich Containment fehlt, oder so sehr mangelt, dass die von innen kommenden Gestalten das Wachbewusstsein überfluten und die Abwehrmöglichkeiten des Ichs überfordern, durchmischen sich innere und äussere Wahrnehmungsmodalitäten (hylotrop/holotrop) und wirken in den sozialen Alltag hinein. Das zeigt sich dann als psychotische Desintegration. Traumähnliche Überdeutung der sinnlichen Wahrnehmung geschieht dann und die kollektive Übereinstimmung der Interpretation der Sinnesdaten wird verlassen. Eine höchstpersönliche (narzisstische) Interpretation der Sinnesdaten, vermischt mit einer großen Rezeptivität für die Informationen des kollektiven Unbewussten und eigener frühester Selbsterfahrungen und der darin enthaltenen Problemzonen ist die Folge. Die Wahrnehmung wird holotrop dominiert. Der Betroffene (alb)träumt sozusagen im Wachzustand. Dies entspräche der vollständigen Auflösung des Ich’s. Hier enden die Möglichkeiten der ambulanten Betreuung und der Betroffene benötigt jetzt die bergende, haltende Atmosphäre, die Präsenz (Dabei-Sein) von Begleitpersonen, wie dies z. B. in der Soteriakonzeption (Ciompi u.a. 2001) verwirklicht wurde. 3.1 Betrachtung der Desintegration von verschieden Strukturebenen aus und therapeutische Konsequenzen Bei Schwierigkeiten des Integrationsvermögens kann von jeder der bis zu diesem Zeitpunkt erreichten Strukturebenen aus die Desintegration bis zur Ich-Auflösung hin erfolgen. Psychose ist also nicht gleichzusetzen mit bestimmter frühkindlicher Strukturstörung, sondern entspricht vielmehr einer Dynamik zwischen Herausforderung und Tragfähigkeit des gesamten Holons, also der bestehenden inneren und äußeren Strukturen der betroffenen Person. Das scheint mir klinisch besonders relevant, da in der späteren Behandlung die Ausgangspersönlichkeit und deren erreichtes Strukturniveau bei der Wahl des therapeutischen Vorgehens von entscheidender Bedeutung ist und hier in der psychiatrischen Behandlung im Krankenhaus, aber auch ambulant fast überhaupt keine Differenzierungen gemacht werden und dadurch große Ressourcen der Rehabilitation ungenutzt bleiben. Beispielsweise könnten Menschen mit gut integrierter Ausgangspersönlichkeit vor der psychotischen Krise viel mehr mit selbsterfahrungsorientierten therapeutischen Methoden arbeiten als dies derzeit in der Psychiatrie der Fall ist. Hier wird noch durch eine diagnostische Undifferenziertheit eine (psycho)therapeutische Zurückhaltung geübt, die eher auf Unkenntnis, denn auf Einsicht beruht. Am einen Ende der Spannbreite steht so die Krise, die wir ganz als spirituelle Krise wahrnehmen können und die nach erfolgter Integration, spontan oder mit therapeutischer Hilfe eine gereifte Person und ein erweitertes Bewusstsein hervorbringt, eine Emergenz eben. Auf der anderen Seite dieser Spannbreite erleben 47 Menschen mit schon schweren Strukturstörungen eine solche Krise und brauchen dann ganz andere therapeutische Hilfen. Dazwischen gibt es viele Übergänge, wie im folgenden Beispiel: 3.2 Drittes Fallbeispiel Dieser Klient kam im Alter von 20 Jahren zu mir. Als ich ihn kennen lernte war er in seiner Erscheinung ein „Jüngling“. Noch wenig Interesse für das andere Geschlecht. Er war sehr intellektuell, viel Kopf, wenig Gefühl, aber voller Phantasien. Er kannte weniger Grimms Märchen, dafür aber alle Episoden von „Starwars“. „Ich bin ein Kind der Fernsehgeneration“, war seine Selbsteinschätzung. Er hatte ein ungewöhnliches Schüleraustauschjahr in einem außereuropäischen Land gemacht. Dort hatte er sich mit Buddhismus und Meditation befasst, wäre fast in einen Mönchsorden eingetreten. Nach seiner Rückkehr hatte er nicht mehr richtig Fuß in seiner Peer-group gefasst. 2 Jahre bevor er in dieses Austauschjahr gegangen war, hatten sich seine Eltern getrennt. Der Vater hatte seinen Beruf aufgegeben, die Mutter war eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Er lebte beim Vater, auch nach seiner Rückkehr. Der Vater kam mit dem Cannabiskonsum des Sohnes überhaupt nicht klar, so dass das Misstrauen zwischen den beiden sehr stark wurde. Obwohl der Sohn nach der ersten Psychose keinerlei Cannabis oder andere Drogen konsumierte, blieb das Verhältnis zum Vater misstrauisch angespannt. Während der „Abiturspsychose“ zog er in die Nähe der Mutter, - weg vom Vater. Mit 18 Jahren, hatte er cannabisinduziert eine erste paranoid-halluzinatorische Psychose durchlebt mit 6-wöchigem stationären Aufenthalt und anschließender Betreuung durch die Klinikambulanz. Er nahm zu diesem Zeitpunkt Neuroleptika. Ein erster Reduktionsversuch kurz vor seinem schriftlichen Abitur führte ca. 2 Monate vor dem mündlichen Abitur zu einer 2-ten psychotischen Episode, die aber ambulant und unter erneuter Neuroleptikamedikation und großem Einsatz der Angehörigen bewältigt wurde. Da er unbedingt zu seiner mündlichen Abitursprüfung erscheinen musste, um das Abitur zu erhalten, wurde mit vereinten Kräften, insbesondere der einfühlsamen Mitwirkung der Schule eine Situation kreiert, die es ihm erlaubte, trotz psychotisch verändertem Bewusstsein, seine mündliche Prüfung abzulegen. Die nächste Krise kam wiederum ca. 1,5 Jahre später, wurde wiederum ambulant aufgefangen und brachte dieses Mal einen affektiven Durchbruch. Viele Gefühle kamen erstmals zum Vorschein, Tränen flossen und Wut kam zum Ausdruck. Wir organisierten in dieser Phase eine Betreuung in einer für Krisen geeigneten Wohnung, von wo aus er dann in eine eigene Wohnung, also weg von den Eltern zog. In einem Traum aus dieser Phase zeigte sich die ganze männliche Identitätsproblematik: „ Eine große Berliner Allee ist rechts und links voller Kreuze, an denen Männer wie Petrus Kopf unter gekreuzigt sind, auch mein Vater. Ein Kreuz ist frei und ich soll auf diesen Platz.“ 48 Nach dieser psychotischen Episode konnte er Beziehungen zu Frauen seines Alters eingehen und fand nach einigen Begegnungen eine feste Partnerschaft zu einer für ihn sehr verständnisvollen Frau. Diese Partnerschaft hält bis in die Gegenwart an. Mittlerweile studierte er und eine Zwischenprüfung stand bevor. Darauf zugehend schlitterte er unaufhaltsam in die nächste psychotische Episode. Keine Medikamentenerhöhung seitens des mitbehandelnden Psychiaters, keine therapeutische Intervention half. Die Krise wurde sehr heftig und ein stationärer Aufenthalt immer notwendiger. In der Deutlichkeit der bevorstehenden Klinikaufnahme unternahm er einen Suizidversuch mit Tabletten. „ Dies war ein deutliches Signal meiner Hilflosigkeit, war allerdings nicht als Suizidversuch gedacht, sondern als Schocktherapie für meine Eltern. Dass dies tödlich hätte enden können, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht vollkommen bewusst, da ich bereits geistig verwirrt war. Direkt vor der Aufnahme ins Krankenhaus, sagte meine Mutter vehement, wenn ich dies als Suizidversuch der Notärztin gegenüber schildern sollte, wäre der zukünftige Behandlungsverlauf wesentlich heftiger. Bereits am kommenden Morgen äußerte ich meiner Partnerin gegenüber den Wunsch, mit ihr gemeinsam ein Kind bekommen zu wollen. Nicht vergessen werden sollte, dass die Motivation für die Überdosis eine innere Stimme war, die ich mit der Autorität des behandelnden Psychiaters gleichgesetzt hatte.“ Es wurde ein mehrmonatiger stationärer und anschließender tagesklinischer Aufenthalt. Fast schienen wir den Kontakt zu verlieren. Er schien auch enttäuscht, dass die Therapie ihn nicht besser vor der Psychose geschützt hatte. Ich hörte von seiner lang andauernden postpsychotischen Depression. Dann kam er wieder zur Therapie, noch sehr deprimiert, ohne Selbstwert, wieder die Stimmen, die ihn verächtlich beschimpften im Kopf, aber etwas war geschehen: Seine Freundin war schwanger und beide hatten sich entschieden, das Kind zu wollen und die jeweiligen Eltern unterstützen diesen Wunsch. Unsere neue Therapiephase nach dieser psychotischen Episode und diesem für ihn bislang längsten Klinikaufenthalt war also eine Geburtsvorbereitung und ein Herausarbeiten aus der Depression, schließlich auch die Wiederaufnahme des Studiums, was zwischenzeitlich völlig unmöglich erschienen war. Inzwischen ist das Kind längst da und mein Klient kann seine Vaterrolle für seine Verhältnisse ganz gut wahrnehmen. Außerdem gibt es viel Unterstützung der gesamten Familie für das junge Paar. Aus dem anfänglichen Jüngling ist inzwischen also ein Vater geworden. Vor kurzem hat er die oben erwähnte Zwischenprüfung mit einigem Schlingern seines Bewusstseins bestanden. Und wir haben noch einen weiten Weg in der Therapie vor uns... Also kann man eine Einteilung nach verschieden Strukturebenen erwägen und hieraus völlig unterschiedliche therapeutische Vorgehensweisen in der Aufarbeitung einer Psychoseerfahrung ableiten. Das hat Volkmar Aderhold(1994) in seiner Dissertation beschrieben, dem ich mich hier anschließe: "Grundsätzlich lassen sich so m. E. vier verschiedene Weisen der Verarbeitung von Verrücktheit unterscheiden: 49 A. Menschen mit ausreichendem innerem Containment, die den schizophrenen Prozess auch unter mäßig günstigen, nicht-therapeutischen Bedingungen fruchtbar durchleben können. Sie zeigen eine sog. Spontanremission der schizophrenen Symptomatik auch ohne therapeutische Begleitung.“ Das entspräche der Identifikation mit dem eigenen Prozess, der darin enthaltenen Selbsterfahrung, dem eigenen Schicksal, also einer guten personaler Struktur. In der Emergenzsituation könnte das auch eine spirituelle Krise mit einem Durchbruch zum transpersonalen Bewusstsein sein, wie im Fallbeispiel 2. Solche Menschen sind prinzipiell befähigt, andere in einem existentiell erschütterten Prozess zu begleiten!! B. „Menschen mit unzureichendem Selbstcontainment, das jedoch durch eine Prozessbegleitung so weit substituiert werden kann, so dass es ebenfalls zu einer Remission oder (partiellen) positiven Transformation kommt.“ D.h. die Containment-Voraussetzungen vor dem Wandlungsereignis, welches zur Psychose führte, waren entsprechend schwächer. Dies entspräche vielleicht einer vor der existentiellen Krise erreichten präpersonalen bis personalen Struktur. Von hier an muss nun die therapeutische Begleitperson in die inneren Wahrnehmungsmodalitäten mit eintauchen können, um den Kontaktfaden nicht reißen zu lassen. (Fallbeispiel 1) C. „Menschen, bei denen ein spezifischer therapeutischer Umgang erforderlich ist, um entweder den Gestalt-Werde-Aspekt oder den Energetisierungsaspekt des psychotischen Geschehens zu fördern. Bei diesen Menschen ist mit einem positiven Ausgang nur zu rechnen, wenn sie eine über das `being-with (Dabei-Sein)' hinausgehende therapeutische Begleitung erfahren. Welcher therapeutische Umgang, welche therapeutischen Medien und Techniken dabei sinnvoll sind, ist weitestgehend noch eine Forschungsfrage.“ D.h. die Containment-Voraussetzungen vor dem Wandlungsereignis, welches zur Psychose führte, waren entsprechend kaum vorhanden. Das entspräche vielleicht einer problematischen vorichhaften Struktur, wie bei einer narzisstischen Problematik (Fallbeispiel 3) oder einem Borderlinesyndrom. D. Schizophrene Menschen, die mit all diesen unterstützenden therapeutischen Angeboten trotz allem kein ausreichendes Containment für den psychotischen Prozess entwickeln können, so dass es zu einer weiteren kumulativen Traumatisierung - sowohl psychisch als auch physisch – kommt und die psychotische Krise als unüberwindliche Katastrophe erlebt wird, die eine verbrannte Seelenlandschaft zurücklässt." 50 Als Integrations-Voraussetzungen lassen sich demnach beschreiben: · die Integrationsfähigkeit (Strukturniveau) der Person hier und jetzt, · die Rahmenbedingungen (kollektive Wertvorstellungen), in denen die kritische Bewusstseinsveränderung erlebt wird, · die Wertvorstellungen des individuellen Gegenüber, auf die der/die (Psychose)- Betroffene im Kontakt trifft. · Zusammengefasst also das Containment des Holons, das die Person zu diesem Zeitpunkt ist. 3. 3 praktische Arbeit in der Einzeltherapie In der Einzeltherapie mit Psychoseerfahrenen richtet sich das therapeutische Vorgehen natürlich ebenso wie in einer Teamsituation in der Klinik ganz nach der Struktursituation des Klienten und nach der jeweiligen Phase im Psychoseverlauf, nur dass hier der Therapeut zunächst alleine das Containment für den jeweiligen Desorganisationsprozess des Klienten aufbringen muss. D.h. in einer Anfangsphase der psychotherapeutischen Arbeit erfolgt eine Klärung der Containmentmöglichkeiten, der Strukturvoraussetzungen des Klienten. · Wie gut ist der Klient in seinem Körpergewahrsein verankert? · Wie nimmt der Klient seine Gefühle war und wie kann er sie ausdrücken? · Wie differenziert kann der Klient seinen geistigen Prozess beobachten? Wie nimmt er seine Träume war und versteht sie? · Findet der Klient eine Zeugenposition im meditativen Sinne in seinem Bewusstsein? · Welche spirituellen Entwicklungen und Verwicklungen liegen zum gegebenen Zeitpunkt vor? Letztlich wird unser Ziel natürlich sein, den Klienten in die Lage zu versetzen, die Zonen in seinem Bewusstsein zu erkennen, von denen der psychotische Prozess jeweils ausgeht. Nur dazu müssen natürlich die Grundlagen geschaffen werden. Und der zuletzt geschilderte junge Mann musste zunächst einmal in seinem Körper und in seinen Gefühlen ankommen, um zu verstehen, welche Kräfte ansonsten seinen Geist bedrängen, wenn sie nicht körperlich, emotional leben können, sondern sich nur in seinen Größen- oder Minderwertigkeitsphantasien austoben können. Ich gehe dabei so vor, dass ich meinen Klienten den zu erlernenden Prozess wie auf einer Landkarte erkläre und dann mit ihnen anhand ihrer Alltagserfahrungen diese Landkarte verifiziere. Oft ist es einem Supervisionsprozess ähnlich, bei dem man 51 zunächst etwas sichtbar macht, gründlich darüber redet, entängstigend einwirkt, weniger interveniert. Wenn Strukturarbeit zu leisten ist, muss ich in diesem Bereich verharren, die Resonanzen aushalten, bis sie geklärt, d.h. benannt und von meiner Person abgelöst sind; bis ich also nicht mehr durch projektive Identifikation, bzw. Resonanz zur Übernahme von Filmrollen im alten Drama gedrängt werde, was lange dauern kann, zumal die zugeschriebenen Filmrollen wechseln können. Bei dem zuletzt genannt Klienten bin ich z. B. gerade ein Coach, der seinen ihm anvertrauten Trainee durch die Erfahrung von Frustration führt. Davor musste aber auf der „Landkarte“ Frustration als eine wichtige Station heraus aus der narzisstischen postpsychotischen Depression identifiziert und akzeptiert werden, bevor sie nunmehr im Alltag, im Körper als Gefühl erkannt und durch gelebt wird. Wenn wir dann an spezifischere Knoten und Blockaden kommen werden gezieltere Interventionen erforderlich, die das ganze Spektrum der uns zur Verfügung stehenden Interventionen abfordern können, immer aber auf der Vorraussetzung der geklärten Strukturfrage. 