Parodontologie Permanente Schienung im parodontal geschädigten Gebiß mit Wiederherstellung der Frontzahnästhetik Mathias Jancke Abb. 1: Typische Lückenbildung in der Front durch stark erhöhte Mobilität der Zähne. Indizes: Adhäsivprothetik, Frontzahnästhetik, Schienung Die Entwicklung der Schmelzätztechnik eröffnete Wege zu minimalinvasiven konservierenden und in der Folge auch prothetischen Maßnahmen. Sehr viel Forschung wurde in die Verbesserung der Klebetechnik investiert, dauerhafte Erfolge in der Prothetik konnten jedoch erst durch die Präparation retentiver Formen erreicht werden. Zahntechnische Geschiebefräsungen können dabei als Vorbild dienen. D ie erste Beschreibung eines adhäsiv eingesetzten Metallgerüstes stammt von Allain Rochette (Rochette 1973). Ohne Präparationen an den Zähnen vorzunehmen, setzte er ein perforiertes Metallgerüst ein, um parodontal gelockerte Zähne zu schienen. Die Verbindung des Methacrylat-Klebers zu dem Metallgerüst wurde makroretentiv durch Perforationen im Gerüst hergestellt, eine Silanisierung des Metalls sollte gleichzeitig eine chemische Bindung 106 zwischen Metall und Kunststoff herstellen. In der Folge setzten sich viele Autoren mit Adhäsivbrücken auseinander, die wohl bekannteste Variante ist die Marylandbrücke (Lividitis 1982). Leider entsprachen die Überlebensraten solcher Konstruktionen nicht den Erwartungen an einen definitiven Ersatz. Das sogenannte Debonding war ein immer wieder auftretendes Problem. Trotz intensiver Forschung hinsichtlich Verbesserung der Klebetechnik waren Verlustraten von durchschnittlich 25 Prozent innerhalb der ersten vier Jahre zu verzeichnen (Saunders 1989). Eine nachhaltige Steigerung der Überlebensraten konnte erst erzielt werden, als man sich bereit fand, etwas Zahnsubstanz zugunsten selbstretentiver Präparationsformen zu opfern. Das Anbringen von Rillen in Einschubrichtung und das Umfassen des Ankerzahnes in mehr als 180 Grad steigerten die Erfolgsquoten um zweistellige Prozentzahlen (Simon 1992). Weitere Studien bestätigten diese Ergebnisse (Botelho 1999), womit diese TechDent Implantol 10, 2, 106 - 111 (2006) Parodontologie tion am Zahn 24 ein Furkationdefekt Grad 3 heraus, dieser Zahn wurde zur späteren Extraktion vorgesehen und vorübergehend an Zahn 23 geschient. Die alte Brücke wurde zum Provisorium umgearbeitet (Abb. 3). Abb. 2: Fortgeschrittene Parodontitis mit Attachmentverlust größer 50%. Abb. 3: Zustand nach Abheilung der parodontalen Vorbehandlung. nik heute in ihrer Zuverlässigkeit den konventionellen Präparationen gleichgestellt werden kann. Fallbeschreibung Zur Kontrolle der Einschubrichtung ist ein Fotospiegel für ganze Kiefer sehr hilfreich. Der hier gezeigte Fall soll die Möglichkeiten der aktuellen Adhäsivprothetik demonstrieren. Bei dem 67-jährigen Patienten war ein weitgehender parodontaler Knochenabbau im Ober- und Unterkiefer mit Exversion der OK-Front und Lückenbildung zu verzeichnen. Die noch vorhandenen Oberkieferseitenzähne sind nur bedingt als erhaltungswürdig einzustufen, am Zahn 26 war die palatinale Wurzel bereits alio loco amputiert worden. Nach konservativer parodontaler Vorbehandlung stellte sich bei der Lappenopera- Dent Implantol 10, 2, 106 - 111 (2006) Da die Seitenzähne als Anker für einen definitiven festsitzenden Zahnersatz nicht in Frage kamen, wurde von vornherein eine sichere Stabilisierung der Front- und Eckzähne geplant, mit Erweiterungsmöglichkeit zum herausnehmbaren Ersatz der Seitenzähne. Die Zähne 13 bis 