44 Aus der Praxis für die Praxis S. Ries1, E.-J. Richter1 Beispiel für eine Fallpräsentation im Rahmen des Curriculums „Implantologie“ der DGI / APW: Einzelzahnimplantat in der Oberkieferfrontregion Ein wesentliches Kriterium zur Erlangung des Zertifikates für zahnärztliche Implantologie im Rahmen der postgraduierten Ausbildung der DGI ist neben der erfolgreichen Teilnahme an den Kursen des Curriculums die erfolgreiche Absolvierung der Abschlussprüfung. In dem Rahmen eines kollegialen Prüfungsgespräches präsentiert der/die Kandidat/in fünf eigene Implantatfälle, die die chirurgischen Maßnahmen der Implantation und die prothetische Versorgung umfassen. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei auch die Gesamtplanung des Falles. Um die Vorbereitung der Präsentation der eigenen Arbeiten vor der Prüfungskommission zu erleichtern, hat sich der Vorstand der DGI entschlossen, in loser Reihenfolge typische Fälle von implantologisch-prothetischen Beispielbehandlungen in der ZZI zu veröffentlichen. Dabei soll bewusst nicht ein Minimalstandard aufgezeichnet werden, sondern ein Behandlungsfall wird ausführlich dargelegt, womit dokumentiert werden soll, dass eher mehr als zuwenig Information von Seiten der Prüfer gewünscht ist. Es sei aber an dieser Stelle betont, dass – insbesondere was die fotographische Dokumentation angeht – von den Kandidaten nicht der hier gezeigte Umfang und die graphische Qualität wegen zumeist eher geringer Erfahrung bei der Fotodokumentation verlangt werden. Allerdings sei dennoch hervorgehoben, dass eine anspruchsvolle bildunterstützte Fallpräsentation grundsätzlich vorteilhaft ist, da dadurch die eigene Wahrnehmung geschärft und die Fallhistorie besser erfasst werden. Insgesamt bereichert eine Bilddokumentation den Erfahrungsschatz enorm und – Implantologie macht mehr Spaß, wenn man seine Fälle möglichst genau aufzeichnet und verfolgt. Der erste Fall dokumentiert die Behandlung einer Patientin mit Einzelzahnlücke in der Oberkieferfrontzahnregion. Der Behandler war Oberarzt Dr. Stefan Ries der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. 1 Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Würzburg © Deutscher Ärzte-Verlag Köln | zzi | Z Zahnärztl Impl | 2004;20(1) Behandlungsanlass Die junge Patientin (geb. 10.04.80) stellte sich nach kieferorthopädischer Vorbehandlung in unserer Poliklinik mit dem Wunsch nach prothetischem Lückenschluss in regio 23 und Verbesserung der Gesamtsituation vor. Anamnese Allgemeine Anamnese Die zu Behandlungsbeginn 21-jährige Patientin wies eine unauffällige Anamnese auf, der Allgemeinzustand war gut. Zahnmedizinische Anamnese Am 27.04.2001 wurde die Patientin erstmals in der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der Julius-MaximiliansUniversität Würzburg vorstellig. Sie wurde nach kieferorthopädischer Vorbehandlung im Hause mit der Bitte um Lückenschluss in regio 23 in die Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik überwiesen. Extraoraler Befund Der extraorale Befund war unauffällig. Intraoraler Befund Den Zahnstatus zeigt Abb. 1. Die Zähne 22, 35 und 45 waren nicht angelegt, ferner fehlten die Weisheitszähne. Der Zahn 15 war ebenfalls nicht angelegt, statt dessen persistierte ein fester Zahn 55. Zahn 12 war hypoplastisch ausgebildet. An Stelle des fehlenden Zahnes 22 stand Zahn 23 an dessen Position, während in regio 23 eine Lücke vorhanden war (Abb. 2). Der zahnlose Alveolarfortsatz in dieser Region war in transversaler Dimension nur geringgradig atrophiert, so dass sich abschätzen ließ, dass das horizontale Knochenangebot für ein Standardimplantat ausreichen würde. Auf die Feststellung der Schleimhautdicke zur Verifizierung des transversalen Knochenangebotes bzw. der Knochenkontur wurde daher verzichtet. Im Unterkiefer war die Lücke durch den fehlenden Zahn 35 fast vollständig geschlossen. Die