4. Resonanzphänomene in Teams Wir müssen uns nun klarmachen, dass existenzielle Erschütterungen häufig auch das persönliche Fassungsvermögen (Containment) eines Betreuers/Therapeuten, überschreiten und/oder sprengen können. Dann tritt er zwangsläufig in das AgierFeld des Klienten, wie z. B. bei der projektiven Identifikation ein. Dabei kann der Therapeut nicht mehr zwischen seinen eigenen und den GegenübertragungsGefühlen unterscheiden. „Die projektive Identifizierung ist, neben der Spaltung, der charakteristische Abwehrmechanismus bei Borderline-Patienten.... Er (der Therapeut) wird dazu gedrängt, so zu denken, zu fühlen und sich zu verhalten, wie es den ausgelagerten Gefühlen und den projektiven Phantasien entspricht. Die projektive Identifikation ist ein subtiles Manipulationsinstrument, durch das die Menschen in der näheren Umgebung genötigt werden, eine Rolle bei der Inszenierung des inneren Dramas der früheren Objektbeziehungen zu übernehmen. Sie werden dazu gebracht, sich mit den verleugneten Seiten des Projizierenden zu identifizieren (daher die Bezeichnung projektive Identifikation)“. In der Regel führt die projektive Identifikation zu einem Beziehungsfiasko.“ (Stauss 1994) Natürlich ist dieser Vorgang zunächst unbewusst. Zu empfehlen wäre daher also dass der Therapeut oder das Team den gesamten Vorgang, die gesamte Projektion dieser Gestalt, Opfer und Täter des Klienten bewusst in sich aufnehmen, sich davon genügend desidentifizieren und hierzu eine Antwort des eigenen Organismus bilden. Wenn die Resonanzen des Klienten aus einem existentiellen Grenzbereich stammen, und das tun sie z. B. bei Borderlinepatienten immer, dann braucht er/sie eine transpersonale Verankerung oder das Eingebettet-Sein in einem Team/Gruppe, welche dazu in der Lage ist, die Türen zum transpersonalen Raum zu öffnen. 52 „Der Unterschied zwischen einem Menschen in einer Psychose und einem Menschen mit einem mystischen Erlebnis ist der, dass der Mystiker im Ozean schwimmen kann, während der Mensch in der Psychose darin ertrinkt.“, sagt Williges Jäger (2000) dazu und „es bedarf schon einer tiefgehenden spirituellen Verankerung, um als einzelner den Störungen der existenziellen Krisen standzuhalten (Galuska 1996). Also wäre der Mensch, der die mystischen Erfahrung halten kann, ausgezeichnet dazu in der Lage, die Ich-Auflösung des Menschen in der Psychose auszuhalten oder aber er muss sich mit einer Gruppe verbinden, die vorübergehend das transpersonale Bewusstsein emergieren kann. Abb. 4 Die Fragmentierungen des Klienten sind ihrerseits ja nicht im Vakuum, sondern sind im Transpersonalen Bewusstsein eingebettet. Daher werden sie durch ein Vorgehen, das von dort schaut, auch in ihrem Kontext sichtbar. Während sich aus der Erschütterungsperspektive, also aus der Perspektive der IchAuflösung, solche Gefühle wie Angst, Panik, Verzweiflung, und Reaktionen wie Konfusion und Wahn ergeben, bleiben aus der inneren Perspektive heraus die Zusammenhänge der einzelnen Fragmente erkennbar, ohne dass dabei die Empathie für diese heftigen Eindrücke verloren ginge, sondern vielmehr erstmalig möglich ist. Diese Unterscheidung zwischen Gegenübertragungsgefühlen und eigenen Gefühlen wird offensichtlich umso schwieriger, je existentieller die Desintegrationsvorgänge auf Seiten des Klienten sind. Da beim Klienten bei Problemzonen, die aus der vorichhaften Zeit stammen keine Identifikation bzw. Desidentifikation möglich ist („Das bin ich.“ oder „Das bin ich nicht.“) gerät der Therapeut leicht in genau diese 53 ich-lose Resonanz und übernimmt einen Teil, den nämlich, den der Klient wegprojiziert, der „Opfer-Tätergestalt“ des Klienten als seinen eigenen Part. Daher scheint es mir hier besser von Resonanz zu sprechen, denn in der mir vertrauten Supervisionspraxis werden diese Gefühle sehr selten als Gegenübertragungsgefühle erkannt und praktisch immer verwechselt. Der Anspruch als Einzelner diesen Übertragungsstürmen standzuhalten ist für den Alltag der Psychotherapiepraxis, die Betreuungsarbeit in sozialpsychiatrischen Einrichtungen wie dem betreuten Wohnen, der Einzelfallhilfe im sozialpsychiatrischen Bereich und auf den Station in den psychiatrischen Kliniken sehr hoch, bzw. hätte auf Grund der gegebenen Seltenheit zu wenig praktische Relevanz. Es gibt aber sehr wohl genug Individuen, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung soweit entwickelt sind, dass sie eine reife Ich-Struktur, also personale Struktur aufweisen. Damit meine ich, dass reife Persönlichkeiten der personalen Bewusstseinebene über die Fähigkeit verfügen sollten, zu erkennen, dass ein Prozess ihre Grenzen als Individuen überfordert. Dann könnten wir das nutzen, was uns Wilber schon über die Holone gesagt hat. Holone mit der Fähigkeit zur Integration und Kooperationen neigen bei entsprechender Ausdifferenzierung dazu, eine nächsthöhere Stufe zu betreten, in eine nächst höhere Stufe zu emergieren. Dieses Prinzip der Evolution können wir uns zu Eigen machen, indem wir uns als einzelne Betreuer/Therapeutenindividuen zu einem Gruppen-Holon also einem Team zusammenschließen. Nunmehr ist das Team in seinen Wahrnehmungs-Möglichkeiten mehr als die Summe seiner in ihm enthaltenen Individuen. 4.1 Viertes Fallbeispiel Anlässlich einer Mutter/Kind-Behandlung bei einer schweren depressiven Störung der Patientin, zeigten sich in der Teamsupervision die Überichaspekte der Mutter, die sie an der Kontaktaufnahme und Versorgung des Kindes hinderten, im Team in einer gewissen Anspruchshaltung: Die Patientin möge sich doch mehr um das Kind kümmern und die Teammitglieder wollten die Patientin weniger in der Versorgung entlasten, auch auf dem Hintergrund der eigenen sonstigen Arbeitsbelastung. Mühsam musste diese Reaktion als Gegenübertragung identifiziert werden, was wiederum die existentielle Dimension der Störung auf Seiten der Patientin beleuchtete. Erst als ausführlich über die innere Dynamik der Patientin gesprochen worden war und die Reaktionen der Teammitglieder als Resonanzen der existenziell bedrohlichen Überichaktivität der Patientin verstanden werden konnten, wurde die Versorgungsfrage des Kindes weniger wichtig. Jetzt trat die Patientin in den Vordergrund und kreative, lebendige Impulse, die die Depression durchbrachen, wurden im Team berichtet. 54 4.2 Übergangsformen Inzwischen sehen wir diesbezüglich eine bemerkenswerte Entwicklung in der Therapielandschaft: Da wir nicht alle erleuchtet sind und damit diesen Zustand als therapeutische Haltung nicht ausreichend zur Verfügung haben, bringen wir offensichtlich interessante Übergangsformen hervor, die das transpersonale Feld vorübergehend durch Zusammenschluss reifer personaler - das ist die Vorbedingung - Strukturen in Erscheinung treten lassen. Neurotische oder Spaltungsprozesse in einer Situation, in der es um das Erfassen der Resonanzen eines Klienten in einer Emergency seines Bewusstseins geht, würden die Wahrnehmung des übergeordneten Feldes zusammenbrechen lassen. Als personale Subholone jedoch wirken die Individuen vorübergehend wie Zellen einer übergeordneten Struktur, die dann für die Dauer dieses Zusammenschlusses erscheint. Darüber hat T. Yeomans (1994) in der Darlegung des von ihm so benannten Coronaprozesses berichtet. M. E. funktionieren so auch System/Familienaufstellungen nach Hellinger (2001) und A. Mahr hat das auf dem Kongress in Bad Kissingen im Juni 2002 „Spirituelle und transpersonale Dimensionen der Psychotherapie“ erläutert, wie nämlich System/Familienaufstellungen im Wortsinne transpersonal sind. Wie das Feld seine Weisheit vorübergehend sichtbar werden lässt und die Personen in einen tieferen Einsichtsraum nimmt, wo sie über “teilhabende Wahrnehmung“, also Resonanz verfügen, die nach der Aufstellung auch wieder verschwindet. Das transpersonale Feld ist also auch in dieser Vorgehensweise eine zeitweilige Emergenz. In einem anderen Bereich, nämlich der analytischen Arbeit mit Balintgruppen beschreibt A. Drees (1995) wie die Körperempfindungsebene, die Ebene des Kernselbst also, und die Phantasien der Gruppenmitglieder (Traumselbst) genutzt werden, um ein zusammengesetztes (prismatisches) Bild des Klienten zu erhalten. Das ist in dem hier vorgetragenen Sinne eine gute technische Anleitung zur Anwendung des Resonanzphänomens. Genau so kann man das mit Supervisionsgruppen zunächst schon einmal praktizieren, ohne in ideologische Erklärungsnotstände zu geraten, da das Ergebnis den teilnehmenden Teammitgliedern unmittelbar einleuchtet und es ist wie bei den Systemaufstellungen ein transpersonaler Vorgang, der auf den sichtbar und fühlbar gemachten Resonanzen gründet. 4.3 Anwendung in der Supervisionsarbeit In der Supervisionsarbeit in psychiatrischen/psychotherapeutischen Kliniken und sozialpsychiatrischen Einrichtungen können wir uns dieses Prinzip zu nutze machen, in dem wir das Team als vom Patienten, den wir in der Supervision besprechen als aufgestellt, also in Resonanz betrachten. Die sich hieraus ergebenden Einsichten sind äußerst wertvoll und klärend. Das geht, wie gesagt, natürlich nur mit einem nicht zerstritten Team. Ein innerer Teamkonflikt legt diese erstaunliche Möglichkeit sofort brach und muss vorab geklärt werden. Und wir können in besonders schwierigen Fallbesprechungen ein dafür interessiertes Team bilden und nutzen und die Resonanzen des Klienten im vorübergehend 55 gebildeten Feld des Teams sichtbar machen. Die vom Team empfundenen Resonanzen werden, nachdem sie bewusst geworden sind, wie Gegenübertragungen behandelt und damit zunächst und zuerst als Informationen über das Klientenfeld und die darin enthaltenen Probleme. Hier traf ich bislang auf die meisten Verständigungsschwierigkeiten in der praktischen Arbeit. In der Regel ist es so, dass der Betreuer oder Therapeut bestimmte Emotionen, die er vom Klienten-Feld empfängt, mit den seinen verwechselt, sich also aus einer personalen Perspektive mit den bei sich selbst wahrgenommen Gefühlen, Eindrücken u. Stimmungen wie selbstverständlich identifiziert. Die Teammitglieder benötigen also als Lernschritt zunächst eine Desidentifikation von diesen Gefühlen, um sie als Informationen des Patientenfeldes betrachten zu können. Das liegt zumeist daran, dass es keine Vorstellungsmöglichkeit, kein Weltbild von einem gemeinsamen Feld und dessen Funktionsweise gibt. Dies ändert sich übrigens spontan, wenn man das Setting der Systemaufstellungen nach Hellinger benutzt, dann wird die erlebte Resonanz fraglos sofort als die Information des Feldes verstanden. Außerdem fügt die Technik der Aufstellungsarbeit durch ihre räumliche Ausgestaltung des Resonanzfeldes eine äußerst wichtige Ausdrucksdimension für das Feld des Klienten hinzu. Ein Team das üblicherweise in der Supervision nur im Kreis sitzt, kann wie von Dress (1995) beschrieben eben nur diese bestimmte Selbsterfahrungen in der Resonanz wahrnehmen (Körperempfindungen, Phantasien, Gefühle), während die räumliche Dimension dem Feld sofort mehr Spielraum für die Informationsübermittlung bereitstellt. (Bewegung, Berührung, direktes Sprechen etc.) Auch fachlich ansonsten sehr kompetente Therapeuten lehnen es manchmal rigoros ab, ein gemeinsames Feld wahrzunehmen, wenn sie dafür kein grundsätzliches offenes Verständnis haben, d. h. wenn ihnen ihr Weltbild es nicht erlaubt, ein solches gemeinsames Feld anzunehmen. Daraus resultiert dann ein Arbeiten an den Emotionen des Betreuers oder des Therapeuten im Supervisionsrahmen als dessen Reaktion auf den Klienten. Hierdurch gehen die Informationen, die in der Resonanz auf den Betreuer übertragen werden, in der Regel verloren. Die Informationen des Klientenfeldes sind überdies in dem Bereich existentieller Betroffenheit dergestalt, dass Sie die Ohnmacht-, Verzweiflungs-, Hilflosigkeits- und Resignationsgefühle oder äußerst wütende, sadistische, hasserfüllte Gefühle übertragen und wenn diese mit den Betreuergefühlen verwechselt werden, erleiden die Betreuer selbst erhebliche Einbussen an Selbstwert und Kompetenz. Dann kann das fragmentierte und gespaltene Klientenfeld das Betreuerfeld dominieren. Das hat im Alltag der psychiatrischen Stationen eine besonders große Bedeutung: Wenn mehrere schwierige Patienten zusammenkommen, kann die ganze Station aus den Fugen geraten und im Stationsteam können sich mächtige Spaltungsprozesse und Fragmentierungsprozesse zeigen und die Aggressoranteile des Patientenfeldes werden u.U. mittels institutioneller Zwangsmassnahmen wie Fixierungen und Zwangsmedikationen ausagiert. Ich meine hier nicht, dass man solche Situationen 56 immer vermeiden kann, aber durch das Schaffen eines dafür geeigneten empathischen Feldes können solche vehemente Qualitäten viel früher erkannt und kreative Möglichkeiten erwogen werden. Jedoch durch Klärung dieser Situation erleben die Therapeuten, indem die Information des Patientenfeldes aus der Resonanz herausgelesen wird, immensen Kompetenzzuwachs und es eröffnen sich sehr einfache neue Handlungsmöglichkeiten mit den Klienten. Wenn man von getrennten Individuen ausgeht, wie im Falle der projektiven Identifikation scheint ein Aufnehmen des Klienten in den Organismus des Therapeuten unabdinglich erforderlich. Legt man jedoch ein gemeinsames (transpersonales) Feld zu Grunde, dann sind die Gestalten des Klienten genauso in diesem transpersonalen Feld vorhanden, wie auch der Organismus des Therapeuten. Das heißt prinzipiell sind alle Informationen beiden zugänglich. Wenn es nun dem Containment des Therapeuten möglich ist, auf die Problematik, wie sie der Klient erlebt, eine Antwort der Stimmigkeit aus dem transpersonalen Bewusstsein heraus wahrzunehmen, dann findet er Antworten aus dem Bereich der frühen Selbsterfahrungen wie eingangs dargelegt (Traum-, Kern-, affektives Selbst oder perinatale Matrizes), die er in seiner Resonanz identifiziert. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit aus dem transpersonalen Bewusstsein heraus rückt das Fragment in einen stimmigen Sinnzusammenhang. Hier muss der Klienten also nicht im Organismus des Therapeuten ausgetragen werden, sondern das transpersonalen Bewusstsein selbst trägt den Klienten (aus). Die erste Stufe des transpersonalen Bewusstseins, -die subtile Ebene-, stellt Informationen für die praktische klinische Arbeit ausreichend bereit, um die emergierende Gestalt des Klienten in dem Resonanzfeld des Teams durchscheinen zu lassen. Sie erscheint in den von Pauls und Grof beschriebenen SelbsterfahrungsQualitäten, die wir nun aber bewusst wahrnehmen. Es sind darin sowohl die Gefühle und Erfahrungen der Fragmentierung, die nun empathisch zugänglich sind, als auch die evolutionär hervortreten wollende Gestalt des Klienten enthalten. Das Entdecken der emergierenden Gestalt zeichnet sich durch ein „Aha-Gefühl“ also durch eine Stimmigkeit aus und stärkt das Kompetenzgefühl des Teams. Wenn der Klient an diesem Gefühl teilhaben kann, so macht er unmittelbar die Erfahrung der Richtigkeit und Stimmigkeit seines Prozesses. T. Yeomans hat... 4.1 ...Richtlinien für den Gruppendialog (Yeomans 1995)... ...beschrieben, die dieses Resonanzphänomen erleichtern können und die in der praktischen Supervisionsarbeit mit Gruppen hilfreich sind. Davon sind die wichtigsten: · die Arbeit im Kreis, als nichthierarchischer, archetypisch weiblicher Form · das finden des richtigen Tempos des Prozesses · die Stille 57 · · · · 5. die Wahrhaftigkeit der Mitteilungen die Präsenz der Teammitglieder die konfliktfreie Existenz widersprüchlicher Wahrnehmungen tiefes Vertrauen in die Richtigkeit des Prozesses. Schlussfolgerungen Wir können nunmehr verschiedene Komponenten bei einer psychotischen Krise voneinander unterscheiden: a. b. c. d. e. f. die auslösende Situation enthält ... eine hervortreten wollende Emergenz und/oder einen assoziativ verknüpften Stimulus für die präichhafte Selbstebene (Traum/Kern/subjektives Selbst/perinatale Matrizes) bis zu der die Desintegration fortschreitet und die dann in der Psychose auftaucht (COEXsystem), die darin vorhandenen Problemzonen, die immer, weil sie Selbsterfahrungen sind, auch Beziehungserfahrungen sind und daher korrigierende Containmentgestalten auf dieser Ebene brauchen, die prä-ichhaften Abwehrvorgänge, die zu diesen Problemzonen gehören Entsprechend muss auch das therapeutische Vorgehen sein und daher die Strukturebene der Ausgangspersönlichkeit berücksichtigen. Selbstverständlich besteht hier die Möglichkeit des Einbeziehens von Angehörigen auf jeder der im Folgenden genannten Ebenen, wenn es dem Prozess förderlich ist: a. b. c. d. In der akuten Psychose, der Zeit der Desintegration und Ichauflösung, gelten in der Begleitung die Soteria-Grundsätze des „being-with“, -Präsenzund des haltenden und bergenden Kontaktes. Dies kann aber nunmehr um die Kenntnis der prä-ichhaften Selbsterfahrungsbereiche und der dort notwendigen Containmentgestalten gezielt erweitert werden und widerspricht nicht einer behutsamen individuell angepassten neuroleptischen Behandlung. In der Wiedergewinnung der Alltagsfähigkeiten des Ichs muss dieses zunächst einmal pragmatisch gekräftigt werden und hier gelten die allseits bekannten sozialpsychiatrischen Behandlungs- und BetreuungsGrundsätze, wie wir sie im betreuten Wohnen etc. entwickelt haben. (Grundversorgung: Essen, Schlafen, Wohnung in Ordnung halten, bei Bedarf auch Psychopharmaka.) Beruhigende, ermutigende Gespräche, in denen die auftauchenden Problemzonen und Emergenzen schon benannt werden, aber mit dem Verweis der zunächst notwendigen Kräftigung der Persönlichkeit noch ein wenig „ins Regal gestellt werden“, bis sie bearbeitet werden können. Wenn die Ausgangspersönlichkeit und das dann vorhanden Strukturniveau wieder klar ist, können dem Strukturniveau der Persönlichkeit entsprechende Werkzeuge zur Anwendung gelangen, die sowohl die Problemzonen der prä-ichhaften Selbsterfahrung bereinigen, als auch die in Erscheinung treten wollende Emergenz begleiten. Hier können dann auch selbsterfahrungsorientierte Therapiemethoden und/oder systemische 58 e. Therapiemethoden effektiv eingesetzt werden. Bei Strukturschwächen der Persönlichkeit muss dieser Emergenz zunächst einmal strukturell der Weg bereitet werden, sonst würde man ja die nächste Krise evozieren. Abb. 5 6. Zusammenfassung Blockaden lösende Interventionen erfolgen immer erst nach geklärter Strukturfrage. In der einzeltherapeutischen Situation ist das Erkennen der Grenzen der eigenen Containmentmöglichkeiten entscheidend, um sich gegebenenfalls rechtzeitig in einem größeren Zusammenhang Unterstützung zu holen. Prinzipiell verhalten sich Teams wie Personen. Sie können neurotische, Spaltungsund auch Fragmentierungsprozesse aufweisen. Um in dem hier gemeinten Sinne arbeiten zu können, müssen Gruppen aber ein personales Niveau erreichen und vorübergehend aufrechterhalten. In der Praxis können solange (neurotische) Teamkonflikte im Vordergrund stehen, die Wahrnehmungen der Patientenresonanzen nicht in den Vordergrund gelangen. Dann kam das Team die emergierende Gestalt des Klienten nicht erfassen. Wenn das Team sich zu einer personalen Struktur, wie oben beschrieben zusammenfindet, d. h. auf der Grundlage entsprechender Wertevorstellungen Achtsamkeit Präsenz guter Kontakt, Mitgefühl, 59 dann ist es in der Lage die emergierende Gestalt des Klienten aus der Perspektive des transpersonalen Bewusstseins in unserer Wahrnehmung aufblitzen zu lassen. Wir lernen dadurch bei einer existenziellen Krise wie einer Psychose, was sich entwickeln wollte und in welchen frühen Selbsterfahrungsbereichen die Problemzonen liegen. Kann oder darf sich das nicht zeigen, so entsteht eine Emergency, die den Druck enthält die angestrebte Ebene zu finden und daher auch den Drang hat wieder zu kommen. 7. Literatur Aebi, Elisabeth, Ciompi, Luc, Hansen (Hrsg.), Hartwig (1996): Soteria im Gespräch Aderhold, V. ( 1994 ): Die akute Schizophrenie als Prozess der Selbstgestaltung. Ciompi, Luc / Hoffmann, Holger / Broccard (Hg.), Michel (2001) Wie wirkt Soteria? Eine atypische Psychosenbehandlung kritisch durchleuchtet. Dörner, Klaus u. Plog, Ursula (1996): Irren ist menschlich. Drees, Alfred (1995): Balintgruppe, prismatische Balintgruppen, - wie man mit freien Phantasien arbeitet, aus, Freie Phantasien in der Psychotherapie und in Balintgruppen. Finzen, Asmus: Schizophrenie. Die Krankheit behandeln (2001). Galuska, Joachim (TPP 1/1996): Transpersonale stationäre Psychotherapie. In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie (TPP). Galuska, Joachim (TPP 1/1997): Heilung von Psychosen in transpersonalem Verständnis. In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie (TPP). Grof, S. (1983): Die Topographie des Unbewussten. LSD im Dienst der tiefenpsychologischen Forschung. Grof, S. ( 1985): Geburt, Tod und Transzendenz. Neue Dimensionen in der Psychologie. Grof, S. ( 1987): Das Abenteuer der Selbstentdeckung. Heilung durch veränderte Bewusstseinszustände. Hellinger, Bert (2001): Liebe am Abgrund. Ein Kurs für Psychose Patienten. Jäger, Williges (2000): Die Welle ist das Meer. 60 Mahler, Margret (1980): Die psychische Geburt des Menschen. Mentzos, S.( 1997): Psychose als Konflikt. Pauls, Helmut (1994): Das „innere Kind“ und die Entwicklung des Selbst. In: Gestalttherapie, Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Gestalttherapie. S. 19-37. Stauss, Konrad (1993): Neue Konzepte zum Borderline-Syndrom. Wilber, K. (1996): Eros, Logos, Kosmos. Frankfurt Wilber, K. (1997): Eine kurze Geschichte des Kosmos. Yeomans, Thomas (1994): The Corona Process: Group Works within a spiritual Context. 61 Psychose, Trauma und Bewusstseinsevolution In: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. 1/2008 S. 19-34 Zusammenfassung: Die Grundprinzipien der Schöpfung, Kooperation und Vertrauen, werden durch Traumata erschüttert. Das betrifft uns ganz und gar als menschliche Holone in allen 4 Quadranten. Diese Verletzungen entstehen durch Extremstresserfahrungen, verursacht in Handlungsketten, die von gesellschaftlichen, systemischen und biographischen Katastrophen ausgehen, nicht durch psychodynamische intrapsychische Konflikte. Letztere sind sekundär. Psychose kann in diesem Kontext als komplexes Multitrauma verstanden werden. Heilung kann durch Umkehrung des Traumafolgegeschehens auf den Weg gebracht werden. Dabei sind Bindung und Spiritualität entscheidende Resilienzfaktoren, die an die wiederzuerlangende Ganzheit erinnern und manchmal in psychotischen Symptomen verborgen sind. Schlüsselworte: Holone, Trauma, Psychose, dissoziative Störungen, Spaltung, Schmerzkörper, Gewahrsein, Kooperation, Spiritualität, Bindung, Resilienz. 1. Einleitung Die Schöpfung ist ein hoch komplexes Zusammenspiel. Ihre Grundlage ist Kooperation. In der Evolutionsbiologie scheint der Trend der Erkenntnisse auch dahin zu gehen, biologische Systeme, die gut zusammenwirken können, als die Überlebensstärkeren zu begreifen. Joachim Bauer hat sich in seinem neuen Buch (Bauer 2006), »Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren« ausführlich mit diesem Thema auseinander gesetzt und die Bedeutung der Kooperation dem alten und neuen darwinistischen Denken gegenübergestellt, ohne jedoch explizit die spirituelle Dimension dieser nunmehr auch in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit mehr und mehr akzeptierten Tatsache hervorzuheben. 1.1 Die Holone als Träger von Individuation und Kooperation In der Darstellung der Holone von Ken Wilber (Wilber, K. 1996, 1997) finden wir in deren grundlegenden Eigenschaften die Beschreibung der Dynamik zwischen Individuation und Kooperation. Die Wirklichkeit ist aus Holonen aufgebaut. Ganzheiten, die sich aus Ganzheiten zusammensetzen. Holone, die immer Ganze und Teile zugleich sind, müssen sowohl ihre Individualität ausbilden, als auch die Kooperation mit anderen Holonen bewerkstelligen. Nur beides zusammen sichert ihre weitere Existenz. Kein Holon kann für sich alleine existieren. Subatomare Teilchen bilden Atome, Atome bringen Moleküle hervor, diese bilden Zellen. Zellen bilden Organe, diese Organismen, Organismen bilden Gruppen und diese schließlich Gattungen. 62 Abb.1 Das heißt im Zusammenwirken und Zusammenschluss der Subholone entstehen völlig neue Gestalten, die mehr sind als die Summe ihrer Teile. Wasser ist eine völlig neu Qualität als nur eine Ansammlung von Wasserstoff und Sauerstoff, eben die (Ver)-Bindung der beiden, in einem präzise abgestimmten Verhältnis. Diesen Vorgang - immer neue Strukturen hervorzubringen – nennt Wilber Emergenz. Und er beschreibt in seiner Arbeit wie durch die horizontale Ausdifferenzierung der Holone und durch die Attraktion der Ganzheit (Telos) ein Emergenzdruck entsteht, ein Fortschreiten-Wollen der Schöpfung, ein kreativer Drang, neue Gestalten hervorzubringen. Wenn Holone zerfallen, zum Beispiel im Sterben, aber auch unter der Einwirkung eines Traumas, so erscheinen wieder die Subholone. Ein Sterbeprozess beispielsweise führt die vorübergehende körperliche Lebensgestalt auf die Ebene von Molekülen und Atomen zurück, die ihrerseits aber immer noch Holone - vom Sterbeprozess aus retrospektiv gesehen - Subholone dieser ursprünglichen Lebensgestalt sind. Gerade beim Verständnis der Folgen eines Traumas gilt, dass ein traumatisierter Organismus nicht mehr in seiner vollständigen Ausprägung, seiner eigentlichen vitalen Ganzheit funktionieren kann, sondern die archaischeren, einfacheren Funktionen wieder erscheinen. Also kann ein Trauma, beziehungsweise die ständige Wiederholung von Traumatisierung das Hervorbringen reiferer Strukturen verhindern oder erschweren, wie wir das bei Persönlichkeitsstörungen und Psychoseerfahrungen sehen können. Positiv formuliert gilt aber auch, dass der (therapeutische) Zugang zur Ganzheit, entsprechendes Heilungspotenzial beinhaltet. 63 1.2 Die vier Quadranten Einen wichtigen Aspekt der Holone, Wilber folgend, brauchen wir hier noch zur weiteren Entwicklung dieser Gedanken: Holone haben vier Quadranten. Abb.2 Die vier Quadranten (Wilber 1996, 1997) Geistige Prozesse und Entwicklung; nur dialogisch erfahrbar; Interpretation wahrhaftiger Dialog individuell durch äußere Sinne und Instrumente erfahrbar und messbar; materiell; monologisch außen innen soziale Systeme; durch äußere Sinne und Instrumente; erfahrbar und messbar; materiell; monologisch kulturelle Werte; Interpretation; Glaubenssysteme sozial Die beiden rechten Quadranten sind die äußeren Aspekte der Holone, das Materielle, die Oberfläche. Dies kann man mit den äußeren Sinnen erfassen und vermessen. Man kann mit diesen Aspekten der Holone monologisch kommunizieren. Ein Arzt z.B. kann bei einem Patienten ein Röntgenbild machen lassen und darüber eine Krankheit diagnostizieren, ohne je ein ausführlicheres Gespräch mit dem Patienten geführt zu haben. Die beiden linken Quadranten der Holone sind die inneren Räume, das nicht Materielle, die Tiefe, das Geistige, das Seelische. Sie sind den äußeren Sinnen nicht unmittelbar zugänglich, sondern können nur im freiwilligen Dialog erfasst werden und unterliegen der Interpretation. Tatsächliche Informationen aus diesen inneren Räumen erhält man nur in einem wahrhaftigen Dialog. Lügen z.B. verstellen den Zugang zu diesem Bereich (linke Quadranten) der Holone. Eine Psychotherapie kann demnach nur in einem solchen wahrhaftigen Dialog funktionieren, der die inneren Räume der Beteiligten eröffnet. Die Quadrantenlehre von Wilber beinhaltet die Herausforderung, die Kausalität nicht nur in einem der vier Quadranten zu suchen, sondern das gesamte Holon zu verstehen. Für unser Thema: Psychose, Trauma und Bewussteinsevolution, könnte das Holon nun wie folgt aussehen: Abb. 3 64 Die Verarbeitung und Integration eines Traumas hängt auch von subjektiven Gegebenheiten ab. Unsere Fähigkeiten uns an das äußere, auf uns einwirkende Geschehen anzupassen sind bei einem Trauma bei weitem überfordert. Das Trauma ist gekoppelt an überwältigende Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Horror, Schrecken, Todesangst und Panik. Die Erinnerung an Traumatisierung kann durch äußere Reize getriggert werden. In der psychotherapeutischen Kultur hat ein seit ca. 25 Jahren ein Bewusstseinswandel stattgefunden, der die Bedeutung der Traumatisierung erkannt hat. Dieser Bewusstseinswandel findet im Hinblick auf den Zusammenhang von Trauma und Psychose erst seit kürzerer Zeit statt. Die Wiederbelebung von Bindung und Erinnerung an Ganzheit beinhaltet Heilungspotenzial und ist eine spirituelle Unterstützung von Heilungsprozessen. 