Neuste Themen: Newsletter Juni 2013 - Aktuelles aus dem Verein - Zielgerichtete Therapien – Neue Wege in der tiermedizinischen Onkologie - Reaktion des Dobermann Verbandes zum Projekt Dobermann Kardiomyopathie - Vorstellungen von Krankheiten Aktuelles aus dem Verein Kärntner Boxerprojekt zur Krebsforschung Forschungsprojekt zum Mammakarzinom der Hündin Das Kärntner Boxerprojekt zur Krebsforschung basiert auf einer Idee und Spende der ÖBK-Landesgruppe Kärnten unter Leitung von Dr. Elisabeth Fuchs-Rothenpieler. Mit der zweckgebundenen Spende an den „Förderverein für wissenschaftliche Hundeforschung e.V.“ ist der Auftrag verbunden, dieses Projekt in Zusammenarbeit mit Dr. Michael Willmann von der Veterinärmedizinischen Universität Wien, wo eine international führende und auf humanmedizinischem Niveau arbeitende Infrastruktur für die Krebsforschung für Hunde zur Verfügung steht, zu initiieren, zu begleiten und die Ergebnisse Boxerzüchtern und -besitzern nahezubringen. Tumorerkrankungen sind leider neben anderen bekannten Erbkrankheiten die häufigste Todesursache beim Boxer. Amerikanische, skandinavische, deutsche und österreichische Studien und Aufzeichnungen sprechen von Prozentsätzen zwischen 45 und 53%. Weiters ist von genetischen und damit zuchtrelevanten Prädispositionen der Rasse für Mastzelltumoren, Mammatumoren, Gehirntumoren und Lymphdrüsenkrebs auszugehen. Das Kärntner Boxerprojekt zur Krebsforschung ist dem Mammakarzinom der Hündin gewidmet und leistet damit einen direkten und unmittelbaren Beitrag zur Gesundheit der Zuchthündin. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung einer neuen Diagnosemöglichkeit und möglicherweise nachfolgenden Therapieoption mit einem weltweit erstmalig entwickelten kaninisierten (an den Hundepatienten angepassten) Antikörper. Dieser Antikörper ist gegen einen Wachstumsfaktor (EGFR; epithelial growths factor receptor) der Krebszelle gerichtet, der durch eine Erbgutveränderung (Mutation) verstärkt aktiviert wurde. Mit der synthetischen Herstellung dieser Antikörper konnte die Wiener komparative Krebsforschung unter der Leitung von Frau Profin Erika Jensen-Jarolim (Komparative Medizin des Messerli Forschungsinstituts in Wien) in jüngster Vergangenheit einen Meilenstein in der veterinärmedizinischen Onkologie setzen. Der Boxer wird mit diesem neuen Projekt zur ersten Rasse, der diese innovativen und wegweisenden Ergebnisse der 1 Krebsforschung durch rassespezifische weitere Untersuchungen zugute kommen können. Langfristig betrachtet nehmen neue effiziente Diagnose- und Therapiemöglichkeiten jeder Erkrankung einen wesentlichen Teil ihres Gefahrenpotenzials, und so könnte auch dieser neue Weg im Umgang mit dem Milchleistentumoren Boxerbesitzer und -züchter dazu bewegen, frühzeitig beim Auftreten von Knoten in der Milchleiste der (Zucht-)Hündin zu reagieren und damit eine heilende Therapie für die betroffene Hündin zu ermöglichen. Anfragen zum Projekt oder zu einer möglichen Unterstützung erwarten wir gerne unter [email protected] „ Zielgerichtete Therapien – Neue Wege in der tiermedizinischen Onkologie" Quelle: mit freundlicher Genehmigung Kerstin Piribauer Chemo- und Strahlentherapie gelten neben der Chirurgie als klassischer Tumorbehandlung in der Veterinärmedizin längst als feste Säulen einer umfassenden onkologischen Therapie für den Hund. Darüber hinaus machte die Entwicklung neuer Medikamente für den tiermedizinischen Bereich in den vergangenen Jahren Fortschritte, die zu Beginn dieses Jahrtausends noch nicht absehbar waren. Wesentlichen Anteil daran hat die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Human- und Veterinärmedizin, die vergleichende Onkologie, die bereits heute zur Zulassung modernster zielgerichteter Medikamente für die Behandlung krebskranker Hunde führte. Die zielgerichteten Therapien, die auch unter dem englischen Namen „targeted therapies“ bekannt sind, richten sich gegen gestörte und für das ungehemmte Wachstum verantwortliche Regulationsvorgänge der Tumorzelle, die durch Zellmutationen hervorgerufen wurden. Sie stellen derzeit im Bereich der systemischen Krebstherapien eine sehr spezifische Behandlungsform dar und gelten ebenso wie in der Humanmedizin heute auch in der Tiermedizin als die Therapie der Zukunft. Die abgeschlossenen Erbgutanalysen beim Menschen und 2005 auch beim Hund waren die unverzichtbare Voraussetzung dafür, die genetischen Ursachen einer Krebserkrankung und damit die zugrundeliegenden Mutationen, die letztlich zu einer Tumorentwicklung führen, definieren zu können. Warum entsteht aus einer gesunden Mastzelle eine neoplastische Zelle oder aus einem gesunden weißen Blutkörperchen eine Leukämiezelle? Wenn gestörte Regulationsprozesse und deren verantwortliche Mutationen in den Krebszellen bekannt sind, lässt sich in vielen Fällen mit einem Medikament, das die für das Tumorwachstum verantwortlichen Signalwege der Zelle blockiert, zielgerichtet behandeln. Dazu erklärt Dr. Michael Willmann, Onkologe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien: „Wir können dann zielgerichtet therapieren, wenn wir einen tumorinduzierenden Faktor in der Tumorzelle gefunden haben. Während die Chemotherapie alle sich teilenden Zellen im Körper und damit auch das Regenerationsgewebe des Organismus angreift, wirkt die zielgerichtete 2 Therapie im Idealfall auf spezifische Mechanismen entarteter Tumorzellen. In vielen Fällen kann man bereits heute diese spezifische Wirkung von zielgerichteten Medikamenten gegen Tumorzellen einsetzen und reduziert damit die Nebenwirkungen im Vergleich zur konventionellen Chemotherapie erheblich.