11 § 1 Reelle Zahlen Wir wollen bei der Einführung der reellen Zahlen, der Grundlage der Differential- und Integralrechnung, den axiomatischen Weg verfolgen, d.h. dass wir die fundamentalen Rechenregeln für den Ümgangmit reellen Zahlen als definierende Eigenschaften wählen. 1.1 Die Körperaxiome Definition 1.1. Ein Körper K ist eine Menge mit zwei Abbildungen + : K × K → K und · : K × K → K, Addition bzw. Multiplikation genannt, die den folgenden Axiomen genügen: (A1) (x + y) + z = x + (y + z) für alle x, y, z ∈ K. (Die Addition ist assoziativ; hierbei haben wir an Stelle von ”+(x, y)” kurz ”x + y ” geschrieben.) (A2) x + y = y + x für alle x, y ∈ K. (Die Addition ist kommutativ.) (A3) Es existiert ein Element 0 ∈ K mit 0 + x = x für alle x ∈ K. (Existenz des neutralen Elements bzgl. ”+ ”.) (A4) Zu jedem x ∈ K existiert ein Element −x ∈ K mit x + (−x) = 0. (Existenz des inversen Elements bzgl. ”+ ”.) (M1) (xy)z = x(yz) für alle x, y, z ∈ K. (Die Multiplikation ist assoziativ; hierbei haben wir an Stelle von ”·(x, y)” kurz ”xy ” geschrieben.) (M2) xy = yx für alle x, y ∈ K. (Die Multiplikation ist kommutativ.) (M3) Es existiert ein Element 1 ∈ K, 1 %= 0, mit 1x = x für alle x ∈ K. (Existenz des neutralen Elements bzgl. ”· ”.) (M4) Zu jedem x ∈ K \ {0} existiert ein x−1 ∈ K mit xx−1 = 1. (Existenz des inversen Elements bzgl. ”· ”.) (D) Für alle x, y, z ∈ K gilt: x(y + z) = xy + xz. (Distributivgesetz.) 12 Man sagt, dass K mit der Verknüpfung ”+ ” eine kommutative Gruppe bildet ((A1) (A4)); K \ {0} bildet bzgl. ”· ” eine kommutative Gruppe. Beispiele 1.2. Die rationalen Zahlen !m " Q := | m ∈ Z, n ∈ N mit Z := {z | z = 0 ∨ z ∈ N ∨ −z ∈ N} n bilden einen Körper. Der ”kleinste” Körper besteht aus zwei Elementen, mit obigen Bezeichnungen 0 und 1, die folgendermaßen verknüpft werden: + 0 1 0 0 1 · 0 1 1 1 0 0 0 0 1 0 1 Wir halten einige Regeln für das Rechnen in Körpern fest; diese Regeln sind uns von Q her bekannt. Satz 1.3. Die Axiome der Addition ergeben folgende Regeln in einem Körper K: a) Ist x + y = x + z, so folgt y = z. (Kürzungsregel für die Addition) b) Ist x + y = x, so folgt y = 0, d.h. ”0 ” ist eindeutig bestimmt. c) Ist x + y = 0, so folgt y = −x, d.h. dass das inverse Element bzgl. ”+ ” eindeutig bestimmt ist. d) Für alle x ∈ K gilt −(−x) = x. Beweis: Zu a): Aus x + y = x + z folgt y (A3) = (V or) = (A4) (A1) 0 + y = (−x + x) + y = −x + (x + y) (A1) −x + (x + z) = (−x + x) + z = 0 + z = z. Zu b): Setze in a) z = 0. Zu c): Setze in a) z = −x. Zu d): Aus c) folgt mit −x statt x: Ist −x+y = 0, so ist y = −(−x). Andererseits ist −x+x = 0, also wegen der Eindeutigkeit des Inversen: x = −(−x). ! 13 Bemerkung: Wir schreiben x − y an Stelle von x + (−y). Wegen (x + y) + ((−x) + (−y)) = (x + y) + ((−y) + (−x)) = ((x + y) + (−y)) + (−x) = (x + (y + (−y))) + (−x) = (x + 0) + (−x) = x + (−x) = 0 ist dann −(x + y) = −x + (−y) = −x − y. Weiter folgt x − (y + z) = x + (−(y + z)) = x + ((−y) + (−z)) = (x + (−y)) + (−z) = (x − y) + (−z) = x − y − z. Entsprechend zu Satz 1.3 folgt Satz 1.4. Die Axiome der Multiplikation ergeben für x, y, z ∈ K: a) Ist x %= 0 und xy = xz, dann ist y = z. (Kürzungsregel für die Multiplikation) b) Ist x %= 0 und xy = x, dann ist y = 1, d.h. ”1ı̈st eindeutig bestimmt. c) Ist x %= 0 und xy = 1, so folgt y = x−1 , d.h. dass das inverse Element bzgl. "" ·"" eindeutig bestimmt ist. d) Ist x %= 0, so gilt (x−1 )−1 = x. 1 Bemerkung: Wir schreiben für x %= 0 auch ” ” an Stelle von ”x−1 ”. x Ferner gelten in einem Körper folgende Aussagen: Satz 1.5. a) 0 · x = 0. b) Ist x %= 0 und y %= 0, so auch xy %= 0. c) (−x)y = −(xy) = x(−y). d) (−x)(−y) = xy. 14 Beweis: Zu a): Es gilt (A3) 0x = (0 + 0)x (D,M 2) = 0x + 0x, also nach Satz 1.3 b): 0x = 0. Zu b): Angenommen, es gilt x %= 0, y %= 0 und xy = 0, so folgt 1 = (x−1 x)(y −1 y) = ((x−1 x)y −1 )y = (x−1 (xy −1 ))y = (x−1 (y −1 x))y = ((x−1 y −1)x)y = (x−1 y −1)(xy) = 0 also ein Widerspruch zu (M3). Also muß xy %= 0 gelten. Zu c): Es ist (D) (a) (−x)y + xy = (−x + x)y = 0 · y = 0, also (−x)y = −(xy). Entsprechend folgt die zweite Gleichheit. Zu d): Es gilt nach c) und Satz 1.3 d): (−x)(−y) = −(x(−y)) = −(−(xy)) = xy. ! Der Körper Q der rationalen Zahlen trägt noch mehr Struktur als wir bisher aus der Addition und der Multiplikation entnehmen konnten. 1.2 Die Anordnungsaxiome Definition 1.6. Ein Körper K heißt geordnet , wenn gewisse Elemente als positiv ausgezeichnet sind (wir schreiben: x > 0), so dass folgende Anordnungsaxiome erfüllt sind: (O.1) Für jedes x ∈ K gilt genau eine der drei Beziehungen: x > 0, x = 0 oder −x > 0. (O.2) Sind x > 0 und y > 0, so folgt x + y > 0. (O.3) Sind x > 0 und y > 0, so folgt xy > 0. 15 Wir setzen x > y, falls x − y > 0 gilt, und schreiben x ≥ y, falls x > y oder x = y gilt; statt x > y (bzw. x ≥ y) schreiben wir auch y < x (bzw. y ≤ x). Satz 1.7. Ist K ein geordneter Körper, so gilt: a) x > 0 ⇔ −x < 0 b) Aus x < y und y < z folgt x < z. (Transitivität der ”< -Beziehung ”.) c) Ist x < y und z ∈ K beliebig, so folgt x + z < y + z. d) Ist x < y und z > 0, so folgt xz < yz. e) Ist x ∈ K \ {0}, so folgt x2 = x · x > 0; insbesondere ist 1 > 0. f) Ist 0 < x < y, so folgt 0 < y −1 < x−1 . Beweis: Zu a): Es gilt: −x < 0 ⇔ 0 > −x ⇔ 0 − (−x) > 0 ⇔ −(−x) = x > 0. Zu b): Aus y − x > 0 und z − y > 0 folgt nach (O.2): (y − x) + (z − y) > 0, d.h. z − x > 0. Zu c): Aus y − x > 0 folgt (y + z) − (x + z) = y − x > 0. Zu d): Aus y − x > 0 und z > 0 folgt nach (O.3): (y − x)z > 0, d.h. yz − xz > 0. Zu e): Ist x ∈ K \ {0}, so folgt nach (O.1): x > 0 oder x < 0. Für x > 0 folgt die Behauptung aus (O.3). Ist x < 0, so gilt nach Teil a): −x > 0 und damit nach (O.3): (−x)(−x) > 0; nach Satz 1.5 d) bedeutet dies: x2 > 0. Wegen 12 = 1 folgt speziell: 1 > 0. Zu f): Aus x > 0 folgt x−1 %= 0 und damit nach Teil e): (x−1 )2 > 0. Teil d) liefert: x(x−1 )2 > 0, d.h. (x · x−1 )x−1 = x−1 > 0. Entsprechend folgt y −1 > 0. (O.3) liefert: x−1 y −1(= (xy)−1) > 0. Multiplikation der Ungleichung x < y mit x−1 y −1 > 0 ergibt y −1 = x(x−1 y −1 ) < y(x−1 y −1) = x−1 . ! Der Körper Q der rationalen Zahlen wird durch die übliche Anordnung zu einem geordneten Körper. Wir werden an einem Beispiel demonstrieren, dass der geordnete Körper Q einen Nachteil aufweist: 16 Beispiel 1.8. Es sei A := {p ∈ Q | p > 0, p2 < 2} und B := {p ∈ Q | p > 0, p2 > 2}. Wir