8. Bei einem Trauma ereignen sich neurobiologisch gut untersuchte Abläufe im Gehirn, die u.U. die Psychoseentstehung im Sinne der Vulnerabilitätsentstehung mit beeinflussen und Rezidivanfälligkeit aufrecht erhalten. Vulnerabilität, könnte in den synaptischen Verbindungen der Traumanetzwerke das neurobiologische Äquivalent haben. Ein Trauma ist ein Ereignis (kein innerer Konflikt), geschieht im Sozialen, kommt von außen, kann biographisch, systemisch, gesellschaftlich bedingt sein. Quadrant links unten: Trauma versus Konflikt »Pierre Janet (1894) und Siegmund Freud(1896) vertraten in der Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild der »Hysterie« die Position es handele sich hierbei um eine chronifizierte posttraumatische Störungen nach Kindesmissbrauch. « (zitiert nach Streeck-Fischer u. a. 2002, S. 12) Janet blieb bei seiner Position, und seine Arbeiten gelten heute als grundlegend für das psychophysiologische Traumaverständnis. Freud wich von seiner ursprünglichen Auffassung der traumatischen Verursachung der Symptome seiner Patientinnen1 ab, hin zur Betonung der intrapsychischen Konflikte. Im Gefolge davon hatte sich die Psychotherapie sehr lange und sehr ausgiebig mit inneren psychodynamischen Konflikten beschäftigt. Auch der Begründer der Gestalttherapie F. Perls schenkte den Trauma-Schilderungen seiner Patientinnen keinen Glauben und tat diese ins Reich der Fantasien ab: »All the so called traumata, which are supposed to be the root of neurosis, are an invention of the patient to save his self-esteem. None of these traumata has ever been proved to exist. I haven’t seen a single case of infantile trauma that wasn’t a falsification. They are all lies to be hung onto to justify one’s unwillingness to grow…Psychoanalysis fosters the infantile state by considering that the past is responsible for the illness. « (zitiert nach H.G. Petzold, in: Gestalttherapie 1/2007, S. 62) Damit war die Wertekultur - im Wilber’schen Sinne der Quadrant links unten des Traumaholons - mit der Berichte über Traumata beurteilt wurden, über lange Zeit festgelegt und ins Fantasiereich der Patientinnen abgetan. 1 Ich wähle absichtlich im Text die weibliche Form, obwohl auch Männer entsprechend betroffen sind 65 Die Berichte der Patientinnen wurden als innere Konflikte zwischen libidinösen Strebungen und Widerständen umgedeutet. So bezieht sich noch bis heute der Begriff der »frühen Störung« auf dieses psychodynamische Verständnis. Psychische Störungen waren in diesem Sinne Resultate von gestörten Objektbeziehungen, was natürlich nicht falsch, aber verkürzt ist. In einem Verständnis, welches die Trauma-Geschichte berücksichtigt, sind gestörte Objektbeziehungen die Folge von traumatischen Ereignissen und damit sind die daraus resultierenden psychosomatischen Störungen die Folge dieser traumatischen Ereignisse. (Huber Band 1, 2005, S.31) Also sind die psychodynamischen Konflikte bei psychischen Beeinträchtigungen infolge von Traumatisierungen sekundär! In dem weit verbreiteten und damals sehr fortschrittlichen Lehrbuch von Dörner und Plog: Irren ist menschlich, wurde noch Ende der 70 er Jahre Trauma mit psychodynamisch verstandenem inneren Konflikt gleichgesetzt (Dörner & Plog 1978, S. 395). Aber auch in einem ganz aktuellen Lehrbuch: Rahn, Mahnkopf Lehrbuch der Psychiatrie von 2005 (S. 307) findet man folgendes: »Auch für die am psychoanalytischen Entwicklungsmodell orientierte Hypothese der frühen Störung fehlt bislang jeder überzeugende empirische Nachweis. Stattdessen trug sie zur Diskriminierung primärer Bezugspersonen bei (schizophrenogene Mutter, Fromm-Reichmann 1940).« Hier wird der Begriff der frühen Störung immer noch nicht im eigentlichen Sinne als traumatisch bedingt verstanden und es wird überhaupt nicht verstanden, dass die Mutter als wesentlicher Bindungspartner für das Kind selbst Durchgangspforte und Opfer eines traumatischen Geschehens sein kann. Insofern ist nicht die Mutter schizophrenogen, sondern das Trauma, welches die Person übersteigend durch die Mutter, aber auch den Vater und unter Umständen deren Vorfahren hindurch reicht, solange nicht eine Unterstützung geschieht, die mit dem Trauma heilend umgeht. Wie ich weiter unten noch auszuführen werde, geht es bei der Entstehung von existenziellen Störungen wie Psychosen und dissoziativen Störungen nicht um eine psychodynamische Beziehungsstörung exklusiv zwischen 2 Menschen. Vielmehr geht es um die Erfahrung von realen historischen Katastrohen in Familiensystemen. Solange Gewahrsein und Heilung bei den Betroffenen fehlt, resultieren daraus Handlungsketten existenzieller, lebensbedrohlicher, traumatischer Erfahrungen, die weitergereicht werden und zwar im wesentlichen über das Bindungsverhalten der primären Bezugspersonen eines Kindes und über unbewusste Neuinszenierungen von traumatischen Szenarien. 66 9. Quadrant rechts oben Neurobiologie Die Neurobiologie des Traumas (Huber 2005) sieht vereinfacht so aus: Eine Situation, die man durch eigene Kraft nicht bewältigen kann und aus der man nicht fliehen kann, das ist: No flight, no fight. in dieser Situation von extremer Hilflosigkeit und Ohnmacht kommt es zu einer cerebral erzeugten Lähmungsreaktion und die Erfahrung wird zersplittert: Freeze and fragment. Im Gehirn werden entsprechende biochemische Prozesse aktiviert: eine Flut von Endorphinen wird ausgeschüttet, Adrenalin und Cortisol mobilisiert. Der Bereich, in dem das Gehirn diese Notfall-Reaktionen produziert, ist im limbischen System vor allem der sog. Mandelkern, das Amygdala-System. Normalerweise ist der Hippocampus für die Informationsverarbeitung und für das Zusammenspiel zum Großhirn verantwortlich, wird aber unter extremen Stressbedingungen vom Amygdala-System außer Kraft gesetzt, so dass dieses als Feuerwehr operieren kann. Je mehr das Amygdala-System dominiert, desto fragmentierter bleiben dem Hippocampus Fragmente des jeweiligen Ereignisses. Die Verbindung zwischen Hippocampus und Großhirn wird durch die Angst bedingte neurobiochemische Veränderung unterbrochen, so dass weder das Erlebte bewertet wird, noch persönlich zur Kenntnis genommen werden kann. Es kann somit auch nicht als Vergangenheit erkannt werden und wird bei einem auslösenden Reiz als gegenwärtige Erfahrung neu erlebt. (Huber 2005, S.49) »unter traumatischen Stress wird das Hippocampus-System dysfunktional… körpereigene Morphine lassen den Menschen geistig weg treten, das Frontalhirn schaltet sich ab (Freeze), das Amygdala-System feuert weiter und speichert emotionale und körperliche Reaktionen. Das ausschließlich vom Amygdala-System emotionale, körperliche und vom Hippocampus-System in einzelnen Bildern und kurzen Sequenzen gespeicherte fragmentarische Material ist Traumamaterial. « Durch diese Einprägung unter Ausschluss der Bewertungsmöglichkeiten höherer Gehirnregionen kann ein neuronales Traumanetzwerk entstehen, das dann durch entsprechende Reize getriggert werden kann. »Entwicklungsgeschichtlich ist das Amygdala System jenes Stress verarbeitende System, das als erstes arbeitet: Gleich von Geburt an steht es zur Verfügung, wenigstens in rudimentärer Form. Das Hippocampus System dagegen wird erst im Alter zwischen zwei und drei Jahren funktionstüchtig,…richtig gut arbeitet es erst ab 10 bis 12 Jahren (ebd.). « Das heißt Traumanetzwerke, die sich vor dieser Zeit bilden, sind besonders schwierig einer frontocortikalen kritischen Überprüfung zuzuführen. Außerdem können wir nun mit Hilfe dieser neurobiologischen Überlegungen untermauern, dass besonders extreme Stresseinflüsse um die Geburt herum und in den ersten beiden Lebensjahren bis hin zur Funktionstüchtigkeit des Hippocampus dazu beitragen können, eine höhere Vulnerabilität durch die Ausbildung entsprechender Traumanetzwerke gegenüber extremen Belastungen entstehen zu lassen. So könnte Vulnerabilität durchaus eine erworbene, nicht nur genetisch determinierte Qualität sein. 67 Systemisch betrachtet würde das heißen, je früher im Leben dieser extreme emotionale Stress besteht, desto gravierender werden die Auswirkungen systemischer Traumata in die nächste Generation weitergereicht. 10. Quadrant links oben: Subjektives Erleben des Traumas Es gibt heute sehr viele Studien und Wissen über Traumatisierung. Ausgelöst wurde die intensive Forschung durch die Erfahrungen der großen Kriege im letzten Jahrhundert den ersten und den zweiten Weltkrieg, vor allem aber dann durch den Vietnam-Krieg und zuletzt durch den Krieg auf dem Balkan. Unter dem Eindruck der Leiden der Soldaten des Zweiten Weltkrieges entstand der Begriff der Physioneurose. Damit begann die intensive Erforschung des Zusammenhanges von Extremstresserfahrung und somatischer Reaktion. Vom Individuum aus gesehen, ist ein Trauma ein Ereignis, das unsere Fähigkeiten uns an das äußere, auf uns einwirkende Geschehen anzupassen, bei weitem überfordert. Es ist gekoppelt an überwältigende Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Horror, Schrecken, Todesangst und Panik (frei zitiert nach einem Vortrag von L. Reddemann (Kongress 2006, »Bewusstsein und Psychotherapie«, spirituelle und transpersonale Dimensionen einer Wissenschaft des Bewusstseins in Bad Kissingen). Wie wir jeweils eine stressvolle Situation erleben, hängt natürlich ganz von unseren individuellen Ausgangsbedingungen ab. Das Alter spielt eine wichtige Rolle. Ein älteres Kind wird eine Situation des Alleinseins besser verarbeiten können, als ein Kind, welches zur Orientierung noch ganz auf seine Eltern angewiesen ist. Vernachlässigung und Verlassenheit sind damit in den ersten Lebensmonaten und Lebensjahren ganz besonders traumatisierend. In der Generation von den jetzt um die 50 Jahre alten und älteren Menschen wurden viele bei notwendig gewordenen Aufenthalten in Kinderkrankenhäusern, um die Geburt herum und/oder in den ersten Lebensjahren, durch Trennung von den Eltern und Verhinderung von Körperkontakt zu diesen, massiv traumatisiert. Diese Menschen leiden heute z.B. unter langwierigen und chronischen, depressiven Störungen. 11. Trauma und Psychose – Zerstörung von Bindung Mit einer Verzögerung von etwa 15 Jahren hält nunmehr die Forschung im Bereich der Psychiatrie Einzug, die den Zusammenhang von Traumatisierung und Psychose untersucht. Es wurde immer deutlicher, dass bei existentiellen, psychischen Erschütterungen wie bei Persönlichkeitsstörungen und bei Psychosen schwere Traumatisierungen nachgewiesen werden können. 68 11.1. Zahlen und Fakten Quadrant rechts unten Schon 2002 fand eine Tagung in der psychiatrischen Klinik Hamburg-Eppendorf zum Thema Psychose und Trauma statt. Interessant waren die Zahlen, die bereits auf dieser Tagung kursierten, die seit Ende der 90er Jahre von dem Neuseeländer John Read (Read 1997, 1989, 2003) vorgelegt worden waren: Jede zweite schizophrene Krankenhauspatientin, so hat Read herausgefunden, sei sexuell missbraucht und fast eben so viele Patientinnen körperlich misshandelt worden. Bei Männern waren es zwischen 26 bis 39% beziehungsweise bis 44%, wenn man die körperliche Gewalt mit einbezieht. Und Read untermauert mit seinem Verständnis die o.g. Hypothese, in der die Vulnerabilität für Psychosen nicht ausschließlich etwas Angeborenes, sondern durch den Stressverarbeitungsmechanismus des Zentralnervensystems etwas Erworbenes sein könnte. Traumatisierungen betreffend, ist bei psychiatrischen Patienten die Wahrscheinlichkeit betroffen zu werden im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung erheblich erhöht. Auf jeden Fall scheint sich die Zahl zu festigen, dass jeder 2-te psychiatrische Patient schwere, auch wiederholte Traumatisierung in seiner Biografie aufweist (Aderhold 2005). Hinzu kommen die traumatischen Erfahrungen mit der Psychiatrie selbst und die Traumaerfahrung, die die Psychose selbst sein kann. S. Gunkel beschreibt, sowohl die Möglichkeit die Psychoseerfahrung selbst als komplexes Multitrauma zu verstehen, als auch die Behandlung der Psychose in der Klinik als ein »sanctuary trauma«, als ein Trauma, das in einer Umgebung erlebt wird, die eigentlich Schutz und Geborgenheit geben sollte (Gunkel 2004, 2005). Inzwischen ist aus der Trauma-Forschung natürlich auch bekannt, dass Menschen mit früher Traumatisierung wiederholt zu Opfern werden. Nachgewiesen scheint auch ein signifikanter Zusammenhang zwischen kindlichen Traumatisierungen und Stimmen-Hören. Besonders Untersuchungen an Kriegsveteranen zeigen, dass bei Patienten mit chronischer posttraumatischer Belastungsstörung auch Stimmen-Hören und Wahn zu beobachten sind. (Aderhold 2005) Schlussfolgernd kann man sagen, dass ein Psychose erfahrener Mensch, der Stimmen hört, in seinem Leben kaum einer folgenschweren Traumatisierung entkommen konnte. Andersherum wissen wir natürlich, dass es Stimmenhören ohne Psychosen gibt, und zwar in einem Verhältnis von ca. 1:4 (Romme 2003), eben auch als spirituelle Erfahrung (Walsh, R. N. 1997). 