Appendizitis und Meckel`sches Divertikel

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FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“
Teil 2 der Serie „Akute Bauchschmerzen aus kinder­chirurgischer Sicht“
Appendizitis und
Meckel’sches Divertikel
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Jan Gödeke , Salmai Turial | Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität
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Mainz; Abteilung für Kinderchirurgie, Klinik für Kinder und Jugendliche, HSK, Dr. Horst Schmidt Kliniken GmbH, Wiesbaden
Appendizitis
Epidemiologie
Die akute Appendizitis ist der häufigste
chirurgisch-abdominale Notfall im Kindesalter und wird in 1 – 8 % aller Kinder
diagnostiziert, die sich mit akuten Bauchschmerzen vorstellen [1, 2]. Die jährliche Inzidenz steigt von 1 bis 6 Fällen pro
10.000 Kindern im Alter bis zum 4. Lebensjahr auf 19 – 28 Fälle pro 10.000 Kindern unter 14 Lebensjahren [3 – 5]. Weniger als 5 % aller Kinder sind bei der Diagnosestellung jünger als 6 Jahre alt. Die
meisten Kinder erkranken im Alter von
10 Jahren oder älter. Jungen sind gegenüber Mädchen etwas häufiger betroffen.
Das Lebenszeitrisiko für Jungen beträgt
9 %, für Mädchen 7 % [6]. Das Risiko eines
weiter fortgeschrittenen Erkrankungsstadiums liegt bei Kindern unter 6 Lebensjahren deutlich höher als bei älteren Kindern
und betrifft ca. 57 % der Fälle. Dieses wird
mit den häufig unspezifischen Symptomen
im jüngeren Kindesalter erklärt [7].
Ursache
Die häufigste Ursache für eine akute Appendizitis ist die unspezifische Obstruktion des Appendixlumens [8, 9]. Stuhl,
unverdautes Essen, andere Fremdkörper,
vergrößerte Lymphfollikel in der epithelialen Schicht oder eine Verdrehung des
Blinddarmes allgemein können hierfür
z. B. verantwortlich sein. Die Obstrukti-
24
on verursacht kolikartige Schmerzen, welche sich häufig in den frühen periumbilikalen Schmerzzuständen bemerkbar machen. Eine bakterielle Überwucherung in
der Appendix ist die Folge der Obstruktion und diese kann dann zur Zerstörung
der Schleimhautbarriere mit Keiminvasion
in die Appendixwand, zunehmender Entzündungsreaktion, Ischämie, Gangränbildung bis zur Perforation führen. Ursächliche Keime sind meist die gewöhnliche fäkale Keimflora, hauptsächlich E. coli, Peptostreptococcus spezies, Bacteroides fragilis und auch Pseudomonas spezies [10]. Die
Entzündungsreaktion der Appendixwand
verursacht eine zunächst lokale Peritonitis,
die zu den typischen klinischen Zeichen
der Appendizitis führt. Eine Perforation
entsteht selten in den ersten 12 Stunden der
Entzündung, der durchschnittliche Zeitpunkt liegt hier bei 72 Stunden.
In seltenen Fällen gibt es auch spezielle Infektionskrankheiten, die eine Appendizitis hervorrufen können (Infektion mit
Adenoviren, Masernvirus, Ebstein-BarrVirus, Actinomyces israeli, Enterobius vermicularis, Ascaris lumbricoides) [11 – 17].
Seltene Ursachen können auch eine CrohnErkrankung (granulomatöse Infektion der
Appendix), ein Karzinoidtumor, ein Burkitt-Lymphom, ein Appendixduplikation
und die zystische Fibrose (Mukoviszidose;
Obstruktion des Appendixlumens durch
eingedickten Schleim/eingedickten Stuhl)
sein [18 – 21].
Klinik
Die klassische Trias aus Schmerz, Erbrechen und Fieber ist häufig ein Hinweis. Der
Schmerz geht in der Regel dem Erbrechen
voran. Die klassischen Untersuchungsparameter (periumbilikale Schmerzen (früh),
lokaler Klopfschmerz, Schmerzpunkte
McBurney, Lanz’scher Punkt, Vermeidung von Erschütterungen, Psoas-­Zeichen,
ipsi­lateraler und kontralateraler Loslassschmerz) sind auch heute noch zielführend. Klassische klinische Zeichen treten
in ca. 50 – 60 % der Fälle auf [22].
