0.1 Tangenten

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0.1
Tangenten
Erinnerung: Gilt eine Eigenschaft A( x ) einer Zahl x ∈ R für alle x ∈ ( a − δ, a + δ)\{ a} mit
einem δ > 0, so sagen wir: A( x ) gilt (für x) nahe bei a.
Beispiel: x2 ≥ 0 nahe bei 0 (wahr),
x2 < 1 nahe bei 0 (wahr),
x2 > 0.1 nahe bei 0 (falsch)
Anwendung: Gilt eine Eigenschaft A1 ( x ) nahe bei a und gilt eine Eigenschaft A2 ( x ) nahe
bei a, so gilt A1 ( x ) ∧ A2 ( x ) nahe bei a.
Grund: A1 ( x ) gilt für alle x ∈ ( a − δ1 , a + δ1 )\{ a} und A2 ( x ) gilt für alle x ∈ ( a − δ2 , a +
δ2 )\{ a} dann gilt A1 ( x ) ∧ A2 ( x ) für alle x ∈ ( a − min(δ1 , δ2 ), a + min(δ1 , δ2 )\{ a}.
Beispiel: x2 ≥ 0 nahe bei 0 und x2 ≤ 0.1 nahe bei 0, dann auch 0 ≤ x2 ≤ 0.1 nahe bei 0
Definition: Sei f : D ⊂ R → R eine Funktion. f heißt im Punkt a ∈ D stetig, wenn für jedes
e > 0 gilt:
Für x ∈ D ist | f ( x ) − f ( a)| < e für x nahe bei a. Oder anders formuliert:
∀e > 0∃δ > 0∀ x ∈ D : | x − a| < δ ⇒ | f ( x ) − f ( a)| < e
Satz: Sind f , g : D ⊂ R stetige Funktionen in a ∈ D so sind auch f ( x ) + g( x ) und c · f ( x )
(für beliebiges c ∈ R) stetg in a. Ist weiter f ( x ) stetig in a und g( x ) stetig in b = f ( a), so ist
g( f ( x )) stetig in a.
Grund: Übung
Sei f : I ⊂ R → R, I ein offenes Intervall, a ∈ I. Eine Gerade durch den Punkt ( a, f ( a)) ist
eine Funktion der Form:
L( x ) = f ( a) + m · ( x − a) (*)
Definition:
Die Gerade beschrieben durch T ( x ) = f ( a) + t · ( x − a) heißt Tangente an f in a, wenn für
jede Funktion L( x ), die eine Gerade durch ( a, f ( a)) beschreibt, gilt:
| f ( x ) − T ( x )| ≤ | f ( x ) − L( x )| für x nahe bei a
Bemerkung: Geraden sind ihre eigenen Tangenten (an jeden Punkt) insbesondere sind Tangenten von Geraden eindeutig.
Satz: Tangenten sind, falls sie existieren, eindeutig.
Grund: 1) Ist f ( x ) = f ( a) + m · ( x − a) nahe bei a, so hat f sich selbst als Tangente bei a
(| f ( x ) − ( f ( a) + m( x − a))| = 0 ≤ | f − L( x )|), insbesondere ist sie eindeutig.
2) Seien T1 und T2 zwei Tangenten an f im Punkte a. mit T1 6= T2 , d.h. es gibt ein x ∈ R mit
T1 ( x ) 6= T2 ( x ). Insbesondere schneiden sich T1 und T2 genau in dem einen Punkt ( a, f ( a)).
Da beide Tangenten sind, gibt es δ1 und δ2 mit
| f ( x ) − T1 ( x )| ≤ | f ( x ) − T2 ( x )| für x ∈ ( a − δ1 , a + δ1 )
| f ( x ) − T2 ( x )| ≤ | f ( x ) − T1 ( x )| für x ∈ ( a − δ2 , a + δ2 )
also gilt:
| f ( x ) − T1 ( x )| = | f ( x ) − T2 ( x )| für x ∈ ( a − δ, a + δ)
mit δ := min(δ1 , δ2 ).
Kurz: Ist | f ( x ) − T1 ( x )| ≤ | f ( x ) − T2 ( x )| nahe bei a und | f ( x ) − T2 ( x )| ≤ | f ( x ) − T1 ( x )|
nahe bei a, so ist | f ( x ) − T1 ( x )| = | f ( x ) − T2 ( x )| nahe bei a.
