Mathematiker im dritten Reich Jens Jordan, Universität Würzburg, 08.05.2014 Würzburg, 08.05.2014 Quellen: Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung im Dritten Reich, V.R. Remmert, DMV Nachrichten 12-3 und 12- 4 (2004) The Honors Class, B. H. Yandell, A K Peters Ltd (Ma) Mathematicians under the Nazis, S. L. Segal, Princeton University Press Jüdische Mathematiker im Dritten Reich, Thomas Huckle, Homepage Landau und Schur Dokumente einer Freundschaft bis in den Tod in unmenschlicher Zeit, Reinhard Siegmund-Schultze, MDMV 19, 2011, pp 164 – 173 Internet (Wikipedia, Mathematics Genealogy Project, ...) Würzburg, 08.05.2014 1918-1932: Schaffensperiode und Streitereien 1918-1926: Boykott Gegen deutsche Mathematiker (ICM 1920, 1924; Internationale Mathematik-Organisationen) Trotzdem: Große Schaffensperiode in Deutschland, insbesondere in (Göttingen the Camelot for Mathematics and Physics) (Hilbert, Landau, Courant, Noether) Berlin (Bieberbach, Shur, Von Mises) Grundlagenkriese: Formalismus (Hilbert) oder Intuitionismus (Brouwer) Annalenstreit 1925-1929 1925 Protest von Bieberbach und Brouwer gegen beteiligung französischer Autoren bei einem Riemann-Gedenkband in den Mathematischen Annalen Versuchter Bologna Boykott (ICM 1928) von Bieberbach, Von Mises und Schmidt Hilbert setzt durch, das Brouwer und Bieberbach ihren Position als Editor in den Mathematischen Annalen verlieren. Bemerkung: Antisemitismus spielte bei diesen Streitigkeiten keine Rolle Würzburg, 08.05.2014 1933 Machtergreifung 30. Januar: Machtergreifung der NSDAP Hilbert an seinen jüdischen Arzt: Es wird nicht lange dauern bis die Deutschen Hitler durchschauen und dann werden sie seinen Kopf in die Toilette stecken Landau sagte einen Freund, er würde sich in einem Konzentrationslager ein Zimmer mit einem Balkon nach Süden sichern. Courant an Harald Bohr: Natürlich, wo gehobelt wird, da fallen Späne... Aber alles in allen glaube ich jetzt doch, dass nach einer Klärung der Situation durch Beseitigung der Parteien ein auch psychologisch stabiler Zustand sich hier einstellen wird Würzburg, 08.05.2014 Diskriminierungsgesetze 07.04.1933 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (Außnahmeregelungen für Frontkämpfer und Altbematen. Emigrationswelle: Reinhold Baer, Richard Courant, Emmy Noether, Hermann Weyl, Richard von Mises, Hilda Geiringer, Hans Rademacher, Adolf Fraenkel 1933-1938 Weitere Gesetze (Z.B. Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen, Abschaffung der Außnahmeregelungen Emigrationen und Flucht: Emil Artin (1937), Max Dehn (1939), Issai Schur (1939), Carl Ludwig Siegel (1939?1940?), Otto Toeplitz (1939), Otto Blumenthal (1939) Würzburg, 08.05.2014 Der Landau Boykott Sommersemester 1933: Edmund Landau lässt sich von seinem Assistenten Werner Weber vertreten Wintersemester 1933: Landau will seine Vorlesung wieder selber halten. Die Vorlesungen wird von etwa 80 Studenten blokiert. Sprecher: Oswald Teichmüller (und Werner Weber?) Teichmüller gibt Landau auf Anfrage eine schriftliche Begründung: ...Schutz deutscher Studenten vor unanschaulicher jüdischer Lehre... Landau reicht Entlassungsgesuch ein Kommentar von Bieberbach: Vor