Jahrbuch 2013/2014 | Cerchiari, Giovanni; Jordan, Elena; Kellerbauer, Alban | Fällt ein Antimaterie-Apfel nach oben? Fällt ein Antimaterie-Apfel nach oben? Will an antimatter apple fall up? Cerchiari, Giovanni; Jordan, Elena; Kellerbauer, Alban Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Neutrale Antimaterie-Atome bieten die einzigartige Gelegenheit, die Eigenschaften von Antimaterie mithilfe modernster Methoden der Atomphysik zu untersuchen. Dadurch können verschiedene Erklärungsansätze für das beobachtete Ungleichgew icht von Materie und Antimaterie im Universum überprüft w erden. Das AEGISExperiment am Antiprotonenverzögerer AD am CERN w idmet sich der Frage, w ie sich Antimaterie im Schw erefeld der Erde verhält. Eine Abw eichung von der normalen Schw erebeschleunigung w ürde gegen das schw ache Äquivalenzprinzip der Allgemeinen Relativitätstheorie verstoßen. Summary Neutral antimatter atoms afford the unique opportunity to investigate the properties of antimatter w ith the latest atomic-physics techniques. In this w ay, different approaches to explaining the imbalance betw een matter and antimatter in the Universe may be tested. The AEGIS experiment located at the Antiproton Decelerator at CERN is dedicated to the question how antimatter behaves in the gravitational field of the earth. A deviation from normal gravitational acceleration w ould violate the w eak equivalence principle of General Relativity. Jedes Elementarteilchen hat ein Antimaterie-Gegenstück. Begegnen sie sich, zerstrahlen sie zu reiner Energie. Im Gegenzug können Paare von Materie und Antimaterie aus dem „Nichts“ erzeugt w erden. Dies geschieht an Beschleunigern, indem Teilchenstrahlen mit hoher Energie auf feststehende Targets geschossen w erden. Heute ist die w eltw eit einzige „Antimateriefabrik“ am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Betrieb. Dort w erden Antiprotonen durch Paarbildung erzeugt und anschließend in einem Speicherring, dem Antiproton Decelerator (AD, Antiprotonenverzögerer) abgebremst und gekühlt. Der AD beherbergt vier Experimente, die sich unterschiedlichen Fragestellungen der Antimaterie-Forschung w idmen. Wo ist die Antimaterie? Im Jahr 1955 bew ies Wolfgang Pauli, dass unter bestimmten allgemeinen Annahmen, die auch dem Standardmodell der Teilchenphysik zugrunde liegen, Materie- und Antimaterieteilchen genau gleiche Eigenschaften besitzen müssen. Lediglich die Vorzeichen einiger physikalischer Größen, so zum Beispiel der © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2013/2014 | Cerchiari, Giovanni; Jordan, Elena; Kellerbauer, Alban | Fällt ein Antimaterie-Apfel nach oben? elektrischen Ladung, sind umgekehrt. Wenn Materie und Antimaterie genaue Spiegelbilder sind, w ieso beobachten w ir dann im heutigen Universum keine primäre Antimaterie mehr, obw ohl im Urknall gleiche Mengen von gew öhnlicher Materie und Antimaterie entstanden sein müssten? W ieso gibt es keine Sterne und Galaxien aus Antimaterie (s. Abb. 1)? Dies ist eine der großen unbeantw orteten Fragen der Physik des 20. und 21. Jahrhunderts. A bb. 1: Die Spira lga la x ie Me ssie r 51 (NGC 5194) (link s). Ga la x ie n a us Antim a te rie (Sym bolbild re chts) sind noch nicht be oba chte t worde n. © Foto: NASA/Alba n Ke lle rba ue r Ein möglicher Erklärungsansatz läge in einer Brechung der perfekten Symmetrie von