zeigen, dass A kein größtes und B kein kleinstes Element enthält, d.h.: zu jedem p ∈ A existiert ein q ∈ A mit p < q und zu jedem p ∈ B existiert ein q ∈ B mit q < p. Um dies einzusehen, betrachten wir zu jedem p ∈ Q mit p > 0 die Zahl (i) q =p− p2 − 2 2p + 2 = ; p+2 p+2 dann gilt q2 − 2 = (ii) 2(p2 − 2) . (p + 2)2 Ist nun p ∈ A, d.h. p2 − 2 < 0, so folgt aus (i): q > p und aus (ii): q ∈ A. Ist dagegen p ∈ B, d.h. p2 − 2 > 0, so folgt aus (i): 0 < q < p und aus (ii): q ∈ B. Wir werden im Folgenden mit einem Körper rechnen, der dieses Manko nicht hat. 1.3 Die reellen Zahlen als vollständig geordneter Körper Definition 1.9. Es sei K ein geordneter Körper und M ⊂ K: Existiert ein b ∈ K derart, dass für jedes x ∈ M gilt: x ≤ b, so heißt M nach oben beschränkt, und wir nennen b eine obere Schranke von M. Untere Schranken definiert man analog. Ist M ⊂ K nach oben beschränkt und existiert ein a ∈ K mit folgenden Eigenschaften: (i) a ist obere Schranke von M; (ii) ist b < a, so ist b keine obere Schranke von M, so heißt a kleinste obere Schranke von M oder das Supremum von M; wir schreiben: a = sup M. Beispiele 1.10. a) Wir betrachten die Mengen A und B aus Beispiel 1.8 als Teilmengen des geordneten Körpers Q. A ist nach oben beschränkt; die oberen Schranken von A sind genau die Elemente von B. Da B kein kleinstes Element enthält, hat A keine kleinste obere Schranke in Q. Entsprechend hat B keine größte untere Schranke in Q. b) Falls a = sup M existiert, kann a ∈ M oder a %∈ M sein. Z.B. gilt für die Mengen M1 := {p ∈ Q | p < 0} bzw. M2 := {p ∈ Q | p ≤ 0} : 0 = sup M1 = sup M2 . 17 # $ 1 c) Für M := | n ∈ N ist sup M = 1 und inf M = 0 mit 1 ∈ M und 0 %∈ M. n (Dabei ist das Infimum einer nach unten beschränkten Menge als größte untere Schranke von M definiert.) Satz 1.11. Es existiert ein geordneter Körper, der Q enthält und in dem jede nichtleere, nach oben beschränkte Teilmenge ein Supremum besitzt. Diesen Körper bezeichnen wir mit R und nennen seine Elemente reelle Zahlen. Beweis: vgl. W. Rudin. Bemerkung Ein geordneter Körper, in dem jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge ein Supremum besitzt, heißt vollständig geordnet . (Man könnte auch fordern, dass jede nichtleere nach unten beschränkte Teilmenge ein Infimum besitzt.) Konstruktiv kann eine reelle Zahl als eine ”Äquivalenzklasse” von Cauchy-Folgen rationaler Zahlen definiert werden. Der Beweis bei Rudin verwendet die Methode der Dedekind’schen Schnitte. Beide Konstruktionsverfahren gehen auf das Jahr 1872 zurück. Wir ziehen einige Folgerungen aus Satz 1.11: Satz 1.12. a) Sind x, y ∈ R gegeben mit x > 0, so existiert ein n ∈ N mit nx > y. (Archimedisches Prinzip ) b) Sind x, y ∈ R gegeben mit x < y, so gibt es ein p ∈ Q mit x < p < y. (Q ist eine dichte Teilmenge von R.) Beweis: Zu a): Wir nehmen an, die Behauptung sei falsch; dann ist die Menge A := {nx | n ∈ N} nichtleer und nach oben beschränkt (durch y). Aufgrund der Vollständigkeit von R existiert a = sup A (in R). Wegen x > 0 ist a − x < a, also a − x keine obere Schranke von A. Daher gibt es ein m ∈ N mit a − x < mx, d.h. a < (m + 1)x, im Widerspruch dazu, dass a eine obere Schranke von A ist. Zu b): Wegen y − x > 0 existiert nach Teil a) ein n ∈ N mit n(y − x) > 1. Weiter gibt es m1 , m2 ∈ N mit m1 > nx bzw. m2 > −nx, 18 d.h. −m2 < nx < m1 . Also existiert ein m ∈ Z (mit −m2 ≤ m ≤ m1 ) derart, dass m − 1 ≤ nx < m gilt. Zusammenfassen dieser Ungleichungen liefert Wegen n > 0 folgt mit p = m : n nx < m ≤ 1 + nx < ny. x< m = p < y. n ! Bemerkungen Häufig wird das Archimedische Prinzip in folgender Form benutzt: Zu jedem ε > 0 existiert 1 < ε. Diese Eigenschaft ist äquivalent zu der in Satz 1.12 a) formulierten ein m ∈ N mit m Eigenschaft. (Gilt das Archimedische Prinzip, so folgt mit x = ε und y = 1 die Existenz 1 eines m ∈ N mit nε > 1, woraus < ε folgt. Umgekehrt gebe es zu jedem ε > 0 ein n 1 < ε. Sind nun x > 0 und y ∈ R gegeben, so erhalten wir für ε = x ein m ∈ N mit m 1 < x, was zu mx > 1 äquivalent ist; o.B.d.A. können wir y > 0 voraussetzen, m ∈ N mit m da sonst die Ungleichung in Satz 1.12 a) trivialerweise richtig ist; zu (my)−1 > 0 finden 1 1 wir dann ein n ∈ N mit < , d.h. n > my. Insgesamt erhalten wir dann für x, y > 0: n my nx > mxy > y.) Wir haben die reellen Zahlen als ”Oberkörper” von Q und damit als Obermenge von N eingeführt. Will man darauf verzichten, so führt man R als vollständig geordneten Körper ein, in dem das Archimedische Axiom (x, y > 0 ⇒ ∃n ∈ N : nx > y) gilt. (Dabei sind die natürlichen Zahlen induktiv einzuführen, d.h. 2 := 1 + 1, 3 := 2 + 1, . . . .) Bis auf ”Isomorphie” ist R dann eindeutig bestimmt. 1.4 Das Induktionsprinzip. Induktive Definition. Gegeben sei eine Zahl n0 ∈ Z; wir betrachten die Aussagen A(n) für jedes n ≥ n0 , n ∈ Z. Wir wollen beweisen, dass die Aussagen A(n) für alle n ≥ n0 wahr sind, ohne die Richtigkeit einzeln nachzuprüfen. Dabei hilft uns 19 Das Induktionsprinzip Um die Richtigkeit der Aussagen A(n) für alle n ≥ n0 zu beweisen, genügt es, Folgendes zu zeigen: (I) A(n0 ) ist richtig. (Induktionsanfang) (II) Für beliebiges n ≥ n0 gilt: Falls A(n) richtig ist, so ist auch A(n + 1) richtig. (Induktionsschritt) Bemerkung Häufig formuliert man das Induktionsprinzip nur für n0 = 1. Bei vielen Abschätzungen ist es jedoch besser, erst bei einem bestimmten n0 zu starten. Wir fügen einige Beispiele an, bei denen das Induktionsprinzip erfolgreich beim Beweis angewandt werden kann: Satz 1.13. Es gilt für alle n ∈ N 1 + 2 + 3 +...+ n = n(n + 1) , 2 12 + 22 + 32 + . . . + n2 = n(n + 1)(2n + 1) , 6 13 + 23 + 33 + . . . + n3 = n2 (n + 1)2 . 4 Beweis: Wir beweisen die dritte Aussage mit Hilfe des Induktionsprinzips. (I) Induktionsanfang für n0 = 1. Die linke Seite ergibt: 13 = 1; die rechte Seite ergibt: 12 · 22 = 1. Also ist die Formel für n = 1 richtig. 4 (II) Induktionsschritt: Es gelte 13 + . . . + n3 = die Richtigkeit der Formel für n + 1, d.h. n2 (n + 1)2 für ein n ≥ 1; zu zeigen ist 4 13 + . . . + n3 + (n + 1)3 = (n + 1)2 (n + 2)2 . 4 Nun ist 13 + . . . + n3 + (n + 1)3 = (13 + . . . + n3 ) + (n + 1)3 = n2 (n + 1)2 1 + (n + 1)3 = (n + 1)2 (n2 + 4(n + 1)) 4 4 = 1 (n + 1)2 (n + 2)2 . 