Horzinek / Schmidt / Lutz Krankheiten der Katze

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Horzinek / Schmidt / Lutz
Krankheiten der Katze
Leseprobe
Krankheiten der Katze
von Horzinek / Schmidt / Lutz
Herausgeber: MVS Medizinverlage Stuttgart
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15.3 Problemorientierte Diagnostik
15.3.5 Renomegalie
Eine Vergrößerung einer oder beider Nieren wird bei
der Abdomenpalpation gefunden oder auf Übersichtsröntgenaufnahmen entdeckt (A 12). Wichtig
397
ist, die Nieren in ihrer Form (normal oder unregelmäßig) zu beurteilen. Ursächlich sind Zysten (polyzystische Nierendegeneration, perirenale Pseudozysten),
Tumoren (Lymphom), feline infektiöse Peritonitis
sowie Hydronephrose (s. A 5) und Pyelonephritis am
häufigsten (T 5). Diagnostisch wertvoll sind Ultraschall und/oder intravenöse Urografie. Zur Diagnose
eines renalen Lymphoms ist eine Nierenaspiration/biopsie nötig.
T 5 Ursachen für uni- oder bilaterale Nierenvergrößerung
Form normal, regelmäßige Oberfläche
●
Kompensatorische Hypertrophie
●
Hydronephrose uni- oder bilateral (selten Pyonephrose)
●
Akute Glomerulonephritis/Pyelonephritis
●
Lipidose bei Diabetes mellitus
Form und Oberfläche gelegentlich normal,
häufig unregelmäßig
●
Lymphom
●
Feline infektiöse Peritonitis (FIP)
●
Perirenale Pseudozysten
●
Nierentumoren
●
Polyzystische Nierendegeneration
●
Trauma mit Blutungen
●
Nierenvenenthrombose
a
b
A 12 Laterales (a) und
ventrodorsales (b) Übersichtsröntgen einer 12jährigen, männlichen
kastrierten Katze mit bilateralen perirenalen Pseudozysten. 250 ml seröse
Flüssigkeit konnte von
beiden Zysten unter
Ultraschall abpunktiert
werden.
398
15 Krankheiten der Niere und ableitenden Harnwege
15.3.6 Dysurie/Strangurie/
Harnwegsobstruktion
Erschwerte bis sistierende Harnabgabe (mit fließendem Übergang) wird als Dysurie, schmerzhafte Harnabgabe als Strangurie bezeichnet. Die weitaus häufigste Ursache von Dysurie und Strangurie ist die
LUTD unbekannter Ursache (s. Kap. 15.4.4). Daneben
kommen aber auch Blasensteine, Neoplasien (vor
allem Übergangsepithelkarzinom), Strikturen der
Harnröhre nach Blasensteinextraktion oder Penisamputation sowie ein Priapismus (dauerhafte,
schmerzhafte Erektion u.a. durch Thrombose bedingt) in Frage. Die Diagnose wird mittels sorgfältiger
klinischer Untersuchung (inkl. Rektalpalpation)
ermittelt. Bei rezidivierender Dysurie/Strangurie sollte eine Harnkultur angesetzt werden.
Es ist sehr wichtig, den Harnabsatz an ungeeigneten Orten durch eine Verhaltensstörung von einer
Organerkrankung abzugrenzen. Verhaltensgestörte
Katzen nehmen während der Harnabgabe meist eine
normale Position ein und urinieren kontinuierlich (s.
auch Kap. 1).
Eine Harnwegsobstruktion kann sowohl funktionell (Reflexdyssynergie) als auch anatomisch bedingt
sein. Bei Letzterer kommt es meist nach kurzer Zeit
zur Harninkontinenz, da die Blasenkapazität überschritten wurde. Ist eine Obstruktion komplett, kann
es zur postrenalen Azotämie sowie zur Hyperkaliämie mit potentieller Herzarrhythmie kommen.
15.3.7 Harninkontinenz
Als Harninkontinenz bezeichnet man den Verlust der
willkürlichen Harnabgabe. Die normale Miktion
unterliegt dem koordinierten Einfluss anatomischer,
neuromuskulärer und zentralnervaler Komponenten.