“ Neben der Medikamentengruppe der Tyrosinkinaseinhibitoren gehören spezifische immunologische Therapien zu den zielgerichteten Therapien und sind mit der therapeutischen Tumorimpfung heute auch in der tiermedizinischen Onkologie bereits Realität. Und während man noch vor wenigen Jahren glaubte, dass die in der Humanmedizin inzwischen etablierte Antikörpertherapie für die Tiermedizin aus wirtschaftlichen und materiellen Gründen niemals in Frage käme, so hält man heute die ersten synthetisch im Labor hergestellten kaninisierten Antikörper für die spezifische immunologische Krebstherapie beim Hund in Händen. Kaninisierte Antikörper weisen im Gegensatz zu humanisierten Antikörpern für den Menschen eine an die Spezies Hund angepasste Eiweißstruktur auf. Diese Antikörper erkennen die Tumorzellen, haften sich an deren Oberfläche, aktivieren die Körperabwehr gegen diese „Fremdzellen“ und bringen sie zum Absterben. Dieser natürliche Vorgang im Körper hat damit auch nur sehr geringe Nebenwirkungen, die eventuell mit einer Impfreaktion vergleichbar sind. Spezifische immunologische Therapien arbeiten an den konkreten und unverwechselbaren Merkmalen der einzelnen Tumorerkrankung. Deren jeweilige biologische Individualität ist Ziel der spezifischen – zielgerichteten – Therapie! Zielgerichtete Therapien Tyrosinkinaseinhibitoren: Masivet® und Palladia® Spezifische Immuntherapien: Therapeutische Tumorimpfung und Monoklonale Antikörpertherapie Eine Grundprämisse all dieser zielgerichteten Therapien ist eine deutliche Reduktion der Nebenwirkungen auf Grund ihrer spezifischen Wirkung. Wenn der ursächliche Mechanismus der Tumorgenese und des Tumorwachstums bekannt ist und gezielt blockiert werden kann, dann fallen auch die Nebenwirkungen deutlich geringer aus. Das ist eines der konkreten Ziele der zielgerichteten Therapien. In der Humanmedizin wurde bereits im Jahr 2000 der erste durchschlagende Erfolg für die sogenannten Tyrosinkinaseinhibitoren erreicht. Diese zielgerichteten Medikamente können unkontrollierte Wachstumssignale an der Zelloberfläche (Rezeptortyrosinkinasen) oder im Zellinneren (Tyrosinkinasen) der Tumorzellen blockieren und damit ein weiteres Tumorwachstum verhindern. Sie unterbrechen die entarteten Signale in das Innere der Zelle, die zu einem spontanen und unkontrollierten Wachstum führen und durch Mutationen in der Erbsubstanz (Genom) der Zelle ausgelöst werden. Dass jetzt in der Tiermedizin die ersten zielgerichteten Medikamente dieser Gruppe zur Verfügung stehen ist das Ergebnis der vergleichenden Forschung und der Zusammenarbeit von Human- und 3 Veterinärmedizin. Die Fortschritte im Wissen um die Tumorbiologie und das daraus resultierende molekulare Verständnis für Tumorzellen wird für die Entwicklung neuer Therapien eingesetzt. Bis heute sind mit Masivet® und Palladia® zwei dieser Gruppe zielgerichteter Medikamente für die Therapie fortgeschrittener Mastzelltumorerkrankungen beim Hund zugelassen. Tyrosinkinaseinhibitor Tyrosinkinasen sind Enzyme, die die Aminosäure Tyrosin enthalten und einen bedeutenden Anteil an der Signalübertragung von der Zelloberfläche über Botenstoffe bis zum Zellkern haben. Sie geben die Signalkaskade vom Rezeptor der Zellmembran bis zum Zellkern weiter, wo der Auftrag, den dieses Signal der Zelle vermittelte, verarbeitet wird: Die DNA wird abgelesen, um die entsprechenden Proteine zu produzieren und den Auftrag damit zu erfüllen, z.B. Zellteilung, das Freisetzen von verschiedenen Substanzen etc. Eine Fehlregulation in einer Tyrosinkinase kann eine Grundlage für die Tumorentstehung darstellen. Diese veränderte Tyrosinkinaseaktivität – oft spricht man von einer Autoaktivierung ohne Botenstoff, so dass permanent Wachstumssignale weitergegeben werden – entsteht durch eine Mutation im Erbgut der Zelle. Der Wortbestandteil „Inhibitor“ geht auf das lateinische Verb „inhibere“ zurück, das soviel bedeutet wie „anhalten“ oder „unterbinden“. In der medizinischen Fachsprache ist ein Inhibitor eine Substanz, die biologische oder chemische Vorgänge hemmt bzw. verhindert. Tyrosinkinaseinhibitor ist somit die Bezeichnung für ein Medikament, das den Prozess einer unkontrollierten Signalübertragung durch eine veränderte Tyrosinkinase hemmt – und damit das Tumorwachstum stoppt! Um den Mechanismus dieser Medikamente verständlich zu machen, erläutert Dr. Michael Willmann zunächst die Wege, die zu einem Mastzelltumor führen: „Die Mastzellen gehören zu den Abwehrzellen des Organismus und entstehen im Knochenmark. Dort stellen sie sich zunächst als unfertige Vorläuferzellen dar, die das Potenzial haben, zur Mastzelle auszureifen. Diese Vorläuferzellen werden aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf abgegeben, machen sich somit auf den Weg durch den Körper und besiedeln alle Organe, die Kontakt zur Außenwelt haben, denn dort braucht der Organismus die Abwehrzellen! Das sind die Haut, die Lunge, der Magen-Darm-Trakt und das Blut selbst, wo sich die noch immer unreifen Vorläuferzellen nun zu fertigen funktionellen Mastzellen entwickeln, d.h. sich ausdifferenzieren. Diese Ausdifferenzierung zur funktionellen Mastzelle findet unter dem Einfluss eines Botenstoffs im Einsatzgebiet der Mastzellen statt, da dieser Botenstoff von Gewebszellen dieser Region gebildet wird. Er bindet sich an den entsprechenden Rezeptor der Vorläufer-Mastzelle, den sogenannten KIT-Rezeptor, und aktiviert die Zelle, sich zur fertigen Mastzelle zu entwickeln. Das ist ein physiologischer Vorgang, an dessen Ende diese Abwehrzellen in der Lunge, in der Haut, im Blut oder im Magen-Darm-Trakt sitzen und ihre Funktionen im Rahmen von