Der Praktische Tierarzt 3/2010 91. Jahrgang 2 Supplement für die ATF-anerkannte interaktive fortbildung Themen: • Die Untersuchung der Maulhöhle • Störungen beim Zahndurchbruch • Fehlerhafte Abnutzung des Gebisses Häufige Befunde in der Pferdezahnheilkunde ATF-anerkannte interaktive fortbildung Der praktische tiErarzt 91 (Suppl. 3), 2010 4 12 Isabell Herold, Tilman Simon Die Untersuchung der Maulhöhle Tilman Simon, Isabell Herold Störungen beim Zahndurchbruch 19 29 2 Isabell Herold, Tilman Simon Fehlerhafte Abnutzung des Gebisses ATF-Fragebogen Fotos Titelseite: © Herold, Simon Liebe Leserinnen und Leser, wenn ein Pferd beim Auftrensen abwehrt oder beim Annehmen der Zügel mit dem Kopf schlägt, wenn es einen steifen Gang zeigt oder beim Reiten die Ohren anlegt – dann ist die Ursache häufig eine Erkrankung der Zähne. Rittigkeitsprobleme fallen deutlich früher auf als eine Störung der Futteraufnahme. Losgelassenheit ist nur über ein entspanntes Kiefergelenk möglich. Der Oberkiefer muss frei über den Unterkiefer gleiten können. Zahnkanten und -haken, überlange oder unregelmäßig abgenutzte Zähne stören die Dreipunkt-Balance aus Schneidezähnen, Backenzähnen und Kiefergelenk. Wenn beim Reiten zusätzlich Gebisse und Kandaren ins Maul geschnallt werden, zeigen sich die entstehenden Schmerzen und Verspannungen deutlich. Das Gebiss des Pferdes ist auf ein Leben in der Steppe ausgelegt. Dort verbrachten die Wildpfer- Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 de viele Stunden am Tag mit der Aufnahme von Raufutter. Um den entstehenden Abrieb des Gebisses auszugleichen, wachsen Pferdezähne kontinuierlich – jedes Jahr um einige Millimeter. Heutzutage nimmt die Futteraufnahme jedoch wesentlich weniger Zeit in Anspruch, weiches Weidegras, Körner- und Kraftfutter beanspruchen das Gebiss kaum. Das kontinuierliche Längenwachstum der Zähne führt bei Veränderungen in der Maulhöhle häufig zu einem Circulus vitiosus: Das Pferd kaut nicht mehr gleichmäßig auf beiden Seiten, die Zähne werden ungleichmäßig abgenutzt, weitere Fehlstellungen und Malokklusionen resultieren. Auslöser sind häufig Störungen beim Zahndurchbruch. Regelmäßige Untersuchungen der Maulhöhle ermöglichen es, Probleme rechtzeitig zu erkennen und durch gezielte Behandlung den Teufelskreis zu durchbrechen. Den Ablauf einer fachgerechten Untersuchung – vor und in Seda- tion – vermittelt Ihnen der erste, reich bebilderte Artikel in diesem Heft. Im Anschluss stellen unsere Autoren aus ihrer Praxiserfahrung heraus die häufigsten Probleme vor, die beim Zahndurchbruch und durch eine fehlerhafte Abnutzung des Gebisses entstehen. Detailliert wird jeweils die Behandlung beschrieben, mit der die Balance im Pferdemaul wiederhergestellt werden kann. Wir wünschen viel Freude und Erfolg bei der Fortbildung! Mit besten Grüßen Dr. Ines George Dr. Ulrike Oslage 3 ATF-anerkannte interaktive fortbildung Der praktische tiErarzt 91 (Suppl. 3), 2), 4–11 x–x (2010) (2010) 2 Die Untersuchung der Maulhöhle Isabell Herold, Tilman Simon Pferde haben hypselodonte Zähne. Das bedeutet, dass sie bis zum Alter von etwa sieben Jahren einem tatsächlichen Längenwachstum unterliegen und anschließend durch Anlagerung von Zement einige Millimeter pro Jahr aus ihrer Alveole herausgeschoben werden. Deshalb unterliegt eine Pathologie an den Zähnen stets einem dynamischen Prozess. Wenn keine klinischen Symptome auftreten, genügt eine jährliche Untersuchung der Zähne. Da das Pferd im Alter von eineinhalb bis fünf Jahren 24 Milchzähne wechselt, sollte in diesem Zeitraum eine halbjährliche Zahnkontrolle erfolgen. Schneidezähne Equiden besitzen im Ober- und Unterkiefer jeweils sechs Schneidezähne, die Incisivi. Sie werden pro Quadrant als I1–I3 bezeichnet. Als Milchzähne werden sie als Dezidui mit einem vorgestellten d gekennzeichnet (z. B. dI1). In der Triadan-Nomenklatur wird der rechte obere Qua­ drant mit 100, als Milchgebiss mit 500 beziffert. Somit werden die Schneidezähne im rechten oberen Quadranten mit 101, 102 und 103 bezeichnet. Der linke obere Quadrant erhält eine 200 (Milchgebiss 600), die Schneidezähne tragen demzufolge die Nummern 201, 202 und 203. Der linke untere Quadrant wird mit 300 (Milchgebiss 700) und der rechte untere Quadrant mit der Ziffer 400 (Milchgebiss 800) gekennzeichnet. Die Schneidezähne besitzen Infundibula, die sich palatinal bzw. lingual der Pulpa befinden. Es handelt sich dabei um Schmelzeinstülpungen, die nicht ganz bis zur Okklusalfläche mit Zement aufgefüllt sind und auch als Kunde bezeichnet werden. Diese Kunden können zur groben Altersschätzung herangezogen werden. Backenzähne In jeder der vier Backenzahnreihen befinden sich beim Pferd drei prämolare (P2–P4) und drei molare (M1–M3) Backenzäh- ❚ kompakt Lagebezeichnungen an den Zähnen • Apikal: in Richtung Wurzelspitze • Okklusal: in Richtung Kaufläche • Approximal: in Richtung Nachbarzahn • Lingual: in Richtung Zunge • Palatinal: in Richtung Gaumen • Bukkal: in Richtung Backe 4 ne. Der Wolfszahn wird als P1 den Prämolaren zugeordnet. Im rechten oberen Quadranten befinden sich nach TriadanNomenklatur der 105 (Wolfszahn) bis 111 (M3). Im linken oberen Quadranten 205–211 und im Unterkiefer links 305–311 bzw. rechts 405–411. Die rechteckige lange Krone des Backenzahnes wird in die sichtbare klinische Krone und die unter dem Zahnfleisch verborgene Ersatzkrone eingeteilt. Diese Ersatzkrone wird ein Leben lang kontinuierlich durch Zementanlagerung aus ihrer Alveole herausgeschoben. Die Backenzähne im Oberkiefer besitzen drei, die im Unterkiefer zwei kurze Wurzeln, mit Ausnahme des M3 im Unterkiefer: Er hat drei Wurzeln. Im Oberkiefer ragen die Wurzeln des M3 und M2 mit ihrem Alveolendach in die kaudale Kieferhöhle. Der M1 und der kaudale Anteil des P4 ragen mit ihrem Alveolendach in die rostrale Kieferhöhle. Die Backenzähne sind umgeben von einer Schicht aus Zement, der weichsten der drei Zahnhartsubstanzen. Diese Schicht schützt durch ihre Elastizität den sehr harten Zahnschmelz. Dieser Zahnschmelz ummantelt das Dentin (Zahnbein) und faltet sich in dieses ein. Er bildet im Oberkiefer durch tiefe Einstülpungen die Infundibula, welche mit Zement gefüllt sind. Das Dentin hat den größten Anteil am Backenzahn und umschließt die Pulpenhöhle. Die Pulpa besteht aus Blutgefäßen, Nerven, Bindegewebe und Odontoblasten. Sie hat eine apikal liegende Pulpenkammer, die beim jungen Pferd noch groß ist, mit zunehmendem Alter aber mit Sekundärdentin zugemauert und deshalb immer kleiner wird. Zur Okklusalfläche ragen fünf bis sieben Pulpenhörner. Sie werden an der Okklusalfläche ebenfalls mit Sekundärdentin zugemauert und sind dort als braune „Flecken“ zu erkennen. Um die Funktion des Mahlens erfüllen zu können, bildet eine Backenzahnreihe eine funktionelle Einheit, bei der alle Backenzähne mit engem Approximalkontakt lückenlos aneinandergereiht sind. Der P2 und M3 sind in ihrer Form etwas dreieckig um den Anfang bzw. das Ende dieser Reihe abzurunden.Von der Seite betrachtet ist die Okklusalfläche der Backenzahnreihe durch Querkämme etwas gezackt (transverse ridges) und bildet einen flachen Bogen (Curve of Spee). Die Backenzähne des Oberkiefers stehen physiologisch zu denen im Unterkiefer in einem Winkel von 12–15°, der Winkel ist an den hinteren Molaren etwas steiler, während er an den Prämolaren etwas flacher ist. Dabei zeigt die Ebene der Kaufläche auf der bukkalen Seite nach unten und auf der lingualen Seite nach oben. Diesen Winkel bezeichnet man als „Curve of Wilson“. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 1: Triadan-Nomenklatur und herkömmliche Benennung. Quelle: Simon T, Herold I, Schlemper H (2009): Praxisleitfaden Zahn- und Kiefererkrankungen des Pferdes. Parey Verlag, Stuttgart. Abb. 2: Aufbau des Backenzahns schematisch: A: Gingiva, B: Alveolarknochen, C: Ligamentum Periodontale mit Scharpey`schen Fasern, D: Zahnzement, A–D: Diese vier Strukturen bilden das Parodont, E: Primärdentin, F: Sekundärdentin zum Verschluss der Pulpenhörner. Quelle: Simon T, Herold I, Schlemper H (2009): Praxisleitfaden Zahn- und Kiefererkrankungen des Pferdes. Parey Verlag, Stuttgart. Untersuchung vor der Sedation Bei angehobenen Lippen werden die Schneidezähne auf Vollständigkeit und Stabilität untersucht. Halten sie der Belastung durch das Maulgatter stand? Milchzähne sind durch ihre hellere Farbe und ihre flachere Form – nicht immer einfach – zu unterscheiden. Man achtet auf chronologischen und symmetrischen Zahnwechsel. Durch die Beurteilung der Stellung der Schneidezähne im Kiefer und zueinander können Rückschlüsse auf Pathologien der Backenzähne gezogen werden. Die Maulhöhle wird geöffnet, indem die Zunge ergriffen und aufrecht im Interdentalspalt gehalten wird. Die Zunge darf nicht zu weit aus dem Maul oder zu weit nach oben gezogen werden, weil das Zungenbändchen an der Unterseite Die Untersuchung vor der Sedation dient nicht der Befund­ erhebung am einzelnen Zahn, sondern lediglich als Indizien­ sammlung. Man benötigt dazu eine starke Lichtquelle, am besten eine Kopflampe. Anamnese Das Alter des Pferdes und der Zeitpunkt der letzten Zahnbehandlung hat große Bedeutung für die zu erwartenden Veränderungen. Das Fressverhalten (Wickelkauen, verzögerte Futteraufnahme und Inappetenz) sowie Rittigkeitsprobleme liefern wertvolle Hinweise auf Schmerzen in der Maulhöhle. Ein Tetanusimpfschutz ist unerlässlich, da bei der Behandlung Schleimhautverletzungen nie ausgeschlossen werden können. Adspektion Das Pferd wird nach der Signalement-Erhebung in seinem Ernährungs- und Pflegezustand beurteilt. Am Kopf achtet man auf ein- oder beidseitigen Nasenausfluss (Kieferhöhlenempyem?, Akuter Infekt?), auf die Symmetrie der Mm. temporales und Mm. masseter (einseitiges Kauen?) und Fistelöffnungen (Apikalabszess?). Die Lippen sind auf ihrer Schleimhautseite auf Verletzungen, das Zahnfleisch auf Fistelöffnungen und Ulzerationen zu untersuchen (Allgemeinerkrankungen wie z. B. Cushing oder Stomatitis?). Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 3: Solche „Wickel“ spuckt ein Pferd mit eingeschränkter Kaufunktion aus, da es hartes Raufutter nicht zerkleinern kann. 5 ➞ Die Untersuchung der Maulhöhle Abb. 4: Eine Fistelöffnung über einem Incisivus ist ein erster deutlicher Hinweis auf eine Parodontalerkrankung. Abb. 5: Vor dem Einsetzen des Maulgatters sollten die Schneide­ zähne auf ihre Belastungsfähigkeit untersucht werden. der Zunge dadurch einreißen und das Zungenbein leicht beschädigt werden kann. Nun werden der Interdentalspalt und die Backenzähne einer groben, adspektorischen Untersuchung unterzogen. Oft ist die Sicht aber durch Futterbrei und Bewegungen der Zunge und des Kopfes eingeschränkt. Somit ist die Untersuchung ohne Sedation von der Kooperationsbereitschaft des Patienten abhängig. Eine eingehende Untersuchung der Backenzähne ist nur mit eingesetztem Maulgatter möglich, also in Sedation. Bei der Adspektion vor der Sedation wird auf die Größe und Integrität von vorhandenen Hengstzähnen geachtet, kontrolliert, ob Wolfszähne vorhanden sind und das Zahnfleisch auf Verletzungen und Rötungen untersucht. Die Backenzahnreihen werden auf die Kontinuität ihrer Okklusionsflächen und Zahnspitzen geprüft. Symmetrie und Schwellungen untersucht. Das Pferd wird nun durch einen Finger in der Maulspalte zum Kauen angeregt und der Untersucher ertastet mit der anderen Hand die Kiefergelenke in Bewegung. So bleiben ein Kiefergelenksknacken und ein- oder beidseitiger Schmerz im Kiefergelenk nicht verborgen. Nun wird eine Lateralexkursion am abgesenkten Kopf durchgeführt. Dabei wird mit der einen Hand der Nasenrücken und mit der anderen Hand die Lade am Unterkiefer ergriffen, wie in Abbildung 10 dargestellt. Der Unterkiefer wird nun gegen den Oberkiefer so weit verschoben, bis ein deutlicher Widerstand der Backenzähne zu spüren ist. Dabei wird einerseits die Beweglichkeit des Unterkiefers beurteilt: Es zeigt sich, ob eine ovoide Kaubewegung durch Vorkontakte oder Gleithindernisse behindert wird. Andererseits gibt die Weite der Lateralexkursion Auskunft über die relative Länge der Schneidezähne in Bezug zu den Backenzähnen. Je länger die Schneidezähne sind, desto weiter ist der Ausschlag der Lateralexkursion. Im physiologischen Zustand beträgt diese Weite etwa eine Schneidezahnbreite. Nach der Lateralexkursion wird bei geschlossenem Maul die Backe etwas zurückgezogen, sodass ein Blick auf die Backenzähne möglich ist. Der Abstand der Backenzähne vom Ober- zum Unterkiefer sollte bei geschlossenen Schneide­ zähnen wenige Millimeter betragen sowie links und rechts gleich sein. Durch die Winkelung der Okklusalfläche der Palpation Mit sanftem Druck werden die Backenzähne des Oberkiefers von außen abgetastet. Dabei sind große Zahnkanten, Zahnhaken und Zahnlücken bis zum M1 zu ertasten und die Abwehrreaktion des Patienten einzuschätzen. Auf keinen Fall sollte beim unsedierten Patienten zwischen die Backenzahnreihen gegriffen werden. Diese Untersuchung ist unvollständig, überflüssig und gefährlich! Es werden beide Unterkieferäste abgetastet, die Mandibularlymphknoten palpiert und die Fossa supraorbitalis auf Abb. 6: Milchschneidezähne vor dem Wechsel: Beide dI1 des Unterkiefers fallen bald aus. Im Oberkiefer hat der Zahnwechsel bereits stattgefunden. Wurzelreste sind als kleine Splitter im Zahnfleischrand zu erkennen. 6 Abb. 7: Schiefe Abnutzungsebene der Schneidezähne. Bei einer derartig stark ausgeprägten schiefen Abnutzung ist auch mit einer Malokklusion der Backenzähne zu rechnen. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 8: Zungengriff: Diese erste Untersuchung vor der Sedation setzt einen kooperativen Patienten voraus. Backenzähne von 12–15° werden die Backenzähne bei einer ovoiden Kaubewegung in Kontakt gesetzt. Die Oberkieferbackenzähne sind etwas breiter als ihre Gegenspieler im Unterkiefer. Bei geschlossenem Maul und in Mittelposition sind die Backenzähne nicht kongruent. Mit den Daumen wird der Interdentalspalt auf Schmerzhaftigkeiten, Krepitationen sowie blinde Hengst- und Wolfszähne untersucht. Untersuchung in Sedation Für jede eingehende Untersuchung, insbesondere die der Backenzähne, ist das Einsetzen eines Maulgatters und damit immer eine Sedation notwendig. Wird einem unsedierten Pferd ein Maulgatter eingesetzt, kann ein um sich schlagender Pferdekopf mit scharfem Metall wie ein Vorschlaghammer wirken. Das Entfernen des Maulgatters bei einem panischen Pferd kann lebensgefährlich werden und ist ein vermeidbares Abenteuer. Selbst bei kooperativen Patienten besteht der Nachteil in der viel größeren Kraft mit der sie unsediert auf die Bissplatten drücken. Es wurde über Kieferfrakturen berichtet, die auf diese Weise zustande kamen. Eine Sedation kommt also sowohl dem Patient als auch dem Tierarzt zugute, der sich auf seine Arbeit konzentrieren kann. Zur Untersuchung in Sedation benötigt man eine Kopflampe, ein Dentalhalfter, ein Seil oder einen Kopfständer sowie Abb. 9: Abtasten der Zahnkanten der Oberkieferbackenzähne. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 7 ➞ Die Untersuchung der Maulhöhle 8 Abb. 10: Lateralexkursion. Abb. 11: Verhältnis der Oberkiefer- zu den Unterkieferbackenzähnen. ein Maulgatter. Weiterhin eine Spülspritze, einen Zahnspiegel (evtl. ein Zahnendoskop) und eine Zahnsonde. Der Sedation geht eine Allgemeinuntersuchung voraus, um die Sedationsfähigkeit zu beurteilen. Allgemeinerkrankungen und Trächtigkeit schränken die Sedationsfähigkeit ein und erfordern eine gründliche Risikoabwägung. Die Autoren sedieren in der Regel mit Detomidin (20–40 μg/kg) und Butorphanol (0,008–0,01 mg/kg) intravenös. Nun wird das Maulgatter eingesetzt und ein Dentalhalfter angelegt, an welchem ein Ring die Befestigung eines Seils erlaubt. Beim Wiener Modell ist diese Möglichkeit bereits integriert und macht ein Dentalhalfter überflüssig. Das Seil wird über einen Balken gelegt oder durch einen Deckenring gezogen und von einer Hilfsperson festgehalten. Die Autoren bevorzugen das Seil gegenüber einem T-förmigen Kopfständer, weil dadurch die Kopfhöhe des Patienten variabel ist und die Hilfsperson hinter dem Tierarzt wesentlich sicherer steht als neben dem Patient, der jederzeit mit dem Kopf schlagen kann. Aus diesem Grund sollte auch der Tierarzt beim Öffnen des Maulgatters stets vor und nicht über oder neben dem Patient stehen. Am geöffneten Maul kann nun festgestellt werden, auf welcher Seite das Pferd zuletzt gefressen hat. Kaut der Patient immer nur einseitig, werden sich auf dieser Seite entsprechende Abnutzungserscheinungen und auf der anderen Seite Pathologien finden lassen. Die Maulhöhle wird am abgesenkten Kopf an der bukkalen Seite der Backenzähne ausgespült. Um eine Aspirationspneumonie zu vermeiden, bleibt die Maulöffnung dabei stets der tiefste Punkt am Kopf. Zum Ausspülen eignen sich eine selbstfüllende Spülspritze und lauwarme 0,1%ige Chlorhexidinlösung. Abb. 12: Während der Wolfszahn am rechten Oberkiefer bereits bei der Adspektion ins Auge fällt, ist der blinde Wolfszahn links nur durch Palpation festzustellen. Abb. 13: Sediertes Pferd mit Maulgatter. Der Strick wird über die Querschiene des Boxeneingangs geführt und von einer Hilfsperson in der gewünschten Position gehalten. Adspektion Bei der Adspektion wird die Anzahl der Zähne, Zahnlücken und Diastemata erfasst. Der Zahnbogen der Backenzähne von rostral nach kaudal (Curve of Spee) und die Stellung der Backenzähne zueinander wird beurteilt. Die Winkelung der Kauflächen (Curve of Wilson) sollte an den Backenzähnen 12–15° betragen. Es werden Zahnkanten an den Backenzahnreihen und Zahnhaken am P2 und M3 kontrolliert sowie Backenschleimhaut und Zunge auf Verletzungen und Ulzera untersucht. Mit einem Zahnspiegel oder Zahnendoskop wird die Kaufläche jedes einzelnen Zahnes untersucht. Man achtet dabei auf Milchzahnfragmente, Chip- und Sagittalfrakturen sowie auf Infundibularkaries. Nur die Backenzähne des Oberkiefers besitzen Infundibula. Im gesunden Zustand sind sie gelb, halbmondförmig und bis zur Okklusalfläche mit Zement aufgefüllt. Sie unterscheiden sich von den mit braunem Sekundärdentin zugemauerten Pulpenhörnern, die als „Flecken“ ebenfalls auf der Okklusalfläche der Backenzähne anzutreffen sind. Kariöse Infundibula sind Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 14: Endoskopisches Bild eines gesunden Infundibulums am Oberkieferbackenzahn. Abb. 15: Endoskopisches Bild einer Infundibularkaries. Beide Infundibula sind mit vergorenen Futterresten gefüllt. Durch Sondierung kann man die Tiefe der Kavität abschätzen. schwarz und enthalten nach der Maulspülung noch immer Futterreste. Die Backenzähne werden nun mit dem Zahnspiegel einzeln von ihrer bukkalen und lingualen bzw. palatinalen Seite betrachtet. Man kann so Milchzahnkappen und Zahnstein an den Backenzähnen nicht übersehen. Zahnstein an einem Backenzahn deutet auf eine Fehlbelastung hin. Genauso wird auch die Gingiva auf Entzündungen, Parodontaltaschen und Fistelmäuler untersucht. Um das lästige Beschlagen des Zahnspiegels im warmen Pferdemaul zu verhindern, kann man ihn mit Isopropylalkohol besprühen. Stehen Zähne weit über das Niveau der Okklusalfläche hinaus, ist der Gingiva des Antagonisten besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Durch die große Belastung des meist ausgehöhlten Antagonisten kommt es häufig zu Parodontal­ erkrankungen. Fehlt der Antagonist, kann ein Meißelzahn bis zur Gingiva reichen und diese stetig traumatisieren. wird dabei eine schwarze, übelriechende Masse ausgeräumt. Beträgt die Sondierungstiefe weniger als 5 mm, und hat sich die Karies nicht über den Schmelzzylinder des Infundibulums hinaus ausgedehnt, es werden keine endodontischen Maßnahmen eingeleitet, weil nach einer Okklusionskorrektur zu erwarten ist, dass der Zahn wieder in physiologischen Abrieb kommt und die Infundibularkaries zum Stehen kommt. Damit werden die Strukturen um das Infundibulum einige Millimeter abgetragen und die Kavität verkleinert sich. Palpation Es wird eine Bewegungsprobe jedes einzelnen Zahnes durchgeführt. Ein gelockerter Zahn beweist einen zerstörten Aufhänge­apparat. Dabei sind das Parodont mit seinen Scharpey´schen Fasern und meist auch die knöcherne Alveolenwand beteiligt. Anschließend sind die Infundibula mit einer Zahnsonde in die Tiefe zu sondieren. Im Falle einer Infundibularkaries Abb. 16: Offenes Pulpenhorn mit Zahnsonde. Eine offene Pulpenposition deutet auf ein abgestorbenes Pulpenhorn hin: Es kann sich nicht mehr von innen heraus mit Dentin „zumauern“, um den natürlichen Abrieb zu kompensieren. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 9 ➞ Die Untersuchung der Maulhöhle Abb. 17: Sagittalfraktur am M1 des Oberkiefers (endoskopische Aufnahme). Parodontaltaschen an der seitlichen Gingiva oder an einem Diastema machen sich durch eingebissenes Futter und Schleimhautretraktion bemerkbar und sind ebenfalls auszuräumen sowie auf ihre Tiefe zu sondieren. Während dieses Untersuchungsganges bleibt das Maul lange genug geöffnet, um einen eventuell vorhandenen, spezifisch üblen Geruch wahrzunehmen, der auftritt, wenn beispielsweise in einer Sagittalfraktur oder einer Parodontaltasche Futterreste vergären. Der Ursprungsort des Foetor ex ore sollte gesucht werden, wenn er nicht ins Auge springt. Ein starker Speichelfluss deutet auf einen schmerzhaften Prozess hin, welcher bei der eingehenden Untersuchung ebenfalls gefunden werden sollte. Röntgen Da sich mehr als die Hälfte des Pferdezahnes dem Blick des Tierarztes entzieht, bietet das Röntgenbild als weiterführende Untersuchung eine wertvolle Hilfe. Allerdings wird die Interpretation von Röntgenbildern am Kopf durch Überlagerungen von zahlreichen knöchernen Strukturen erschwert. Auch deshalb erhält das klinische Bild in der Pferdezahnmedizin immer den höheren Stellenwert. Röntgenaufnahmen sind bei kooperativen Patienten zum Teil ohne Sedation möglich. Da die Röntgenaufnahmen meist im Anschluss an eine eingehende klinische Untersuchung angefertigt werden, sind die Pferde ohnehin sediert. Dem Pferd sollte ein Halfter ohne Metallteile angelegt werden. Für die Schneide-, Haken- und Wolfszähne wird eine Aufnahme in laterolateraler Ebene gewählt. Zusätzlich wird als zweite Ebene eine dorsoventrale Aufnahme mit der Aufbisstechnik angefertigt. Dabei wird dem sedierten Patient eine Röntgenplatte bis zum Maulwinkel zwischen die Schneidezähne geschoben. Für den Oberkiefer erfolgt die Belichtung von dorsal und für den Unterkiefer von ventral. So erhält man überlagerungsfreie Aufnahmen von den Schneide- und Hakenzähnen. Die Backenzähne werden in laterolateraler Ebene aufgenommen, wobei sich die Platte stets auf der erkrankten Seite befinden sollte. In dorsoventraler Ebene werden die Backenzähne nicht befriedigend erreicht. Durch tangentiale Aufnahmen lassen sich aber die Wurzeln einer Backenzahnreihe ohne Überlagerung darstellen. Dazu wird ein Winkel 10 von 40–55° gewählt. Im Oberkiefer liegt also die Platte auf der erkrankten Seite, der Strahlengang kommt von oben und im Röntgenbild ist die obere Wurzelreihe die Erkrankte. Im Unterkiefer liegt die Platte auf der erkrankten Seite und der Strahlengang kommt analog von unten. Im Röntgenbild ist die untere Wurzelreihe die Erkrankte. Um die Kronen in der tangentialen Aufnahme besser sichtbar zu machen, kann das Maul in geöffnetem Zustand geröngt werden. Das Maul sollte dazu mit nicht röntgendichtem Material offen gehalten werden, z. B. einem kurzen PVC-Rohr oder -Block. Für die Kieferhöhlen wird eine laterolaterale Aufnahme angefertigt, wobei die Belichtungszeit etwas geringer gewählt werden kann als bei der Aufnahme der Backenzähne. Um einen Flüssigkeitsspiegel in den Kieferhöhlen festzustellen, kann ein Kettchen an die Röntgenplatte geklebt werden, um am Röntgenbild ein Lot zum waagrechten Flüssigkeitsspiegel zu haben. Literatur Allen T (2003): Examination. In: Allen T, Manual of Equine Dentistry, Mosby, St. Louis, 49–70. Barakzai S (2005): How to Radiograph the Erupted (clinical) Crown of Equine Cheek Teeth. Clinical techniques in Equine Practice. Elsevier Saunders, Philadelphia, 171–174. Castell J (2010): Klinische Untersuchung zur Zahnbehandlung. 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Simon T (2009): Traîtement de la Carie Infundibulaire par Obturation avec une Résine Médicale. Proceedings des 37èmes Journées Annuelles de l`Association Vétérinaire Equine Francaise (AVEF), Deauville, France. Simon T, Herold I, Schlemper H (2009): Praxisleitfaden Zahn- und Kiefererkrankungen des Pferdes, Parey Verlag, Stuttgart. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 ATF-anerkannte interaktive fortbildung Der praktische tiErarzt 91 (Suppl. 3), 2), 12–18 x–x (2010) (2010) 2 Störungen beim Zahndurchbruch Tilman Simon, Isabell Herold Schneidezähne Die dI1 eruptieren vor der Geburt oder innerhalb der ersten Lebenswoche. Die dI2 sind mit vier bis sechs Wochen und die dI3 mit sechs bis neun Monaten sichtbar. Der Zahnwechsel erfolgt beim I1 mit zweieinhalb Jahren, beim I2 mit dreieinhalb Jahren und der I3 mit viereinhalb Jahren. Persistierende Milchschneidezähne Zum Zeitpunkt des Zahnwechsels drückt die sich vergrößernde Anlage des permanenten Zahns von apikal auf den Milchzahn. Die Wurzel des Milchzahns atrophiert durch den Druck und der Milchzahn fällt aus. Der bleibende Zahn eruptiert manchmal etwas lingual (bzw. palatinal) vom Milchzahn. So kann es vorkommen, dass der Milchzahn nicht ausfällt, sondern nach labial geschoben wird, wo er jahrelang bleibt. Man spricht dann von einem persistierenden Milchschneidezahn. Durch Zwischenräume, in die sich Futter einbeißt, fungiert er dort als Bakterienreservoir und verursacht Zahnfleischentzündungen. Keilen sich Reste des Milchzahns zwischen zwei bleibenden Schneidezähnen ein, wird zusätzlich die Schneidezahnreihe verschoben. Die Diagnose wird bei der Adspektion der Schneidezähne gestellt. Wenn Zweifel bestehen, ob es sich um einen persistierenden Milchzahn oder einen überzähligen Schneidezahn handelt (Polyodontie), sollte ein Röntgenbild in laterolateraler ❚ kompakt Extraktion eines persistierenden Milchzahnes Instrumente: • Kopflampe • Dentalhalfter und Strick • Aspirationsspritze mit Zylinderampulle für Lokalanästhesie falls vorhanden, sonst normale Injektionsspritze mit gelber Kanüle und Lokalanästhetikum • Bein´scher Hebel • Reynoldszange Vorbereitung des Patienten: • Sedation • Okklusionskorrigierte Backenzähne • Dentalhalfter anlegen • Lokale Infiltrationsanästhesie • Abklärung des Tetanusimpfschutzes und ggfs. Verabreichung von Tetanusserum 12 Ebene und von dorsoventral mit der Aufbisstechnik angefertigt werden. Zur Therapie wird der persistierende Milchschneide­ zahn extrahiert. Werden Milchzähne vor dem Zeitpunkt ihres physiologischen Wechsels extrahiert, wird die Zahnanlage des permanenten Zahnes erheblich geschädigt. Milchzähne sollten also erst dann extrahiert werden, wenn der bleibende Schneidezahn meist hinter dem Milchzahn bereits sichtbar ist oder der Antagonist bzw. der entsprechende Schneidezahn im anderen Quadranten des gleichen Kiefers bereits eruptiert ist. Therapie. Mit dem Bein´schen Hebel wird die Gingiva um den persistierenden Milchschneidezahn abgelöst und der Zahn wird unter Schonung des permanenten Zahns vorsichtig gelockert. Anschließend kann er mit der Reynoldszange entnommen werden. Die meist recht kleine Wundhöhle wird auf Wurzelreste palpiert. Sollte der Milchzahn eingekeilt gewesen sein, entsteht durch die Extraktion eine Zahnlücke. Diese wird sich im Lauf von einigen Monaten von selbst schließen. Eine Nachsorge ist in der Regel nicht erforderlich. Folgen eines unregelmäßigen Zahnwechsels der Schneidezähne Erfolgt der Zahnwechsel an den Antagonisten der Schneidezähne zeitlich versetzt, kann sich ein Schneidezahn durch fehlenden Abrieb höher als bis zur Okklusalfläche schieben. Dadurch entsteht im Falle vom I1 oder I2 ein Stufenbiss. Dabei interdigitiert der höhere Schneidezahn zwischen die beiden Nachbarn seines zu niedrigen Gegenspielers. Dadurch wird das Maul nahezu verriegelt und macht eine ovoide Kaubewegung unmöglich. Deshalb sind auch erhebliche Befunde an den Backenzähnen zu erwarten. Der Stufenbiss wird durch Kaubewegungen im Lauf der Zeit eingeschliffen und kommt deshalb nur als Übergangsform zur Ventral- oder Dorsalkurvatur bzw. schiefen Ebene vor. Eine Ventral- und Dorsalkurvatur entsteht durch einen verzögerten Wechsel beider I1 eines Kiefers oder Traumata. Ist die Eruption der I1 im Unterkiefer verzögert, bilden sich überlange I1 im Oberkiefer und es entsteht eine Ventralkurvatur (Smilie). Dementsprechend bildet sich bei überlangen I1 des Unterkiefers durch einschleifende Kaubewegung eine Dorsalkurvatur aus (Frown). Eine ausgeprägte Dorsal- oder Ventralkurvatur beeinträchtigt die ovoide Kaubewegung und verändert durch unphysiologischen Abrieb die Winkelung an der Okklusalfläche der Backenzähne. Ursachen für eine schiefe Ebene der Schneidezähne sind Veränderungen an den Schneidezähnen selbst oder Pathologien der Backenzähne. Bei einem verzögerten Zahnwechsel Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 18: Dieser persistierende Milchschneidezahn schiebt sich wie ein Keil zwischen I2 und I3. So kann er langfristig einen unphysiologischen Abrieb verursachen. Abb. 19: Dorsalkurvatur der Schneidezahnreihe. Vermutlich durch ein Trauma ausgelöst, kam es bei diesem Patienten zu ungleichmäßig langen Schneidezähnen und damit zu einem assymmetrischen Abrieb. eines I2 oder I3 z. B. im linken Unterkiefer können sich die Antagonisten im linken Oberkiefer höher schieben. Dadurch kommt die gesamte Schneidezahnreihe in ungleichmäßigen Abrieb und I2 und I3 am rechten Oberkiefer werden höherem Kaudruck ausgesetzt sein als ihre Antagonisten im rechten Unterkiefer. So wird sich die schiefe Ebene entsprechend einschleifen. An den Backenzähnen ist eine Pathologie wie ein Scherenbiss stets auf der Seite zu suchen, an der die schiefe Ebene nach unten zeigt. In der Praxis ist eine schiefe Ebene allerdings meist die Folge und nicht die Ursache z. B. eines Scherengebisses. Die Diagnose ist sehr leicht bei der Adspektion der Schneidezähne zu stellen. neue Niveau der Okklusalfläche an den Schneidezähnen ist von der Backenzahnreihe abhängig, weil eine Dreipunktbalance aus Schneidezähnen, Backenzähnen und dem Kiefergelenk hergestellt werden soll.Vor und während der Kürzung der Schneidezähne ist immer wieder eine Lateralexkursion am abgesenkten Kopf durchzuführen. Der Ausschlag der Lateralexkursion beträgt im physiologischen Zustand in etwa eine Schneidezahnbreite. Wegen der hohen Konzentrationen von Feinstaub sollten Tierärztin oder Tierarzt bei der Kürzung der Schneidezähne stets eine Feinstaubmaske und eine Schutzbrille tragen. Eine Handfläche wird quer im Interdentalspalt gehalten. Dadurch wird eine Maulöffnung erzwungen, gleichzeitig lässt sich die Zunge zurückhalten. Mit der anderen Hand werden die einzelnen prominenten Schneidezähne mit einer Diamanttrennscheibe um maximal 2 mm gekürzt. Die Schnittfläche ist möglichst parallel zum Nasenrücken zu halten. Therapie. Zur Therapie werden die überlangen Schneidezäh- ne gekürzt. Dabei ist zu beachten, dass zuerst die Backenzähne einer Okklusionskorrektur unterzogen werden müssen. Das ❚ kompakt Kürzung Überlanger Schneidezähne Instrumente: • Kopflampe • Dentalhalfter und Strick • Spülspritzen und lauwarmes Wasser • 0,1%ige Chlorhexidinlösung • Feinstaub-Atemmaske und Schutzbrille • Rotierende Schleifinstrumente: • Diamanttrennscheiben unterschiedlicher Durchmesser mit Handstück und entsprechendem Antriebsmotor • Kugelfräse mit Handstück und entsprechendem Antriebsmotor • Bei iatrogener Pulpeneröffnung: • Papierspitzen • Adrenalin • Kalziumhydroxidpaste Vorbereitung des Patienten: Abb. 20: Einseitiger Scherenbiss. Quelle: Simon T, Herold I, Schlemper H (2009): Praxisleitfaden Zahn- und Kiefererkrankungen des Pferdes. Parey Verlag Stuttgart. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 • Sedation • Okklusionskorrigierte Backenzähne • Maulgatter entfernen • Dentalhalfter anlegen • Maulhöhle bei gesenktem Kopf ausspülen 13 ➞ Störungen beim Zahndurchbruch 14 Abb. 21: Um bei der Kürzung der Schneidezähne eine Überhitzung der Zahnpulpen zu vermeiden, ist eine häufige Wasserkühlung empfehlenswert. Abb. 22: Hakenzähne bei einem männlichen Pferd. Anhand dieser Aufnahme wird der Platzbedarf der Zunge in der geschlossenen Maulhöhle deutlich. Sehr große Hakenzähne konkurrieren mit dem Trensengebiss oder gar einer Kandare um den Platz. Durch Kürzung und Abrundung der Canini kann hier Abhilfe geschaffen werden. Daraufhin wird der Kopf abgesenkt, das Maul gespült und eine Lateralexkursion durchgeführt. Durch das wiederholte Prüfen wird eine zu starke Kürzung und eine versehentliche Pulpeneröffnung vermieden. In einer Sitzung sollten nicht mehr als 5 mm entfernt werden, um keine Pulpeneröffnung zu provozieren. Wenn eine stärkere Kürzung notwendig ist, ist die Behandlung zu fraktionieren und mehrmals im Abstand von einigen Monaten durchzuführen. Als Abschluss wird der Winkel der Okklusalfläche korrigiert und parallel zum Nasenrücken gestellt. Zu beachten ist, dass dadurch noch mehr Zahnmaterial abgetragen wird, wenn die Schnittfläche beim Kürzen stark abweichend geführt wurde. Mit einer Kugelfräse werden die Schnittkanten geglättet, um eine Verletzung der Lippen zu vermeiden. Tritt ein Blutstropfen an der Kaufläche auf, ist die Pulpa versehentlich eröffnet worden. Der Zahn ist dann so weit zu kürzen, dass kein Kaudruck des Antagonisten auf den erkrankten Zahn mehr ausgeübt wird (Infraokklusion). Mit Adrenalin getränkte Papierspitzen werden in die eröffnete Pulpa gesteckt bis die Blutung gestillt ist. Verbliebene Blutkoagel werden entfernt und mit einer Applikatorspritze wird Kalziumhydroxid in die Kavität injiziert. Blinder Caninus Abb. 23: Bei Trensenkontakt kann ein blinder Hakenzahn sehr schmerzhaft sein, daher sollte er freigelegt werden. Abb. 24: Freilegen eines blinden Hakenzahns. Der Caninus wird auch als Haken- oder Hengstzahn bezeichnet. Er liegt im rostralen Drittel des Interdentalspalts, im Unterkiefer etwas weiter rostral als im Oberkiefer. Der Caninus besitzt Milchzähne, die in der Regel aber nicht durchbrechen, sondern beim älteren Pferd vereinzelt symptomlos unter dem Zahnfleisch als Rudiment gefunden werden. Der Hengstzahn kommt auch bei etwa einem Drittel der Stuten vor und bricht normalerweise zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr durch. Die physiologische Eruption von Canini ist sehr schmerzhaft und kann das Wohlbefinden eines Pferdes stark beeinträchtigen. Ist die Eruption eines Hakenzahnes verzögert oder nicht möglich, spricht man von einem blinden Caninus. Die Ursache kann genetisch sein oder die Zahnanlage im Interdentalspalt wurde traumatisch geschädigt. Ein retinierter Caninus beeinträchtigt die Okklusion des Pferdes nicht, ist aber sehr schmerzhaft und führt bei jedem Kontakt mit dem Trensengebiss zu heftigen Abwehrbewegungen. Ein blinder Caninus macht sich durch eine harte und palpationsdolente Wölbung im Interdentalspalt bemerkbar. Beim vier- bis sechsjährigen Pferd kann die Eruption gerade vonstatten gehen oder ist verzögert. Beim älteren Pferd ist der Zahndurchbruch ohne Hilfe unmöglich. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Differenzialdiagnostisch ist ein blinder Caninus von einem blinden Wolfszahn abzugrenzen, der meist weiter kaudal lokalisiert ist. Im Röntgenbild, welches im Zweifel angefertigt werden sollte, zeigt der Caninus seine wesentlich längere und bananenförmig gekrümmte Wurzel. Therapie. Dem retinierten Zahn sollte „Geburtshilfe“ geleistet werden, indem das darüberliegende Zahnfleisch und Periost entfernt werden. Man wählt aus dem Wolfszahnextraktionsset eine Hülse aus, die der Größe der Wölbung entspricht und stanzt damit das Zahnfleisch über dem blinden Caninus aus. Mit Pinzette und Schere wird das ausgestanzte Zahnfleisch entfernt. Oft befindet sich über dem freigelegten Zahn eine sehr zähe Membran, das Periost, welches auch entfernt werden muss. Der freigelegte Caninus wird schmerzfrei innerhalb weniger Wochen oder Monate in die Höhe wachsen. Blinder Wolfszahn Etwa die Hälfte aller Pferde haben Wolfszähne, die funktions­ los sowohl uni- als auch bilateral meist im Oberkiefer vorkommen. Sind Wolfszähne angelegt, eruptieren aber nicht, spricht man von „blinden“ Wolfszähnen. Der Wolfszahn wird anatomisch als erster Prämolar (P1) angesprochen und liegt rostral des P2. Er besitzt nach aktueller Lehrmeinung keine Milchzahnvorläufer. Meistens sind Wolfszähne flammenförmig und sehr klein. Sind sie breit und besitzen eine Pulpa, bezeichnet man sie als molarisiert. Die Wolfszähne brechen meist nach dem fünften Lebensmonat und vor dem zweiten Lebensjahr durch die Gingiva. Beim Jungpferd ist der Zahnhalteapparat elastisch in der Alveole verankert und sklerosiert zunehmend ab dem Alter von drei Jahren. Ein eruptierter Wolfszahn wird bei der Adspektion des Interdentalspaltes am unsedierten Pferdes festgestellt. Nicht eruptierte Wolfszähne findet man durch Palpation des Interdentalspaltes rostral des P2. Differenzialdiagnostisch ist ein blinder Wolfszahn, der sehr weit rostral liegt, von einem nicht eruptierten Hengstzahn abzugrenzen. Meist stehen blinde Wolfszähne nicht rechtwinkling zum Kieferknochen, sondern spießen nach rostral. Dies dürfte den Hauptgrund für ihre ausbleibende Eruption darstellen und auch die Schmerzhaftigkeit erklären. Aller Erfahrung nach verbessert sich die Rittigkeit der Pferde nach der Extraktion deutlich. Dies ist ein Hinweis, dass ein blinder Wolfszahn oft mehr Schmerzen verursacht als ein eruptierter. ❚ kompakt freilegen Eines Blinden Caninus Instrumente: • Dentalhalfter und Strick • Maulgatter • Spülspritzen und lauwarmes Wasser • Aspirationsspritze mit Zylinderampulle für Lokalanästhesie falls vorhanden, sonst normale Injektionsspritze mit gelber Kanüle und Lokalanästhetikum • Bein´scher Hebel • 0,1%ige Chlorhexidinlösung • Wolfszahnextraktionsbesteck nach Stelzer • Chirurgische Schere • Chirurgische Pinzette Vorbereitung des Patienten: • Sedation • Tetanusimpfschutz • Maulgatter einsetzen • Maulhöhle ausspülen • Subgingivale und supraperiostale Infiltrationsanästhesie Therapie: Der blinde Wolfszahn wird vor seiner Extraktion freigelegt. Idealerweise wird der Zahnpatient vor dem Anreiten vorgestellt. Bei einem jungen Pferd ist die Wolfszahnextraktion durch die noch nicht vorhandene Ankylosierung mit dem Kieferknochen einfacher. Analog zum Freilegen blinder Hakenzähne wird eine scharfe Hülse aus dem Extraktionsset gewählt, die in ihrer Größe dem Wolfszahn entspricht. Die Gingiva und das darunterliegende Periost werden rund um den Zahn eingeschnitten und mit Schere und Pinzette entfernt. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 15 ➞ Störungen beim Zahndurchbruch Abb. 25: Wolfszähne im Oberkiefer. Abb. 26: Wolfszahnfistel endoskopisch. Bei einem früheren Extraktionsversuch ist die Wurzel des Wolfszahns in der Alveole verblieben. Sie fistelt nun und sollte extrahiert werden, um eine vollständige Abheilung zu ermöglichen. Mithilfe des Wolfszahnextraktors wird zunächst die Gingiva rund um den Wolfszahn weiter abgelöst und dann die Wurzel vorsichtig von allen Seiten in ihrer Alveole gelockert. Befindet sich der Wolfszahn sehr nahe am P2, muss die Wurzel zuerst an den drei anderen Seiten gelockert werden. Dadurch entsteht ein kleiner Spalt in der Alveole, sodass dann mit dem Wurzelheber zwischen Wolfszahn und P2 eingegangen werden kann. So kann der Wolfszahn wenige Millimeter nach rostral gedrückt werden. Erst nach hinreichender Lockerung wird der Wolfszahn mit der Extraktionszange gefasst und samt Wurzel entnommen. Mit dem Wolfszahnextraktor wird die Extraktionsalveole kürettiert und der scharfe Rand der Alveolenränder geglättet. Bricht die Wurzel eines nicht molarisierten Wolszahnes bei der Extraktion ab und ist ohne Traumatisierung des Kie- ferknochens nicht zu entnehmen, sollte sie in der Alveole belassen werden. Nach etwa sechs Monaten ist die Wurzel entweder resorbiert oder näher an die Oberfläche geschoben worden, wo sie dann leichter extrahiert werden kann. Eventuell bestehende Rittigkeitsprobleme werden in dieser Zeit allerdings weiterhin bestehen bleiben. Keinesfalls sollten die Wolfszähne routinemäßig auf Zahnfleischniveau abgebrochen oder heruntegeschliffen werden, wie dies meist von Laien­ behandlern mangels Sedations- und Anästhesiemöglichkeiten praktiziert wird. Durch verbleibende Wurzelreste kann eine Wolfszahnfistel verursacht werden, die durch das dunkel verfärbte Fistelmaul diagnostiziert werden kann. Sie verursacht häufig große Rittigkeitsprobleme. Eine Verletzung der A. oder V. palatina major kann beim Abrutschen von scharfem Instrumentarium vorkommen. Sie verläuft im Oberkiefer einige Millimeter palatinal der Backenzahnreihe und zieht durch den Interdentalspalt zu den Schneidezähnen. Sie bildet zahlreiche Anastomosen, sodass eine Ligatur sowohl rostral als auch kaudal der Verletzung notwendig ist. Da die elastischen Gefäßstümpfe unter der Gingiva in die Tiefe schnellen, ist diese Ligatur jedoch fast unmöglich. Man sollte die Sedation verlängern und durch Druckkompressen versuchen, die Blutung zum Stehen zu bringen. Dazu kann eine Rolle Verbandsmull mit einer Binde umwickelt werden, auf die Verletzung gebracht und dem Pferd mit einer Trense das Maul so verschlossen werden, dass ein möglichst großer Druck auf die Gefäßenden ausgeübt wird. Eine antibiotische und analgetische Nachsorge ist bei einer Wolfszahnextraktion