Verzweigtes Zusammenwirken

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Die Regulierung des
Knochenstoffwechsels
erfolgt durch Hormone,
lokale Wachstumsfaktoren, Zytokine
sowie mechanische
Be- und Entlastung.
Darüber hinaus hat die
genetische Disposition
Einfluss. Bei Diabetes
mellitus bestehen zudem
vielfältige Abhängigkeiten und
Wirkmechanismen zwischen Glukose-, Fett- und Knochenstoffwechsel,
die Gegenstand der Forschung sind.
DIABETES UND OSTEOPOROSE
Verzweigtes
Zusammenwirken
Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes beobachtet man einen
verminderten Knochenumbau bei normaler oder
leicht erhöhter Knochendichte, jedoch minderer Stabilität.
wischen den beiden Volkskrankheiten Diabetes
mellitus und Osteoporose wurde bislang kein
unmittelbarer Zusammenhang gesehen. Da die Zahl
der Neuerkrankungen in den letzten Jahren zugenommen hat und die Komplexität der Krankheiten
für die betroffenen Menschen eine erheblich verschlechterte Lebensqualität und verkürzte Lebensdauer bedeuten, stellt sich die dringende Frage nach
den Gründen dieser Entwicklung und möglicher Zusammenhänge zwischen beiden Erkrankungen.
Osteoporose
An Osteoporose leiden bundesweit bislang ungefähr
6 Millionen Menschen bei einer geschätzten Zahl
von knapp einer Millionen Neuerkrankter pro Jahr,
von denen die Hälfte bereits eine osteoporotische
Fraktur erlitten hat (1). Die systemische Skeletterkrankung geht mit einer verminderten Knochenmasse, verschlechterten Mikroarchitektur des Knochengewebes und damit einer erhöhten Frakturgefahr einher. Das Frakturrisiko nimmt außerdem mit fortschreitendem Lebensalter zu und das Erleiden einer
Fraktur führt vor allem im darauf folgenden Jahr zu
einem signifikanten Anstieg der Mortalität.
Ursächlich für die Osteoporose ist ein Missverhältnis zwischen Osteoklasten- und Osteoblastentätigkeit als Ausdruck eines gestörten Knochenstoffwechsels. Dieser wird durch den Calcium-/Phosphat-
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haushalt mit Hilfe der systemischen Hormone Vitamin D, Parathormon, Calcitonin und ihrer Mediatoren reguliert. Hauptrisikogruppen sind postmenopausale Frauen, ältere Menschen, Patienten mit
Cortisondauertherapie und zunehmend auch Männer.
Die primäre Osteoporose ist eine vererbte, durch
Umwelt und Lebensweise beeinflussbare Erkrankung. Die wichtigsten Ursachen sind einerseits altersbedingte Stoffwechselveränderungen (unter anderem verminderte Vitamin-D-Synthese in der Haut,
verschlechterte Aufnahme von Calcium und Vitamin
D, Abnahme der Sexualhormonspiegel, Abnahme
von Wachstumshormon) und andererseits Aspekte
der Lebensführung wie Fehlernährung, Bewegungsmangel, Untergewicht, Nikotin- und übermäßiger Alkoholkonsum.
Die Entwicklung einer sekundären Osteoporose
hängt hingegen von der Grunderkrankung ab.
Der wissenschaftliche Blickwinkel
hat sich geändert
Diabetes mellitus bezeichnet ein Hyperglykämiesyndrom mit begleitenden komplexen Veränderungen
des Eiweiß- und Fettstoffwechsels sowie des Knochenstoffwechsels. Auslösende Faktoren des Typ2-Diabetes sind unter anderem chronische Fehlernährung mit zum Beispiel fettreichem Essen, zu-
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ckerhaltigen Lebensmitteln und Getränken, Bewegungsmangel und Übergewicht. Mögliche Auswirkungen einer Fettleibigkeit und eines Diabetes mellitus auch auf das Skelettsystem wurden lange Zeit
nicht vertieft betrachtet, da man Knochenveränderungen stets aus dem Blickwinkel eines Ungleichgewichts kalziumabhängiger Hormone sah. Da jedoch
immer mehr Menschen auch in jüngeren Jahren
bereits eine Fettleibigkeit ausbilden, einen Diabetes
mellitus entwickeln und osteoporotische Frakturen
erleiden, hat sich der wissenschaftliche Blickwinkel
geändert und die Frage nach einem Zusammenhang
dieser Krankheitsbilder aufgeworfen.