Dann gilt aber für diese
f (x) =
1
( T1 ( x ) + T2 ( x ))
2
Dann ist aber f lokal um a eine Gerade und für diese sind Tangenten eindeutig, also T1 ( x ) =
T2 ( x ) = 21 ( T1 ( x ) + T2 ( x )). Speziell gilt also T1 ( x ) = T2 ( x ) nahe bei a.
Definition: Eine Funktion f heißt in a differenzierbar, wenn eine Tangente in a an f existiert.
Die Steigung dieser Tangente ist die Ableitung vom f in a: f 0 ( a)
Beispiel: Ist die Funktion
f ( x ) :=

 x2 sin 1
für x 6= 0
0
für x = 0
x
in 0 differenzierbar?
Zunächst einmal stellen wir fest, daß wegen
1
−1 ≤ sin
≤1
x
folgt, daß
− x2 ≤ f ( x ) ≤ x2
Wir hatten aber früher gesehen, daß die x −Achse die Tangente an beide Funktionen x2 und
− x2 im Ursprung ist. Also gilt für eine beliebige Gerade K ( x ) durch den Ursprung:
| x2 − (0 · x + 0)| ≤ | x2 − K ( x )| ∧
| − x2 − (0 · x + 0)| ≤ | − x2 − K ( x )|
für x nahe bei 0. Es sind also x2 und − x2 näher an 0 als an K ( x ). Da aber f ( x ) zwischen x2
und − x2 liegt, ist es auch näher an 0 als K ( x ). Also gilt:
| f ( x ) − (0 · x + 0)| ≤ | f ( x ) − K ( x )|
Da aber K ( x )beliebig war, ist die x −Achse also Tangente an f ( x ) im Punkt 0.
Lemma: Für Zahlen a, b, f ∈ R gilt:
1
| a − f | ≤ | a − b| ⇒ | a − f | ≤ |b − f |
2
Grund: Es gilt: | a − f | ≤ 12 | a − b| = 12 | a − f + f − b| ≤ 12 | a − f | + 12 |b − f | ⇒
1
2 | b − f | ⇒ | a − f | ≤ | b − f |.
1
2 |a
− f| ≤
Definition: x liegt zwischen a und b :⇔
min( a, b) < x < max( a, b)
Folgerung: Liegt x zwischen a und b , dann liegt xy zwischen ay und by für y 6= 0.
Satz: Für eine Funktion f : (c, d) → R sind äquivalent:
i) f ist differenzierbar in a ∈ (c, d) mit Ableitung m
ii) (Caratheodory) Es gibt eine Funktion ω : (c, d) → R, mit
f ( x ) = f ( a) + ω ( x )( x − a)
die stetig ist in a und ω ( a) = m.
Grund:”i ) ⇒ ii )” Sei T ( x ) = f ( a) + m( x − a) Tangente an f in a. Für ein beliebiges ε > 0
betrachten wir die beiden folgenden Graden durch den Punkt ( a, f ( a)):
L1 ( x ) := f ( a) + (m + ε)( x − a) = f ( a) + m( x − a) + ε( x − a)
L2 ( x ) := f ( a) + (m − ε)( x − a) = f ( a) + m( x − a) − ε( x − a)
Nun liegt m zwischen m − ε und m + ε. Also liegt m( x − a) zwischen (m − ε)( x − a) und
(m + ε)( x − a). Durch Addition von f ( a) folgt, daß T ( x ) zwischen L1 ( x ) und L2 ( x ) liegt.
Für x nahe bei a ist aber f ( x ) näher an T ( x ) als L1 ( x ) und L2 ( x ). Also liegt insbesondere
f ( x ) zwischen L1 ( x ) und L2 ( x ).
Wir setzen:
( f ( x)− f (a)
ω ( x ) :=
x−a
m
für x 6= a
für x = a
Also ist f ( x ) = f ( a) + ω ( x )( x − a) für alle x 6= a.
Dann gilt nach Abzug der Tangenten : (ω ( x ) − m)( x − a) liegt zwischen ε( x − a) und −ε( x −
a). Und schließlich nach Division durch x − a 6= 0: |ω ( x ) − m| < ε.
“ii ) ⇒ i )” Sei f ( x ) = f ( a) + ω ( x )( x − a), mit ω stetig in a. Wir müssen zeigen: T ( x ) =
f ( a) + ω ( a)( x − a) ist Tangente. Sei K ( x ) := f ( a) + r ( x − a).
