Trotz Hindernissen zur neuen Hüfte

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Trotz Hindernissen zur neuen Hüfte
Ein kaputtes Hüftgelenk
durch eine Prothese zu
ersetzen: Eigentlich ist
das längst ein Routineeingriff. Doch Vorerkrankungen, an denen gerade viele ältere Patienten
Prof. Dr. Christian Stief
leiden, können die OpeAls Chefarzt im Münchner
ration enorm erschweren
Klinikum Großhadern erlebe – wie bei Marlene Beneich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Ge- dikt (Name geändert), 70,
rade in höherem Alter rückt aus München.
das Thema Gesundheit immer mehr ins Zentrum des
Interesses. In einer Serie
möchten wir Ihnen darum
Erkrankungen vorstellen, die
vor allem betagte Patienten
treffen. Im achten Teil geht es
um das künstliche Hüftgelenk. Die Experten des Beitrags sind Chefarzt Prof. Rüdiger von Eisenhart-Rothe
und Asisstenzarzt Dr. Sebastian Torka, beide von der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie
im Klinikum rechts der Isar
der Technischen Universität
München.
Stichwort:
das Hüftgelenk
Wie wichtig es ist, das wird den
meisten erst klar, wenn es nicht
mehr richtig funktioniert: das
Hüftgelenk. Bei jedem Schritt
muss es einen Großteil des Körpergewichts tragen. Die Knorpelschicht im Inneren nutzt sich
daher im Laufe des Lebens immer mehr ab – bis irgendwann
Knochen auf Knochen reibt und
das Gelenk mehr und mehr zerstört. Coxarthrose nennt man
diesen Verschleiß. Sie ist der
häufigste Grund für einen
künstlichen Ersatz des Hüftgelenks bei Älteren. Das besteht
beim Gesunden aus dem kugelförmigen Kopf des Oberschenkelknochens. Dieser liegt in einer Gelenkpfanne, die etwa die
Form einer halben Hohlkugel
hat und von den drei Knochen
des Beckens gebildet wird, dem
Darm-, Scham- und Sitzbein. Eine kräftige Gelenkkapsel hält
das Gelenk zusammen. Hüftkopf und -pfanne werden beim
Gesunden von einer dicken
Knorpelschicht geschützt.
ae
VON ANDREA EPPNER
Marlene Benedikt zögerte
lange, ehe sie sich für eine
Operation entschied. So lange, bis es nicht mehr anders
ging: Die 70-Jährige wollte gerade von einem Sessel aufstehen, als plötzlich das Bein in
der Hüfte nachgab. „Das war,
als ob alles zusammenklappt“,
erzählt sie. Schmerzen schossen ihr ins Gelenk. „Wie ein
Messer, das sich in die Hüfte
bohrt.“ Sie konnte nicht mehr
aufstehen, nicht mehr gehen,
sich abends nicht einmal
mehr selbst ausziehen. „Da
wusste ich: Jetzt ist der Zeitpunkt für die Operation gekommen.“
Dass sie bald ein künstliches Hüftgelenk brauchen
würde, wusste Marlene Benedikt damals schon seit fast einem Jahr. Im Frühjahr 2011
hatte sie einen Orthopäden
aufgesucht, weil sie öfters
Schmerzen in der Leiste hatte.
Zum ersten Mal hatte sie diese
beim Schwimmen gespürt.
Von Bekannten war sie zudem auf ihr leichtes Humpeln
angesprochen worden. „Mir
selbst war das gar nicht aufgefallen“, sagt die Rentnerin.
Eine Röntgenaufnahme des
Hüftgelenks bestätigte den
Verdacht des Arztes: Marlene
Benedikt hatte eine Arthrose
im Hüftgelenk. Dabei war
nicht nur die schützende
Knorpelschicht im Inneren
des Gelenks abgenutzt. Die
Aufnahme zeigte auch Knochenzysten – ein Hinweis,
dass die Arthrose schon fortgeschritten war. Sie müsse
nicht sofort operiert werden,
sollte aber auch nicht zu lange
zögern, erfuhr sie. Spätestens
wenn sie sich die Strümpfe
nicht mehr hochziehen könne
und ständig Schmerzmittel
Kann wieder lachen: Patientin Marlene Benedikt (70) lässt sich von Prof. Rüdiger von Eisenhart-Rothe (li.) und seinem Kollegen Dr. Sebastian Torka am Modell erklären, worauf es beim Ersatz der künstlichen Hüftgelenk ankommt. FOTO: BODMER
brauche, sei der Zeitpunkt für
eine Operation gekommen.