4 20 Das Induktionsprinzip liefert dann die Gültigkeit der Aussage für alle n ∈ N. ! Beim Prinzip der induktiven Definition geht man davon aus, dass eine Größe für die natürliche Zahl n schon definiert ist und sagt, wie sich die Größe für n + 1 aus der für n ergibt. Allgemein läßt sich das Prinzip folgendermaßen beschreiben: Prinzip der induktiven Definition Es seien X eine Menge; g : X × N → X eine Abbildung und a ∈ X. Dann gibt es genau eine Abbildung f : N → X mit f (1) = a und f (n + 1) = g(f (n), n) für alle n ∈ N. Beispiele 1.14. a) Sei X = R und g definiert durch g(r, n) = a · r. Dann ist f (n) = an = a % · a ·&'. . . · a(. n−mal Dies beweist man mit dem Induktionsprinzip. b) Sei X = N, a = 1 und g definiert durch g(m, n) = m(n + 1). Dann ist f (n) = 1 · 2 · 3 · . . . · n. Dieses spezielle Produkt trägt den Namen ”n-Fakultät”; wir schreiben dafür ”n ! ”. Wir setzen noch 0! = 1. Wir können auch allgemeinere Produkte bzw. Summen in abgekürzter Form aufschreiben; so setzen wir für (reelle) Zahlen a1 , a2 , . . . , an : n ) ak := a1 + a2 + . . . + an k=1 und n * k=1 ak := a1 · a2 · . . . · an . Den Summationsindex k können wir auch anders bezeichnen; so gilt z.B. n ) ak = n ) a! = !=1 k=1 n+10 ) am−10 = m=11 n+m ) ak−m . k=m+1 Ganz allgemein setzen wir für n ≥ m, m, n ∈ Z n ) ak := am + am+1 + . . . + an k=m bzw. n * k=m ist dagegen n < m, so sei n ) k=m ak := am · am+1 · . . . · an ; ak := 0 und n * k=m ak := 1. 21 Satz 1.15. Es gilt für m ≤ n n ) (ak − ak−1 ) = an − am−1 , k=m n ) (Teleskop-Summen) (ak − ak+1 ) = am − an+1 k=m und n ) ak bk = An bn+1 + k=1 k=1 mit n ) Ak = k ) Ak (bk − bk+1 ) aj und beliebigem bn+1 . j=1 (Dies ist die sog. Abelsche1 Partielle Summation.) Beweis: Wir beweisen nur die Behauptung über die Abelsche Partielle Summation. Mit A0 = 0 folgt ak = Ak − Ak−1 für k = 1, . . . , n, also n ) ak bk = k=1 n ) k=1 = = (Ak − Ak−1 )bk = n ) k=1 n ) k=1 Ak bk − Ak bk − = An bn+1 + n−1 ) k=1 n ) k=1 n ) k=1 n ) k=1 Ak bk − n ) Ak−1 bk k=2 Ak bk+1 Ak bk+1 + An bn+1 Ak (bk − bk+1 ). ! Wir wollen nun an einigen Beispielen den Umgang mit dem Summen- und dem Produktzeichen üben. Es sei A = {a1 , a2 , . . . , an } eine n-elementige Menge. Eine Permutation (auf A) ist eine bijektive Abbildung von A in sich. Jede solche Abbildung ist eindeutig durch die Bilder der a1 , . . . , an festgelegt. Wegen der Injektivität einer Permutation kommt jedes Element ai unter den Bildern f (a1 ), . . . , f (an ) genau einmal vor. Also beschreibt z.B. das n-Tupel (a2 , a3 , . . . , an , a1 ) eine Permutation auf A, wenn man vereinbart, dass an der i-ten Stelle das Bild f (ai ) steht. Hier ist + ai+1 für i = 1, . . . , n − 1 f (ai ) = a1 für i = n. 1 vgl. S. 84 22 Hieraus ist ersichtlich, dass es im Prinzip nur auf die Reihenfolge der Indizes bei den ai ankommt; deshalb beschreibt man eine Permutation auch kurz durch ein n-Tupel der natürlichen Zahlen 1, . . . , n, z.B. (2, 3, . . . , n, 1). Wieviele n-Tupel der Zahlen 1, . . . , n gibt es? Das führt auf eine Aussage der elementaren Kombinatorik, das sog. Abzähltheorem 1.16. Es sei k ∈ N und K1 , . . . , Kk seien k Kästen, die belegt werden können, z.B. mit Kugeln verschiedener Farbe. Gibt es n1 Möglichkeiten, K1 zu belegen, nach vorgenommener Belegung n2 Möglichkeiten, K2 zu belegen, und daran anschließend n3 Möglichkeiten, K3 zu belegen, . . . und schließlich nk Möglichkeiten, Kk zu belegen, so gibt es insgesamt k * ni Belegungen der K1 , . . . , Kk . i=1 Beweis: Induktion nach k. ! Wenden wir diesen Satz auf die Frage nach der Anzahl der bijektiven Abbildungen von A in sich an, so erhalten wir n−1 * (n − i) = n! i=0 Permutationen von n Elementen. Definition 1.17. Für k, n ∈ N0 := N ∪ {0} setzen wir , k * n−j+1 n n(n − 1) · . . . · (n − k + 1) := = k j 1 · 2 · ...· k j=1 , n (lies: n über k). Die Zahlen heißen Binomialkoeffizienten . k 23 Bemerkung. Aus der Definition folgt unmittelbar , n = 0 für k > n k und , , n n! n = für 0 ≤ k ≤ n. = k n−k k!(n − k)! Für 1 ≤ k ≤ n gilt ferner - , , - , n−1 n−1 n . + = k k−1 k Beweis: Für k = n ist die Formel richtig. Für 1 ≤ k ≤ n − 1 erhalten wir , - , n−1 n−1 (n − 1)! (n − 1)! + = + k−1 k (k − 1)!(n − k)! k!(n − k − 1)! k(n − 1)! + (n − k)(n − 1)! (n − 1)!n = = = k!(n − k)! k!(n − k)! , n . k ! Satz 1.18. Die Anzahl einer n-elementigen Menge A = {a1 , . . . , an } - k-elementigen Teilmengen , , der n n ∈ Z ist. ist gleich . Speziell folgt, dass k k Beweis: Mit Ckn bezeichnen wir die Anzahl der k-elementigen Teilmenge von A. , n n Wir beweisen Ck = durch Induktion nach n. k (I) Induktionsanfang: Sei n = 1; dann gibt es eine 0-elementige Teilmenge von A = 1 1 {a1 }, nämlich ∅ und .1/ eine .1/1-elementige Teilmenge, nämlich A. Also ist C0 = C1 = 1. Andererseits ist 0 = 1 = 1. . n/ .n+1/ n+1 n+1 n . Wegen C = 1 = und C (II) Induktionsschritt: Es gelte C = 0 n+1/ = 1 = k k 0 .n+1/ . brauchen wir nur den Fall 1 ≤ k ≤ n zu behandeln, d.h. Ckn+1 = n+1 n+1 k Die k-elementigen Teilmengen von {a1 , . . . , an+1 } zerfallen in zwei Klassen K0 und K1 , wobei K0 alle Teilmengen umfasse, die an+1 nicht enthalten, und K1 alle Teilmengen, die an+1 enthalten. Die Anzahl der Mengen in der Klasse K0 stimmt mit.der / Anzahl der k-elementigen Teilmengen von {a1 , . . . , an } überein, ist also gleich nk . 24 Jede Menge der Klasse K1 enthält an+1 ; die übrigen k − 1 Elemente . nsind / der Menge {a1 , . . . , an } entnommen. Nach Induktionsvoraussetzung gibt es k−1 Möglichkeiten dieser Auswahl. Zusammen folgt also mit der Formel aus der vorhergehenden Bemerkung - , , - , n+1 n n n+1 . = Ck = + k k k−1 ! Beispiel , 49 Es gibt = 13983816 6-elementige Teilmengen einer Menge von 49 Elementen. Also 6 ist die Chance, beim Lotto ”6 aus 49” den Hauptgewinn zu erzielen, etwa 1 : 14 Mill. Satz 1.19. (Binomischer Lehrsatz) Es seien a, b ∈ R und n ∈ N, dann gilt mit a0 = b0 := 1: n , ) n n−k k n a b . (a + b) = k k=0 Beweis: Durch Induktion nach n. , , 1 , ) 1 1 1 1−k k a b = a+ b = a + b; also die Aussage (I) Es ist (a + b)1 = a + b und k 0 1 k=0 für n = 1 richtig. 1 0 n , ) n (II) an−k bk (a + b) (a + b)n+1 = (a + b)n · (a + b) = k k=0 , n n ) ,n) n n+1−k k an−k bk+1 a b + = k k k=0 k=0 = = = = 1 0 n−1 , ) n an−k bk+1 + bn+1 an+1−k bk + an+1 + k k k=0 k=1 ,, , -n ) n n + an+1−k bk + bn+1 an+1 + k k − 1 k=1 n , ) n + 1 n+1−k k n+1 a b + bn+1 a + k k=1 , n+1 ) n + 1an+1−k bk k 0 n , ) n 1 k=0 ! 