Eine rektale Untersuchung ist aus unserer Sicht nur belastend für das Kind und
daher nicht routinemäßig zu empfehlen. In
einer Reihe von klinischen Studien konnte
kein besonderer Nutzen für die Diagnostik durch eine rektale Untersuchung festgestellt werden. Zu beachten ist, dass bei
sehr jungen Kindern der Verlauf oft foudroyant und die Symptomatik untypisch ist.
Diagnostik
Bei der Diagnostik der Appendizitis ist neben der Anamnese und einer fokussierten
klinischen Untersuchung sowie einer laborchemischen Untersuchung mit Urinstatus und ggf. Schwangerschaftstest bei
Mädchen die Sonographie des Abdomens
mit einer Sensitivität von 75 bis 94 % und
einer Spezifität von 89 bis 100 % die Methode der Wahl.
Pinto et al. haben bei einer Metaanalyse
eine Sensitivität von 86 % (44 – 100 %) und
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eine Spezifität von 81 % (47 – 99 %) bei Erwachsenen beziffert [23].
Allgemein werden die sonographischen
Kriterien für eine akute Appendizitis wie
folgt beschrieben:
◾◾ Im Längsschnitt tubuläre wandverdickte
Struktur (Abb. 1)
◾◾ Pathologische, nicht komprimierbare Kokarde > 6 mm im Ø (Appendix)
(Abb. 2)
◾◾ Hypervaskularisation in der Farbdopplersonografie
◾◾ Ggf. Vorfinden eines Appendikolithen
(kalzifizierter Kotstein) als hyperechogene Lamelle mit typischem Schallschatten (Abb. 3 und 4)
◾◾ Freie Flüssigkeit in der Umgebung
(Früh­exsudat)
◾◾ Ggf. Vorliegen eines Abszesses oder eines Konglomerattumors im rechten Unterbauch
◾◾ Echoreich verdicktes Mesenterium
Die heutzutage deutlich verbesserte und
nunmehr sehr detailreiche technische
Bildqualität der modernen hochauflösenden Ultraschallgeräte kann hierbei jedoch auch zu einer Überbewertung und
damit zu einer Diskrepanz zwischen dem
sonographischen Befund des Kinderradiologen und dem klinischen Befund des
Kinderchirurgen führen. In einer aktuellen retrospektiven Analyse des eigenen
Patientengutes zeigte sich, dass 26,5 % der
Kinder mit einer eindeutigen sonographischen Diagnose einer akuten Appendizitis
konservativ behandelt werden konnten, da
klinisch-chirurgische Kriterien keine eindeutige Operationsindikation ergaben. Eine CT-Untersuchung des Abdomens (Sensitivität 90 %, Spezifität 94 % [24]) ist nur in
Ausnahmefällen notwendig, zum Beispiel
bei sehr adipösen Kindern mit erhöhtem
Operationsrisiko.
Die Wertigkeit von MRT-Untersuchungen wird im Rahmen verschiedener Studien untersucht und ist noch nicht ausreichend studientechnisch belegt. Eine Verwendung eines „Pediatric Appendicitis
Scores“, wie es in der Literatur beschrieben
wird, macht aus unserer Sicht wenig Sinn
und hat sich in der kinderchirurgischen
Diagnostik nicht etabliert [25].
Abb. 1: Sonogramm
mit Darstellung der
wandverdickten
­Appendix im Längsschnitt.
Abb. 2: Sonogramm mit Darstellung der wandverdickten Appendix im Querschnitt
(Kokarde).
Abb. 3: Transversale Darstellung einer akut
entzündeten Appendix mit Darstellung eines
Appendikolithen (Pfeil) und nachfolgendem
Schallschatten.
Abb. 4: Resektum der Appendix mit dem
­Appendikolithen, identischer Patient zu Abbildung 3.
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Abb. 5: Resektum eines
Meckel’schen
­Divertikels mit
­heterotoper Magenschleimhaut
und umschriebenem Ulcus mit gedeckter Perforation im Übergang zur
Dünndarmschleimhaut.
Im Rahmen einer Auswertung des eigenen Patientengutes zur Verifizierung der
Korrelation zwischen klinischen und laborchemischen Befunden mit den intraoperativen und den histopathologischen
Befunden der Appendektomiepräparate korrelierte ein Leukozytenwert über
12.895/ml (n: 5.500 – 15.500/ml) eng mit
dem Vorliegen einer akuten Appendizitis.
