KLIMAWANDEL n Fritz Reusswig Zarte Pflänzchen der Veränderung Klimawandel als Kulturaufgabe Klimawandel sollte als Herausforderung an unsere Kultur begriffen werden. Deshalb wäre auch anzugeben, in welche Richtung sich unsere Kultur entwickeln müsste, um diese Herausforderung produktiv anzunehmen. Wir brauchen eine weitere industrielle Revolution Der Klimawandel ist ein Faktum. Er findet bereits statt, aber das dicke Ende kommt erst noch. Bislang hat sich die Erdmitteltemperatur nur um 0,8˚ C gegenüber der vorindustriellen Periode erhöht, aber weitere mindestens +0,6˚ C sind aufgrund der Trägheit des Erdsystems bereits unvermeidlich. Und die weltweiten Emissionen steigen weiter. Ab wann wird es wirklich gefährlich? Seit einigen Jahren haben sich Wissenschaft und Politik auf das berühmte 2˚ C-Ziel geeinigt, zuletzt auch durch die internationalen Klimaverhandlungen festgeschrieben. Jenseits einer Erwärmung von 2˚ C beginnt der gefährliche Klimawandel, zu dessen Vermeidung die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) 1992 initiiert wurde. Dann werden die Klimafolgen (z.B. Trockenheit, Hitzewellen, Extremereignisse, Gletscherschmelze, Meeresspiegelanstieg) so dramatisch, dass ökonomische, politische und humanitäre Krisen und Katastrophen drohen. Von der Erreichung der 2˚ C-Schwelle sind wir nicht mehr weit entfernt. Wir müssen handeln. Die globalen Emissionen müssen bald und nachhaltig reduziert werden, in Ländern wie Österreich oder Deutschland um 80-90% bis zum Jahr 2050. Das geht nicht durch ein Paar Energiesparlampen hier oder etwas sparsamere Autos da. Wir sprechen über nichts Geringeres als über eine weitere technischindustrielle Revolution. Alle energieverbrauchenden Geräte und Systeme (z.B. auch Städte) müssen deutlich effizienter werden. Und wir müssen unser Energiesystem möglichst rasch auf 100% erneuerbare Energieträger umstellen. Wir brauchen neue Lebensstile Das hört man mittlerweile nicht nur aus irgendwelchen grün-alternativen Ecken, es wird auch von einigen Klima- und EnergieökonomInnen und sogar von manchen ManagerInnen gesagt. Das Stichwort, unter dem die Debatte dazu meist geführt wird, lautet „Green Growth“.1 Was in dieser Debatte leider häufig unter den Tisch fällt: Ohne einen Lebensstilwandel wird es keine „grü- © Markus Hubacher Spiez Der Klimawandel kommt, das sagt uns die Wissenschaft. Und sie sagt uns auch, was wir tun könnten, wenn wir weiteren gefährlichen Klimawandel vermeiden wollen. Aber die Wissenschaft kann uns nicht sagen, ob wir das wollen sollten. Das ist letztlich eine Kulturaufgabe. Darauf, dass man hier zusammenarbeiten müsste, sind aber sowohl die Klimaforschung als auch die Kultur bislang nur sehr schlecht vorbereitet. Erdrutsch am Grindelwaldgletscher, 2005 1 Für die OECD vgl. z.B. http://www.oecd.org/document/10/0,3746, en_2649_37465_44076170_1_1_1_37465,00.html umwelt & bildung 1/2012 | 31 n KLIMAWANDEL ne Ökonomie“ geben, und ohne einen Kulturwandel ist der Lebensstilwandel nicht zu haben. Es stimmt: Wir brauchen technischen Fortschritt sowohl im Effizienzbereich als auch mit Blick auf die erneuerbaren Energien. Und natürlich wird es damit auch Wachstums-potenziale für einzelne Technologien, Firmen oder gar ganze Branchen geben. Nur: Ein flächendeckendes Wachstum der ganzen Volkswirtschaft ist damit nicht notwendig. 40 Jahre Wachstumskritik haben gezeigt, dass wirtschaftliches Wachstum ökologisch und sozial blind ist, und sogar kontraproduktiv sein kann. Selbst eine 100% auf erneuerbare Energien aufgebaute Ökonomie kann nicht grenzenlos wachsen. Zum Beispiel nicht in der Fläche, wie die vielfältigen Konflikte um Windenergie oder Wasserkraft deutlich zeigen. Wenn wir die große und weltweit wachsende Autoflotte auf Biokraftstoffe umstellen wollten, müssten wir große Flächen für die Nahrungsmittelproduktion oder den Naturschutz entziehen – mit erheblichen ökonomischen und ökologischen Kosten. Die Beispiele ließen sich vermehren. Ohne eine Reflexion auf die absolute Größe einer Volkswirtschaft und ihr Konsumniveau helfen uns auch Effizienzgewinne und 100% erneuerbare Energien nichts. Ein Lebensstilwandel weg vom hergebrachten Muster des sorglosen und immer wachsenden Verbrauchs ist also nötig. Aber