BMI nicht alleiniges Maß zum Abschätzen der Knochengesundheit
Grundsätzlich ist ein erniedrigtes Körpergewicht mit
einem erhöhten Frakturrisiko (z. B. Hüftfrakturen)
assoziiert, während Adipositas mit einer hohen kortikalen Knochenmasse, also der Idee von Knochengesundheit einhergeht. Jedoch ist nicht die Adipositas
als solche verantwortlich für eine verbesserte Knochenqualität, vielmehr entscheiden die Umstände,
die zu ihr geführt haben darüber, ob es sich um positive oder negative Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel handelt.
In fortgeschrittenem Lebensalter, der Postmenopause, bei Kindern oder durch eine Glucocorticoidtherapie hervorgerufen, hat Fettleibigkeit nachweislich zum Beispiel einen negativen Effekt für das Skelettsystem. Fettleibigkeit ist auch ein Risikofaktor für
die Entwicklung einer Insulinresistenz und damit der
Entstehung eines Diabetes mellitus.
Es ist auch bekannt, dass die Lokalisation des
Fettgewebes entscheidend ist. Das viszerale Fett hat
durch Produktion und Ausschüttung von Zytokinen
einen unmittelbar schädigenden Einfluss auf die Mikroarchitektur des Knochens. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass es auch Studienergebnisse gibt, nach denen sowohl Typ-1- als auch
Typ-2-Diabetiker eine erniedrigte Knochenumbaurate aufweisen und sehr fettleibige Typ-2-Diabetiker
ein erhöhtes Frakturrisiko haben (7). Daraus muss
geschlossen werden, dass das Körpergewicht beziehungsweise der BMI nicht alleiniges Maß zum Abschätzen der Knochengesundheit sein kann.
Diabetes mellitus und Osteoporose
Wenngleich osteoporotische Frakturen bislang wegen der umfangreichen, teils schwierigen Diagnostik
nicht als Begleitfaktoren eines Diabetes mellitus gewertet und lange übersehen wurden (4), hat die zunehmende Zahl an Diabetes erkrankter Patienten und
die steigende Inzidenz osteoporotischer Frakturen zu
einem Umdenken geführt. Zur Bestimmung des
Frakturrisikos bei Diabetes sollten die in der Osteoporosediagnostik verwendeten Verfahren genutzt
werden (unter anderem: Knochendichtemessung,
„fracture assessment tools“, eventuell Bestimmung
der Knochenumbauparameter).
Werden die beschriebenen diagnostischen Methoden angewendet, zeigt sich beim Typ-2-Diabetes ein
verminderter Knochenumbau bei normaler oder
leicht erhöhter Knochendichte, jedoch minderer Stabilität. Das bedeutet, dass ein Typ-2-Diabetes mit einem erhöhten Risiko für eine osteoporotische Fraktur
einhergeht, auch wenn die Knochendichtemessungen
unauffällig sind (2). (Ursächlich mag hier auch sein,
dass die normale Expression von ATP P2-Rezeptoren
[P2R] und der kalziumabhängige Signalweg für die
ATP-Freisetzung durch permanent erhöhte Blutzuckerwerte ermüden und den ATP-abhängigen Signalweg für Osteozyten und damit die Knochengesundheit beeinträchtigen [8].)
Diabetes mellitus ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die die gesamte Stoffwechsellage ins Ungleichgewicht bringt und erheblichen negativen Einfluß auf die Knochengesundheit hat, eine erhöhte
Frakturgefahr und schlechtere Frakturheilung
nach sich zieht.
Sowohl beim Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes mellitus bedeuten die Hyperglykämien eine vermehrte
Glykierung. Diese unkontrollierten nichtenzymatischen Reaktionen von Glukose mit körpereigenen
Proteinen führen zur vermehrten Anreicherung von
AGE („advanced glycation end products“) (11), wie
beispielsweise dem HbA1c als Endprodukt der Glykierung von Hämoglobin.