69 5.2 Auf welche Stimmen hören wir? Diese Frage gilt immer und für jeden von uns. Quadrant rechts unten Für G. Bush war das die Frage, ob er auf die Stimme von Hans Blix, dem Waffeninspekteur der UNO hört und damit auf die Völkergemeinschaft oder auf die Stimme seines Geheimdienstes. In dem Film Fahrenheit 9/11 des US-amerikanischen Produzenten Michael Moore, sieht man, wie G. Bush minutenlang in der Situation, in der er sich gerade befand in einer Kindertagesstätte - , erstarrt und verharrt, als er die Nachricht vom 2-ten Einschlag in den Twintowers ins Ohr geflüstert erhält. Er wirkt verstört und handlungsunfähig, ja dissoziiert. Erst in den nächsten Tagen, offensichtlich – stark instruiert von seinen Berater-Stimmen, verwandelt er sich zum kriegerischen Vorbereiter des Afghanistan - und Irakkrieges, wird also zum Täter. Auf welche Stimmen hatte er da gehört und wie viel Wahnsinn ist seither zusätzlich in die Welt gelangt? Wo in sich selbst hätte er Orientierung finden können? Wie viel Lüge in den Stimmen, auf die er gehört hatte, enthalten war, wissen wir inzwischen. Lüge und Verwirrung sind offensichtlich wesentliche Bestandteile solcher wahnsinnigen Entscheidungen. Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst, ist ein schon oft zitierter Satz. Seit Beginn des Irakkrieges sind inzwischen mehr Amerikaner umgekommen als durch die Anschläge des 11. Sept. und es sind 100-tausende Iraker ums Leben gekommen2. So gelangte wieder einmal der Wahnsinn mit einer auf Lügen und Verwirrung gegründeten Handlungskette als äußeres Katastrophen-Ereignis - Werte zerstörend und Werte verwirrend - in die betroffenen Familien, denn am Ende der kriegerischen Handlungskette stehen immer Familien, also Angehörige und Opfer. Individuen. Und dann stellte sich auch in Europa diese Frage und wurde unterschiedlich beantwortet. Tony Blair hörte auf andere Stimmen als Gerhard Schröder. Es schien also möglich genau und anders hinzuhören und zu unterscheiden, auf wen oder was man hört. Um Wahnsinn aufzuhalten gilt also: Glaube nicht alles, was Du denkst oder hörst! Lerne Deine Gedanken und innere Stimmen in einem qualitativ hochwertigen Kontakt zu beobachten und zu prüfen, bevor Du nach ihnen handelst und zwar je gewichtiger Deine Entscheidung ist, die Du zu treffen hast. Eine im Oktober 2006 von The Lancet veröffentlichte und von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore durchgeführte Studie geht von 392.979 bis 942.636 zusätzlichen Todesfällen im Irak durch Kriegsfolgen aus. 2 70 Stimmen, die im Vertrauen miteinander bestehen können und unsere sozialen Kontakte verbessern und bereichern, können wir getrost als inspirierend, nützlich, hilfreich und integrierbar betrachten. 5.3 Daraus möchte ich folgende Schlüsse ziehen: nicht die Psychose ist der Wahnsinn, sondern der kollektive, unbewusste Wahnsinn, angesammelt in verrückten Denkmodellen und entwertenden Konzepten (wie z.B. Rassismus, Antisemitismus, Machismus, patriarchalem Denken, Profitmaximierung, Ausbeutung und Armut usw. was zu schlimmsten mit Lüge, Verrat und Intrigen einhergehenden (Kriegs)-Katastrophen führt, hallt letztendlich auch in Psychosen, Stimmen und Dissoziationen wieder. Es sind also wahnsinnige und verrückt machende Ereignisse und Handlungen, wie der Wahnsinn z.B. des 11. Sept. 2001, der Wahnsinn des Irakkrieges, der Wahnsinn des 2-ten Weltkrieges, der Wahnsinn des Vietnamkrieges, der Völkermord in Ruanda und Dafur… diese Liste ist sehr, sehr lang… also kollektive Traumatisierungen, die in Familien verwirrend, entwertend, verrückt machend, hineinwirken und dort individuell zu konkreten, weiteren schwersten Traumatisierungen führen, die dann z.B. auch neurobiologisch zu Vulnerabilität und Psychosebereitschaft gerinnen können. »Gesellschaften, die Krieg führen und fortführen, folgen möglicherweise traumatisch bedingten Wiederholungszwängen. Unverarbeitete Kriegstrauma fließen vielleicht in korrupte Wert -und Normenvorstellungen einer Gesellschaft ein (Streek-Fischer et al., 2001). « Eine Zivilisation, die solche wahnsinnigen Ereignisse erschafft, wie den Irakkrieg und den Terror des 11.Sept. 2001, hat stark verrückte Wertbildungsprozesse, die sich in den Individuen wiederfinden, die dann in ihren systemischen Zusammenhängen zu Tätern und Opfern werden. 5.4 Systemische Betrachtung Beide untere Quadranten Franz Ruppert, Prof. für Psychologie in München, beschreibt durch seine Erfahrungen als Therapeut mit Familienaufstellungen, wie Traumatisierungen durch Generationen hindurch gereicht werden. Er spricht speziell von Bindungstraumatisierungen und Systembindungstraumatisierungen. (Ruppert 2002, 2005, 2007) In diesem Verständnis ist die frühe Zeit der Ausbildung des Bindungsverhaltens zwischen dem noch sehr kleinen, abhängigen Kind und seinen Eltern der Zeitraum, in dem die systemischen Prägungen, auch die traumatischen, von Generation zu 71 Generation über die existentielle Notwendigkeit der Spiegelungs- und Bindungsvorgänge weitergereicht werden. (vgl. Grossmann & Grossmann 2003) Auf diese Weise würden also Wertevorstellungen und Handlungsmuster einer Trauma reproduzierenden Zivilisation innerhalb der konkreten Traumafolgestörungen der Eltern an die Kinder weitergereicht. Selbst habe ich diese Vorgänge in vielen Familienaufstellungen, an denen ich teilgenommen und in solchen, die ich geleitet habe, schon miterlebt. Wenn heutzutage in der klinischen psychiatrischen Arbeit überhaupt schon nach Traumatisierungen bei Psychosen geschaut wird, so ist der Schritt zur Einbeziehung der systemischen traumatischen Belastungen noch gar nicht getan. Damit fehlt in der klinischen Arbeit derzeit noch ein wichtiges Verständnis, wie die kollektiven traumatischen Geschehnisse in die Familiensysteme gelangen und hier dann zu der individuellen Traumageschichte verdichtet werden. Und es fehlt dann auch der Horizont in dem so existentiell erschütternde Erfahrungen wie Psychosen ihren (systemischen) Kontext finden könnten. Mit dieser systemischen Sichtweise, gewinnt ein altes politisches Verständnis neue Aktualität: dass es gesellschaftliche, zivilisatorische Vorgänge sind, die psychisches Leiden und Krankheiten erzeugen können. Allerdings ist der Vorgang nicht nur einfach im äußeren, politischen Leben unserer Zivilisation zu suchen, sondern betrifft unsere Familien und reproduziert sich dort z.B. in sexueller oder körperlicher Gewalt und durchzieht uns bis in die Biochemie unserer Nervenzellen und bis in die Qualität unserer Gedanken und inneren Stimmen. Das ganze Holon »Mensch« ist betroffen. Das entscheidende Bindeglied zwischen den äußeren Ereignissen und den transgenerationalen Folgen ist das Traumaverständnis in seiner psychodynamischen und neurobiologischen Auswirkung auf das Bindungsverhalten zwischen Mutter, Vater3 und Kindern! 6. der Schmerzkörper E. Tolle, ein bekannter spiritueller Lehrer unserer Tage und Autor mehrerer Bücher (Tolle 2002, 2005), nennt die Gestalt der kollektiven, transgenerationalen und individuellen Traumatisierungen: den „Schmerzkörper“. Das Verständnis von S. Grof der Systeme verdichteter Erfahrungen (Coexsysteme) (Grof, S. 1985) ist dem Begriff des Schmerzkörpers verwandt. 3 Hier möchte ich im Unterschied zu Franz Ruppert betonen, dass Bindung und Bindungsstörung zwischen beiden Elternteilen und dem Kind stattfinden kann. Das sieht man im positiven Fall auf Frühgeborenen Stationen, wo Väter in gleicher Weise beim Aufbau von Bindung beteiligt werden. Gerade hier zeigt sich Bindung auch zum Vater als entscheidender Resilienzfaktor beim Überleben zu früh geborener Kinder!! 72 Dieser Schmerzkörper kann in jedem von uns und auch kollektiv unbewusst zur Wirkung gelangen4. Die Empfindlichkeit, mit der er zur Wirkung gelangt, wäre im psychiatrischen Sinne als Vulnerabilität zu verstehen und die Traumanetzwerke sind das neurobiologische Substrat dieses Schmerzkörpers. Wird durch die Aktivierung des Schmerzkörpers ein alter traumatischer Bereich, ein Traumanetzwerk aktiv, so kann die Alltagswahrnehmung desintegrieren, bzw., dann ist der Hauptabwehrvorgang - bei Aktivierung von traumatischer Erfahrung - die Dissoziation oder Spaltung. Umgekehrt kann man sagen, Spaltungsprozesse sind eigentlich immer traumatisch bedingt. wir sind dann von Sinnen, nicht mehr präsent, in Bruchstücken eines alten Katastrophenfilms gefangen, den wir als gegenwärtige Realität erfahren, mit entsprechenden neurobiologischen Konsequenzen. völlig damit beschäftigt unser Überleben zu gewährleisten. So sind diese Eindrücke nur schwer relativierbar und nehmen bei mehr und mehr traumähnlicher Entstellung und vor allem bei daraus resultierenden Handlungen psychotische Qualität an.5 »So wie eine nicht versorgte körperliche Wunde sich entzünden und eitern kann, so kann eine existentielle psychische Wunde alpträumen, also Psychose erzeugen (Gemsemer 1997). « E. Tolles Auseinandersetzung mit diesem Schmerzkörper, also der individuellen und kollektiven Traumageschichte, besteht sehr vereinfacht gesagt im Erlernen von Geistesgegenwart, Präsenz, d.h. aus dem Ankommen im Hier und Jetzt und in der Fähigkeit zwischen Gedanken, Phantasien, Erinnerungen, also Objekten im Bewusstsein und Wahrnehmung unterscheiden zu können: Wahrnehmen statt denken. Das ist nun aber bei Traumafolgestörungen und damit auch bei allen dissoziativen Persönlichkeitsstörungen nicht so einfach, weil die traumatisch bedingte Störung der zerebralen Informationsverarbeitung die zeitlich lineare Einordnung des traumatischen Geschehens so sehr erschwert. Daher sieht man, dass Therapiemethoden, wie die dialektisch behaviorale Therapie nach M. Linehan6 (Linehan 1993, 1995), die sich mit dissoziativen Störungen befassen und erfolgreich sind, an der Schulung der Wahrnehmung, Achtsamkeit und Präsenz der Betroffenen arbeiten. Damit sind, etwas versteckt, Methoden spiritueller Schulung zur Bewusstseinsevolution in psychiatrische Behandlungsmethoden eingeflossen. 4 Besonders in Übergangszeiten, wie Adoleszenz oder bei Identitätserschütterungen oder durch Drogenmissbrauch. Hier könnte eine weitere Arbeit einsetzen, in der zu überlegen wäre, ob die Fähigkeit das Traumageschehen beträumen zu können, nicht als eine Schutzfunktion und Fähigkeit der menschlichen Psyche im Umgang mit Traumatisierung beschrieben werden kann. 6 M. Linehan hat übrigens schon mit Pater Williges (Zenmeister) gemeinsam Seminare gegeben. 5 73 12. Spiritualität als Resilienz7faktor Dass Spiritualität ein wesenseigenes Phänomen ist, wird in der transpersonalen Psychologie beschrieben. Kinder zeigen noch manchmal diese von äußerer religiöser Zugehörigkeit unabhängige, wesenseigene Spiritualität spontan. Als meine Tochter ca. 3 Jahre alt war, beobachtete und hörte ich eine heftige religiös-spirituelle Debatte mit ihrem damaligen gleichaltrigen Freund. Dieser war sehr aufgeregt, empört und schlug mit seiner flachen Hand gegen unsere Wohnungstüre, und sagte sehr laut: » Soll das vielleicht Gott sein!«. Meine Tochter hatte kurz zuvor offensichtlich behauptet, dass Alles-Was-Ist Gott ist, demnach also auch die Haustüre. Ein anderes Mal, da war sie dann ca. 8 Jahre alt, hörte ich eine solche spirituellreligiöse Debatte mit einer Freundin, als wir in den Ferien über ein großes Feld spazierten. Die Freundin kicherte, schaute nach unten und sagte: »Dann stehe ich ja auf Gott.« Meine Tochter antwortete ziemlich trocken: »Gott steht auf Gott! « Diese wesenseigene Spiritualität müsste dann natürlich in unserer Entwicklung aufgegriffen werden und mit reifen, was in unserer Kultur vielfältigen Störungen unterliegt. So verbleibt diese kindliche Spiritualität oft unentwickelt und kann dann im Falle von Krisen nur bedingt als Unterstützung dienen. Im Falle von traumatisch bedingter Abspaltung dieser kindlichen Spiritualität können die abgespaltenen Teile auf der Altersstufe der Traumaerfahrung verbleiben. Das hieße z.B., ein durch Traumatisierung verlorenes Urvertrauen könnte in einer religiösen Wahnbildung abgespalten wieder zum Vorschein kommen. Wir wissen seit S. Freud, dass Symptome eine Kompromissbildung sind zwischen konstruktiven und destruktiven Kräften. Angewendet auf die religiöse Wahnbildung könnte das bedeuten, dass die spirituelle Dimension des Symptoms das konstruktive Element wäre, basierend auf einer wesenseigenen spirituellen Tiefe des Bewusstseins, dass jedoch besonders die Isolation und Abspaltung die zugehörigen Wahn bildenden Phänomene sind. Immer wieder tauchen im Bewusstsein der Psychoseerfahrenen, z.B. im Inhalt und in der Qualität der Stimmen religiöse Empfindungen auf, die aber wahnhaft anmuten oder gar schädliche Auswirkungen durch die unter Umständen verrückten Anweisungen der Stimmen auf die Betroffenen haben. In der Fragmentierung des Bewusstseins fällt man nicht zwangsläufig in die »Hölle« sondern manchmal auch in den »Himmel«, oder meistens in eine Mischung aus beidem. Daher gilt es hier den Unterschied zwischen den religiösen Konzepten und Gedankeninhalten und der spirituellen Bewusstseinsqualität zu begreifen. Gelingt es, diese spirituelle Bewusstseinstiefe durch Kontaktaufnahme zu integrieren, so ist das ein immenser Selbst-Stabilisierungsfaktor, ein Resilienzfaktor. Das heißt, dass neben der Desidentifikation von den destruktiven Bewusstseinsinhalten durch das Erlernen von Gewahrsein, das Herstellen eines 7 In der Psychologie wird mit Resilienz die Stärke eines Menschen bezeichnet, Lebenskrisen wie schwere Krankheiten, lange Arbeitslosigkeit, Verlust von nahestehenden Menschen, oder ähnliches, ohne anhaltende Beeinträchtigung durchzustehen. 