Entzündungsreaktionen und allergischen Prozessen ausüben. Im Kommunikationssystem der Zellen braucht jeder Rezeptor einen entsprechenden 4 Botenstoff, einen passenden Ligand, der sich an den Rezeptor bindet, damit er aktiviert wird und seine Signale ins Zellinnere senden kann. In diesem physiologischen Prozess benötigt der KIT-Rezeptor zwingend seinen Botenstoff, den sogenannten Stammzellfaktor (SCF), damit die Ausdifferenzierung der Zelle ausgelöst werden kann. Bei tumorösen Mastzellen aber passiert es nun sehr häufig, dass diese Rezeptoren auch ohne einen passenden Botenstoff oder Ligand ständig aktiviert sind. Das bedeutet, dass die Zelle dann ununterbrochen stimuliert wird: ,Teile Dich, Du hast eine Aufgabe‘ – aber es gibt keine Aufgabe. Die Rezeptoren der neoplastischen Mastzellen sind durch eine Erbgutmutation ohne Botenstoff oder Ligand autoaktiviert und senden ununterbrochen ihre Signale in das Zellinnere. Das bedeutet, dass die Zellen den normalerweise physiologischen Vorgang nun in pathologischer Form ausüben und ein entsprechendes überschießendes Wachstum zeigen.“ Die Ursache des Mastzelltumors führt zu seiner zielgerichteten Therapie Es sind genetische Mutationen im Erbmaterial von Tumorzellen, die dafür verantwortlich sind, dass dieser Mechanismus ungeplant eingeschaltet wird und abläuft. „Ja“, bestätigt Dr. Michael Willmann, „eine derartige Mutation ist auch bei der Mastzelle dafür verantwortlich, dass der KIT-Rezeptor an der Oberfläche der Zellmembran ohne den Stammzellfaktor, der als Botenstoff oder Ligand hier andocken müsste, aktiviert ist. Diese spezielle Mutation sitzt in den Genen, die diesen Rezeptor codieren und wird auch als sogenannte c-kit-Mutation bezeichnet. Die genetische Mutation ist also für eine fehlerhafte Bauanleitung für diesen Rezeptor verantwortlich, und der Fehler äußert sich darin, dass der Rezeptor nun ohne Botenstoff, ohne das Andocken des Stammzellfaktors, eingeschaltet wird und autoaktiviert ist. Wir haben es also mit einem ligandenunabhängig-aktivierten Rezeptor zu tun, der autoaktiviert das Signal zur beständigen Zellteilung gibt. Das ist die Ursache für den Mastzelltumor! Damit kennen wir nun einen tumorinduzierenden Faktor in der Zelle. Die Voraussetzung für eine zielgerichtete Therapie ist somit erfüllt, und nun können wir mit unseren blockierenden Medikamenten, den Tyrosinkinaseinhibitoren, diese Signalkaskaden, die der autoaktivierte Rezeptor auslöst, unterbinden und hemmen. Diese zielgerichteten Medikamente haben also die Aufgabe, den autoaktivierten KIT-Rezeptor zu blockieren. Das ist auch die spezifische Wirkung der beiden für den Hund zugelassenen Tyrosinkinaseinhibitoren Masivet® und Palladia®.“ Die therapeutische Tumorimpfung In der Veterinärmedizin kann man heute bereits gegen Krebserkrankungen therapeutisch aktiv immunisieren. Die erste in Amerika bereits seit 2010 zugelassene therapeutische Impfung gegen eine Krebserkrankung ist für die Behandlung des oralen Melanoms beim Hund bestimmt. Orale Melanome stellen beim Hund immer eine bösartige Erkrankung dar und haben in 70 bis 90% der Fälle zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits metastasiert. Die therapeutische Impfung verlängert die 5 durchschnittliche Überlebenszeit des Patienten etwa um das dreifache, in fortgeschrittenen Fällen von zwei bis vier Monaten auf durchschnittlich ein Jahr. Dr. Michael Willmann erklärt den Mechanismus, wie der Tumor durch die therapeutische Impfung beeinflusst werden kann: „Die Tumorimpfung funktioniert nach ähnlichen Prinzipien wie jede andere Impfung auch. Mit der Tumorvakzine wird dem Patienten ein Protein gespritzt, das im Organismus ebenso wie beispielsweise ein Virus die Antikörperproduktion anregt. Wenn ich einen Hund mit einem nicht krankmachenden Virus (Antigen) impfe, reagiert der Organismus mit der Bildung von neutralisierten Antikörpern gegen diese Viruserkrankung. Das gleiche passiert bei der Tumorvakzine. Auch hier wird ein Antigen verwendet, ein Bestandteil des Tumors. Natürlich kennt der Körper den Tumor bereits, er wehrt sich ja auch dagegen und hat bereits entsprechende Antikörper produziert. Der bösartige Tumor aber ist stärker und wächst trotzdem weiter. Irgendwann kam der Punkt, an dem das Immunsystem zu erkennen glaubte, dass seine Anstrengungen im Kampf gegen die fremden Tumorzellen zum Scheitern verurteilt sind. Es beginnt, den Tumor zu akzeptieren, die sogenannte Immuntoleranz setzt ein. Die therapeutische Impfung soll diese Immuntoleranz durchbrechen, das Abwehrsystem provozieren und dem Körper noch einmal sagen: ,Das sind fremde Zellen! Sie tragen ein tumorassoziiertes Protein. Akzeptiere, dass das fremde Zellen sind, und mach was dagegen!‘ Das ist die Aufgabe der aktiven Immunisierung durch die therapeutische Impfung: Sie gibt dem körpereigenen Abwehrsystem zu verstehen, dass es ein tumorassoziiertes Fremdeiweiß wieder als fremd erkennen und dagegen aktiv werden muss, d.h .die Immuntoleranz wird durchbrochen.“ Die Tumorvakzine regt den Organismus also an, einerseits eigenständig Antikörper gegen tumorassoziierte Proteine zu bilden (Antikörper-basierte Abwehr), und andererseits die zelluläre Körperabwehr zu stimulieren, die Tumorzellen direkt abzutöten. In Wien wird aktuell an der Entwicklung einer weiteren therapeutischen Tumorimpfung für an Milchleistenkrebs erkrankte Hündinnen gearbeitet. Grundlage dieser neuen Therapieoption ist ein Tumormarker für Brustkrebs des Menschen, das carcinoembryonale Antigen (CEA), das auch bei Hündinnen mit Milchleistentumoren untersucht wurde. „Dieses Molekül hat sich im Laufe der Evolution bei Mensch und Hund vollkommen unterschiedlich entwickelt“, erläutert Dr. Michael Willmann, „aber wir konnten statt dessen eine nahezu 100%ige Übereinstimmung des dazugehörigen Rezeptors (CEA-R) finden, der mit großer Sicherheit eine wichtige Funktion für die Tumorentwicklung hat, da dieser Rezeptor sowohl bei Brustkrebs des Menschen als auch bei Milchleistenkrebs des Hundes vermehrt nachweisbar ist.