25 Folgerung n , ) n = 2n Es gilt k k=0 ; also gibt es 2n Teilmengen einer n-elementigen Menge {a1 , . . . , an }. Ferner gilt , n (−1) = 0 für n ≥ 1. k k=0 n ) k Die Binomialkoeffizienten ergeben sich aus dem sog. Pascal’schen2 Dreieck (a + b)0 : 1 (a + b)1 : 1 (a + b)2 : 1 (a + b)3 : 1 (a + b)4 : 1 (a + b)5 : 1 1 2 1 3 3 1 / 0 / 0 / 0 4 6 4 5 10 10 · ·· 5 1 1 ·· · Satz 1.20. (Bernoullische Ungleichung) Es seien x ∈ R mit x ≥ −1 und n ∈ N0 gegeben; dann gilt (1 + x)n ≥ 1 + nx. Beweis: Durch Induktion nach n. (I) Für n = 0 ist die Behauptung klar. (II) Es gelte also (1+x)n ≥ 1+nx. Durch Multiplikation dieser Ungleichung mit 1+x > 0 folgt nach Satz 1.7: (1 + x)n+1 ≥ (1 + nx)(1 + x) = 1 + (n + 1)x + nx2 ≥ 1 + (n + 1)x. Ist 1 + x = 0, d.h. x = −1, so gilt die Ungleichung wegen nx = −n ≤ 0, also 1 + nx = −n + 1, und (1 + x)n = 1 für n = 0 bzw. (1 + x)n = 0 für n ≥ 1. ! 2 Blaise Pascal wurde am 16.9.1623 in Clermont-Ferrand geboren; seine Mutter starb, als er 3 Jahre alt war. 1631 übersiedelte der Vater, der das Amt eines königlichen Rates bekleidete, mit seinen Kindern nach Paris. Hier widmete sich der ganz der Erziehung seiner Kinder, besonders der seines einzigen Sohnes. In Paris lernte Pascal viele Gelehrte kennen, z.B. M. Mersenne. Das nach ihm benannte Dreieck stammt etwa aus dem Jahr 1654. Pascal verstarb am 19.8.1662 in Paris 26 Da hier zum ersten Mal der Name Bernoulli auftaucht, wollen wir an dieser Stelle schon darauf hinweisen, dass es eine ganze ”Dynastie Bernoullis” gegeben hat. In drei Generationen hat diese erstaunliche Familie insgesamt 8 Mathematiker hervorgebracht. Im einzelnen sind dies die folgenden Mitglieder der Bernoulli-Familie: −−−−− ↓ Jakob I B. 1654 - 1705 Math.,Phys.,Theol. −−−−− ↓ Niklaus II B. 1695 - 1726 Math.,Jurist Jakob B. 1598 - 1634 ↓ Niklaus B. 1623 - 1708 Ratsherr u. Rechenrat des Gerichts | −−−−−− −−−−−−− ↓ Niklaus B. 1662 - 1716 Maler ↓ Niklaus I B. 1687 - 1759 Math.,Jurist −−−−−−−−−−−−− ↓ Daniel B. 1700 - 1782 Math.,Phys.,Arzt −−−−− ↓ Johann I B. (10. Kind) 1667 - 1748 Math.,Mech.,Arzt | | (5 Kinder, 3 Söhne) | − − − − −| ↓ Johann II B. 1710 - 1790 Math.,Phys.,Jurist | ↓− − − − − − − − − − − −↓ Johann III B. Jakob II B. 1744 - 1807 1759 - 1789 Math.,Astr.,Geogr. Math.,Phys. Im Folgenden seien in Kurzform ein paar Daten aus dem Leben der berühmten Mathematiker aus der Gelehrtenfamilie aufgeführt, die aus Groningen stammend wegen ihres protestantischen Glaubens um 1570 von Antwerpen über Fankfurt/M. nach Basel flohen. Da die Vornamen Johann, Jakob und Nik(o)laus in der Familie traditionell sind, werden zur Unterscheidung die Vornamen gewöhnlich durch Nachstellen von römischen Ziffern ergänzt: Jakob I Bernoulli (*27.12.1654 in Basel; studierte auf Wunsch seines Vaters Theologie, beschäftigte sich aber daneben insgeheim autodidaktisch mit Mathematik und Astronomie; 1676 bestand er das theologische Examen und begab sich auf zwei Auslandsreisen (1676 – 1680 und 1681 – 1682), wobei er in Südfrankreich als Hauslehrer arbeitete. 1681 begann er autodidaktisch moderne Mathematik zu studieren. Er lehnte 1682 eine Predigerstelle in Straßburg ab und widmete sich fortan ganz der Mathematik. Er erhielt 1687 eine Professur für Mathematik in Basel. Seine posthum 1744 erschienenen Öpera omniaënthal- 27 ten neben 100 von ihm selbst publizierten Arbeiten auch 32 bearbeitete Abhandlungen. †16.8.1705 in Basel) und Johann I Bernoulli (*6.8.1667 in Basel; studierte Medizin und wurde von seinem Bruder Jakob I in die Mathematik eingewiesen; wurde 1695 nach Groningen berufen und übernahm nach dem Tod seines Bruders den Lehrstuhl für Mathematik in Basel, den er bis zu seinem Tod innehatte; †1.1.1748 in Basel) aus der 1. Generation, Niklaus I Bernoulli (*10.10.1687 in Basel; er legte 1709 sein juistisches Examen ab; wurde von seinen Onkeln in die Mathematik eingeführt; 1716 erhielt er eine Professur in Padua, gab die Stelle 1719 auf, um zu heiraten, und wurde 1722 bzw. 1731 Professor der Logik bzw. der Rechte in Basel; †29.11.1759 in Basel), Niklaus II Bernoulli (*6.2.1695 in Basel; er schloss sein Jurastudium in Basel 1715 ab; beschäftigte sich jedoch auch mit Mathematik, unterwies seinen jüngeren Bruder Daniel seit 1711 in Mathematik; 1725 wurde er Mitglied der neugegründeten Petersburger Akademie und Professor für Mathematik in Petersburg; er erlag am 26.7.1726 dort einem Krebsleiden) Daniel Bernoulli (*8.2.1700 in Groningen; er brach zweimal die von seinem Vater gewünschte Ausbildung zum Kaufmann ab und durfte erst dann studieren; nachdem er in Basel die Artistenfakultät durchlaufen hatte, studierte er 1718/19 in Heidelberg und 1719/20 in Straßburg Medizin und schloss 1721 in Basel das Studium mit der Doktorarbeit ”De Respirationeërfolgreich ab. 1723 ging er nach Padua, musste aber seine Karriere als Mediziner aus gesundheitlichen Gründen 1724 aufgeben. 1724 veröffentlichte er seine ”Exercitationes quaedam mathematicae”, in denen er die Riccatische Differentialgleichung (vgl. Beispiel 15.42 b) ) behandelte. 1725 wurde er gemeisam mit seinem Bruder Niklaus II an die Petersburger Universität berufen, an der er zunächst eine Professur in Physiologie und bald in Mathematik erhielt; 1733 nahm er eine Professur für Anatomie und Botanik in Basel an; 1750 erhielt er dort einen Lehrstuhl für Physik; †17.3.1782 in Basel) und Johann II Bernoulli (*18.5.1710 in Basel, er promovierte 1732 in Basel zum Dr. jur.; 1743 wurde er Professor für Eloquenz in Basel und ab 1748 Nachfolger seines Vaters als Professor der Mathematik in Basel; †17.7.1790 in Basel) aus der 2. Generation sowie Johann III Bernoulli (*4.11.1744 in Basel; wurde auf Grund seiner Begabung bereits 1754 in die philosophische Matrikel der Universität Basel aufgenommen; mit 14 Jahren war er Magister; 1763 erhielt er mit einer Dissertation das Lizentiat der Rechte; von seinem Vater und seinem Bruder Daniel wurde er in die Mathematik eingeführt; 1764 wurde er besoldetes Mitglied der Akademie in Berlin, 1767 Direktor des Observatoriums und 1792 Direktor der mathematischen Klasse der Berliner Akademie; †13.7.1807 in Köpenick bei Berlin) und Jakob II Bernoulli (*28.10.1759 in Basel; er studierte in Basel Jura und wurde 1778 Lizentiat der Rechte; nach erfolglosen Bewerbungen um eine Professur wurde er 1786 28 Adjunkt der Petersburger Akademie; am 3.7.1789 ertrank er in der Newa; 2 Monate vor seinem Tod hatte er eine Enkelin von