einigen Monaten haben Differenzen mit der Studentenschaft dem Lehrbetrieb des Herrn Landau ein Ende bereitet. [. . . ] Man hat darin [. . . ] ein Musterbeispiel dafür zu sehen, dass Vertreter allzu verschiedener menschlicher Rassen nicht als Lehrer und Schüler zusammenpassen. [. . . ] Der Instinkt der Göttinger Studenten fühlte in Landau einen Typus undeutscher Art, die Dinge anzupacken. Würzburg, 08.05.2014 Bieberbachs Typisierung von Mathematikern Aus einem Vortrag Bieberbach April 1934: Persönlichkeitsstruktur und mathematisches Schaffen Meine Ausführungen wollen für meine eigene Wissenschaft, die Mathematik, den Einfluß von Volkstum, von Blut und Rasse, auf den Stil des Schaffens an verschiedenen Beispielen klarlegen. Für den Nationalsozialisten bedarf nun freilich diese Behauptung gar keines Beweises. Sie ist vielmehr eine Einsicht von größter Selbstverständlichkeit. Denn all unser Tun wurzelt in Blut und Rasse und empfängt von ihnen seine Eigenart S-Typos: (jüdisch, französisch) labil, schwach, haltlos; Neigung Symbolzusammenhänge mit wirklichen Zusammenhängen zu verwechslen J-Typos: (arisch) starker Willen, starker Charakter, Tatkräftig Bieberbach beteiligt sich an der Verdrängung jüdischer Wissenschaftler (z.B. Hilda Geiringer und Issai Schur) Würzburg, 08.05.2014 DMV in der NS-Zeit Kritig von Harald Bohr an Bieberbachs Thesen: ...wir alle, die sich der deutschen mathematischen Wissenschaft gegenüber in tiefer Dankesschuld fühlen, waren gewohnt als deren Vertreter andere, größere und reinere Gestalten vor Augen zu haben. Offener Brief Bieberbachs im Jahresbericht der DMV gegen den Willen seiner Mitherausgeber (Hasse und Knopp). Austrittswelle in In- und Ausland (Bohr, Weyl, Courant,...) Bieberbach versucht das Führerprinzip in der DMV mit Erhard Tornier durchzusetzen (scheitert). Machtkampf zwischen Hasse und Bieberbach. Modifiziertes Führerprinzip mit Wilhelm Blaschke, später mit Willhelm Süss 1935 Austritt Bieberbach 1936 Bieberbach und Vahlen gründen die Zeitschrift Deutsche Mathematik (1936-1945) (mit Theodor Vahlen) 1938 Akademieerlaß: Ausschluß aller reichsdeutschen Juden (Blumenthal, Schur, Dehn, Toeplitz...) Würzburg, 08.05.2014 Stellenwert der Mathematik in der NS Ideologie Geringer Stellenwert der Matheatik in Schule und Universitäten Adolf Hitler, Mein Kampf (1924) Erstens soll das jugendliche Gehirn im allgemeinen nicht mit Dingen belastet werden, die es zu fünfundneunzig Prozent nicht braucht und daher wieder vergisst. Aufgabe aus einem NS Schulbuch: Der Bau einer Irrenanstalt erfordert 6 Millionen RM. Wie viele Siedlungen zu je 15000 RM hätte man dafür bauen können? Würzburg, 08.05.2014 Mathematik für den Krieg Lothar Collatz: Berechnungen zur V2 Arwin Walther: Berechnungen zur V2, Programierung von deutschen Rechnerinnen und KZ Häftlingen. Gustav Doetsch: Forschung für das Reichsluftfahrtministerium Helmut Hasse: Forschung für die Kriegsmarine Helmut Grunsky: Cheffrierdienst des Auswärtigen Amtes Otto Teichmüller: Kryptograph für ds Oberkommando der Wehrmacht (1940-41) Konrad Zuse: Entwicklung der Z3 zur Flügelberechnungen Helmut Wieland: ab 1942 Kaiser-Wilhelm Institut für Strömungsforschung Würzburg, 08.05.2014 Einige Mathematiker in Nazionalsozialistischen-Vereinigungen Theodor Vahlen (1933 SA, 1934-1937 Ministerialdirektor für Wissenschaft, 1936 SS, SS-Brigadeführer), Tod in einem tschechischen Gefängnis Helmut Hasse (NSDAP 1932? 