„Das war bei mir aber alles
noch nicht der Fall“, sagt Marlene Benedikt – und entschied
sich zunächst fürs Abwarten.
Auch war bei der Münchnerin alles ein wenig komplizierter als bei anderen Patienten:
Von früheren Operationen
wusste sie, dass sie Narkosen
sehr schlecht verträgt. Zudem
leidet sie an einer Störung der
Blutgerinnung, deren Ursache
unbekannt ist. Als Folge davon neigt die 70-Jährige zu
Thrombosen: Bereits mehrmals hat sich bei ihr so ein
Blutgerinnsel gebildet. Einmal wurde eines sogar mit
dem Blutstrom bis in die Lunge geschwemmt – und führte
zu einer lebensgefährlichen
Lungenembolie. Um das Risiko zu senken, nimmt Marlene
Benedikt daher seit langem
ein blutverdünnendes Medikament ein, auch wegen ihrer
Herzprobleme.
Wegen der vielen Vorerkrankungen riet ihr die Tochter, selbst Medizinerin, sich in
einer größeren Klinik behandeln zu lassen. Sie empfahl ihr
das Klinikum rechts der Isar
in München. „Bei Frau Benedikt lag in der Tat ein erhöhtes
Operationsrisiko vor“, bestä-
Für Marlene Benedikt bedeutete dies zunächst viele
Voruntersuchungen. Dabei
ging es längst nicht nur um die
Hüfte. Es wurde insbesondere
auf das Herz geachtet. Die
Ärzte wollten genauer wissen,
was es mit den Herzrhythmusstörungen auf sich hat, an de-
Plötzlich brach das Bein in der Hüfte weg, wie
ein Messer bohrten sich die Schmerzen hinein.
tigt Dr. Sebastian Torka, Arzt
in der Orthopädischen Klinik
des Universitätsklinikums. Es
galt daher, den Eingriff gut
vorzubereiten, um das Risiko
so gering wie möglich zu halten. Erst wenn dieses beherrschbar erscheint, würde
der Narkosearzt sein Okay geben, erklärt Torka das Vorgehen. „Eine solche Hüftoperation ist schließlich ein geplanter und kein lebenswichtiger
Eingriff.“
nen die Rentnerin leidet. Sie
musste sich unter anderem einem Langzeit-EKG unterziehen. Auch die Tabletten zur
Blutverdünnung, die Marlene
Benedikt einnimmt, mussten
einige Tage vor dem Eingriff
umgestellt werden. Statt des
gewohnten Mittels bekam sie
vorübergehend
HeparinSpritzen. Erst etwa zehn Tage
nach dem Eingriff durfte sie
wieder auf die gewohnten
Tabletten umsteigen.
Trotz der umfangreichen
Vorbereitungen war das Risiko bei Marlene Benedikt höher als bei vielen anderen Patienten, die ein künstliches
Hüftgelenk brauchen. Angst
habe sie aber keine gehabt, erzählt sie. Auch weil sie wusste: Sollten Probleme auftreten, etwa wegen ihres Herzens, wäre in der Universitätsklinik auch dafür ein Experte
vor Ort. Er kann bei Bedarf
rasch im OP-Saal sein. Zudem
hatten sich schon vor dem
Eingriff Mediziner verschiedener Fachrichtungen zusammengesetzt, um die Ergebnisse der Voruntersuchungen
und die Risiken abzuwägen.
Den Eingriff übernahm
Prof. Rüdiger von EisenhartRothe. Ehe er die neue Hüftpfanne einsetzen konnte,
musste er einige Knochenzysten auffüllen. Dazu nutzte er
körpereigenen Knochen der
Patientin, den er aus dem zuvor entfernten Hüftkopf ent-
nommen hatte. Dann setzte er
eine moderne titanbeschichtete Endoprothese, wie man
Prothesen innerhalb des Körpers nennt, ein.
Noch vor einigen Jahren
hätte man diese bei Patienten
wie Marlene Benedikt mit Zement im Knochen fixiert.
Denn sie leidet an einer leichten Form der Osteoporose
(Knochenschwund). Dank einer neuen Technik konnte
dennoch eine zementfreie
Prothese eingesetzt werden.
Diese darf zudem schon am
Tag nach der Operation voll
belastet werden. Von Vorteil
ist eine solche zementfreie
Prothese vor allem, wenn sie
irgendwann ersetzt werden
muss. Denn auch eine gut verankerte Prothese hat eine begrenzte Haltbarkeit. In der
Regel liegt diese bei etwa 15
bis 20 Jahren. Wurde eine zementfreie Prothese eingesetzt,
ist die Austausch-Operation
dann viel einfacher und mit
deutlich weniger Komplikationen verbunden.