Leonhard Euler geheiratet) aus der 3. Generation. Eine genaue Abgrenzung der wissenschaftlichen Leistungen der einzelnen Familienmitglieder ist nicht ohne weiteres möglich. Schon zu Lebzeiten der Bernoullis hat es zahlreiche Verwechslungen und Irritationen gegeben, bis hin zu tiefgreifenden Streitigkeiten. Als z.B. Daniel Bernoulli einen begehrten Preis der Pariser Akademie gewann und nicht sein Vater Johann, warf dieser kurzerhand die mißratene Leibesfruchtäus dem Haus. Jakob I, Johann I und Daniel zählen zu den drei großen Bernoullis. Die Bernoullische Ungleichung geht auf Jakob I zurück, obwohl sie schon früher von dem englischen Theologen und Mathematiker Isaac Barrow (1630 – 1677) entdeckt wurde. Folgerung 1.21. a) Es sei b > 1; dann gibt es zu jedem K > 0 ein n ∈ N mit bn > K. b) Ist 0 < b < 1, so existiert zu jedem ε > 0 ein n ∈ N mit bn < ε. Beweis: Zu a): Sei x := b − 1; Satz 1.20 liefert bn = (1 + x)n ≥ 1 + nx. Nach dem Archimedischen Prinzip existiert zu x > 0 und y = K − 1 ein n ∈ N mit nx > K − 1. Für dieses n gilt: bn > 1 + (K − 1) = K. , -n 1 1 Zu b): Nach Satz 1.7 ist b > 1; also existiert nach Teil a) ein n ∈ N mit > . b ε , -n 1 1 Satz 1.7 liefert dann wegen = n die Behauptung bn < ε. ! b b −1 In engem Zusammenhang hiermit ist die Summenformel für die geometrische Reihe zu sehen. Satz 1.22. Es sei x ∈ R \ {1}; dann gilt für jedes n ∈ N0 : n ) k=0 Beweis durch Induktion nach n: xk = 1 − xn+1 . 1−x 29 (I) n = 0 ergibt: n ) k=0 (II) 1 − x0+1 x = x = 1 und = 1. 1−x k n+1 ) 0 k x = k=0 n ) xk + xn+1 = k=0 = 1 − xn+1 + xn+1 1−x 1 − xn+2 1 − xn+1 + xn+1 − xn+2 = . 1−x 1−x ! Satz 1.23. Zu jedem x ∈ R√mit x > 0 und jedem n ∈ N existiert genau ein y > 0 mit y n = x. Wir schreiben: y = n x oder y = x1/n . Beweis: Sei E := {t > 0 | tn < x}; betrachten wir r := x , so ist 0 < r < 1, also 1+x r n ≤ r < x. Damit ist r ∈ E; d.h. E %= ∅. Für t > 1 + x gilt tn ≥ t > x, also t %∈ E. Daher ist 1 + x eine obere Schranke von E. Nach Satz 1.11 existiert y = sup E in R. Wir zeigen, dass y n = x gilt. Dazu beweisen wir, dass die Ungleichungen y n > x und y n < x zu Widersprüchen führen. Um dies zu zeigen, überlegen wir uns, dass für reelle Zahlen a > b > 0 und n ∈ N gilt: (∗) nan−1 ≥ an − bn ≥ nbn−1 . a−b (Aus Satz 1.22 folgt für a, b ∈ R mit a %= b sowie a %= 0: 2 . b /n+1 3 n+1 n n , -k 1 − n+1 n+1 a ) ) a b a −b n . / = bk an−k , = =a a−b a a 1 − ab k=0 k=0 woraus sofort die Behauptung (∗) folgt.) 1. Fall: Sei y > 0 und y n < x; wir wählen h so, dass 0 < h < 1 und h< x − yn n(y + 1)n−1 gilt. Mit b = y und a = y + h > b > 0 folgt dann mit (∗): an − bn ≤ nan−1 (a − b) = nan−1 h = nh(y + h)n−1 ≤ nh(y + 1)n−1 < x − y n . 30 Also ist (y + h)n − y n < x − y n oder (y + h)n < x, d.h. y + h ∈ E. Wegen y + h > y widerspricht dies der Tatsache, dass y eine obere Schranke von E ist. 2. Fall: Sei y > 0 und y n > x; wir wählen 0<k< Dann ist k < yn − x . ny n−1 yn y = ≤ y. n−1 ny n Mit a := y und b := y − k > 0 folgt nach (∗) an − bn ≤ nan−1 (a − b) = nan−1 k < y n − x. Also ist oder d.h. y n − (y − k)n < y n − x (y − k)n > x, y − k %∈ E. Also ist y − k eine obere Schranke von E im Widerspruch dazu, dass y die kleinste obere Schranke von E ist. Also muss y n = x gelten; sind y1 , y2 ∈ R, etwa 0 < y1 < y2 , so folgt 0 < y1n < y2n . Also existiert genau ein y mit y n = x. ! 1.5 Endliche, abzählbare und überabzählbare Mengen Definition 1.24. Es sei Nn := {1, 2, . . . , n} für n ∈ N und M irgendeine Menge. Wir schreiben M ∼ N (M gleichmächtig wie N, M äquivalent N), wenn eine bijektive Abbildung f : M → N existiert. M heißt a) endlich, wenn ein n ∈ N mit M ∼ Nn existiert. (∅ wird ebenfalls als endlich betrachtet.) 31 b) unendlich, falls M nicht endlich ist. c) abzählbar, wenn M ∼ N ist. d) überabzählbar, falls M weder endlich noch abzählbar ist. e) höchstens abzählbar, wenn M endlich oder abzählbar ist. Bemerkung Zwei endliche Mengen M und N sind genau dann gleichmächtig, wenn sie gleichviele Elemente enthalten. Für unendliche Mengen ist der Begriff ”gleichviele Elemente” recht undeutlich, wogegen die Definition mit Hilfe der bijektiven Abbildung eindeutig ist. So ist z.B. Z ∼ N vermöge der Abbildung n für gerades n 2 f : N 5 n 6→ ∈ Z. n − 1 − für ungerades n 2 Wir konstruieren nun aus gegebenen unendlichen Mengen neue: Satz 1.25. Jede unendliche Teilmenge einer abzählbaren Menge ist abzählbar. Beweis: Sei M abzählbar und N ⊂ M unendlich. Wir ordnen die Elemente von M in der Form f (1), f (2), f (3), . . . , an, wobei f : N → M bijektiv ist. Sei nun n1 ∈ N die kleinste natürliche Zahl mit f (n1 ) ∈ N. Sind nun n1 , . . . , nk−1 schon gewählt, so sei nk ∈ N für k ≥ 2 die kleinste natürliche Zahl mit nk > nk−1 und f (nk ) ∈ N. Wir definieren dann g : N → N durch g(k) = f (nk ); g ist injektiv, da f injektiv ist; außerdem ist g surjektiv: ist nämlich x ∈ N ⊂ M, so existiert ein " ∈ N mit f (") = x; ist dann k die Anzahl der Elemente in {f (1), . . . , f (")} mit f (j) ∈ N, so gilt f (") = g(k). ! Satz 1.26. Für jedes n ∈ N sei En eine abzählbare Menge. Dann ist auch M := ∞ ; n=1 En := ; En n∈N abzählbar. Beweis: Seien En ∼ N vermöge der Abbildungen fn : N → En , d.h. En = {fn (k) | k ∈ N}. 32 Wir betrachten das folgende unendliche Schema f1 (1) f1 (2) f1 (3) f1 (4) . . . 7 7 7 f2 (1) f2 (2) f2 (3) ... 7 7 f3 (1) f3 (2) f3 (3) ... 7 f4 (1) . . . Das Schema enthält alle Elemente von M. Wir ordnen die Elemente des Schemas gemäß der durch die Pfeile angedeuteten Weise an: f1 (1); f2 (1), f1 (2); f3 (1), f2 (2), f1 (3); f4 (1), . . . Haben zwei der Mengen En gemeinsame Elemente, so treten diese in der Anordnung mehrfach auf. (Wenn wir dies nicht berücksichtigen, so kann genau angegeben werden, an welcher Stelle in dieser Reihenfolge das Element fk (") steht.) Streichen wir in dieser Anordnung vom zweiten Auftreten an alle Elemente heraus, so wird durch diese Anordnung eine bijektive Abbildung von einer Teilmenge N ⊂ N auf M beschrieben. Also ist M höchstens abzählbar; wegen E1 ⊂ M und E1 ∼ N folgt, dass M abzählbar ist. ! Satz 1.27. Sei M eine abzählbare Menge und M n für n ∈ N die Menge aller n-Tupel (x1 , . . . , xn ) mit xk ∈ M, also M n := {(x1 , . . . , xn ) | xk ∈ M für 1 ≤ k ≤ n}. Dann ist M n abzählbar. Beweis: Durch Induktion nach n. (I) Für n = 1 ist M 1 = M, also M 1 abzählbar. (II) Sei n > 1 und M n−1 abzählbar; dann ist M n = {(x1 , . . . , xn−1 , xn ) | mit (x1 , . . . , xn−1 ) ∈ M n−1 und xn ∈ M} = {(y, xn ) | mit y ∈ M n−1 , xn ∈ M}, also Mn = ; xn ∈M = ; {(y, xn ) | y ∈ M n−1 } y∈M n−1 { (y, xn ) | xn ∈ M}. Für festes y ∈ M n−1 ist die Menge { (y, xn ) | xn ∈ M} abzählbar. Satz 1.26 liefert dann die Abzählbarkeit von M n . ! 