Mit Hilfe der Kombination aus den 3 Variablen „Erbrechen“, „Klopfschmerz“ und
„Leukozytenzahl“ hätten bei der untersuchten, vergleichsweise großen Patientenzahl 75 % der Kinder präoperativ der
für sie postoperativ zutreffenden histopathologischen Diagnosegruppe richtig zugeordnet werden können [26].
Bei Jungen ist es wichtig, das äußere Genitale mit zu untersuchen, um z. B. eine
Hodentorsion auszuschließen. Diese zeigt
sich nicht selten mit ähnlichen Symptomen
wie die akute Appendizitis.
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Therapie
Bei vermuteter Diagnose einer akuten Appendizitis ist die diagnostische Laparoskopie mit Appendektomie heute als Standard anzusehen. Diese Operation kann neben der Standardtechnik (3-Port-Technik)
heutzutage bereits mikrolaparoskopisch
assistiert und auch in Single-Incision-Technik allein nur noch über den Bauchnabel
routinemäßig durchgeführt werden. Neben kosmetischen Vorteilen und dem geringeren Risiko für Wundinfektionen bietet die Laparoskopie darüber hinaus noch
den Vorteil bei unklaren Befunden die
gesamte Bauchhöhle sicher inspizieren zu
können, und auch das innere Genitale im
kleinen Becken bei Mädchen kann sicher
beurteilt werden. Eine Konversion zur offenen Operation bei unklaren Befunden ist
bei der laparoskopischen Operation immer
möglich. Eine primäre offene Appendektomie ist in den Händen eines erfahrenen
Kinderchirurgen heutzutage, sofern die
technischen Voraussetzungen vorliegen,
nicht mehr indiziert.
Meckel-Divertikel
Epidemiologie
Das Meckel-Divertikel, Diverticulum ilei, ist
die am häufigsten vorkommende angeborene Fehlbildung des Gastrointestinaltraktes [27]. Die Epidemiologie wird historisch
durch die sog. 2er-Regel beschrieben, die jedoch nur als Anhalt genommen werden sollte und in der täglichen Praxis meist etwas
abweicht. Ca. 2 % der Bevölkerung besitzen
ein Meckel-Divertikel, es wird ca. 2 Fuß proximal der Ileozökalklappe gefunden und es
ist ca. 2 Inches (~ 5 cm) lang. Ca. 2 % aller Patienten entwickeln im Verlauf ihres Lebens
Komplikationen durch das Meckel-Divertikel und das Geschlechterverhältnis Männer zu Frauen beträgt 2:1 [28, 29]. Zwischen
25 – 50 % der Patienten mit Komplikationen
sind jünger als 10 Jahre [30 – 32].
Die Prävalenz eines Meckel-Divertikels
ist erhöht bei Kindern mit Fehlbildungen
im Bereich des Nabels, des Gastrointestinaltraktes, des Nervensystems und des
kardiovaskulären Systems [33]. Eine familiäre Prädisposition ist nur in Einzelfällen
beschrieben [34].
Ursache
Ein Meckel-Divertikel ist ein „echtes“ Divertikel aller Dünndarmwandschichten,
welches sich antimesenterial am Übergang
vom mittleren zum distalen Ileum befindet
und durch eine inkomplette Rückbildung
des Ductus omphaloentericus entsteht,
der beim Feten den Mitteldarm mit dem
Dottersack verbindet. In einer Vielzahl der
Fälle ist das Meckel-Divertikel mit Magenschleimhaut ausgekleidet (Abb. 5). In seltenen Fällen kann es auch Pankreasgewebe
enthalten. Symptomatisch wird es meist
durch Irritation der Dünndarmschleimhaut mit den unphysiologischen Sekreten
dieser ektopen Gewebestrukturen.
Klinik
Die meisten Meckel-Divertikel sind klinisch stumm und werden, wenn über-
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Wesentliches für die Praxis . . .
Appendizitis:
◾◾ Die Sonographie des Abdomens ist neben Anamnese und Klinik die Methode
der Wahl in der Diagnostik der akuten Appendizitis
◾◾ Moderne, hochauflösende Ultraschallgeräte können jedoch zur Überinterpretation der Befunde führen.
◾◾ Die laparoskopische Appendektomie ist heute als Standard in der Behandlung
der akuten Appendizitis anzusehen.
