36. Economic Conference 29. April 2013 in Zürich "Nulltoleranz – eine Gesellschaft ohne Risiko?" Matthias Haller "Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen" (Dürrenmatt) Oder: Renaissance des Versicherungsprinzips? [email protected] 1 "Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen" 2 Punkte – aus dem Programmheft "Die Physiker" (21.2.1962) 1. Ich gehe nicht von einer These, sondern von einer Geschichte aus. 2. Geht man von einer Geschichte aus, muss sie zu Ende gedacht werden. 3. Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat. 4. Die schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein. 5. Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen. 6. Träger einer dramatischen Handlung sind Menschen. 7. Der Zufall in einer dramatischen Handlung besteht darin, wann und wo wer zufällig wem begegnet. 8. Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen. 9. Planmässig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten... 10. Eine solche Geschichte ist zwar grotesk, aber nicht absurd (sinnwidrig). 11. Sie ist paradox. 3 Zufall: Ja, aber ... 4 „Zufall“ – in der Abfolge von Rollen … ausschlaggebend für Finanzschocks … so hochgejubelt wie vernachlässigt Tool zur stochastischen Beherrschung des Risikos verstanden als Gegenstück zur Planbarkeit nicht existent Ernüchterung Be-Sinnung Frage nach Verantwortung 5 Nulltoleranz – eine Gesellschaft ohne Risiko? Matthias Haller Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen" Oder: Renaissance des Versicherungsgedankens? Zufall als Voraussetzung zur Planung Versicherungsprinzip: Perspektivenwechsel in der Finance 'Risikobeherrschung' vs. reale Risikoentwicklung: drei Widersprüche 'Je planmässiger die Menschen…' – die Herausforderung [email protected] 6 Nulltoleranz – eine Gesellschaft ohne Risiko? Matthias Haller Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen" Oder: Renaissance des Versicherungsgedankens? Zufall als Voraussetzung zur Planung Versicherungsprinzip: Perspektivenwechsel in der Finance 'Risikobeherrschung' vs. reale Risikoentwicklung: drei Widersprüche 'Je planmässiger die Menschen…' – die Herausforderung [email protected] 7 Phänomen "Zufall" • Alltagssprachlich: Ereignisse, deren Ursachen nicht bekannt sind "zufällig" - als Gegenteil von "kausal" • Philosophisches Thema: "Schicksal" vs. "freier Wille" "Traditionelle Gesellschaft" Vorsehung • präzise Vorsehung • "allgemeine Verhaltensprinzipien" "Moderne Gesellschaft" freier Wille • zu grosse • Tatsächliche Komplexität Indeterminiert(mögl. Wissen) heit 8 Zufall – auch später im Spannungsfeld zur Vorsehung… Albert Einstein: "Gott würfelt nicht!" Nils Bohr (sieht nicht ein …) "warum man Gott vorschreiben soll, was er zu tun habe und ihm deshalb insbesondere untersagt, Würfel zu spielen, damit unsere Elementarteilchen funktionieren." P. Scheid 1996 9 Zufall – im Spannungsfeld zu “Risiko” Zufall Risiko kein Fokus positiver Fokus (etwas wird angestrebt) es geschieht – so oder anders… erfolgt planlos (schicksalshaft) Entscheidende nehmen Einfluss hat mit Planung zu tun Zufall: Gegensatz zu Risiko … oder Voraussetzung zur Planung ? 