Marlene Benedikt hat den
Eingriff gut überstanden. Probleme wegen ihrer vielen Vorerkrankungen gab bei der OP
nicht. Allerdings hatte sie am
Tag nach der Narkose noch
Probleme mit dem Kreislauf.
Sie habe sich „sehr schwach“
gefühlt, erzählt die 70-Jährige.
Darum konnte sie am ersten
Tag auch nur ganz kurz aufstehen. Hilfe und Anleitung
bekam sie dabei von erfahrenen Physiotherapeuten.
In den folgenden Tagen übte Marlene Benedikt das Gehen mit der neuen Hüfte, zunächst mit Krücken. Wegen
der Schmerzen hatte sie sich
zuvor schon länger nicht
mehr viel bewegt. Darum waren auch ihre Muskeln anfangs noch recht schwach,
mussten erst wieder trainiert
werden. „Vielleicht habe ich
doch ein wenig zu lange gewartet“, sagt Marlene Benedikt nachdenklich. Sie ist
froh, dass sie sich trotz ihrer
Vorerkrankungen schließlich
doch zur Operation entschieden hat. Längst kann sie auch
ohne Krücken wieder gehen –
und ohne Schmerzen.
Lesen Sie am Montag, 30. Juli, den
neunten Teil unserer Serie „Medizin im Alter“: Wie die Palliativmedizin unheilbar Kranken hilft.
Vorerkrankungen und Wechsel-OPs: Was ältere Hüftpatienten wissen sollten
VON SEBASTIAN TORKA UND
RÜDIGER VON EISENHART-ROTHE
Jährlich werden in Deutschland etwa 200 000 künstliche
Hüftgelenke eingesetzt – Tendenz steigend. Wenn die konservative Therapie ausgeschöpft und die Lebensqualität durch Schmerzen und
schlechtere Mobilität eingeschränkt ist, rät der Arzt häufig zum Gelenkersatz. Da
80 Prozent der Patienten aber
bereits über 60 Jahre alt sind,
kann eine Operation ein höheres Risiko bedeuten. Dieses
muss in jedem Einzelfall eingeschätzt, behandelt oder beachtet werden.
Gerade ältere Patienten leiden oft an Begleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden, Diabetes oder Osteoporose. Diese oder deren
medikamentöse Behandlung
kann die operative Therapie
erschweren oder die Haltbarkeit des Implantats vermindern. Deshalb ist es wichtig,
dass der Patient vor und nach
der Operation von Ärzten verschiedener Fachrichtungen
betreut wird.
Entscheidend für die Haltbarkeit eines neuen Hüftgelenks ist vor allem die Qualität
des Knochens. Bei Patienten
mit Osteoporose (Knochenschwund) ist diese vermindert. Durch den Eingriff verschlechtert sie sich ebenfalls
noch etwas. Umso wichtiger
ist es, die Osteoporose zu behandeln – bereits vor dem
Eingriff oder parallel dazu.
Zum Einsatz kommen vor allem Bisphosphonate.
Doch nicht jeder Betroffene
weiß, dass er an Osteoporose
leidet. Gewissheit bringt eine
Knochendichtemessung, die
vor einer Hüft-OP für alle Patienten mit erhöhtem Risiko
80 Prozent der
Hüft-OPs betreffen
über 60-Jährige
sinnvoll ist. Dazu gehören vor
allem Frauen ab den Wechseljahren. Auch wer längere Zeit
Kortisontabletten eingenommen hat, ist gefährdet. Im Klinikum rechts der Isar können
sich Patienten vor einer HüftOP in einer interdisziplinären
Osteoporose-Sprechstunde
vorstellen.
Wie wichtig diese Art der
OP-Vorbereitung ist, bestätigt
auch eine Studie der Techniker Krankenkasse. Demnach
sind die Operationserfolge bei
Patienten mit Osteoporose,
deren Grunderkrankung vor
dem Einsetzen einer Hüftendoprothese optimal behandelt
wurde, wesentlich besser. Zudem kommt es bei ihnen viel
seltener zu einer vorzeitigen
Lockerung.
Voraussetzung für eine lange Haltbarkeit ist auch die
Wahl des Implantates. Es gibt
eine Vielzahl von Prothesentypen. Welche sich bei einem
Patienten am besten eignet,
hängt von vielen Faktoren ab.