Meckel-Divertikel:
◾◾ Ein Meckel-Divertikel sollte bei Kindern mit schmerzloser unterer gastrointestinaler Blutung, rezidivierenden Invaginationen oder klinischen Zeichen einer
Appendizitis als Differenzialdiagnose immer bedacht werden.
◾◾ Der Goldstandard in der Diagnostik bei symptomatischen Befunden ist die
Operation, die in nahezu allen Fällen laparoskopisch erfolgen kann.
haupt, nur zufällig im Rahmen einer abdominellen Operation aus anderen Gründen entdeckt. Die akute Symptomatik entspricht im Wesentlichen der akuten Appendizitis und die betroffenen Kinder werden meist nicht primär als symptomatisches Meckel-Divertikel diagnostiziert.
Neben progredienten Bauchschmerzen
kann sich eine gastrointestinale Blutung
durch Irritation der Dünndarmschleimhaut und Ulkusbildung zeigen.
Ein symptomatisches Meckel-Divertikel im Kindesalter sollte bei folgenden
klinischen Szenarien differenzialdiagnostisch immer bedacht werden:
◾◾ Kinder mit schmerzloser unterer gastro­
intestinaler Blutung
◾◾ Kinder mit Invagination des Darmes,
v. a., falls es zu rezidivierenden Invaginationen kommt
◾◾ Kinder mit klinischen Zeichen einer Appendizitis, besonders wenn bereits eine
Appendektomie stattgefunden hat
CT- oder MRT- Untersuchung des Abdomens sind für diese Fragestellung zu unspezifisch und häufig nicht zielführend.
In unklaren Fällen kann eine nuklearmedizinische Untersuchung, ein sog. „Meckel-Scan“ (Natrium-99m-TechnetiumPertechnetat-Szintigraphie), bei der Diagnostik helfen. Diese zeigt aber nur eine
pathologische Tracerspeicherung, falls das
Meckel-Divertikel ektope Magenschleimhaut enthält und selbst dann und auch
nach Gastrinstimulierung liegt die Trefferquote bei nur 50 – 80 %. In allen anderen Fällen liefert die Untersuchung negative Ergebnisse. Ausreichende Erfahrungen
über den Einsatz der Kapselendoskopie liegen nach aktueller Studienlage sowohl bei
Erwachsenen als auch bei Kindern noch
nicht vor.
Therapie
Symptomatische Meckel-Divertikel sollten
reseziert werden. Bei asymptomatischen
Zufallsbefunden z. B. im Rahmen einer La-
Diagnostik
Der Goldstandard in der Diagnostik des
symptomatischen Meckel-Divertikels ist
die abdominelle Exploration und damit
die Operation, die in nahezu allen Fällen
laparoskopisch erfolgen kann. Routine­
untersuchungen im Rahmen der allgemeinen Bauchschmerzdiagnostik wie z. B.
eine Ultraschalluntersuchung, eine Röntgenaufnahme des Abdomens oder gar eine
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paroskopie aus anderen Gründen, ist keine
eindeutige Empfehlung unter Berücksichtigung der aktuellen Studienlage zu geben.
Letztendlich ist unsererseits aufgrund des
lebenslangen Risikos für die mögliche Entwicklung von Komplikationen bei Kindern
eine Resektion jedoch empfehlenswert. Eine Operation kann heutzutage mit einer
Vielzahl verschiedener Techniken erfolgen. Laparoskopisch kann diese Operation neben der Standardtechnik (3-PortTechnik) heute bereits mikrolaparoskopisch assistiert und auch in Single-Incision-Technik und damit quasi „narbenfrei“
routinemäßig durchgeführt werden. Dabei
kann das Meckel-Divertikel mittels eines
Endoloops oder mittels Staplertechnik sicher und schnell abgetragen werden. Bei
symptomatischen Patienten bietet sich
die laparoskopisch assistierte Operation
mit Bergung des Meckel-Divertikels über
den Bauchnabel und anschließender offener Dünndarmkeilresektion an, da dadurch sowohl das Divertikel als auch die
z. B. ulzerierte Dünndarmschleimhaut reseziert werden können und auch die mögliche Gefahr einer Darmstenosierung bei
Abtragung v. a. von Divertikeln mit einer
breiten Basis minimiert wird [35, 36]. Eine primär offene Technik zur Operation
eines Meckel-Divertikels im Kindesalter
28
ist unserer Meinung nach heutzutage nur
komplizierten Fällen vorbehalten.
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Weitere Literatur beim Verfasser.
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