Es gilt:
| f ( x ) − T ( x )| = |ω ( x ) − ω ( a)| · | x − a|
Da ω in a stetig ist, gilt |ω ( x ) − ω ( a)| < 12 |ω ( a) − r | für x genügend nahe bei a. Speziell also
für | x − a| < 1:
1
1
| f ( x ) − T ( x )| < |ω ( a) − r | · | x − a| = | T ( x ) − K ( x )|
2
2
Nach obigem Lemma gilt:
| f ( x ) − T ( x )| ≤ | f ( x ) − K ( x )|
Beispiel: Es sei f ( x ) ein Polynom und
n
f ( x ) = b0 +
∑ bk ( x − a ) k =
k =1
n
f ( a) + ( ∑ bk ( x − a)k−1 )( x − a)
k =1
seine Taylorentwicklung im Punkt a. Wir wollen nun einsehen, daß die Gerade T ( x ) = b0 +
b1 ( x − a), die wir bei Polynomen als Tangente definiert hatten, auch in unserem neuen Sinne
Tangente ist:
Es ist offensichtlich ω ( x ) = ∑nk=1 bk ( x − a)k−1 stetig (nach obigem Satz als Zusammensetzung stetiger Funktionen) mit ω ( a) = b1 .
Beispiel: Die Ableitung von f ( x ) =
1
x
Es ist für a, x > 0
1
1
1
1
1
1
= − ( x − a ) = − 2 ( x − a ) + 2 ( x − a )2
x
a ax
a a
a x
f ( x )− f ( a)
Wir setzen ω ( x ) = x−a = − a12 + a21x ( x − a). Dann ist ω als Kompositum stetiger Funktionen wieder stetig und es gilt ω ( a) = − a12 .
Also gilt für x 6= 0:
0
1
1
=− 2
x
x
Satz: Ist f in a differenzierbar, so ist f in a stetig.
Grund: Es ist f ( x ) = f ( a) + ω ( x )( x − a) und ω ist in a stetig. Dann ist f ( x ) als Summe und
Produkt stetiger Funktionen ebenfalls in a stetig.
Ableitungen von Flächenfunktionen
Wir haben schon gesehen, daß eine auf einem abgeschlossenen Intervall I = [c, d] streng
monotone Funktion f eine eindeutige (bis auf additive Konstanten) Flächenfunktion F hat,
wenn auf diesem Intervall für alle x, y gilt: F (y) − F ( x ) liegt zwischen (y − x ) f ( x ) und (y −
x ) f ( y ).
Sei a ∈ I fest und x ∈ I, mit x > a. Dann gilt: F ( x ) − F ( a) liegt zwischen ( x − a) f ( a) und
F ( a)
( x − a) f ( x ). Für x 6= a liegt F(xx)−
zwischen f ( a) und f ( x ).
−a
Ist f nun stetig in a, so gilt:
( F( x)− F(a)
ist stetig in a. Denn: Wegen f ( x ) <
für x 6= a
x−a
ω ( x ) :=
f ( a)
F ( x )− F ( a)
x−a
für x = a
< f ( a) wird | f ( x ) − f ( a)| für x nahe bei a
F ( x )− F ( a)
− f ( a) = ω ( x ) − f ( a) < 0, also
beliebig klein. Also wird wegen f ( x ) − f ( a) <
x−a
0 < |ω − f ( a)| < | f ( x ) − f ( a)| der Ausdruck |ω ( x ) − f ( a)| beliebig klein und ist wegen der
Archimedizität von R gleich 0. Der Fall x < a verläuft analog.
Wir haben also gezeigt:
Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung: Ist f : [ a, b] → R auf ( a, b) stetig und ist
F ( x ) eine Flächenfunktion von f auf [ a, b], so gilt :
F0 (x) = f (x)
oder
0
x
Z
a
f (t)dt
= [ F ( x ) − F ( a)]0 = f ( x )
Kurz gesagt: Flächenfunktionen sind Stammfunktionen.