nur in Ausnahmefällen nötig. Der Patient sollte in den ersten zwölf Stunden nach der Extraktion kein Körnerfutter erhalten. Nach dieser Zeit ist das Koagel in der Extraktionsalveole so hart, dass sich keine Körner mehr einbeißen können. Bis zum Abschluss der Wundheilung nach etwa einer Woche sollte kein Gebiss eingelegt werden. ❚ kompakt extraKtion Eines Wolfszahnes Instrumente: • Dentalhalfter und Strick • Spülspritzen und lauwarmes Wasser • 0,1%ige Chlorhexidinlösung • Maulgatter • Kopflampe • Chirurgische Schere • Anatomische Pinzette • Wolfszahnextraktionsset nach Stelzer • Wolfszahnextraktor nach Erbrich oder Stelzer • Aspirationsspritze mit Zylinderampulle für Lokalanästhesie falls vorhanden, sonst normale Injektionsspritze mit gelber Kanüle • Reynoldszange Vorbereitung des Patienten: • Sedation • Tetanusimpfschutz • Maulgatter einsetzen • Maulhöhle ausspülen • Subgingivale und supraperiostale Infiltrationsanästhesie 16 Backenzähne Die drei Prämolaren sind bei der Geburt bereits als Milchzähne vorhanden. Sie wechseln mit zweieinhalb Jahren (P2), drei Jahren (P3) und vier Jahren (P4). Die Molaren haben keine Milchzahnvorläufer und eruptieren mit ein bis eineinhalb Jahren (M1), eineinhalb bis zweieinhalb Jahren (M2) und Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 27: Bumps am Unterkiefer. Abb. 28: Bumps am Oberkiefer sind nur bei genauer Beobachtung feststellbar, da sie zunächst in Kopfhöhlen ragen, bevor eine Knochenauswölbung sichtbar wird. drei bis vier Jahren (M3). Wächst der permanente Zahn nach oben, werden durch den hohen Druck auf den Milchzahn Osteoklasten aktiviert und die Wurzel des Milchzahnes atrophiert. So bleibt nur noch die „Kappe“ des Milchzahnes auf der Okklusalfläche des bleibenden Zahnes übrig. Dieser Rest lockert sich unter anderem durch Scherkräfte beim Kauen und fällt aus. Auf der apikalen Seite des permanenten Zahnes bauen die wasserbindenden Zellen im Zahnsäckchen im Wurzelbereich einen hohen hydrostatischen Druck auf. Dadurch bilden sich Umfangsvermehrungen im Kieferknochen, die als Pseudo­ eruptionszysten, Knäste oder Bumps bezeichnet werden. Im Unterkiefer sind sie auffälliger als im Oberkiefer, wo sie jedoch auch vorkommen können. Diese knöchernen Auftreibungen sind Ausdruck der bevorstehenden Abstoßung der Milchzahnkappe. Bei physiologischem Verlauf erfährt der permanente Zahn dann bald keine Deckelung durch den Milchzahn mehr, kann vorstoßen und alsbald mit seinem Gegenspieler aus dem anderen Kiefer in Reibung gehen. Innerhalb von einem Jahr bis maximal drei Jahren bilden sich die Knäste wieder zurück. Auch wenn diese Vorgänge physiologisch sind, sind sie doch mit großen Spannungszuständen in der Maulhöhle verbunden und können das Wohlbefinden eines Pferdes beeinträchtigen. Persistierende Milchzahnkappen Verbleibt eine Milchzahnkappe oder ein Rest davon auf der Okklusalfläche des permanenten Zahnes über die Zeit des physiologischen Zahnwechselalters hinaus, spricht man von einer persistierenden Milchzahnkappe. Eine Disposition dafür besteht beim P4. Wenn der P4 wechselt, ist der permanente P3 bereits hochgewachsen und der M1 ist vollständig eruptiert. Deshalb kann die Milchzahnkappe zwischen den beiden Nachbarn eingeklemmt werden. Der permanente Zahn schreitet in seinem Längenwachstum jedoch weiter fort. Wenn dieses Wachstum nach okklusal nicht möglich ist, setzt es sich nach apikal fort und so kann ein Backenzahn mit seinem apikalen Ende den dünnen Kieferknochen nach außen durchstoßen. Bei den Backenzähnen im Unterkiefer und dem P2 und P3 im Oberkiefer kann auf diese Weise eine Fistel nach außen entstehen. Der P4 des Oberkiefers kann eine Fistlung in die rostrale Kieferhöhle verursachen. ❚ kompakt Entfernen von Milchzahnkappen Instrumente: • Dentalhalfter und Strick • Maulgatter • Kopfleuchte • Spülspritzen und lauwarmes Wasser • 0,1%ige Chlorhexidinlösung • Wolfszahnextraktor nach Erbrich oder Stelzer • Universalextraktionszange • Wurzelheber • Zahnspiegel oder Zahnendoskop • Isopropylalkohol in einer Sprühflasche (Zerstäuber) Vorbereitung des Patienten: Abb. 29: Bild einer persistierenden Milchzahnkappe. Die Trennungslinie zwischen der Zahnkappe und dem darunterliegenden permanenten Backenzahn ist erkennbar. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 • Sedation • Dentalhalfter und Maulgatter • Ausgespülte Maulhöhle 17 ➞ Störungen beim Zahndurchbruch Eine persistierende Milchzahnkappe bildet stets ein Reservoir für Bakterien und verursacht so Karies, Gingivitis, Parodontitis und damit vorzeitigen Zahnverlust. Die Diagnose einer persistierenden Milchzahnkappe wird spätestens bei der Untersuchung in Sedation durch Ad­ spektion mit dem Zahnspiegel gestellt, wenn sie nicht schon vorher ins Auge fiel. Man erkennt die Milchzahnkappe an der horizontalen Trennungslinie zum permanenten Zahn auf der bukkalen oder lingualen Seite. Therapie. Die Therapie besteht in der Entfernung der Milch- zahnkappen oder deren Reste. Die Milchzahnkappe wird mit der Universalextraktionszange gegriffen und durch Drehbewegungen in horizontaler Ebene gelockert. Nun wird die Kappe mit dem Wolfszahnextraktor vom permanenten Zahn gehoben. Um ein Abbrechen der bukkalen Milchzahnwurzeln zu vermeiden, sollte die Kappe in palatinaler bzw. lingualer Richtung entfernt werden. Auf der bukkalen Seite ist eine Entfernung von Milchzahnsplittern schwieriger. Sind solche Splitter zurückgeblieben, werden sie mit einem Wurzelheber entfernt. Abb. 30: Entfernte Milchzahnkappen. Es ist auf synchronen Zahnwechsel der Antagonisten zu achten. Deshalb ist eine Zahnkappe des Antagonisten ebenfalls zu entfernen, wenn der permanente Zahn das Zahnfleisch durchstoßen hat. Literatur Baker GJ, Easley J (2003): Zahnheilkunde in der Pferdepraxis. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover. Caldwell L (2006): Canine Teeth in the Equine Patient – The Guide to Eruption, Extraction Reduction and Other Things You Need to Know; Proceedings of the Focus Meeting of the AAEP 2006, Indianapolis, USA. Dixon PM, Tremaine WH, Pickles K, Kuhns L, Hawe C, McCann J, Mc Gorum B, Railton DI, Brammer S (1999): Equine Dental Disease Part 1: A Long Term Study of 400 Cases: Disorders of Incisor, Canine and First Premolar Teeth, Equine Veterinary Journal 31 (5): 369–377. Dyce KM, Sack WO, Wensing CJG (1991): Zahnwachstum und Kauapparat. In: Dyce KM, Sack WO, Wensing CJG (Hrsg.), Anatomie der Haustiere. Enke Verlag, Stuttgart, 520–522. Easley KJ (2004): Equine Canine and First Premolar (Wolf) Teeth 50th Annual Conv. Of the Amerc. Ass. 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Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 ATF-anerkannte interaktive fortbildung Der Der praktische praktische tiErarzt tiErarzt 9191 (Suppl. (Suppl. 3),2), 19–28 x–x (2010) 2 Fehlerhafte Abnutzung des Gebisses Isabell Herold, Tilman Simon Beim physiologischen Kauvorgang bewegt sich der Unterkiefer gegen den Oberkiefer. Deshalb ist eine freie Beweglichkeit des Unterkiefers zum Oberkiefer eine Voraussetzung für die ovoide Kaubewegung. Der Kauvorgang beginnt mit der Öffnung des Maules durch Senken des Unterkiefers. Durch Muskelarbeit wird der Unterkiefer wieder geschlossen und verschiebt sich dabei wenige Zentimeter zu einer Seite und etwas nach rostral. In der dritten Phase des Kauens, dem Mahlen, bewegt sich der Unterkiefer bei geschlossenem Maul seitlich soweit gegen den Oberkiefer wie möglich. Mit einer kleinen Rückholphase kommt der Unterkiefer wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück und eine neue Kaubewegung wird begonnen. Im Zustand der Normokklusion besteht eine Dreipunktbalance aus Schneidezähnen, Backenzähnen und dem Kiefergelenk. Die Kaukräfte werden gleichmäßig auf diese drei Säulen verteilt. Da der Unterkiefer etwas schmaler ist als der Oberkiefer, bringt das Pferd nur eine Seite der Backenzähne in vollständige Reibung. Es kaut also entweder rechts oder links, aber niemals gleichzeitig auf beiden Seiten. Für eine gleichmäßige Abnutzung der Zähne muss das Pferd die Seiten immer wieder abwechseln. Senkt das Pferd den Kopf zum Boden, verschiebt sich der Unterkiefer dabei etwas nach rostral und erst dann ist die optimale Okklusion erreicht. Eine rückwärtsgerichtete Bewegung ist dem Unterkiefer nur einige Millimeter möglich, weil der Condylus des Ramus mandibulae sonst schmerzhaft auf den Processus retroarticularis des Os temporale gedrückt wird. Durch Zahnhaken am P2 im Oberkiefer oder am M3 im Unterkiefer wird die Mandibula bei jedem Schließen des Maules nach kaudal gedrückt. Dieser Zustand verursacht Schmerzen und eine Schädigung des Kiefergelenkes. Eine fehlerhafte Abnutzung des Gebisses entsteht durch eine unphysiologische Kaubewegung. Die Kaubewegung kann in laterolateraler oder rostrokaudaler Richtung eingeschränkt werden. Diese Beeinträchtigung kann durch eine Störung beim Zahnwechsel entstehen oder durch Missbildungen und Traumata. Es wird diskutiert, inwieweit Haltungsbedingungen wie Rohfasergehalt des Futters und Kopfstellung beim Fressen die Kaubewegung beeinflussen. Durch Traumata oder Störungen beim Zahnwechsel können Gleithindernisse entstehen, die eine ovoide Kaubewegung verhindern. Beim Zahnwechsel entsteht nach dem Verlust der Milchzahnkappe eine temporäre Lücke, bis der Zahn vollständig hochgewachsen ist. In diesem Zeitraum kann aber ein Gegenspieler weit in diese Lücke hineinwachsen, wenn er früher gewechselt hat und schon vollständig eruptiert ist. Auf diese Weise kann in der Backenzahnreihe ein Meißelzahn Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 entstehen, der über das Okklusionsniveau der anderen Zähne hinaussteht. Der Meißelzahn verhindert als Gleithindernis die ovoide Kaubewegung und zieht so die Bildung eines rauen Gebisses, eines Wellen- oder Scherengebisses nach sich. Der Rest einer eingekeilten Milchzahnkappe kann sich durch den erheblichen Druck beim Kauen zwischen zwei Backenzähne drücken und diese stetig auseinanderpressen. Das entstehende Diastema hat eine Parodontalerkrankung zur Folge und führt zu vorzeitigem Zahnverlust. Derartige schmerzhafte Prozesse können das Pferd dazu veranlassen, nur noch eine Seite der Backenzähne in Reibung zu bringen. Durch diese Ausführungen soll verständlich gemacht werden, dass Veränderungen in der Maulhöhle zu einer abweichenden Kaubewegung führen können. Diese Abweichungen verursachen die Entwicklung weiterer