“ Antikörpertherapie Neben der therapeutischen Tumorimpfung ist mit der Antikörpertherapie, die in der Humanmedizin heute bereits etabliert ist, eine weitere spezifische immunologische Therapie für die Tiermedizin in greifbare Nähe gerückt. „Im Endeffekt liegt der Antikörpertherapie der gleiche Mechanismus wie der Tumorvakzine zu Grunde, nur werden die Antikörper synthetisch hergestellt und dem Patienten infundiert“, erklärt 6 Dr. Michael Willmann und erläutert die Notwendigkeit der Entwicklung eigener Antikörper für den Hund: „Würde man beim Hund einfach einen humanisierten Antikörper einsetzen, der für den Menschen eingesetzt wird, würde der Hund das als Fremdeiweiß erkennen und seinerseits dagegen Antikörper bilden. Das würde die therapeutische Wirkung verhindern und nach einer gewissen Zeit sogar zu einem Nachteil führen. In der Tiermedizin brauchen wir Antikörper, die für den Hund passend sind und kanine Proteine enthalten.“ 120 mg Antikörper = 120 mg Zukunft, Hoffnung, LEBEN für den Hund Und der Wissenschaftler gewährt einen faszinierenden Einblick in die vergleichende Onkologie und die wissenschaftliche Arbeit Im Labor: „Wir konnten nachweisen, dass der EGF-Rezeptor, der epitheliale Wachstumsfaktor-Rezeptor 1 des Hundes, sich nur in vier Aminosäuren von dem des Menschen unterscheidet. Die beiden Moleküle sind fast identisch, aber jede einzelne Aminosäure verändert die dreidimensionale Struktur eines Proteins. Dennoch passt der Wirkstoff eines Medikaments, das für den Menschen zugelassen ist, Cetuximab, ein Antikörper gegen den humanen EGFRezeptor 1, hinsichtlich seiner molekularen Struktur auch exakt in die Bindungsstelle (Binding pocket),des EGF-Rezeptors 1 des Hundes. Das stimmt deswegen so genau überein, weil die vier unterschiedlichen Aminosäuren an Positionen liegen, die die Binding pocket nicht beeinflussen, somit passt das Molekül. Wir benötigen aber ein kaninisiertes Molekül, das der Hund akzeptiert, und das wurde gerade mit einer Partneruniversität in Wien produziert. Die Herstellungsverfahren dieser monoklonalen Antikörper wurden in den letzten Jahren so verbessert, dass die Kosten dafür heute auch für die Tiermedizin akzeptabel geworden sind. Das sah vor zehn Jahren noch ganz anders aus. Auch in der Therapie mit diesen Antikörpern geht es letztlich darum, das Ziel, den EGF-Rezeptor, der bei zahlreichen Tumorarten überexprimiert ist, also in einer vielfach vermehrten Anzahl an der Zelloberfläche vorliegt, zu blockieren, damit er seine überschießenden Wachstumssignale nicht mehr ins Zellinnere senden kann.“ Damit wurde weltweit erstmals ein kaniner Antikörper künstlich im Labor hergestellt, dessen Einsatz bei Diagnose und Therapie von Tumorerkrankungen bei Hunden in den ersten klinischen Studien jetzt unmittelbar bevorsteht. 7 Visionen verschieben Grenzen: Die EINE Medizin Mit der Antikörpertherapie wird möglicherweise erstmals eine heute in der Humanmedizin nahezu alltägliche spezifische Immunologische Therapie auch für den Hund zur Verfügung stehen. Visionen verschieben Grenzen: Das entschlüsselte Erbgut des Hundes und das damit verbundene Wissen um die genetische Ähnlichkeit von Mensch und Hund ist eine unverzichtbare und existentielle Voraussetzung für die vergleichende Forschung in Human- und Veterinärmedizin. Wenn die genetische Grundlage einer Krebserkrankung identisch ist, besteht die Möglichkeit, eine Therapie mit demselben therapeutischen Ansatz zu entwickeln. An die Stelle der „verschiedenen Medizin“ für Mensch und Tier tritt die EINE Medizin – in weiten Bereichen noch eine Zukunftsvision, vor allem in der Krebsforschung aber bereits Realität mit konkreten und greifbaren Ergebnissen zum Wohle und zum Nutzen von Mensch und Tier. „Die Frage, was die vergleichende Krebsforschung der Veterinärmedizin bringt, können wir heute ganz klar beantworten: Medikamente und Therapeutika der neuesten Generation für den Hund! An der Entwicklung des Tyrosinkinaseinhibitors Palladia® lässt sich das parallele Vorgehen in der gemeinsamen Forschung ganz genau nachvollziehen. Es war das Konzept der EINEN Medizin, das zum Palladia® für den Hund und zum entsprechenden humanmedizinischen Produkt führte. Das ist keine Vision, sondern Ergebnis und Stand der vergleichenden Krebsforschung“, erklärt Dr. Michael Willmann die Zusammenhänge und zeigt auf, wie gemeinsame Studien zu neuen Medikamenten führen: „Um in der vergleichenden Krebsforschung arbeiten zu können und gemeinsame Therapiemöglichkeiten zu entwickeln, muss sich bereits in der präklinischen Phase zeigen, dass der betreffende Tumor bei Mensch und Hund eine identische genetische Basis hat. Im Labor vergleichen wir Tumorzellen von Hunden und Menschen und prüfen, ob die Tumoren demselben Entstehungsmechanismus folgen. Wenn sich die genetische Vergleichbarkeit in dieser präklinischen Phase bestätigt, die Erbgutveränderungen also sehr ähnlich sind, können wir weiterarbeiten und haben die Chance, parallel eine gemeinsame Therapie zu entwickeln. Die manchmal an dieser Stelle laut werdende Kritik, dass wir aus der Tiermedizin nur der Humanmedizin zuspielen und Daten liefern, ist mit den neuen Medikamenten für den Hund, die aus diesen Studien resultieren, mehr als entkräftet. Wir hätten diese Medikamente, die Tyrosinkinaseinhibitoren für den Hund, ohne die vergleichende Onkologie in der Tiermedizin nie bekommen.