Materie und Antimaterie. Diese w ird durch die diskreten Transformationen C (Ladungskonjugation), P (Raumspiegelung) und T (Zeitumkehr) beschrieben. Aus diesem Grund sind seit vielen Jahren diverse Eigenschaften von Materie- und Antimaterieteilchen verglichen w orden, bisher ohne eine Abw eichung festzustellen. Im Jahr 2002 gelang es dem ATHENA-Experiment am AD erstmals, ein Atom aus Antimaterie herzustellen. Aus kalten Antiprotonen und Positronen (den Antiteilchen der Elektronen) w urde Antiw asserstoff synthetisiert [1]. Mehr als zehn Jahre später erreichte das ALPHA-Experiment erstmals den Einschluss von Antiw asserstoff in einer Falle für mehrere Minuten [2]. Antimaterie-Gravitation Neben der Überprüfung der CPT-Symmetrie sind die entw ickelten Techniken zur Herstellung von atomarer Antimaterie auch für die Untersuchung der Frage w ichtig, w ie sich Antimaterie unter dem Einfluss der Gravitation verhält. Die Schw erkraft ist die einzige der vier fundamentalen Wechselw irkungen, die nicht durch eine Quantentheorie beschrieben w ird. Laut der Allgemeinen Relativitätstheorie w ird der Raum durch massereiche Objekte gekrümmt. In diesem gekrümmten Raum bew egen sich kleinere Objekte auf geraden Bahnen. Daraus folgt das schw ache Äquivalenzprinzip, w onach in einem gegebenen Schw erefeld alle Körper – unabhängig von ihrer Zusammensetzung – die gleiche Beschleunigung erfahren. Dieses Postulat ist jedoch noch nie mit Antimaterie überprüft w orden. © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2013/2014 | Cerchiari, Giovanni; Jordan, Elena; Kellerbauer, Alban | Fällt ein Antimaterie-Apfel nach oben? A bb. 2: Sche m a tische Da rste llung de s AEGIS-Ex pe rim e nts. Antiprotone n und P ositrone n we rde n in Ione nfa lle n e inge fa nge n und ge spe iche rt. Na ch de r Erze ugung von Antiwa sse rstoff a us se ine n Be sta ndte ile n wird die se r zu e ine m horizonta le n Stra hl be schle unigt. Die e ige ntliche Schwe rk ra ftm e ssung finde t in e ine m De fle k tom e te r sta tt. © C om pute rgra fik : Inte rnose i/INFN Diesen Ansatz verfolgt aktuell die AEGIS-Kollaboration unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik [3]. Ziel des AEGIS-Experiments (Antimatter Experiment: Gravity, Interferometry, Spectroscopy) ist es, einen kalten, horizontalen Antiw asserstoffstrahl zu erzeugen und seine Ablenkung im Schw erefeld der Erde zu bestimmen. Ein Prinzipbild der AEGIS-Apparatur ist in Abbildung 2 gezeigt. W ie schon in früheren Experimenten w ird Antiw asserstoff aus seinen Bestandteilen in einer Ionenfalle synthetisiert. Anschließend beschleunigt ein inhomogenes elektrisches Feld die Anti-Atome in Richtung eines ca. 1 m entfernten Detektors. Selbst bei sehr niedrigen Temperaturen w ürde sich der Teilchenstrahl durch die thermische Bew egung auf mehrere Zentimeter aufw eiten, so dass eine erw artete vertikale Ablenkung von w enigen Mikrometern nicht mehr nachw eisbar w äre. Daher macht sich die AEGIS-Kollaboration den W ellencharakter der Teilchen zunutze. Kraftmessung durch Materiewellen Die Funktionsw eise des Materiew ellen-Interferometers beruht darauf, dass Teilchen sich w ie Wellen verhalten können. So kann ein Teilchenstrahl durch ein Gitterpaar aufgespalten und w ieder zusammengeführt w erden. Es entsteht ein feines Beugungsmuster, das eine w inzige vertikale Verschiebung nachw