10 Risiko: Relativierung der göttlichen Ordnung um einer Chance willen "Die 'Geburtsstunde des Risikos' fiel zusammen mit einer historischen Epoche, in der die Welt erstmals als eine durch menschliches Handeln veränderbare begriffen wurde, in der die Strukturen durch Handeln bewusst zur Disposition gestellt werden konnten … um einer Chance willen." * *(Novotny/Evers ,Über den Umgang mit Unsicherheit. Die Entdeckung der Gestaltbarkeit der Gesellschaft.1987 ,S.35) 11 "Gestaltbarkeit der Welt" – die jüngsten Erfahrungen … 12 Umgang mit Zufall und Risiko: die Zeitachse Vorsehung vs. Planung • Protagonist Kaufmann Risiko • Instrument Handel Chance Gefahr Geld/Schecks Kfm. Versicherung Geleitschutz 14. Jh. ab 17. Jh. 20. Jh. 1980 2000 2010 t ff. 13 'Im Namen Gottes und des Geschäfts…' Francesco di Marco Datini (Prato 1335-1410) 14 Umgang mit Zufall und Risiko: die Zeitachse "Zufall" • Protagonist Kaufmann Spieler • Instrument Handel Glücksspiel Risiko Vorsehung vs. Planung (Wahrscheinlichkeitstheorie) Chance Gefahr Geld/Schecks Kfm. Versicherung Geleitschutz 'Versicherungsprinzip' Versicherung 14. Jh. ab 17. Jh. 20. Jh. 1980 2000 2010 t ff. 15 Wissenschaft vom Zufall • Aus dem Wissen um "Zufall" Kapital schlagen: Messen von Regelmässigkeiten • Chevalier de Méré; Blaise Pascal (17. Jh.): Gewinnchancen beim Würfeln? • Unsicherheit über künftige Ereignisse herabsetzen Pragmatisches Ziel: Zukunft besser bewältigen Erfolgsvoraussetzung der Wahrscheinlichkeitstheorie: • Emanzipation von der Perspektive des einzelnen • Beobachtung der Abfolge von Ereignissen Prognose von Gesamtvorgängen mit relativ hoher Genauigkeit ("stochastische Sicherheit") 16 Statistischer Wahrscheinlichkeitsbegriff • Loslösung von Glückspiel und Würfeln • Zählen der "Häufigkeiten in einem Kollektiv" Ausgleich nach dem Gesetz der "grossen Zahl" Voraussetzungen zur Prognose: • Zufallsauswahl Einzelfälle zum voraus unbestimmt, keine bewusste Herbeiführung • homogenes Kollektiv grosse Zahl von gleichartigen, unabhängigen Vorgängen • stabile Datenbasis Datenmaterial von Beobachtungs- zu Prognoseperiode stabil 'Versicherungsprinzip' 17 'Versicherungsprinzip': die erweiterte Applikation Steuerung von Systemen dank • Nutzung von Regelmässigkeiten der Realität • Planbarkeit, um Vorgänge und Systeme "im Griff" zu haben Zukunftsbeherrschung dank zufallsgestützter (und zufallsgeschützter) Planung Finance Zuverlässigkeitserhöhung Anwendungen: Qualitätsmanagement Versicherung (z.B.AKWs) 18 Nulltoleranz – eine Gesellschaft ohne Risiko? Matthias Haller Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen" Oder: Renaissance des Versicherungsgedankens? Zufall als Voraussetzung zur Planung Versicherungsprinzip: Perspektivenwechsel in der Finance 'Risikobeherrschung' vs. reale Risikoentwicklung: drei Widersprüche 'Je planmässiger die Menschen…' – die Herausforderung [email protected] 19 Risiko: die Darstellung in der Versicherung f O Schäden (zunehmende Grössen) + 20 Von "Versicherung" zu "Finance": der Perspektivenwechsel Gefahrenorientierung Chancenorientierung Versicherungsprinzip Erfassen der Gefahren; Schadenausgleich Optimierung Risiko/Rendite Streuung der Ergebnisse um einen Planwert Schadenverteilung Ergebnisverteilung "Was kann passieren; was darf passieren; was ist zu tun?" "Welchen Finanzertrag können wir optimal erzielen?" Assekuranz-/Ingenieur-Perspektive Finance-Perspektive ("Risk Management") ("Risk Management") 21 Risiko: die Darstellung in der Finance f 1 % VaR Standardabweichungen ./. Erwartungswert (z.B. Zielkapital) + 22 Umgang mit Zufall und Risiko: die Zeitachse Vorsehung vs. Planung • Protagonist Kaufmann "Zufall" Spieler Beherrschung des Risikos "Player" • Instrument Handel Glücksspiel Risiko Financial Risk Mgt. (Wahrscheinlichkeitstheorie) Chance Gefahr Geld/Schecks Kfm. Versicherung Geleitschutz ("Fin. Engineering") 'Finance' ILS / Securitization 'Versicherungsprinzip' Versicherung reales Risk Mgt. (mit Prävention etc.) 14. Jh. ab 17. Jh. 20. Jh. 1980 2000 2010 t ff. 23 Glorifizierung der Zufall-Tools: "Beherrschung“ des Risikos? Bernstein Peter L., "Wider die Götter", New York 1996 24 Nulltoleranz – eine Gesellschaft ohne Risiko? Matthias Haller Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen" (Dürrenmatt) Oder: Renaissance des Versicherungsgedankens? Zufall als Voraussetzung zur Planung Versicherungsprinzip: Perspektivenwechsel in der Finance 'Risikobeherrschung' vs. reale Risikoentwicklung: drei Widersprüche 'Je planmässiger die Menschen…' – die Herausforderung [email protected] 25 Zufall und reales Risiko: drei zentrale Widersprüche A Überreizung des Zufalls-Tools (oder: wie wahrscheinlich ist sicher genug?) B "Diseconomies of Risk" und die kleinstwahrscheinlichen Grösstereignisse C Risiko-Asymmetrie (Chancen/Gefahren-Falle) Konsequenzen? 26 Zufall und reales Risiko: drei zentrale Widersprüche A Überreizung des Zufalls-Tools (oder: wie wahrscheinlich ist sicher genug?) B "Diseconomies of Risk" und die kleinstwahrscheinlichen Grösstereignisse C Risiko-Asymmetrie (Chancen/Gefahren-Falle) Konsequenzen ? 27 Reale Entwicklungen … … und die Rechtfertigung: "Zwar betonte Konzernchef Adam Applegarth, er sei 'tief betroffen von der Krise'. Fehler hätten er und sein Team jedoch nicht begangen. …(Man habe) einen bis zu 40-prozentigen Rückgang der Hauspreise einkalkuliert. Die Szenarien hätten aber das 'unwahrscheinliche Ereignis' nicht einbezogen, dass die globalen Märkte über Nacht einfrieren'." (Tagblatt zu Northern Rock,17.10.07;S. 21) Entbindung von Verantwortung ? 28 Im Kreuzfeuer der Kritik: die „Beurteilungsprothesen" • Value-at-Risk («VaR»):- Gesamtverlust, der - innerhalb eines festgelegten Zeitraums - mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit - ein bestimmtes Ausmass nicht überschreitet. (z.B. einer Bank) (z.B. 3 Wochen) (z.B. 99%) Normalfall = Normalverteilung zufallsgeschützte/-gestützte Planung (Versicherungsprinzip) "normal randomness" (Mandelbrot) Hintergrund: (Zimmermann 1999) - Verschiebung von der Prävention zur Risiko(hin)nahme: Chancenorientierung - Risiko als Einkommensquelle (optimales Kapital) - rein quantitativ interpretiertes Risiko 29 'Value-at-Risk' ff. im extremen Einzelfall: "Absturz" rasch und radikal (insb. soziale Prozesse; chaotische Entwicklung im Finanzmarkt) "wild randomness" (Mandelbrot) Normalfall = Normalverteilung zufallsgeschützte/-gestützte Planung (Versicherungsprinzip) "normal randomness" (Mandelbrot) What happens, if it happens? - VaR gibt keine Information über kritische Situation(en) Zimmermann (1999/2001): "VaR-Modelle lassen jenen Teil der Wahrscheinlichkeit ausser acht, der für das Risiko-Management am relevantesten wäre". 