“ Eine gleichberechtigte Partnerschaft Nicht nur die aktuelle Entwicklung der ersten kaninen Antikörper für die Krebstherapie beim Hund zeigt, dass die Potenziale, die die vergleichende Onkologie für die veterinärmedizinische Tumorbehandlung öffnet, noch gar nicht abzuschätzen sind. Ein Rückblick in die Geschichte wird dabei zur Verpflichtung für die Zukunft. Dr. Michael Willmann: „Vor 40 Jahren hat man Chemotherapeutika mit dem einzigen Ziel hergestellt, sie zur Krebsbehandlung des Menschen einzusetzen. Man hat bei Hunden getestet – durchaus effizient –, die Medikamente wurden aber nur für den Menschen zugelassen, und die Hunde wurden niemals berücksichtigt. Erst viel 8 später hat die veterinärmedizinische Onkologie diese Medikamente aufgegriffen. Vieles für den Menschen hat man „am“ Hund entwickelt und ihm nie etwas zurückgegeben. Dem Hund etwas zurückzugeben, bedeutet hier aber vor allem auch, ihn als eigenständigen Patienten zu betrachten. Jetzt ist die Zeit gekommen, dass auch die Hunde von wissenschaftlicher Forschung profitieren. Vergleichende Forschung bedeutet für mich die konsequente Umsetzung einer gleichberechtigten Partnerschaft.“ Lieben Dank an Dr. Michael Willmann für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags. Kerstin Piribauer „Information zum Projekt Dobermann Kardiomyopathie“ Auf Grund der Petition und Kampfes vieler Dobermann Besitzer gegen die Krankheit DCM, hat nun der Dobermann Verband reagiert und veröffentlichte auf der Homepage des Dobermann Verbandes eine Gegendarstellung (24 S.), http://www.dobermann.de/ auf diese haben nun seinerseits die Kardiologen Dr. Gerhard Wess und Dr. Jan Gerd Kresken reagiert und ihre Stellungnahme dazu abgegeben. Damit sich ein jeder ein Bild davon machen kann, bitte ich die Stellungnahme des Dobermann Verbandes zu lesen und hier die Stellungnahme der Kardiologen. Ich denke wir müßen dazu nicht mehr viel sagen, außer die dringlichen Bitte an den Dobermann Verband den Tatsachen ins Auge zu sehen und richtig zu reagieren. Medizinische Kleintierklinik • Veterinärstr. 13 • 80539 München Dr. Gerhard Wess Diplomate ACVIM (Cardiology) Diplomate ECVIM-CA (Internal Medicine & Cardiology) Telefon +49 (0)89 / 2180-1671 Telefax +49 (0)89 / 2180-991671 [email protected] www.tierkardiologie.com München, 10.06.2013 Offener Brief an das Präsidium des Dobermann -Verein e.V. Aufgrund der Veröffentlichung auf Ihrer Webseite in Bezug auf die Zuchtuntersuchungen, möchten wir unsere wissenschaftliche Meinung dazu abgeben. Sie schreiben in Ihrer Veröffentlichung, dass von Seiten der Wissenschaft keine Ursachenforschung betrieben worden sei, sondern momentan nur eine Früherkennung empfohlen werde. Diese Aussagen sind falsch, denn es wurde 9 u.a. im Rahmen der EU-geförderten LUPA Studie versucht, die genetische Ursache dieser Erkrankung zu finden. Wir wissen, dass ein Gendefekt auf Chromosom 5 zu finden ist. Allerdings erklärt dieser Defekt bisher noch nicht alle Fälle und wir sind weiterhin darum bemüht, die genaue Lokalisation der verantwortlichen Genmutation zu erforschen.1 Für diese Forschungsarbeiten sind leider relativ hohe finanzielle Mittel notwendig, die erst eingeworben werden müssen, was nicht immer ganz einfach ist (bisher gingen alleine mehrere hunderttausend Euro Forschungsgelder in das Dobermann-Projekt der LMU). Außerdem laufen schon seit längerer Zeit weiter eGrundlagenforschungen zu diesem Thema, wie z.B. Micro-RNA Studien, die neben einer früheren Diagnosestellung auch Krankheits-Ursachen ermitteln sollen. Wiederholt gehen Sie auf die zusammen mit dem Collegium Cardiologicum durchgeführten Screening-Untersuchungen ein. Ziel war es, eine repräsentative Anzahl von Dobermännern zu untersuchen, die der natürlichen Altersverteilung entspricht. Zu denUntersuchungen wurden aber nur junge Hunde vorgestellt – es ist also überhaupt nicht verwunderlich, dass nur wenig betroffene Hunde entdeckt werden konnten, da sich die Krankheit meist erst später entwickelt.2 Um eine Falschinterpretation der Ergebnisse zu vermeiden, wie sie nun geschehen ist, haben wir schon bei der Übermittlung der Ergebnisse darauf hingewiesen das keine repräsentative Altersverteilung vorlag. Das Durchschnittsalter der durch Züchter vorgestellten Hunde lag bei ca. 18 Monate. Eine einmalige Zuchtuntersuchung ist tatsächlich nutzlos, vor allem, wenn sie nur bei jungen Hunden durchgeführt wird. Diese Erkenntnis wurden bereits von uns in einer Publikation veröffentlicht.2 Die Kardiologen als Profiteure der Zuchtuntersuchungen darzustellen ist ein Vorwurf, den man so nicht stehenlassen kann! Den Kardiologen geht es darum, den Hunden und ihren Besitzern zu helfen! Außerdem soll die Gesundheit der Rasse verbessert werden. Um ein Beispiel für unsere ernsthaften Bemühungen anzubringen: Dobermänner ab einem Alter von 7 Jahren werden an der LMU im Rahmen des Dobermann-Projektes kostenlos untersucht und wenn Hunde die DCM entwickeln sind die Untersuchungen ebenfalls kostenlos! Dies dient dazu, die Krankheit immer besser zu erforschen und ist nur mit Hilfe vieler Forschungsgelder möglich. Es steht wissenschaftlich außer Frage, dass die DCM beim Dobermann erblich bedingt ist.3 Wie bereits veröffentlicht, ist beim europäischen Dobermann die Prävalenz der DCM mit 58 % so hoch, dass eindeutig eine genetische Komponente an der Entstehung dieser Erkrankung beteilig sein muss (vergleichbare Zahlen liegen aus den USA und Canada vor).2 Das bedeutet, dass jeder zweite Dobermann in seinem Leben diese