Anatomische Teile sind der Detrusormuskel der
Blase, die glatte Muskulatur der Harnröhre und die
quergestreifte Muskulatur des äußeren Harnröhrensphinkters (beim Kater in der postprostatischen
Region, bei der Kätzin in der distalen Harnröhre). An
den Harnblasenreflexen sind zwei Reflexzentren
beteiligt: ein sympathisches im Lendenmark, das
über den N. hypogastricus und den Plexus pelvineus
den Entleerungsreflex hemmt bzw. den M. sphincter
vesicae zur Kontraktion anregt, und ein parasympathisches im Kreuzmark, welches über die Nn. pelvini
den Entleerungsreflex auslöst bzw. den M. detrusor
vesicae sich kontrahieren lässt.
Die Füllung der Blase und das Zurückhalten des
Harns kommen also durch Erregung des Sympathikus
(Aktivierung der β-adrenergen Rezeptoren in der Blase, Stimulation der α-adrenergen Rezeptoren in der
Harnröhre) und Hemmung des Parasympathikus
zustande, während die Entleerung durch eine
Umkehr dieser Vorgänge geschieht.
Miktionsstörungen
werden
aufgrund
des
Ursprungs der Dysfunktion (neurogen oder nichtneurogen) und aufgrund des Funktionsstatus der Blase (hyperkontraktil oder atonisch) bzw. der Harnröhre (hyperton oder hypoton) charakterisiert (T 6).
Eine neurogene Inkontinenz resultiert in erster
Linie aus einer Läsion in Höhe des Rückenmarks, aber
auch aus Störungen in höheren Zentren oder peripheren Nerven. Läsionen kranial des sakralen Rückenmarks werden typischerweise als Blasenstörung des
oberen motorischen Neurons benannt. Hier ist die
Innervation der Blase unterbrochen, während der
Widerstand der Harnröhre fortbesteht. Bei einer Störung des oberen motorischen Neurons kann es auch
zur Inkoordination zwischen Blasenkontraktilität
und Harnröhrenrelaxation kommen und somit zur
Reflexdyssynergie (Detrusor-Urethra-Dyssynergie).
Läsionen des sakralen Rückenmarksegments, der
Cauda equina sowie peripherer Nerven resultieren in
einer Blasenstörung des unteren motorischen Neurons. Die Blase ist atonisch und kann aufgrund der
hypotonen Harnröhre manuell leicht ausgepresst
werden. Es kommt zur Inkontinenz, wenn die Blase
stark dilatiert wird und der intravesikale Druck höher
steigt als der intraurethrale Druck. Nebst traumatischer Ursachen (Beckenfraktur, Avulsion der Nerven
etc.) führt hauptsächlich die angeborene sakrale
Rückenmarkläsion der Manx-Katze (spinaler Dysraphismus) zur Blasenstörung des unteren motorischen
Neurons.
Nicht-neurogene Harninkontinenz mit dilatierter
Blase entsteht durch Blasenatonie oder durch funktionelle oder mechanische Obstruktion der Harnröhre. Die häufigste Ursache ist die LUTD mit Verschluss
der Harnröhre durch einen mukoprotein-kristalloiden Pfropfen (s. Kap. 15.4.4). Eine nicht-dilatierte Blase mit Inkontinenz spricht für eine abnormale Harnspeicherung oder für eine verminderte Resistenz in
der Harnröhre. Nebst angeborenen Missbildungen
(ektopische Harnleiter, Harnröhrenhypoplasie) ist
besonders eine überaktive Blase bei Zystitis jeglicher
Ursache (LUTD, Harnwegsinfektion etc.) verantwortlich. Die Sphinktermechanismus-Inkompetenz, die
häufigste Ursache der Inkontinenz beim Hund, ist bei
der Katze extrem selten. Allenfalls kann eine FeLVInfektion zur idiopathischen Harninkontinenz führen.