33 Folgerung 1.28. Q ist abzählbar. Beweis: Es ist Q = { 0}∪ !m " | m, n ∈ Z \ { 0} . Die Menge M := Z\{ 0} ist abzählbar, n also nach Satz 1.26 auch M 2 , d.h.: die Menge aller Paare (m, n) mit m, n ∈ M und damit m ist abzählbar. ! die Menge aller Brüche n Satz 1.29. Es sei F := {f | f : N → { 0, 1} }; dann ist F überabzählbar. (F enthält alle Folgen, die aus ”Nullenünd Ëinsen” gebildet werden können.) Beweis: Sei E ⊂ F eine beliebige abzählbare Teilmenge von F , etwa E = { fk | k ∈ N}; wir konstruieren ein f ∈ F mit f %∈ E. Dazu sei + 0 , falls fk (k) = 1 f (k) := . 1 , falls fk (k) = 0 Dann ist f %= fk für alle k ∈ N, denn es gilt f (k) %= fk (k). Also ist jede abzählbare Teilmenge von F eine echte Teilmenge von F . Damit ist F überabzählbar, denn andernfalls wäre F eine echte Teilmenge von F . ! 1.6 R als metrischer Raum Aufgrund der Anordnung von R können wir einen Absolutbetrag einführen: Definition 1.30. Für x ∈ R heißt |x| := + x für −x für x≥0 x<0 Absolutbetrag von x. Wir können | · | : R 5 x 6→ |x| ∈ R als Funktion auffassen; diese Funktion erfüllt folgende Eigenschaften: Satz 1.31. Es seien x, y ∈ R; dann gilt: (B1) |x| ≥ 0 und (|x| = 0 ⇔ x = 0). (B2) |xy| = |x| · |y| (B3) |x + y| ≤ |x| + |y| (Dreiecksungleichung) 34 Beweis: (B1) ist klar; durch Diskussion aller möglichen Fälle sieht man (B2) ein. Zu (B3): Wegen x ≤ |x| und y ≤ |y| folgt aus Axiom (O2) bzw. Satz 1.7: x + y ≤ |x| + |y|. Wegen −x ≤ |x| und −y ≤ |y| gilt auch −(x + y) ≤ |x| + |y|. Also ist |x + y| ≤ |x| + |y|. ! Folgerung 1.32. Für x, y ∈ R gilt < < < x < |x| a) << << = , falls y %= 0, und y |y| b) ||x| − |y|| ≤ |x − y| sowie ||x| − |y|| ≤ |x + y|. x Beweis: Zu a): Wegen x = · y folgt nach (B2): y < < < < <x< <x< |x| = << << |x| = << << · |y|, d.h. y |y| y Zu b): Sei u := x + y und v := −y; dann gilt nach (B3): |u + v| ≤ |u| + |v|, d.h. |x| ≤ |x + y| + |y| wegen | − y| = |y| oder |x| − |y| ≤ |x + y|. Entsprechend folgt mit u := x + y und v := −x: |y| ≤ |x + y| + |x| oder −(|x| − |y|) ≤ |x + y|. Insgesamt heißt das: ||x| − |y|| ≤ |x + y|. Die erste Ungleichung in b) folgt aus der zweiten wegen | − y| = |y|. ! Im Zusammenhang mit Abschätzungen sind folgende Aussagen nützlich: Satz 1.33. Seien ε > 0, x0 , x ∈ R; dann gilt: (−) (−) (−) a) |x| < ε ⇔ −ε < x < ε (−) (−) (−) b) |x − x0 | < ε ⇔ x0 − ε < x < x0 + ε. 35 Beweis: Zu a): Folgt sofort aus x ≤ |x| durch die Fallunterscheidung x ≥ 0 bzw. x < 0. Zu b): Nach a) gilt |x − x0 | < ε ⇔ −ε < x − x0 < ε ⇔ x0 − ε < x < x0 + ε. ! Wir führen an dieser Stelle Abkürzungen für spezielle Mengen in R ein: Definition 1.34. Seien a, b ∈ R mit a < b gegeben; dann sei [a, b] := { x ∈ R | a ≤ x ≤ b} das abgeschlossene Intervall, ]a, b] := { x ∈ R | a < x ≤ b} das links offene ]a, b[ := { x ∈ R | a < x < b} bzw. [a, b[ := { x ∈ R | a ≤ x < b} das offene Intervall, das rechts offene Intervall mit den Randpunkten a und b. Ist x0 := a+b der Mittelpunkt und r := 2 Radius eines Intervalls mit den Randpunkten a und b, so schreiben wir auch b−a 2 der Kr (x0 ) :=]a, b[= { x ∈ R | |x − x0 | < r} bzw. K r (x0 ) := [a, b] = { x ∈ R | |x − x0 | ≤ r}. Schließlich sei noch ] − ∞, a[ ] − ∞, a] ]a, ∞[ [a, ∞[ := { x ∈ R | x < a}, := { x ∈ R | x ≤ a}, := { x ∈ R | x > a}, := { x ∈ R | x ≥ a}, bzw. ] − ∞, ∞[ := R. Satz 1.35. Eine Menge M ⊂ R ist genau dann nach oben und nach unten beschränkt, wenn ein r > 0 existiert mit M ⊂ K r (0). Beweis: ”>”: Sei a eine untere Schranke und b eine obere Schranke für M, so ist r := max(|a|, |b|) eine obere und −r eine untere Schranke für M; also gilt nach Satz 1.33 für alle x ∈ M : |x| ≤ r. O.B.d.A. können wir r > 0 annehmen. 36 ”<”: Ist M ⊂ K r (0), so gilt für alle x ∈ M: −r ≤ x ≤ r; also ist −r eine untere und r eine obere Schranke von M. ! Mit Hilfe des Absolutbetrages können wir den Abstand d(x, y) zweier reeller Zahlen x und y definieren durch d(x, y) := |x − y|. Aufgrund der Eigenschaften des Betrages folgt: d(x, y) = 0 ⇔ x = y d(x, y) = d(y, x) sowie d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) (|x − y| = |(x − z) + (z − y)| ≤ |x − z| + |z − y|) Diese Eigenschaften fordert man ganz allgemein für eine Abstandsfunktion auf einer beliebigen (nichtleeren) Menge X: Definition 1.36. Ist d : X × X → R eine Abbildung mit den Eigenschaften: (Me 1) d(x, y) = 0 ⇔ x = y (Me 2) d(x, y) = d(y, x) für alle x, y ∈ X (Me 3) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) für alle x, y, z ∈ X (Dreiecksungleichung), so heißt (X, d) ein metrischer Raum, d heißt Metrik oder Abstandsfunktion und d(x, y) der Abstand der Punkte x und y (bzgl. der Metrik d). Bemerkung: Es gilt stets d(x, z) ≥ 0. Aus (Me 1) bis (Me 3) folgt nämlich für y = x: 0 = d(x, x) ≤ d(x, z) + d(z, x) = 2d(x, z). Mit der oben definierten Abbildung ist (R, d) ein metrischer Raum. Wir wollen weitere Beispiele für metrische Räume kennenlernen. Zuvor halten wir noch eine allgemeine Eigenschaft fest: 37 Satz 1.37. (Vierecksungleichung) Sind x1 , x2 , y1, y2 vier Punkte in einem metrischen Raum (X, d), so gilt: |d(x1 , x2 ) − d(y1 , y2 )| ≤ d(x1 , y1) + d(x2 , y2 ). Beweis: Zweimalige Anwendung von (Me 3) liefert: d(x1 , x2 ) ≤ d(x1 , y1 ) + d(y1, x2 ) ≤ d(x1 , y1 ) + d(y1, y2 ) + d(y2 , x2 ), d.h. d(x1 , x2 ) − d(y1 , y2) ≤ d(x1 , y1 ) + d(x2 , y2) (∗) bzw. d(y1, y2 ) ≤ d(y1 , x1 ) + d(x1 , y2 ) ≤ d(y1 , x1 ) + d(x1 , x2 ) + d(x2 , y2 ) oder (∗∗) d(y1, y2 ) − d(x1 , x2 ) ≤ d(x1 , y1 ) + d(x2 , y2 ). (∗) und (∗∗) ergeben die Behauptung. ! Wegen 0 ≤ (a − b)2 = a2 − 2ab + b2 d.h. 4ab ≤ a2 + 2ab + b2 = (a + b)2 erhalten wir für a, b ∈ [0, ∞[ folgende Beziehung zwischen dem geometrischen und dem arithmetischen Mittel √ 1 a+b ab = (ab) 2 ≤ . 2 Mit Hilfe dieser Ungleichung beweisen wir Satz 1.38 (Cauchy 3 -Schwarzsche 4 Ungleichung). Für reelle Zahlen a1 , . . . , an , b1 , . . . , bn gilt: n ) k=1 Beweis: Sei A := 3 4 vgl. S. 413 vgl. S. 38 |ak bk | ≤ 0 0 1 21 n ) k=1 a2k n ) k=1 , a2k 1 21 0 · B := n ) b2k k=1 0 n ) k=1 1 12 b2k . 1 12 . 