30 What happens, if it happens? … Taleb Nassim, "The Black Swan" 2007 32 Zufall und reales Risiko: drei zentrale Widersprüche A Überreizung des Zufalls-Tools (oder: wie wahrscheinlich ist sicher genug?) B "Diseconomies of Risk" und die kleinstwahrscheinlichen Grösstereignisse C Risiko-Asymmetrie (Chancen/Gefahren-Falle) Konsequenzen? 33 "Diseconomies of Risk" – und erhöhte Verwundbarkeit Gefahrenaspekte Ausnahmefall (Störfall) Gefahrenpotenziale (Maximum possible loss/MPL) Wertschöpfung Economies of scale and scope Chancenaspekte Globale Verwundbarkeit Kernkompetenzen Effizienzsteigerungen erhöhen die Komplexität… und die Gefahrenpotentiale Normalfall • Steigerung BIP • Wohlstand Globalisierung 34 A propos Verwundbarkeit… 35 Grösstrisiken: Ausdehnung der Relevanzkriterien 1966 Hochrechnungen von Risikopotenzialen; Höchstschäden - Debatte "Grösstschäden" um 1990 mit vwl. Dimensionen 1976 Aufarbeitung von "Flixborough" (UK) "Grösstschäden" haben Managementdimensionen (RM) 1986 Tschernobyl/Schweizerhalle/Challenger; die "Risikogesellschaft" (Beck) "Beherrschung" als Illusion "Verständigung" als reale Dimension 1996 Wirtschaftliche und soziale Risiken: Globalisierung als Konfliktstoff Unfalldimension, Ökologie & soziale Risiken überlagernd 2001 Absicht anstelle des Zufalls: Gentechnologie als Optionsdisput Terror als kriegsähnliche Dimension Gesamtperspektive des Risikos 9/11 und politische Aspekte Risiken aus globalem Finanzsystem 2007ff. 2010 Subprime-/Finanz-/Wirtschaftskrise; BP – Ölkatastrophe; Haiti Überlagerung aller Debatten; gesellschaftliche Verantwortung 2011 Umbrüche im arabischen Raum; Erdbeben, Tsunami, Kernschmelze Japan Energiewende vs. Klimaschutz 2012/13 Zuspitzung der Staatsschuldenkrise; EU – und Euro-Krise Integrierende Risikobewältigung (gesellschaftlich und wirtschaftlich) Risiko-Dialog auf allen Ebenen 36 Zufall und reales Risiko: drei zentrale Widersprüche A Überreizung des Zufalls-Tools (oder: wie wahrscheinlich ist sicher genug?) B "Diseconomies of Risk" und die kleinstwahrscheinlichen Grösstereignisse C Risiko-Asymmetrie (Chancen/Gefahren-Falle) Konsequenzen? 37 Grundvermutung: Symmetrie von Chancen und Gefahren - Realisierung von Chancen - Bewältigung von Störungen (Abweichung) Chance Gefahr "Zur Disposition stellen ... um einer Chance willen." (Evers/Novotny) "Welches ist die Chance, um derentwillen wir dieses (konkrete) Risiko eingehen?" 38 Asymmetrisches Verhalten im «Risikozyklus» … • • • • Risikoerkennung: Chancen priorisiert… Risikobeurteilung: Gefahren eher verdrängt Führungsposition: Schwarzseher vs. Heldenpotential Führungskonsequenz: Ausserhalb Risikozyklus P Gefahren -- ./. Chancen + "Schwarzseher" "Heldenpotential" asymmetrische Situation bezügl. Gefahren "Risiko" = Potenzial, dass wirkliches Resultat vom Zielwert abweicht 39 Zufall und reales Risiko: drei zentrale Widersprüche A Überreizung des Zufalls-Tools (oder: wie wahrscheinlich ist sicher genug?) B "Diseconomies of Risk" und die kleinstwahrscheinlichen Grösstereignisse C Risiko-Asymmetrie (Chancen/Gefahren-Falle) Konsequenzen? 