15.4 Spezifische Erkankungen
T 6 Ursachen einer Harninkontinenz
Neurogene Harninkontinenz
●
Blasenstörung des oberen motorischen Neurons
Rückenmarkläsion kranial des sakralen
Rückenmarksegments
Läsion der höheren Zentren
Kleinhirnläsion
●
Blasenstörung des unteren motorischen Neurons
Trauma (z.B. Nervenavulsion, Beckenfraktur, Sakrumfraktur)
Spinaler Dysraphismus der Manx-Katze
Feline Dysautonomie (Key-GaskellSyndrom)
Nicht-neurogene Harninkontinenz
●
Mit dilatierter Blase
LUTD (Pfropf in Harnröhre)
Blasensteine
Tumoren des Blasenhalses oder der
Harnröhre
Strikturen der Harnröhre
(z.B. nach Katheterisierung)
Prostataerkrankungen
Reflexdyssynergie (Detrusor-UrethraDyssynergie)
Detrusoratonie (nach langdauernder
Blasendilatation)
●
Ohne dilatierte Blase
Dranginkontinenz bei Zystitis (LUTD)
Angeborene Missbildung (z.B. ektopische
Harnleiter, Urachusfistel)
Harnwegsinfektion
Sphinktermechanismus-Inkompetenz
(nach Ovariohysterektomie oder
Kastration)
Erworbene ureterovaginale Fistel (z.B. nach
Ovariohysterektomie)
Blasentumoren (verminderte Fassungskapazität)
Idiopatische Detrusorinstabilität
(z.B. bei FeLV)
Strangurie/Dysurie sowie Polyurie müssen klar abgegrenzt werden. Eine sorgfältige neurologische
Untersuchung (insbesondere Analsphinktertonus,
Schwanztonus, Schwanzmotilität, Halte- und Stellreaktionen) klärt neurogene Ursachen ab. Die komplette Harnuntersuchung, evtl. mit Harnkultur, soll
helfen, eine Kristallurie, Harnwegsinfekte oder Neoplasien aufzuzeigen. Blutuntersuchungen sind je
nach Befund notwendig. Falls hierdurch keine Diagnose gestellt werden kann, sind Übersichtsröntgen
und/oder Ultraschalluntersuchungen von Nutzen.
Weiter sind Zystometrografie, Harnröhrendruckmessungen oder Elektromyografie (EMG) in speziellen
Zentren möglich.
Die Behandlung muss auf die Ursache ausgerichtet
sein (T 7). Anatomische Störungen und Obstruktionen werden chirurgisch behoben. Arzneimittel werden bei rein funktionellen Störungen oder bei neurologischen Dysfunktionen und Muskeldysfunktionen
im Gefolge der chirurgischen Intervention eingesetzt.
Bei atonischer oder hypokontraktiler Blase (z.B bei
partieller neurologischer Störung oder überdehnter
Blase) sollte vor allem der M.detrusor mit Parasympathomimetika (Bethanechol) gestärkt werden. Sie
sind dagegen bei funktionellen oder anatomischen
Obstruktionen kontraindiziert. Nebst medikamentöser Hilfe muss die Blase auch manuell durch Druck
oder durch einen Dauerharnkatheter im geschlossenen System entleert werden. Bei einer hyperkontraktilen Blase kann eine Behandlung mit Anticholinergika erfolgreich sein (u.a. mit Propanthelinbromid).
Arzneimittel sind außerdem geeignet, die Resistenz
des Harnröhrensphinkterdruckes zu senken oder zu
erhöhen. Phenoxybenzamin, ein α-adrenerger Rezeptorblocker, erniedrigt in erster Linie die Resistenz der
glatten Muskulatur der Harnröhre. Falls dies nicht
genügt, lässt sich die der quergestreiften Harnröhrenmuskulatur mittels Diazepam erniedrigen. Bei einer
Harnröhren-Hypotonizität können α-adrenerge Agonisten wie Phenylpropanolamin oder Ephedrin (Cave:
s. Kap. 29) angewendet werden. Östrogene und
Testosteron sind bei Katzen kaum indiziert.
Harnröhrenentzündung
15.4
Neoplasie der Harnröhre
15.4.1 Akute Niereninsuffizienz
Prostataerkrankung
Die Diagnose einer Miktionsstörung basiert in
erster Linie auf einer sehr guten Anamneseerhebung
und klinischen Untersuchung. Verhaltensstörungen,
399
Spezifische Erkrankungen
Die akute Niereninsuffizienz ist durch den progressiven Verlust der Nierenfunktion aufgrund eines akuten Geschehens gekennzeichnet. Eine Unterscheidung zwischen akuter und chronischer Niereninsuffizienz ist für die Therapie und Prognose äußerst wichtig (T 8).