ist er auch möglich? Ein Kulturwandel ist unvermeidlich Viele ÖkonomInnen und PolitikerInnen sagen: Lebensstile kann, ja soll man nicht ändern. Schließlich gehört die Freiheit der (Konsum-) Wahl zu den Grundrechten. Stimmt. Aber heißt das wirklich, dass wir „alles“ dürfen? Die Präferenz für den Konsum von Marihuana darf nicht ausgelebt werden. In manchen Ländern ist sogar Alkohol verboten. Das Rauchen 32 | umwelt & bildung 1/2012 von Tabak, gestern noch ein normales Kennzeichen unserer Kultur, ist heute weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannt. Alle möglichen Konsumgüter und -praktiken werden entweder besteuert oder subventioniert – häufig sehr zum Nachteil für die Umwelt. Die Instrumente sind also da, sie müssen „nur“ in die richtige Richtung „umprogrammiert“ werden. Aber woher wissen wir, welche Richtung die richtige ist? Hier verweisen Wirtschaft, Politik und Alltagsakteure gerne wechselseitig aufeinander, um die Unmöglichkeiten oder doch Schwierigkeiten einer Änderung zu unterstreichen. Zuletzt, so heißt es dann gerne, ist das eine Frage der Kultur. Das stimmt sogar: Kultur – sowohl Hoch- wie Alltagskultur, materielle wie symbolische – bezeichnet den letzten Bezugsrahmen für gesellschaftliche Interaktionen und Prozesse. In unserer Kultur – einem Analogon zur DNA in der Natur – ist festgelegt, wer wir sind, was uns wichtig ist, wie wir uns äußern und interpretieren. Unsere Kultur legt also unsere Identität als gesellschaftliche Wesen fest. Sie legt im Falle der westlichen Kultur in ihrer aktuellen Ausprägung als demokratische und kapitalistische Moderne eben auch fest, dass Umweltfolgen vernachlässigt werden können und mehr Wachstum besser ist als weniger. Aber wie festgelegt ist diese Kultur, wer hat sie festgelegt, und wer kann sie ändern? Ein Anfang: Wandel der Kulturindustrie Kultur soll oft auf Unvermeidliches verweisen. Aber Kultur ist auch ein Produkt gesellschaftlicher Entwicklung. Wir haben sie gemacht, und wir machen sie tagtäglich neu. Wie kann Kultur „umprogrammiert“ werden? Denn es stimmt: Ohne einen umfassenden Wandel der Kultur bleiben individuelle Lebensstil-Änderungen immer vom Schatten der gut gemeinten Bedeutungslosigkeit begleitet. Ein Anfang kann darin bestehen, dass sich die „Kulturindustrie“ selbst ändert. Horkheimer und Adorno haben diesen Ausdruck in ihrer Dialektik der Aufklärung aus den 1940er Jahren mit bewusster Häme eingeführt, um das Inszenierte und Warenförmige der vermeintlich edleren Kulturgebilde hervorzukehren. Schwer vorstellbar, dass ihre kritische Diagnose heute milder ausfallen würde. Für uns bedeutsam soll an dieser Stelle nur sein, dass es seit Kurzem aus dieser überbordenden und dem naturblinden Konsumismus verschriebenen Kulturindustrie erste Zeichen gibt, die auf ökologische Besinnung deuten. Es ist gerade der globale Klimawandel, der viele Akteure der Kulturindustrie nach ihrer eigenen Verantwortung und nach neuen Lösungen suchen lässt. Da wäre zum Beispiel die Green Music Initiative (GMI; www.greenmusicinitiative.de), die deutsche Plattform für eine klimaverträgliche Musik- und Entertainmentbranche, die – nach britischem Vorbild – versucht, Schlüsselakteure der Musikindustrie zu klimafreundlichem Verhalten anzuregen. Viele Musikfestivals versuchen mittlerweile, ihren Umwelt- und Klima-Fußabdruck zu reduzieren. Das gilt auch für städtische Straßenfestivals. In der Filmindustrie gibt es erste Initiativen, die eine CO2-freie Filmproduktion anstreben – einschließlich der Kompensation für unvermeidliche Emissionen. Auch in der bildenden Kunst wird die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel mehr und mehr gesucht, so wenn zum Beispiel Frauke Köbberling und Martin Kaltwasser Autos zu Fahrrädern umbauen. Und weiter? Das sind zugegebenermaßen nur erste Anfänge. Aber sie sind wichtig, zeigen sie doch, dass die Übernahme von Klima-Verantwortung auch eine Sache der Kulturindustrie selbst ist. Aber viel wichtiger als die Reduktion des CO2- ZUKUNFTn Fußabdrucks der Branche ist die symbolische Wirkung, die davon auf den Rest der Gesellschaft ausgeht. Denn das ist ja der Sinn von Kultur: uns die eigene Identität – und die Auseinandersetzung damit – sinnlich erfahrbar zu