40 Umgang mit Zufall und Risiko: die Zeitachse Vorsehung vs. Planung "Zufall" Beherrschung des Risikos "Against the Gods" "The gods strike back" • Protagonist Kaufmann Spieler "Player" Financial Risk Mgt. • Instrument Handel ("Fin. Engineering") Glücksspiel 2007 ff. 2001 ff. Risiko 1998 ff. Chance Gefahr Geld/Schecks Kfm. Versicherung Geleitschutz 'Finance' (Wahrscheinlichkeitstheorie) ILS / Securitization 'Versicherungsprinzip' reales Risk Mgt. Versicherung (mit Prävention etc.) 14. Jh. ab 17. Jh. 20. Jh. 1980 2000 2010 2011 t 2012 41 'The gods strike back' 42 Exkurs: Gilt dies auch für die Versicherung ? • Modelleuphorie/Realitätsbezug: Basis der Versicherung: Reale, zufallsbasierte Schadenerfahrungen und – statistiken (Leben und Schaden; Modellierungen (z.B. cat XL und cat Bonds) basieren auf langjährigen und weiträumigen Beobachtungen und Analysen. • Verschuldung und 'Leverage' des Eigenkapitals: Umgekehrter Produkt-Zyklus: Versicherung bewirkt zuerst Geldzufluss: Investment mit Bedingung, jederzeit den (grossteils zufällig gestreuten) Forderungen aus den Vertragsverpflichtungen nachzukommen. (Duration der Anlagen – Duration der Verpflichtungen) • Anreize und Verantwortung: Versicherer bleibt mit seinen Organen und Partnern über die gesamte Laufzeit der Verträge in die Verpflichtung einbezogen, auch im Rahmen von Rückversicherung und der Verbriefung von Katastrophenrisiken; Transfer von Spitzenrisiken stets mit substantiellem Selbstbehalt ("Skin in the game"). 43 44 45 2007 – 2013: Kontinuierliche Ausweitung der Krisendimensionen Immobilienkrise des SubprimeMarktes USA 2007 Finanzkrise als Liquiditäts-, Kredit- und Solvenzkrise der Banken weltweit 2008 Wirtschaftskrise als globale Rezession; keynesianische Steuerung 2009 neue Zeitrechnung: vor Lehman und nach Lehman? Kurze Stabilisierung Re-Regulierung Staatsschuldenkrise, erste EuroKrise, Griechenland I 2010 Ausweitung auf PIIGS; Griechenland II/III Von Euro- zur Europakrise; Soziale Unrast; Stabilisierung oder Chaos? 2011 vor Euro-Rettungsfonds – nach Euro-Rettungsfonds? Zypern 3/13 Portugal? Italien ? ff . . . 2012/13 ff. EMS "Thesen Hummler u.a." (vgl. insb. Wegelin Anlagekommentar Nr. 270, 'Der Fluch der Garantie', St. Gallen, 3.5.2010) 46 Nulltoleranz – eine Gesellschaft ohne Risiko? Matthias Haller Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen" Oder: Renaissance des Versicherungsgedankens? Zufall als Voraussetzung zur Planung Versicherungsprinzip: Perspektivenwechsel in der Finance 'Risikobeherrschung' vs. reale Risikoentwicklung: drei Widersprüche 'Je planmässiger die Menschen…' – die Herausforderung [email protected] 47 Mängel des herrschenden Risiko-Konzepts (vor allem im Finanzsektor) • Realität mit Finanzgrössen gleichgesetzt • Faktor 'Zufall' nur eklektisch in die Modelle integriert • Verhaltens- und Systemaspekte kaum integriert • Gesellschaftliche Dimension der Risiken ausser acht gelassen 'Multi–Toleranz' statt Nulltoleranz… 48 "Planmässigkeit" - in den aktuellen Dimensionen: - Von der Banken- zur Wirtschafts- zur Staatsschuldenkrise: kontinuierliche Systemverschiebung - "Banken und Staaten hängen an der Nadel": das Abhängigkeitssyndrom - Geldschwemme und Niedrigzinspolitik: Marktwirtschaftlicher Regelmechanismus ausser kraft - Entschuldungs- vs. Wachstumszwang: Sozialpolitische Brisanz - "Finanzielle Repression" rührt an Grundwerte: Eigentums- und Ersparnisschutz gefährdet Systemische Risiken (auf höchster Ebene) nehmen noch zu, ... 