74 qualitativ guten, also vertrauensvollen Kontaktes, in dem Präsenz enthalten ist, die kleinste spirituelle Einheit, das >Wir< - also Bindung - die entscheidende heilsame Kraft ist. »So wird in der Gestalttherapie Selbsterfahrung beschrieben und diese SELBST- Erfahrung ist die heilende integrative Qualität des Kontaktes, denn der vollständige Kontakt schafft Präsenz. Die Übung von Gewahrsein ist eine Desidentifikationsübung vom Denkprozess und entspricht den Meditationsund Kontemplationsübungen, die in den spirituellen Schulungen angewendet werden, um die spirituelle Wesenstiefe zu gewahren. Die grundlegende Methode ist also sowohl in der Gestalttherapie, als auch in der spirituellen Schulung,…, das Üben von Gewahrsein um das SELBST zu erfahren. « (Gemsemer 1997) Bei vollem Gewahrsein gibt es keine Identifikation mit dem Denkprozess und damit keine Wirkung des Schmerzkörpers. »Gewahrsein ist die Schnittstelle zwischen dem von der Gestalttherapie beschriebenen Kontaktprozess und den der Psyche innewohnenden spirituellen Dimensionen (ebd.). « Daher begibt man sich ja in spirituelle Übungswege, wie Meditation oder Yoga. Durch die Kontakterfahrung wird also das Annehmen und Loslassen des Schmerzkörpers von Kontakt zu Kontakt immer wieder gelernt, indem immer wieder Gewahrsein geübt wird. Ist diese Funktion verfügbarer, so besteht eine zunehmende Verbindung des Wachbewusstseins zum SELBST. Der Identifikationsfokus lockert sich, ist weniger starr und verschiebt sich zum SELBST. Das ist m. E. hilfreich und erforderlich, um einen von Psychose betroffenen Menschen wieder zur Selbsterfahrung zu begleiten. Hier wird nun deutlich, dass sowohl die Psychose Betroffene, als auch die Therapeutin durch diese quasi uralte spirituelle Praxis, der Desidentifikation vom Denkprozess und mit Hilfe des guten Kontaktes sich auf den Weg einer Bewusstseinsevolution begeben, wie sie in diesen alten spirituellen Übungswegen (Kontemplation, Zen, Vipassana, Yoga) schon vorgezeichnet waren. Demnach zeigt die Auseinandersetzung mit existentiellen psychischen Störungen wie Psychosen oder dissoziativen Störungen die Möglichkeit einer Bewusstseinsevolution auf, in der die verrückten Wertbildungsprozesse (Stimmen) geschaut, dadurch als relativ begriffen und entlarvt werden können. Und genau das Erlernen dieser Bewusstseinsqualität ist meines Erachtens auch für unsere Zivilisation notwendig, um den kollektiven Wahnsinn zu stoppen. Diese Perspektive ist demnach transrational - über das Denken hinaus gehend. Dann gilt nicht mehr Descartes: Ich denke also bin ich, sondern: Ich nehme uns wahr, also sind wir!! Es geht nur zusammen, nur durch vertrauensvolle Kooperation! 8. Aufbau von Bindung Für Psychose erfahrene, traumatisierte Menschen und ihre therapeutischen Begleiter stellt sich also die Aufgabe den Traumafolgeprozess, die Zerstörung von Vertrauen und Kooperation wieder umzukehren. 75 D. h.: Bindung wieder herstellen, und diese geschützt sicher, verlässlich, übersichtlich, berechenbar, eben wieder vertrauenswürdig erscheinen zu lassen. Und – das ist die erweiterte spirituelle Perspektive- die Desidentifikation vom Denken zu fördern. Also Vertrauen wieder aufbauen. Das ergibt die Chance von gutem Kontakt in dem o. g. Sinne. In diesem guten Kontakt können dann die durch das Trauma bedingten (psychotischen) Alpträume und Stimmen in einem neuen sinnvolleren, dem eigentlichen Kontext verstanden werden. Hierzu müssten die als Gegenwart und Realität erscheinenden Eindrücke als Trauma bedingte, traumähnlich verzerrte Erinnerungen verstanden werden. Durch diese Entzerrung und neue Zuordnung kann klar werden, dass solche Erinnerungen keine Macht mehr über die Gegenwart besitzen, was ja ursprünglich in der traumatischen Realität sehr stark der Fall war! Hierzu bedarf es aber u. U. eines geduldigen Wiedererlernens der Fähigkeit die Traumaereignisse und Folgeerscheinungen als Erinnerungen zu erkennen, weil diese Funktion ja zusammengebrochen war, wobei uns das Erlernen von Gewahrsein hilft. So werden die höheren Funktionen des Gehirns zur Synapsenbildung dadurch anregt, dass man sie benutzt (Use it or loose it). 8. Zusammenfassung Eine spirituelle Perspektive zum Thema Psychose und Stimmenhören erweitert den Horizont vom Individuellen hin zum Kollektiven, zum politischen Begreifens der Gedanken, Vorstellungen und Konzepte, die zu Traumageschichte und Traumakultur geworden sind, in der wir leben, zeigt, dass schwere psychische Störungen wie Psychosen und dissoziative Störungen dadurch entstehen, dass das Wertvollste, was wir haben – Vertrauen und Bindung - zerstört wird. dass uns dies bis in unsere Biochemie und Gedanken hinein durchdringen kann. dass die Stimmen der Psychosen - so gesehen - um Hilfe rufen und gehört werden wollen. Infolgedessen setzt Heilung Wiederaufbau von Vertrauen und Bindung voraus. 76 ist sichere Bindung die Realisierung von Spiritualität im Alltag. Und eine spirituelle Perspektive zum Thema Psychose und Stimmenhören verbindet die qualitativ hochwertigen Stimmen Innen und Außen, hebt also Isolation auf. stärkt die Selbstposition gegenüber destruktiven Prozessen und destruktiven Stimmen. zeigt, dass Kooperation die Grundlage jeglichen sozialen, politischen und psychisch gesunden Zusammenlebens ist. erfasst die Relativität jeglicher Stimmen und jeglichen Denkens und gibt dem Denken seinen Platz als Werkzeug, statt Denken als persönliche Identität zu begreifen. Letzteres ist ein evolutionärer Schritt im menschlichen Bewusstsein, den zu gehen uns unsere spirituelle Entwicklung auffordert, damit wir Gedanken und (psychotische) Stimmen in ihrer relativen Bedeutung verstehen. 9. Abschluss Als der Wasserstoff (H2) und der Sauerstoff (O2) nach langen galaktischen Verhandlungen, in denen sie Rechthaberei und Starrsinn, Eitelkeit und Gier überwinden mussten, übereinkamen zu kooperieren, entstand das Wasser(H2O). Meere, Flüsse, Bäche, Seen, der Regen, das Eis und der Schnee, Tümpel und Pfützen, der Nebel, der Dunst und der Morgentau wurden geboren. 10. Literatur: Aderhold, V. (2005): Traumaforschung bei Menschen mit psychotischen Störungen. In Schizophrenie: Mitteilungsorgan der gfts58 Jahrgang 21 Bauer, Joachim (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hamburg Dörner, Klaus und Plog, Ursula (1978): Irren ist menschlich. Wunstorf/Hannover Dreitzel, H. P.( 1992): Reflexive Sinnlichkeit. Mensch, Umwelt, Gestalttherapie. Köln Fromm-Reichmann, F.(1940): Notes on the mother role in the family group.. In: Bull. Menninger Clin., 4, S.132-145. Galuska, J.( 1996): Transpersonale stationäre Psychotherapie. In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. Nr. 1 Petersberg 77 Gemsemer (1997): In: Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie. Nr. 1 Petersberg Transpersonale Aspekte der Gestalttherapie in der Psychosetherapie. Grof, S. 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Aber hast du sie einmal unter Kontrolle, so kann dir niemand behilflicher sein. Nicht einmal mehr dein Vater oder deine Mutter. Dhammapada8 In dem vorliegenden Vortrag beschäftige ich mich mit dem Zusammenhang von Psychotherapie und Meditation im Arbeitsfeld der psychosomatischen Medizin. Es soll herausgearbeitet werden, wie sich Psychotherapie und Meditation gegenseitig ergänzen und befruchten -, ohne sich jeweils ersetzen zu können. Wirksame Schnittstellen von Psychotherapie und Meditation werden im Erlernen von Desidentifikation und in der Entwicklung zunehmender Achtsamkeit erkannt. In der Psychotherapie geschieht dies, um sich von Störungen und Leid zu befreien, wobei unumgänglich Bewusstseinsvertiefung erlernt werden muss und dadurch qualitative strukturelle Bewusstseinsveränderung bei wirksamer Psychotherapie entsteht. In der Meditation ist die Reihenfolge umgekehrt. Hier wird Vertiefung und qualitative Veränderung des Bewusstseins angestrebt. Im Idealfall führt dies zu Befreiung von Leid und Störung, im Regelfall zu Entspannung und verbesserter Gesundheit, was zudem mit der Identifikation mit tieferen und weiteren Bewusstseinsräumen einhergeht, die über das Persönliche hinausgehen. Zwischen Meditation und Psychotherapie liegt also die Polarität eines störungsorientierten Modells und dem einer Salutogenese. Dazwischen befinden sich selbstverständlich viele Übergänge. So hat die Psychotherapie inzwischen viele Aspekte von Ressourcenorientierung und Salutogenese in ihren praktischen Alltag aufgenommen, während in der Meditationspraxis manchmal Störungen auftauchen, die ein therapeutisches Eingreifen erforderlich machen. Einleitung In der täglichen Arbeit mit den Patienten ist es in meiner Erfahrung zunächst einmal wichtig, die Wirksamkeit der Bewusstseinsvertiefung ohne ideologische Anklänge in den klinischen Alltag zu holen und therapeutisch nutzbar zu machen und damit in der erfahrenen Wirkung, die Effizienz der Verbindung beider Methoden - Psychotherapie und Meditation - zu belegen. Dann ergibt sich für die Patienten - im Wortsinne »wie von Selbst« - eine Einsicht in die Wirksamkeit von Bewusstseinsvertiefung zur Verbesserung ihrer Lebensqualität sowie zur Überwindung der vorhandenen Störungen. Dass wir in der Psychotherapie dabei die Werkzeuge benutzen, die schon immer in spirituellen Schulungen genutzt wurden, ist quasi folgerichtig und wird heutzutage nur 8 Der Dhammapada ist eine Anthologie von Aussprüchen des Buddha. Dabei sind die Verse so ausgewählt, dass sie den Kern der Lehre des Buddha wiedergeben. Es ist einer der bekanntesten Texte dieser Lehre 80 mit Hilfe anderer Namen modernisiert. So ist inzwischen MBSR9 in den klinischen Alltag der Psychosomatik eingezogen, stellt aber im Grunde eine modernisierte Anwendung alter spiritueller Werkzeuge zur Bewusstseinsentwicklung, kombiniert mit zeitgemäßer Psychoedukation, dar. Oder nehmen wir die dialektisch behaviorale Therapie nach M. Linehan (Linehan 1993, 1995) als inzwischen in der Psychiatrie weit verbreitetes, evaluiert wirksames und also wohl akzeptiertes Werkzeug in der Arbeit mit Patienten, die an Strukturproblemen wie Borderline-Störungen leiden. Eine modernisierte Anwendung auf dem Hintergrund des Zen-Buddhismus. Auch hier sind wesentlich Module zur Schulung von Achtsamkeit beteiligt. In ihm eigener Weise hatte schon Fritz Perls die tiefenpsychologische Psychotherapie mit Hilfe von Werkzeugen auch aus dem Zen-Buddhismus als Gestalttherapie neu erfunden und hat vielleicht, ohne es so zu benennen, eine der ersten wirkungsvollen Synthesen aus Psychotherapie und (spiritueller) Bewusstseinsschulung geschaffen. Durch das Wissen um tiefere Bewusstseinsräume - und das Zugänglichmachen derselben, wie z.B. von S. Grof (1983, 1985, 1987) beschrieben - wissen wir, dass es dabei immer um die Erfahrbar- und Nutzbarmachung von bereits in uns existierenden, heilsamen Bewusstseins Qualitäten geht. Oder wie Thich Nhat Hanh (2008, S. 121) es heutzutage sagt: „[…] denn das nachdem wir suchen, ist bereits in uns.“ Daher sind meine Thesen: dass unser Bewusstsein in seiner Essenz und Tiefe heilsame Qualitäten enthält, die in der Vertiefung und Evolution von Bewusstsein zugänglich werden und so zur Heilung psychosomatischer Störungen wesentlich beitragen, dass im Umkehrschluss bestimmte psychosomatische Erkrankungen Störungen im Fortschreiten der Bewusstseinsevolution sind und dass Menschen, die von solchen Störungen betroffen sind, einem leidensbedingten Entwicklungsdruck unterliegen, der sich als Symptom manifestieren kann und sie so zum Fortschreiten ihrer Bewusstseinsentwicklung auffordert. Wir können auch mit K. Wilber (2006, 2007) von einem Emergenzdruck sprechen, in dem Sinne, dass neue Bewusstseinsstrukturen selbstheilend aus größerer Tiefe hervortreten wollen. Die Blockade oder die Störung, die als psychosomatische Diagnose fassbar wird, ist dann so gesehen ein Kompromiss zwischen Festhalten und Loslassen, zwischen Erneuerung und Tradition, zwischen Befreiung und Gewohnheit, zwischen Identifikation und Desidentifikation. Das funktionale und das dysfunktionale Dreieck In meiner klinischen psychosomatischen Tätigkeit begegnete mir immer wieder folgendes Dreieck, das in den psychoedukativen Gruppen Angst und/oder Depression zur Anwendung gebracht wird. 9 Mindfullness based stress reduction nach John Kabat Zinn 81 Das Dreieck stammt aus der Arbeit des US-amerikanischen Psychiaters und Psychotherapeuten Aaron Temkin Beck10. Er gilt als Vater der kognitiven Verhaltenstherapie und somit der kognitiven Wende in der Psychotherapie, wodurch Beck wesentlich zur verhaltenstherapeutischen Arbeit mit depressiven Störungen beigetragen hat. Von ihm stammt z.B. der „BDI“- Becks Depresssionsinventar - der der klinischen Einschätzung des Schweregrades der depressiven Stimmungslage bis heute dient. Seine kognitive Methode setzt an den negativen Denk- und Betrachtungsweisen und den daraus resultierenden automatischen Gedanken an. Beck sieht psychische Störungen also als Folge fehl angepasster Einstellungen einer einseitigen Betrachtungsweise, resultierend aus unbewussten Gedanken und den daraus resultierenden Denkfehlern. Hierunter versteht Beck schnell (d.h. unbewusst) ablaufende, blitzartig auftretende, subjektiv plausibel erscheinende und sich unfreiwillig einstellende Kognitionen/Gedanken, die zwischen einem Ereignis (externaler oder internaler Art) und einem emotionalen Erleben (Konsequenz) liegen. Diese automatischen Gedanken sind zumeist im Sinne von typischen Denkfehlern verzerrt11. Diese sich aufdrängenden automatischen Gedanken sind den Patienten zumeist zu Beginn der Therapie nicht bewusst, können jedoch bewusst gemacht werden und sind dadurch der therapeutischen Bearbeitung zugänglich. Der Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Handlungen ist also ein erlebtes Ereignis und wird in der Wiederholung zu einem Muster. Beck selbst nannte diese Muster Schemata. Wichtig dabei ist, zu verstehen, dass Gedanken und Gefühle in uns eng verknüpft sind und dass sie sich blitzschnell spiegeln und hochschaukeln können und dabei mit entsprechender Biochemie, Physiologie und Verhaltensimpulsen einhergehen. Im Weiteren nehme ich ein blaues Dreieck als Repräsentant für dysfunktionale Muster und ein weißes Dreieck für erlernte funktionale/gesunde Muster, also Ressourcen. Auch der Patient in der Verhaltenstherapie muss die dysfunktionalen Muster erkennen, bevor er sie ändern kann, und er muss das Loslassen von den alten Mustern irgendwie vermittelt bekommen. Folglich strebt die kognitive Verhaltenstherapie an, dass der Patient lernen soll (F7) · · seine negativen, automatischen Gedanken (Kognitionen) zu kontrollieren die Zusammenhänge zwischen Denken, Fühlen und Handeln zu erkennen 10 *18. Juli 1921 in Providence, Rhode Island 11 siehe Anhang 82 · · · zu prüfen, was für oder gegen sein gestörtes automatisches Denken spricht diese einseitigen Kognitionen durch ein stärker an der Realität orientiertes Verständnis zu ersetzen zu lernen, die irrigen, depressiogenen Überzeugungen, die seine Erfahrungen verzerren, zu erkennen und zu ändern. Hier werden bereits erhebliche Ansprüche an die Weiterentwicklung der Konzentrationsfähigkeit, Erforschung der Bewusstseinsinhalte, Bewusstheit der Muster/Schemata, Fähigkeit zur Desidentifikation, also der Steuerungsfähigkeit und damit an die Entwicklung von Bewusstseinsstrukturen Kontaktfähigkeit zu Therapeuten gestellt! Ziehen wir an dieser Stelle die 5 Grundprinzipien der Meditation aus dem Vortrag von D. Galuska vom 30.11.2009 in Bad Kissingen heran. Die Grundprinzipien der Meditation sind: Konzentration Erkenntnis Bewusstheit Hingabe Steuerung Wir sehen bereits jetzt eine verblüffende Gemeinsamkeit: Krise versus „Jetzt, die heilende Kraft der Gegenwart“ (Tolle 2002) Zurück zum Klinikalltag: Wenn die Patienten mit ihrer Symptomatik in der Klinik ankommen, sind sie mit ihren bisherigen Möglichkeiten, die angefallenen Herausforderungen in ihrem Leben zu bewältigen, in eine Sackgasse geraten. Die vorhandenen Fähigkeiten und Möglichkeiten reichen nun nicht mehr aus, beziehungsweise sind inadäquat, um die gegebenen Herausforderungen zu bewältigen. Die individuelle Integrationsfähigkeit ist zusammengebrochen. Sie befinden sich im Zustand einer mehr oder weniger ausgeprägten Erschütterung. 