Schlaglicht 154 Komplex I der Atmungskette: Spannungserzeugung durch NADH-Oxidation Julia Steuber Institut für Mikrobiologie, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Schweiz Die NADH:Chinon-Oxidoreduktase (Komplex I) ist ein energieliefernder Atmungskettenkomplex, der die Reaktion NADH + Q + H+ + nH+innen → NAD+ + QH2 + nH+aussen katalysiert. Gekoppelt an die Elektronenübertragung von NADH auf den lipidlöslichen Elektronenüberträger Chinon (Q) transportiert der Komplex zwei bis fünf Protonen (nH+) von der Matrixseite zur zytosolischen Seite der inneren Mitochondrienmembran. Mit 45 verschiedenen Untereinheiten[1] und einer Masse von ungefähr einer Million Dalton ist diese NADHDehydrogenase einer der grössten Membranproteinkomplexe überhaupt. Obwohl der mitochondriale Komplex I vor mehr als 40 Jahren erstmals gereinigt wurde[2], ist zum Mechanismus der Redox-getriebenen Protonentranslokation nur wenig bekannt[3]. Vorliegender Artikel befasst sich mit Komplex I aus den Enterobakterien Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae. Der enterobakterielle Komplex I weist starke Verwandtschaft zu seinem „grossen Bruder“ in Mitochondrien auf, transportiert aber Na+ statt Protonen, was Untersuchungen zum Kationentransport erleichtert. Weiterführende Informationen und eine umfassende, ständig aktualisierte Publikationsliste zu Komplex I finden sich auf der Internetseite von Takao Yagi (http://www.scripps.edu/ mem/biochem/CI/). tuliert. Die zentrale Frage ist, wie der Transfer der Elektronen vom NADH zum Q den Transport von Protonen (oder Natriumionen) durch das Membranfragment von Komplex I antreibt. Der Na+-transportierende Komplex I Bakterien wie Ilyobacter tartaricus oder Klebsiella pneumoniae besitzen Na+-transportierende, spannungserzeugende Membranproteine. Abb. 2 zeigt, wie ein Na+-transportierender Komplex I aus K. pneumoniae und eine Na+-abhängige F1F0 ATP-Synthase aus I. tartaricus entweder Redox-getriebene ATP-Synthese oder ATP-getriebene NAD+Reduktion katalysieren können, nachdem sie gemeinsam in Lipidvesikel eingebaut wurden[4]. Diese Proteoliposomen reprä- sentieren ein minimales, funktionelles Modell eines Mitochondriums: Die bei der Oxidation von NADH mit Ubichinon durch Komplex I freigesetzte Redoxenergie kann zur energieverbrauchenden Synthese von ATP aus ADP und anorganischem Phosphat durch die ATP-Synthase genutzt werden. Die Proteoliposomen können mit einem Heizkraftwerk verglichen werden, in dem eine Turbine die Energieübertragung zwischen der Verbrennungseinheit und dem Stromgenerator gewährleistet. Im „künstlichen Mitochondrium“ werden die beiden Krafteinheiten, Komplex I und ATP-Synthase, nicht über eine Turbine, sondern mittels des elektrochemischen Na+-Gradienten gekoppelt. Dabei ermöglicht der NADH-getriebene Transport von Na+ ins Innere der Liposomen durch Komplex I die Untereinheiten und Kofaktoren Die bakterielle NADH-Dehydrogenase ist mit 500 000 Da ungefähr halb so groß wie der mitochondriale Komplex I und besteht aus nur 14 Untereinheiten (NuoA bis NuoN). Homologe aller dieser Untereinheiten sind auch im mitochondrialen Komplex zu finden. Das periphere Komplex I-Fragment ragt ins bakterielle Zytoplasma und katalysiert die Oxidation von NADH (Abb. 1). Dazu werden Redox-Kofaktoren wie FMN und neun verschiedene Eisen-Schwefel-Zentren benötigt, die den Elektronentransfer vom NADH zum enzymgebundenen Chinon (Q) ermöglichen. Eine Bindestelle für Q wurde zwischen dem peripheren Arm und dem membranständigen Arm von Komplex I pos- Abb. 1: Widersprüchliche Strukturvorhersagen für Komplex I der Atmungskette. Oben: NADH wird am peripheren Arm (Rot) des Komplexes in der mitochondrialen Matrix (oder im bakteriellen Zytoplasma) oxidiert, und es kommt zu einer Elektronenübertragung auf Chinon (Q). Diese Redoxreaktion treibt den Transport von Protonen (oder Na+) durch den hydrophoben Arm (Gelb) von Komplex I an, der in der Membran verankert ist. Unten: Vorgeschlagene Lokalisierungen der am Na+-Transport beteiligten L-Untereinheit (Violett) von Komplex I. Untereinheit L ist an der Spitze des Membranarmes lokalisiert[6] (unten links), oder steht in Kontakt mit dem peripheren Arm eines L-förmigen Komplexes[7] (unten Mitte). Kürzlich wurde außerdem eine alternative Konformation für Komplex I beobachtet, die an ein Hufeisen erinnert[7] (unten rechts) BIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang Schlaglicht 155 Der Na+-transportierende Komplex I: Ausnahme oder Regel? Abb. 2: Energiekopplung von Komplex I und der ATP-Synthase durch einen Na+-Kreislauf. Zwei Na+-transportierende Membranproteinkomplexe werden gemeinsam in Lipidvesikel eingebaut. (A) Nach Zusatz von NADH transportiert Komplex I Natriumionen ins Innere der Lipidvesikel und baut so einen elektrochemischen Na+-Gradienten auf (innen positiv, +). Verschiedene Chinone in der Lipidmembran () dienen hierbei als Elektronenakzeptoren. Anschließend kommt es zu einem Ausstrom von Na+ durch die ATP-Synthase, die dabei ATP aus ADP und anorganischem Phosphat erzeugt. (B) Nach Zusatz von ATP ist es die ATPase, die Na+ ins Innere der Liposomen transportiert und dadurch einen elektrochemischen Na+-Gradienten aufbaut. Der Ausstrom von Na+ durch Komplex I ermöglicht die Oxidation der Chinole () und Reduktion von NAD+. Obwohl der Kreislauf des Na+ in (A) und (B) in entgegengesetzten Richtungen betrieben wird, ist die Orientierung des elektrochemischen Na+-Gradienten in den Lipidvesikeln unter beiden Reaktionsbedingungen identisch (innen positiv) Als letzte Redoxpumpe der Atmungskette hat sich Komplex I bislang der dreidimensionalen Kristallisation widersetzt. Die Röntgenstrukturanalyse von Komplex I ist eine Herausforderung, der sich zur Zeit viele Forschergruppen weltweit stellen. Ein Na+-transportierender Komplex I zieht die Frage nach der Kopplungsionen-Spezifität des Komplexes in Organismen aus phylogenetisch diversen Gruppen nach sich. Wie weit verbreitet ist ein Na+-abhängiger Komplex I? Vergleichende Studien an Komplex I und seiner phylogenetisch verwandten Enzyme in unterschiedlichen (Mikro-)Organismen werden dazu beitragen, die Funktionsweise dieser immens großen Redoxmaschine zu verstehen. Synthese von ATP bei gleichzeitigem Ausstrom von Na+ durch die ATP-Synthase. Es kommt zu einem Kreislauf des Na+ über die Liposomenmembran hinweg. Im Gegensatz zu einem Heizkraftwerk, das nicht reversibel betrieben werden kann, katalysieren diese Proteoliposomen jedoch nach Zusatz von ATP und NAD+ auch die umgekehrte Reaktion, nämlich die ATP-getriebene Reduktion von NAD+. Was bedeutet dies für die Funktionsweise von Komplex I? Prämisse ist, dass der bakterielle (Na+-transportierende) und der mitochondriale (H+-transportierende) Komplex I aufgrund ihrer großen Verwandtschaft einen vergleichbaren Katalysemechanismus aufweisen. Der