400
15 Krankheiten der Niere und ableitenden Harnwege
T 7 Wirkstoffe zur Therapie einer Harninkontinenz
Medikament
Wirkungsmechanismus
Dosis (pro Katze)
Nebeneffekte,
Kontraindikation
Medikamente zur Erhöhung der Blasenkontraktilität
Bethanechol
Parasympathomimetikum
1,25–5 mg TID
Erbrechen, Übelkeit, Speichelfluss
Kontraindikation: Obstruktion
Medikamente zur Erniedrigung der Blasenkontraktilität
Propathelinbromid
Parasympatholytikum
7,5 mg q 6 Tage
Ileus, Erbrechen, Obstipation,
Mydriasis
Medikamente zur Erniedrigung des Harnröhrensphinkterdruckes
Phenoxybenzamin
α-adrenerger Antagonist
2,5–10 mg SID
Hypotonie, Magen-Darm-TraktIrritation
Diazepam
zentrales Muskelrelaxans
2,5–5,0 mg nach Bedarf Sedation, paradoxe Exzitation
Medikamente zur Erhöhung des Harnröhrensphinkterdruckes
Phenylpropanolamin
α-adrenerger Agonist
1,5 mg/kg BID-TID
Hyperaktivität, Tachykardie
Ephedrin
α-adrenerger Agonist
2–4 mg BID-TID
s. Phenylpropanolamin
T 8 Unterscheidung zwischen akuter und chronischer Niereninsuffizienz
Parameter
Akute Niereninsuffizienz
Chronische Niereninsuffizienz
Auftreten der Symptome
rasch
graduell
Körperliche Verfassung
gut
schlecht
Harnvolumen
Anurie/Oligurie (später Polyurie)
Polyurie
Hämatokrit
normal bis erhöht
Anämie
Serumkalium
erhöht (normal)
erniedrigt (normal)
Harnsediment
aktiv
nichtaktiv
Therapieerfolg
oft vorhanden
negativ
Nierengröße
normal/vergrößert
klein, höckrig
Nierenbiopsie
Nekrose
Fibrose/Atrophie
Über die Vielzahl der Ursachen gibt T 9 Auskunft.
Nebst einer Nierenischämie sind vor allem nephrotoxische Substanzen beteiligt. Die pathophysiologischen Mechanismen sind:
a. catecholamin-induzierte Vasokonstriktion der
afferenten Arteriolen mit anschließendem verminderten Nierenblutfluss,
b. Anschwellen und Fusion der Podozyten, verminderter Fenestrationsdurchmesser und somit veränderte glomeruläre Permeabilität,
c. rückwärtiges Leck durch beschädigte Tubuluszellen mit Rezirkulation von Abbauprodukten und
toxischen Substanzen,
d. desquamierte Epithelzellen, Pigment und Kristalle
führen zur Obstruktion des Tubuluslumens mit
resultierendem erhöhten Druck im proximalen
Tubuluslumen sowie einer Ausdehnung der Bowmanschen Kapsel.
Eine Nierenhypoperfusion aufgrund einer generellen
Hypovolämie (Schock, Blutung, Sepsis, Herzinsuffi-
15.4 Spezifische Erkrankungen
T 9 Ursachen einer akuten Niereninsuffizienz
Nierenischämie
●
Hypovolämie
Dehydratation
Blutung
Hypoadrenokortizismus
●
Kardiovaskuläre Ursachen
Kongestives Herzversagen
Endotoxämie
Tiefe oder langandauernde Anästhesie
●
Vaskuläre Störung
Thromboembolie
Gabe von nichtsteroidalen Entzündungshemmern
Transfusionsreaktion
Nephrotoxische Substanzen
●
Antibiotika
Aminoglykoside
Sulfonamide
Tetracycline
Cephalosporine
Polymyxin B
●
Fungizide
●
Chemotherapeutika
Amphotericin B
Cisplatin
Doxorubicin
●
Schwermetalle
Blei
Quecksilber
Chrom
●
Organische Stoffe
Ethylenglykol
Pestizide
Herbizide
Schlangengift
●
Intravenöse Röntgenkontrastmittel
●
Hyperkalzämie
zienz), besonders auch durch eine Anästhesie/Sedation (vor allem mit α2-Agonisten wie Medetomidin; s. Kap. 24), kann zur reversiblen prärenalen
Azotämie führen. Bei andauernder und schwerwiegender Ischämie baut sich eine akute Niereninsuffizienz auf. Katzen mit bereits vorhandenen Nieren-
401
schäden haben ein größeres Risiko. Somit ist der
Hydratationszustand vor einer Anästhesie bei älteren
Katzen und solchen nach Trauma besonders zu
beachten. Solange der mittlere arterielle Blutdruck
nicht unter 60 mm Hg fällt, können die Nieren durch
Autoregulation einen genügend hohen Nierenperfusionsdruck aufrechterhalten. Werden Tubuluszellen
ungenügend oxygeniert, vermindert sich die Na+/K+Pumpe, es kommt zur intrazellulären Ödembildung
mit anschließendem Zelltod.