Längerfristig und insbesondere bei erhöhten Blutzuckerwerten haben AGE eine zellschädigende Wirkung. Die vermehrte Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies durch den oxidativen Stress und Inflammationsprozesse sind weitere Folgen einer fortgeführten hyperglykämen Stoffwechsellage (7).
Typ-1- und Typ-2-Diabetes verursachen also
durch entzündungsähnliche Prozesse eine vermehrte
Apoptose von Osteoblasten und verminderte Produktion osteoblastenstimulierender Faktoren (10, 11).
Auch wenn der Signalweg bislang nicht gänzlich geklärt ist, konnte in Tierversuchen ergänzend
gezeigt werden, dass der kontrollierte Zelltod von
Osteozyten (Apoptose) zum intrakortikalen Knochenumbau führt. Es wird vermutet, dass die Ausschüttung von ATP über Öffnung von Pannexinkanälen als Ortungssignal für Phagozyten dient.
Dies könnte bedeuten, dass die Aktivierung von
Pannexinkanälen die Apoptose von Osteozyten in
ermüdetem Knochen steuern und die RANKLProduktion benachbarter Osteozyten stimulieren,
so dass ATP vermutlich ein entscheidender Mediator im Signalweg ist (9).
Wir wissen heute aber auch, dass nicht nur fortgeführte Hyperglykämien negative Auswirkungen auf
die Knochengesundheit haben. Die bei Typ-2-Diabetikern im Gegensatz zu Typ-1-Diabetikern deutlich
verminderten Knochenumbauparameter sind auch
auf akute Blutzuckerveränderungen zurückzuführen,
die über das OPG-RANK-Ligand-System schädlichen Einfluss auf die Knochengesundheit bei Diabetikern nehmen (5).
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Für die resultierende gesteigerte Mineralisierung
der Knochenmatrix sind vermutlich unter anderem
Veränderungen von kollagenen Faktoren, IGF-1 und
Sclerostin mitverantwortlich (6), Längsschnittstudien zu dieser Theorie stehen jedoch noch aus.
Adipositas, Diabetes mellitus
und Osteoporose
Die Gründe für das zwar offensichtliche, aber sehr
verzweigte Zusammenwirken von Adipositas, Diabetes mellitus und Osteoporose sind zum heutigen Zeitpunkt noch nicht ausreichend geklärt.
Neben den bereits genannten Gründen spielt wohl
auch die gemeinsame Entwicklungsgeschichte hormonaktiver Adipozyten und Osteoblasten aus mesenchymalen Stammzellen eine wichtige Rolle.
Fettzellen bilden und sezernieren die Gewebshormone Leptin und Adiponectin. Leptin reguliert durch
Steuerung des Hunger- und Sättigungsgefühls den
Energiehaushalt. Eine Mutation des Leptingens führt
beispielsweise zu erhöhten Leptinspiegeln, erhöhtem
Appetit und pathologischer Fettsucht (endokrin bedingte Adipositas). Der zentral steuernde Kern für
das Leptin liegt nach Erkenntnissen aus Tierversuchen mit Mäusen im ventromedialen Hypothalamus.
Jedoch kann Leptin scheinbar auch in anderen Hirnarealen wirksam agieren. Hemmt man zum Beispiel
die Serotoninproduktion, können damit die negativen
Auswirkungen eines Leptinmangels für Knochenstoffwechsel und Knochendichte rückgängig gemacht werden. Eine indirekte Regulation erfolgt
auch über die Aktivierung des sympathischen Nervensystems. Periphere Wirkmechanismen sind
● die Erhöhung der Insulinsensitivität (möglicherweise durch IGFBP-2) und
● das Ausbilden von Leptinrezeptoren auf Osteoblasten, wodurch vermutlich direkter Einfluss auf
die Osteoblastendifferenzierung und damit die
Knochengesundheit genommen wird.