49 …, während die Aktienkurse Höchststände erklimmen 50 Mit dauerhaft hohen Schulden leben . . . ‘Finanzielle Repression‘ • Verschuldung steigt weiter an (und vernachlässigt zudem den impliziten Part) • Abbau der Schulden ist in aktueller Situation kaum zu bewerkstelligen • Wachstumsstrategie kaum wirksam durchzusetzen Darum hohe Wahrscheinlichkeit für ‘financial repression‘: = alle Massnahmen, die zu Lasten anderer eine Reduktion der Staatsschulden bewirken.“ (Erleichterung des Schuldendienstes von Staaten) z.B: Verbot der Verzinsung von Bankeinlagen (USA Reg.Q 1933/86) gen. günstige Finanzierung der Regierungen über Sondergesetze (negativer Realzins für Anleger ) Quantitative Lockerung (QE USA oder LTRO Eurozone) (Druck auf Zinsen) Regulierung von Banken über Bevorzugung von Staatspapieren (Basel III: Staatspapiere mit Risikogewichtung O) Zwang zum Kauf von Staatsanleihen etc. Gesamteffekt: Schädigung des Sparens und der Vermögenssicherung 51 "Zufall" – tatsächlich aus der Perspektive Dürrenmatts: "Das Individuelle, der konkrete Ablauf ist ein Produkt des "Zufalls" – ein einmalig geprägtes Geschehen." "Dieses Schicksal, eine einmalige Geschichte, vollzieht sich in einer Welt der Pannen …" "Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat." Diese "schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein." "Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen" (Friedrich Dürrenmatt) 52 Statt Zufallsvermutung: ein evolutionäres Risikoverständnis ?* • Berücksichtigung von Ereignisketten und deren Interaktion • Veränderung der Abhängigkeiten im Krisenfall: zeitlich verzögert, nicht-linear, Rückkoppelung, Einfluss qualitativer Elemente • Lernen eher anhand von "Risk Histories": sozialwissenschaftliche Komponente Rollenverhalten der entscheidenden Akteure verstehen ("Soziotope") Übergänge "Normalrisiko" zu "Grossrisiko" verstehen Methodenvielfalt und Mehrdimensionalität im RM Und: Führt die Verpflichtung zu dieser Perspektive zu erhöhter Verantwortlichkeit? *) vgl. Zimmermann H., „Risikomanagement in chaotischen Zeiten - die Bedeutung sozialwissenschaftlicher Ansätze“, in: Allenspach Marco (Hrsg.) Integriertes Risiko-Management, Band 3, Fschr. für M.H., St. Gallen 2001, S. 41 - 61 53 Zwischen Zufall und Anspruch: Priorität der gesellschaftlichen Ebene Abstufung in Gesellschaft Gesellschaft (Welt-) (einzelne) sozial integriertes RM Wirtschaft Unternehmung Staat(en) Branche Grossunternehmung Organisation RM als Managementinstrument Gewerbe Gruppe Familie Individuum Person individueller Einbezug Komplexität des Risikoaspekts 54 Wiedergewinnung des Zufalls? – die optimistische Variante: Versicherungsprinzip als Leitidee... • Dezentralisierung und "Autonomisierung": Autonomie und Ausgleich auf unteren Ebenen • Economies of Scale mit Disconomies of Risk abgleichen (vermehrt Management der Bedingungsrisiken) • (Wieder-) Begründung von "Ankersystemen" (Ersatz für Goldstandard, Bankentrennsystem etc.) • Gesellschaftliche neben ökonomischen Kriterien für Entscheidungsfindung (gleichgewichtig durch Praxis und wissenschaftliche Forschung unterstützt) • Strikte Symmetrie von Interessen und Verantwortung (kein Bonus ohne Malus...) • Quantitativen Wachstumsdruck umformen (Ausgleich zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Kriterien) Alles Illusion? – Oder die Hoffnung, Dürrenmatt rechtzeitig zu reflektieren… 55 Je planmässiger die Menschen… Wiedergewinnung des Zufalls zur Überwindung der Paradoxie: ein Balanceakt Viel Erfolg! M.H. [email protected] 56