machen. Und da Lebensstilwandel den Kulturwandel braucht, um bestandssicher und mehrheitsfähig zu werden, können die erwähnten Initiativen eben auch zum Katalysator eines umfassenderen gesellschaftlichen Wandels werden. Denn ihr Vorhandensein bestärkt Einzelne und Gruppen darin, dass ihr Bemühen um ein klimagerechtes Leben kein ökomoralischer Spleen ist und keine Donquijoterie darstellt, sondern sich eben als ein ganz wichtiger Teil eines übergreifenden gesellschaftlichen Such- und Lernprozesses verstehen kann, der zu einem umweltverträglichen Wirtschafts- und Sozialmodell führen muss. Die Klimadebatte war seit ihren Anfängen eine wissenschaftlich geprägte Debatte. Das konnte nicht ausbleiben. Mittlerweile lässt auch die Ökonomie ihre Stimme vernehmen. Es geht um komparative Kosten und neue Wachstumschancen. Aber es ist an der Zeit, dass wir mehr soziale (und, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch: soziologische) Phantasie entwickeln, damit das „grüne Wachstum“ nicht zur auch ökologisch gefährlichen Phantasterei ausartet. Dazu brauchen wir die Kultur und den Kulturwandel. Und wir brauchen die Kultur dabei nicht als Magd der (ökologischen) Wissenschaft, sondern als autonome Partnerin mit Eigenlogik und Eigensinn. Die zarten Pflänzchen der Veränderung in der Kulturindustrie selbst sind dabei ein wichtiger Anfang. Lassen wir es wachsen, damit wir selber wachsen können. Und zwar zunächst und vor allem als Kulturwesen. Dr. Fritz Reusswig ist Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). E-Mail: [email protected] Ulrike Unterbruner Lebensgefühl, Natur und Technik Jugendliche über die Welt in 20 Jahren Österreichische und deutsche Jugendliche im Alter von 13 bis 16 Jahren machten eine Fantasiereise in die Zukunft und haben 700 interessante Geschichten aus der Zukunft mitgebracht. Sie erzählen von lebensfreundlichen und feindlichen Welten, von grünen Idyllen und ökologischen Desastern, von fliegenden Autos und zerstörender Technik. Vorstellungen lenken uns in erheblichem Maße. Sie helfen uns die Welt zu verstehen. Sie bestimmen, was wir wahrnehmen und was wir ausblenden. Ohne uns dessen gewahr zu sein prägen sie uns in unserem Handeln und Verhalten und nehmen Einfluss auf Werthaltungen und Interessen. Das macht diese Vorstellungen – man spricht auch von Alltagsvorstellungen oder Alltagsphantasien – so bedeutsam für das Verständnis und Herangehen an Natur und Umwelt. Denn Vorstellungen über die Zukunft können unsere Schritte im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung in einen behutsamen Umgang mit der Natur oder in ein von einer EndzeitStimmung geprägtes Verprassen unserer Ressourcen lenken. Deshalb gilt mein Forschungsinteresse schon seit Langem den Zukunftsvorstellungen von Jugendlichen. Ich bin überzeugt davon, dass es Sinn macht, diese Vorstellungen in die Umweltbildung bzw. Bildung für nachhaltige Entwicklung zu integrieren. Aber davon später! Vor 20 Jahren erhob ich erstmals die Zukunftsvorstellungen österreichischer Jugendlicher (Unterbruner 1991). Etwas mehr als die Hälfte der 14- bis 16-jährigen Mädchen und Jungen war damals pessimistisch und erzählte von lebensfeindlichen Welten. 20% waren optimistisch und 25% ambivalent. Damals waren die Umwelt- und Friedensbewegung auf dem Höhepunkt, Themen wie Umweltzerstörung, Gefährdung durch Atomkraftwerke oder Atomkrieg wurden breit diskutiert und so verwundert es nicht, dass sich viele dieser Themen auch in den Zukunftsvorstellungen der Jugendlichen fanden. Die Betroffenheit oder auch Umweltangst der Jugendlichen war übrigens kein österreichisches Phänomen, sondern zeigte sich in mehreren europäischen Studien. Wie stellen sich aber Jugendliche heute die Welt in 20 Jahren vor? Würde denn Natur und Umwelt noch eine Rolle spielen, wenn sie über zukünftige Welten fantasieren? Hätten sie den Pessimismus der späten 80er Jahre hinter sich gelassen? Die JugendforscherInnen sprechen schon seit der Jahrtausendwende von optimistischeren Tendenzen. – Ich befragte 700 österreichische und deutsche Mädchen und Jungen im Alter von 13 bis 16 Jahren, vorwiegend aus österreichischen Gymnasien und Berliner Oberschulen. Der Haupterhebungszeitraum war 2009. umwelt & bildung 1/2012 | 33