Krankheit entwickeln wird. Schon allein aus diesem Grund empfehlen wir regelmäßige Untersuchungen, um die betroffenen Hunde frühzeitig therapieren zu können, um z.B. den Sekundentod zu vermeiden.4 Diese Untersuchungen sollten standard mäßig einen Herzultraschall und ein 24-Stunden-EKG enthalten, da sich die DCM beim Dobermann sowohl durch Arrhythmien, als auch durch Pumpschwäche darstellen kann. Nur so kann frühzeitig ein an DCM erkrankter Dobermann erkannt werden und mittels Medikamenten das Risiko am Sekundentod zu sterben reduziert,4 bzw. die Entwicklung eines 10 kongestives Herzversagen verzögert werden.5 Definitionsgemäß bedeutet Vererbung, dass eine Krankheit durch einen genetischen Defekt von einem oder beiden Elterntieren an die Nachkommen weitergegeben wird. Dies bedeutet nicht zwingend, dass die Krankheit von Geburt an ausgeprägt sein muss (angeboren ist), sondern dass sie sich (wie beim Dobermann) auch erst später im Leben entwickeln kann. Angeborene Krankheiten können ebenfalls vererbt sein, oder auch durch Zufallsmutationen entstehen, aber sie sind von Geburt an erkennbar (wie ein PDA oder eine Subaortenstenose). Der auf Seite 13 erhobene Vorwurf, dass in den Veröffentlichungen nur von „Untersuchungen“ gesprochen wird und nicht von der Anzahl der Hunde ist ebenfalls falsch: die genaue Anzahl der Hunde ist in den Original-Veröffentlichungen selbstverständlich angegeben! Auch wenn die Argumente gegen eine Pflichtuntersuchung zunächst nachvollziehbar sind (finanzielle Aspekte, keine internationalen Regeln), so stellt sich doch die Frage, ob diese Argumente ethisch schlüssig sind, wenn statistisch gesehen jeder zweite Dobermann in seinem Leben eine DCM entwickelt. Sollte man nicht als deutscher Verband als gutes Beispiel vorangehen und versuchen in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft diese Krankheit in den Griff zu bekommen? Auch wenn im Ausland eine Zuchtuntersuchung nicht vorgeschrieben wäre, könnten z.B. Verantwortungsvolle Züchter nur noch mit Linien züchten, die regelmäßig auf DCM untersucht werden und mit der Zeit so dafür sorgen, dass auch im Ausland regelmäßig untersucht werden muss. Fakt ist, dass die DCM beim Dobermann häufiger als bei anderen Rassen vorkommt . Fakt ist auch, dass man sie bisher nur durch regelmäßige Untersuchungen frühzeitig erkennen kann. Ganz unabhängig von der Diskussion um die Pflicht-Zuchtuntersuchungen ist es daher für einen Dobermann-Besitzer sehr sinnvoll sein Tier regelmäßig untersuchen zu lassen. Wir arbeiten weiterhin mit Hochdruck daran, immer frühere und bessere Untersuchungsmethoden zu entwickeln–und hier hat sich in den letzten Jahren schon viel getan. Außerdem arbeiten wir auch an immer besseren therapiemethoden und weiterhin daran, die genauen genetischen Defekte zu erforschen.6-12 Es steht außer Frage, dass noch viel Arbeit vor uns liegt, aber uns allen liegt das Wohl dieser Rasse am Herzen und es konnten schon viele Fortschritte erzielt werden. Wir sind auch gerne zu einer Zusammenarbeit mit Zuchtverbänden oder anderen Stellen bereit, bisher wurde diese Möglichkeit leider aber vom Dobermann-Verein nicht konsequent genutzt! Dr. Gerhard WessDr. Jan-Gerd Kresken Priv. Doz., Dr. med. vet., Dr. habil. Dipl ACVIM (Kardiologie) Dipl. ECVIM-CA (Kardiologie) Dipl. ECVIM-CA (Innere Medizin) Klinikleiter Tierklinik am Kaiserberg Fachtierarzt für Kleintiere Zusatzbezeichnungen: Kardiologie Röntgenologie & Sonographie Vors. Collegium Cardiologicum e.V. Leiter Abteilung für Kardiologie 11 Medizinische Kleintierklinik Ludwig-Maximilians-Universität „Vorstellung von Krankheiten“ Zahnkrankheiten – eine Frage des Alters Quelle: https://www.thieme.de/medias/sys_master/8804865605662/9783830441823_musterseite_26_35.pdf? mime=application%2Fpdf&realname=9783830441823_musterseite_26_35.pdf Das komplexe System bei der Entwicklung von Mundhöhle und Zähnen lässt genug Spielraum für Störungen, die sich bereits beim jungen Tier zeigen können. Außerdem sind gerade junge Hunde mit großer Aktivität und ausgeprägtem Spieltrieb besonders gefährdet, sich Zähne zu beschädigen. Das Fehlen von Zähnen Manchmal kann bereits die Nichtanlage eines Zahnes ein Problem darstellen. Für das Tier selbst mag das zunächst ohne Bedeutung sein, nicht jedoch für den Züchter oder Halter. Denn es könnte dabei um die Früherkennung von Erkrankungen beziehungsweise um die Tauglichkeit für den Zuchteinsatz gehen. Die Ursachen für einen fehlenden Zahn können sowohl erblich als auch erworben sein. Es kann das gesamte Gebiss betroffen sein (Anodontie : völlige Zahnlosigkeit ) oder auch nur ein Zahn oder wenige Zähne (Hypodontie ). Abzuklären bleibt immer, ob wirklich zu wenige Zähne angelegt sind, oder ob es sich um einen verspäteten beziehungsweise verhinderten Durchbruch handelt. Ein Unfall im Welpenalter kann zum Beispiel dazu führen, dass ein Zahn durch Verlagerung am Durchbruch gehindert ist, obwohl die Zahnanlage zweifelsfrei vorhanden ist. Näheren Aufschluss geben in einem solchen Fall Zahnröntgenaufnahmen, mit denen man die Anlage oder Nichtanlage aller Zähne ab der 12. Lebenswoche nachweisen kann. Fehlt ein Zahn, so sollte in jedem Fall nachgeschaut werden, ob er angelegt ist oder nicht, auch wenn es sich nur um einen kleinen Backenzahn handelt. Denn ein angelegter, aber nicht durchgebrochener Zahn kann zu massiven Umbauveränderungen im Kiefer führen und dabei benachbarte Zähne oder den Kieferknochen schädigen. Meist handelt es sich um die Entstehung einer sogenannten follikulären Zyste . Man kann sich die Entstehung einer Zyste ungefähr so vorstellen: Unter den sich um den Zahnkeim herum befindlichen