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Jahrbuch 2006/2007 | Farrow , Karl; Haag, Jürgen; Borst, Alexander | Zw ei Nervenzellen im Direktkontakt Bew egungssehen durch direkte Verrechnung von optischen Flussfeldern zw ischen zw ei Hemisphären im
Sehzentrum von Fliegen
Zwei Nervenzellen im Direktkontakt - Bewegungssehen durch
direkte Verrechnung von optischen Flussfeldern zwischen zwei
Hemisphären im Sehzentrum von Fliegen
Neurons in direct contact - rotation selectivity achieved by direct
computation of optic flow-fields between both hemispheres in the
visual ganglion of blowflies
Farrow , Karl; Haag, Jürgen; Borst, Alexander
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Nervenzellen in den Sehzentren vieler Tierarten sind auf spezielle optische Flussfelder spezialisiert. In einer
aktuellen Studie w urde die Selektivität für bestimmte Flussfelder an der so genannten H2–Zelle im Sehzentrum
der Schmeißfliege Calliphora vicina untersucht. Erstmalig konnte gezeigt w erden, dass der Direktkontakt
zw ischen zw ei Sehzellen der jew eiligen Hemisphären ausreicht, um der Fliege die Steuerung ihrer
Flugbew egung zu ermöglichen.
Summary
Neurons in many species have large receptive fields that are selective for specific optic flow -fields. In a recent
study the neural mechanisms underlying flow -field selectivity in the so-called H2-cell of the blow fly w as
investigated. For the first time it w as show n that the direct contact betw een tw o cells from opposite brain
hemispheres is sufficient to explain flow -field selectivity of a neuron utilized by the blow fly for appropriate
steering maneuvers.
Direkt oder indirekt erzeugte Bildverschiebungen und optische Flussfelder
Bew egungsw ahrnehmung und –steuerung sind das Ergebnis komplexer Verrechnungen von Signalen im
Gehirn, die sow ohl von den Augen als auch von der Muskulatur gesendet w erden. Augenbew egung, unsere
eigene Körperbew egung oder Bew egungen in unserer Umw elt verursachen Bildverschiebungen auf der
Netzhaut, die sehr ähnlich oder identisch sind. Das Gehirn kann dennoch diejenigen Bew egungen in der
Umgebung von denjenigen unterscheiden, die durch Eigenbew egung erzeugt w urden. Neurobiologen in der
Abteilung Neuronale Informationsverarbeitung erforschen die Verrechnung neuronaler Signale am Sehzentrum
von Schmeißfliegen. Diese Insekten sind w ahre Bew egungskünstler und haben zusätzlich ein überschaubares
Sehzentrum mit relativ großen Nervenzellen - geradezu ideale Voraussetzungen, die phantastischen Lösungen
der Natur zu studieren und daraus Rückschlüsse auf die Funktion des strukturierten Säugetier- und
© 2007 Max-Planck-Gesellschaft
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Sehzentrum von Fliegen
Menschengehirns zu ziehen oder in technische Anw endungen umzusetzen.
Bew egungen im Raum erzeugen bei Mensch und Tier so genannte optische Flussfelder, die für eine jew eilige
Bew egung charakteristisch sind. Bei einer Vorw ärtsbew egung beispielsw eise fließen die Objekte seitlich
vorbei, Objekte frontal vorn w iederum vergrößern sich und w eit entfernte Objekte ändern sich in ihrer
Abbildung auf der Netzhaut beinahe nicht. Damit die Tiere ihre eigene Bew egung von der bew egten Umw elt
unterscheiden und eventuell Kurskorrektur vornehmen können, muss eine Verrechnung der visuellen
Information auf höherer Ebene im Sehzentrum des Gehirns stattfinden. W ichtig für die Analyse der Flussfelder
ist, dass dabei die Bew egungsinformation von beiden Augen zusammenkommen muss, um das gesamte
Flussfeld beurteilen zu können. In einer aktuellen Studie w urde erstmalig die direkte Verschaltung von zw ei
Nervenzellen
nachgew iesen,
die
aus
der
jew eils
anderen
Gehirnhälfte
stammten
und
so
die
Bew egungssignale von beiden Facettenaugen der Fliege miteinander kombinieren konnten [1].
Neuronale Ausstattung und Erforschung des Schaltplans
Nervenzellen, die optische Flussfelder analysieren können, befinden sich bei der Schmeißfliege in einem
höheren Sehzentrum, der so genannten Lobula-Platte. Von diesen so genannten Tangentialzellen existieren
pro Gehirnhälfte nur 60, und jede dieser Zellen ist individuell identifizierbar und kommt je Lobula-Platte nur
einmal vor. Von diesen 60 Zellen ist eine als H2 bezeichnete Zelle von besonderem Interesse. Diese Zelle zeigt
eine starke Präferenz für Rotations-Flussfelder, w ie sie bei einer Drehung der Fliege um ihre Hochachse
auftreten. Auffallend w ar, dass diese Zelle zunächst nur auf Bew egungen vor ihrem „eigenen“, dem
ipsilateralen Auge, zu reagieren schien, für Bew egungen vor dem anderen Auge, dem kontralateralen, also
blind w ar. Kombinierte man jedoch die ipsilateralen Bew egungsreize mit denen vor dem anderen Auge, w ar zu
erkennen,
dass
Bew egungsreize
die
kontralateralen
Bew egungsreize
modulierten. Der Präferenz
sehr
der H2-Zelle
w ohl
die
für Drehreize
Reaktionen
liegt also
auf
eine
ipsilaterale
nicht-lineare
Verrechnung der Bew egungsreize von beiden Augen zu Grunde.