38 Es ist A = 0 ⇔ ak = 0 für 1 ≤ k ≤ n bzw. B = 0 ⇔ bk = 0 für 1 ≤ k ≤ n. In diesen Fällen ist nichts mehr zu beweisen. Deshalb setzen wir A > 0 und B > 0 voraus. Mit |ak | |bk | αk := bzw. βk := erhalten wir nach der obigen Ungleichung: A B n n = n ) ) ) αk βk = AB |ak bk | = AB αk2 βk2 k=1 k=1 k=1 ≤ AB AB = 2 AB = 2 = n , 2 ) α k k=1 0 0 n ) k=1 2 + αk2 + βk2 2 - n ) k=1 βk2 1 n n 1 ) 2 1 ) 2 a + b A2 k=1 k B 2 k=1 k 1 AB (1 + 1) = AB. 2 ! Bemerkungen: Aufgrund der Dreiecksungleichung gilt: < < n n n <) < ) ) < < ak bk ≤ < ak bk < ≤ |ak bk |. < < k=1 k=1 k=1 In der Cauchy-Schwarz’schen Ungleichung steht genau dann das Gleichheitszeichen, wenn (a1 , . . . , an ) und (b1 , . . . , bn ) linear unabhängig sind, d.h., wenn ein λ ∈ R mit λ %= 0 derart existiert, dass für alle k = 1, . . . , n gilt: ak = λ · bk . Hermann Amandus Schwarz wurde am 25.1.1843 in Hermsdorf (Polen) geboren. Er studierte zunächst am Gewerbeinstitut in Berlin von 1860 bis 1866 Chemie, und wechselte unter dem Einfluss von K. Weierstraß zur Mathematik an die Berliner Universität, an der er 1864 promovierte. Anschließend unterrichtete er an verschiedenen Berliner Gymnasien. Nach seiner Habilitation 1867 war er in Halle als Privatdozent und ab 1869 an der ETH Zürich sowie ab 1875 an der Universität in Göttingen als ordentlicher Professor tätig. 1892 wurde er Nachfolger von Weierstraß an der Berliner Universität, an der er bis 1917 lehrte. Schwarz verstarb am 30.11.1921 in Berlin. 39 Satz 1.39. (Minkowski5 -Ungleichung) Für reelle Zahlen a1 , . . . , an , b1 , . . . , bn gilt: 0 n 1 12 0 n 1 21 0 n 1 12 ) ) ) (ak + bk )2 ≤ a2k + b2k . k=1 k=1 Beweis: O.B.d.A. können wir n ) k=1 (ak + bk )2 > 0 voraussetzen. Dann gilt nach Satz 1.38: k=1 n ) (ak + bk ) 2 = k=1 (ak + bk )ak + k=1 ≤ ≤ Division durch n ) 0 n ) k=1 n ) k=1 0 (ak + bk )2 n ) k=1 n ) |ak + bk | |ak | + n ) (ak + bk )2 k=1 1 12 (ak + bk )bk k=1 1 21 0 |ak + bk | |bk | n ) a2k k=1 1 12 + 0 n ) k=1 b2k 1 21 ergibt die Behauptung. . ! Als Anwendungsbeispiel erhalten wir die vom R2 bzw. R3 her bekannte Abstandsfunktion: Satz 1.40. Wir definieren auf dem Rn × Rn eine Abbildung d2 durch 0 n 1 12 ) d2 ((x1 , . . . , xn ), (y1, . . . , yn )) := (xk − yk )2 ; k=1 dann ist (Rn , d2 ) ein metrischer Raum und d2 die sog. euklidische Metrik. Beweis: (Me 1) und (Me 2) sind klar. Sind (x1 , . . . , xn ), (y1, . . . , yn ) und (z1 , . . . , zn ) ∈ Rn , so ergibt sich (Me 3) aus der Minkowski-Ungleichung, wenn wir ak = xk − zk und bk = zk − yk für 1 ≤ k ≤ n setzen: 0 n 1 12 0 n 1 21 0 n 1 12 ) ) ) (xk − yk )2 ≤ (xk − zk )2 + (zk − yk )2 , k=1 k=1 k=1 d.h. d2 ((x1 , . . . , xn ), (y1, . . . , yn )) ≤ d2 ((x1 , . . . , xn ), (z1 , . . . , zn )) + d2 ((z1 , . . . , zn ), (y1 , . . . , yn )). ! 5 vgl. S. 405 40 Bemerkung Ist n = 2, so erhalten wir d2 ((x1 , x2 ), (y1, y2 )) = B (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 , also die nach dem Satz des Pythagoras definierte Entfernung der Punkte (x1 , x2 ) und (y1 , y2 ) im cartesischen Koordinatensystem. Satz 1.41. Auf dem Rn werden durch d1 ((x1 , . . . , xn ), (y1, . . . , yn )) := n ) k=1 |xk − yk | bzw. d∞ ((x1 , . . . , xn ), (y1, . . . , yn )) := max{ |xk − yk | ; 1 ≤ k ≤ n} zwei Metriken definiert. Beweis: (Me 1) und (Me 2) sind jeweils klar. Zu (Me 3): Sei x = (x1 , . . . , xn ), y = (y1 , . . . , yn ) und z = (z1 , . . . , zn ); dann folgt d1 (x, y) = ≤ n ) k=1 n ) k=1 |(xk − zk ) + (zk − yk )| (|xk − zn | + |zk − yk |) = = d1 (x, z) + d1 (z, y) n ) k=1 |xk − zk | + n ) k=1 |zk − yk | sowie wegen d∞ (x, y) ≤ d∞ (x, z) + d∞ (z, y) max{ ak + bk | 1 ≤ k ≤ n} ≤ max{ak | 1 ≤ k ≤ n} + max{ bk | 1 ≤ k ≤ n}. ! Beispiel 1.42. (Französische Eisenbahnmetrik) Wir wählen einen beliebigen, aber festen Punkt P0 aus dem R2 und definieren d : R2 × R2 → R durch d(P1 , P2 ) = d2 (P1 , P2 ), falls P1 und P2 auf einer Geraden durch P0 liegen bzw. d(P1 , P2 ) = d2 (P1 , P0 ) + d2 (P2 , P0 ), falls P1 und P2 nicht auf einer solchen Geraden liegen. Dann ist d eine Metrik auf dem R2 . Beweis als Übung. 41 Versailles Reims Paris Chartres Abbildung 1: Französische Eisenbahnmetrik Um z.B. mit der Eisenbahn von Versailles (P1 ) nach Reims (P2 ) zu kommen, muss man die Entfernungen von Versailles nach Paris (P0 ) und die von Paris nach Reims addieren. Um von Reims nach Chartres zu gelangen, kann man direkt die Entfernung von Reims nach Chartres zurücklegen. 1.7 Komplexe Zahlen Definition 1.43. Eine komplexe Zahl ist ein Paar z = (x, y) reeller Zahlen. Dabei ist z1 = (x1 , y1) gleich z2 = (x2 , y2 ), wenn x1 = x2 und y1 = y2 gilt. Wir definieren Summe bzw. Produkt komplexer Zahlen durch z1 + z2 := (x1 + x2 , y1 + y2 ) und z1 z2 := (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + x2 y1 ). Dann gilt Satz 1.44. Die Menge C aller komplexen Zahlen bildet mit den Verknüpfungen aus Definition 1.43 einen Körper mit dem neutralen Element (0, 0) bzgl. ”+ ” und (1, 0) bzgl. ”· ”. Beweis: Die Axiome (A1) bis (A4) sind für die Tupel (x, y) erfüllt, da R ein Körper ist und die Addition komponentenweise definiert ist. Es gilt −z = −(x, y) = (−x, −y). Zu (M1): (z1 z2 )z3 = (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + x2 y1 ) · (x3 , y3 ) = (x1 x2 x3 − x3 y1 y2 − x1 y2 y3 − x2 y1 y3 , x1 x2 y3 − y1 y2 y3 + x1 x3 y2 + x2 x3 y1 ) z1 (z2 z3 ) = (x1 , y1 )(x2 x3 − y2 y3 , x2 y3 + x3 y2 ) = (x1 x2 x3 − x1 y2 y3 − x2 y1 y3 − x3 y1 y2 , x1 x2 y3 + x1 x3 y2 + x2 x3 y1 − y1 y2 y3 ) 42 (M2) und (M3) sind klar. Zu (M4): Es ist mit z für z %= 0: zz −1 = , −1 = (x, y) −1 = , x y ,− 2 2 2 x +y x + y2 - y2 −xy xy x2 + , 2 + 2 2 2 2 2 2 x +y x +y x +y x + y2 (D) ergibt sich durch eine ähnliche Rechnung wie bei (M1). - = (1, 0). ! Folgerung 1.45. Es gilt für xi ∈ R: (x1 , 0) + (x2 , 0) = (x1 + x2 , 0) sowie (x1 , 0) (x2 , 0) = (x1 x2 , 0). Das zeigt, dass die komplexen Zahlen der Form (x, 0) dieselben arithmetischen Eigenschaften wie die entsprechenden reellen Zahlen x haben. Deshalb können wir (x, 0) als neue Bezeichnung für x ∈ R auffassen. Vermöge dieser Identifikation ist R ein Unterkörper von C oder C eine Erweiterung von R. Setzen wir noch i := (0, 1), so gilt (0, y) = (0, 1) (y, 0) = iy, also i2 = (0, 1) (0, 1) = (−1, 0) = −1, (x, y) = (x, 0) + (0, y) = x + iy. Da wir beim Beweis des Binomischen Lehrsatzes nur die Körperaxiome benutzt haben, gilt dieser auch für komplexe Zahlen, d.h. Satz 1.46. Für a, b ∈ C und n ∈ N gilt mit a0 = b0 := 1: n (a + b) = n , ) n k=0 k an−k bk , also z.B.: (1 + i)2 = 1 + 2i + i2 = 2i. Definition 1.47. Ist z = x + iy ∈ C, so heißt z := x − iy die zu z konjugiert komplexe Zahl, x der Realteil (x = Re z) und y der Imaginärteil (y = Im z) von z. 43 Folgerung 1.48. Für z, w ∈ C gilt: a) z + w = z + w b) zw = z w c) z + z = 2 Re z, z − z = 2i Im z d) zz ≥ 0 und (zz = 0 ⇔ z = 0) Beispiele 1.49. Es ist für z = x + iy, w = u + iv ∈ C und w %= 0 auch w %= 0, also zw zw zw z = = = 2 . w ww ww u + v2 Das erleichtert häufig die Berechnung von Quotienten komplexer Zahlen, so ist z.B.: 1 1−i 1 1 = = − i 1+i 2 2 2 1 = −i , i und 1 + 2i 1 + 2i (1 + 2i)(−5 − 12i) 19 22 = = = − i. (2 + 3i)2 −5 + 12i 52 + 122 169 169 Definition 1.50. 