Zellen sind sogenannte Epithelzellen und damit Oberflächenzellen. Wenn der Durchbruch eines Zahnes nicht erfolgt, schaffen sich diese Epithelzellen „innere“ Oberflächen mittels Spaltbildung im Gewebe. Es entsteht so etwas wie ein wassergefüllter Ballon in der Tiefe des Gewebes, wobei die Epithelzellen die 12 Innenwand des Ballons auskleiden und somit an der „Oberfläche“ sind. Der nicht durchgebrochene Zahn befindet sich im Hohlraum dieses Wasserballons. Der Wasserballon füllt sich mehr und mehr mit Gewebsflüssigkeit an und wächst dadurch. Dieses verdrängende Wachstum löst den umgebenden Kieferknochen und gegebenenfalls benachbarte Zahnwurzeln auf. Die Lösung des Problems liegt darin, den betroffenen Zahn freizulegen und in die Zahnreihe einzuordnen oder den Zahn zu entfernen. Zahnüberzahl Das Gegenstück zur Zahnunterzahl ist die Zahnüberzahl (Hyperdontie ). Das scheint auf den ersten Blick nicht ganz so schlimm, denn bei zu vielen Zähnen kann man die überschüssigen Zähne herausnehmen und erhält so die gewünschte Anzahl. Doch auch hier sollte bedacht werden, dass die Ursache erblich oder erworben sein kann. Zwar kann ein äußerer Reiz wie zum Beispiel ein mechanisches Trauma, das bei Welpen aufgrund ausgeprägten Spieltriebs ja nicht unüblich ist, die Teilung eines Zahnkeims provozieren, womit sich dann die Überzahl erklären ließe. Symmetrie im betroffenen Gebiss, zum Beispiel auf jeder Seite ein vorderer Backenzahn zu viel, oder Symmetrie in der Doppelanlage im Vergleich mit Geschwister- oder Elterntieren sprechen jedoch häufig genug für eine erbliche Komponente. Zur sicheren Diagnose einer Hyperdontie sollte wiederum eine Zahnröntgenaufnahme erfolgen. Warum denn das, werden sich manche fragen, man sieht doch, dass ein Zahn zu viel in der Zahnreihe steht. Doch die Doppelanlage eines Zahnes muss nicht immer vollständig sein. So könnten die im Kronenbereich deutlich getrennten Zähne beispielsweise lediglich eine gemeinsame Wurzel haben. Eine andere Variante der Hyperdontie ist das Nichtausfallen (Persistenz) von Milchzähnen, sie wird als unechte Hyperdontie bezeichnet. In diesem Fall ist das Ziehen der Milchzähne Mittel der Wahl. Missgestaltete Zähne Missgestaltete Zähne sind ebenfalls eine Erkrankung, die bei Durchbruch der Zähne bereits vorliegt und somit in der Regel schon beim Junghund entdeckt wird. Ihre Ursachen reichen von Erblichkeit über lokale Traumata bis hin zu Infektionen oder Stoffwechselstörungen, die die korrekte Ausbildung der Zahnhartsubstanz beeinträchtigen können. Bei genetischer Grundlage sind meist alle Zähne in gleicher Art und Weise betroffen, bei einer infektiösen Grundlage die Bildung der Zahnhartsubstanz zu einem bestimmten Zeitpunkt, bei einem lokalen Trauma die jeweils betroffenen Zahnkeime. Offensichtlichstes Symptom einer Bildungsstörung von Zahnhartsubstanz ist die Missbildung des Schmelzes (Schmelzdysplasie , hier besonders die Schmelzhypoplasie ) mit rauen und dunkelbraunen Flecken an der Zahnoberfläche. Je nach Einwirkzeit und Zeitpunkt der Schädigung kann die gesamte Zahnkrone betroffen sein oder nur Teilbereiche. Schmelzhypoplastische Zähne bedürfen besonderer Pflege, da sich im Bereich der Störungen verstärkt Plaque bildet. Eine Stabilisierung des Zahnes sowie eine Verbesserung der Zahnhy- 13 giene kann durch eine Kunststofffüllung erreicht werden. Bei hochgradiger Schädigung der gesamten Zahnkrone kann auch die Anfertigung einer künstlichen Krone erwogen werden. Abgebrochene Zähne Abgebrochene Zähne finden sich bei aktiven Junghunden oft und werden nach Ausbildung einer Wurzelspitze genauso behandelt wie beim erwachsenen Tier. Erfolgt die Zahnfraktur zu einem früheren Zeitpunkt, muss schnell gehandelt werden. Da keine konventionelle Wurzelbehandlung durchgeführt werden kann, muss unter allen Umständen versucht werden, die Pulpa am Leben (vital) zu erhalten. Bei schneller Versorgung innerhalb eines Tages besteht die Chance einer Vitalamputation . Der Kronenanteil der Pulpa wird dabei entfernt, der Reststumpf durch Einbringen eines Medikaments auf die Pulpaoberfläche behandelt und der Zahn mit einer dichten Deckfüllung verschlossen. Die weitere Wurzelbildung muss jedoch in jedem Fall röntgenologisch kontrolliert werden, da eine Vitalamputation die Gefahr des Absterbens der Pulpa birgt. Parodontitis Spezielle Formen der Parodontitis können bereits das junge Tier betreffen. Insbesondere wenn ein noch nicht ausgereiftes Immunsystem die Grundlage bildet für die Entwicklung einer Parodontitis. Häufig können hierbei lediglich Abschnitte des Gebisses betroffen sein, sodass tiefe Knochentaschen lange übersehen werden. Eine andere Ursache für eine lokale Parodontitis sind missgestaltete Zähne, die Abweichungen im Wurzelbereich aufweisen. Kann sich kein funktioneller Zahnhalteapparat ausbilden, ist es für eindringende Bakterien viel leichter, sich in einer Zahnfleischtasche festzusetzen. In der Folge kommt es dann zu einer lokalen Zerstörung des Zahnhalteapparats. Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten Über reine Zahnerkrankungen hinaus gehen Störungen im Kieferwachstum. Vor allem beim komplizierten Geflecht der Oberkieferknochen kann es genetisch bedingt oder infolge äußerer Einflüsse zur Spaltbildung kommen. Diese kann die Lippen (Cheiloschisis ), die Kiefer (Gnathoschisis ), den Gaumen (Palatoschisis ) oder auch alle gleichermaßen betreffen. Im letzteren Fall liegt eine sogenannte Lippen-KieferGaumen-Spalte vor. Schmatzt ein Welpe beim Trinken an der Zitze komisch oder nimmt er nicht im gleichen Maße an Körpergewicht zu wie die Geschwister, kann dies der erste Hinweis auf eine solche Spaltbildung sein, die den Schluckvorgang beeinträchtigt. Insbesondere bei einer Kiefer-Gaumen-Spalte wird die Abdichtung der Atemwege nicht komplettiert, sodass das Tier sich häufig verschluckt beziehungsweise Milch in die Luftwege einsaugt. Je nach Ausmaß der Spaltbildung muss schnell gehandelt werden, um eine lebensgefährliche Situation zu vermeiden. 