Die Nieren erhalten ca. 20% des Herzminutenvolumens und sind somit für alle toxischen Substanzen
im Blut sehr anfällig. Zusätzlich kommt es durch die
Konzentrationsmechanismen zur Akkumulation toxischer Substanzen. Schlussendlich können die Nieren
verschiedene Wirkstoffe biotransformieren. Ihre
Metaboliten sind gewöhnlich weniger toxisch, in seltenen Fällen jedoch toxischer als die Ursprungssubstanzen (z.B. Oxidation von Ethylenglykol in Glykolsäure und Oxalat). Somit sind Nephrotoxine (s.
T 9 u. Kap. 29.5.6) die häufigste Ursache einer akuten Niereninsuffizienz. Neben exogenen Substanzen
können auch endogene Substanzen wie Hämoglobin
und Calcium nephrotoxisch sein. Hypersensitivitätsreaktionen oder immunbedingte Schäden sind weitere Ursachen einer akuten Niereninsuffizienz.
Aminoglykoside sind vor allem bei vorbestehender Nierenerkrankung, bei Säure-Basen-Verschiebungen und bei Hypovolämie bedenklich. Eine Gentamicin-Nephrotoxizität führt im Frühstadium zur Proteinurie, zur Bildung von Zylindern und zur Enzymurie
(N-acetyl-β-Glucosaminidase, β-Glucuronidase) (s.
Kap. 28.5). Die tägliche Harnuntersuchung während
einer Gentamicintherapie kann eine Niereninsuffizienz anzeigen, bevor es zur Azotämie kommt.
Ethylenglykol (Frostschutz) schmeckt süßlich und
wird von Katzen gerne geleckt, ist jedoch schon in
einer Dosis von 1,5 ml/kg tödlich. Nach enteraler Aufnahme werden 0,25–2,5% der aufgenommenen Menge in der Leber in Oxalat metabolisiert und der Rest
unverändert durch die Nieren ausgeschieden (s. Kap.
29). Innerhalb der ersten 30 Minuten kann es zu neurologischen Symptomen (Lethargie, Anfälle, Koma)
kommen. Die klassische anurische/ oligurische akute
Niereninsuffizienz tritt aufgrund einer Tubuluszellschädigung durch Metaboliten nach ca. 24–72 Stunden auf. Die Ablagerung von Calciumoxalatkristallen
in den Nierentubuli ist vermutlich für die Entstehung
der Insuffizienz von untergeordneter Bedeutung,
jedoch sind die Kristalle für die Diagnose aufschlussreich. Eine Verdachtsdiagnose wird aufgrund der
klinischen Anzeichen, der Blutparameter und einer
Calciumoxalat-Kristallurie gestellt. Weiter kann das
402
15 Krankheiten der Niere und ableitenden Harnwege
Vorhandensein einer massiv erhöhten AnionenLücke bei der Diagnose einer Ethylenglykol-Vergiftung helfen.
Die Nierenultrasonografie zeigt eine stark erhöhte
Echogenität der Nierenrinde 4–6 Stunden nach
Toxinaufnahme (s. A 7). Ein vor allem in den USA
kommerziell erhältlicher Enzymtest zur Messung von
Ethylenglykol in Blut ist für Katzen ungeeignet. Die
definitive Diagnose erfolgt durch prä- oder postmortale Biopsien mit histopathologischen Anzeichen
einer akuten Tubulusnekrose mit Calciumoxalatkristallen.
Infektiöse Ursachen einer akuten Niereninsuffizienz sind bei Katzen sehr selten. Während eine
Leptospirose bei Hunden wichtig ist, wurde sie bei
Katzen bislang nicht beschrieben. Die bakterielle Pyelonephritis führt selten zur Niereninsuffizienz. Meist
kommt es zur aszendierenden Infektion, doch auch
die hämatogene Aussaat ist möglich. Die am häufigsten isolierten Keime sind Escherichia coli, Proteus,
Pseudomonas und Staphylococcus aureus.