1938? garnicht?) Oswald Teichmüller (1931 NSDAP, SA, leiter der nationalsozialistischen Studentenschaft Sektion Mathematik in Göttingen, 1939 Wehrmacht, Tod an der Front Wilhelm Süss, 1933 SA, 1937 NSDAP, 1939 NS-Dozentenbund, 1943 Reichsforschungsrat Erhard Tornier, 1932 NSDAP (vorzeitiger Ruhestand 1939) Wilhelm Blaschke, 19?? NSDAP, Ludwig Bieberbach , 1933 SA, 1937 NSDAP, Hellmuth Kneser , SA, NSDAP Helmut Wieland (Doktorvater Schur), 1937 NSDAP, SA Helmut Grunsky, NSDAP 1940 Werner Weber (Doktormutter Emmy Noether, Habilitationsbetreuer Edmund Landau), NSDAP 1933 Würzburg, 08.05.2014 Solidarität und ein kleines bisschen Widerstand Ernst Zermelo: Verliert seine Stelle wegen Verweigerung des Hitlegrußes Oskar Perron: Bekämpft die ideologisch motivierte Abschlüsse und Besetzungen Ernst Mohr: Todesurteil wegen Abhören von Feindsendern und Verumglimpfung Hitlers (überlebt) Carl Ludwig Siegel: Fluchthilfe für Max Dehn Exil-Organisation: Z.B. German Mathematical Relief Fund (Hermann Weyl, emmy Noether) Helmut Grunsky: Publizierte als Schriftleiter beim Jahrbuch über die Fortschritte der mathematik Artikel jüdischer Mathematiker gegen den Willen Bieberbachs. Nach einem Verbot legte er sein Amt nieder. Würzburg, 08.05.2014 Einige Opfer des Holocaust: Georg Pick Georg Pick (1859 Wien – 1942 KZ Theresienstadt) 1888- 1927 Professur in Prag 1927 -1938 Ruhestand in Wien 1938 Emigration nach Prag 1942 Deportation nach Theresienstadt Nach ihm benannt: Lemma von Schwarz-Pick, Satz von Pick Würzburg, 08.05.2014 Einige Opfer des Holocaust: Otto Blumenthal Otto Blumenthal (1876 Frankfurt – 1944 Theresienstadt) 1894 konvertiert zum evangelischen Glauben 1898 erster Doktorand von David Hilbert 1905 Professor in Aachen 1924 Vorsitzender der DMV 1925 - 1933 Herausgeber der Jahresberichte der DMV 1933 Amtsenthebung 1939 Emigration in die Niederlande 1943 Deportation Nach ihm benannt: Hilbert-Blumenthal Flächen, Hilbert-Blumenthal Modulformen Würzburg, 08.05.2014 Einige Opfer des Holocaust: Felix Hausdorff aka Paul Mongre Felix Hausdorff (1868 Breslau – 1942 Bonn) Vielseitige Interessen (Musik, Literatur, Naturwissenschaften, Literatur) 1891 Promotion in Astronomie, 1895 Habilitation in Astronomie in Leipzig 22 literaische Schriften unter dem Pseudonym Paul Mongre 1901 Professur in Leipzig (trotz antisemitischer Gegenstimmen) ab 1897 Arbeiten über Mengenlehre und Toplogie 1910 Ruf nach Bonn 1934 Abbruch der Vorlesunge wegen Störungen nazionalsozialistischer Studenten 1935 Emeritierung 1939 vergeblicher Versuch zu emigrieren 1942 Selbstmord Nach Ihm benannt: Hausdorff-Raum, Hausdorff-Dimension, Hausdorff-Metrik, Baker-Campbell-Hausdorff-Formel Würzburg, 08.05.2014 Emigriert, geflohen, ermordet... Emmy Noether, Otto Bluemnthal, Felix Hausdorff, Reinhold Baer, Max Dehn, Richard Courant Georg Pick, Hans Freudenthal, Otto Toeplitz, Issai Schur, Adolf Fraenkel, Richard von Mises, Helga Geiringer Würzburg, 08.05.2014