14 Dennoch ist es häufig notwendig, zuzuwarten, um durch eine Größenzunahme des Tieres bessere Bedingungen für einen operativen Eingriff mit Verschluss der Spalte zu schaffen. Zahnschmerz Die meisten von uns gehen nicht gerne zum Zahnarzt. Doch egal, wie groß die Angst auch ist: Hat man einmal heftige Zahnschmerzen , dann geht man in jedem Fall. Kaum eine andere Verletzung lässt akut solche Schmerzen erleben wie ein verletzter Zahn.Anders verhält es sich bei einer parodontalen Erkrankung, die sich über Jahre eingeschlichen hat. Es kann zwar zeitweilig ein ähnlich akuter Schmerz auftreten wie bei einem abgebrochenen Zahn. In der Regel jedoch sind die Schmerzen moderat und chronisch. Eine permanente moderate Schmerzhaftigkeit kann dazu führen, dass man sich der Problematik der Erkrankung gar nicht bewusst ist. Man fühlt sich allgemein schlecht, kann jedoch nicht sagen, wo die Wurzel des Übels eigentlich liegt. Schneller, heftiger und „heller“ Schmerz; langsamer, dumpfer und „dunkler“ Schmerz: Verantwortlich sind auch unterschiedliche anatomische Strukturen, unterschiedliche Nervenfasern. Die einen sind dünn und haben eine Hülle (A-Fasern ), die anderen sind dicker und unverhüllt bzw. myelinisiert (CFasern ). Derart unterschiedlich ist daher auch die Symptomatik, die Ihr Hund zeigt, sollte ein schmerzhafter Prozess in der Mundhöhle ablaufen. Grundsätzlich gilt: Die sensible Versorgung von Zähnen, Zahnfleisch und Kiefer unterscheidet sich bei Mensch und Hund nicht voneinander. Anatomische Strukturen sind ebenso vergleichbar wie beteiligte Überträgersubstanzen. Daher ist davon auszugehen, dass die Schmerzvermittlung ähnlich abläuft. Es kommt somit mehr auf die Interpretation des erlebten Schmerzes durch den Hund sowie auf die Interpretation der vorhandenen Symptome durch uns an. Wie Zahnschmerz entsteht Kalt und heiß können bei intakter Zahnstruktur gut erfühlt werden. Sensible Rezeptoren in der Pulpa erhalten über die Zahnhartsubstanz den Reiz und leiten ihn über Nervenfasern zu aufnahmebereiten Gehirnregionen weiter. Dort wird der Schmerz bewusst. Wird die Hülle des Zahnes, die Schmelzschicht, geschädigt, geht auch der Schutz vor Reizen verloren. Denn anders als die glatte Oberfläche des Schmelzes besitzt die folgende Schicht, das Dentin, viele kleine Kanäle, die direkt mit dem Nerv, der Pulpa, kommunizieren. Allein schon über Bewegungen der Flüssigkeit in diesen Kanälen aufgrund sich ändernder Druckverhältnisse über der Zahnoberfläche kann Schmerz ausgelöst werden. Sie kennen dieses Gefühl vielleicht, wenn beim Zahnarzt der frisch präparierte Zahn erst einmal ordentlich trocken geblasen wird. Neben Flüssigkeit finden sich in den Dentinkanälen zusätzlich Nervenfasern, deren Endungen direkt gereizt werden können und den Reiz zunächst an die Rezeptoren in der Pulpa, dann über ein paar Zwischenstationen bis zur Großhirnrinde weiterleiten. 15 Das Schmerzerleben des Hundes Nun kommt es auf die Einordnung des Schmerzes an. Das Abbrechen eines Zahnes wird in jedem Fall registriert, nur kann es zum Beispiel während wichtiger anderer Aktionen wie zum Beispiel beim Toben mit dem Nachbarshund als zweitrangig betrachtet werden. Der akute Schmerz lässt nach, es folgt die Schmerzhaftigkeit bei Berührungen der Pulpa mit Zunge, Futter, Wasser oder anderen äußeren Einflüssen. Das kann zu Aufjaulen führen, muss aber nicht. Manche Tiere speicheln vielleicht nur vermehrt oder schlecken sich mit der Zunge über die Nase, weil sie keine anderen Möglichkeiten haben, auf die Verletzung aufmerksam zu machen. In der Folgezeit wird der Schmerz mit Absterben der Pulpa nachlassen. Das Problem scheint zunächst gelöst. Nun kommt es zur Entwicklung einer Entzündung an der Wurzelspitze. Dieser Schmerz ist anderer Natur, kommt schleichend und dunkel und wird nicht zu einer heftigen Reaktion führen. Die Schmerzhaftigkeit bei Belastung dieses Zahnes, der man durch Kauen auf der gesunden Seite ja aus dem Wege gehen kann, wird von Zeit zu Zeit aufflammen, immer dann nämlich, wenn das entzündliche Geschehen akute Komponenten entwickelt. Richtig schmerzhaft wird es jedoch, wenn sich ein Raum beanspruchender Prozess an der Wurzelspitze, wie zum Beispiel ein Granulom oder ein Abszess, im Kiefer Platz schafft. Aber selbst dann zeigt Ihr Hund nicht mit der Pfote auf den verantwortlichen Zahn. In vielen Fällen wird der Schmerz akzeptiert oder besser toleriert, denn gern hat Ihr Hund den Schmerz nicht. Er kann ihm nur nicht dauerhaft aus dem Wege gehen. Somit bleibt die Erkenntnis: Die Schmerzhaftigkeit ist strukturell bei Mensch wie Hund die gleiche, nur das Erleben des Schmerzes wird häufig anders eingeordnet, so wie es auch bei uns Menschen individuell unterschiedliche Reaktionen etwa auf einen eingespießten Holzsplitter geben kann. Daher sollten Sie stets nach der Ursache suchen, wenn Ihr Hund ein verändertes Verhalten oder andere Symptome einer möglichen Zahnerkrankung zeigt. Zunehmende Beißfreudigkeit oder Abwehr bei Berührungen am Kopf müssen nicht das Resultat eines schlechten Charakters sein, in vielen Fällen findet sich eine organische Ursache für dieses Verhalten. Und Zahnfrakturen oder auch Parodontalerkrankungen gehören nun einmal zu den häufigsten Leiden, an denen Hunde erkranken. 16 17