23 wurden jeweils mesial und distal mit leicht konischen Rillen (etwa zwei Grad) in einer gemeinsamen Einschubrichtung versehen. Die palatinalen Flächen wurden unter Einbeziehung aller Füllungen soweit schonend präpariert, daß dem Techniker Platz für eine sichere Verbindung der approximalen Anteile der Konstruktion entstand. Als Hilfsmittel wurden in den beiden ersten Rillen schwarze Kohlerfaserstifte mit Composite befestigt, die die Einschubrichtung für jeweils mesiale bzw. distale Rillen anzeigte (Abb. 4). Die erste Präparation der Rillen erfolgte mit einem leicht konischen Hartmetall-Fissurenbohrer aus der Zahntechnik im geraden Handstück unter Wasserkühlung. Die weitere Präparation erfolgte mit leicht konischen Feinkorndiamanten im roten Winkelstück. Zur Kontrolle der Einschubrichtung ist ein Fotospiegel für ganze Kiefer sehr hilfreich. Die Abformung hatte mit Hydrocolloid zu erfolgen, ein anderes Material hätte es dem Techniker nicht ermöglicht, das Modell bruchfrei aus dem Abdruck zu entnehmen. Die Zahnkränze wurden sofort in der Praxis hergestellt, wodurch eine sofortige Kontrolle der gemeinsamen Einschubrichtung erfolgen konnte (Abb. 6 und 7). Im Labor (Zahntechnik Woerner, Freiburg) wurde das Metallgerüst für die Schienung auf einem doublierten Einbettmassemodell modelliert und in einem Stück gegossen. Jeweils distal der Zähne 13 und 23 wurden Preci-Vertix-Geschiebe in gemeinsamer Einschubrichtung anmodelliert, welche zunächst als Einsetzgeschiebe für die langzeit- 107 Parodontologie Abb. 4: Kohlefaserstifte aus dem Modellbau als Indikatoren für die anzulegenden Friktionsrillen. glied ersetzt. Die sichtbaren Interdentalräume in der Front wurden schon im Labor mit einem Composite-Opaker versehen, um das Durchscheinen des Gerüstes bei der Verkleidung mit Composite zu verhindern (Abb. 8). Die Frontzahnschiene wurde nach entsprechender Konditionierung der Zähne Schmelzätzung, ED-Primer) mit Panavia (Kuraray, Japan) eingeklebt, die Lücken in der gleichen Sitzung durch Verbreiterung der Zahnkronen mit Composite verschlossen. Nach Abnahme des Kofferdam wurde der Zahn 24 extrahiert und die langzeitprovisorischen Seitenzahnbrücken konventionell zementiert (Ketac Cem). Der Patient konnte aus beruflichen Gründen das festgelegte Recallintervall von 3 Monaten nicht einhalten und erschien erst nach über einem Jahr wieder in der Praxis. Die Konstruktion befindet sich heute, 15 Monate nach Eingliederung, einschließlich der Seitenzahnbrücken in einwandfreiem Zustand. Der parodontale Befund zeigt nach wie vor Defekte, die jedoch entzündungsfrei sind. Abb. 5: Fertige Präparation vor der Abformung. Diskussion provisorischen Seitenzahnbrücken dienen. Bei Verlust der Seitenzähne können die Patritzen der Geschiebe als Attachment für einen herausnehmbare Ersatz der Seitenzähne genutzt werden. Der zu extrahierende Zahn 24 wurde vom Techniker radiert und durch ein Brücken- Abb. 6: Nur aus Hydrokolloid lassen sich Modelle entnehmen, ohne die stark unter sich gehenden Zähne abzubrechen. 