1 Ist z ∈ C, so heißt |z| := (zz) 2 = z = x + iy. B x2 + y 2 = B (Re z)2 + (Im z)2 der Absolutbetrag von Bemerkung I.a. gilt für komplexe Zahlen: |z|2 %= z 2 . Wähle z.B. z = i; dann ist |z|2 = 1 und z 2 = i2 = −1. Ist z reell, so gilt + z für z ≥ 0 1 1 . (zz) 2 = (z 2 ) 2 = −z für z < 0 Also stimmt dann der reelle Absolutbetrag mit dem komplexen überein. Geometrische Interpretation der Multiplikation komplexer Zahlen Gehen wir vom naiven Verständnis der Sinus- bzw. Cosinus-Funktion aus, so gilt für ein Tupel z = (x, y) ∈ R2 die Beziehung cos α = y x und sin α = , |z| |z| 44 wz y z v w a+b a b x Abbildung 2: 1 u Multiplikation komplexer Zahlen also z = (|z| cos α, |z| sin α) = |z|(cos α + i sin α). Dabei wird der Winkel zwischen der positiven Realteil-Achse und der Verbindungsgeraden durch z und 0 im Bogenmaß mit 0 ≤ α < 2π gegen den Uhrzeigersinn gemessen. Ist nun w = (u, v) eine weitere komplexe Zahl, deren Verbindungsgerade durch w und den Nullpunkt mit der positiven Re-Achse den Winkel β einschließt, so folgt aufgrund der Additionstheoreme für die Sinus- bzw. Cosinus-Funktion z w = xu − yv + (yu + xv)i = |z| |w| [(cos α cos β − sin α sin β) + (cos α sin β + sin α cos β)i] = |z| |w|[cos(α + β) + i sin(α + β)] . Zwei komplexe Zahlen werden also miteinander multipliziert, indem man die Absolutbeträge multipliziert und die Argumente, das sind die Winkel mit der positiven RealteilAchse, addiert. Daraus erhalten wir induktiv für alle n ∈ N die sog. Moivresche6 Formel z n = |z|n [cos nα + i sin nα]. Auf eine exakte Begründung dieser Sachverhalte (d.h. ohne naives Verständnis der trigonometrischen Funktionen) gehen wir später ein. 6 Abraham de Moivre wurde am 26.5.1667 in Vitry (in der Champagne) geboren. Aus einer Hugenottenfamilie stammend besuchte er höhere Schulen in Sedan, Saumur und Paris. Mit Mathematik beschäftigte er sich überwiegend autodidaktisch. Nach der 1685 erfolgten Aufhebung des Edikts von Nantes, das den Hugenotten einst religiöse und politische Autonomie garantierte, gelang Moivre die Emigration nach London, wo er sich bis ins hohe Alter durch Privatunterricht seinen Lebensunterhalt verdiente, aber auch Spieler und Spekulanten in Kaffeehäusern beriet. Moivre verstarb am 27.11.1754 in London. 45 Weiter ist für z %= 0 mit r = |z|: 1 z 1 = = 2 (|z| (cos(−α) + i sin(−α)) z zz r 1 (cos α − i sin α) , r woraus sich die Gültigkeit der Moivreschen Formel für n ∈ Z ergibt. = 1 Sowohl für das Produkt zweier komplexer Zahlen als auch für die Kehrwertbildung z lassen sich geometrische Konstruktionen mit Hilfe des Strahlen- und des Kathetensatzes angeben. Wir betrachten zunächst die Multiplikation zweier komplexer Zahlen. 1 zw z a w b »z» Abbildung 3: 1 Multiplikation komplexer Zahlen zw liegt auf dem vom Nullpunkt ausgehenden Strahl, der mit der positiven Realteilachse den Winkel α + β einschließt. Der Abstand vom Nullpunkt ergibt sich aus dem Strahlensatz: ziehen wir eine Parallele zu der Geraden durch (1, 0) und w durch den Punkt (|z|, 0), so gilt für den Schnittpunkt u dieser Geraden mit der Geraden durch (0, 0) und w: |u| |z| = |w| 1 oder |u| = |w||z| = |wz| . Schlagen wir also einen Kreisbogen um (0, 0) mit Radius |u|, so schneidet dieser Bogen den von (0, 0) ausgehenden Strahl mit Winkel α + β im Punkt zw. w zweier komplexer Zahlen z, w ∈ C können wir zurückführen auf die MulDie Division z 1 tiplikation von w mit . Deshalb beschäftigen wir uns nun mit der Inversenbildung einer z komplexen Zahl z. Es ist 1 z = 2 , z |z| 46 1 auf dem vom Nullpunkt (0, 0) ausgehenden Strahl, der mit der positiven Rez alteilachse den Winkel −α einschließt, d.h. der durch (0, 0) und z geht. Wir unterscheiden die Fälle |z| > 1, |z| = 1 und |z| < 1. also liegt Sei zunächst |z| > 1 (vgl. Abbildung 4). z=x+iy s w x-iy Abbildung 4: Inverse komplexer Zahlen ( |z| > 1) Wir zeichnen über dem Durchmesser von (0, 0) zu z den Thaleskreis; dieser schneidet den Einheitskreis im Punkt s. Von s fällen wir das Lot auf den Durchmesser; der Lotfußpunkt sei w. Dann gilt nach dem Kathetensatz |w||z| = 12 = 1 , woraus |w| = 1 1 = |z| |z| folgt. Ist |z| < 1 (vgl. Abbildung 5), so errichten wir in z das Lot auf der Geraden durch (0, 0) und z; dieses Lot schneidet den Einheitskreis in s. Wir zeichnen ein rechtwinkliges Dreieck mit den Eckpunkten (0, 0) und s und dem rechten Winkel im Punkt s. Der freie Schenkel schneidet die Gerade durch (0, 0) und z im Punkt w, für den nach dem Kathetensatz gilt: |w||z| = 12 = 1 , woraus wie im ersten Fall die Behauptung folgt. 47 w x-iy z Abbildung 5: Ist schließlich |z| = 1, so ist s Inverse komplexer Zahlen ( |z| < 1) 1 = z. z Abschließend halten wir noch einmal die wesentlichen Eigenschaften des Absolutbetrages in C fest: Satz 1.51. Im Folgenden seien z, w ∈ C; dann gilt: a) |z| ≥ 0, |z| = 0 ⇔ z = 0 b) |z| = |z| c) |zw| = |z| |w| d) |Re z| ≤ |z| e) |z + w| ≤ |z| + |w|. Beweis: a) und b) sind klar. Zu c): Es ist |zw|2 = zw zw = zw z w = zz ww = |z|2 |w|2 . Daraus folgt durch Wurzelziehen |zw| = |z||w|. 48 Zu d): Es ist |Re z| = B B (Re z)2 ≤ (Re z)2 + (Im z)2 = |z|. Zu e): Es gilt unter Verwendung von d): |z + w|2 = (z + w)(z + w) = zz + zw + wz + ww = |z|2 + zw + zw + |w|2 = |z|2 + 2Re(zw) + |w|2 ≤ |z|2 + 2 |zw| + |w|2 = |z|2 + 2 |z| |w| + |w|2 = |z|2 + 2 |z| |w| + |w|2 = (|z| + |w|)2. ! Bemerkung Betrachten wir auf C die durch den Absolutbetrag induzierte Metrik mit d(z, w) = |z − w|, so erhalten wir gerade den R2 mit der euklidischen Metrik d2 , wenn wir C nur als Menge und nicht als Körper auffassen. C wird als Gauß’sche (komplexe) Zahlenebene bezeichnet.