Beispiel: Wir hatten früher den Logarithmus als Flächenfunktion von
ln( x ) =
Z x
1
1
t
1
x
=: f ( x ) definiert:
dt
Wir behaupten nun f ( x ) ist stetig in a 6= 0: Sei a ∈ R > 0 und x ∈ R>0 mit | x | > 2a . Dann ist
1 1
| x − a|
2
| − |=
< 2 | x − a|
x a
| x || a|
a
und die rechte Seite wird nahe bei a beliebig klein. Oder kürzer: f ( x ) ist als Quotient stetiger
Funktionen stetig (siehe Ergänzungen).
Folgerung: Für x > 0 ist
ln( x )0 =
1
x
Bemerkung: Die Rechenregeln für die Ableitungen, die wir bei Polynomen gesehen haben
gelten sinngemäß weiter für differenzierbare Funktionen: Sind f , g : I → R Funktionen,
definiert auf dem offenen Intervall I und differenzierbar in a ∈ I, so gilt: f ± g und c · f , sind
differenzierbar in a
und es gilt:
(c · f )0 ( a) = c · f 0 ( a)
( f ± g)0 ( a) = f 0 ( a) ± g0 ( a)
( f · g)0 ( a) = f 0 ( a) g( a) + f ( a) g0 ( a)
Grund: Exemplarisch für die Produktregel: Es ist
f ( x ) = f ( a) + ω ( x )( x − a)
und
g( x ) = g( a) + δ( x )( x − a)
mit in a stetigen Funktionen ω und δund mit ω ( a) = f 0 ( a) und δ( a) = g0 ( a).
Dann gilt:
f ( x ) · g( x ) =
f ( a) g( a) + ( f ( a)δ( x ) + ω ( x ) g( a) + ω ( x )δ( x )( x − a))( x − a)
Also ist
f ( x ) · g( x ) = f ( a) g( a) + κ ( x )( x − a)
mit κ ( x ) := f ( a)δ( x ) + ω ( x ) g( a) + ω ( x )δ( x )( x − a), welches als Kompositum von stetigen
Funktionen stetig in a ist und κ ( a) = f ( a) g0 ( a) + f 0 ( a) g( a).
Satz (Kettenregel): Sei g in a ∈ I1 differenzierbar und f in g( a) ∈ I2 differenzierbar (I1,2
offene Intervalle, g( I1 ) ⊂ g( I2 )), so gilt f ◦ g ist in a differenzierbar und
( f ◦ g)0 ( a) = f 0 ( g( a)) · g0 ( a)
Grund: Da g in a differenzierbar ist, gibt es ϕ, mit
g( x ) − g( a) = ϕ( x )( x − a)
und ϕ( a) = g0 ( a).
Sei b := g( a). Dann ist
f ( x ) − f (b) = ψ( x )( x − b)
und ψ(b) = f 0 (b) = f 0 ( g( a)).
Daher gilt:
f ( g( x )) − f ( g( a)) = ψ( g( x ))( g( x ) − g( a)) =
ψ( g( x )) ϕ( x )( x − a)
Dabei ist ψ( g( x )) ϕ( x ) stetig für x = a (siehe Ergänzungen) und der Wert an der Stelle a ist
f 0 ( g( a)) g0 ( a).
Anwendung: Ist f eine Funktion mit Umkehrfunktion f −1 , so folgt mit der Kettenregel aus
f ( f −1 ( x )) = x
die Formel für die Ableitung der Umkehrfunktion:
f 0 ( f −1 ( x )) · ( f −1 )0 ( x ) = 1
Also
( f −1 ) 0 ( x ) =
1
f 0 ( f −1 ( x ))
Also ist die Funktion e x ihre eigene Stammfunktion.
Anwendung: Quotientenregel: Ist f ( x ) in a differenzierbar und f ( a) 6= 0, so folgt mit der
Kettenregel
0
1
1
( a) = −
· f 0 ( a)
2
f
f ( a)
Mit Hilfe der Produktregel erhalten wir
0
0
0
f
1
1
1
0
( a) = f ·
( a) = f ( a) ( a) + f ( a)
( a) =
g
g
g
g
1
g0 ( a)
0
f ( a)
+ f ( a) −
=
g( a)
g ( a )2
f 0 ( a) g( a) − f ( a) g0 ( a)
g ( a )2
Beispiel: Zu f ( x ) = ln( x ) ist f −1 ( x ) = e x die Umkehrfunktion. Daher gilt:
(e x )0 =
1
1
ex
= ex
Bemerkung Wir werden später noch sehen:
sin( x )0 = cos( x )
cos( x )0 = − sin( x )
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