eisen kann. Bei größerem Gitterlinienabstand funktioniert die Anordnung auch rein klassisch durch Erzeugung eines Schattenmusters. Sie w ird dann Moiré-Deflektometer genannt und ist bereits zur Messung der Schw erkraft mit gew öhnlichen Atomen verw endet w orden [4]. Das Interferenz- oder Schattenbild w ird mit einem ortsauflösenden Detektor hinter den Gittern aufgezeichnet. Bei AEGIS kommt eine Kombination aus einer FotoEmulsion [5] und einem Siliziumstreifen-Detektor zum Einsatz. Dadurch kann eine sehr hohe Orts- und Zeitauflösung erreicht w erden. © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2013/2014 | Cerchiari, Giovanni; Jordan, Elena; Kellerbauer, Alban | Fällt ein Antimaterie-Apfel nach oben? A bb. 3: AEGIS-Appa ra tur a m Antiproton De ce le ra tor, C ER N, Ge nf. Im Bild zu se he n sind im Hinte rgrund die P ositrone nQ ue lle und da s Antiprotone n-Stra hlrohr vom AD und im Vorde rgrund die supra le ite nde n Ma gne te n m it de n Ione nfa lle n, in de ne n die ge la de ne n Te ilche n e inge schlosse n und ge spe iche rt we rde n und de r Antiwa sse rstoff he rge ste llt wird. © Foto: AEGIS-Kolla bora tion Das AEGIS-Experiment befindet sich seit 2010 im Aufbau (Abb. 3). W ährend einer Strahlzeit 2012 w urden erfolgreich Antiprotonen vom AD eingefangen und gespeichert. Des Weiteren w urde eine verkleinerte Version eines Moiré-Deflektometers mit Antiprotonen getestet. Auf diese Weise konnte die Kraft (ausgeübt durch elektromagnetische Streufelder) auf Antiprotonen mit einer Genauigkeit von etw a 400 Attonew ton (4×10 ‒16 N) bestimmt w erden. Inzw ischen ist der Aufbau und die Inbetriebnahme folgender Komponenten abgeschlossen: Die supraleitenden Magneten, die Ionenfallen für den Einfang der Antiprotonen und die Erzeugung des Antiw asserstoffs, die Positronenquelle sow ie die Lasersysteme [6]. Derzeit sind die CERNBeschleuniger für eine Erw eiterung des Large Hadron Colliders außer Betrieb. In dieser Zeit w ird als letzter Hauptbestandteil der Apparatur das Moiré-Deflektometer entw ickelt, konstruiert und gebaut. Erste Gravitationsmessungen mit Antiw asserstoff sind für die zw eite Jahreshälfte 2014 oder Anfang 2015 geplant. Literaturhinweise © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2013/2014 | Cerchiari, Giovanni; Jordan, Elena; Kellerbauer, Alban | Fällt ein Antimaterie-Apfel nach oben? [1] Amoretti, M.; Amsler, C.; Bonomi, G.; Bouchta, A.; Bowe, P.; Carraro, C.; Cesar, C. L.; Charlton, M.; Collier, M. J. T.; Doser, M. et al. 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Inertial sensing with classical atomic beams Physical Review A 54, 3165-3176 (1996), doi:10.1103/PhysRevA.54.3165 [5] Aghion, S.; Ahlén, O.; Amsler, C.; Ariga, A.; Ariga, T.; Belov, A. S.; Bonomi, G.; Bräunig, P.; Bremer, J.; Brusa, R. S. et al. (AEGIS Collaboration) Prospects for measuring the gravitational free-fall of antihydrogen with emulsion detectors Journal of Instrumentation 8, P08013 (2013), doi:10.1088/1748-0221/8/08/P08013 [6] Kellerbauer, A.; Allkofer, Y .; Amsler, C.; Belov, A. S.; Bonomi, G.; Bräunig, P.; Bremer, J.; Brusa, R. S.; Burghart, G.; Cabaret L. et al. (AEGIS Collaboration) The AEGIS experiment at CERN: Measuring the free fall of antihydrogen Hyperfine Interactions 209, 43-49 (2012), doi:10.1007/s10751-012-0583-x © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5