83 In der Stagnation oder gar Desintegration entstehen die jeweiligen Symptome, ob nun in Form von Angst, Depression, somatoformer Störung oder auch Sucht und Psychose. Natürlich ist die gegenwärtige Integrationsunfähigkeit von biographischen, familiären und auch transgenerationalen Problemkonstellationen abhängig und baut auf der individuellen, gegebenen Konstitution und Vulnerabilität auf. Dies alles wird vom Patienten in seiner speziellen eigenen, individuellen Art und Weise erlebt und in Symptomen verarbeitet, solange die Integrationsfähigkeit nicht wiederhergestellt ist. Wir sehen also, dass es neben den individuell vorgegebenen, konstitutionellen Bedingungen ein Erfahrungsspektrum und eine darin enthaltene Integrationsfähigkeit gibt, welche durch entsprechende Selbst-Erfahrungen geprägt werden. Es handelt sich um: transgenerationale perinatale Bindungserfahrungen biographische life-events und gegenwärtige Erfahrungen Erfahrungen sind immer Beziehungserfahrungen mit Personen oder mit anderen Teilen der Welt und können funktional oder dysfunktional sein. Und in der Ganzheit dieser Erfahrungen formt sich und formen wir unsere Integrationsfähigkeit innerhalb unserer Persönlichkeitsentwicklung. Damit aber ist das Dreieck - sind die Schemata - überall im Spiel als funktionales (weißes) oder dysfunktionales (blaues) Muster und bestimmen sowohl unsere 84 Persönlichkeitsentwicklung als auch unser gegenwärtiges Denken, Fühlen und Handeln, also unser gegenwärtiges Erleben, solange die Muster unbewusst bleiben. Veränderung Im wohlbekannten Schema, welches den Angstkreislauf beschreibt, sehen wir, wie eine gegebene Situation als äußerer Reiz dargestellt, wahrgenommen und unmittelbar als Bedrohung fehlinterpretiert wird, sodass Angst entsteht. Damit ist das schematische Dreieck in Gang gesetzt und erzeugt Gefühle, die sich biochemisch auswirken. Die klinische Erfahrung zeigt, dass Gedanken sich unmittelbar in Gefühlen spiegeln können, und E. Tolle (2002) weist darauf hin, dass Gefühle die Widerspiegelung der Gedanken im Materiellen seien. Gefühle haben erfahrungsgemäß eine starke körperliche Komponente und verfügen entsprechend über eine eigene Biochemie. Die biochemische Reaktion wird zur physiologischen und diese wiederum erzeugt weitere körperliche Symptome, sodass die Angst verstärkt körperlich wahrgenommen wird. Damit ist der oben dargestellte Angstkreislauf in Gang gesetzt und kann sich in kürzester Zeit dramatisch bis zur Panik steigern. Das heißt, dass die jeweilige mentale Interpretation einer äußeren Situation, sehr unterschiedliche biochemische Reaktionen hervorrufen kann. Dasselbe gilt natürlich auch für den Teufelskreis der Depression. Hier finden wir immer negative Gedankenmuster, also dysfunktionale Gedanken, welche die entsprechende emotionale Verstimmung der Trauer, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Verlustgefühle, Einsamkeit, Schuldgefühle, Gefühle der Gefühllosigkeit und Distanz zur Umwelt oder Besorgnis aufrechterhalten. Diese Gefühle gehen natürlich wieder mit der entsprechenden Biochemie einher, sodass physiologische Reaktionen entstehen. Körperlich wird das als innere Unruhe, Erregung, Spannung, Reizbarkeit, vor allem 85 auch als Schlafstörung, Appetitlosigkeit und Libidoverlust wahrgenommen, aber auch als andere allgemeine vegetative Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Erschöpfung. Manchmal kommen auch in der physiologischen Reaktion Symptome vor, die als Manifestation einer organisch bedingten Erkrankung missverstanden werden. Wenn sich eine depressive Verfassung nur auf dieser Ebene zeigt, hatte man früher von einer lavierten Depression gesprochen, während man dies heute als somatoforme Störung einordnen würde. Die Identifikation oder Desidentifikation mit unseren Gedanken und Gefühlen beeinflusst also das Verhalten der Serotonin/Noradrenalin/Dopamin-Moleküle und ihrer Rezeptoren und geht mit entsprechender Biochemie und weiterem physiologischen Geschehen einher. So wird nun klar, dass das Ziel jeglicher psychosomatischen Therapie die Veränderung eines bisherigen dysfunktionalen Schemas aus Gedanken, Gefühlen und Handlungen hin zu einer funktionalen, gesunden Möglichkeit aus eben diesen Gedanken, Gefühlen und Handlungen im sozialen und kulturellen Kontext sein müsste. Entsprechend beschäftigen sich die verschiedenen Therapieansätze mit der Auflösung der alten Schemata. Dies geschieht entweder gegenwartsorientiert durch Verhaltensänderung oder in dem an den biografischen, psychodynamischen Zusammenhängen gearbeitet wird, um die alten Schemata aufzulösen. Körpertherapeutisch lässt sich am somatischen Aspekt der Gefühle arbeiten, um dort das Muster zu unterbrechen. Immanent sind diesen Ansätzen jedoch selbstredend eine Verbesserung der Wahrnehmungsqualität und eine Vertiefung der Wahrnehmung, da etwas der Verarbeitung zugänglich gemacht wird, was bisher unbewusst und damit der Wahrnehmung nicht zugänglich war. Die Wahrnehmung in der psychosomatischen Psychotherapie dringt also in die Tiefe des bislang Unbewussten vor. Dem Dreieck fehlt jedoch noch etwas Wesentliches, nämlich der Aspekt, wer dieses Dreieck, wie - mit welcher Qualität und Differenziertheit 86 wahrnimmt und zwar in seiner mentalen, emotionalen, Werte-bedingten, handelnden und sozialen Dimension. Denn das gab es in der Beck'schen kognitiven Verhaltenstherapie noch nicht, dass man über eine Dimension der Wahrnehmungsvertiefung sprechen konnte. Genau dies taucht aber in neueren verhaltenstherapeutischen 12 Vorgehensweisen wie der ACT auf. Achtsamkeit Im Zusammenhang zwischen Psychotherapie und Meditation wird die Qualität und Verfeinerung der Wahrnehmung zur gemeinsamen Schnittmenge. Diese zu entwickelnde Qualität der Wahrnehmung müssen wir nunmehr zu unserem Dreieck in Beziehung setzen und stellen uns dies am ehesten als einen (Bewusstseins-) Raum rings um das bisher zweidimensionale Dreieck vor. Dieser Raum wird durch die Meditation eröffnet, sodass in der weiteren Vertiefung das blaue Dreieck bewusster und dadurch transparenter wird, das Muster also durchschaubarer und schließlich zu einem funktionalen Schema (weißes Dreieck) transformiert werden kann. Alle Meditationsübungen dienen dem Ziel der Verfeinerung und Vertiefung der Wahrnehmung hin zur Präsenz. Wir sitzen still und aufrecht auf einem Kissen oder einem Stuhl und legen auf diese Weise unser Verhalten fest. Wir tun nichts, außer still zu sitzen und beginnen nun zunehmend unsere Wahrnehmung zu qualifizieren. Das tun wir, in dem wir zum Beispiel beobachten, wie wir atmen und immer wieder zu dieser Wahrnehmung zurückkehren, falls wir abgelenkt werden. Hierdurch beginnt sich der Geist zu 12 12 Acceptance and Commitment Therapy, (Segal, Teasdale, Williams 2008) 87 beruhigen und Gedanken und Gefühle werden immer deutlicher als Objekte im Bewusstsein wahrnehmbar, werden also mehr und mehr von der Realität an sich differenziert, als welche Gedanken und Gefühle mehrheitlich in unseren derzeitigen kulturellen und mentalen Möglichkeiten noch erlebt werden. Wir lernen nun immer mehr die Wahrnehmung als solche und die darin enthaltenen Qualitäten zu erfahren. Das Bewusstsein an sich ist leer, umgibt die Objekte und durchdringt sie. „Leere ist Form und Form ist Leere“, sagen die Mystiker. So finden wir immer mehr Stille in uns, je mehr wir uns der Wahrnehmung selbst zuwenden. Dann tauchen zwar weiterhin Inhalte des Bewusstseins auf, werden aber immer weniger mit dem Bewusstsein selbst identifiziert, abgesehen davon, dass sie als Geschöpfe unseres Bewusstseins natürlich auch aus Bewusstsein bestehen. Nur wird nun der Angst oder den Depression die Grundlage genommen, da man sie so als eigene Gedanken-Schöpfungen zu erkennen vermag. Der in der Verhaltenstherapie angestrebte Vorgang, dass Gefühle (Angst) auftauchen und wieder abklingen, ist hier völlig selbstverständlich und wird durch die Meditation quasi beständig geübt. In gewissem Sinne üben wir so permanent eine Form der Impulssteuerung und verbessern damit z.B. die Fähigkeiten zur Selbststeuerung. Wir üben also in der Meditation eine sehr geeignete Form der Wahrnehmungsund Strukturverbesserung unseres Bewusstseins, die wir für die Selbsterforschung in der Psychotherapie nicht nur brauchen, sondern auch konstruktiv im Weiteren nutzen können. Dieser Vorgang relativiert die Position unseres Verstandes. Der denkende Verstand, die Ratio, verliert seine identitätsstiftende Funktion (»Ich denke also bin ich«) und findet seine ihm zukommende evolutionäre Position - nämlich ein bloßes Werkzeug zu sein. Wir lernen uns mehr mit der Wahrnehmung als solcher zu identifizieren und die Objekte als relativ zu begreifen. Damit wird natürlich das ganze bisherige Konzept der Persönlichkeit13 transparent für die sich nun zeigende, dahinterliegende Tiefe und Weite des Bewusstseins. Diese können wir hier in alter Tradition Seele nennen (Galuska 2005), waren doch alle Erfahrungen, die wir gemacht hatten, im Spiegel der Gegenwart zu Erinnerungen geworden und damit zu Objekten im Bewusstsein. Aus dieser Perspektive schauen wir also beseelt auf unsere Persönlichkeit und die darin enthaltenen Muster. Wir können dann sagen, unsere Seele erlebt eine Persönlichkeit, ohne darin verhaftet zu sein. Umgangssprachlich könnte man sagen, dass man sich aus dieser Perspektive durchschaut. Wobei das aus dieser Sichtweise freundlich, akzeptierend und wohlwollend, eben liebevoll geschieht. Durch das beständige Üben dieses Vorgangs, wird der beseelte Zustand zur neuen Struktur im Bewusstsein. Je deutlicher das einzelne Muster durchschaut wird, desto mehr werden aus dieser Perspektive die Gedanken-Gefühls-Verhaltensmuster zu etwas Wählbarem und können den Organismus nicht mehr wie die von A.T. Beck beschriebenen automatischen Gedankenformationen automatisch, d.h. unbewusst ergreifen und steuern. Aus psychotherapeutischer Perspektive müssten wir den Vorgang der Bewusstmachung für jedes einzelne dysfunktionale Muster vollziehen und dieses 13 Summe aus Erinnerungen von Selbsterfahrungen, also Interaktionen – immer enthaltend: Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen 1313 88 durch ein funktionales ersetzen - und das geschieht auch in der Therapie, ja muss sogar geschehen - solange der Raum, der jenseits der Identifikation mit den Mustern liegt, nicht aufrechterhalten werden kann. Hätten wir jedoch diesen Raum und diese Weite als psychische Struktur stabiler verfügbar in unsere Wahrnehmung integriert, müssten wir nicht jedes Mal das Rad neu erfinden, sondern verfügten grundsätzlich über eine Wählbarkeit, was die Ebene der Gedanken anbeträfe. Hier könnten wir evolutionär sowohl individuell als kulturell aber auch sozialpolitisch eine immense Kraft entfalten, wenn wir verstehen würden, dass und wie die Qualität unserer Gedanken, d.h. die Wählbarkeit derselben enormen Einfluss auf unsere Lebensqualität als Individuen und Gesellschaft ausübt. Wir gelangen hier zu einem Verständnis der Verfeinerung unserer Willensfunktion – zu einer qualitativen Zunahme des freien Willens - durch die Zunahme der Fähigkeit zur Desidentifikation. Das wirkt individuell körperlich bis zu den entsprechenden synaptischen Prozessen im ZNS als auch im Sozialen im Sinne geringerer Manipulierbarkeit (durch Stimulation unbewusster Prozesse). Um ein simples Beispiel zu nennen: Manipulation durch Werbung wäre dann nicht mehr möglich. Thich Nhat Hanh spricht hier vom Inter-Sein (2003) und schlägt in seiner modernen Übersetzung der buddhistischen Psychologie die achtsame Wahl aus Gedanken, Gefühlen und Handlungen vor. Die Vertiefung, Verfeinerung und Pflege der Wahrnehmung auf diesem Wege können wir Achtsamkeit nennen. Achtsamkeit ist demnach die Steuerungsfähigkeit der eigenen Aufmerksamkeit, eine sinnliche Wahrnehmung dessen, was hier und jetzt geschieht - reflexive Sinnlichkeit - unparteiisch, nicht wertend, aber voller Leidenschaft für das, was geschieht. Wir begeben uns auf diese Weise in die Raum-Zeit »Hier und Jetzt«, wo schöpferische Indifferenz erfahrbar wird und sich die Tiefe des Bewusstseins öffnet, aus der Neues emergiert. Wir können der Emergenz des Neuen sozusagen beiwohnen, die eigene Inspiration staunend wahrnehmen. Die qualitative Zunahme der Achtsamkeit erfolgt dadurch, dass die Aufmerksamkeit immer weiter ins »Hier und Jetzt« und damit in die Tiefe des Bewusstseins gelangt. Eben das verstehen wir unter Präsenz, nämlich dass die Aufmerksamkeit immer weiter ins »Hier und Jetzt« gelangt, sich ihrer selbst bewusst wird und uns damit die Tiefe und Weite unseres eigenen Bewusstseins erschließt. Achtsamkeit könnten wir demnach als eine Form von dynamischer Aufmerksamkeit beschreiben, die je gegenwärtiger, desto differenzierter funktioniert. Die Präsenz wird zur Stellschraube am Mikroskop der Aufmerksamkeit und stellt eine zunehmende Bewusstseinstiefe zur Verfügung, von der aus die geschauten Objekte immer brillanter und in ihrem Sinn verständlicher abgebildet werden. »Leer« oder »still« ist dann schon eine sehr feine Einstellung des Mikroskops. 