Lücke durch den fehlenden Zahn 45 war bis auf eine Breite von 2,5 mm ver- 46 S. Ries et al. | Beispiel für eine Fallpräsentation: Einzelzahnimplantat in der Oberkieferfrontregion engt (Abb. 3). Diese Ausgangsverhältnisse werden sehr gut durch die Situationsmodelle wiedergegeben (Abb. 4, 5). (Anmerkung: Für die Prüfung sind detailgenaue, möglichst einartikulierte (und ev. mit Registraten versehene) Kiefermodelle ausreichend.) Die Mundhygiene der Patientin war anfangs mäßig, im Laufe der Therapie nach entsprechender Aufklärung jedoch sehr gut. Der parodontale Befund ergab keine Besonderheiten. Die klinischen Verhältnisse der Ausgangssituation sind insbesondere zur Beurteilung des Erscheinungsbildes zusätzlich auf den Abbildungen 6, 7 und 8 zu erkennen. Abbildung 1 Röntgenbefund Das Orthopantomogramm (Abb. 9) des Ausgangsbefundes zeigt neben kieferorthopädisch bedingten Befunden die folgenden Besonderheiten aus implantologisch-prothetischer Sicht: persistierender Zahn 55 ohne apikale Veränderungen Zahn 23 in Position 22; im Bereich der Lücke in regio 23 ein in vertikaler Richtung für ein Standardimplantat ausreichendes Knochenangebot (bei 5 mm Durchmesser der Referenzkugel ca. 15 mm) Nebenbefund: an Zahn 26 mesial Aufhellung in Zahnkrone Dentaler Ausgangsbefund mit Taschensondierungstiefen Abbildung 2 Oberkiefer-Ausgangssituation mit persistierendem Zahn 55, hypoplastischem Zahn 12 und Lücke in regio 23 Abbildung 4 Okklusalansicht Oberkiefermodell Abbildung 3 Abbildung 5 Okklusalansicht Unterkiefermodell Ausgangssituation im Unterkiefer © Deutscher Ärzte-Verlag Köln | zzi | Z Zahnärztl Impl | 2004;20(1) S. Ries et al. | Beispiel für eine Fallpräsentation: Einzelzahnimplantat in der Oberkieferfrontregion Diagnose Prothetisch unversorgtes Eigengebiss mit vier fehlenden Zähnen (15, 22, 35, 45) nach kieferorthopädischer Vorbehandlung, persistierender fester Zahn 55, hypoplastischer Zahn 12, Zahn 23 an 2er-Position mit wenig atrophiertem Kieferkamm in regio 23. Therapie Behandlungsplanung Im Rahmen der Befund- und Therapieaufklärung wurden mit der Patientin die verschiedenen Behandlungsmöglich- 47 keiten diskutiert. Eine konventionelle Brückenversorgung kam für die Patientin nicht in Betracht, da sie die Zahnkronen 23 und 25 nicht beschleifen lassen wollte. Zum Lükkenschluss des in regio 23 fehlenden Zahnes wurden mit der Patientin daher die folgenden Lösungen erörtert: • Adhäsivbrücke mit Klebeflügel am Zahn 23 (und eventuell 25) • Einzelzahnimplantat in regio 23 mit zementierter Krone Im Rahmen der Aufklärung wurde der Patientin die kritische Prognose einer Adhäsivbrücke aufgrund der zu erwartenden lateral-exzentrischen Scherkräfte durch die Führungsfunktion der Eckzahnkrone erklärt. Aufgrund dessen entschied sich die Patientin für eine Implantatlösung. Abbildung 9 Orthopantomogramm mit Messkugel Abbildung 6 Ausgangssituation Seitenansicht I. und IV. Quadrant in Okklusion Abbildung 7 Ausgangssituation in der Frontalansicht Abbildung 8 Ausgangssituation Seitenansicht II. und III. Quadrant in Okklusion Abbildung 10 Modellsituation mit laborgefertigten Templates im I. Quadranten Abbildung 11 Modellsituation mit Templates im II. Quadranten © Deutscher Ärzte-Verlag Köln | zzi | Z Zahnärztl Impl | 2004;20(1) 48 S. Ries et al. | Beispiel für eine Fallpräsentation: Einzelzahnimplantat in der Oberkieferfrontregion Zur Optimierung der frontalen Ästhetik wurden weiterhin eine Verbreiterung der hypoplastischen Zahnkrone 12 und eine Formkorrektur der Krone des Zahnes 13 mit Hilfe keramischer Veneers geplant. Zahn 55 sollte aus ästhetischen Gründen überkront und später, falls der Zahn sich lockert, gegebenenfalls auch durch ein Implantat mit Einzelkrone ersetzt werden. Behandlungsablauf Abbildung 12 Simulation des voraussichtlichen Behandlungsergebnisses mit Templates im Patientenmund Abbildung 15 