Die Ursachen für diese beobachtete Nicht-Linearität sollten im nächsten Schritt gefunden w erden. Dieser
bestand darin, die Verschaltung der Tangentialzellen der Lobula-Platte genau zu betrachten. Der sich daraus
ergebende Schaltplan basiert auf einer Vielzahl von Experimenten, in denen die Verbindungen zw ischen den
Zellen innerhalb einer Lobula-Platte und denen zw ischen den beiden Hemisphären untersucht w urden. Es
ergaben sich letztendlich zw ei Wege, auf denen die Bew egungsinformation von der einen Gehirnhälfte die H2Zelle in der anderen erreichen könnte: Einmal direkt von der so genannten HSE-Zelle, w elche mit der H2-Zelle
der gegenüberliegenden Hemisphäre elektrisch gekoppelt ist und ein andermal indirekt über die als CH
bezeichnete Zelle, die Information über mehrere Stationen von der anderen Gehirnhälfte bekommt und
zusätzlich die H2-Zelle, w elche auf der gleichen Seite w ie sie selbst liegt, chemisch über Synapsen hemmt.
Beide Wege sind im Prinzip dazu geeignet, den oben beschriebenen Effekt zu erzielen, also kontralaterale
Bew egungsreize auf ipsilaterale Bew egungsreize zu modulieren. Die Frage w ar nur, w elcher von beiden ist der
entscheidende?
Um diese Frage zu beantw orten, sollten die beiden möglichen Wege selektiv blockiert und anschließend sollte
die Rotations-Empfindlichkeit der H2-Zelle getestet w erden. Dabei verw endeten die W issenschaftler die
Technik der Laserablation: Füllt man eine einzelne Zelle mit einem fluoreszierenden Farbstoff, der bei starker
Beleuchtung für die gefüllte Zelle toxisch w irkt, und bestrahlt das Gehirn anschließend mit Laserlicht der
geeigneten Wellenlänge, stirbt diese Zelle innerhalb w eniger Minuten. In einer langen Serie dieser technisch
sehr schw ierigen Experimente gelang der eindeutige Nachw eis: W urde die ipsilaterale CH-Zelle ausgeschaltet,
zeigte sich kein Effekt auf die Rotations-Empfindlichkeit der H2-Zelle. W urde jedoch die kontralaterale HSE© 2007 Max-Planck-Gesellschaft
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Zelle aus dem Schaltkreis entfernt, w ar die Rotations-Empfindlichkeit der H2-Zelle verschw unden - nun w ar sie
für Bew egungsreize vor dem anderen Auge tatsächlich blind, egal, ob sie mit ipsilateralen Bew egungsreizen
kombiniert w ar oder nicht. Aus diesen Experimenten konnte ein Schaltplan für 12 der 60 Tangentialzellen im
Sehzentrum der Schmeißfliege aufgestellt w erden (Abb. 1). Genial an dieser Verschaltung ist ihre Einfachheit:
Mit einer einzigen elektrischen Kopplung zw eier Zellen aus beiden Gehirnhälften w ird eine Zelle selektiv für
Rotations-Flussfelder genutzt.
Ne tzwe rk zwische n de n He m isphä re n de s Se hze ntrum s de r
Schm e ißflie ge : (a) Da rste llung de r Ve rbindunge n zwische n de n
e inze lne n be te iligte n Ne urone n. R ote Dre ie ck e : a k tivie re nde
Ve rbindunge n; schwa rze Kre ise : he m m e nde Ve rbindunge n.
(b) Ve re infa chte s Sche m a de r m ögliche n Ve rbindunge n
zwische n de n H2-Ze lle n be ide r He m isphä re n.
© Ma x -P la nck -Institut für Ne urobiologie /Borst, Ha a g
Die Beantw ortung der Frage, ob die Natur bei Säugern auf ähnlich einfache Mechanismen gebaut hat, bleibt
abzuw arten. Noch ist die Verschaltung der Nervenzellen in entsprechenden Arealen der Großhirnrinde nicht
hinreichend aufgeklärt, um solche
Experimente
auch dort sinnvoll durchführen zu können. Ob sich
vergleichbare experimentelle Effekte zeigen, w enn bei den vielen Milliarden Zellen der Großhirnrinde eine
einzelne Zelle herausgenommen w ird, ist eher fraglich. Dies bedeutet aber nicht, dass die hier beschriebenen
Ergebnisse aus Versuchen mit Schmeißfliegen ohne Konsequenzen für andere Bereiche der W issenschaft
bleiben. So setzen zum Beispiel Ingenieure bei der Entw icklung autonom navigierender Roboter und FahrAssistenz-Systemen gern auf einfache und robuste Algorithmen, w ie sie die Natur in Insekten längst realisiert
hat. Die Mechanismen der optischen Flussfeld-Analyse von Fliegen eignen sich daher hervorragend für eine
technische Umsetzung. Daher w erden die Max-Planck-Forscher mit Kollegen von der Technischen Universität
München im Rahmen zw eier vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderter Projekte
(Bernstein Zentrum München und Cognition in Technical Systems - CoTeSys) die nächsten Jahre verstärkt daran
arbeiten. Darüber hinaus ist die Abteilung Neuronale Informationsverarbeitung an der kürzlich in die
Exzellenzinitiative aufgenommenen Graduiertenschule School of Systemic Neurosciences der Münchner Ludw igMaximilians-Universität beteiligt.
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[1] Farrow, K.; Haag, J.; Borst, A.:
Nonlinear, binocular interactions underlying flow field selectivity of a motion-sensitive neuron.
Nature Neuroscience 9, 1312-1320 (2006)
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