Die Pathophysiologie einer akuten Niereninsuffizienz wird in vier Phasen eingeteilt:
a. Die Initialphase bezeichnet die Periode der Nierenschädigung mit verminderter GFR. Diese Phase ist
recht kurz (1–2 Tage) und klinisch sowie hinsichtlich der Laboruntersuchungsergebnisse unauffällig.
b. Die oligurische Phase ist durch Azotämie/Urämie
sowie verminderte Konzentration von Kreatinin
und Harnstoff im Harn gekennzeichnet. Diese Phase, wenn klinisch vorhanden, dauert tage- bis
wochenlang.
c. Die polyurische Phase charakterisiert eine progressive Zunahme der Harnproduktion und einen
erhöhten Nierenblutfluss. Dies kann sowohl graduell als auch akut entstehen. Auch diese Phase
kann Tage bis Wochen dauern.
d. In der Erholungsphase erfolgt eine progressive
Normalisierung der Nierenfunktion, der Harnproduktion und der Laborparameter, wobei ihr genaues Ende nicht definiert werden kann, da sich die
Nieren möglicherweise nie vollständig erholen.
Die Diagnose ist unter Beachten der möglichen Differentialdiagnosen meist recht einfach. Es kann eine
Hämokonzentration vorliegen. Die Thrombozytenzahl ist meist normal, die Thrombozytenfunktion
kann jedoch gestört sein, was die Gerinnungstendenz
bei der akuten Niereninsuffizienz erklärt. Neben der
Azotämie und Hyperphosphatämie ist blutchemisch
oft eine Hyperkaliämie zu finden. Eine rasche Bestimmung der Serumkaliumkonzentration erfolgt mit Hil-
fe eines Elektrokardiogramms (bei Hyperkaliämie
verbreiterte QRS-Komplexe, verlängerte PR-Intervalle, hohe T-Zacken und fehlende P-Zacken). Da Calcium mit Phosphor ausfällt, ist Serumcalcium meist
erniedrigt. Bei Hyperkalzämie ist deren mögliche
Ursache (maligne Hyperkalzämie, primärer Hyperparathyreoidismus etc.) abzuklären.
Die Behandlung gestaltet sich in erster Linie
symptomatisch, um die Selbstheilungstendenz der
Nieren zu fördern. Mit Ausnahme einer spezifischen
Therapie z.B. bei der Ethylenglykol-Vergiftung sollte
nur unterstützend behandelt werden. Alle nephrotoxischen Substanzen sind abzusetzen.
Die intravenöse Flüssigkeitstherapie ist der
Grundpfeiler bei der Behandlung der akuten Niereninsuffizienz. Diese erfolgt mit einer isotonischen
Lösung, z.B. mit Ringer-Laktat oder im Falle einer
Hyperkaliämie mit 0,9%igem NaCl. Eine Dehydratation sollte in den ersten 6 Stunden korrigiert werden.
Das Defizit wird errechnet als:
Defizit (ml) = % Dehydratation ! Körpergewicht (kg) ! 1000 ml.
Cave: Hyperperfusion führt zu Lungenödem,
kongestivem Herzversagen und Bluthochdruck.
Somit ist eine genaue Überwachung (z.B. Messen des
zentralvenösen Drucks oder des peripheren Blutdrucks, serielle Messung des Hämatokrits und des
Gesamtproteins, Auskultation des Thorax) notwendig.
Ist die Katze genügend rehydriert, produziert aber
weniger als 1–2 ml/kg/h Harn, muss eine oligurische
Niereninsuffizienz vermutet werden.
Diuretika sind zwar angezeigt, deren positive Wirkung wurde jedoch nie bewiesen. Osmotische Diuretika (z.B. Mannitol, 20%ig, 0,25–0,5 g/kg i.v.; 20%ige
hypertonische Dextrose 4 ml/kg i.v.) führen zur Verschiebung intrazellulärer Flüssigkeit in den vaskulären Raum. Die i.v. Gabe von Furosemid, einem Schleifendiuretikum, anfänglich in einer Dosis von
2–4 mg/kg, kann bei Nichtansprechen bis zu zweimal
wiederholt werden. Dopamin, ein selektiver Vasodilatator, muss im Dauertropf (2–5 µg/kg/min) verabreicht werden und hat mit Furosemid einen synergistischen Effekt.