Malokklusionen. Erst dieses Verständnis um die Pathogenese ermöglicht uns ein therapeutisches Eingreifen in diesen Circulus vitiosus. Bei einer Zahnbehandlung beim Pferd wird die Wiederherstellung oder der Erhalt der Normokklusion angestrebt. Zahnkanten Bringt die Kaubewegung nicht die gesamte Okklusalfläche der Backenzahnreihen in Reibung, bleiben an den harten Schmelzleisten spitze Kanten seitlich am Backenzahn stehen. Man spricht dann von Zahnkanten oder Zahnspitzen. Diese entstehen im Oberkiefer vor allem auf der bukkalen und im Unterkiefer auf der lingualen Seite, weil der Unterkiefer etwas schmaler ist als der Oberkiefer. Um also die bukkale Seite der Unterkieferbackenzähne bis zur bukkalen Seite der Oberkieferbackenzähne zu bringen, muss der Kauausschlag die maximale Bewegungsfreiheit in laterolateraler Richtung nutzen und nutzen können. Ein maximaler seitlicher Kauauschlag wird vom Pferd nur ausgeführt, wenn es Raufutter frisst. Körnerfutter würde ihm bei dieser weiten Bewegung von den Backenzahnreihen fallen. Eine Einschränkung der laterolateralen Bewegung des Unterkiefers entsteht durch Kiefergelenksleiden, aber noch häufiger durch Zahnkanten selbst. Die scharfen Schmelzspitzen bohren sich schmerzhaft in die Backenschleimhaut und führen zu immer kleineren Kauausschlägen und damit wiederum zu vermehrter Bildung von Zahnkanten und zahlreichen anderen Malokklusionen. Zahnkanten sind der häufigste Befund in der Pferdezahnheilkunde. Sie lösen erhebliche klinische Symptome bezüglich des Fressverhaltens und vor allem der Rittigkeit aus. Die Diagnose kann schon in der Palpation vor der Sedation gestellt werden. Wird die Zahnreihe im Oberkiefer mit 19 ➞ Fehlerhafte Abnutzung des Gebisses Abb. 31: Zahnkanten der Oberkieferbackenzähne. Abb. 32: Endoskopisches Bild einer Zahnkante mit Schleimhautläsion. sanftem Druck von außen palpiert, kann man Zahnkanten an den Prämolaren des Oberkiefers ertasten und erzielt eine Abwehrreaktion des Patienten. Bei der Untersuchung in Sedation sind die Zahnkanten zu sehen und direkt zu palpieren. Zahnkanten im hinteren Bereich der Backenzahnreihe dürfen nicht übersehen werden, weil sie aufgrund der beengten Platzverhältnisse auch dann starke Läsionen der Schleimhaut verursachen können, wenn sie klein sind. Die Schleimhautläsionen heilen binnen weniger Tage nach Entfernung der auslösenden Zahnkanten ab. In der Regel bedürfen sie keiner weiteren Behandlung. Schaden anrichten, wenn zu viel Zahnsubstanz (overfloat) abgetragen und der Okklusionswinkel (Curve of Wilson) verändert wird. Werden die Zahnkanten maschinell abgeschliffen, kann diese Maßnahme schneller durchgeführt werden und ist somit für den Patienten schonender. Die Handraspeln kommen für die Feinarbeit am Schluss zum Einsatz. Gearbeitet wird von hinten nach vorne und erst im Unterkiefer, dann im Oberkiefer. Die Schleifmaschine wird waagerecht zu den Zahnkanten gehalten. Diese werden entfernt, ohne die Winkelung der Kaufläche zu verändern. Kleine Zahnkanten können im Oberkiefer auch auf der lingualen und im Unterkiefer auf der bukkalen Seite vorhanden sein. Nun wird die Schleifmaschine nahezu senkrecht gehalten und es werden die seitlichen Wellen an den Backenzähnen, die Cingulae, etwas abgeflacht, um das Entstehen neuer Zahnkanten zu verzögern. Weil im Oberkiefer vor allem die bukkale Seite bearbeitet werden muss, wird die Öffnung des Maulgatters etwas verringert, um die Spannung der Backe zu reduzieren. Nun wird die Maulhöhle am abgesenkten Kopf ausgespült und die Backenzahnreihen werden palpiert. Als Abschluss werden nun Handraspeln eingesetzt, um die Backenzähne zu konturieren. Der M3 im Oberkiefer wird mit einer geraden Raspel auf der bukkalen und mit einer gekröpften Raspel auf der kaudobukkalen Seite nachbearbeitet. Die P2 im Oberkiefer weisen oft noch scharfe Ränder auf, die mit einer S-förmigen Flachraspel sorgfältig entfernt werden müssen, damit Schleimhautfalten die zwischen Trense und P2 geraten, nicht verletzt werden. Am Ende der Behandlung sind alle Ränder der Backenzähne palpatorisch zu überprüfen und eventuell noch manuell zu bearbeiten. Verletzungen oder Ulcera an der Backenschleimhaut bedürfen in der Regel keiner Behandlung und heilen nach Beseitigung ihrer Ursache schnell und vollständig ab. Eine Veränderung der „Curve of Wilson“, also der Okklusionswinkel der Backenzähne zueinander gilt als Kunstfehler und verursacht eine mehrwöchige Dysmastikation. Wird bei der Einschleifmaßnahme Kaufläche entfernt, wirkt die gleiche Kaukraft auf eine kleinere Fläche, der Zahn nutzt sich schneller ab und seine Lebensdauer verkürzt sich. Therapie. Zur Therapie werden die Zahnkanten manuell oder maschinell abgeschliffen. Diese Maßnahme wird am sedierten Patient durchgeführt, dem ein Maulgatter eingesetzt ist. Das Maulgatter ermöglicht eine Sichtkontrolle. Das weitverbreitete „blinde“ Raspeln mit der Hand vernachlässigt die hinteren Backenzähne, weil dabei vermieden werden muss, mit der Raspel an den sensiblen Ramus mandibulae zu stoßen. Dadurch wird die Situation im Pferdemaul nur manchmal verbessert. Das maschinelle „blinde“ Schleifen verbessert die Situation auch nur selten, kann aber großen ❚ kompakt Abschleifen Von Zahnkanten Instrumente: •Kopflampe •Maulgatter •Dentalhalfter und Strick •Spülspritzen und lauwarmes Wasser •0,1%ige Chlorhexidinlösung •Schleifmaschine mit Diamantschleifscheibe (z. B. Erbrich® oder Eisenhut®) •Handraspeln (gerade, konvex, S-förmige Flachraspel) Vorbereitung des Patienten: •Sedation •Dentalhalfter und Maulgatter •Ausgespülte Maulhöhle 20 Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 ❚ kompakt Abschleifen Von Zahnhaken Instrumente: Abb. 33: Raues Gebiss: „excessive transverse ridges“. Das raue Gebiss Die Backenzahnreihe weist auf ihrer Okklusalfläche von der Seite betrachtet Querkämme und -täler auf. Diese Rinnen bezeichnet man im Englischen als „transverse ridges“. Sie vergrößern die Oberfläche der Backenzähne und verbessern damit die Funktion als Mahlstein. Dem Unterkiefer wird durch die interdigitierenden Querkämme eine größere Stabilität in Ruhestellung und beim Kauen verschafft. Sind die Quertäler sehr ausgeprägt, spricht man von einem rauen Gebiss bzw. von „excessive transverse ridges“. Das raue Gebiss entsteht durch eine betont laterolaterale Bewegung mit Vernachlässigung der rostrokaudalen Kaurichtung. Je tiefer die Quertäler sind, desto mehr wird die Kaubewegung in laterolaterale Richtung gezwungen. Diese Art der Kaubewegung kommt bei Gleithindernissen in rostro­ kaudaler Richtung vor, wie z. B. beim Meißelzahn und dem Papageienschnabel. Die Diagnose wird bei der Untersuchung in Sedation mit Maulgatter gestellt. Therapie. Zur Therapie ist die Ursache des rauen Gebisses zu beheben. Betragen die Querkämme 4–5 mm, sind keine Maßnahmen einzuleiten, weil der vom Gleithindernis befreite Kiefer die Querkämme dann selbst einschleift. Sind die Querkämme höher als ca. 5 mm, werden sie mit der Schleifmaschine auf diese Höhe geschliffen, ohne dabei eine korrekte „Curve of Wilson“ zu verändern. Bei jungen Tieren, deren bleibende Backenzähne noch nicht lange in Kaukontakt sind, sind diese Querkämme und -täler naturgemäß stärker ausgeprägt als bei alten Tieren. Dies ist bei der Korrektur zu berücksichtigen. •Kopflampe •Maulgatter •Dentalhalfter und Strick •Spülspritzen und lauwarmes Wasser •0,1%ige Chlorhexidinlösung •Zahnspiegel oder Zahnendoskop •Isopropylalkohol in einer Sprühflasche (Zerstäuber) •Atemschutzmaske für den Tierarzt •Schleifmaschine mit Diamantschleifscheibe (z. B. Erbrich® oder Eisenhut® mit rauer Schleifscheibe) •Drahtbürste zum Schleifscheibenreinigen •Walzenfräse mit Schleimhautschutz und Handstück sowie entsprechendem Antriebsmotor •Handraspeln (gerade, konvex, S-förmige Flachraspel) •Zahnsonde (z. B. nach Erbrich) Bei sehr langen Zahnhaken am M3: •Röntgengerät mit entsprechender Zusatzausrüstung •Sägedraht oder Zahnschneidezange Vorbereitung des Patienten: •Sedation •Eingesetztes Maulgatter •Ausgespülte Maulhöhle Die Ursache und auch die Folge von Zahnhaken sind ein Überbiss und Unterbiss der Schneidezähne. Beim Überbiss wird der Oberkiefer stets nach rostral gedrückt und verhindert so, dass der P2 im Oberkiefer auch an seinem rostralen Ende und der M3 im Unterkiefer auch an seinem kaudalen Ende abgerieben wird. Beim seltener vorkommenden Unterbiss ist entsprechend ein Zahnhaken am M3 des Oberkiefers und dem P2 im Unterkiefer zu erwarten. Durch diese Zahnhaken wird im Lauf der Zeit die rostrokaudale Inkongruenz der beiden Kiefer und damit auch der Fehlbiss an den Schneidezähnen weiter begünstigt. Zahnhaken können so lang werden, dass Zahnhaken Als Zahnhaken werden Protuberantien an den Enden der Backenzahnreihen bezeichnet. Sie kommen am häufigsten am P2 im Oberkiefer und am M3 des Unterkiefers vor. Am P2 bilden sich Haken, wenn der rostrale Teil der Okklusionsfläche keinen Abrieb vom Antagonisten erfährt. Steht die gesamte Backenzahnreihe im Oberkiefer etwas weiter rostral als die im Unterkiefer, ist entsprechend zusätzlich ein Zahnhaken am kaudalen Ende des M3 im Unterkiefer zu erwarten. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 34: Zahnhaken am P2 des rechten Oberkiefers. 