89 Kontakt als wesentlicher Vertiefungsvorgang des Bewusstseins in der Therapie Seit Grawes (2001) Arbeit ist es inzwischen allgemeinverbindliches psychotherapeutisches Wissen, dass der qualitativ gute therapeutische Kontakt der wichtigste Faktor für eine heilsame Psychotherapie ist. Dieser Kontakt ist dann gut und heilsam, wenn darin Vertrauen (wieder) herstellbar wird. Dann kann der Patient neue heilsame Werte, die mit entsprechenden Gefühlen und dadurch mit veränderter Biochemie und anderem, nämlich heilsamem Verhalten einhergehen, annehmen und festigen. Vertraut sich der Patient an, dann wird er offen für die hoffentlich heilsamen Vorstellungen des Therapeuten. Wir sprechen moderner Weise von Compliance. Psychoedukation spielt hierbei eine wichtige Rolle, weil der Patient so wesentlich tiefer und differenzierter seine bisherige, durch die Störung beeinträchtigte Situation verstehen und wahrzunehmen lernt. Das ist aber nicht alles, sondern der vertrauensvolle Kontakt vertieft das Bewusstsein noch weiter, um es in die für Heilung erforderlichen Tiefen zu geleiten. Darüber habe ich bereits in dem Aufsatz „Transpersonale Aspekte der Gestalttherapie in der Psychosetherapie“ geschrieben (1997). Kurz zusammengefasst geht es um Folgendes: In einem heilsamen Kontakt, wie wir ihn in der Gestalttherapie verstehen und wie dieser modellhaft für psychotherapeutisches Vorgehen sein könnte, üben wir Achtsamkeit (in der Gestalttherapie awareness) in der Begegnung mit dem »Du«. In dieser Begegnung ist die Desidentifikation von Ego-Grenzen enthalten, die ja nun ihrerseits Gedanken Konstrukte sind. Wir erlauben das Entstehen eines »Wir«. Dieses »Wir« ist nicht einfach die Summe seiner Teile, sondern überraschend, nicht planbar, eben eine neue Gestalt. Bei vollem Gewahrsein und der darin entstandenen Präsenz gibt es keine Identifikation mit dem Denkprozess und damit keinen angstvoll kontrahierten Egoprozess, der den Kontakt dominieren könnte. Damit wird, um es mit anderen Worten auszudrücken, der seelische Raum jenseits des Egoprozesses geöffnet und die Verbindung zur Seele hergestellt, in dem unser Dreieck funktional ist und transformiert wird. Stephen Schoen, ein zeitgenössischer Gestalttherapeut, schreibt: „In der Tat, die Heilung in der Therapie ist die Entwicklung der spirituellen Fähigkeiten des Klienten, seine Tiefe der Selbst-Akzeptanz und sein Mitgefühl für andere. Nennen wir doch diese Einstellung zu sich selbst und anderen einfach ‚Liebe‘!“ Weiter schreibt er: „Die Heilung ist, was der Dialog im Inneren des Klienten erweckt, nämlich seine immer stärker werdende Selbst-Akzeptanz.“ (Schoen 2009, S. 4-6) Ein solcher heilsamer »Wir«-Kontakt öffnet demnach die der Psyche innewohnenden spirituellen Dimensionen und ermöglicht die Transformation vom blauen zum weißen Dreieck. Auf dem spirituellen Weg der Bewusstseinsvertiefung ist das der Weg der Hingabe, der existiert seit es Meditationslehrer und ihre Schüler gibt. In der Psychotherapie ist es der Placeboeffekt oder das was wir auch mit Compliance umschreiben, jedenfalls das therapeutisch wirksame Vertrauen. Evolution Desidentifikation von den Mustern und Identifikation mit der Tiefe und Weite unseres Bewusstseins wird hierbei zu einer wichtigen, neuen Fähigkeit, Tätigkeit und schließlich Struktur des Bewusstseins. Da alle unsere Konzepte und Vorstellungen von uns selbst zu unserer personalen Identität gehörten, führt uns die Desidentifikation über den personalen Bereich hinaus. Zunächst als wiederholt erfahrbare Zustände, durch Wiederholung und Übung jedoch zu einer neuen Struktur 90 werdend, die wir nunmehr auch transpersonal oder beseelt nennen können. Und genau das ist der zu erlernende Schritt in der Evolution des Bewusstseins, der uns eine wesentliche Hilfe bei der Heilung psychosomatischer Störungen sein würde. Hier haben wir nun eine Perspektive aus der die vorliegenden psychosomatischen Störungen viel leichter erkennbar und kontextualisierbar sind und in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeit verständlich werden. Hier finden wir die Perspektive, die sichtbar macht, was emergieren will. Wir haben also 2 grundsätzliche Vorgehensweisen die zu Vertiefungen des Bewusstseins führen: Jene psychotherapeutische Vorgehensweise, die sich anhand der Störungen in die Tiefe des Bewusstseins vor tastet. Das ist die Geschichte der Psychotherapie von Freud zu Jung und später dann zu Forschern wie Grof (s.o.) und Widmer (1989), in deren Arbeit die Berührung zu den spirituellen Dimensionen der Psyche im Geburts/Sterbeprozess ganz offensichtlich wird. Die meditative Vorgehensweise entlang der Verfeinerung und Vertiefung von Präsenz in den spirituellen Traditionen. Hier folgt die Vertiefung jener Gesetzmäßigkeit, wie sie von den alten und neuen Meditationsschulen beschrieben und inzwischen wissenschaftlich verifiziert wurde (Belschner 2009, Grossman et al. 2004). (Wenn Menschen diesen Prozess der Bewusstseinsvertiefung gemäß den Regeln und Abläufen der Meditation erlernen, machen sie also bestimmte, verifizierbare Erfahrungen. Um von einer Stufe zur nächsten zu gelangen, müssen die Objekte im Geist erkannt und losgelassen werden, sodass sich die Aufmerksamkeit verfeinern kann. Indem sich das Bewusstsein sich selbst zuwendet, werden bestimmte Erfahrungen also erst möglich. Das Erstaunliche hierbei ist, dass der Teil der Gedanken immer weniger wird, bzw. eine bestimmte Ethik der Kooperation entsteht und die Gefühle bestimmten Qualitäten, nämlich denen des Mitgefühls folgen und die Handlungen entsprechend ausgerichtet sind. All dies ist in der Summe wegbereitend und unabdingbar für psychosomatische Heilungsprozesse. Auf diese Art entsteht Salutogenese. Zusammenfassung Wenn wir akzeptieren, dass die Vertiefung von Bewusstsein einem evolutionären Prozess folgt, wie dieser in den großen spirituellen (mystischen) Richtungen aufgezeigt und von Einzelnen (Mystikern) bereits sehr weit beschritten wurde, könnten wir uns die Schlussfolgerung erlauben, dass unsere psychotherapeutische Arbeit innerhalb dieses Prozesses geschieht. Die Evolution des Bewusstseins hätte dann - so gesehen - die Psychotherapie in ihrer derzeitigen Erscheinungsform hervorgebracht. Genauer: Die Aufgabe der psychotherapeutischen Arbeit wäre es also, den in Stagnation geratenen evolutionären Prozess der Bewusstseinsvertiefung, der sich in psychosomatischen Symptomen äußert, immer wieder neu anzukurbeln. Aus dieser hier beschriebenen Perspektive sind wir Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten also Dienstleistende in der Bewusstseinsevolution unserer Zivilisation. Die Schwelle, an der dieser evolutionäre Prozess in unserer Zeit angelangt zu sein scheint, lässt sich somit als Herausforderung begreifen, über den rationalen Verstand hinaus zu gelangen und so die ausschließliche Identifikation mit dem rationalen Verstand aufzulösen, um zu jenen tieferen, heilsamen Schichten des Bewusstseins zu gelangen. 91 Der Verstand würde dann in der weiteren Bewusstseinsevolution zu einem wertvollen Werkzeug, würde aber seine Funktion als Identität verlieren. Wir würden also nicht unseren Verstand verlieren, sondern nur seine Funktion als Identität (Tolle 2002). Unsere Identität wäre dann mehr »Teil eines Ganzen« und stünde mit diesem Ganzen im achtsamen, beständigen Kontakt. Die Aufgabe der Identität wäre ein »Wir« mit diesem Ganzen zu werden und damit die Bewusstseinstiefe dieses Ganzen als Quelle für Heilungsvorgänge zu verstehen und zu nutzen. Mit Thich Nhat Hanh (2003) gesprochen, geht also um „Inter-Sein“ und die Lehre vom „Nicht-Selbst“. Mit zunehmender Bewusstseinsvertiefung werden auch die unterschiedlichen Lehren der therapeutischen Schulen zu nützlichen Objekten in unserem Geist, denen wir nicht mehr anhaften müssen. Wir können diese nunmehr als Werkzeuge zum geeigneten Zeitpunkt und entsprechenden Zweck verwenden und verfügen so über eine integrale Therapie. Die Perspektive, aus der wir diese Werkzeuge - Verhaltenstherapie, tiefenpsychologische Psychotherapie, Körperpsychotherapie etc. - zur Anwendung bringen, liegt jenseits der Perspektive der einzelnen Schule, kann diese aber nutzen. Es ist also die Vertiefung und Verfeinerung der gegenseitigen Wahrnehmung hin zu mehr und mehr Präsenz, die Heilung ermöglicht. Anhang A.T. Beck: 3. kognitive Triade: Die Gedankeninhalte betreffen das Selbst, die Welt und die Zukunft. Der Patient hat ein negatives Selbstbild, er beurteilt sich selbst als fehlerhaft, unzulänglich, wertlos und nicht begehrenswert. Diese Gedanken gehen so weit, dass der Betroffene denkt, ihm fehlen Eigenschaften, um glücklich zu sein. Außerdem neigt er dazu, sich zu unterschätzen und zu kritisieren. Erfahrungen werden in der Regel negativ interpretiert, subjektiv werden überwiegend Enttäuschungen und Niederlagen empfunden und auch die Zukunftserwartung ist negativ geprägt. Eine Veränderung der gegenwärtig empfundenen Situation wird ebenso wenig als möglich angenommen, wie eine eigene Beteiligung an dieser. 4. Schemata: Die genannten Kognitionen gehen auf Schemata zurück, die aus vergangenen Erfahrungen entstanden sind. Mit diesem Konzept wird erklärt, warum ein depressiver Patient trotz objektiver Belege für positive Faktoren in seinem Leben seine schmerzverursachende und selbstverletzende Haltung beibehält. Schemata sind hier stabile kognitive Verarbeitungsmuster, die sich in der Kindheit und Jugend herausgebildet haben. Sie können für längere Zeit inaktiv sein, aber durch bestimmte Umweltereignisse (z.B. Stresssituationen) reaktiviert werden. 5. kognitive Fehler: Aufgrund der in der Kindheit gelernten Schemata findet laut Beck bei Depressiven eine fehlerhafte Informationsverarbeitung statt, die dem von Piaget beschriebenen kindlichen Denken ähnelt. Die Annahmen sind eindimensional, global, invariabel, verabsolutierend oder irreversibel. Zu diesen Kognitionen führen u. a. folgende »Denkfehler« 5. Willkürliche Schlussfolgerungen: Ohne sichtbaren Beweis oder sogar trotz Gegenbeweisen werden willkürlich Schlussfolgerungen gezogen. 6. Übergeneralisierung nach dem Muster: Aufgrund eines Vorfalls wird eine allgemeine Regel aufgestellt, die unterschiedslos auf ähnliche und unähnliche Situationen angewendet wird. 92 7. Dichotomes Denken: Denken in Alles oder Nichts-Kategorien. 8. Personalisierung: Ereignisse werden ohne klaren Grund auf sich selbst bezogen. 9. Selektive Abstraktion: Einige Einzelinformationen werden verwendet und überbetont, um eine Situation zu interpretieren. Damit werden bestimmte Informationen auf Kosten anderer überbewertet. Zum Beispiel wenn jemand, der von allen gegrüßt wird, von jemandem nicht beachtet wird und denkt, dass ihn keiner mag. 10.Maximieren und Minimieren: Negative Ereignisse werden übertrieben und positive Ereignisse untertrieben. Zum Beispiel: »Dass ich einen bestimmten Abschluss hinbekommen habe, ist nichts wert. Aber, dass der Kunde heute noch nicht zurück gerufen hat, zeigt, dass ich ein schlechter Verkäufer bin!« 11.Katastrophisieren: Das Eintreffen oder die Bedeutung von negativen Ereignissen wird stark überbewertet. „Meinen Kindern wird bestimmt etwas Schlimmes passieren!" 12.Emotionale Beweisführung: Das Gefühl wird als Beweis für die Richtigkeit der Gedanken genommen. »Ich fühle, dass ich nichts wert bin, also ist das auch so!« 13.Etikettierung: Aus einer Handlung wird ein umfassender Sachverhalt gemacht, z.B. »Ich habe verloren - ich bin ein absoluter Verlierer!« 14.Gedankenlesen: Man meint ohne nachzufragen, die Gedanken der anderen zu kennen. „Die anderen denken, ich bin ein Versager!" 15.Tunnelblick (selektive Aufmerksamkeit): Jemand sieht nur einen bestimmten Aspekt seines gegenwärtigen Lebens. »Wenn ich Stress auf der Arbeit habe, dann ist mein Leben verpfuscht!« Literatur Beck, A.T. (1975): Cognitive Therapy and the Emotional Disorders. New York Belschner, W. 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In psychotherapy disidentification and awareness are used as a method to free oneself of disorder and suffering. This inevitably leads to the development of consciousness so that effective therapy creates the structural modification of consciousness as an outcome of effective psychotherapy. Meditation works the other way around. Its purpose is to deepen and modify consciousness. Ideally this leads to the riddance of suffering and disorder, usually to stress relaxation and improved health but also to the identification with deeper and wider spaces of consciousness that transcend personality. Between meditation and psychotherapy there is the polarity of a disorder-based concept and the concept of salutogenesis. In between, of course, there are a lot of transitions. By now psychotherapy has integrated a lot of resource-based aspects and also salutogenesis in its everyday work, while the emergence of disorders through meditation exercise that require therapeutic intervention are not unusual. Key words: psychotherapy and meditation, psychosomatic medicine, disidentification, development of awareness, structural modification of consciousness, salutogenesis. Autor: Kurt Gemsemer: Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Zunächst in verschiedenen psychiatrischen Institutionen, seit 1981 bis 2009 als Gestalttherapeut in privater Praxis, zurzeit als Oberarzt in den Heiligenfeld Kliniken in Bad Kissingen tätig. 94 Mitglied der Deutschen Vereinigung für Gestalt Therapie (DVG), Gestalt-Körpertherapiefortbildung. Fortbildung in systemischer Aufstellungsarbeit bei A. Mahr. Langjährige Therapieerfahrung in der Arbeit mit Menschen in und nach psychotischen Krisen. Supervisionstätigkeit im sozialpsychiatrischen und psychiatrischen Bereich. Veröffentlichungen zur Psychotherapie von Psychosen. 95