Eine metabolische Azidose ist zu korrigieren,
wenn der pH-Wert < 7,2 oder das Serum-HCO3
< 14 mmol/l beträgt. Kann eine Blutgasanalyse
durchgeführt werden, berechnet sich die Menge
Natriumbicarbonat (mEq) wie folgt: Körpergewicht
(kg) x 0,3 x Basendefizit oder 0,5–1,0 mEq/kg. Ohne
Blutgasanalyse lässt sich das Basendefizit wie folgt
schätzen: Milde, mittlere und schwere Urämien entsprechen einem Basendefizit von 5, 10 und 15 mEq/l.
15.4 Spezifische Erkrankungen
Eine schwere Hyperkaliämie hat Auswirkungen auf
Herzdepolarisation und -rhythmus und sollte immer behandelt werden. Calciumgluconat (10%;
0,5–1,0 ml/kg), langsam intravenös verabreicht,
wirkt dem Effekt von Kalium auf die Herzmuskelzelle
entgegen. Natriumbicarbonat (0,5–1,0 mEq/kg) oder
Glucose (0,5 g/kg) mit oder ohne Insulin führt zu
einer Aufnahme von Kalium in die Zellen. In der polyurischen Phase der akuten Niereninsuffizienz ist der
Verlust von Kalium durch die Nieren sehr hoch. Es
folgt häufig eine Hypokaliämie, speziell wenn der
intravenösen Flüssigkeit nicht zusätzlich Kalium beigegeben wird.
Weitere notwendige unspezifische Maßnahmen
bei einer akuten Niereninsuffizienz sind der T 10 zu
entnehmen. Unbedingt muss auch der Zufuhr einer
kalorienreichen Fütterung Rechnung getragen werden. Fressen die Katzen nicht selber, sind sie mittels
Sonde (s. Kap. 27) zu ernähren.
403
Falls sich trotz aggressiver intravenöser Flüssigkeitstherapie eine akute Azotämie nicht binnen
24 Stunden normalisiert, ist eine Dialyse in Betracht
zu ziehen. Es eignet sich die Peritonealdialyse. Körperwarme hypertonische Dextroseflüssigkeit (7,5 ml
50%ige Dextrose in 250 ml Ringer-Laktat oder eine
kommerziell erhältliche Peritonealdialyseflüssigkeit)
in den Peritonealraum gegeben, führt zu einer Diffusion toxischer Substanzen (z.B. Harnstoff und Kreatinin) aus dem Blut ins Dialysat. Es werden
30–40 ml/kg Flüssigkeit via Gravitationskraft durch
einen speziellen Katheter (Scheibenkatheter oder
Tenckhoff-Peritonealdialysekatheter), aseptisch chirurgisch gelegt, in den Peritonealraum verabreicht.
Thoraxdrains sind in Notfällen ebenfalls zu gebrauchen, doch lecken oder verstopfen sie meist rasch. In
der Initialphase nach Legen des Katheters werden
10–12 Dialysezyklen rasch durchgeführt mit ca.
10 Minuten Applikationszeit, 30–40 Minuten Verweilzeit und 20–30 Minuten Ausflusszeit. Je nach
T 10 Unterstützende Arzneimittel bei akuter und chronischer Niereninsuffizienz
Medikament
Wirkung
Indikation
Dosis
Verabreichung
Aluminiumhydroxid Phosphorbinder
Hyperphosphatämie
30–90 mg/kg/Tag
p.o.