regio 23 nach Implantation und Wundverschluss Abbildung 13 Ausgangssituation in regio 23 vor Implantation ausreichend breiter, leicht atrophierter Restkieferkamm Abbildung 14 regio 23 mit verankertem BEGO-Semados-Implantat die crestale Knochenlamelle ist frakturiert und die apikalen Schraubenwindungen des Implantates sind bukkal nicht von Kochen bedeckt. © Deutscher Ärzte-Verlag Köln | zzi | Z Zahnärztl Impl | 2004;20(1) Zunächst erfolgte die Simulation des möglichen Behandlungsergebnisses mit Hilfe von auf dem Situationsmodell angefertigten Kunststoffschalen, sog. Templates. Dadurch war es möglich, das prospektive Behandlungsergebnis vor Behandlungsbeginn bereits abzuschätzen (Abb. 10, 11, 12). Abbildung 16 postoperative Röntgenkontrolle im Orthopantomogramm scheint die Implantatachse verzerrungsbedingt von der Achse der Nachbarzähne abzuweichen; auf dem Zahnfilm (siehe Abbildung 27) ist die achsengerechte Implantatposition dagegen zu erkennen. Abbildung 17 regio 23 nach Implantatfreilegung mit eingesetztem Gingivaformer S. Ries et al. | Beispiel für eine Fallpräsentation: Einzelzahnimplantat in der Oberkieferfrontregion Zunächst wurde nach Kieferkammschnitt mit Entlastungsinzisionen mesial von Zahn 23 und distal von Zahn 24 der Kieferknochen dargestellt. Das Implantatbett wurde mit innen gekühlten Spiralbohrern aufsteigender Durchmesser zur Aufnahme eines 13 mm langen Implantates mit dem Durchmesser 3,75 mm aufbereitet und das entsprechende BEGO-Semados-Implantat verankert. Postoperativ wurde ein Röntgenkontrollbild angefertigt (Abb. 13 – 16). Nach sechs-monatiger Einheildauer erfolgte die Implantatfreilegung. Zunächst wurde ein Einheilpfosten der Höhe 5 mm mit Durchmesser 4,5 mm in das Implantat geschraubt (Abb. 17). 49 Nach weiterer 8-wöchiger Weichgewebsregenerationsphase wurden Zahn 55 für die Aufnahme einer vollkeramischen Krone präpariert und die Zähne 12 und 23 minimal invasiv für Veneers beschliffen. Das Implantat wurde mit dem passenden Abformpfosten versehen. Mit Hilfe eines individuellen Löffels wurden zeitgleich die Zahnstümpfe 55, 12, 22 sowie das Implantat 23 mit Polyätherabformmasse (Impregum, Fa. Espe, Seefeld) in der „Offen-Löffel-Technik“ abgeformt. Auf dem Meistermodell wurden sodann eine vollkeramische Krone für den Zahn 55, Keramikveneers für die Zähne 12 und 22 sowie eine provisorische Krone auf einem Titan-Abutment für das Implantat in Position 23 hergestellt. In der darauf fol- Abbildung 18 Implantat 23 mit Kunststoffprovisorium vor Ausformung der Papillen Abbildung 19 Implantat 23 mit Kunststoffprovisorium nach Papillenkonsolidierung Abbildung 20 Vollkeramische Krone aus Empress-2 mit individualisiertem Zirkonoxid-Abutment Abbildung 21 Zirkonoxid-Abutment in situ Abbildung 22 Zustand nach Zementierung der Krone © Deutscher Ärzte-Verlag Köln | zzi | Z Zahnärztl Impl | 2004;20(1) 50 S. Ries et al. | Beispiel für eine Fallpräsentation: Einzelzahnimplantat in der Oberkieferfrontregion genden Behandlungssitzung wurden die Restaurationen eingegliedert. Mit Hilfe des Provisoriums sollten während der nächsten drei Monate die Weichgewebssituation verbessert und Pseudopapillen geschaffen werden (Abb. 18, 19). Nach Abschluss der Weichgewebskonditionierung (Abb. 19) wurde erneut eine offene Abformung des Implantates 23 durchgeführt. Als Prothetikpfosten für die vollkeramische Empress-2-Krone (Fa. Ivoclar Vivadent, Schaan, Liechtenstein) wurde ein individualisiertes Zirkonoxidab- utment verwendet (Abb. 20). Dieser Pfosten wurde mit einem Drehmoment von 25 Ncm - wie vom Hersteller angegeben – im Implantat verankert (Abb. 21) und die Krone mit Glasionomerzement (Ketac-Cem, Espe, Seefeld) definitiv zementiert (Abb. 22). Die Abbildungen 23 - 25 zeigen ein insgesamt ästhetisches, harmonisches Gesamtergebnis. Im Rahmen nachfolgender Kontrollen konnte eine weitere Verbesserung