Das Zusammenspiel von zentraler und peripherer
Wirkweise hängt vermutlich auch davon ab, welche
Serumkonzentration von Leptin vorliegt. Letztendlich sind diese Zusammenhänge zurzeit noch nicht
vollständig verstanden (3). Adiponectin wirkt in vielfältiger Weise auf den Glukose- und Fettstoffwechsel. Es erhöht die Sensibilität der Zielzellen für Insulin und führt bei Fehlsteuerungen zur Entstehung des
metabolischen Syndroms. Dementsprechend ist der
Zusammenhang zwischen niedrigen Adiponectinspiegeln und der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes
wissenschaftlich belegt.
Osteoblasten produzieren das Peptidhormon Osteocalcin. Es fördert die Adiponectinproduktion, erhöht die Empfindlichkeit von Muskeln und Fettzellen für Insulin und erhöht die Anzahl der β-Zellen
des Pankreas und damit die Ausschüttung von Insulin. Weiterhin führt Osteocalcin zu einer unmittelbaren Reduktion der Fettmasse.
Nicht nur Knochenzellen weisen eine hohe hormonelle Aktivität mit Beteiligung an verschiedensten
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Stoffwechselvorgängen auf, auch Fettzellen sind
durch Ausschüttung von Gewebshormonen in die
Stoffwechselprozesse des menschlichen Körpers eingebunden und scheinen in Ursache und Wirkung sehr
eng miteinander vernetzt zu sein. Während Leptin eine positive Wirkung auf die Knochengesundheit hat,
ist das bereits erwähnte, stoffwechselaktive viszerale
Fett durch Sekretion von Zytokinen und Adipokinen
eine negative Einflussgröße für die Mikroarchitektur
des Knochens und geht mit einer Erhöhung der Frakturgefahr einher.
Der Verlust der trabekulären Knochenstruktur
zeichnet sich auch durch eine zunehmende Infiltration
des Knochenmarkraumes mit Fettzellen und gleichzeitiger Verdrängung der Osteoblasten aus. Diese Veränderung beobachtet man auch häufig bei einer sekundären Osteoporose und stellt in diesem Zusammenhang zusätzlich eine Aktivitätserhöhung sogenannter
PPARγ-Rezeptoren fest, die mit osteoporotischen
Knochenveränderungen assoziiert ist. Lange Zeit wurden zur Behandlung des Typ-2-DM auch Thiazolidindione, auch bekannt als Glitazone, eingesetzt.
Die heute zur antidiabetischen Behandlung nicht
mehr zugelassenen Glitazone führen über agonistische Wirkung an den PPAR-Rezeptoren zur Sensibilisierung der Zielzellen für Insulin und bewirken damit eine verbesserte Glukoseaufnahme. Neben der
Kontrolle des Blutzuckerspiegels bewirkt dieses Antidiabetikum aber auch eine Verdrängung der Osteoblasten aus dem Knochenmarksraum (adipogene anstatt osteogene Differenzierung) und eine zunehmende Besiedelung mit Fettzellen wie beim Typ-2-DM.
Dadurch unterdrücken sie die Osteoblastendifferenzierung und erhöhen das Frakturrisiko.
Fazit
● Adipositas, Diabetes mellitus und Osteoprose sind
●
keine singulären Erscheinungen, sondern eingebettet in ein multifaktorielles Krankheitsgeschehen.
Die Klärung der vielfältigen Abhängigkeiten und
Wirkmechanismen zwischen Glukose-, Fettstoffwechsel und Knochenstoffwechsel ist nicht nur
von hohem wissenschaftlichen Interesse; es bedeutet vor allem für Patienten und Behandelnden
einen wichtigen Schritt auf dem Weg der Prävention und Therapie beider Erkrankungen.
DOI: 10.3238/PersDia.2016.10.28.05
Prof. Dr. med. Walter Josef Fassbender, M.Sc.
FMH Endokrinologie/Diabetologie, FAMH Klinische Chemie
medica – Medizinische Laboratorien Dr. F. Käppeli AG, Zürich
Birgit Willmann
Ärztin für Arbeitsmedizin; ias Aktiengesellschaft,
ein Unternehmen der ias-Gruppe
Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte
vorliegen.
@
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4316
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DIABETES UND OSTEOPOROSE
Verzweigtes
Zusammenwirken
Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes beobachtet man einen
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