108 Bei der Planung der Rekonstruktion mußten mehrere Anforderungen berücksichtigt werden: Die erhöhte Mobilität der Zähne durch weitgehenden Attachmentverlust sollte beseitigt werden. Zweitens sollte die Ästhetik der Frontzähne durch Lückenschluß wiederhergestellt werden. Von der Behandlerseite Abb. 7: Die Herstellung der Zahnkränze in der Praxis ermöglicht die Kontrolle der Einschubrichtung vor dem Verschicken ins Labor. Dent Implantol 10, 2, 106 - 111 (2006) Parodontologie Abb. 8: Die komplette Konstruktion, die Gerüste sind aus NE (Heraenium, Heraeus-Kulzer, Hanau), die Verblendungen Composite (3M ESPE, Seefeld). Abb. 9: Einprobe der Frontzahnretainer. wurde zusätzlich eine Erweiterbarkeit der Konstruktion zum Ersatz der Seitenzähne wegen deren fraglicher Prognose angestrebt. Um den Lückenschluß in der Front präproDie gewählte thetisch herbeizuführen, wurde vor der darKonstruktion gestellten Versorgung versucht, die Frontbedient sich zahnlücken auf kieferorthopädischem Wege überwiegend zu schließen oder wenigstens zu verkleiadditiver nern. Ein entsprechendes herausnehmbares Maßnahmen KFO-Gerät wurde angefertigt, was der Paunter Erhal- tient jedoch auf Grund extremen Würgetung der reizes nicht tragen konnte. Eine festsitzende natürlichen KFO-Apparatur lehnte er ab. ZahnsubDie Präparation der Frontzähne für konvenstanz. tionelle verblockte Kronen erschien nicht möglich, ohne die Vitalität der Pfeilerzähne zu gefährden. Die divergierende Achsenneigung der Zähne und die langen klinischen Kronen hätten eine „Streichholzpräparation“ zur Folge gehabt, dabei vermutlich die soforige Devitalisation der Zähne erfordert mit den entsprechenden Risiken. Bei der Präparation war daher eine sorgfältige Abwägung zwischen sicherer Verblockung der Zähne und minimaler Präparation zu treffen. Eine alleinige Schienung der Zähne mit Composite wäre nur als temporäre Maßnahme zu verstehen, der Bruch einer Verbindung wäre kaum dauerhaft zu beheben. Resümee Die gewählte Konstruktion erscheint als eine befriedigende Lösung des Falles, vor allem in Abwägung anderer Optionen. Die gewählte Konstruktion bedient sich überwiegend additiver Maßnahmen unter weitgehender Erhaltung der natürlichen Zahnsubstanz gegenüber stark subtraktiven und invasiven Maßnahmen bei einer konventionellen Präparation. Abb. 10: Die fertig eingesetzte Arbeit nach dem Schließen der Interdentalräume mit Composite. 110 Dent Implantol 10, 2, 106 - 111 (2006) Parodontologie Abb. 11: Nachkontrolle 10 Tage nach Eingliederung. Die Hygienefähigkeit ist gewährleistet, sowohl bei der häuslichen Zahnpflege als auch bei der professionellen Zahnreinigung, da die Interdentalräume nicht von Kronenrändern und gingival reichenden Verblockungen belastet sind. Die Ästhetik der Frontzähne ist wiederhergestellt ohne große Teile der Zahnsubstanz durch artifizielle Materialien ersetzen zu müssen. Im Seitenzahngebiet konnte dem Patienten eine herausnehmbare Versorgung vorerst erspart bleiben, ohne diese Option vollständig zu verbauen. Ein Umbau der Konstruktion zu einem kombinierten Zahnersatz ist möglich, ohne die Rekonstruktion der Frontzähne anzugreifen. Kontakt: Dr. Mathias Jancke Jürgensallee 51, 22609 Hamburg Literatur: A-BM-0210306 1. Rochette 1973. Rochette A L: Attachment of a splint to enamel of lower anterior teeth. J prosth Dent. 1973, 30 (4), S.418 - 423, 2. Saunders 1989. Saunders W P: Resin bonded bridgework: a review. J Dent. 1989, 17, S.255265 3. Simon 1992. Simon J F, Gartrell R G, Grogono A G: Improved retention of acid-etched fixed partial dentures: A longitudinal study. J prosth Dent. 1992, 68, S.611 - 615, 4. Lividitis 1982. Lividitis G J, Thompson V P: Etched castings: an improved retentive mechanism for resin bonded retainers. J prosth Dent. 1982, 47, S.52 - 58, 5. Botelho 1999. Botelho M: Resin-bonded prostheses: The current state of development. Quintessence International. 1999, 30, S.525 - 534, Dent Implantol 10, 2, 106 - 111 (2006)