Amlodipin
Calcium-Kanal-Blocker
Hypertension
0,625 mg
p.o. SID
Atenolol
α-adrenerger Antagonist Hypertension
2 mg/kg
p.o., SID
Calcitriol
Vitamin D
Renaler sekundärer
1,5–3,5 ng/kg
Hyperparathyreoidismus
p.o.SID
Captopril
ACE-Hemmer
Hypertension
0,5–2,0 mg/kg
p.o. BID-TID
Chlorpromazin
Phenothiazin
Antiemetikum
0,25–0,5 mg/kg
p.o., s.q., i.m. QID-TID
Cimetidin
H2-Rezeptor-Blocker
Magenübersäuerung 2,5–5,0 mg/kg
p.o. BID-TID
Cyproheptadin
Antihistaminikum
Appetitstimulation
2–4 mg
p.o. SID-BID
Diltiazem
Calciumkanalblocker
Hypertension
1,0–2,25 mg/kg
p.o. TID
Enalapril
ACE-Hemmer
Hypertension
0,25–0,5 mg/kg
p.o. BID
Metoclopramid
Dopamin2-RezeptorAntagonist
Antiemetikum
0,2–0,5 mg/kg
p.o, i.v. TID-QID
Nandrolon
Anabolikum
Unspezifisch
1,0 mg/Katze
i.m. 1x/Woche
Natriumbicarbonat
Alkalisierung
Azidose
5–10 mg/kg
p.o. BID-TID
Omeprazol
Protonenpumpeninhibitor
Magenübersäuerung 0,7 mg/kg
p.o. SID
Oxazepam
Diazepam-Derivat
Appetitstimulation
p.o. SID-BID
Ranitidin
H2-Rezeptor-Blocker
Magenübersäuerung 2–4 mg/kg
p.o. BID
Stanozolol
Anabolikum
Appetitstimulation
p.o. SID-BID
Sucralfat
Lokaler Magenschutz
Gastritis, Magenulkus 0,5 g/Katze
2 mg
1–2 mg
p.o. TID
404
15 Krankheiten der Niere und ableitenden Harnwege
Elektrolythaushalt, Biochemie (Protein, Harnstoff,
Kreatinin) und Säure-Basen-Haushalt werden die
Zyklenzahl und -zeit sowie die Zusammensetzung
der Dialyseflüssigkeits in den anschließenden Tagen
angepasst.
Nur am Rande sei hier eine allogene Nierentransplantation (zwei Individuen der gleichen Spezies) als
letzte Möglichkeit zur Therapie einer akuten irreversiblen Niereninsuffizienz erwähnt.
Die Behandlung einer Ethylenglykol-Vergiftung
basiert in erster Linie darauf, die Metabolisierung von
Ethylenglykol in dessen toxische Metaboliten zu verhindern. Falls die Aufnahme weniger als 2 Stunden
zurückliegt, kann man versuchen, die Katze zum
Erbrechen zu bringen (z.B. Gabe eines α2-Agonisten).
Ethanol (20%) in einer Dosis von 5,0 ml/kg intravenös
alle 6 Stunden (5 Gaben) dann alle 8 Stunden
(4 Gaben) verabreicht oder auch als konstante Infusionstherapie in der gleichen Dosierung ist die
Behandlung der Wahl für Katzen (s. Kap. 29.5.6).
Zusätzlich sind unterstützende Therapien (i.v. Flüssigkeit, Natriumbicarbonatgaben etc.) indiziert.
15.4.2 Chronische Niereninsuffizienz
Eine chronische Niereninsuffizienz wird definiert als
langsame Verschlechterung aller Nierenfunktionen.
Sie ist eines der häufigsten Probleme älterer Katzen.
Die Erkrankung ist irreversibel und führt mit der Zeit
zum Tod. Eine Vielzahl von Ursachen sind beschrieben worden (T 11), der auslösende Grund ist jedoch
kaum mehr zu finden (a 13 und 14).
Morphologisch am häufigsten ist eine chronischinterstitielle Nephritis, welche unabhängig vom
ursächlichen Problem histologisch identisch aussieht.
Es kommt zu einem Verlust der Funktion einzelner
Nephrone und kompensatorisch zu einer Hypertrophie der verbleibenden Nephrone. Dies resultiert mit
T 11 Primäre Ursachen einer chronischen Niereninsuffizienz bei Katzen
Tubulointerstitiell
●
Chronische generalisierte tubulointerstitielle
Nephritis
●
Chronische Pyelonephritis
●
Hyperkalzämische Nephropathie
●
Kaliumverlust-Nephropathie
●
Granulomatöse Nephritis durch FIP-Virus
●
Nierentumoren (vor allem Lymphom)
●
Nierenamyloidose
●
Polyzystische Nierendegeneration
Vaskulär
●
Systemischer Bluthochdruck
●
Glomeruläre Hypertension
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Intravaskuläre Gerinnung
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Hyperthyreose (nicht bewiesen)
A 13 Makroskopisches Bild einer chronischen Niereninsuffizienz. Die Histologie zeigte ein Bild einer interstitiellen Nephritis.
Glomerulär
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Chronische Glomerulonephritis
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Glomerulosklerose
Sammelröhrchen/Nierenbecken
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Nierensteine
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Hydronephrose
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Perirenale Pseudozysten
A 14 Nieren einer Katze, welche wegen einer FIP Infektion und chronischer Niereninsuffizienz euthanasiert
wurde.
Horzinek / Schmidt / Lutz
Krankheiten der Katze
880 Seiten, geb.
erschienen 2005
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