der Weichgewebssituation um das Implantat beobachtet werden (Abb. 26). Abbildung 23 Situation nach Fertigstellung Seitenansicht rechts Abbildung 26 Situation bei Nachkontrolle nach sechs-monatiger Tragedauer. Die papilläre Weichgewebssituation hat sich weiter verbessert. Abbildung 24 Situation nach Fertigstellung Frontalansicht Abbildung 27 Röntgenkontrolle nach sechs-monatiger Tragedauer. Auffallend ist der periimplantäre Knochenabbau Abbildung 25 Situation nach Fertigstellung Seitenansicht links © Deutscher Ärzte-Verlag Köln | zzi | Z Zahnärztl Impl | 2004;20(1) Abbildung 28 Klinische Ansicht der Krone 23 auf dem Implantat mit darüber gelegter Röntgenansicht es sind der ausreichend gewählten Abstände des Implantates zu den Nachbarzähnen sowie die geringe Distanz des interdentalen Knochens zum approximalen Kontaktpunkt erkennbar. S. Ries et al. 51 Schlussbefund Sechs Monate nach Eingliederung der Restaurationen stellten sich die periimplantären Verhältnisse klinisch als unauffällig dar. Es konnten weder erhöhte Sondierungstiefen noch Blutung auf Sondieren festgestellt werden. Die Regeneration der Pseudopapillen kann als abgeschlossen angesehen werden. Dennoch fällt im Röntgenbild ein verhältnismäßig starker periimplantärer Knocheneinbruch unklarer Genese (biologische Breite?) auf (Abb. 27), der bei zukünftigen Kontrollen zu beobachten ist. Epikrise Das dargestellte Behandlungskonzept demonstriert die Möglichkeit des Lückenschlusses, ohne durch Beschleifen gesunde Zahnsubstanz zu schädigen. Weiterhin wird die sinnvolle Verwendung eines Implantates in funktionell wichtiger Position dargestellt, wodurch das Präparieren unversehrter Nachbarzähne für Ankerkronen einer Brücke vermieden wird. Allerdings ist die Umformung eines an 2er-Position stehenden Eckzahnes kritisch zu bewerten. Farbe und Form des oberen Eckzahnes machen eine Umgestaltung in einen seitlichen oberen Schneidezahn mit minimal-invasiven Methoden schwierig. In Anbetracht des jungen Alters der Patientin wurde hier jedoch bewusst auf eine Umformung mittels Krone verzichtet und ein ästhetischer Kompromiss in Kauf genommen. Bei Beachtung der biologischen Konstanten (Abstand des approximalen Kontaktpunktes zum marginalen Knochenrand nicht größer als 5 mm!) ist die Wahrscheinlichkeit der Regeneration papillärer Strukturen zwischen Implantat und Nachbarzahn sehr groß. Ebenso stellt die Verwendung eines verhältnismäßig schlanken, aber dennoch ausreichend dimensionierten Implantates (Durchmesser 3,75 mm) sicher, den geforderten Abstand von mindestens 1,5 mm zum Nachbarzahn realisieren zu können [1, 2, 3] (Abb. 28). Bei Beachtung dieser Regeln ist es vorhersagbar möglich, auch im Bereich der Weichgewebe ein ästhetisch ansprechendes Resultat zu erzielen. Anmerkung: Bei Einzelzahnimplantaten insbesondere in der Oberkieferfront sind en-face-Fotos zur Beurteilung der resultierenden Situation sehr hilfreich. In Ausnahmefällen werden auch Situationsmodelle in der Curriculumsprüfung akzeptiert. Literatur 1. Tarnow DP, Magner AW, Fletcher P: The effect of the distance from the contact point to the crest of bone on the presence or absence of the interproximal dental papilla. J Periodontol 1992 Dec;63(12):995-6 2. Choquet V, Hermans M, Adriaenssens P, Daelemans P, Tarnow DP, Malevez C: Clinical and radiographic evaluation of the papilla level adjacent to single-tooth dental implants. A retrospective study in the maxillary anterior region. J Periodontol 2001 Oct;72(10):1364-71 3. Esposito M, Ekestubbe A, Grondahl K: Radiological evaluation of marginal bone loss at tooth surfaces facing single Branemark implants. Clin Oral Implants Res 1993 Sep;4(3):151-7 Korrespondenz-Adresse: OA Dr. Stefan Ries Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik Pleicherwall 2 97070 Würzburg © Deutscher Ärzte-Verlag Köln | zzi | Z Zahnärztl Impl | 2004;20(1)