21 ➞ Fehlerhafte Abnutzung des Gebisses Abb. 35: Der Zahnhaken am M3 des rechten Unterkiefers ist im Gegensatz zu dem am P2 wesentlich schwieriger zu entdecken. Abb. 36: Papageienschnabel. sie das Zahnfleisch des gegenüberliegenden Kiefers verletzen. Der verstärkte Kaudruck auf diese Zähne schädigt ihr Parodont und sie werden bei jeder Kaubewegung von der Zahnreihe weggedrückt. So geht der Approximalkontakt zum P3 bzw. M2 verloren und es entstehen ein Diastema und eine Parodontalerkrankung. Die Kaubewegung eines Patienten mit Zahnhaken ist seitwärts-rückwärts gerichtet und verursacht auf diese Weise eine Reihe von anderen Malokklusionen. Weil der Unterkiefer in rostraler Richtung gegen den Oberkiefer verriegelt ist, geht dieser Befund meist mit Rittigkeitsstörungen einher. Die Diagnose am P2 kann bereits in der Adspektion ohne Sedation gestellt werden. Ein Zahnhaken am M3 offenbart sich erst in der Untersuchung in Sedation mit dem Zahnspiegel. Oft ist er in der Schleimhaut der Backe und in der Zunge verborgen und wird deshalb leicht übersehen. wird abschließend mit Handraspeln geglättet und konturiert. Bei Schleifmaßnahmen ist mit einer potentiell schädlichen Hitzeentwicklung zu rechnen, daher sollte häufig gespült werden und eine Stelle niemals mehr als ca. 10 Sekunden am Stück beschliffen werden. Therapie. Die Zahnhaken werden abgeschliffen. Es wird mit der Behandlung am M3 begonnen und der Zahnhaken mit der Schleifmaschine heruntergeschliffen. Der physiologische Bogen der Backenzähne (Curve of Spee) führt in kaudaler Richtung etwas nach oben und muss beim Abschleifen eines Hakens am M3 weitergeführt werden. Im Anschluss werden mit Handraspeln die Schleifkanten abgerundet und der Zahn konturiert. Bei sehr langen Zahnhaken ist es manchmal nicht möglich, eine ausreichende Maulöffnung zu erreichen, um mit der Schleifscheibe auf die Hakenspitze zu kommen. Man schleift dann zunächst von der lingualen bzw. palatinalen Seite oder versucht, die Spitze mit der Handraspel oder einer Walzenfräse so zu kürzen, dass die Schleifscheibe unter den Haken passt. Ist der Zahnhaken so groß, dass auch diese Maßnahme nicht möglich ist, muss ein Sägedraht kaudal um den Zahn gelegt und der Haken abgesägt werden. Beim Einsatz einer Zahnschneidezange, mit welcher der Zahn abgezwickt wird, kann der Zahn zersplittern und muss dann extrahiert werden. Eine Extraktion des M3 mit zersplitterter Krone gestaltet sich sehr schwierig. Die Zahnhaken am P2 werden mit einer Walzenfräse mit Schleimhautschutz eingeschliffen. Dabei hält man mit einer Hand die Zunge zurück und mit der anderen Hand wird der Haken auf das Okklusalniveau geschliffen. Auch der P2 22 Über- und Unterbiss Beim Überbiss stehen die Schneidezähne des Oberkiefers weiter rostral als die des Unterkiefers. Haben die Schneide­ zähne dabei noch Okklusionskontakt, spricht man von einem Vorbiss. Schieben sich dagegen die Schneidezähne des Oberkiefers vollständig vor die des Unterkiefers, liegt ein Papageienschnabel vor. Die angeborene Ursache ist eine Brachygnatie des Unterkiefers bzw. eine Prognathie des Oberkiefers. Eine erworbene Ursache können Zahnhaken am P2 des Oberkiefers und am M3 des Unterkiefers sein. Dabei wird bei jedem Schließen des Maules der Unterkiefer nach kaudal geschoben. Zahnhaken und Überbiss beeinflussen sich auf diese Weise gegenseitig negativ. Seltener als der Überbiss ist der Unterbiss. Dabei stehen die Schneidezähne des Unterkiefers entsprechend vor denen des Oberkiefers. Er kommt angeboren meist nur bei Miniatur­rassen vor. Beide Diagnosen stellen ein rostrokaudales Gleithindernis dar und zwingen die Kaubewegung dadurch in eine laterolaterale Richtung. Darum ist an den Backenzähnen eine Malokklusion zu erwarten, z. B. Zahnhaken und ein raues Gebiss. Wenn ein Pferd durch das Genick geritten wird, schiebt sich der Unterkiefer etwas nach vorne. Ist dies dem Unterkiefer durch einen Überbiss nicht möglich, kommt es zu Fehlbelastungen der Kiefergelenke und zu Verspannungen der Kaumuskulatur. Aus diesem Grund wird bei einem erheblichen Überbiss in der Anamnese meist über massive Rittigkeitsprobleme berichtet. Im Falle eines Unterbisses kann der Unterkiefer nach vorne gleiten und verursacht weniger Probleme. Die Diagnose wird sehr leicht bei der Adspektion der Schneidezähne gestellt. Am angehobenen, gestreckten Kopf ist ein leichter Vorbiss physiologisch. Deshalb ist die Diagnose eines geringgradigen Vorbisses nur am gesenkten Kopf möglich. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 37: Überlange Schneidezähne. Quelle: Simon T, Herold I, Schlemper H (2009): Praxisleitfaden Zahn- und Kiefererkrankungen des Pferdes. Parey Verlag, Stuttgart. Beim angeborenen Papageienschnabel kann bei frühzeitiger Diagnose eine Drahtcerclage am Oberkiefer versucht werden. Diese Maßnahme muss unter Vollnarkose und Klinikbedingungen erfolgen. Der erworbene Überbiss ist durch Beseitigung der Zahnhaken am P2 des Oberkiefers und am M3 des Unterkiefers zu therapieren. Erst dann kann eine Überlänge der Schneidezähne beurteilt und korrigiert werden. Ein Überbiss ist meist von einer mehr oder weniger ausgeprägten Ventralkurvatur begleitet, die durch entsprechende Kürzung der Schneidezähne mit behoben wird. Abb. 38: Mangels Gegenspieler ist der P3 im linken Unterkiefer als Meißelzahn in die Lücke „emporgewachsen“ und richtet hier und an den Nachbarzähnen erhebliche Traumata an. Die Schneidezähne werden in mehreren Schritten um jeweils einen Millimeter mit der Diamanttrennscheibe gekürzt. Nach jedem Schritt wird der Ausschlag der Lateralexkursion am abgesenkten Kopf überprüft. Um eine iatrogene Pulpen­ öffnung zu vermeiden, sollten in einer Sitzung nie mehr als 5 mm entfernt werden. Überlange Schneidezähne Sind die Schneidezähne im Verhältnis zu den Backenzähnen zu lang, muss das Pferd erheblichen Kaudruck aufwenden, um die Backenzähne in Reibung zu bringen. Damit kommt es durch die gestörte Dreipunktbalance zu einer erhöhten Druckbelastung auf die Schneidezähne und die Kiefergelenke. An den Schneidezähnen bildet sich ein Winkelgebiss, also ein zunehmend spitzer Winkel, mit dem die Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers aufeinander treffen. Durch den erhöhten Kaudruck auf die Schneidezähne werden auch Parodontalerkrankungen derselben begünstigt. Die Kiefergelenke werden überlastet und dadurch geschädigt. Schmerzen in den Kiefergelenken verursachen eine Verspannung der Kaumuskulatur, die durch neurogene Verbindungen auch Verspannungen in der Halsmuskulatur hervorrufen können. Bei Pferden mit ausgiebigem Weidegang kommen überlange Schneidezähne seltener vor als bei Tieren, die ihre Schneide­zähne nicht benutzen müssen. Dadurch liegt der Schluss nahe, dass sich die Schneidezähne tatsächlich durch Ausrupfen von Gras abnutzen. Unterforderte Schneidezähne können in Relation zu den Backenzähnen also zu lang werden. Die Diagnose wird nach Abschluss der Okklusionskorrektur an den Backenzähnen gestellt. Erst nach Beseitigung jeglicher Vorkontakte und Gleithindernisse kann eine Überlänge der Schneidezähne überhaupt beurteilt werden. Man prüft mit der Lateralexkursion die relative Länge der Schneidezähne. Beträgt der Ausschlag der Lateralexkursion mehr als eine Schneidezahnbreite, ist eine Kürzung der Schneidezähne angezeigt. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 23 ➞ Fehlerhafte Abnutzung des Gebisses ❚ kompakt herunterschleifen Eines MeiSSelzahnes Instrumente: • Kopflampe •Maulgatter •Dentalhalfter und Strick •Spülspritzen und lauwarmes Wasser •0,1%ige Chlorhexidinlösung •Zahnspiegel oder Zahnendoskop •Isopropylalkohol in einer Sprühflasche (Zerstäuber) •Atemschutzmaske für den Tierarzt •Schleifmaschine mit Diamantschleifscheibe (z. B. Erbrich® oder Eisenhut® mit rauer Schleifscheibe) •Messingdrahtbürste zum Schleifscheibenreinigen Vorbereitung des Patienten: •Sedation •Eingesetztes Maulgatter •Ausgespülte Maulhöhle Meißelzahn und Treppengebiss Ein Meißelzahn steht ganz oder teilweise über das Okklusal­ niveau seiner Backenzahnreihe hinaus. Er entwickelt sich bei fehlendem Abrieb durch einen Antagonisten. Der Antagonist kann dann durch Missbildung oder Verlagerung, durch Zahnverlust oder Zahnfraktur und auch durch Diastemata keinen genügenden Abrieb gewährleisten. Die Bildung eines Meißelzahnes durch zeitlich versetzten Zahnwechsel kommt am häufigsten am P4 vor und wurde schon erläutert. Von einem Treppengebiss spricht man, wenn mehrere Meißelzähne auf einer Kieferseite vorhanden sind. Ein Meißelzahn interdigitiert in die Backenzahnreihe des gegenüberliegenden Kiefers und stellt so ein erhebliches mechanisches Hindernis der rostrokaudalen Beweglichkeit des Unterkiefers dar. Eine ovoide Kaubewegung wird durch dieses Gleithindernis unterbunden und damit sind der Entstehung weiterer Malokklusionen Tür und Tor geöffnet. Mit der Verriegelung der Kiefer geht eine Störung der Rittigkeit und der Futteraufnahme einher, die nicht selten bis zur Abmagerung führt. Ein Meißelzahn kann soweit in die Lücke ragen, dass die Schleimhaut und sogar der Knochen im anderen Kiefer verletzt werden. Bei jedem Kauvorgang werden erhebliche Kräfte auf den Meißelzahn selbst und auf die Nachbarn des fehlenden Antagonisten ausgeübt, an die er immer wieder anstößt. So kommt es zu Absplitterungen sowie Parodontalerkrankungen und somit zu vorzeitigem Zahnverlust. Die Diagnose eines Meißelzahnes oder eines Treppengebisses kann bei der Adspektion der Backenzähne sehr einfach gestellt werden. Der Meißelzahn wird auf seine Integrität untersucht. Ist er frakturiert oder gelockert, ist eine Extraktion indiziert. Ein Augenmerk ist auf das Parodont des Meißelzahnes selbst, seines fehlenden oder zu niedrigen Antagonisten und dessen Nachbarn zu richten. 24 Therapie. Der Meißelzahn wird auf das Okklusionsniveau heruntergeschliffen. Beim Herunterschleifen eines Meißelzahnes werden sehr raue Diamantschleifscheiben verwendet, die während der Schleifmaßnahme immer wieder gereinigt werden sollten, um ihre Effizienz zu erhalten. Der Meißelzahn sollte ohne Unterbrechung nicht länger als zehn Sekunden beschliffen und immer wieder durch Spülungen gekühlt werden, um eine thermische Pulpitits zu vermeiden. Der Meißelzahn sollte etwas niedriger geschliffen werden als seine Nachbarn, um ihn aus dem Kaudruck zu nehmen (Infraokklusion). Abschließend werden seine Ränder mit der Handraspel geglättet und das eventuell geschädigte Parodontium behandelt. Diese Therapiemaßnahmen bergen Risiken für den Meißelzahn. In Anbetracht des Schadens, den ein Meißelzahn dem Rest des Gebisses zufügt, sollte der Verlust dieses Zahnes jedoch riskiert werden. Der Meißelzahn kann durch diese Maßnahme gelockert werden und muss dann schließlich doch noch extrahiert werden. Da ein großer Teil der Krone entfernt werden muss, ist die Gefahr einer Pulpeneröffnung erheblich. Sie macht sich durch eine diskrete Blutung auf der Okklusalfläche bemerkbar und sollte mit einer Vitalüberkappung versorgt werden. Zur Technik derselben ist weiterführende Literatur empfohlen.Vor allem an den hinteren Backenzähnen kann eine Pulpenöffnung übersehen werden. Um die Gefahr einer Pulpitis zu verringern, sollte über einige Tage kein Körnerfutter gegeben werden. Pferdezähne können die iatrogene Pulpenöffnung durch Anlagerung von Tertiärdentin wieder verschließen und die Infraokklusion des Meißelzahnes wirkt sich hier vorteilhaft aus. Schließlich besteht das Risiko einer thermischen Pulpitis durch die Hitzeentwicklung beim Schleifen. Es entwickelt sich eine Pulpennekrose und die Lebensdauer des Zahns ist dadurch verkürzt. Als Nachsorge ist einige Tage auf Körnerfutter zu verzichten und es sollte über fünf bis sechs Tage ein NSAID verabreicht werden. Ist die Ursache eines Meißelzahnes ein fehlender Antagonist, muss in jährlichen Abständen der Meißelzahn immer wieder gekürzt werden. Kann nach dieser Maßnahme dagegen ein Antagonist mit verzögerter Eruption bis zum Okklusalniveau emporwachsen, wird sich nach einer jährlichen Untersuchung eine Nachbehandlung eventuell als unnötig erweisen. Wellengebiss Wenn der Antagonist eines Meißelzahnes nicht fehlt, sondern geringgradig zu niedrig ist, steht ein Meißelzahn nur einige Millimeter über das Okklusionsniveau seiner Backenzahnreihe. Der Meißelzahn kann dann die Nachbarn seines Antagonisten so abschleifen, dass eine Welle in der Backenzahnreihe entsteht. Dabei gibt es keine abrupte Stufe wie beim Meißelzahn, sondern einen fließenden Übergang. Eine Wellenbildung hat ihre Ursache meist in Veränderungen des P4 und M1. Befindet sich der Wellenkamm im Unterkiefer, kann man eine Umkehrung des Zahnbogens (Curve of Spee) beobachten. Seltener sind dagegen die überlangen Zähne im Oberkiefer, dabei wird der konvexe Zahnbogen verstärkt und man spricht von einem inversen Wellengebiss. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Abb. 40: Endoskopische Aufnahme eines Diastemas von lateral: Das Zahnfleisch ist entzündlich-hyperplastisch. Es befindet sich eingebissenes, vergorenes Futter in der Zahnlücke. Mit einer Mess-Sonde kann die Tiefe der Zahnfleischtasche sondiert werden. Abb. 39: Wellengebiss. Quelle: Simon T, Herold I, Schlemper H (2009): Praxisleitfaden Zahn- und Kiefererkrankungen des Pferdes. Parey Verlag, Stuttgart. Diese Fehlstellung macht bei stärkerer Ausprägung eine ovoide Kaubewegung unmöglich und zieht eine Reihe weiterer Malokklusionen nach sich. Die Rittigkeit ist durch die rostrokaudale Verriegelung beeinträchtigt, während sich das Fressverhalten anfangs noch unauffällig zeigt. Die Diagnose wird im Anfangsstadium der Erkrankung bei der Adspektion der Backenzähne in Sedation gestellt. Mehrere Backenzähne sind dabei überlang und haben ihre Antagonisten excaviert. In fortgeschrittenem Stadium kann der Befund bereits in der Untersuchung ohne Sedation erhoben werden. Gefahr einer Pulpitis bei übersehener iatrogener Pulpenöffnung ist dann geringer. Der Besitzer ist darauf hinzuweisen, dass der Patient in den ersten Tagen schlecht fressen könnte, weil er sich an die neue Bisslage gewöhnen muss. Diastema Als Diastema wird jeder Verlust des Approximalkontaktes in der Backenzahnreihe bezeichnet. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Spalt von wenigen Millimetern oder eine Lücke von Therapie. Als therapeutische Maßnahme werden die ver- längerten Backenzähne abgeschliffen. Zunächst werden Zahnkanten entfernt und eventuell vorhandene Zahnhaken abgeschliffen. Dann werden die überlangen Backenzähne um maximal 4 mm mit der Schleifmaschine verkürzt. Dabei ist eine physiologische „Curve of Wilson“ von 10–15° einzuschleifen. Man verwendet sehr raue Diamantschleifscheiben und bearbeitet keinen Zahn ohne Unterbrechung länger als zehn Sekunden, um eine thermische Pulpitis zu vermeiden. Diese Zähne werden dadurch infraokkludiert und die Antagonisten haben die Möglichkeit, hoch zu wachsen. Bei hohen Wellen ist eine Abflachung nur durch jahrelang wiederholte Einschleiftherapien möglich. Beim alten Patienten ist die Ersatzkrone des Antagonisten unter Umständen schon verbraucht und er schließt nicht bis zur Okklusalfläche auf. Eine Restitutio ad integrum ist dann nicht mehr möglich und man findet jedes Jahr eine vergleichbare Welle wieder. Bei dieser Maßnahme ist zu beachten, dass mehrere Backenzähne infraokkludiert und geglättet werden. Die Kaukräfte belasten deshalb alle anderen Zähne mehr. Folglich sollten so wenig Zähne wie möglich in dieser Weise bearbeitet werden und die raue Oberfläche der anderen muss erhalten bleiben. Im Anschluss werden die Schneidezähne durch Lateralexkursion in ihrer Länge überprüft und gegebenenfalls gekürzt und in ihrem Kauflächenwinkel korrigiert. Als Komplikation ist eine Pulpeneröffnung zu erwähnen, die dann mit einer Vitalüberkappung versorgt werden sollte. Das Pferd sollte über drei Tage kein Körnerfutter erhalten. Die Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 ❚ kompakt abschleifen Von Backenzähnen Instrumente: •Kopflampe •Maulgatter •Dentalhalfter und Strick •Spülspritzen und lauwarmes Wasser •0,1%ige Chlorhexidinlösung •Zahnspiegel oder Zahnendoskop •Isopropylalkohol in einer Sprühflasche (Zerstäuber) •Atemschutzmaske für den Tierarzt •Schleifmaschine mit Diamantschleifscheibe (z. B. Erbrich® oder Eisenhut® mit feinkörniger Schleifscheibe) •Rotierende Schleifinstrumente: • Diamanttrennscheiben unterschiedlicher Durchmesser mit Handstück und entsprechendem Antriebsmotor • Kugelfräse mit Handstück und entsprechendem Antriebsmotor • Handraspeln (gerade und gekröpft) Vorbereitung des Patienten: •Sedation •Eingesetztes Maulgatter •Ausgespülte Maulhöhle 25 ➞ Fehlerhafte Abnutzung des Gebisses ❚ kompakt breiter fräsen eines Diastemas Instrumente: •Kopflampe •Maulgatter •Dentalhalfter und Strick •Spülspritzen und lauwarmes Wasser •0,1%ige Chlorhexidinlösung •Zahnspiegel oder Zahnendoskop •Isopropylalkohol in einer Sprühflasche (Zerstäuber) •Xylocain Pumpspray •Schleifmaschine mit Diamantschleifscheibe (z. B. Erbrich® oder Eisenhut®) •Zahnsonde (z. B. nach Erbrich) •Gingivaseparator und Molarfragmentelevator (z. B. nach Erbrich) •Dentalirrigator nach Simon mit 0,1%iger Chlorhexidinlösung •Chlorhexidin-Adhäsivpaste (z. B. Dentisept®) •Winkelstück mit Antriebsmotor •Bohrer: abgerundeter konischer Diamantschleifer (Länge mehr als 3 cm; Durchmesser ca. 2 mm) •Methylcellulose (Resopac®) •Chlortetracyclin-Rezepturgrundlage mit 2 ml Gentamycin zur Paste angerührt oder Chlorhexidin-Adhäsivgel Vorbereitung des Patienten: •Sedation •Eingesetztes Maulgatter •Ausgespülte Maulhöhle •Okklusion korrigiert •Ausräumen der Periodontaltasche •Debridement der Periodontaltasche unter Lokalanästhesie der Breite eines Backenzahnes vorliegt. Ist das Diastema sehr eng, kann sich Futter zwischen zwei Zähne einbeißen und das Diastema nicht mehr verlassen. Diese Futterreste werden bakteriell besiedelt, vergären und verursachen eine Parodontitis. Ist das Diastema sehr breit, wird der Antagonist in diese Lücke stoßen und es bildet sich ein Meißelzahn. Die Ursachen eines Diastemas sind, abgesehen von der Zahnlücke durch Zahnverlust, alle Malokklusionen, die den Approximalkontakt zweier Backenzähne beeinträchtigen. In Frage kommt hier das raue Gebiss, bei dem ein hoher Querkamm im gegenüberliegenden Kiefer zwischen zwei Zähne ragt und sie immer wieder auseinanderdrückt. Retinierte Milchzahnkappen, die zwischen zwei Backenzähnen eingeklemmt sind, drücken diese stetig auseinander und unterbrechen den Approximalkontakt. Rotierte, deviatierte oder überzählige Zähne fügen sich aufgrund ihrer Fehlstellung nicht lückenlos in die Backenzahnreihe und verursachen durch das entstehende Diastema in den meisten Fällen eine Parodontitis. Ein P2 oder M3 mit Zahnhaken wird bei jeder 26 Kaubewegung von der Backenzahnreihe weggedrückt und verliert dabei seinen Approximalkontakt, da sich die Ersatzkronen nach apikal etwas verjüngen, kann der Approximalkontakt der Backenzähne auch mit zunehmendem Alter verloren gehen. Therapie. Ziel ist zunächst die Beseitigung der Ursache. Reste retinierter Milchzahnkappen sollten entfernt, die hohen Kämme eines rauen Gebisses etwas geglättet werden, Zahnhaken werden abgeschliffen und fehlgestellte Zähne sollten extrahiert werden, wenn eine Parodontalerkrankung vorliegt. Dadurch können sich geringgradige Diastemata zurückbilden. Bei größeren Lücken ist eine Rückbildung nicht möglich. Wenn von vornherein keine Parodontalerkrankung vorliegt oder diese bis zur Reepithelisierung behandelt wurde, ist der Patient schmerzfrei und nicht beeinträchtigt. Ist der Spalt in der Backenzahnreihe so groß, dass sich Futter einbeißen kann und so klein, dass dieses Futter die Lücke nicht mehr verlassen kann, besteht die Möglichkeit, das Diastema breiter zu fräsen. Nach der Okklusionskorrektur des Gebisses wird der Gegenspieler des betroffenen Zahnes infraokkludiert. Dabei wird dieser soweit gekürzt, dass kein Kaudruck mehr auf den erkrankten Zahn ausgeübt wird. Dadurch kann sich sein Parodont erholen und abheilen. Zunächst wird die Parodontalerkrankung behandelt. Es erfolgt eine Nachkontrolle nach einigen Monaten, bei der die Abheilung des Parodonts überprüft wird. Ist keine Besserung eingetreten, sollte das Diastema erweitert werden. Diese Erweiterung sollte erst erfolgen, wenn alle anderen Maßnahmen fehlgeschlagen sind, weil die Backenzähne noch mehr Approximalkontakt und damit Halt verlieren. Dazu wird ein abgerundeter konischer Diamantschleifer mit einer Länge von mehr als 3 cm und einem Durchmesser von ca. 2 mm auf ein Winkelstück aufgesetzt. Das Diastema wird an beiden beteiligten Nachbarn erweitert. Der Zahnzwischenraum verläuft bei den Backenzähnen nicht rechtwinklig sondern etwas schräg. Entsprechend diesem Winkel ist der Bohrer zu führen. An jedem Zahn können seitlich 2–3 mm abgetragen werden, bevor mit einer Eröffnung der Pulpenhörner gerechnet werden muss. Dadurch erhält man ein mindestens 4–6 mm großes Diastema und das eingedrungene Futter kann diese Lücke wieder verlassen. Die Lücke wird mit Chlorhexidin-Adhäsivgel oder mit einer Paste mit Chlortetracyclin und Gentamycin aufgefüllt und mit Methylcellulose überbrückt. Im Rahmen der Nachsorge ist eine Verlaufskontrolle des Parodonts in sechsmonatigen Abständen zu empfehlen. Der Antagonist ist einmal jährlich zurückzuschleifen, um eine Meißelzahnbildung zu verhindern. Wenn ein hochragender Antagonist Scherkräfte auf ein aufgefrästes Diastema ausübt, kommt es sehr leicht zur Zahnfraktur oder zum Zahnverlust der geschmälerten Zähne. Eine seitliche Eröffnung der Pulpa am Backenzahn ist schwer zu erkennenen und noch schwerer zu überkappen. Diese Komplikation kann vermieden werden, wenn der Bohrer im richtigen Winkel geführt und pro Zahn nur wenige Millimeter abgetragen werden. Der praktische TIERARZT 91 (Suppl. 3) 2010 Literatur Bartmann CP, Bienert-Zeit A (2010): Ursachen und chirurgische Therapie von Unterkieferfisteln beim Pferd. Pferdeheikunde 26 (2): 191–198. 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