Besonders wichtig ist der Zustand des Knochens. Da eine
Hüftendoprothese im Schnitt
nach etwa 15 bis 20 Jahren gewechselt werden muss, entscheidet man sich gerade bei
jüngeren Patienten eher für eine Kurzschaft-Prothese. Das
spart Knochen und erleichtert
den Eingriff, wenn das Kunstgelenk später ersetzt werden
muss. Bei älteren Menschen
setzt man meist einen Standardschaft ein. Eine Langschaftprothese ist meist nur
nötig, wenn ein Patient bereits
ein Kunstgelenk hatte und
dieses ersetzt werden muss.
Fast noch wichtiger als die
Wahl des Implantats ist es,
dieses richtig zu platzieren.
Bereits eine geringe Abweichung zu einem unnatürlichen Bewegungsablauf führen und die Haltbarkeit der
Prothese verkürzen. Der
Schaft wird bei der OP passgenau in den Oberschenkelknochen eingesetzt. Eine aufgeraute Oberfläche unterstützt
das Einheilen in den Knochen. Hilfreich ist auch eine
Beschichtung mit Hydroxylapatit. Je nach Knochenqualität kann es nötig sein, Schaft
GRAFIK: APOTHEKEN-UMSCHAU
und/oder Pfanne mit Knochenzement zu fixieren.
Bei älteren Patienten mit
Begleiterkrankungen ist es besonders wichtig, dass sie das
operierte Bein so schnell wie
möglich wieder voll belasten
können. Dies hilft, Komplikationen zu verhindern. Mehr
noch als bei jungen erhöht
längeres Liegen bei betagten
Patienten das Risiko einer
Thrombose oder einer lebens-
gefährlichen Lungenembolie.
Senken lässt es sich vor allem,
indem die Patienten schon am
Tag nach der OP aufstehen.
Eine gut ausgewählte und
eingesetzte Hüftendoprothese hält nicht selten länger als
die durchschnittlichen 15 bis
20 Jahren. Ist eine WechselOP nötig, muss man zunächst
den Grund dafür klären. So
kann etwa auch eine Infektion eine vorzeitigen Austausch
erforderlich machen, ebenso
wiederholte
Luxationen,
wenn also der Kopf des
Kunstgelenks immer wieder
aus der Pfanne springt. Bei
den meisten Patienten hat
sich jedoch das Implantat ohne Infektion gelockert. Dann
reicht es manchmal, nur einen
Teil davon auszutauschen.
Das größte Problem bei einem Wechsel ist aber, dass bei
vielen Patienten die Qualität
des Knochens reduziert ist.
Das macht es schwerer, die
neue Prothese gut zu verankern. Wurde der Schaft mit
Knochenzement fixiert, muss
der entfernt werden. Dazu
muss man den Knochen in der
Regel nicht mehr spalten.
Häufig reicht es, eine Ultraschallsonde einzuführen und
den Zement durch Hitze zu
schmelzen und dann herauszuholen. Generell erfordern
Wechseloperationen viel Erfahrung. Zudem stellt sich
trotz guter OP-Vorbereitung
manchmal erst während des
Eingriffs heraus, dass doch eine andere als die vorbereitete
Prothese geeigneter wäre. In
einer Klinik der höchsten Versorgungsstufe ist das kein Problem: Hier hält man das gesamte Spektrum an Prothesenkomponenten vor.
Ein Wechsel kann im Einzelfall auch ohne Beschwerden nötig sein: Kürzlich sind
Implantate bestimmter Her-
steller vom Markt genommen
worden. Es handelt sich um
Prothesen, deren Gleitflächen
aus Metall besteht. In der
Hoffnung, diese würden länger halten, sind sie vor allem
Jüngeren eingesetzt worden.
Inzwischen weiß man, dass
mit dem Abrieb Metallionen
ins Blut gelangen, die etwa
den Nieren schaden können.
Heute bevorzugt man daher
Der Austausch einer
Hüftprothese braucht
sehr viel Erfahrung
eine Kombi aus Keramik und
hochvernetztem Polyethylen.
Wer aber noch eine Endoprothese mit Metall-Metall-Gleitpaarung eingesetzt bekommen hat, kann sich an die Spezialsprechstunde für MetallMetall-Endoprothesen
im
Klinikum rechts der Isar wenden. Mit einem Bluttest lässt
sich klären, ob die Konzentration der schädlichen Metallionen erhöht ist. Oft reicht es,
die Patienten zu überwachen
und den Test jährlich zu wiederholen. Im Einzelfall kann
aber ein Austausch nötig sein.
Infos zur Art der eingesetzten
Prothese finden Patienten in
ihrem Prothesenpass.
Leserfragen an die Experten:
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