Transport von Na+ grenzt die für Komplex I diskutierten Mechanismen des NADH-getriebenen Aufbaus eines elektrochemischen Na+(oder H+)-Gradienten beträchtlich ein. Beispielsweise wurde angenommen, dass Komplex I Protonierungs- und Deprotonierungsreaktionen des Chinons (Q) an gegenüberliegenden Seiten der Lipidmembran katalysiert. Zwei BIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang Protonen könnten so unter Reduktion des Chinons an der Matrixseite des Mitochondriums aufgenommen werden, als neutrales Chinol (QH2) über die Membran diffundieren, um dann bei der Reoxidation an der cytosolischen Seite zwei Protonen freizusetzen. Dieses Modell beruht auf der Bildung einer kovalenten Bindung zwischen einem Proton und dem reduzierten Chinon, einer Reaktion, die offensichtlich mit Na+ nicht stattfinden kann. Der Schluss liegt nahe, dass der Transport von Na+ durch Komplex I auf einer redoxgetriebenen Konformationsänderung beruht, möglicherweise unter Beteiligung der membranständigen L-Untereinheit (Abb. 1). Unterstützt wird diese Annahme durch Untersuchungen am Komplex I aus Escherichia coli, der ebenfalls Natriumionen transloziert. Die isolierte, C-terminal verkürzte LUntereinheit des E. coli-Komplexes besitzt Na+-Transportaktivität und bildet möglicherweise eine Pore durch den hydrophoben Arm von Komplex I [5]. Danksagung Ich möchte mich für die finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Forschungskommission der ETH Zürich, den Schweizerischen Nationalfonds sowie die Roche Research Foundation bedanken. Ein herzlicher Dank geht auch an meine wissenschaftlichen Mentoren, Peter Dimroth (ETH Zürich) und Peter M. H. Kroneck (Universität Konstanz). Literatur [1] Carroll, J., Shannon, R. J., Fearnley, I. M., Walker, J. E., and Hirst, J. (2002): Definition of the nuclear encoded protein composition of bovine heart mitochondrial complex I. Identification of two new subunits. J. Biol. Chem. 277: 50311–50317 [2] Hatefi, Y., Haavik, A. G., and Griffiths, D. E. (1962): Studies on the electron transfer system. Preparation and properties of mitochondrial DPNH-coenzyme Q reductase. J. Biol. Chem. 237: 1676–1680 [3] Brandt, U., Kerscher, S., Drose, S., Zwicker, K., and Zickermann, V. (2003): Proton pumping by NADH:ubiquinone oxidoreductase. A redox driven conformational change mechanism? FEBS Lett. 545: 9–17 [4] Gemperli, A. C., Dimroth, P., and Steuber, J. (2003): Sodium ion cycling mediates energy coupling between complex I and ATP synthase. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 100: 839–844 [5] Steuber, J. (2003): The C-terminally truncated NuoL subunit (ND5 homologue) of the Na+-dependent complex I from Escherichia coli transports Na+. J. Biol. Chem. 278: 26817–26822 [6] Holt, P. J., Morgan, D. J., and Sazanov, L. A. (2003): The location of NuoL and NuoM subunits in the membrane domain of the Escherichia coli complex I: Implications for the mechanism of proton pumping. J. Biol. Chem. 278: 43114–43120 [7] Böttcher, B., Scheide, D., Hesterberg, M., Nagel-Steger, L., and Friedrich, T. (2002): A novel, enzymatically active conformation of the Escherichia coli NADH:ubiquinone oxidoreductase (complex I). J. Biol. Chem. 277: 17970–17977 Korrespondenzadresse: Dr. Julia Steuber Institut für Mikrobiologie Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zentrum Schmelzbergstr. 7 CH-8092 Zürich Schweiz Tel.: 0041 1 632 3830 Fax: 0041 1 632 1148